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Heikes allererste Präsentation geht so grandios in die Hose, dass sie noch am gleichen Tag gefeuert wird. Hätte sie nicht ihren Hausschlüssel verloren, hätte sie die unselige Firma Hamm nie wieder betreten. So bleibt sie mit einem der unzufriedenen Kunden bei Hamm im Aufzug stecken und streitet sich mit Hingabe mit ihm. Dass währenddessen dort ein Mord geschieht, erfährt Heike erst am nächsten Tag. Und dann will Jakob Hamm auch noch, dass sie ihm hilft, den Mord aufzuklären... Heike hat absolut keine Lust, aber Hamm kann sehr überzeugend sein - und auch eigentlich ganz nett. Sehr nett sogar. Heike fällt es immer schwerer, ablehnend zu bleiben. Als sie dem Täter immer näher kommen, wächst auch die Gefahr – und die Zuneigung.
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Seitenzahl: 594
Veröffentlichungsjahr: 2015
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Alles frei erfunden!
Imprint Fehlstart. Kriminalroman
Elisa Scheer published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de Copyright: © 2015 Elisa Scheer
Als ich aufwachte, wusste ich sofort, dass ein perfekter Tag vor mir lag. Einen Moment lang räkelte ich mich mit geschlossenen Augen und genoss die Vorfreude – beruflich der Meistercoup, und privat: Vielleicht würde Tom mich heute fragen, ob wir nach der Arbeit etwas trinken gehen würden? Er war ja so süß! Und wir passten perfekt zusammen, fand ich – er war Schütze, und ich war Wassermann, er war rothaarig, ich war rothaarig (wie rothaarig würden dann erst unsere Kinder sein?), er war die idealen zwei Jahre älter als ich, achtundzwanzig seit dem letzten November, und er hatte keine blöden Hobbys wie Fußball oder Motorräder hochfrisieren... Sogar Geschmack hatte er, aber das war in der Werbung vielleicht nicht so ungewöhnlich.
Herrlich... mein erster Job, und gleich so eine wichtige Präsentation!
Verdammt still war es hier – wieso brabbelte denn der Radiowecker nicht vor sich hin? Ich hatte ihn doch auf sechs Uhr gestellt? War es noch zu früh? Wahrscheinlich, das musste die Vorfreude sein. Ich öffnete die Augen. Helles Tageslicht, ziemlich hell wenigstens.
Scheiße!! Es war zwanzig nach sieben! O Gott – um halb neun musste ich bei Hamm sein, um die Präsentation vorzubereiten! Ich schoss aus dem Bett, schlug mir den großen Zeh schmerzhaft an der Badezimmertür an und starrte in den Spiegel. Bravo!
Die Haare standen mir wüst zu Berge, die musste ich schnell noch waschen. Und da – ein Pickel unter dem Mundwinkel! Den konnte man abdecken, bis jetzt spürte ich ihn eher, als dass man ihn sehen konnte. O Gott, ich sah aus wie das sprichwörtliche Huhn unterm Schwanz! Omas grobe Sprüche...
In Eile wusch ich mir das Gesicht, putzte mir die Zähne, verkniff es mir, an dem Pickel herumzudrücken - der war noch nicht so weit - und sprang unter die Dusche. Mit tropfnassen Haaren fischte ich dann nach einem Handtuch. Äh, das war muffig. Und feucht von gestern, ich hätte es doch über die Heizung hängen sollen. Und ich hätte die Heizung hochdrehen sollen, es war saukalt hier. Bibbernd trocknete ich mich ab und versuchte, die nassen Zotteln auszukämmen.
Plötzlich knackte es und der Kamm zerbrach; eine Hälfte fiel in hohem Bogen ins Klo. Wieso machte ich auch nie den Deckel zu! Ich fischte sie angewidert heraus und schrubbte mir die Hände. Ersatzkamm... Ersatzkamm – nein, den hatte ich im letzten Urlaub verloren. Mit der übrigen Hälfte entwirrte ich meine langen, glatten Strähnen und föhnte sie ein bisschen an. Zehn nach halb acht. Ich hatte mir das Kostüm doch gestern herausgehängt, oder?
Nein, ich hatte es mir heraushängen wollen und es dann doch vergessen. Ich stolperte über herumliegende Kleider, Zeitschriften, Bücher und zwei abgegessene Teller ins Zimmer zurück und riss die Schranktüren auf. Immerhin, da hing es ja, korrekter grauer Wollstoff. Mäßig schick, aber so viel Geld konnte ich auch wieder nicht ausgeben. Und dazu... das grau-weiß gestreifte T-Shirt?
