Fakes & Real Love - Nancy Salchow - E-Book
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Nancy Salchow

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Beschreibung

Sammelband mit den drei Liebesromanen "Ein Schmerz wie Liebe", "Dark Side of his Heart" und "Fake-Liebe, echte Küsse". Klappentext von "Ein Schmerz wie Liebe": Er kann ihr nicht vertrauen. Und sie ihm nicht. Und doch wollen sie einander mehr, als ihnen guttut. Lucia Auf der Flucht vor meiner gefährlichen Vergangenheit ist es wohl so was wie Schicksal, dass ich zufällig in das Leben der älteren Dame Ida platze, die aus irgendeinem Grund fest davon überzeugt ist, dass ich ihre vor vielen Jahren davongelaufene Nichte bin. Aus Verzweiflung spiele ich dieses Missverständnis mit, um auf diese Weise die Brücken zu meiner Vergangenheit abzuschlagen und ganz neu anzufangen. Womit ich nicht gerechnet habe, ist Idas attraktiver Sohn Cedric, der mich genauestens beobachtet. Schon bald merke ich, dass nicht nur sein Misstrauen, sondern auch seine umwerfende Ausstrahlung zur ernsten Gefahr für meinen Plan werden. Cedric Irgendetwas stimmt nicht mit dieser Frau, die nach all den Jahren wie durch Zauberhand wieder in unser Leben tritt. Warum taucht sie ausgerechnet jetzt wieder auf und ist sie wirklich, wer sie vorgibt zu sein? Und wie zum Teufel unterdrücke ich die unangebrachten Gefühle, die meine Cousine in mir weckt? In sich abgeschlossener Einzelband. Keine Serie. Keine Cliffhanger.

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Inhaltsverzeichnis

Buch 1: Ein Schmerz wie Liebe

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Epilog

Buch 2: Dark Side of his Heart

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Buch 3: Fake-Liebe, echte Küsse

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Epilog

Impressum

Nancy Salchow

Fakes & Real Love

Sammelband mit drei Liebesromanen

Buch 1: Ein Schmerz wie Liebe

Er kann ihr nicht vertrauen. Und sie ihm nicht. Und doch wollen sie einander mehr, als ihnen guttut.

Lucia

Auf der Flucht vor meiner gefährlichen Vergangenheit ist es wohl so was wie Schicksal, dass ich zufällig in das Leben der älteren Dame Ida platze, die aus irgendeinem Grund fest davon überzeugt ist, dass ich ihre vor vielen Jahren davongelaufene Nichte bin. Aus Verzweiflung spiele ich dieses Missverständnis mit, um auf diese Weise die Brücken zu meiner Vergangenheit abzuschlagen und ganz neu anzufangen.

Womit ich nicht gerechnet habe, ist Idas attraktiver Sohn Cedric, der mich genauestens beobachtet. Schon bald merke ich, dass nicht nur sein Misstrauen, sondern auch seine umwerfende Ausstrahlung zur ernsten Gefahr für meinen Plan werden.

Cedric

Irgendetwas stimmt nicht mit dieser Frau, die nach all den Jahren wie durch Zauberhand wieder in unser Leben tritt. Warum taucht sie ausgerechnet jetzt wieder auf und ist sie wirklich, wer sie vorgibt zu sein? Und wie zum Teufel unterdrücke ich die unangebrachten Gefühle, die meine Cousine in mir weckt?

In sich abgeschlossener Einzelband. Keine Serie. Keine Cliffhanger.

Dieser Roman enthält eindeutige und leidenschaftliche Szenen.

Diese Geschichte wurde inspiriert von der Serie »Sneaky Pete«. Die so ziemlich einzige Gemeinsamkeit zwischen der Serie und meinem Buch besteht zwar darin, dass sowohl »Pete« die Identität eines anderen übernimmt, als auch die Titelheldin meines Buchs. Trotzdem bin ich großer Fan der Serie und kann sie jedem von euch nur wärmstens für einen gemütlichen TV- und Stream-Abend empfehlen.

Prolog

Cedric

Mein Schädel brummt wie nach einer durchzechten Nacht. Ich möchte meinen Kopf anheben, die Augen öffnen und einfach aufstehen. Stattdessen bleibe ich regungslos im Bett liegen und verliere mich selbst im Halbdunkel des frühen Morgens.

Hör auf, an sie zu denken, du Idiot! Sie wird dir nichts als Unglück bringen – das weißt du.

Doch so sicher sich mein Verstand ist, diese Frau aus meinem Leben verbannen zu müssen, so sehr wehren sich meine Gefühle allein gegen die Vorstellung, sie wieder zu verlieren.

Ich muss sie haben. Unbedingt!

Aber was, wenn diese Lust mein Untergang ist? Nicht nur mein Untergang, sondern der Untergang meiner ganzen Familie?

Reiß dich zusammen, du Schwächling! Du weißt, dass sie Ärger bedeutet. Großen Ärger.

Alles in mir wehrt sich gegen die Sehnsucht, die sich erneut in mir regt und eine Erregung in mir weckt, die ich besser ausblenden sollte. Aber wie zum Teufel blendet man etwas aus, das sich wie ein Virus in jeder Faser des eigenen Körpers ausbreitet? Eine Lust, die einen mehr als alles andere belebt und gleichzeitig lähmt?

Endlich öffne ich die Augen und fahre in die Höhe. Und während ich meinen Blick durch das einsame Zimmer schweifen lasse, frage ich mich, ob ich das alles vielleicht nur geträumt habe.

Kapitel 1

Lucia

»Nein, junge Frau, nicht das da. Das links daneben.«

»Das hier?« Sorgsam darauf bedacht, mir meine Anspannung nicht anmerken zu lassen, tippe ich auf das Roggenmischbrot daneben. Doch offensichtlich haben die kurzgewachsene Kundin mit dem Damenbart und ich eine andere Vorstellung davon, was links daneben heißt.

»Das doch nicht«, seufzt sie genervt, »das andere!«

Ich presse meine Lippen zusammen und atme lautstark durch die Nase aus.

»Meinen Sie vielleicht das?« Ich deute auf das Brot auf der rechten Seite und ernte einen weiteren ungeduldigen Seufzer.

»Nein, auch das meine ich nicht.« Sie hebt mit überheblichem Blick das Kinn. »Sie sind wohl nicht ganz bei der Sache, junge Dame!«

Mittlerweile fangen meine Zähne vom krampfhaften Zusammenbeißen an zu schmerzen, während ich die immer länger werdende Schlange betrachte, die seit fünf Minuten darauf wartet, dass die Nerv-Kundin des Jahrhunderts das einzig wahre Mischbrot gefunden hat.

»Also nochmal ganz von vorn.« Sie streicht sich eine gelbblond gefärbte Föhnlocke aus dem spießigen Gesicht. »Vielleicht verstehen Sie mich ja dann.«

Um nicht das Falsche zu sagen, entscheide ich mich für ein unverfängliches Lächeln, das ich mir mit letzter Kraft abringe.

»Ich möchte genau das da!« Zum sicher tausendsten Mal tippt sie gegen die Glasscheibe der Brot-Auslage.

»Das hier?« Ich lege die Hand auf das Brot, das direkt hinter der Scheibe in Höhe ihres Zeigefingers liegt, doch die erwartete Antwort lässt nicht lange auf sich warten.

»Also, junge Dame«, sie stemmt die Hände in ihre Hüften, »ich weiß ja nicht, ob Sie immer so unkonzentriert sind, aber wenn Sie nicht mal in der Lage sind, ein Brot …«

»Stopp!«, fahre ich ihr ins Wort und strecke meine ausgebreitete Handfläche in die Luft. »Ich will kein einziges Wort mehr von Ihnen hören.«

Mit offenem Mund sieht sie mich an, während sich in der Schlange verwundertes Gemurmel ausbreitet.

