Der Prinz der drei Heere - Jona Dreyer - E-Book

Der Prinz der drei Heere E-Book

Jona Dreyer

0,0
7,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

»Ach, und eins noch. Hört mir gut zu, denn das ist wichtig: Ihr dürft Fürst Riaghán niemals in die Augen sehen.« In einer mittelalterlich anmutenden Welt muss Aneiryn, der junge Kronprinz von Caorgan, gegen die Gepflogenheiten seines Landes den berüchtigten Fürsten des benachbarten Inselreiches heiraten: Riaghán von Tharog, genannt »Drachenauge«. Nur widerwillig beugt der junge Prinz sich dem Wunsch seiner Eltern, die sich mit dem Bündnis dem übermächtigen Großkönig Halvor entgegenstellen wollen. Aber schon bald muss er feststellen, dass er Gefallen an seiner neuen Heimat und den etwas raubeinigen Bewohnern findet – auch an seinem Ehemann, der anders zu sein scheint, als er zunächst dachte. Doch in Tharog gerät Aneiryn in einen Strudel aus Krieg, Intrigen und finsteren Geheimnissen der Vergangenheit, die nicht nur seinen Mann Riaghán umgeben. Bald weiß er nicht mehr, wem er vertrauen kann und wer unter seiner Maske ein Monster verbirgt. Wird der Weg des jungen Prinzen ihn zur Wahrheit führen? Oder bleibt er für immer nichts als eine Spielfigur auf dem Schachbrett der Macht? Der Prinz der drei Heere: Aneiryn ist mehr als eine Gay Romance - es ist ein großes Abenteuer! Dieser Band ist wie alle anderen Inselreich-Bände in sich abgeschlossen und kann unabhängig von den anderen gelesen werden.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2022

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Der Prinz der drei Heere: Aneiryn

Gay Historical Fantasy

3. Auflage

© Urheberrecht 2018 Jona Dreyer

 

Impressum:

Tschök & Tschök GbR

Alexander-Lincke-Straße 2c

08412 Werdau

 

Text: Jona Dreyer

Coverdesign: Jona Dreyer

Coverbild: depositphotos.com

Lektorat/Korrektorat: Johanna Temme, Kristina Arnold & Sandra Schmitt

 

Kurzbeschreibung:

»Ach, und eins noch. Hört mir gut zu, denn das ist wichtig: Ihr dürft Fürst Riaghán niemals in die Augen sehen.«

In einer mittelalterlich anmutenden Welt muss Aneiryn, der junge Kronprinz von Caorgan, gegen die Gepflogenheiten seines Landes den berüchtigten Fürsten des benachbarten Inselreiches heiraten: Riaghán von Tharog, genannt »Drachenauge«. Nur widerwillig beugt der junge Prinz sich dem Wunsch seiner Eltern, die sich mit dem Bündnis dem übermächtigen Großkönig Halvor entgegenstellen wollen. Aber schon bald muss er feststellen, dass er Gefallen an seiner neuen Heimat und den etwas raubeinigen Bewohnern findet – auch an seinem Ehemann, der anders zu sein scheint, als er zunächst dachte.

Doch in Tharog gerät Aneiryn in einen Strudel aus Krieg, Intrigen und finsteren Geheimnissen der Vergangenheit, die nicht nur seinen Mann Riaghán umgeben. Bald weiß er nicht mehr, wem er vertrauen kann und wer unter seiner Maske ein Monster verbirgt.

Wird der Weg des jungen Prinzen ihn zur Wahrheit führen? Oder bleibt er für immer nichts als eine Spielfigur auf dem Schachbrett der Macht?

Über die Autorin

»Fantasie ist wie ein Buffet. Man muss sich nicht entscheiden – man kann von allem nehmen, was einem schmeckt.«

Getreu diesem Motto ist Jona Dreyer in vielen Bereichen von Drama über Fantasy bis Humor zu Hause. Alle ihre Geschichten haben jedoch eine Gemeinsamkeit: Die Hauptfiguren sind schwul, bi, pan oder trans. Das macht sie zu einer der vielseitigsten Autorinnen des queeren Genres.

Dramatis Personae

Eine Übersicht der wichtigsten handelnden Personen und Orte. Die Hauptfiguren sind mit einem * gekennzeichnet. Die ungefähre Aussprache wird in den eckigen Klammern erläutert.

Caorgan

Aneiryn Calarion Athanavi* [anaj’rin ka’larion a’tanna’vi]: Kronprinz von Caorgan

Zilia [tzi’lija]: Seine Großmutter, die vom legendären Volk der Alvaei abstammt

Farloryn Athanavi [farlo’rin]: der König von Caorgan, Aneiryns Vater

Emra: seine Frau, die Königin, Aneiryns Mutter

Ivaryn [iwa’rin]: Aneiryns verstorbener Halbbruder

Maryn: Aneiryns jüngerer Bruder

Tharobaile

Riaghán Arachsúil*[ria’gahn arach’su’il]: Fürst von Tharog

Róisín/Rós* [ro’schihn]/[roos]: Riagháns jüngste Tochter

Ósir [o’schir]: Riagháns engster Berater, ein sehr alter Mann

Shionna [sch’jonna]: Dienerin am fürstlichen Hof, Heilkundige

Breándan [bren’dan]: Riagháns Bruder, ein Priester der alten Götter

Cathaoir [ka’hir]: Heerführer und Berater Riagháns in militärischen Fragen

Allanthór

Ferghil [för’gill]: Riagháns früherer Schwager, Verräter und Rebell

Rheon* [ree’on]: ein elternloser Straßenjunge

Cerengíl und Alva

Alvaei [al’väi] (allgemein):ein zurückgezogen lebendes Volk, um das sich viele Mythen und Legenden ranken

Vilior: Ehemaliger Krieger, Ratsmitglied

Selvor und Paega [pä’ga]: Heiler, zwei der älteren Alvaei

Beron: Aneiryns von den Alvaei verehrter Großonkel

Ferion: ehemaliger Krieger und reiselustiger Alvaeon

Daimhín [da’win]: Riagháns Neffe

Balian

Halvor Machbalian* [hall’wor mak’balian]: Großkönig der fünf Inselreiche, alter Bekannter von Riaghán, zweitgeborener Sohn des legendären König Balian

Prolog

Aneiryns Herz schlug so laut, dass die ganze Welt es hören musste. Bum-bum-bum-bum. Du-darfst-nicht-versagen. Das klang einfacher, als es war.

»Also, ich wiederhole noch einmal«, erklärte ihm die alte Frau, die sich als Shionna vorgestellt hatte, »Ihr geht in das Zimmer, kniet Euch in gebührendem Abstand zur Bettstatt des Fürsten und sagt: Latha là math. Dann wartet Ihr auf seine Anweisung.«

»Latha labath«, wiederholte er leise vor sich selbst.

»Nein!«, fuhr die Alte dazwischen. »Latha là math.«

»Latha ... là math.« Es fiel ihm nicht leicht, diese fremdartigen Worte zu formen. Die Sprache, die hier gesprochen wurde, war nicht die seine, aber glücklicherweise war seine eigene Sprache in den größten Teilen der Welt Schrift- und Handelssprache, sodass ihn hier nahezu jeder verstand. Dennoch wollte er ein wenig guten Willen zeigen und der hiesigen Kultur und dem Fürsten seinen Respekt zollen, indem er zumindest ein paar Brocken Tharoganisch lernte.

»So ist es gut, mein junger Herr Aneiryn«, lobte ihn Shionna. »Ach, und eins noch. Hört mir gut zu, denn das ist wichtig: Ihr dürft Fürst Riaghán niemals in die Augen sehen. Einem Fürsten wie ihm in die Augen zu sehen, bedeutet bei uns eine große, unverzeihliche Respektlosigkeit.«

Gehorsam nickte er. All diese Vorschriften und Warnungen, wie er sich dem Fürsten gegenüber zu verhalten habe, ließen ihn ihrer anstehenden Begegnung nicht gerade freudig entgegenblicken. Von draußen hörte er leises Glockengeläut. Es war später Nachmittag und durch die Ritzen der zugenagelten, glaslosen Fenster zog kalte Luft in die klammen Mauern.

Kurz darauf öffnete sich die Tür zum Gemach und eine Gruppe von sechs Priesterinnen trat schwatzend heraus. Es gingen Gerüchte herum, der Fürst befände sich gesundheitlich in einem sehr schlechten Zustand und als Aneiryn hier angekommen war, hatte er feststellen müssen, dass diese Gerüchte stimmten. Riaghán war bettlägerig. Deshalb wurde er von ihm in der sehr ungewöhnlichen Umgebung seines Schlafgemachs empfangen.

Eine der Priesterinnen tuschelte kurz mit Shionna, dann kam die alte Frau auf Aneiryn zu. »Der Fürst ist jetzt bereit, Euch zu empfangen, mein junger Herr.«

Er nickte und atmete durch. Er hatte keine Ahnung, was ihn erwartete. Ein gebrechlicher Greis? Ein alternder Lord, der in seinen letzten Zügen lag? Wie auch immer er sein würde: Aneiryn musste einen guten Eindruck bei ihm hinterlassen. Wie wichtig die Allianz zwischen ihren beiden Häusern angesichts der erstarkenden Macht des Großkönigs war, hatte seine Familie ihm in aller Deutlichkeit eingebläut – mit Worten und Stockhieben. Da sein Haus und das des Fürsten Riaghán sich bislang allerdings eher verhalten bis feindlich gegenübergestanden hatten, musste es ein Faustpfand für diese Allianz geben. Das Faustpfand war Aneiryn. Er sollte mit Fürst Riagháns Tochter Líadan verheiratet werden – wenn es nach seiner Familie ging. Der Fürst selbst war sich darüber aber scheinbar noch nicht ganz so sicher, denn er hatte verlangt, Aneiryn erst zu sehen, bevor er dem Kontrakt zustimmte. Deshalb war er vor drei Tagen in Begleitung eines kleinen Wachtrupps mit dem Schiff von seiner Heimat Caorgan auf die Insel Tharog übergesetzt, wo Fürst Riaghán wie ein König herrschte.