Ich suchte es. Ich fand es auch. Und der Erdbeermarmeladenfleck war in der Wäsche nicht wirklich rausgegangen, merkte ich jetzt. Mist! Vielleicht das himbeerrote? Nein, das biss sich mit meinen roten Haaren, es war ein Fehlkauf, eindeutig.
Das blassgelbe... ja, gute Idee. Bloß – wo war es? Ich blätterte den Stapel T-Shirts durch und wurde fündig. Leider auf dem Schrankboden. Zerknüllt und muffig, das hatte ich schon mal angehabt. Der Rest passte nicht zum Kostüm oder war total ungebügelt. Also doch das gestreifte. Die Jacke musste dann eben zubleiben. Zehn vor acht. Wäsche... Strumpfhosen – Laufmasche. Mein Traumtag fing ja wirklich toll an, es konnte nur noch besser werden.
Ich fand eine andere, auch mit Laufmasche, aber ganz oben. Schnell kleckste ich farblosen Lack darauf und hoffte das Beste. Schwarze Pumps mit halbhohem Absatz... Tasche... Handy, Geld, Filofax, um professionell zu wirken...
Der linke Schuh saß irgendwie verdächtig locker, aber darauf konnte ich jetzt keine Rücksicht mehr nehmen. Fünf vor acht, eine Viertelstunde brauchte ich mit dem Auto bis in die Zollinger MiniCity... Fönen! Und schminken!
Ich fönte meine Haare wenigstens vorne und band sie dann mit einer schwarz-silbernen Spange zurück. Gar nicht übel. Make up, Puder, etwas Kajal – verschmiert, Scheiße aber auch. Ich besserte den Kajal mit einem Ohrenstäbchen aus, wartete, bis meine Augen nicht mehr tränten, und tuschte mir rasch die Wimpern. Lippenstift, Parfum, Autoschlüssel. Halt, Mantel an!
Und schnell gehen durfte ich auch nicht, draußen war es mal wieder glatt und verschneit. Ich stakste in den Hof, fegte den Neuschnee vom Wagen und stieg ein. Wenigstens lagen die Poster, die Mappe mit der Präsentations-CD und die Tüte mit den Demoverpackungen noch brav auf dem Rücksitz. Ich schnallte mich an und drehte den Zündschlüssel. Nichts. Noch mal.
Wieder nichts. Und es klang sehr nach sterbendem Schwan. Fünf nach acht!
Also wieder raus aus dem Auto, das Material gerafft, das Handy gegriffen.
Ja, die Taxizentrale würde einen Wagen schicken. Rheinbergerstraße 17, sie hatten verstanden. In zehn Minuten.
Das wurde knapp. Ich stellte mich mit dem rutschenden Kram an die Straße und hielt fieberhaft Ausschau nach dem Taxi. Schnell, Mensch!
Und jetzt begann es auch noch zu schneien! Wütend warf ich das Handy in die Tasche zurück und versuchte, die Poster vor dem Nasswerden zu schützen – aber wenn ich sie unter meinen Mantel steckte, verknitterten sie – wie sah denn das aus! Endlich, das Taxi!
Ich ließ mich auf den Rücksitz fallen, verknitterte dabei die Poster nun doch und stieß die Adresse hervor. Hier drin musste einer eine ganz, ganz billige Zigarre geraucht haben, es stank erbärmlich. Und es war heiß. Ich spürte förmlich, wie sich mein frisches Make up wieder auflöste.
Immerhin, um fünf nach halb rannte ich schleudernd auf den Haupteingang der Hamm KG zu. Tom wartete schon in der Halle, und von seinem üblichen sonnigen Lächeln war nichts zu sehen. „Wo bleibst du denn?“, zischte er.
„Auto hat versagt“, keuchte ich. „Komm, bauen wir auf!“
Wir rannten in den zweiten Stück, wo sich, wie man uns mitgeteilt hatte, der Präsentationsraum befand. Noch niemand da, wenigstens etwas. Nur die Geräte standen herum. Laptop, Beamer, nichts verkabelt, nichts aufgebaut.