»Seit über fünf Minuten höre ich mir geduldig an, wie Sie aus zwanzig völlig identischen Mischbroten dieses eine ganz bestimmte auswählen, das offensichtlich nicht existiert, während die Schlange hinter Ihnen länger und länger wird.«

»Na, hören Sie mal!« Ihre Wangen röten sich. »Was erlauben Sie sich denn? Ich finde, Sie …«

»Unterbrechen Sie mich nicht!«, fauche ich wütend. »Menschen wie Sie, bei denen Dummheit und Arroganz Hand in Hand gehen, sind der Grund dafür, warum dies vermutlich der dritte Job in diesem Monat sein wird, aus dem ich fliege, nur weil meine Geduld wieder mal überstrapaziert wurde. Im Gegensatz zu Ihnen kenne ich nämlich den Unterschied zwischen links«, ich zeige auf ein Brot, »und rechts«, ich zeige auf ein anderes Brot. »Und im Gegensatz zu Ihnen ist mir auch bewusst, dass jedes dieser Brote nicht nur absolut identisch aussieht, sondern auch identisch schmeckt. Vielleicht ist Ihre arrogante Art, andere vorzuführen, ja Ihr ganz persönliches Hobby, aber ich werde mich von einer Vorstadt-Diva mit schlecht gefärbten Haaren und Damenbart nicht wie ein kleines Dummchen behandeln lassen.«

Sie verfällt langsam in Schnappatmung, während ich irgendwo hinter ihr ein leises Kichern wahrnehme. Nur zwei Sekunden später applaudiert mir sogar jemand.

»Und jetzt entschuldigen Sie mich«, ich ziehe meine honiggelbe Schürze mit dem lachenden Brötchen darauf von meiner Hüfte, »aber ich habe einfach keine Geduld für einen Job wie diesen.«

Noch immer steht sie mit offenem Mund da, als hätte jemand die Zeit angehalten. Doch anstatt mich an ihrer Sprachlosigkeit zu erfreuen, knalle ich vor den Augen meiner Schnittchen schmierenden Kollegin die Schürze auf den Tresen und verschwinde im Hinterzimmer.

Atemlos schnappe ich mir meinen Mantel und meine Handtasche und verschwinde durch die Seitentür nach draußen.

Wieder einen Job vergeigt!

Wieder hat mir meine Ungeduld für nervige Menschen alles versaut.

Während ich an der Häuserwand entlang in Richtung Parkplatz gehe, ziehe ich meinen Mantel über, um mich vor dem kühlen Herbstwind zu schützen.

Warum nur kann ich mich nicht ein einziges Mal zusammenreißen? Nur ein einziges verdammtes Mal? Wenn ich so weitermache, werde ich selbst die Miete für die winzige Anderthalb-Zimmer-Wohnung nicht mehr zusammenbekommen, in die ich gerade erst gezogen bin.

Doch als meine Gedanken erneut zu dieser grausamen Kundin wandern, weiß ich, dass sie nur der Tropfen auf den heißen Stein war und ich spätestens bei der nächsten Kandidatin ihrer Art wieder ausflippen würde.

Als ich endlich das Ende des Supermarkt-Gebäudes erreicht habe, um auf den Personal-Parkplatz zuzusteuern, höre ich hinter mir plötzlich Schritte.

Sofort kriecht mir die altvertraute Panik den Nacken hoch.

Nein, ausgeschlossen! Hier wird mich niemand finden. Husum ist ganze drei Stunden von hier entfernt. Niemand weiß, wo ich bin.

Unfähig, mich umzudrehen, bleibe ich schließlich stehen und warte auf die Erkenntnis, dass ich mir die Schritte nur eingebildet habe. Irgendetwas lähmt mich.

Panisch atme ich ein.

Und aus.

Und wieder ein.

Wieder aus.

Dann drehe ich mich schließlich doch um und bin umso erleichterter, dass es lediglich eine ältere Dame ist, vielleicht Ende sechzig, die hinter mir steht. Mit ihren glatten weißblonden Haaren, die sie mit akkuratem Mittelscheitel bis zum Kinn trägt, den rosigen Wangen und dem grünen Wollmantel, der ihren rundlichen Körper umhüllt, ist sie der Inbegriff von Unschuld.

Keine Schatten der Vergangenheit, die mir nachhängen. Niemand, der mir auf den Fersen ist.

Es ist alles in Ordnung, Lucia!

ALLES IN ORDNUNG!

Niemand weiß, dass du hier bist.

Während ich mir in Gedanken mein altvertrautes Mantra aufsage, drehe ich mich wieder um, fest davon ausgehend, dass die fremde Frau nur zufällig hier ist, doch als ich plötzlich ihre Hand von hinten auf meiner Schulter spüre, zucke ich erschrocken zusammen.

»Bitte«, fleht sie. »Geh nicht!«

Als ich mich wieder zu ihr umdrehe, sehe ich, dass es in ihren Augen feucht schimmert, während sie mich anschaut, als wäre ich ein Gespenst.

»Entschuldigung«, murmele ich verwirrt, »aber kennen wir uns?«

»Ich kann verstehen, wenn du noch nicht bereit bist.« Sie schluckt die Tränen herunter, als sie nach meiner Hand greift und diese mit zitternden Fingern tätschelt. »Ich stand eben in der Schlange beim Bäcker und habe den Eklat mit dieser Kundin mitbekommen. Anfangs war ich noch amüsiert, aber als ich dann nähergekommen und dich von Dichtem gesehen habe«, sie bricht ab und wischt sich mit dem Handrücken über die Augen. »Ich … ich kann es einfach nicht glauben. Nach all den Jahren bist du endlich wieder hier.«

»Ich … ich fürchte, Sie verwechseln mich.«

Sie atmet tief ein, während sie meine Hand noch fester umklammert.

»Ich kann verstehen, dass es dir schwerfällt, dich mir zu öffnen. Du hast dich damals entschieden, uns zu verlassen und …« Sie stockt. »Oder kann es sein, dass du mich gar nicht erkennst?« Sie hält für ein paar Sekunden den Atem an. »Immerhin ist es jetzt fast vierzehn Jahre her.« Sie legt die Hand auf die Brust. »Ich bin’s, Schätzchen: Tante Ida!«

Ich schaue sie mit offenem Mund an. »Ich weiß wirklich nicht, wer Sie sind. Sie verwechseln mich eindeutig. Dürfte ich jetzt bitte zu meinem Wagen gehen?« Ich entziehe ihr meine Hand.

Genervt wende ich mich ab, um direkt auf mein Auto zuzusteuern, doch sie scheint besonders hartnäckig. Schon eine Sekunde später höre ich ihre Schritte hinter mir.

»Bitte«, ruft sie mir nach, »lass uns in Ruhe über alles reden, Mindy. Ich weiß, ich hätte dir eine bessere Tante sein müssen. Mich mehr auf dich einlassen müssen, aber ich war damals selbst in tiefer Trauer um den Verlust deiner Eltern. Mein Bruder und ich standen uns so nahe, und als er dann durch diesen tragischen Autounfall sein Leben verlor … na ja, genau wie deine Mutter … das war so … so …« Sie verstummt. Offensichtlich, weil die Tränen sie nun völlig übermannen.

Unweigerlich bleibe nun auch ich stehen.

»Ich erwarte auch gar nicht, dass du mir erzählst, wo du all die Jahre warst. Keine Vorwürfe, keine Fragen.« Sie steht nun unmittelbar hinter mir. »Einfach nur ein Stück warmer Apfelkuchen vorm Kamin. Wir können uns auch anschweigen, wenn dir das lieber ist. Nur bitte komm mit mir.« Sie schluchzt. »Nur für diesen einen Nachmittag. Mehr will ich gar nicht, Mindy.«

Mindy.

Schon wieder dieser Name.

Die Begegnung mit mir scheint viel in dieser Frau aufzuwühlen. Eine Tatsache, die mir beinahe schon leidtut. Aber was soll ich tun? Sie ist eine Fremde, eine völlig Fremde!

Gerade als ich endlich zu meinem Wagen gehen will, legt sie erneut die Hand auf meine Schulter.