Er legte eine zitternde Hand auf die ziselierte, messingfarbene Türklinke. Beruhige dich, Aneiryn, sprach er sich selbst zu, er ist wahrscheinlich nur ein alter Mann, der dich wenigstens einmal in Augenschein nehmen will, bevor er sein Töchterchen an dich weitergibt.

So leise wie möglich, denn er wusste schließlich nicht, wie krank und gebrechlich Riaghán wirklich war, schob er die schwere Eichentür auf und trat ein. Ein großzügiger, gemütlicher Vorraum tat sich vor ihm auf, mit einem hohen, verglasten Fenster, unter dem zwei Sessel und ein Tisch standen. Auf der gegenüberliegenden Seite des Eingangs gab es eine weitere Tür, die offenstand. Er durchquerte das Zimmer und betrat schließlich die Schlafkammer des Fürsten. Hier drin war es warm und still, es roch nach verbrannten Kräutern und diesem ganz eigentümlichen Geruch nach Krankheit. Sein Blick wanderte durch den Raum und blieb an einer großen, wuchtigen Bettstatt hängen, die an der Stirnseite der Kammer stand. In dem Bett lag ein Mann: Fürst Riaghán, genannt Drachenauge.

Das Erste, was Aneiryn feststelle, war, dass der Fürst viel jünger erschien, als er erwartet hatte. Seine scharf geschnittenen, sehr maskulinen Gesichtszüge waren vom Leben geprägt, aber er war vermutlich nicht älter als vierzig. Das überraschte Aneiryn. Er war immer davon ausgegangen, Riaghán sei mindestens so alt wie sein Vater, da dieser in einer Art heimlichen Bewunderung zu dem Fürsten aufschaute. Dass er nun einen verhältnismäßig jungen Mann antraf, der offensichtlich noch bis vor Kurzem im Saft seines Lebens gestanden hatte, irritierte ihn sehr. Das zweite, was er feststellte, war, dass Riaghán offenbar nicht bei Bewusstsein war. Seine Augen waren geschlossen, die Gesichtszüge unter der schweißnassen Stirn wirkten einigermaßen entspannt. Aneiryn hatte den Eindruck, dass er schlief. Aber hat man mir nicht noch vor einem Augenblick gesagt, er sei bereit, mich zu empfangen? Was soll ich denn jetzt machen? Ihn einfach ansprechen?

Vorsichtig ging er noch ein paar Schritte in den Raum und kniete dann langsam vor der Bettstatt nieder. Der Fürst regte sich nicht. Aneiryn räusperte sich leise. »Latha là math«, flüsterte er. Keine Reaktion. »Latha là math«, versuchte er es noch einmal, diesmal etwas lauter, »ciamar a tha thu?«

»Falsch«, ertönte plötzlich eine schneidende Stimme.

Er fuhr erschrocken zusammen. Fürst Riaghán schlug seine Augen auf. Sie waren golden wie flüssiger Honig, stechend, intensiv. Hastig wandte Aneiryn seinen Blick zu Boden, da er selbstverständlich Shionnas Warnung nicht vergessen hatte, dem Fürsten niemals in die Augen zu sehen. »Verzeiht«, sagte er so fest, wie er konnte, »habe ich es falsch ausgesprochen?«

»Falsch ausgesprochen?« Am Knistern des Bettzeugs konnte Aneiryn hören, dass Riaghán ein Stück nach oben rutschte, wohl um sich aufzusetzen. »Aussprechen möchte ich das gar nicht nennen, was du da aus deiner Kehle gerotzt hast. Wenn jemand unsere Sprache nicht aussprechen kann, dann sollte er es lieber sein lassen, anstatt sie mit solchen jämmerlichen Versuchen zu beschmutzen.«

»Verzeiht«, wiederholte er noch einmal, »ich wollte nur höflich sein.« Und das ging offenbar gewaltig nach hinten los, dachte er. Von wegen kränklicher Greis, der nur einmal mit mir sprechen will!

»Wenn du höflich sein willst, dann duze mich nicht«, versetzte der Fürst schroff.

»Wie bitte?«, fragte Aneiryn verwirrt und hob seinen Kopf. Sein Blick traf Riagháns Augen, in denen es bedrohlich blitzte. Schnell sah er wieder hinab auf den marmorgefliesten Boden.

»Als du mich fragtest, wie es mir geht, hast du mich geduzt. Du sagtest: Ciamar a tha thu? Die korrekte Ansprache wäre aber: Ciamar a tha sibh?«

»Oh. Das ... wusste ich nicht.«

Riaghán gab ein Brummen von sich, das beinahe gutmütig klang. »Nun, jetzt weißt du es und ich würde dir raten, den Fehler nicht noch einmal zu machen. Du darfst dich übrigens erheben.«

Dankbar stand Aneiryn auf, denn seine Knie auf dem harten Fußboden hatten langsam zu schmerzen begonnen.

»Was deine Frage angeht, mein junger Athanavi-Spross: Wie sich unschwer erkennen lässt, geht es mir derzeit nicht sonderlich berauschend, aber ich bin zuversichtlich, dass diese schlechten Zeiten bald der Vergangenheit angehören.«

»Das freut mich zu hören, Fürst.«

»Ach ja?« Sein Tonfall klang skeptisch. »Ich vermute eher, deine Familie wartet nur darauf, dass ich bald abkratze, nachdem du meine Líadan geheiratet hast, damit sie Ansprüche auf mein Fürstentum erheben und Großkönig Halvor etwas mehr entgegenzusetzen haben, als ihr mickriges Königreich in der letzten Ecke eurer Insel.«

»Das glaube ich nicht, Fürst. Meine Familie hat sich nach den Gerüchten um Eure Gesundheit gesorgt und mir aufgetragen, Euch die besten Genesungswünsche auszurichten für den Fall, dass die Gerüchte stimmen.«

»Natürlich. Sie haben Angst, dass ich zu früh verrecke und die Hochzeit dann nicht mehr zustande kommt. Und, was erzählt man sich so über meine Gesundheit, Aneiryn Athanavi?«

Er schluckte. »Man erzählt sich, dass Ihr im Sterben liegt.«

Theatralisch schnalzte Riaghán mit der Zunge. »Dass die Leute aber auch immer gleich so übertreiben müssen! Sehe ich aus wie einer, der im Sterben liegt, was denkst du?«

»Das kann ich schlecht beurteilen«, räumte Aneiryn ein und starrte weiter auf den Boden.

»Dann sieh mich an.«

War das eine Prüfung? Shionna hatte ihn so nachdrücklich gewarnt: Ihr dürft Fürst Riaghán niemals in die Augen sehen. Und niemals bedeutete für ihn: unter keinen Umständen. Also hielt er seinen Blick weiterhin auf die Spitzen seiner robusten Lederstiefel gerichtet.

»Ich sagte, du sollst mich ansehen«, knurrte Riaghán bedrohlich.

Was sollte er jetzt tun? Was wog schwerer, die Gepflogenheiten oder der Befehl des Fürsten?

»Aneiryn?« Die Art, wie er seinen Namen aussprach, ließ keinen Zweifel übrig: Der Befehl des Fürsten wog schwerer.

Zögerlich hob er seinen Blick, ließ ihn über die purpurroten Laken gleiten, die Riagháns Beine verhüllten, und dann weiter nach oben. Die Decken endeten knapp unter seiner Leibesmitte. Er sah einen flachen Bauch, auf dem sich deutlich die einzelnen Muskelkissen abzeichneten. Einen breiten Brustkorb, der sich unter schweren Atemzügen hob und senkte und über dessen linken Brustmuskel sich eine dicke, wulstige, aber scheinbar längst verheilte Narbe wand. Breite Schultern mit perfekt geschwungenen Schlüsselbeinen, auf die welliges, ebenholzschwarzes Haar fiel, gingen in einen sehnigen Hals über. Aneiryn nahm seinen ganzen Mut zusammen und schaute Fürst Riaghán ins Gesicht. Es sah vollkommen anders aus als vorhin. Eine Narbe, ähnlich wie die auf seiner Brust, verunzierte seine linke Wange und verlief sich in einem dichten, kurz gehaltenen Bart. Und dann sah er in die magnetisierenden Augen. Sie veränderten alles. Er schaute in sie hinein, mit dem Wissen, dass Riaghán ihn dafür vielleicht köpfen ließ, aber er konnte einfach nicht anders. Der Blick des Fürsten war lodernd und hielt den seinen fest. Warum er den Beinamen Drachenauge trug, wurde Aneiryn in diesem Moment vollkommen klar.

»Und, Aneiryn, was sagst du? Sterbe ich?«

»Nein, mein Fürst«, sagte er und konnte sich endlich von diesem Anblick losreißen, »ich denke nicht. Und ich? Sterbe ich jetzt?«

Riaghán runzelte die Stirn. »Warum solltest du?«

»Weil ich Euch in die Augen gesehen habe.«

Bedrohlich verengte der ältere Mann seinen Blick, nur um dann unvermittelt in lautes Gelächter auszubrechen.

Warum lacht er mich denn jetzt aus?, fragte sich Aneiryn. War Shionnas Warnung etwa nur ein Scherz?

»Heißt das also«, fragte Riaghán, nachdem er sich wieder beruhigt hatte, »heißt das, du hast mir in die Augen gesehen, obwohl du dachtest, du könntest dafür eventuell hingerichtet werden?«

Aneiryn nickte.

»Nun, mein junger Prinz: Das war entweder sehr dumm von dir oder sehr mutig.«

Verstohlen atmete er auf und entgegnete lächelnd: »Oder beides.«

»Vielleicht. Was sagst du hierzu?« Riaghán senkte seinen Kopf und schob die schwere Bettdecke beiseite.