„Du machst die Präsentation“, sagte Tom plötzlich, als ich noch versuchte, die feuchten Poster zu glätten. „Wir müssen so toll sein, dass sie die anderen gar nicht mehr zu Kenntnis nehmen. Eine irre Chance, dass wir die ersten sind.“
„Wir haben doch auch ein irres Konzept“, antwortete ich und packte unseren Kram aus. „Gibt´s hier kein Verlängerungskabel? Und wieso kannst du das nicht machen?“
„Ich bin heute nicht richtig konzentriert. Die Macht der Liebe...“ Er grinste entzückend. Ich lächelte zurück. „Meinst du, mir geht es anders?“
„Sie ist so zauberhaft“, murmelte er und reichte mir ein Verlängerungskabel, das er unter dem Konferenztisch entdeckt hatte. Sie? Da hatte ich mich ja wohl verhört!
„Von wem sprichst du?“, fragte ich kokett und wartete darauf, dass er sagte Na, von dir natürlich. Ich führe schon Selbstgespräche, so verknallt bin ich.
„Von Carla. Ist sie nicht wunderschön?“
„Welche Carla?“, fragte ich mit tauben Lippen und rückte den Laptop zurecht, bevor ich ihn hochfuhr.
„Die kennst du doch, diese schnuckelige Schwarzhaarige, die am ersten in der Finanzabteilung angefangen hat. Die mit den grünen Kulleraugen.“
„Ach so, ja. Die gefällt dir?“
„Genau mein Typ. Und heute Abend wollen wir zusammen weggehen. Drück mir die Daumen, ja?“ Ich brummte. Was hätte ich sagen sollen? Mit zittrigen Fingern fummelte ich die Kabel in die Buchsen und loggte mich mit dem Gastzugang ein, dann schaltete ich den Beamer ein. Nichts, kein Bild an der Wand, obwohl auf dem Laptop-Display bereits die Startseite prangte. Hamm KG hatte sogar ein eigenes Hintergrundbild.
„Ich find das toll, dass ich mit dir über so was reden kann. Bist ein echter Kumpel, Heike“, fand Tom, der gerade die Poster an den Flipcharts befestigte und das weiße oberste Blatt dann als Sichtschutz davorhängte.
Toll, Kumpel hatte ich immer schon sein wollen.
Ich klickte mich verzweifelt durch die Systemsteuerung, bis ich das Display-Bild auf den Beamer umgeleitet hatte. So, na endlich – und warum war immer noch nichts zu sehen? Ach ja – Input drücken...
Nichts, noch mal.
Jetzt – Gott sei Dank! Ich legte die CD ein und rief die Präsentation auf, in verbissenem Schweigen. Tom schwieg nicht. „Und diese tolle Figur – findest du nicht? Mensch, hoffentlich läuft da heute Abend was...“
„Willst du sie bloß flachlegen oder was?“, fragte ich, nun doch zornig.
„Was? Wieso? Na, nicht nur flachlegen – aber das natürlich auch... Sie schaut aus, als wär sie eine Kanone im Bett.“
„Wie schaut man denn aus, wenn man eine Kanone im Bett ist?“, fragte ich mit abgewandtem Gesicht und rief die erste Folie auf. Ja, okay.
„Na, so wie Carla eben. Heißer Feger.“ Und ich war also keiner. Wirklich nett. „Viel Erfolg mit ihr“, wünschte ich verkniffen und arrangierte die Verpackungsmuster neu. „Danke. Und du stellst das Konzept vor, ja?“
„Muss das sein? Ich hab so was noch nie gemacht!“
„Einmal musst du´s ja lernen, oder?“ Aber doch nicht gleich jetzt, maulte ich im Stillen. Konnte ich nicht erstmal zugucken? Und jetzt war es schon fast neun Uhr! Eine Sekretärin kam herein, mit Kaffee, Geschirr und Gebäck. Jetzt wurde es langsam ernst. Ich rekapitulierte im Geiste noch mal unser Konzept. Eigentlich war es gut, aber so gut... So ein Knüller waren die Kleinlederwaren, die die Hamm KG herstellte, ja nun auch wieder nicht. Welche Sensationen ließen sich von Brieftaschen und Gürteln schon erwarten?
Hastig unterdrückte ich diese Gedanken – jetzt war Begeisterung angesagt!
Die Tür öffnete sich, und eine kleine Prozession trat ein. Drei Männer, eine Frau. Alle schüttelten uns die Hand, ich verstand keinen einzigen Namen, murmelte nur immer „Unger, guten Morgen“ und begann mich richtig zu fürchten. Außerdem war mir heiß – im letzten Moment fiel mir ein, dass ich die Kostümjacke nicht öffnen durfte. Dieser blöde Fleck!