»Bitte, Mindy, lass diese Begegnung nicht auf diese Weise enden.«

Und in diesem Moment geschieht etwas Merkwürdiges mit mir. Mein Verstand sagt mir, dass es richtig wäre, einfach weiterzugehen. Doch nach den letzten aufwühlenden Wochen auf der Flucht fühlt sich der Gedanke, einfach nur mit einem Stück Apfelkuchen vor einem Kamin zu sitzen und endlich ein wenig zur Ruhe zu kommen, wie der reinste Wellness-Urlaub an.

Was, wenn ich die Verwechslung einfach außer Acht lasse und dieses Spiel mitspiele?

Das kannst du nicht bringen, Lucia! Was auch immer du durchgemacht hast, diese arme Frau kann nichts dafür. Also nutze die Sehnsucht nach ihrer verschollenen Nichte nicht aus.

»Tut mir wirklich leid«, sage ich schließlich, »aber ich bin nicht die, für die sie mich halten.«

Darauf bedacht, die Versuchung zu unterdrücken, öffne ich meine Wagentür und steige ein. Doch als ich meinen Blick nach links wende, sehe ich sie noch immer am selben Platz stehen.

Ihre Wangen sind vom Weinen gerötet, ihr Blick ist geprägt von enttäuschter Hoffnung. Und plötzlich empfinde ich tatsächlich so etwas wie Schuld. Kann ich sie jetzt wirklich einfach so zurücklassen? Wäre es denn wirklich so schlimm, dieses Missverständnis mitzuspielen? Würde ich irgendwem damit schaden? Sie wünscht es sich doch so sehr!

Aber selbst wenn, wie soll ich ihr vorspielen, ihre Nichte zu sein, wenn ich überhaupt nicht weiß, wer diese Mindy ist und warum sie damals abgehauen ist?

Ich lasse meine Hand vom Zündschloss herabsinken und atme tief durch.

Wie auch immer ich mich jetzt entscheide, so oder so wird es die falsche Entscheidung sein. Ganz sicher!

Doch der Gedanke, nach dem Fiasko in meinem dritten Job, den ich seit meiner Flucht nach Wismar angetreten habe, jetzt allein in meiner deprimierenden und viel zu engen Wohnung über meine perspektivlose Zukunft zu grübeln, bringt mich fast um.

Ohne nachzudenken ziehe ich schließlich den Schlüssel ab, steige aus und werfe lautstark die Wagentür hinter mir zu.

Für einen kurzen Moment stehe ich einfach nur da und schaue diese gewisse Tante Ida schweigend an. Auch sie betrachtet mich, ohne ein Wort zu sagen. Doch dann kommt sie mit schnellen Schritten auf mich zu und fällt mir schluchzend in die Arme.

»Ach, mein Kind«, wimmert sie mir ins Haar, »ich bin so froh, dass du wieder da bist.«

Unfähig, etwas zu sagen, gebe ich mich der Umarmung schweigend hin und stelle dabei verwundert fest, dass es mir sogar irgendwie guttut, in den Armen dieser fremden Frau zu liegen. Nach den letzten aufwühlenden Wochen gibt mir diese Ida ein unerwartetes Gefühl von Wärme und Geborgenheit.

»Komm«, sie nimmt mein Gesicht in beide Hände und küsst meine Stirn, »lass uns nach Hause fahren. Dass ich heute früh ausgerechnet deinen Lieblingskuchen gebacken habe, muss so etwas wie Schicksal sein. Als hätte ich gewusst, dass dies ein ganz besonderer Tag wird.«

Weil mir keine passende Antwort einfällt, lächele ich einfach nur.

»Ich bin zu Fuß hier«, sagt sie. »Wir können aber gern deinen Wagen nehmen. Dann sind wir schneller dort.«

»Gern«, antworte ich, auch wenn ich noch immer keinen Plan habe, wohin diese verrückte Idee führen wird.

Als wir zu meinem Wagen gehen und einsteigen, wird mir die Absurdität dieses Missverständnisses allerdings erst recht bewusst: Wo, verdammt nochmal, ist denn überhaupt »Zu Hause«?

Verunsichert fahre ich los und warte auf einen Geistesblitz – oder darauf, dass diese Ida mir von allein erklärt, wie ich fahren muss. Doch als wir die Hauptstraße erreichen, betrachtet sie mich einfach nur lächelnd von der Seite, ohne ein Wort zu sagen.

Also biege ich einfach aus einem Instinkt heraus rechts ab. Als sie keinen Widerspruch einlegt, fahre ich einfach weiter, doch da sie es vorzieht, mich weiterhin stumm von der Seite anzustarren, als wäre ich das achte Weltwunder, fahre ich schon nach wenigen Metern in eine Bustasche und schalte den Warnblinker ein.

»Ich muss dir etwas gestehen«, platzt es schließlich aus mir heraus.

»Was ist denn, Schätzchen?« Sie legt ihre warme Hand auf meine Finger. »Ist alles in Ordnung? Habe ich dich überrumpelt? Das wollte ich nicht. Wirklich nicht. Ich war nur so glücklich, dich zu sehen, dass ich einfach drauf los geplappert habe.«

»Das ist es nicht«, seufze ich. Doch je länger ich darüber nachdenke, ihr die Wahrheit zu sagen, desto klarer wird mir, wie sehr es sie verletzen würde, ihre gerade wiedergefundene Nichte sofort wieder zu verlieren. Andererseits ist eine Lüge auf keinen Fall besser, oder?

»Was ist denn los?«, hakt sie erneut nach, während sie mich besorgt anblickt.

In ihren Augen liegt so viel Wärme. Fast kommt es mir so vor, als würde ich sie bereits kennen und nicht neben einer flüchtigen Begegnung sitzen.

»Ich …«, beginne ich zu stammeln, »die Wahrheit ist, dass ich …« Ich halte die Luft an und senke den Blick auf meine Hände.

Wieder packt mich die Angst vor meiner eigenen Vergangenheit. Und immer wieder frage ich mich, ob ich etwas hätte anders machen können. Etwas anders hätte machen müssen.

Was, wenn es Schicksal ist, dass diese Frau in mein Leben stolpert? Was, wenn ich auf diese Weise endlich ein wenig Ruhe finde – und Sicherheit?

»Weißt du«, ich atme tief durch, »um ehrlich zu sein, ist es so, dass ich …«, das Chaos in meinem Kopf formt sich plötzlich zu einem Plan, »… na ja, keine Erinnerungen mehr an meine Vergangenheit habe.«

Idas Verwirrung ist offensichtlich. »Wie meinst du das? Niemand erwartet von dir, dass du dich an alles erinnern kannst. Wie gesagt, es ist lange her.«

»Das meine ich nicht.« Ich presse meine Lippen zusammen.

»Was dann?«

»Na ja, ich … ich hatte einen Unfall«, entgegne ich mit dünner Stimme.

»Einen Unfall?«

Ich räuspere mich. »Ja, ich bin damals direkt in ein Auto gerannt.«

»Oh mein Gott.« Ida hält sich die Hand vor den Mund. »Doch nicht etwa, um dich«, sie schluckt, »dich umzubringen?«

»Nein«, wiegele ich schnell ab, »das … das kann ich mir nicht vorstellen. Ich meine, ich weiß es nicht. Denn alles, was ich weiß, ist, dass ich danach kurzzeitig im Koma lag – so erzählten es mir jedenfalls die Ärzte. Denn als ich aufgewacht bin, konnte ich mich an nichts mehr erinnern. Auch an nichts, was vor dem Unfall war.«

»An gar nichts?« Sie reißt die Augen weit auf.

»An gar nichts«, murmele ich schuldbewusst.

»Wie furchtbar.« Sie umklammert meine Hand erneut, nur dieses Mal noch fester. »Hast du dich deshalb all die Jahre nicht gemeldet? War der Unfall gleich, nachdem du von zu Hause fortgelaufen bist?«

Ich versuche, mich an die kläglichen Infos zu erinnern, die sie in unserem ersten Gespräch erwähnt hat. Da sagte sie etwas davon, dass diese Mindy – also ich – vor vierzehn Jahren davongelaufen ist.