Als Aneiryn sah, was der Fürst ihm zeigen wollte, sog er scharf die Luft ein. Auf dem rechten Bein lag eine große, schmutzigweiße Kompresse, die beinahe so groß war wie der ganze Oberschenkel. Bräunliche Ränder von Wundflüssigkeit zeichneten sich darauf ab und Riaghán betastete sie mit seinen sehnigen Händen.

»Erst dachten sie, sie müssten mir das Bein abnehmen, aber ... mein Protest war ziemlich laut.« Der Fürst lächelte in sich hinein und Aneiryn stellte erstaunt fest, wie schön das Lächeln sein Gesicht machte. »Ich wollte das Bein unbedingt behalten. Dann bekam ich Wundbrand.«

»Wundbrand? Aber wenn Ihr Wundbrand hättet, dann wäret Ihr …«

»Verreckt? Ja, wenn ich ein gewöhnlicher Bauer gewesen wäre, vielleicht. Aber ich bin Fürst Riaghán von Tharog. Mich besiegt kein lächerlicher Wundbrand.«

Als lächerlich würde Aneiryn einen Wundbrand wohl kaum bezeichnen. Er kannte keinen normalsterblichen Menschen, der ihn je überlebt hatte. Hatte Riaghán womöglich wirklich Drachenblut in sich, dass diese lebensgefährliche Krankheit ihn nicht tötete?

Der Fürst zog die Decke wieder über seine Beine hinauf bis fast zu seinen Schultern, bevor er sich in die Kissen zurücksinken ließ. Mit einem Mal sah man ihm die Erschöpfung und Auszehrung durch seine Krankheit an, er wirkte grau und eingefallen. »Dir soll ich also meine Líadan geben, Aneiryn Athanavi? Warum?«

»Weil die Allianz zwischen unseren Häusern ein großer Gewinn wäre.«

»Das wollte ich nicht wissen. Ich wollte wissen, warum du sie willst. Und warum ich sie dir geben sollte.«

»Meine Familie hat so entschieden«, erklärte er vorsichtig. Was sollte er denn auf diese Frage antworten? Er kannte Líadan nicht, er hatte sie noch nie zuvor gesehen. Er wusste nicht, ob sie hässlich oder schön war, dumm oder klug, still oder geschwätzig. Sie war Riagháns Tochter, mehr wusste er nicht.

»Und du hast gar keine eigene Meinung, Aneiryn?«, fragte der Fürst lauernd.

»Ich ordne meine Meinung den wichtigen Belangen meiner Familie unter.«

»Hm. Ich sage dir, worauf ich hinauswill: Ich frage mich, warum deine Familie keine direkte Allianz durch einen Männerbund anstrebt, sondern nur eine mittelbare über eine Tochter. Warum Líadan? Warum nicht mein Neffe Daimhín? So wie die Dinge derzeit stehen, wird er mein Nachfolger, wenn ich abtrete.«

Aneiryn schluckte. »Ich weiß, dass es in Eurem Land üblich ist, dass Männer einander heiraten um direkte Allianzen zu bilden, Fürst, aber ... bei uns ist es das nicht.«

»Nein, ich weiß. Würdest du mir bitte einen Kelch Wein eingießen? Er steht da drüben.«

Gehorsam ging Aneiryn hinüber zu dem kleinen Tisch, auf dem eine Karaffe und ein sauberer Kelch standen, und goss ein. Riaghán verfolgte jeden seiner Schritte mit seinen seltsamen Augen, während sein Gast den Wein zu ihm ans Bett brachte.

»Vielen Dank.« Als er ihm den Kelch abnahm, berührten seine Fingerspitzen leicht die seinen.

Aneiryn konnte die unbändige Lebensenergie spüren, die unter der Haut des Fürsten sprudelte. Dieser Mann würde nicht sterben. Nicht jetzt, nicht an Wundbrand. Er nahm einen Schluck des Honigweins und Aneiryn beobachtete den ausgeprägten Adamsapfel, der beim Schlucken nach oben und unten hüpfte.

»Ihr wisst gar nicht, welche Chancen ihr damit verschenkt«, erklärte Riaghán, nachdem er den Kelch wieder abgesetzt hatte. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass deine Familie nicht zumindest darüber nachgedacht hat. Du wärst nicht der erste Strainséir, der über eine direkte Allianz in Tharog eingeheiratet hat.«

»Das mag sein, Fürst, aber ...« Er stockte.

»Aber? Sag mir deine Bedenken.«

»Ich bin ein Erbe des Hauses Athanavi. Ich habe eine Verantwortung. Deshalb möchte ich eine Familie gründen. Kinder haben.«

»Ah, verstehe«, antwortete Riaghán mit einem wissenden Lächeln. »Du möchtest mit Líadan Erben zeugen für dein kleines Königreich ... das dann gar nicht mehr so klein wäre.«

»Ich kann nicht erkennen, was daran schlimm oder falsch ist.«

»Oh, nichts, mein Hübscher, rein gar nichts. Dieser Gedanke hat mich als junger Mann auch zur Heirat mit der Tochter des verblichenen Fürsten Fearghas getrieben. Obwohl ich ein ganz anderes Angebot vorliegen hatte, das im Nachhinein sehr viel einträglicher gewesen wäre und die Probleme, mit denen ich mich heute herumschlage, gar nicht erst hätte entstehen lassen.«

»Eine direkte Allianz?«

»O ja.« Ein Lächeln strahlend weißer Zähne erhellte das Gesicht des Fürsten. Doch nur einen Augenblick später wurde er wieder ernst. »Ich will ehrlich zu dir sein, Aneiryn: Eigentlich mag ich manchmal nur noch mein eigenes Volk und kann es nicht ausstehen, wenn einer von außen einheiratet. Wir Tharoganer sind stolz und von außen wurde stets nur Unglück in das Land getragen. Wenn es nach mir ginge, würde nicht einmal dieses Gespräch hier stattfinden, denn ich habe eigentlich gar keine politische Allianz mit Caorgan nötig. Aber mein engster Berater hat mich dazu gedrängt, da die Mutter deiner Mutter aus Tharog stammt ... zumindest behauptet er das. So habe ich mich ein wenig dazu verpflichtet gefühlt.«

»Das ist richtig, Fürst.«

»Wie dem auch sei. Ich nehme deine Gründe, aus denen du meine Líadan heiraten willst, zur Kenntnis. Und deinen Mut, mir in die Augen zu sehen, obwohl du dachtest, ich mache dich dafür einen Kopf kürzer. Mutige Männer sind so selten.« Er streckte seine imposanten Arme über der Bettdecke aus. »Unsere Unterredung ist beendet, Aneiryn Athanavi. Man wird dich und deine Männer gut beköstigen, bevor ihr morgen nach Hause zurückkehrt. Ich werde deine Familie zeitnah über meine Entscheidung unterrichten.«

Ein wenig enttäuscht kniete Aneiryn neben dem Bett nieder. Eigentlich hatte er gedacht, er würde direkt erfahren, ob Riaghán sich auf eine Heirat zwischen ihm und Líadan einließ. Er hatte sich sogar schon einen Fluchtplan ausgedacht, falls die Antwort »Nein« lautete. Jetzt musste er weitere Tage oder gar Wochen zittern, ob er ein gutes Bild abgegeben oder kläglich versagt hatte. Was ihm im Falle eines Versagens drohte, hatte ihm sein Vater in den grässlich-buntesten Farben ausgemalt, sodass ihm klar wurde: Das war keine Option. Aber Riaghán hatte ihn mit seiner einnehmenden Art sehr durcheinandergebracht und er hatte eher den Eindruck, dass der Fürst ihn innerlich auslachte, anstatt ihn und seine Zukunftspläne ernstzunehmen. »Beannacht leibh«, sagte er und beugte sich über die ausgestreckte Hand des Herrschers von Tharog. Auf Wiedersehen.

»Can a rithist e«, entgegnete Riaghán und taxierte ihn aus verengten Augen. Sag es noch einmal.

»Beannacht leibh, Riaghán. Greas ort.«Auf Wiedersehen, Riaghán. Beeile dich.

♔ ♔

Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht ... neun ... zehn! »Ich habe gewonnen!«, jubelte Aneiryn laut und streckte seinem kleinen Bruder, der wütend mit einem Fuß aufstampfte, die Zunge heraus.

»Du schummelst doch!«, quäkte der Junge aufgebracht.

»Wie soll ich denn hierbei schummeln, Maryn? Du hast doch mitgezählt, oder? Oder kannst du etwa gar nicht bis zehn zählen?«, fragte der ältere Bruder neckend.

»Natürlich kann ich bis zehn zählen!«, protestiert der Kleine vehement. »Sogar bis hundert! Und bis tausend!«

»Dann ist es eindeutig. Ich bin der Sieger.«

Trotzig verschränkte Maryn die Arme. Sie hatten Steineschnippen gespielt und Aneiryns Stein war eindeutig weiter auf der Wasseroberfläche gehüpft als der seines kleinen Bruders. Leider war Maryn ein ziemlich schlechter Verlierer.

»Na los – probier’s noch einmal. Letzter Versuch. Vielleicht schlägst du mich ja. Du musst deine Hand anders drehen, wenn du den Stein wirfst. Ungefähr ...«, er bog das Gelenk des Jungen in die richtige Position, »so. Und jetzt locker aus dem Handgelenk, aber schnell und mit viel Kraft.«

Maryn klemmte die Zunge zwischen die Zähne, visierte konzentriert die Wasseroberfläche an und warf.

Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn! Elf! Zwölf!

»Jaaaaa!«

»Du hast es geschafft!« Aneiryn applaudierte ihm und deutete eine spöttische Verbeugung an.