Ich betrachtete mir die vier, während sie sich umständlich setzten. Die Frau sah sehr kompetent aus, schickes Kostüm, hellblonde, gut geschnittene Haare, perfektes Make-up und einen gewaltigen Terminplaner in der Hand – fast schon DIN A 3, so sah es jedenfalls aus. Sie erwiderte meinen Blick kühl. War das die Chefin? Der junge Kerl neben ihr in dem etwas schlampigen grauen Anzug und der schief sitzenden Krawatte – rosa, zu einem dunkelgrauen Hemd! – war es schon mal nicht, so weit kannte ich mich schon aus in den Chefetagen.
Eher schon der dickliche Ältere, der seine restlichen schwarzen Haare in bewährter Manier über die kahlen Stellen gebürstet hatte und ganz offensichtlich zu hohen Blutdruck hatte. Der setzte sich auf die andere Seite der Frau. Chef – oder Stellvertreter? Und der dritte – der sah aalglatt aus, aber so, als wüsste er wirklich Bescheid. Dem traute ich das sicherste Urteil zu – nur, war das gut für uns? Die dunklen Haare glatt zurückgekämmt und glänzend: Hatte der sich Gel ins Haar geschmiert? Aber der dunkelblaue Anzug war schick. Und die Krawatte mit dem kleinen Wappen wirkte sehr edel. Schade, dass ich nicht rechtzeitig auf die Schuhe geachtet hatte – in einem Businessmagazin hatte ich mal gelesen, dass man an den gepflegten Schuhen erkannte, wie wichtig jemand war. Alle vier sahen mich erwartungsvoll an. Dann also mal rein ins kalte Wasser! „Ja, also...“
Mist, so sollte man doch nicht anfangen! Ich räusperte mich verlegen.
„Guten Morgen, meine Damen und Herren...“ Ich verstummte wieder. Konnte man das sagen, wenn nur eine Dame anwesend war? Egal, eh zu spät.
„Mein Name ist Heike Unger von MediAdvert, das ist mein Kollege Tom Hartwig, und wir möchten Ihnen unser Konzept für Ihre neue Werbestrategie vorstellen...“
Bisschen bieder, aber wenigstens kam ich langsam in Schwung. Ich blätterte das erste Poster auf, sprach von Corporate Identity, der Notwendigkeit eines neuen Logos, präsentierte Entwürfe, faselte von hochklassigen Produkten und Hochpreissegmenten (diesen Käse hatte ich schon recht gut drauf), legte Zielgruppenanalysen, real und angepeilt, vor und startete schließlich die Präsentation. Aber eine gewisse Unruhe im Publikum zeigte mir schließlich, dass ich irgendwann einmal zu viel geklickt hatte – die Folien eilten meinem Vortrag etwas voraus.
Ich warf Tom einen flehenden Blick zu, aber er reagierte nicht. Also blieb mir nichts, als mich für den Fehler zu entschuldigen und mit etwas zittriger Stimme meinen Vortrag weiterzuführen. Wir hatten alles auf schicke junge Leute, die Hamms Lederwaren als Statussymbol benutzten, abgestimmt und nun kam es mir vor, als hätten wir alte Lord extra-Plakate kopiert.
Sehr überzeugend fand ich mich nicht, auch nicht, als ich die Entwürfe für Verpackungen herumreichte und erklärte, warum Lederwaren von erstklassiger Qualität unbedingt in Pappschachteln verkauft werden mussten und wie man es erreichen konnte, dass das Hamm-Logo so bekannt würde wie das von Chanel oder Etienne Aigner. Schließlich verstummte ich mit den wirklich genialen Schlussworten. „Tja, das war´s...“
Damit schaltete ich elegant den Beamer aus, aber erst, als es etwas verbrannt zu riechen begann, fiel es mir siedendheiß ein – nur auf Standby, bis der Ventilator verstummt war, sonst brannte er durch! Hastig machte ich einen Schritt, um ihn wieder einzuschalten, bevor er ruiniert war, aber in diesem Moment gab mein lockerer Schuh endgültig nach, ich stolperte, stieß gegen den Laptoptisch und warf ihn um. Einen Moment starrte ich regungslos auf die Bescherung, dann hob ich den Laptop auf. In seinem Inneren klirrte etwas... Scheiße, der war hin. Und der Beamer war immer noch ausgeschaltet und roch verbrannt. Und ich stand da, ein Schuh mit, einer ohne Absatz. Zwei Geräte ruiniert. Außerdem hatte ich die letzten beiden Poster nicht mehr vorgezeigt, aber darauf kam es jetzt wohl auch nicht mehr an.