»Ich nehme es an«, murmele ich. »Ich glaube, ich war damals …«

»Fünfzehn«, wimmert sie. »Du warst gerade mal fünfzehn.«

Binnen Sekunden versuche ich die kläglichen Infos in meinem Kopf zu sortieren:

Diese Mindy müsste dann jetzt 29 Jahre alt sein, nur ein Jahr älter als ich, was mich in meiner Rolle der lang verschollenen Nichte noch glaubwürdiger macht.

»Aber wir haben alles getan, um dich wiederzufinden«, erklärt Ida. »Großräumige Suchaktionen, sogar die Medien hatten wir eingeschaltet. Wenn du im Krankenhaus warst, warum hat dann niemand versucht, ausfindig zu machen, wohin du gehörst?«

Wieder werde ich nervös.

»Ich … ich habe mich selbst entlassen«, antworte ich schnell. »Bin einfach aus der Klinik abgehauen, als es mir etwas besser ging. Auf keinen Fall wollte ich in die Fänge des Jugendamts geraten. Dass mein Name Mindy ist, ist alles, was ich wusste. Und das auch nur, weil ich ein kleines Notizbuch mit meinem Namen darauf dabei hatte.«

»Ein Notizbuch? Was stand denn darin?«

»Ich … ähm … habe es damals leider verloren. Genauso wie meine Erinnerungen.«

Das Chaos in meinem Kopf wird langsam übermächtig. Genau wie der Drang, doch noch alles aufzuklären. Doch stattdessen sitze ich einfach nur da und starre über das Lenkrad in die Ferne. »Deshalb weiß ich auch nicht, wo du wohnst oder was mit meinen Eltern passiert ist«, fahre ich fort. »Und auch nicht, warum ich damals von zu Hause weggelaufen bin.«

»Aber wenn du erst fünfzehn warst, musst du doch irgendwo untergekommen sein.«

Jetzt hat sie mich! Spätestens jetzt werde ich ihr die Wahrheit sagen müssen!

»Ich will nicht darüber reden«, antworte ich aus einem Instinkt heraus und senke den Blick, um ihren wachsamen Augen auszuweichen.

Stille breitet sich zwischen uns aus, bis Ida schließlich ihre Hand an meine Wange legt und mich sanft an sich zieht.

»Du hast sicher schlimme Zeiten durchgemacht. Aber dir muss nichts peinlich sein, mein Kind. Es war eben deine Art, die Trauer zu verarbeiten.«

Ich frage mich, was genau sie sich vorstellt, wo ich – oder genauer gesagt Mindy – all die Jahre gewesen ist. Doch je mehr ich darüber nachdenke, desto überwältigender wird das Chaos in meinem Kopf. Also schließe ich einfach nur die Augen und atme tief durch, bis plötzlich ein lautes Hupgeräusch ertönt.

Erschrocken schaue ich in den Innenspiegel und sehe hinter uns einen Bus, dem ich den Weg zur Haltestelle versperre. Schnell starte ich wieder den Motor und fahre los, ohne zu wissen, wohin.

Was habe ich mir nur dabei gedacht, mich auf dieses seltsame Spiel einzulassen? Ich bin doch sonst nicht so abgebrüht. Ist meine Verzweiflung wirklich Entschuldigung genug für mein Verhalten?

Nachdem ich wenige Meter gefahren bin, höre ich Ida mit sanfter Stimme neben mir reden.

»Da vorne ist ein Supermarktparkplatz«, sagt sie. »Dort kannst du wenden.«

»Wenden?«, frage ich leise.

»Ja. Vertrau mir einfach.«

Im Augenwinkel sehe ich sie lächeln.

»Von dort aus erkläre ich dir dann den Weg«, fährt sie fort.

Nach wenigen Metern biege ich also links ab, um auf den erwähnten Parkplatz zu fahren und bringe den Wagen in einer Parktasche neben ein paar Müll-Containern zum Stehen, ohne den Motor abzustellen. Fragend schaue ich Ida an.

»Und jetzt?«, frage ich.

»Jetzt fährst du an der Ausfahrt wieder rechts ab. Den Rest des Weges erkläre ich dir während der Fahrt.«

Gerade als ich ihrer Anweisung folgen will, legt sie die Hand auf mein Knie.

»Trotzdem«, sagt sie leise, »musst du zugeben, dass es ein Wink des Schicksals sein muss, der dich ausgerechnet wieder hierher nach Wismar geführt hat.«

»Ja.« Ich ringe mir ein kleines Lächeln ab. »Ich habe in den letzten Monaten an der Nordsee gelebt«, wenigstens der Teil der Geschichte stimmt, »aber als ich im Internet zufällig über dieses Job-Angebot in Wismar gestolpert bin, wusste ich einfach, dass es richtig ist herzukommen.« Ich seufze. »Keine Ahnung, warum.«

»Dein Unterbewusstsein verbindet Wismar vermutlich noch immer mit einem starken Heimatgefühl.« Sie lächelt glücklich. »Daran konnte selbst dieser Unfall nichts ändern.«

»Vielleicht«, murmele ich verunsichert, auch wenn ich noch immer keinen Plan habe, wohin das alles hier führen soll.

»Wie auch immer.« Sie nimmt die Hand von meinem Knie. »Den Rest können wir später noch besprechen. Und zwar ganz in Ruhe. Aber jetzt wird es erst mal Zeit, nach Hause zu fahren.«

»Nach Hause«, wiederhole ich leise, während sich eine zaghafte Hoffnung in mir ausbreitet. Eine Hoffnung auf etwas, das doch niemals wahrwerden kann.

Kapitel 2

Cedric

Während ich den heißen Kräutertee in meine Tasse fülle, wandert mein Blick durch das Küchenfenster hinaus in den Vorgarten. Der Herbst hat die Blätter der mächtigen Kastanie auf den Rasen geweht und in einen bunten Teppich verwandelt. Der rotbraune Jägerzaun wirkt fast so, als hätte man ihn eigens für den Herbst in dieser Farbe gestrichen. Nur das triste Grau des Himmels scheint nicht so recht zu den leuchtenden Farbtönen zu passen.

Wo steckt Mutter nur? Sie wollte doch nur kurz zum Bäcker. Da komme ich extra her, um ihr mit der Einrichtung ihres neuen Handys zu helfen und dann lässt sie mich warten. Sieht ihr gar nicht ähnlich.

Vielleicht sollte ich einfach wieder heimfahren, schließlich habe ich mehr als genug zu tun. Während ich an meinem Tee schlürfe und darüber nachdenke, wie lange ich noch auf sie warten werde, sehe ich plötzlich einen Wagen vorfahren, der schließlich direkt hinter meinem in der Einfahrt parkt.

Hinter dem Steuer sitzt eine junge Frau mit langem kupferrotem Haar. Neben ihr auf dem Beifahrersitz sehe ich Mutter.

Was hat das zu bedeuten? Dass die Nachbarin sie mal mitnimmt, kommt hin und wieder vor – aber wer ist diese Frau?

Irritiert stelle ich die Tasse neben die Spüle und gehe durch den dunklen Flur in die lichtdurchflutete Veranda, als die beiden bereits die Pforte des Vorgartens durchquert haben und direkt auf die Haustür zukommen.

Die Frau geht leicht im Hintergrund, während Mutter ihre Hand in ihrer hält, als müsste sie sie zwingen, mit ins Haus zu kommen.

Merkwürdig.

Als sie die Veranda betreten, schaut die Fremde kurz auf.

In dem flüchtigen Moment, in dem sich unsere Blicke treffen, überkommt mich ein seltsames Gefühl. Einerseits weckt diese Frau Erinnerungen in mir, die ich nicht so recht einordnen kann. Andererseits sind ihre bernsteinfarbenen Augen so durchdringend und wunderschön, dass ich mich zwingen muss, sie nicht anzustarren.

»Cedric!« Mutter nimmt mich in den Arm, als hätten wir uns tagelang nicht gesehen. »Es ist so schön, dass du hier bist.«

»Aber … ähm … das war doch so abgemacht«, antworte ich über ihre Schulter hinweg, während mein Blick erneut zu der Fremden wandert, die schweigend in der offenen Haustür steht und betreten zu Boden schaut, als hätte sie gerade eine wertvolle Vase umgestoßen.