»Jaaaa«, brüllte der jüngere Bruder immer wieder und tanzte um den Älteren herum, »ich habe dich besiegt! Besiegt, besiegt!«

Aneiryn ließ ihm seine Freude. Maryn war neun Winter alt und noch ein richtiges Kind. Er selbst war mit seinen zwanzig Lebenswintern eigentlich schon zu alt für solche Spielchen, aber er ließ sich immer wieder gern dazu hinreißen. Wieso auch nicht? Der Ernst des Lebens würde noch früh genug zurückkommen und neben all der Spielerei hatte Aneiryn schon erfahren, was das bedeutete.

Seine Kindheit hatte ihr Ende genommen, als er zwölf Jahre alt und in den ritterlichen Künsten ausgebildet worden war: Schwertkampf, Reiten, Schwimmen, Bogenschießen, Ringen und Jagen. Sein Lehrmeister war keiner, der Faulheit, Weichheit oder Nachlässigkeit akzeptiert hätte. Bei Ungehorsam gab es Stockschläge, Nahrungsentzug und andere drakonische Strafen. Aneiryn hatte zwar von je her den Hang zur Rebellion, aber so dumm war er nicht gewesen, dass er sich ständig widersetzt hätte. Es härtete ihn ab. Aber ein Teil von ihm konnte sich dennoch nie ganz unterordnen. Maryn standen diese harten Jahre noch bevor und Aneiryn glaubte, er würde es noch sehr viel schwerer haben als er selbst. Er war das Nesthäkchen und es gewohnt, immer seinen Willen zu bekommen – und sei es, dass man ihn beim Steineschnippen gewinnen ließ.

»Mein Herr Aneiryn!«, rief es plötzlich hinter ihnen. »Mein Herr Aneiryn!«

Sie fuhren herum. Cairna, eine ihrer Dienerinnen, stand winkend an der Burgmauer. »Kommt schnell nach drinnen, Eure Eltern verlangen, Euch zu sehen! Es ist eine wichtige Nachricht für Euch eingegangen!«

Wichtige Nachricht. Das konnte fast nur eines bedeuten: eine Nachricht von Fürst Riaghán. Hatte er sich endlich, nach zwei langen Monaten des Schweigens, in denen Aneiryns Vater immer zorniger auf seinen Sohn wurde, entschieden, ob er mit Líadan verheiratet werden durfte? Bei den Göttern, er hoffte, die Antwort lautete ja. Nicht, weil sein Verlangen nach Líadan so groß war. Er hatte sie an dem Abend, nachdem er auf ihren Vater getroffen war, kurz kennengelernt. Sie war ein hübsches, schüchternes Mädchen, aber sie hatte nichts an sich, was ihn großartig beeindruckt hätte. Doch damals wie heute sagte er sich nur eins: Sie ist nicht hässlich und auch nicht besonders dumm. Das muss reichen. Die Aussicht, mit ihr verheiratet zu werden war immer noch sehr viel angenehmer als die Aussicht auf das, was ihm blühte, wenn er versagt und Riaghán nicht von ihrer Allianz hatte überzeugen können.

Ein Sohn, der versagte, wurde im Hause Athanavi nicht geduldet. Er war kein Sohn mehr, er wurde verstoßen und zum Vogelfreien erklärt, und, je nach dem Grad seines Versagens, vorher ausgepeitscht oder geblendet. Seinem älteren Bruder war das widerfahren, als Aneiryn selbst noch ein Säugling gewesen war, und vor ihm etlichen anderen Söhnen. Ihn schauderte bei dem Gedanken. Er hatte nicht wirklich eine Erinnerung an Ivaryn, dafür war er zu jung gewesen, als diesem sein schlimmes Schicksal widerfahren war. Niemand sprach darüber, aber jeder wusste, dass irgendetwas mit ihm nicht gestimmt hatte und er deswegen verstoßen worden war. Sein Leben lang schon wurde Aneiryn von der Angst begleitet, wie sein verlorener und verstorbener Bruder zu enden.

»In unserer Familie können nur die bestehen, die sich als echte Männer erweisen«, hatte der Vater ungerührt erklärt.

Aneiryn verzichtete wohlweislich, ihn darauf hinzuweisen, dass seine Notlage, aufgrund derer er nun gezwungen war, eine Allianz mit Fürst Riaghán einzugehen, auch als eine Form des Versagens gesehen werden könnte. Aber selbstverständlich würde nie jemand seinen Vater antasten. Über ihm gab es keine Instanz – außer den Großkönig Halvor, gegen den sein Vater sich auflehnen wollte, und der interessierte sich für ihre fragwürdigen Bräuche eher weniger.

Ohne darauf zu achten, ob Maryn ihm so schnell folgen konnte, rannte Aneiryn hinauf zur Burg. Er musste wissen, was der Inhalt der Nachricht war. Jetzt, sofort.

Was mache ich, wenn Riaghán ablehnt?, fragte er sich. Gibt es eine Möglichkeit zur Flucht, bevor mein Vater das mit mir tut, was er mir angedroht hat? Ich will nicht so enden wie Ivaryn!

Als er die große Halle betrat, in der sich seine ganze Familie versammelt hatte, machte sich die erste Erleichterung in ihm breit. Ein kurzer Blick in ihre Gesichter zeigte keine Wut, keine Enttäuschung, sondern Euphorie.

»Aneiryn!« Sein Vater, König Farloryn, breitete die Arme aus und kam auf ihn zu. »Komm herein, mein Junge. Es gibt Grund zu feiern.«

Er führte ihn um den Tisch herum, vorbei an den lächelnden Gesichtern seiner Geschwister, seiner Großmutter und seiner Mutter und drückte ihn schließlich in den Stuhl an der Stirnseite des Tisches, der normalerweise ihm zustand.

»Fürst Riaghán hat der Hochzeit mit seiner Tochter zugestimmt?«, fragte Aneiryn aufgeregt und verfiel in eine Art Schock, als sein Vater noch immer lächelnd seinen Kopf schüttelte. Riaghán hat abgelehnt?, dachte er panisch. Aber wenn dem so ist, warum sind dann hier alle so erfreut? Ist das etwa die Vorfreude darauf, mich zu foltern?

»Aber–«, wollte er einwenden, doch sein Vater unterbrach ihn.

»Du wirst Prinzessin Líadan nicht heiraten, Aneiryn. Aber das ist gut, das ist sogar grandios, denn Fürst Riaghán hat uns ein sehr viel besseres Angebot unterbreitet. Ein Angebot, das so unfassbar wertvoll ist, dass wir es noch gar nicht richtig glauben können. Fürst Riaghán bietet uns eine direkte Allianz, Aneiryn! Eine direkte, unmittelbare Allianz!«

Nein!, schrie Aneiryn innerlich auf. Es musste der Neffe sein, mit dem der Fürst eine Vermählung anbot. Ihm brach der Schweiß aus. Ich will nicht Riagháns Neffen heiraten, ich will eine Familie, verdammt nochmal! »Daimhín?«, fragte er angstvoll.

Der Vater blickte ihn verwirrt an, als wisse er nicht, wovon sein Sohn sprach.

»Daimhín ist Riagháns Neffe«, erklärte Aneiryn ihm. »Ich nehme an, ich soll ihn anstatt Líadan ehelichen?«

»Wie? O nein, Sohn!«, winkte der Vater lachend ab. »Nein. Keine Neffe, keine Tochter. Keine Umwege. Fürst Riaghán möchte nicht, dass du sein Schwiegersohn wirst. Er möchte dich selbst heiraten.«

»Was?« Fassungslos klappte Aneiryn der Mund auf. Hatte er sich gerade verhört? Riaghán wollte ihn heiraten, der angsteinflößende Fürst mit den Drachenaugen, dem nicht einmal der Wundbrand etwas anhaben konnte?

»Ich weiß, mein Junge, diese Männerhochzeiten in Tharog sind etwas bizarr und nicht unbedingt das, was unserer Kultur entspricht, aber es bringt einen unschätzbaren Vorteil. Wir wären unmittelbar mit Riaghán verbunden, du würdest Prinz von Tharog und wir könnten gemeinsam ein Bündnis bilden, das Halvor nicht so einfach unter seinem Absatz zertreten kann wie all die anderen.«

»Aber was ist mit einem Erben? Ich bin der Erbe des Hauses Athanavi, ich muss doch Nachkommen zeugen!«

Sein Vater schüttelte den Kopf. »Das ist nicht so wichtig wie die Allianz, die wir jetzt brauchen. Für Nachkommen können auch deine Schwestern und Maryn sorgen.«

Aneiryns Hand verkrampfte sich um den Weinbecher, der vor ihm stand. »Ich will Riaghán nicht heiraten.«

Der Vater, der sich ebenfalls gerade Wein eingeschenkt hatte, ließ langsam die Karaffe sinken. »Was hast du gerade gesagt?«, fragte er gefährlich leise.

Aneiryn bewegte sich auf so dünnem Eis, dass er es förmlich knacken hörte. Dennoch nahm er all seinen Mut zusammen und wiederholte noch einmal: »Ich will Fürst Riaghán nicht heiraten.«

»Aneiryn ...«, der alte Mann schloss die Augen und atmete einmal tief durch, um seinen berüchtigten Jähzorn unter Kontrolle zu halten, »lass es mich so ausdrücken: Was du willst, ist in dieser Angelegenheit nicht von Interesse.«

»Ich habe also keine Option?«

»Natürlich nicht! Du wirst Riaghán selbstverständlich heiraten, und zwar ohne Schwierigkeiten zu machen!«

In Aneiryns Ohren rauschte es so laut, dass jedes weitere Wort seines Vaters davon übertönt wurde. Ihm wurde schlecht. Sein Herz raste bis zur Erschöpfung. Er musste sich an den Lehnen des hohen Stuhls festhalten, weil er selbst im Sitzen das Gefühl hatte, zu schwanken.

Ich habe keine Wahl. Mein Schicksal ist besiegelt. Ich muss Fürst Riaghán von Tharog heiraten.