Eisiges Schweigen. Dann sahen die vier sich lange an. Mein Blick irrte zu Tom, der mir einen tadelnden Blick zuwarf, aber nicht eingriff.
Der junge Kerl im grauen Anzug lehnte sich zurück und legte ein Bein angewinkelt über das andere. „Tja... ich fürchte, so ganz überzeugend war das nicht. Trotzdem vielen Dank für Ihren Beitrag. Wegen der Beschädigungen wenden wir uns wohl am besten an Ihre Agentur.“
„Ja“, murmelte ich mit gesenktem Kopf und begann, unseren Demokram einzusammeln. „Tut mir ehrlich Leid. Mein Schuh...“
„So etwas kontrolliert man doch, bevor man aus dem Haus geht“, tadelte die Frau. Klar, wenn man sich eins von mehreren Schuhpaaren aussuchen kann! Aber direkt nach dem Studium? Erster Job? Da hatte man noch nicht so viel Business-Garderobe! Nur konnte ich das ja schlecht sagen.
„Ich werde es mir merken“, murmelte ich also und packte fertig ein. Das CD-Laufwerk klemmte, ich konnte die CD mit der Präsentation nicht mehr herausholen und ließ es schließlich.
Tom verabschiedete sich gewandt von den vier VIPs, und ich warf meine Handtasche um, sammelte meinen Kram schnell wieder ein und schlich gedemütigt nach draußen.
„Schwache Vorstellung“, sagte Tom draußen. Mir standen die Tränen in den Augen. „Hättest du mir nicht helfen können? Wenigstens den Beamer rechtzeitig wieder einschalten? Dann wäre das am Ende gar nicht erst passiert.“
„Es war deine Show, nicht meine.“
„Aber es war unser gemeinsames Projekt! Wolltest du nicht, dass wir den Auftrag kriegen? Es ist doch klar, dass ich das alleine nicht so hinkriege – ich hab noch nie vorher eine gute Präsentation gesehen!“
„Wir hatten vorher doch ausgemacht, dass du es vorführst. Ich bin im Moment zu abgelenkt. Jetzt jammere nicht rum, glaubst du, andere haben noch nie eine Präsentation in den Sand gesetzt? So tragisch ist das nicht.“
„Ach nein? Und was glaubst du, sagt Suhrbier, wenn er erfährt, dass ich die Sache vermasselt habe?“
„Der soll sich nicht so haben, jeder vermasselt mal was. Komm, nun lach mal, Kumpel!“ Wir verstauten den Kram in Toms Smart, in den die zusammengerollten Poster schon kaum hineinpassten, und tuckerten zur Agentur. „Kommst du mit zu Suhrbier?“
„Nein, ich hab gleich eine Besprechung wegen dieser Erkältungsbäder... das schaffst du schon. Da muss jeder mal durch. Kopf hoch!“
Toll – und jetzt alleine zu einem bestimmt tobenden Chef! Elf Uhr... bis zur Mittagspause hatte er mich bestimmt auf Millimetergröße zusammengefaltet. Und den Schaden würde er mir vom Gehalt abziehen...
Und wie Suhrbier tobte!
Ich saß auf dem Armesünderstühlchen, während er auf und ab marschierte.
„Das darf doch nicht wahr sein! Wochenlange Arbeit, und das einzige, was Sie zustande bringen, ist ein Schaden von ein paar tausend Euro! Was stellen Sie sich eigentlich unter einer Präsentation vor? Das, was Sie da geboten haben? Was haben Sie gleich wieder zerstört?“
„Den Laptop und den Beamer“, flüsterte ich. „Es war ein Unfall. Oder besser ein Versehen...“
„Na, toll! Da bin ich ja heilfroh, dass Sie es nicht mit Absicht gemacht haben, dass Sie nicht einen Kick kriegen, wenn Sie anderer Leute Geräte einfach so vom Tisch fegen... Sind Sie eigentlich übergeschnappt?“
Er marschierte wieder auf und ab; das kragenlose Hemd hing ihm aus der Hose und flatterte hinter ihm her, und die etwas schütteren blonden Haare, die er sich sehr ausdrucksstark gerauft hatte, standen ihm zu Berge.