»Ich weiß«, antwortet Mutter, »ich meinte nur, dass es toll ist, dass du hier bist, um …« Sie presst die Lippen aufeinander und schließt die Tür hinter sich. »Um mit mir zusammen Mindy willkommen zu heißen.« Sie legt von hinten die Hände auf die Schultern der Frau.

Beide schauen mich stumm an, während ich versuche, Mutters Worte zu rekonstruieren.

»Moment mal«, murmele ich. »Hast du gerade Mindy gesagt?«

*

Lucia

Himmel, was hat dieser Mann nur für stahlblaue Augen! Diese markanten Lippen und die durchtrainierten Schultern, die sich unter dem schwarzen Langarmshirt abzeichnen und das kurze goldbraune Haar, das seinen hübschen Nacken betont.

Hübscher Nacken?

Oh mein Gott, bleib auf dem Teppich, Lucia! Als wäre das Chaos, in das du dich selbst hineinmanövriert hast, nicht schon kompliziert genug.

»Ja genau«, sagt Ida. »Ich habe sie beim Bäcker wiedergetroffen. Aus dem Nichts stand sie plötzlich vor mir.«

Wieder rinnen ihr die Tränen über die Wangen und sorgen unweigerlich dafür, dass sich mein schlechtes Gewissen meldet. Weinend legt sie den Arm um mich und zieht mich in ihre Armbeuge.

Dieser gewisse Cedric scheint jedoch nur Bahnhof zu verstehen.

»Was soll das heißen?« Er hebt die Augenbrauen. »Redest du von unserer Mindy?«

Seine Frage ist an Ida gerichtet, doch sein Blick ruht ununterbrochen auf mir,

»Ja, sicher rede ich von unserer Mindy«, erklärt Ida. »Erkennst du sie denn nicht wieder? Ich weiß, dass es unglaublich ist, aber sie ist es wirklich, Cedric.« Sie atmet laut aus. »Nach all den Jahren haben wir sie endlich wieder.«

Doch anstatt etwas zu antworten, starrt er mich mit gerunzelter Stirn an, als wäre ich eine Hochstaplerin.

Na ja, vielleicht bin ich das gewissermaßen ja auch!

»DAS soll Mindy sein?« Er hebt skeptisch die Augenbrauen.

Die Art, wie er mich ansieht, bringt mich völlig aus dem Konzept. Nicht nur, dass er dieses gewisse Etwas an sich hat, das jede Frau auch in einer völlig harmlosen Situation nervös machen würde. Nein, es ist vor allem seine offensichtliche Skepsis, die augenblicklich meinen Fluchtinstinkt weckt.

»Ich glaube, es war eine blöde Idee herzukommen.« Ich löse mich von Ida. »Bitte entschuldigt mich.«

Doch noch bevor ich mich von ihnen abwenden kann, fasst Ida nach meiner Hand.

»Mindy!«, fleht sie. »Du willst doch jetzt wohl nicht allen Ernstes gehen.«

Sie diesen fremden Namen sagen zu hören, fühlt sich noch immer merkwürdig an.

Mindy.

Mindy. Mindy. Mindy.

Vielleicht sollte ich mir diesen Namen gar nicht erst einprägen und diesen ganzen Schwachsinn so schnell wie möglich wieder vergessen.

»Ich … ich weiß auch nicht«, murmele ich verwirrt. »Das alles kommt so unerwartet und ich … ich …«

»Du musst dich nicht rechtfertigen«, fällt sie mir ins Wort. »Du hast mir doch schon alles erklärt. Das allein muss schwer genug für dich gewesen sein.«

Mein Blick wandert erneut zu diesem merkwürdigen Cedric, der mich noch immer anschaut, als wäre ich geradewegs aus einer Irrenanstalt entflohen.

Etwas in mir sehnt sich danach, einfach aus dem Haus zu rennen und fortzufahren, doch der Gedanke an meine einsame Wohnung und die Angst, die sich mit jeder verstreichenden Sekunde tiefer in meine Seele brennt, macht mir das Denken schwer.

Erst die Sache mit meinem Bäcker-Job, den ich jetzt auf jeden Fall abhaken kann. Und dann die ständige Flucht vor meiner Vergangenheit.

Es wird höchste Zeit für einen Neuanfang, auch wenn ich nicht den blassesten Schimmer habe, wie dieser Anfang aussehen soll.

»Kann ich mal ins Badezimmer?«, frage ich mit dünner Stimme.

»Natürlich.« Ida streicht mit dem Handrücken über meine Wange. »Da vorn neben der Treppe. Lass dir ruhig Zeit.«

Ich werfe ihr ein schüchternes Lächeln zu, nur um kurz darauf an Cedric vorbeizugehen, der mich mit leicht geöffnetem Mund betrachtet.

Noch immer weiß ich nicht, was dieser Blick zu bedeuten hat. Nur eins wird mir langsam klar: Dieser Mann macht diese Situation nicht gerade leichter.

Kapitel 3

Cedric

»Willst du damit sagen, sie kann sich an GAR NICHTS erinnern?« Ich nehme Mutter den Mantel ab und hänge ihn an die Garderobe. »Und was soll das überhaupt für ein Unfall gewesen sein?«

»Ich verstehe deine Skepsis nicht.« Sie schiebt die Ärmel ihres weißen Strickpullovers hoch. »Sie ist wieder da, Cedric. Nach all den Jahren haben wir sie endlich wieder – und du interessierst dich nur für diesen Unfall.«

»Ach komm schon, Mutter, willst du mir etwa sagen, dass du nicht skeptisch bist?«

»Warum sollte ich?« Sie schaut nervös in Richtung Badezimmertür und senkt die Stimme. »Schließlich hat sie nicht versucht, mich von ihrer Identität zu überzeugen, sondern umgekehrt. Ich war diejenige, die ihr nachgelaufen ist. Wäre sie eine Betrügerin, wäre es ja wohl andersherum. Und überhaupt«, sie wird noch ein bisschen leiser, als sie zu mir aufschaut, »hast du sie denn noch gar nicht richtig angesehen? Ich habe sie sofort erkannt, selbst aus einigen Metern Entfernung. Geht es dir denn nicht genauso?«

»Es ist lange her«, antworte ich. »Ich war vor vierzehn Jahren gerade mal fünfzehn. Seitdem ist viel passiert.«

»Du willst mir doch nicht etwa erzählen, dass du vergessen hast, wie deine Cousine aussieht?«

»Nein, natürlich nicht, aber …« Ich versuche, das Bild der jungen Mindy in meinem Kopf zu rekonstruieren. »Ich fühle mich nur gerade ein wenig überrumpelt.«

»Vor allem solltest du dir die Zeit nehmen und sie ganz genau betrachten«, sie nimmt mit strahlendem Lächeln meine Hände, »dann wird es dir genauso gehen wie mir und du wirst nicht mal den geringsten Zweifel haben.« Sie seufzt glücklich auf. »Ach, ich kann es noch immer nicht glauben: Nach all den Jahren haben wir sie endlich wieder, Cedric.«

Die Begeisterung, mit der sie spricht, die sich immer wieder mit emotionaler Rührung abwechselt, sorgt für ein ungutes Gefühl in meiner Magengegend. Einerseits habe ich mich all die Jahre gefragt, wohin es Mindy wohl verschlagen haben mag und wie es ihr ergangen ist. Ja, sogar die Frage, ob sie überhaupt noch lebt, habe ich mir immer wieder gestellt.

Aber jetzt, wo sie offensichtlich wieder da ist, habe ich vor allem Angst, wie Mutter diesen Gefühlsschock überwinden wird.

»Es ist so unwirklich«, seufzt sie, »wie ein echtes Wunder!«

»Ja.« Ich mühe mir ein Lächeln ab, doch die Unsicherheit bleibt.