Kapitel 1

Am Abgrund

Wieder saß Aneiryn in der Vorhalle zu Riagháns Thronsaal und wartete, dass der ihn zu sich rufen ließ. Aber diesmal würde man ihn nicht in seine Gemächer leiten. Noch nicht.

Ein Monat war seit der Nachricht vergangen, dass Aneiryn mit dem Fürsten selbst verheiratet werden würde. In einer Woche sollte es so weit sein. Er, ein junger Mann in der Blüte seines Lebens, der eine Frau nehmen und eine Familie hätte gründen sollen. Er, Aneiryn Athanavi, Erbe eines altehrwürdigen Adelsgeschlechts, das schon erhaben und mächtig gewesen war, als Riagháns Vorfahren noch als Bauern die Felder gepflügt hatten. Oder in Fellschurzen von den Bäumen gesprungen waren.

Er begriff es nicht. Er begriff nicht, wie seine Familie ihm so etwas antun konnte, direkte Verbindung hin oder her. Ihn mit einem Mann zu verheiraten, der außerdem noch dafür bekannt war, dass er Leute dafür köpfen ließ, wenn sie ihm in die Augen sahen. Aneiryn wusste nicht, ob seinen Eltern klar war, was sie ihm hier zumuteten. Aber er fürchtete, dass es ihnen egal war. Ihnen, insbesondere seinem Vater, waren nur die Vorteile wichtig, die sich für sie aus dieser Heirat ergaben.

Riaghán hatte veranlasst, Aneiryn eine Woche vor ihrer Heirat nach Tharog bringen zu lassen, um ihn entsprechend vorzubereiten. Er wusste nicht, was damit gemeint war und er wollte es auch gar nicht so genau wissen.

Das Warten zog sich hin. Unruhig tippte er mit den Fußspitzen auf den steinernen Boden. Das Geräusch hallte von den Wänden wider. Er war allein und hatte schrecklich viel Zeit, um über alles nachzudenken. Er versuchte sich vorzustellen, wie es sein würde, mit einem Mann verheiratet zu sein. Wie sollte eine solche Ehe aussehen? Sie konnten keine Kinder zeugen, weil sie das Bett nicht teilen konnten.

Können wir das wirklich nicht, das Bett teilen? Aneiryn brach der Schweiß aus bei dem Gedanken. Wie sollte das gehen? Und vor allem: Wofür um alles in der Welt sollte es gut sein?

Auf einmal öffnete sich die hohe, schwere Eichentür hinter ihm. Er fuhr herum. Gleißendes Sonnenlicht strömte in den eher finsteren Vorraum und nahm ihm für einen Moment die Sicht. Eine dunkle, gebeugte Silhouette schälte sich aus der weißen Flut. Aneiryn vernahm schleifende Schritte, gefolgt von einem hölzernen Klacken. Die Tür fiel schwer zurück in ihr Schloss und Aneiryns Augen, die sich gerade an die Helligkeit gewöhnen wollten, blinzelten in das plötzliche Zwielicht.

Vor ihm stand Riaghán, der Fürst von Tharog, gehüllt in einen opulenten, mit Fell besetzten Umhang und stützte sich auf einen hölzernen Gehstock. Aneiryn wusste, dass er niederknien sollte, aber seine Knie blieben steif wie störrische Äste und weigerten sich, einzuknicken. Der Fürst nahm es mit einem amüsierten Blitzen in den Augen zur Kenntnis.

»Guten Tag, Verlobter«, begrüßte er Aneiryn mit einem nur nachlässig verborgenen Lächeln. »Warum schaust du so grimmig?«

»Ihr habt mich ziemlich lange warten lassen, Fürst«, entgegnete Aneiryn steif.

Riagháns Mundwinkel zuckten und er musterte ihn unter halb geschlossenen Lidern. »Verzeih. Ich hatte keine Ahnung, dass du so begierig darauf bist, mich zu sehen.«

»Als ob! Ich–«

»Schweig!« Riagháns Stimme war schneidend und er hob gebieterisch eine Hand. »Eines kannst du dir gleich hinter die Ohren schreiben: Ich lege allergrößten Wert auf Respekt.« Langsam hob er seinen Blick. Die honigfarbenen Drachenaugen bohrten sich in Aneiryns Leib wie glühende Pfeile. »Auf die Knie«, flüsterte der Fürst gefährlich leise. »Sofort.«

Aneiryns Geist war in hellem Aufruhr, während er sich zwang, auf die Knie zu sinken. Wut kochte in ihm und er ballte seine Fäuste. Er biss sich auf die Zunge, um nicht zu einer spitzen Erwiderung anzusetzen.

Riaghán nickte zufrieden. »Schon viel besser.« Er kam ein paar Schritte näher. Das verletzte Bein schien lahm und der Fürst stützte sein Gewicht schwer auf den massiven, mit Schnitzereien verzierten Stock. »Also, wo waren wir stehengeblieben? Ach ja: Wiedersehensfreude.« Er lachte leise. »Warum so grantig, mein Hübscher? Warum sehe ich keine Freude in deinen Augen?«

»Das ist ein wenig viel verlangt«, presste Aneiryn mühsam hervor, »findet Ihr nicht?«

»Warum?« Der Fürst kam noch näher, bis er schließlich nur noch einen halben Schritt von Aneiryn entfernt war.

Er sah stramme Waden, deren Formen durch die kniehohen Lederstiefel betont wurden. Muskulöse Oberschenkel in engen, aus feiner Wolle gefertigten Hosen. Den reich bestickten Saum einer leuchtend grünen Tunika. Dann zwang er sich, auf den Boden zu sehen, nicht aus Demut, sondern um den Fürsten nicht weiter zu mustern. Um seinen Blick nicht auf die eine Stelle zu richten, die er niemals ansehen wollte. Und um dieses seltsame, kribbelnde Gefühl zu töten, das sich von seinem Magen her in seinen gesamten Körper ausbreitete, wenn er daran dachte, dass er eventuell bald das Bett mit diesem Mann teilen musste … »Ihr fragt wirklich noch, warum, Fürst? Wirklich? Nachdem ich Euch bei unserer ersten Begegnung offenbart habe, was meine Wünsche und Hoffnungen für die Zukunft sind – die ich Euretwegen jetzt begraben muss?«

»Für eine sehr viel bessere Zukunft«, erklärte Riaghán ungerührt. »Als du in meiner Kammer standest und mir Wein eingeschenkt hast, da habe ich etwas in dir gesehen, das–« Er brach ab.

Aneiryn wagte es, den Blick ein wenig zu heben und sah, wie der Fürst seine Hand so fest um den Gehstock krallte, dass die Knöchel weiß hervortraten. Dann entspannte er sie wieder.

»Ich habe etwas in dir gesehen. Etwas, das mir gesagt hast, dass du für mehr geschaffen bist, als ein braver Ehemann und Vater eines Dutzends Töchter zu werden.«

»Söhne«, knurrte Aneiryn.

Riaghán lachte auf. »Das habe ich mir auch einmal eingebildet. Und jetzt, was habe ich? Drei Töchter. Hübsche, kluge Töchter, ohne Zweifel. Aber eben keine Söhne. Keinen Erben.«

»Euer Neffe–«

»Ist ein gutmütiger Dummkopf. Liebenswert, aber nicht dazu geeignet, ein Fürstentum wie Tharog zu regieren. Ich habe ihn zu meinem Erben ernannt, weil es schlicht und ergreifend keinen anderen gibt. Noch nicht. Steh auf.«

Langsam erhob sich Aneiryn und starrte auf die breite Brust des Fürsten, die sich unter der körpernah geschnittenen Tunika abzeichnete. Riaghán hob eine Hand, legte sie unter Aneiryns Kinn und zwang ihn, ihn anzusehen.

»Warum siehst du deine Chance nicht, mein Schöner? Warum sträubst du dich so gegen mich?«

Aneiryn wusste, dass es klüger wäre, sich zurückzuhalten. Nichts zu sagen. Oder dem Fürsten eine nette Lüge aufzutischen. Aber der blanke Hass auf diesen Mann brachte ihn zum Zittern – weil er ihm seine Zukunft nahm, weil er ihn demütigte und vor allem, weil er gegen seinen Willen dieses unnatürliche, unwiderstehliche Gefühl der Erregung in ihm auslöste. Sein Temperament ging mit ihm durch. »Ich hasse Euch!«, spuckte er aus. »Ich hasse Euch. Der Gedanke, Euch zu ehelichen, widert mich an. Ich bin jung, ich hatte mein ganzes Leben vor mir, eine Familie, eine Aufgabe. Jetzt muss ich einen gebrechlichen Mann heiraten, der gut und gern mein Vater sein könnte und sich obendrein auf einen Stock stützen muss!« Sein Mund klappte zu und er erkannte selbst, welch ungeheuerliche Respektlosigkeit er gerade begangen hatte.

»Der Stock, mein Schöner, wird am Tag unserer Hochzeit vergessen sein«, flüsterte Riaghán und fixierte Aneiryns Blick mit seinen Drachenaugen. »Ich werde dir aufrecht gegenübertreten, so aufrecht, dass du dir bald wünschen wirst, ich hätte den Stock noch.«

»Das schafft Ihr niemals. Euer Bein–«

»Ich sagte, ich werde in einer Woche aufrecht gehen«, fuhr Riaghán schneidend dazwischen. »Das ist die zweite Sache, die du dir unbedingt merken solltest: Ich stehe zu meinem Wort. Immer.« Der zarte Griff um Aneiryns Kinn verwandelte sich in eine Schraubzwinge um seinen Kiefer. Er spürte das kühle Metall der Ringe, die der Fürst an seinen Fingern trug. Riaghán fuhr ihm mit dem Daumen über die Lippen. »Was für ein Jammer, dass du deine Chance nicht erkennst, Aneiryn. Wenn du mein Gemahl wirst, bist du der Erbe meines Fürstentums. Ermorde mich im Schlaf und Tharog ist dein.« Er lachte leise. »Aber lass dir gesagt sein, mein Schlaf ist leicht und ich habe stets einen Dolch unter meinem Kopfkissen. Es wäre schade, wenn ich mir bald schon wieder einen neuen Erben suchen müsste.«

Aneiryns Atem beschleunigte sich. Wenn Riaghán starb, würde er Tharog erben? Er wäre der Fürst, er könnte tun und lassen, was immer er wollte, niemand würde mehr über ihn bestimmen. Der Gedanke war verlockend. Aber auch Riagháns Warnung war deutlich und er hatte keinen Zweifel, dass der Fürst tatsächlich mit einem Dolch unter dem Kopfkissen schlief.