„Und was haben die gesagt? Nicht so überzeugend? So eine deutliche Ablehnung ist mir noch nie untergekommen. Das ist eine Schmach und eine Schande für unsere Agentur, und das ist ganz alleine Ihre Schuld.“
„Ich wusste doch gar nicht, wie man so was professionell macht“, flüsterte ich.
„Dann hätten Sie es eben Tom überlassen sollen! Drängen Sie sich doch nicht so vor, wenn Sie keinen blassen Schimmer haben, wie man eine Präsentation vorführt!“
Er hat mich doch gezwungen, dachte ich unglücklich. Ich hab mich wirklich nicht darum gerissen, diese schwache Vorstellung zu bieten. Sollte ich das sagen? Oder wäre das gepetzt? Nein, ich wollte Tom nicht mit reinziehen. Er hatte doch auch nicht ahnen können, dass ich mich so dumm anstellen würde. Eingreifen hätte er allerdings schon können, aber vielleicht dachte er, das wäre zu peinlich für mich? „Es tut mir Leid“, flüsterte ich; mehr fiel mir jetzt auch nicht mehr ein.
Suhrbier marschierte weiter auf und ab; dann drehte er sich abrupt zu mir um. „Und wie soll das jetzt weitergehen? Was schlagen Sie vor?“
„Bei den nächsten Präsentationen schaue ich erstmal nur zu, bis ich weiß, wie es geht. Und wegen der Geräte frage ich meine Versicherung“, schlug ich vor.
„Das ist alles? Sie glauben, damit ist es gut? Laptop und Beamer – das sind zusammen gut fünftausend Euro, mehr als zwei Monatsgehälter – und darauf sollen wir monatelang warten? Nein, nein, Mädchen – so nicht. Und die nächsten Präsentationen – ja, glauben Sie, ich lasse Sie noch mal auf Kunden los? Wahrscheinlich schmeißen Sie auch alles um, wenn jemand Intelligentes die Präsentation macht. Kommt ja gar nicht in Frage! Wie lange arbeiten Sie jetzt bei uns?“
„Fünf Wochen“, murmelte ich und betrachtete meine verschieden hohen Schuhe. „Haben Sie schon Gehalt gekriegt?“
„Nein... das scheint sich verzögert zu haben.“
„Sehr gut. Rechnen Sie nicht mehr damit. Sie sind raus! Fünf Wochen – das dürften dreitausend sein, dann bekommen wir noch zweitausend von Ihnen, noch in dieser Woche, und bar, haben Sie das wenigstens verstanden?“
Wieso bar? „Soll ich die fünftausend nicht lieber an die Hamm KG überweisen? Immerhin waren es deren Geräte“, schlug ich schüchtern vor.
„Widersprechen Sie mir nicht. Sie können heute noch der Friedrichs im Archiv helfen, und dann packen Sie Ihre Sachen, klar? Wenn ich Sie nach heute noch einmal hier sehe – oder auch nur in der Nähe des Büros, dann wandern Sie wegen Hausfriedensbruchs ins Kittchen, Sie beschränkte Kuh, Sie! Und jetzt schaffen Sie mir Ihren Anblick aus den Augen!“
Die letzten Worte brüllte er heraus. Ich verließ Suhrbiers Büro. Grobe Worte, aber er hatte ja Recht, ich war wirklich zu doof. Ich hatte eine dermaßen peinliche Show geboten... In unserem Büro war gerade niemand, umso besser. Schnell fegte ich meine wenigen persönlichen Gegenstände in meine Tasche, räumte den übrigen Kram in die Schreibtischschubladen, bis die Tischplatte total leer war, und trottete dann ins Archiv.
Die Friedrichs war ziemlich fassförmig und watschelte geruhsam zwischen den Regalen herum, in denen alte Projekte, Presseartikel über uns und Dekomaterial ruhten. Sie lächelte. „Strafarbeit? Wie lange?“
„Bloß heute, dann bin ich gefeuert“, erläuterte ich kleinlaut.