»Glaub mir, Cedric. Jetzt wird alles gut. Was auch immer mit Mindy geschehen ist, es ist unsere Pflicht, jetzt für sie da zu sein. Sie scheint eine Menge durchgemacht zu haben.«

»Aber was hat sie durchgemacht?«, frage ich erneut. »Das hast du immer noch nicht gesagt.«

»Sie wollte nicht darüber reden«, antwortet Mutter. »Und wir müssen das respektieren, wenn wir sie nicht sofort wieder verlieren wollen.«

Noch immer weigert sich das Chaos in meinem Kopf, einen Sinn zu ergeben.

Seufzend lasse ich die Schultern sinken und gehe über den Flur hinüber ins Wohnzimmer, wo ich mich gedankenverloren auf den mintgrünen Ohrensessel am Fenster fallen lasse.

»Das ist doch verrückt.« Ich lehne mich zurück. »Vor einer Stunde saß ich noch in meinem Büro und habe Kundenanfragen beantwortet und wollte zwischendurch nur kurz mein Versprechen einlösen, dein neues Handy einzurichten, bevor ich es wieder vergesse.« Ich schließe seufzend die Augen. »Und dann soll ich mich plötzlich mit der Idee befassen, meine lang verschollene Cousine wiederzusehen?«

»Was heißt denn hier mit der Idee befassen?« Mutter setzt sich auf die Sesselkante und legt die Hand auf meine Schulter. »Das ist mehr als nur eine Idee, Cedric. Es ist Realität. Nach all den Jahren ist sie endlich zurückgekommen. Und das ist alles, was für den Moment zählt.«

»Ich wollte nicht stören.«

Mindys Stimme durchbricht den Moment wie das Geräusch aus einer anderen Welt.

»Das störst natürlich nicht«, Mutter steht auf und eilt zu ihr, »Cedric ist noch etwas verwirrt. Wer kann es ihm nach all den Jahren verübeln? Aber für ihn ist es genau so ein Wunder wie für mich.«

Sie nimmt Mindy bei der Hand und führt sie zum Sofa direkt unter das Fenster. Als wäre sie körperlich eingeschränkt, hilft sie ihr, sich zu setzen und legt behutsam den Arm um sie.

»Du sollst wissen, dass dich hier niemand unter Druck setzen wird«, sagt Mutter in verständnisvollem Tonfall. »Was auch immer du durchgemacht hast, wir sind für dich da. Hier kannst du zur Ruhe kommen. Und du kannst bleiben solange du willst.«

Der Sessel, in dem ich sitze, steht nur wenige Zentimeter links vom Sofa – so nah, dass ich sie nun genau betrachten kann.

Mutter hat recht: Die Ähnlichkeit ist offensichtlich. Dieselbe Mundpartie, dasselbe Haar, dieselben leuchtenden Augen.

Ja, das könnte tatsächlich Mindy sein – vor allem, wenn man bedenkt, dass sie damals noch ein Teenie war und wie viel Zeit seitdem vergangen ist. Trotzdem ist an der Art, wie ich sie anschaue, irgendetwas ungewöhnlich.

Warum stellen sich einfach keine familiären Gefühle in mir ein, während ich sie beobachte? Müsste ich nicht dieselben brüderlichen Empfindungen spüren, die sie immer in mir geweckt hat? Schließlich war Mindy nie einfach nur eine Cousine, sondern eher wie eine Schwester für mich – vor allem nach dem Tod ihrer Eltern, als sie zu uns zog.

»Danke«, ist alles, was Mindy antwortet, während sie ihre Hände in ihrem Schoß faltet und zu Boden schaut.

Irre ich mich oder weicht sie meinem Blick aus?

»Und was hat dich nach all den Jahren wieder hergeführt?«, frage ich aus dem Nichts heraus, weil mir nichts Besseres einfällt.

Wie vom Blitz getroffen schaut sie auf. »Ich habe diesen Job durch Zufall im Internet gefunden«, erklärt sie. »Vorher habe ich in Husum gelebt.«

»Husum?« Ich reibe mir skeptisch das Kinn. »Wie bist du denn dort gelandet?«

Sie atmet tief durch, als hätte ich einen wunden Punkt getroffen, woraufhin mich Mutter mit einem bitterbösen Blick straft.

»Du musst jetzt nicht darüber reden«, redet sie mit sanfter Stimme auf Mindy ein. »Cedric ist nur neugierig, aber eigentlich hat er für deine Lage genauso viel Verständnis wie ich.« Mutter sieht mich mahnend an. »Ist doch so, nicht wahr, Cedric?«

Ich schweige.

»Nicht wahr, Cedric?«, wiederholt sie ungeduldig.

»Natürlich«, sage ich schließlich widerwillig und bemühe mich um ein halbwegs sanftmütiges Lächeln. »Du musst verzeihen. Aber wenn du nach all den Jahren plötzlich wieder in der Tür stehst, schwirren einem erstmal tausend Fragen durch den Kopf. Aber natürlich will dich niemand hier in irgendeiner Weise überrumpeln.«

Mutter wendet den Blick von mir ab.

»Wo wohnst du überhaupt zur Zeit?«, fragt sie.

»Ich habe eine kleine Wohnung in Wismar«, antwortet sie zögerlich. »Ich wohne erst seit Kurzem dort.«

»Du ziehst natürlich wieder zu uns«, sagt Mutter. »Hier außerhalb der Stadt ist es zwar etwas ruhiger als direkt in Wismar, aber vielleicht ist gerade die Ruhe genau das Richtige für dich.«

»Mutter!«, mische ich mich augenrollend ein. »Du kannst doch nicht einfach entscheiden, dass sie wieder zu dir zieht. Sie ist eine erwachsene Frau.«

»Ähm, ja natürlich ist sie das.« Sie kratzt sich am Kopf. »Ich … ich wollte dich natürlich nicht überrumpeln. Ich dachte nur, dass due s schön fändest, nach allem, was du durchgemacht hast, wieder im Schoß der Familie zu sein. Und wenn nicht dauerhaft, dann vielleicht wenigstens für ein paar Tage.« Mutter lächelt. »Cedric wohnt nur ein paar Häuser weiter und schläft nie hier. So hätte ich wenigstens endlich mal wieder die Gelegenheit, das Gästezimmer herzurichten.«

Mindy schaut mit halboffenem Mund auf – erst zu Mutter, dann zu mir.

»Ich möchte wirklich niemandem zur Last fallen«, sagt sie leise. »Meine Wohnung ist wirklich mehr als ausreichend für mich. Und einen Job werde ich sicher auch bald wieder finden. Die Miete ist nicht sehr hoch und …«

»Papperlapapp«, schimpft Mutter. »Miete und Jobsuche sind erst mal Fremdwörter, okay? Über so etwas musst du dir keine Sorgen mehr machen. Du bleibst hier, solange du willst.«

Mindy öffnet den Mund, um ihr zu widersprechen, doch Mutter legt ihr demonstrativ den Finger auf die Lippen.

»Ich möchte keine Widerworte hören«, sagt sie. »Wir haben viel nachzuholen.«

Seufzend schließt Mindy den Mund, während ihr Blick erneut zu mir wandert.

Bilde ich es mir nur ein oder sieht auch sie mich auf andere Weise an, als es sich zwischen Cousin und Cousine gehören würde?

Mutter sagt, dass sie sich aufgrund eines Unfalls nicht mehr erinnern kann. Aber hat sie uns wirklich komplett vergessen? Und wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass sowohl ihre Eltern als auch sie selbst einen Unfall haben? Egal, wie ich es drehe und wende – das alles fühlt sich einfach nur merkwürdig an.

»Und du kannst dich wirklich an nichts mehr von früher erinnern?«, platzt es erneut aus mir heraus.

»Cedric!«, ermahnt mich Mutter.