»Du bist wirklich ein hübscher Bursche. So schlanke, grazile Arme.« Der Fürst ließ Aneiryns Kiefer los und strich an seinem Arm hinab. Dann holte er unvermittelt aus und schlug ihn mit dem Handrücken hart ins Gesicht. »Und das hier, Verlobter ... war für deine Respektlosigkeit. Ich werde dich schlagen, wenn du mir nicht gehorchst, so wie ein Meister seinen Lehrling.« Er wandte sich von ihm ab. Aneiryn taumelte. »Wir sehen uns am Tag unserer Hochzeit. Bis dahin wird man dich in allem unterweisen, was wichtig ist. Du solltest gut zuhören, denn du siehst, meine Geduld ist begrenzt.« Er drehte sich noch einmal um und warf seinem jungen Bräutigam einen nicht zu deutenden Blick zu. »Ich freue mich auf unsere gemeinsame Zukunft.« Dann verließ er den Raum durch die schwere Eichentür und ließ sie hinter sich ins Schloss fallen.

Das Krachen dröhnte noch lang in Aneiryns Ohren.

♔ ♔

»Trinkt das, junger Herr.«

»Wozu ist das gut?« Zaghaft nahm Aneiryn den Zinnbecher entgegen, den Shionna ihm reichte.

»Es macht Euch den Kopf leicht. Und die Muskeln. Das Ritual wird dadurch einfacher für Euch.«

Das Ritual. Die ganze Woche schon war die Rede von diesem Ritual, aber keiner war bereit, Aneiryn genauer zu erklären, was dahintersteckte. Der Fürst wird Euch in Besitz nehmen, hatte man ihm gesagt, aber niemand wollte ihm verraten, was genau das bedeutete. Würde Riaghán ihn verletzen? Würde er ihn schneiden, schlagen, ein Brandmal setzen? Was konnte es sein, dass es ein Getränk nötig machte, das ihn entspannte und ihm den Kopf leicht machte?

»Bitte, Shionna«, bat er die Alte, »erkläre mir doch endlich, was heute geschehen wird.«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht mehr dazu sagen, als Ihr schon wisst, Prinz. Ihr müsst vertrauen.«

»Wem oder was?«, fragte er verzweifelt. »Dem Fürsten? Wie soll ich jemandem vertrauen, wenn mir nicht einmal jemand verraten will, was heute auf mich zukommt?« Er stieß ein verzweifeltes Stöhnen aus.

»Dem Ritual müsst Ihr vertrauen.«

»Aber wie, wenn ich nicht weiß, was es beinhaltet?«

Shionna schnaubte belustigt. »Genau das macht doch das Vertrauen aus, mein Prinz.«

»Wird er mich verletzen?«

Sie zog die Schultern hoch. »Vielleicht ja. Vielleicht nein. Das kommt auf das Vertrauen an und ein wenig auch darauf, ob Ihr endlich diesen Trank hier zu Euch nehmt.«

Resigniert setzte Aneiryn den Becher an seine Lippen und ließ die Flüssigkeit seine Kehle hinabrinnen. Sie schmeckte wie Wein, nur mit einem ungewohnten Hauch von Bitterkeit im Nachklang.

»Gut.« Die Alte nahm ihm das Gefäß wieder ab und stellte es beiseite. »Ich werde Dubhdara schicken, um Euch beim Ankleiden zu helfen.«

Widerwillig ließ Aneiryn sich auf einen der mit Samt bezogenen Stühle fallen und rieb sich die Schläfen. Heute war der Tag seiner Hochzeit. Es gab kein Entkommen mehr. Jeden einzelnen Augenblick der vergangenen Tage hatte er gehofft, dass irgendetwas vorfallen würde, was ihn von seiner Verlobung entband. Dass Riaghán auf die glorreiche Idee kam, dass er doch keinen so guten Ehemann für ihn abgeben würde. Dass sein Vater von diesem Bund zurücktrat. Oder schlimmstenfalls sogar, dass die Wunde am Bein des Fürsten sich erneut entzünden und ihn töten mochte. Nichts dergleichen war geschehen. Und nun blieben ihm nur noch wenige Stunden in einer Freiheit, die er eigentlich schon längst nicht mehr hatte.

Dubhdara betrat den Raum. »Mein Herr.« Er neigte den Kopf. Er war ein junger, schmächtiger Mann, den man ihm als Leibdiener zugewiesen hatte. Obwohl Aneiryn sich geschworen hatte, alles in Tharog zu verabscheuen, mochte er den schüchternen Kerl.

»Dubh. Du sollst mir beim Ankleiden helfen, das waren zumindest Shionnas Worte.«

Der Diener nickte eifrig und klatschte zweimal laut in die Hände. Kurz darauf öffnete sich die Tür und zwei weitere Diener brachten mit feierlicher Miene die Gewandung herein, die Aneiryn zu seiner Hochzeit tragen sollte. Er hatte bis zum heutigen Tag nicht gewusst, was man ihm auf den Leib schneidern würde. Man hatte Maß genommen und nicht mehr mit ihm darüber gesprochen, ihn nicht gefragt, was er mochte, welche Farben er gern trug und ob es ein Gewand nach der Tradition Caorgans oder Tharogs werden würde.

Was man hier indes hereinschleppte, übertraf jegliche Vorstellungen, die er sich gemacht hatte. Es war ein Mantel von einem silbrig schimmernden Weiß, der über und über mit winzigen, silbernen Sternen bestickt war. Die Säume waren mit weißem Pelz verbrämt und eine perlmuttfarbene Knopfleiste reichte vom Kragen bis zum untersten Saum.

»Gefällt dem Prinzen das Gewand?«, erkundigte sich einer der Männer mit einem erwartungsvollen Lächeln.

Aneiryn nickte knapp. »Es ist wunderschön«, entfuhr es ihm. Welcher Schneider hatte diesen Mantel für ihn ersonnen?

Das Lächeln des Dieners wurde breiter. »Es wird den Fürsten freuen, das zu hören«, gab er zu verstehen. »Er hat seinen Schneider gebeten, diesen Mantel für Euch und Eure Vermählung zu fertigen, weil Eure blasse Haut ihn an das reine Sternenlicht erinnert.«

Aneiryn schnaubte belustigt. Was wollte man ihm hier eigentlich vormachen? Als ob den Mund des grobschlächtigen Fürsten solche poetischen Worte verlassen würden!

»Ihr werdet sehen, wie hervorragend Ihr darin zu Eurem Bräutigam passen werdet. Sein Gewand harmoniert mit dem Euren, wenn auch auf eine ganz andere Art.«

Aneiryn ballte die Fäuste hinter seinem Rücken. Dieses Gerede war unerträglich. Vielleicht mochten ihre Gewänder zusammenpassen, aber das würde nichts daran ändern, dass Riaghán und er kein unharmonischeres Paar abgeben konnten.

»Lasst mich Euch beim Auskleiden helfen«, bat Dubhdara und begann sogleich, sein Wams aufzuknöpfen.

Willenlos ließ es Aneiryn mit sich geschehen und machte auch keine Anstalten zur Abwehr, als der Diener ihm die einfache Tunika auszog. Er fragte sich, ob der Trank wohl bereits zu wirken begann oder ob er sich einfach schon aufgegeben hatte.

Mit einer unsicheren Geste wies der Diener auf seine Beinkleider. »Würdet Ihr die bitte auch ablegen, Prinz?«

Fragend zog Aneiryn eine Braue in die Höhe, tat aber, wie ihm geheißen. »Werde ich nichts unter diesem Mantel tragen?«, hakte er nach, als er schließlich nackt in dem Zimmer stand.

»Doch, selbstverständlich«, beschwichtigte Dubhdara und wie auf Kommando trat ein weiterer Diener ein, der ein schmales Stück Stoff in der Hand hielt, das von der gleichen Farbe war wie der prächtige Hochzeitsmantel. Als Dubh es ihm um die Hüften legte, gab Aneiryn einen Laut des Unglaubens von sich.

»Das ist alles? Du willst mir sagen, dass dieser Fetzen alles ist, was ich unter dem Mantel tragen werde?«

Der Diener schluckte und sah zu Boden. »Es ist so Tradition in Tharog, Prinz. Bei der Vermählung wird der Mantel getragen, aber beim Ritual ...« Er beendete den Satz nicht.

Aneiryn brach der Schweiß aus. Dieses verdammte Ritual! Warum sagte man ihm nicht endlich, was es damit auf sich hatte? Warum durfte er dabei nur einen Lendenschurz tragen? Er wagte es nicht, den Gedanken weiterzuspinnen, sonst müsste er sich auf der Stelle übergeben. Der Stoff des Hochzeitsmantels fühlte sich tonnenschwer an, als man ihn auf seine Schultern legte. Seine Glieder waren schlaff wie die einer Lumpenpuppe und Dubhdara hatte seine liebe Mühe damit, seine Arme durch die bestickten Ärmel zu führen. Aneiryn fühlte sich seltsam fern und nahm kaum wahr, als Dubhdara ihm das kurze, samtbraune Haar kämmte. Würde man in Zukunft von ihm verlangen, es nach der tharoganischen Tradition lang zu tragen wie ein Wilder? Er hoffte nicht. Und auch dieses unsägliche Hochzeitsgewand, unter dem er fast nackt zu sein hatte, sagte alles über dieses Land und seine Traditionen aus, was er schon längst zu wissen meinte: Unter seiner prunkvollen Hülle war es primitiv. Er sehnte sich mit plötzlicher Heftigkeit nach Hause, nach Caorgan mit seinen hellen, schlanken Türmen, den bunten Glasfenstern und den Bibliotheken voller bedeutender Werke. In Tharog wusste man vermutlich nicht einmal, wie man ein Buch richtig herum hielt.