„Was haben Sie denn angestellt, Kindchen? Wollen Sie einen Kaffee?“
„Nein, danke.“ Mir war jetzt nach Selbstbestrafung. „Ich hab eine Präsentation vermasselt.“
„Und dann fliegen Sie gleich?“
„Ich war noch in der Probezeit. Und ich hab Geräte des Kunden ruiniert.“
„Na und? Die sind doch alle versichert!“
„Aber Suhrbier will, dass ich sie selbst bezahle.“
„Suhrbier ist eine linke Ratte. Der bescheißt Sie, passen Sie nur auf!“
„Das ist mir jetzt auch schon egal. Was soll ich hier machen?“
Sie wuchtete einen Stapel alte Zeitungen auf den Tisch. „Schauen Sie die mal durch, und wenn was über uns drinsteht, dann kopieren Sie es und legen es mir auf den Tisch. Den Rest schmeißen Sie weg.“
Ja, das schaffte ich wohl gerade noch. Vielleicht sollte ich mir lieber so einen Job suchen? Der überforderte mich wenigstens intellektuell nicht. Ein Magister in Medienwissenschaften und zu doof, einen Beamer richtig herunterzufahren! Oder Turnschuhe anzuziehen, in denen man nicht wegknickte. Oder vorher jemanden um Rat zu fragen, der sich damit auskannte. Oder Tom zu zwingen, die Show selbst zu machen – oder mir wenigstens zu helfen. Aber Tom hatte mir doch bloß eine Chance geben wollen!
Ich las und kopierte den Rest des Tages deprimiert vor mich hin, verweigerte alle Trostangebote von Frau Friedrichs, aß nichts und tat mir Leid. Ich musste mir schleunigst einen neuen Job suchen! Und meinen Eltern beichten, dass ich gefeuert worden war, sonst konnte ich sie nicht anpumpen. Die würden bestimmt wieder zetern! Sie zeterten immer. Sie hatten über meinen Abischnitt gemeckert, über mein Studienfach, darüber, dass ich noch nicht verheiratet war, über mein klappriges Auto, über meine Adresse, über den Job in der Werbung (sie fanden Werbung überflüssig), über meine Haare („Lange Haare, kurzer Verstand“) – kurz, über alles, und am meisten darüber, dass ich doch glatt zwölf Semester bis zum Magister gebraucht hatte.
Wenn ich wenigstens Geschwister gehabt hätte, dann hätte sich die Meckerei besser verteilt, und wir hätten uns halb verständnissinnig, halb genervt zublinzeln können – aber so? Ich war das einzige Kind in der ganzen Verwandtschaft, und alle wussten genau, was aus mir mal werden sollte. Nur Oma war ab und zu gut drauf, aber Geld hatte sie auch keins, bei ihrer kleinen Rente.
Ich kopierte weiter und schleppte dazwischen durchgesehene Zeitungen zur Altpapiertonne, schwitzend und mein einziges Kostüm dabei ruinierend. Ach, wozu brauchte ich es denn noch? Bei MacDonald´s würden sie mir sicher so eine scheußliche Uniform mit gestreiften Bermudas stellen, und einen besseren Job bekam ich doch eh nicht mehr.
Frau Friedrichs legte mir am Nachmittag einen mit Smarties besetzten Krapfen hin, und das rührte mich dann doch.
Und auf den Puderzucker auf meiner Kostümjacke kam es jetzt auch nicht mehr an. Am späteren Nachmittag kam trudelte eine Mitteilung der Personalabteilung an, ich möchte doch, bevor ich das Haus verließe, meinen Firmenausweis, die Garagenkarte und meine Schreibtischschlüssel abliefern.
Das konnten sie haben, die Idioten! Meinen Schreibtisch hatte ich ja schon makellos hinterlassen, bereit für meine sicher viel fähigere Nachfolgerin, und als es halb fünf war, fuhr ich ins Erdgeschoss, knallte der verblüfften Tussi in der Personalabteilung meinen Kram auf den Tisch und erklärte ihr, nun doch gereizt, wenn MediAdvert schon sämtliche Gehaltszahlungen einbehielte –
„Was?“, fragte sie verwirrt.
- dann wollte ich aber wenigstens eine Quittung darüber haben, denn zweimal käme ich für den Schaden nicht auf.
„Was?“, fragte sie noch mal, aber ich erklärte ihr nichts mehr, sondern ging. Und schmetterte die Tür so zu, dass der Putz rieselte.
Einen köstlichen Moment lang stellte ich mir vor, wie das Gebäude, kaum hatte ich es verlassen, langsam in sich zusammenbrach, wie bei diesen Ein-Hochhaus-wird-punktgenau-gesprengt-Reportagen, mit denen sie mir immer den Sonntag verdarben. Recht geschehen würde es ihnen! Allen miteinander! Und die Erschütterung sollte so heftig sein, dass zwei Straßen weiter auch noch die Hamm KG einstürzte und sowohl diese blonde Ziege mit ihren klugscheißerischen Tipps als auch dieses affige Bürschlein (Tja, nicht so überzeugend - was glaubte der eigentlich, wer er war?) unter Tonnen von Staub begrub. Köstlich... ich sah alle meine Feinde husten und keuchen und vergeblich eine Klauenhand ins Freie strecken.