»Was denn?« Ich zucke mit den Schultern. »Wieso muss ich mir jedes Wort zweimal überlegen? Das da ist meine Cousine. Wir sind eine Familie – das sagst du selbst. Warum kann ich Mindy dann keine Fragen stellen?«

»Weil sie erst mal zur Ruhe kommen muss«, entgegnet Mutter. »Das habe ich dir doch schon erklärt. Und weil es keine Rolle spielt, wo sie war. Nur, dass sie hier ist und wir in aller Ruhe schauen können, ob …«

»Schon okay«, mischt sich nun endlich Mindy ein und legt die Hand auf Mutters Finger. »Er hat ja recht. Da stehe ich nach all den Jahren plötzlich wieder vor euch und du verbietest ihm, sich darüber zu wundern.«

»Ich verbiete es ihm doch nicht. Ich will nur nichts überstürzen. Was auch immer du durchlebt hast, wir sollten respektieren, dass schwere Zeiten hinter dir liegen und es nicht leicht für dich ist, darüber zu sprechen.«

Mindy schenkt ihr ein Lächeln, doch schon wenige Sekunden später verschwindet das Lächeln wieder und macht einem bitteren Gesichtsausdruck Platz. Ihre Miene verfinstert sich mehr und mehr, bis sie schließlich wie aus heiterem Himmel in Tränen ausbricht.

Schon wenig später kommt zu den Tränen ein geradezu ohrenbetäubendes Schluchzen, das keinesfalls gespielt sein kann. Ihre Wangen glühen förmlich, während sich ihre Atemzüge regelrecht zu überschlagen scheinen.

Was auch immer sie erlebt hat, es scheint tiefe Wunden hinterlassen zu haben.

»Oh mein Gott, Kind, was ist denn los?« Mutter streicht ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht, doch das Schluchzen wird mit jeder Sekunde nur lauter und emotionaler.

»Es tut mir leid.« Mindy wischt sich die Augen mit dem Handrücken trocken. »Ich … ich hätte mich besser beherrschen müssen, aber …« Sie stockt, während die Tränen langsam die Oberhand gewinnen.

»Es wird besser sein, wenn du erst mal nach oben gehst und dich ein wenig ausruhst«, schlägt Mutter vor, doch Mindy scheint sich einfach nicht beruhigen zu können. Mit zitternden Fingern zieht sie ein Papiertaschentusch aus ihrer Hosentasche und schnäuzt sich die Nase.

Ich möchte mich bei ihr entschuldigen, weiß aber nicht genau, wofür – also stehe ich einfach nur da und betrachte diese fremde Frau, die von einer Sekunde auf die andere zu meiner Cousine ernannt wurde.

Kapitel 4

Cedric

»War es wirklich nötig, sie so unter Druck zu setzen?« Mutter kippt sich etwas Kaffee aus der alten Porzellankanne in ihre Tasse und bleibt am Küchenfenster stehen.

»Man wird doch wohl nach all den Jahren ein paar Fragen stellen dürfen.« Ich lege ihr Handy neben den Brotkorb auf der Küchenanrichte. »Sorry, aber ich habe heute echt keinen Nerv mehr, dein neues Handy einzurichten. Können wir das auch ein anderes Mal machen?«

»Vergiss das Handy!« Sie schaut mit der Tasse in der Hand gedankenverloren nach draußen. »Wir haben jetzt Wichtigeres zu tun.«

Ich setze mich auf die hölzerne Sitzbank und lehne mich seufzend zurück.

»Tut mir leid«, murmele ich. »Ich wollte diese Frau nicht verwirren. Aber erwartest du wirklich, dass ich einfach so in den Alltag übergehe?«

»Diese Frau?« Mutter dreht sich um. »Es ist Mindy, über die wir hier reden, Cedric.«

»Ja, sie sieht ihr ähnlich, aber woher willst du wissen, dass sie es wirklich ist?«

»Sie sieht ihr nicht nur ähnlich.« Mutter ballt die Hand zur Faust und presst sie gegen die Brust. »Es ist Mindy!«

»Ist ja schon gut.« Ich hebe abwehrend die Hände. »Vermutlich hast du ja auch recht. Ein Grund mehr, dass ich Fragen stellen will.«

»Wir werden sicher noch unsere Antworten bekommen.« Mutter setzt sich neben mich. »Bis dahin ist es aber umso wichtiger, dass wir sie nicht unter Druck setzen. Was auch immer sie erlebt hat, es muss ziemlich schlimm gewesen sein, wenn sie nicht darüber reden will.«

»Also, fassen wir zusammen«, antworte ich etwas gereizt. »Sie hatte damals einen Unfall, nachdem ihre Erinnerungen an die Vergangenheit von einem Tag auf den anderen verschwunden sind. Und danach hat sie als nicht mal Volljährige ein Leben geführt, über das sie nicht reden möchte, weil es zu viele schlimme Erinnerungen aufwühlt.«

»So, wie du das sagst, klingt es, als wäre sie eine Betrügerin.« Mutter hebt die Augenbrauen. »Welchen Grund hätte sie, uns auszutricksen oder zu belügen? Schließlich sind wir keine vermögende Familie oder so.«

Ihr Argument bringt mich zum Grübeln.

Stimmt. Welchen Grund hätte sie, uns zu belügen? Nicht den geringsten. Trotzdem bleibt eine gewisse Skepsis.

»Du solltest etwas mehr Geduld mit ihr haben«, fährt Mutter fort. »Sonst ist sie verschwunden, bevor wir uns überhaupt an sie gewöhnt haben.«

»Ich wollte sie nicht zum Weinen bringen. Aber ich kann auch nicht einfach so tun, als wäre es völlig normal, dass sie plötzlich wieder da ist.«

»Trotzdem, du hättest etwas sensibler sein können.« Mutter steht wieder auf und öffnet die Ofentür. »Mist! Beinahe hätte ich vergessen, den Apfelkuchen aufzuschneiden. Ich hatte Mindy doch ein Stück versprochen. Brennt das Feuer im Kamin eigentlich noch?«

»Ich habe vorhin erst ein Stück Holz raufgelegt.« Ich stehe auf. »Merkst du denn nicht, wie warm es hier drinnen ist?«

»Natürlich.« Sie stellt das Kuchenblech auf die Anrichte. »Tut mir leid. Ich stehe total neben mir.«

»Verständlich«, antworte ich, während mich langsam das schlechte Gewissen überkommt.

War ich vielleicht doch etwas zu neugierig? Und warum bin ich so misstrauisch?

»Vielleicht sollte ich zu ihr hochgehen«, sage ich. »Um nochmal mit ihr zu reden.«

»Um sie noch mehr unter Druck zu setzen?« Mutter holt ein Messer aus der Schublade und beginnt, den Apfelkuchen in Stücke zu schneiden.

»Nein, natürlich nicht.«

Sie schaut skeptisch zu mir auf. »Bist du dir sicher?«

»Mach dir keine Sorgen, Mutter.« Ich drücke ihr einen Kuss auf die Wange. »Ich weiß, was ich tue.«

Doch als ich die Küche verlasse und die Stufen hinaufgehe, wird mir klar, dass ich absolut nicht weiß, was ich tue. Alles, was ich weiß, ist, dass diese Frau irgendetwas in mir auslöst, das keine Cousine bei ihrem Cousin auslösen sollte.

Kapitel 5

Lucia

Es ist erst kurz vor fünf, doch die Abenddämmerung hat bereits begonnen und verdunkelt den Blick auf das Terrassendach, das ich vom Fenster des Gästezimmers aus sehen kann.

Bedeckt mit einem bunten Teppich aus Kastanienblättern ist ein auf dem Dach gelandeter Fußball kaum zu sehen. Sicher haben ihn die Nachbarskinder dort hinaufgeschossen. Oder hat diese Tante Ida bereits Enkelkinder, die gern vor ihrem Haus spielen?

Die Tränen auf meinen Wangen sind mittlerweile getrocknet. Übrig bleibt das gewohnte Gefühl aus Angst und Wehmut, das mittlerweile zu meinem treuen Begleiter geworden ist.

Warum zum Teufel konnte ich mich in Gegenwart der beiden nicht zusammenreißen? Dieser Cedric hat ohnehin schon die ganze Zeit so skeptisch geschaut, da hat mein spontaner Gefühlsausbruch sicher nicht gerade dazu beigetragen, dass er mir vertraut.

Unschlüssig, was ich als nächstes tun soll, setze ich mich auf das breite Bett mit der bunten Patchwork-Decke darauf und lasse mich mit ausgestreckten Armen zurückfallen.