»Seht Euch an, Prinz«, bat Dubhdara lächelnd und zog ihn vor einen hohen Spiegel.

Was er darin erblickte, war nicht er selbst. Er sah einen schmalen, bleichen Jungen mit dunklen Ringen unter den Augen. Die Blässe seiner Haut wetteiferte mit dem silbrig-kühlen Schimmer des Mantelstoffs. Das dunkle Haar, das man ihm sorgfältig geölt und aus dem Gesicht gekämmt hatte, bildete einen harten Kontrast. Er sah aus wie ein Eisprinz, ohne jede Wärme, ohne jede Hoffnung. Und genauso fühlte er sich auch.

»Trinkt noch einen Becher«, drang plötzlich Shionnas Stimme zu ihm vor. Noch einen Moment verharrten seine Augen auf seinem Spiegelbild, dann wandte er sich ab und der alten Frau zu, die ihm erneut ein gefülltes Zinngefäß hinhielt.

»Danke.« Er nahm den Becher entgegen und kippte den leicht bitteren Inhalt in einem Zug hinunter. Ihm war vollkommen klar, dass man ihm irgendeine Droge verabreichte, aber es sollte ihm recht sein, wenn es dabei half, das, was nun unweigerlich kommen würde, nicht bei vollem Bewusstsein durchstehen zu müssen.

Es klopfte an der Tür. Ein Mann streckte den Kopf herein. »Ist der Prinz so weit?«

Man warf Aneiryn einen fragenden Blick zu und er nickte wie in Trance.

»Dann wird man Euch jetzt hinausführen«, verkündete der Mann mit einem Lächeln.

Kapitel 2

Das Ritual

Er nahm die Menschen kaum wahr, die ihm zujubelten, als er, bewacht von einer großen Garde mit Schwertern bewaffneter Leibwächter, die breite Straße in die Stadt hinunterging, um zu dem mächtigen Gotteshaus zu gelangen, in dem die Trauung stattfinden würde.

Er war irritiert gewesen, als er erfahren hatte, dass er laufen musste. In Caorgan ließ man ein hochwohlgeborenes Brautpaar stets in einer von prächtigen Schimmeln gezogenen Kutsche vorfahren, aber in Tharog, so hatte man ihm erklärt, musste man den Weg in die Ehe auf eigenen Füßen beschreiten.

Er spürte die Blicke der Untertanen auf seinem Körper, die ihn wie Nadeln durchstachen, weil sie sehen wollten, wer ihr neuer Prinz und Thronfolger werden würde, aber sein Geist war vernebelt, fast wie in der Dämmerung zwischen Schlaf und Wachsein. Erst als die hohen, dunklen Türme des Gotteshauses vor ihm aufragten, kam er wieder etwas mehr zu sich. Die schweren Türen des hohen Portals waren geöffnet und der Eingang des Gotteshauses klaffte wie ein schwarzes, alles verschlingendes Loch, aus dem schwaches Kerzenlicht flackerte.

Das Tor zur Hölle, dachte Aneiryn, bevor er eintrat. Seine Augen brauchten einige Zeit, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen, während er in Richtung des Altars geleitet wurde. Dort vorn war es ein wenig heller, da man ein Meer von Kerzen aufgestellt hatte. Verstohlen sah Aneiryn sich um. Das Gotteshaus hatte durchaus Fenster, allerdings waren diese schmal wie Schießscharten und das bewölkte Wetter sorgte dafür, dass kein nennenswertes Licht hindurchdrang. Dieses Gebäude mit seinen hohen, hallenden Decken mutete wie eine riesige Höhle an, so dunkel und alt, als habe es das gesamte Leid der Welt mit ansehen müssen. Aneiryn fragt sich, was wohl vorher hier drin gewesen sein mochte. Ein Tempel der alten tharoganischen Götter? Die Vorherrschaft des Glaubens an den einen Gott, wie sie ihm in Caorgan schon seit Jahrhunderten anhingen, hatte sich in Tharog erst vor vergleichsweise kurzer Zeit durchgesetzt. Und das Inselvolk machte keinen Hehl daraus, den Glauben nach ihrem Gutdünken mit ihren eigenen Ritualen zu vermischen und weiterhin unverblümt auch ihre alten Götter anzubeten.

Aneiryn schauderte bei dem Gedanken, regelmäßig in diese finstere, erdrückende Hölle zu kommen und dem einen Gott auf diese lästerlichen Weisen, die sich die Tharoganer ersonnen haben mochten, huldigen zu müssen. Er war nicht besonders gläubig, aber er hatte kein gutes Gefühl dabei. Zögerlich blickte er sich um, sah in erwartungsvolle Gesichter, die meisten fremd, wenige bekannt aus der vergangenen Woche. Dann entdeckte er seine Eltern und seinen Bruder. Sein Vater nickte ihm zu, seine Mutter schien vollkommen emotionslos. Der einzige Lichtblick war Maryn, der ihm winkte. Trotz seiner hoffnungslosen Situation stahl sich ein kleines Lächeln auf Aneiryns Lippen, als er kaum merklich die Hand hob und den Gruß seines Bruders erwiderte. Dann musste er sich wieder dem Altar zuwenden, um nicht augenblicklich in Tränen auszubrechen. In diesem Moment wünschte er sich, zu sterben. Ja, er würde lieber dem Tod ins Gesicht blicken, als diesen grässlichen Fürsten zu heiraten, der ihn geschlagen hatte, weil er ihm nicht genug Respekt entgegengebracht hatte.

Was würde ihn in dieser Ehe erwarten, wie viele Demütigungen, wie viel Schmerz? Er mochte es sich nicht ausmalen. Die Gefahr war zu groß, dass er darüber die Beherrschung verlor und anfing, wie ein kleines Kind zu schluchzen.

Plötzlich wurde es still im Gotteshaus.

»Kniet nieder für den Fürsten«, wurde verkündet und im gleichen Moment, in dem die gesamten Gäste und Untertanen auf die Knie gingen, schälte sich ein großer, breiter Schatten aus dem trüben Licht des Eingangsportals.

Aneiryn blinzelte, während die Gestalt gemessenen Schrittes den Gang zum Altar antrat. Es war der Mann, mit dem er jetzt und hier vermählt werden würde. Riaghán Drachenauge, ohne Gehstock, stattlich und aufrecht. Nur die Ahnung eines Hinkens verriet noch etwas von seiner Beinverletzung, ansonsten hatte er sein Wort gehalten. Erst jetzt entfaltete sich die volle Größe des Fürsten von Tharog und ließ Aneiryn schlucken. Er reichte seinem zukünftigen Gemahl bestenfalls bis zu den breiten Schultern.

Mitten im Schritt stoppte der Fürst und ließ seine Augen über ihn wandern, bis ihre Blicke sich trafen. Aneiryn hörte auf zu atmen.

»Auf die Knie«, raunte jemand leise hinter ihm und erst jetzt wurde er gewahr, dass er als einziger Mann im Gotteshaus, abgesehen vom Fürsten und dem König von Caorgan, noch stand. Langsam ließ er sich sinken und nahm dabei dem Blick nicht von dem mächtigen, in einen pechschwarzen und mit goldenen Flammen bestickten Mantel gehüllten Mann. Als seine Knie den kalten Boden berührten, zuckte ein kleines Lächeln in Riagháns Mundwinkeln und er setzte seinen Weg fort.

Aneiryn senkte seinen Blick. Die blank polierten, schwarzen Stiefel des Fürsten erschienen in seinem Blickfeld und wenig später dessen beringte Hand. Etwas zögerlich ergriff er sie und ließ sich auf die Beine helfen. Augenblicke später erhoben sich auch der Priester und die Gäste und setzten sich wieder auf ihre Plätze.

Ein Chor begann zu singen, Männer und Knabenstimmen, die ein melancholisches, mehrstimmiges Choral in der tharoganischen Sprache anstimmten, die Aneiryn noch immer nicht vollständig verstand. Der Gesang jedoch passte zu seiner Stimmung. Er fand, das Lied eigne sich weniger für eine Hochzeit, sondern vielmehr für eine Beerdigung. Sein verstohlener Blick wanderte zu seinem Bräutigam, der den seinen stur geradeaus in das Kerzenmeer gerichtet hielt. Das weiche Licht gab den brustlangen, glänzenden Strähnen seines schwarzen Haars einen rötlichen Schimmer, der von der schlichten, goldenen Krone zurückgeworfen wurde, die er auf dem Haupt trug.

Glut, dachte Aneiryn, alles an Riaghán erinnert mich an Asche und Glut. Wie das, was von der Welt übrigbleibt, nachdem der Drache sie mit seinem Feuer versengt hat. Wie das, was von seiner Welt übrigbleiben würde, sobald er der Gemahl dieses finsteren Fürsten geworden war. Er erlaubte sich einen weiteren Blick auf das Profil seines zukünftigen Gatten. Seine Nase war kräftig und geschwungen, vielleicht eine Spur zu groß für einen normalen Mann, für Riaghán allerdings genau richtig. Die eher schmalen Lippen waren in diesem Moment fest zusammengepresst und die mahlenden Kiefermuskeln verrieten seine Anspannung. War er aufgeregt? Aber welchen Grund sollte er dazu haben?