Was für ein friedliches altes Haus.

Roter Backstein, nussbraune Fensterrahmen – und eine Inneneinrichtung, die nicht gemütlicher sein könnte. Etwas in mir sehnt sich danach, einfach hier zu bleiben und alles andere zu vergessen, wenigstens für eine Weile.

Während ich mich dieser wohltuenden Illusion hingebe, schließe ich die Augen, nur um schon kurz darauf wieder hochzuschrecken.

Panisch fahre ich in die Höhe, als mich das Klopfen an der Tür aus den Gedanken reißt.

»Ja?«, antworte ich nervös.

Als dieser merkwürdige Cedric das Zimmer betritt, setzt mein Herzschlag kurz aus.

Scheiße, dieser Blick! Als würde er mich durchleuchten.

Liegt es an seiner Skepsis oder ist da noch etwas anderes in seinen Augen?

»Hallo.« Er lächelt verhalten, während er hineintritt und die Tür hinter sich einen Spalt offenstehen lässt.

»Hallo«, murmele ich etwas verlegen.

Das Licht der Stehlampe neben der Eichenholzkommode ist eher schummrig, dennoch frage ich mich, ob er sehen kann, dass ich rot geworden bin.

»Ich hoffe, du konntest dich etwas«, er sucht nach der richtigen Formulierung, »runterfahren.«

Ich falte die Hände ineinander und trete einen Schritt zurück.

»Na ja«, antworte ich zögernd, »irgendwie schon. Keine Ahnung, es ist alles noch sehr …«, ich schlucke schwer, »verwirrend.«

»Das verstehe ich«, antwortet er in einem Tonfall, den ich nicht so recht einordnen kann.

Ohne den Blick auch nur eine Sekunde von mir abzuwenden, geht er um das Bett herum, setzt sich und legt die Hand neben sich. »Setz dich doch«, sagt er und sorgt mit seiner sanften Stimme dafür, dass ich nur noch nervöser werde.

»Ich … ähm …«

»Keine Angst«, er lächelt kaum sichtbar, »ich beiße nicht.«

Nach kurzem Zögern setze ich mich mit etwas Abstand neben ihn, während ich mir ein gequältes Grinsen abringe.

»Ich wollte mich bei dir entschuldigen«, sagt er schließlich. »Ich hätte dich nicht so ausfragen dürfen. Nicht ohne Vorwarnung. Und vor allem nicht, ohne zu wissen, was du durchgemacht hast.«

Ich bin nicht sicher, wie ich seinen Kommentar deuten soll. Ich bilde mir ein, noch immer einen Hauch von Ungläubigkeit in seiner Stimme wahrzunehmen, doch in seinen Augen kann ich auch echte Reue sehen.

»Schon okay«, antworte ich. »Ist ja klar, dass du nach all den Jahren Fragen hast. Und es tut mir leid, wenn ich sie dir nicht beantworten kann.«

Anstatt etwas zu antworten, sieht er mich dermaßen eindringlich an, dass ich nicht anders kann, als ihn einfach anzustarren.

Dieser Blick!

Dieses sanfte Lächeln.

Ich sollte aufstehen und hier verschwinden. Auf der Stelle! Was auch immer ich mir bei diesem verrückten Plan gedacht habe, der eigentlich zu konfus ist, um überhaupt als Plan bezeichnet zu werden – ich sollte ihn so schnell wie möglich wieder vergessen. Doch stattdessen sitze ich regungslos da und verliere mich im Blick eines Mannes, den ich nicht kenne und der mich anschaut, als würde er jedes meiner Geheimnisse direkt von meiner Stirn ablesen.

»Ich muss zugeben, dass es mich noch immer sehr verwirrt, dass du wieder da bist«, sagt er nach einer Weile.

Die skeptische Falte auf seiner Stirn ist inzwischen gewichen. Fast kommt es mir so vor, als würde er sich langsam tatsächlich auf den Gedanken einlassen, dass ich wirklich diese Mindy bin.

»Mich verwirrt es auch«, ist alles, was ich herausbekomme, ohne dass meine Stimme zu zittern anfängt.

»Als du damals von einem Tag auf den anderen weggelaufen bist, hat das unser aller Leben auf den Kopf gestellt«, fährt er fort.

»Das tut mir sehr leid.« Ich lege die Hände in den Schoß und schaue zu Boden. »Ich wollte niemandem wehtun. Nehme ich zumindest an. Ich … ich weiß ja nicht mehr, was damals in mir vorging. Alle Erinnerungen sind verschwunden.«

Noch während ich das ausspreche, frage ich mich, ob es tatsächlich möglich ist, sein Gedächtnis für immer zu verlieren und sich nicht an seine eigene Vergangenheit zu erinnern.

»Genau deshalb bin ich gekommen.« Er zieht einen Umschlag aus der hinteren Hosentasche und holt ein gefaltetes Blatt Papier heraus. Kurz senkt er selbst den Blick auf den Brief, während er ihn auseinanderfaltet, dann reicht er ihn mir.

»Was ist das?«, frage ich verwirrt.

»Das ist der Brief, den du damals zurückgelassen hast«, sagt er. »Ich dachte mir, dass du ihn vielleicht gern lesen würdest. Mutter hat ihn all die Jahre in ihrer Schreibtischschublade aufbewahrt.«

Ich spüre, wie das Unbehagen in mir größer wird, versuche jedoch, mir nichts anmerken zu lassen.

»Danke«, flüstere ich, während ich den Blick auf den Brief senke und zu lesen beginne.

Liebe Tante Ida,

lieber Cedric,

es ist nicht leicht für mich, das zu schreiben, aber es muss sein. Es ist jetzt fünf Monate her, dass Mama und Papa nicht mehr da sind. Du hast gesagt, dass es leichter wird, Tante Ida, aber weißt du was? Es ist sogar noch schlimmer geworden!

Es tut so weh und ich vermisse die beiden jeden Tag mehr.

Ich weiß, du meinst es nur gut, wenn du ständig etwas mit mir unternehmen willst oder Cedric überredest, mich immerzu mit zu seinen Freunden zu nehmen, damit ich mich nicht alleine fühle.

Aber in Wirklichkeit geht es mir dadurch nur noch schlechter.

Warum musste das passieren? Warum musste ausgerechnet MEINE Familie zerbrechen?

Du und Cedric seid immer so gut zu mir, aber auch wenn ihr euch anstrengt, niemand kann mir Mama und Papa ersetzen. Egal, was ich tue, ich habe das Gefühl, völlig allein zu sein. Auch die Schule kotzt mich nur noch an.

Welchen Sinn soll es haben, überhaupt noch dorthin zu gehen? Wozu lernen, wenn doch am nächsten Tag schon alles vorbei sein kann?

Ich halte es hier nicht mehr aus. Ich muss weg. Weg von allem.

Ich habe keine Ahnung, ob ich wiederkomme und wann ich wiederkomme. Bitte sucht nicht nach mir und lasst mich einfach meinen Weg gehen.

Ja, ich bin erst fünfzehn, aber Papa hat immer gesagt, dass ich meinem Alter weit voraus bin, und ich glaube, das stimmt.

Danke für alles, liebe Tante Ida. Sag das bitte auch Cedric. Dass ich gehe, hat nichts mit euch beiden zu tun. Ihr habt euer Bestes gegeben, aber das reicht eben nicht. Ich muss meinen Weg selbst finden. Wo der mich hinführt, weiß ich noch nicht.

Alles, was ich weiß, ist, dass ich weg muss.

Ganz weit weg.

In Liebe

Eure Mindy

Ungläubig starre ich auf das Papier in meinen Händen. So alt dieser Brief auch sein mag, für einen kurzen Moment kommt es mir so vor, als hätte ich ihn selbst geschrieben. Auch wenn unsere Schicksale völlig unterschiedlich sind, fühle ich mich diesem Mädchen von damals dennoch auf seltsame Weise verbunden.

Alles, was ich weiß, ist, dass ich weg muss.

---ENDE DER LESEPROBE---