Plötzlich wandte der Fürst sich ihm zu und durchbohrte ihn mit seinem Blick. Aneiryn konnte ein erschrockenes Aufkeuchen nicht vermeiden und wich einen kleinen Schritt zurück. Unvermittelt tastete Riaghán nach seiner Hand und zog ihn wieder näher. Die Hitze, die von ihm ausging, schien Aneiryns eiskalte Finger förmlich zu versengen.

Das sind wir also. Der Feuerfürst und der Eisprinz.

Riaghán ließ seine Hand nicht los, auch nicht, als der Chor die letzten Zeilen des Liedes leise verklingen ließ. Der Priester begann mit seiner Ansprache, der Aneiryn kaum folgen konnte, weil seine Sprachkenntnisse unter der Aufregung litten – und weil er sich auf kaum etwas anderes konzentrieren konnte, als Riagháns warme, trockene Handfläche auf seiner kalten, feuchten. Er hatte das Gefühl, die Zeremonie würde ewig andauern. Der Gottesmann redete und redete, immer wieder unterbrochen von den Gesängen des Chors, von denen einer deprimierender klang als der andere.

Aneiryn schweifte gedanklich ab. Er stellte sich die saftigen Wiesen Caorgans vor, die von der Sonne beschienenen Hügel, auf denen die Schafe weideten. Die Meeresküste, die von rauen Klippen bis zu sanften Sandstränden alles zu bieten hatte. Und die schöne Musik, die an langen Winterabenden am Hof seines Vaters gespielt wurde.

Erst als es um ihn herum ganz still wurde, sah er sich erschrocken um. Fragende und erwartungsvolle Blicke lagen auf ihm. Der Fürst musterte ihn unter halb geschlossenen Lidern und ein kleines Schmunzeln lag auf seinen Lippen.

»Mein Prinz?«, fragte der Priester.

Aneiryn fuhr zu ihm herum. Dem Gesichtsausdruck des Gottesmannes war zu entnehmen, dass dieser ihm offenbar eine Frage gestellt hatte.

Als der Priester den verzweifelten Gesichtsausdruck Aneiryns bemerkte, räusperte er sich und wiederholte die Frage: »Wollt Ihr, Prinz Aneiryn Calarion Athanavi, den Fürsten Riaghán, genannt Arachsúil, zu Eurem Gemahl nehmen und ihn lieben und ehren, ihm gehorchen und Euer Leben ihm und dem Reich Tharog widmen?«

Das war nicht nur eine Frage, das waren tausend. In diesem Augenblick begriff Aneiryn einmal mehr, dass er nicht nur Riaghán, sondern dessen ganzes Fürstentum gleich mit heiratete. Dass er sein Erbe würde, der Thronfolger. Die Last dieser Erkenntnis schien ihn förmlich zu erdrücken. »Ja, ich will«, antwortete er nach einem langen Zögern mit brüchiger Stimme.

»Und Ihr, Fürst Riaghán von Tharog, genannt Arachsúil – wollt Ihr Aneiryn Calarion Athanavi, den Kronprinzen von Caorgan, zu Eurem Gemahl nehmen und ihn lieben und ehren, ihn beschützen und leiten und ihn zu einem gerechten Mitherrscher über das Reich Tharog ausbilden?«

Riaghán wandte sich Aneiryn zu und musterte ihn. Seine Kiefermuskeln zuckten. In seinem Blick stand etwas Seltsames.

Er zweifelt, erkannte Aneiryn voller Erstaunen. War das gut? Gab es noch Hoffnung? Oder war es schon zu spät, jetzt, wo er seinen Teil des Schwurs bereits geleistet hatte?

»Ja, ich will«, sagte der Fürst schließlich fest und drückte Aneiryns Hand. Ihm wurde schwindelig.

»Dann erkläre ich Euch hiermit, Kraft des mir verliehenen Amtes, vor dem Angesicht des einen Gottes und vor dem Angesicht des Volkes von Tharog, für vermählt.«

Ein halbwüchsiger Junge, der ein seidenes Kissen in den Händen trug, trat zu Riaghán heran. Auf dem Kissen lag ein schmaler, silberner Reif, der an der vorderen Mitte mit einem weißen, schimmernden Edelstein besetzt war. Der Fürst hob ihn in die Höhe und ließ ihn langsam auf Aneiryns Haupt sinken. Das kühle Metall umschloss seinen Kopf und fühlte sich fremd an.

Der Chor setzte mit seinem Gesang ein und übertönte das Raunen der Menge. Aneiryn schwankte. Riaghán schien das zu bemerken, denn er ließ seine Hand los und packte ihn stattdessen sanft aber bestimmt am Oberarm. »Ist dir nicht wohl?«, erkundigte sich sein frischgebackener Gemahl gerade so laut, dass er ihn über dem dröhnenden Gesang hören konnte.

»Es ist alles in Ordnung«, beschwichtigte Aneiryn hastig, in der Hoffnung, Riaghán würde ihn endlich loslassen. »Es ist nur die Aufregung.«

Der Fürst nickte und ließ ihn tatsächlich los, ergriff seinen Arm jedoch erneut, als der Gesang des Chors endete, und wandte sich mit ihm zum Portal. Als sie den ersten Schritt in Richtung Ausgang setzten, begriff Aneiryn, dass die Trauung vorüber war. Einerseits hatte er das Bedürfnis, darüber aufzuatmen, andererseits nahm ihm die nun unabänderliche Tatsache, dass er Riaghán von Tharogs Gemahl war, die Luft.

»Was bedeutet Arachsúil?«, fragte er den Fürsten leise, als sie mit untergehakten Armen auf das Portal zuschritten.

»Drachenauge«, erklärte Riaghán und warf ihm einen Seitenblick zu.

Aneiryn schalt sich im Stillen einen Narren. Er hätte sich doch denken können, dass es das tharoganische Wort für Riagháns legendären Beinamen war. »Und ich?«, hakte er nach. »Bin ich jetzt Aneiryn Arachsúil?«

Das entlockte Riaghán ein kleines Lachen. »Nein. Einen Beinamen kann man nicht übertragen. Du bekommst deinen eigenen tharoganischen Namen.«

»Und wie wird der lauten?«

»Das wirst du bald sehen.«

Plötzlich stolperte Aneiryn über den dicken, roten Teppich, der den Gang auskleidete, und kam ins Straucheln, aber sein Gemahl hielt ihn fest.

»Sachte, sachte«, flüsterte dieser und seine Stimme klang beinahe zärtlich. »Kein Grund zur Aufregung. Den ersten Teil haben wir doch schon hinter uns.«

»De – den ersten Teil?«, fragte Aneiryn stockend. Was zur Hölle meinte er damit? War das etwa noch nicht alles?

»Den schlimmsten Teil«, erklärte Riaghán, »für mich jedenfalls. Ich hasse diese einschläfernden Rituale des Neuen Weges. Aber die Diplomatie verlangt, dass ich sie mir zumindest gelegentlich antue, vor allem bei so wichtigen Ereignissen wie einer Hochzeit. Aber jetzt, mein junger Gemahl«, seine honigfarbenen Augen blitzten, »jetzt wirst du sehen, wie man in Tharog wirklich heiratet.«

Als sie durch das Portal traten, brach die Wolkendecke auf und ließ wärmende Sonnenstrahlen auf die Erde hinab. Etwas von dieser unerträglich drückenden Stimmung schien schlagartig von ihnen allen abzufallen.

Ein Rappe mit prächtigem Zaumzeug in den Farben von Riagháns Hochzeitsgewand wurde herbeigeführt und man half Aneiryn, aufzusitzen. Ehe er wusste, wie ihm geschah, schwang der Fürst sich hinter ihm in den Sattel und ritt an.

♔ ♔

Sie verließen die Stadt in Richtung der ausgedehnten Wälder, die Tharobaile, die Hauptstadt Tharogs, umgaben. Bewaffnete Wachmänner ritten vor, neben und hinter dem Brautpaar her und als Aneiryn einen Blick zurückwarf, erkannte er, dass all jene, die auch in der Kirche zugegen gewesen waren, ihnen folgten – zu Fuß und zu Pferde. Sie ritten langsam und die Menschen quollen wie eine zähe Masse den Weg entlang in den Wald hinein.

Aneiryn fand es verstörend, Riaghán hinter sich sitzen zu haben, dessen stahlharter Körper sich die ganze Zeit im Rhythmus des Galopps an ihm rieb. Er versuchte, sich weiter nach vorn zu beugen, um mehr Abstand zwischen sie zu bringen, sorgte damit aber nur dafür, dass sein Hintern sich enger gegen Riagháns Schoß presste. Der gab ein leises Knurren von sich, packte ihn bei den Schultern und zwang ihn, sich wieder aufrecht hinzusetzen.

Nicht lange nachdem sie den Saum des Waldes passiert hatten, kam eine große Lichtung in Sicht, auf der sie offensichtlich schon erwartet wurden.

»Wo sind wir hier?«, fragte Aneiryn neugierig.

»Das ist der heilige Hain«, gab Riaghán zur Antwort.

Erst jetzt entdeckte Aneiryn den großen schwarzen Monolithen, der sich in der Mitte der Lichtung befand, und eine Art Tribüne, auf der ein hoher, leerer Thron stand. Vor der Tribüne lag ein Kreis aus weißen Blüten. Die Wolken verzogen sich immer mehr und machten dem Sonnenlicht Platz, das bereits in ein glühendes Abendrot überging.

Aneiryn fühlte sich tatsächlich etwas unbeschwerter als noch zuvor im Gotteshaus, aber immer, wenn ihm wieder einfiel, warum er hier war, sackte seine Stimmung erneut in ungeahnte Tiefen.

Langsam schlossen die Gäste und Untertanen zu ihnen auf und strömten in die Lichtung. Viele von ihnen gingen zu dem Monolithen und legten kleine Gaben darauf ab. Opfer für die alten Götter, vermutete Aneiryn und verzog das Gesicht.