Tom müsste natürlich gerade einen Außentermin haben... Aber um diese Carla wäre es nicht so furchtbar schade, fand ich. Aufgebrezelte Kuh. Schon diese idiotischen Kulleraugen!
Wenn Tom wüsste, was mir passiert war... Vielleicht hatte er meinen verwaisten Schreibtisch ja schon gesehen und putzte Suhrbier gerade fürchterlich herunter? Vielleicht suchte er verzweifelt nach mir, voller Angst, ich würde mir was antun? Klapperte alle Brücken ab?
In der Leiß konnte man sich nicht ertränken. Wenn man von einer Brücke sprang, brach man sich höchstens im Kiesbett ein Bein, so niedrig war der Wasserstand, und so niedrig waren auch die Brücken. Es reichte ja, wenn ein Faltboot drunter durch passte. Vielleicht wartete er vor dem Eingang, weil er angesichts dieses Schicksalsschlags erkannt hatte, wen er wirklich liebte...
Vor der Tür wartete niemand – außer Rüttler, der sich umständlich eine Zigarre ansteckte, dann die Hosenbeine mit Klammern sicherte und unsicher auf sein Rad stieg. Nein, der Tagespförtner war kein Ersatz für Tom. Vielleicht wartete er bei mir zu Hause. Wusste er, wo ich wohnte? Das war leicht rauszukriegen, es gab nur eine Heike Unger im Telefonbuch.
Ich schlappte hoch-tief-hoch-tief zur Bushaltestelle und sah mich dort mürrisch um. Das war überhaupt der Gipfel – Busfahren! Eingepfercht in einen schmuddeligen Bus, in dem es roch, als hätte sich außer mir niemand gewaschen und als würde der Ruß aus den Abgasen nach innen geleitet, anstatt nach Büroschluss lässig mit dem Auto nach Hause zu brausen... Hoffentlich war der Wagen nicht wirklich kaputt, ich hatte absolut kein Geld mehr für eine Reparatur. Nicht, wenn ich gerade fünf Wochen für lau geschuftet hatte.
Morgen Arbeitsamt, notierte ich mir im Geiste und opferte fünfzig Cent für einen MorgenExpress, um dann den Deckel zu heben und festzustellen, dass keiner mehr drin war – nur noch ein Stapel Beilagen Großer Teppich-Räumungsverkauf! Einmalige Gelegenheiten!
Heute war nicht mein Tag, eindeutig. Aber ein HOT! gab´s noch, immerhin. Ich verschwendete ein weiteres Fünfzigcentstück und schnappte mir das schreiend aufgemachte Käseblatt – natürlich nur wegen der Stellenanzeigen. Niemand las Hot! wegen der Schlagzeilen. Männer kauften den Playboy ja auch nur wegen der intellektuell anspruchsvollen Artikel, nicht wegen der nackten Mädels, nicht?
Stellenanzeigen gab es, reichlich sogar. Für Barfrauen, Zeitschriftenwerber, Sous-Chefs, Salade-Chefs, Kellnerinnen, Hilfskräfte im Supermarkt (Regale auffüllen, fünf Euro brutto die Stunde, Schülerinnen bevorzugt), Call-Center-Sklaven, Verkäuferin im Horizont, leichte Reisetätigkeiten. Darunter konnte ich mir nicht viel vorstellen – Vertreter? Abos verkaufen? Koks über die Grenze schaffen? Nichts für mich. Aber im Supermarkt... fünf Euro, das waren an einem Tag doch immerhin vierzig Euro brutto, vielleicht fünfundzwanzig netto...
Ich hätte heulen mögen – für fünfundzwanzig netto Tagesverdienst wäre ich heute Morgen ja nicht mal aufgestanden! Ein Vierer kam. Falsch, ich brauchte den Neuner nach Spitzing-West, da, wo es besonders scheußlich war, nur noch durch die Autobahn von den Slums am Kreuz West getrennt.
Ich fror in dem blöden Kostüm, dem windigen Regenmantel und den dünnen Pumps – und richtig laufen konnte ich auch nicht, ich kam mir vor wie eine Ente, wenn ich zum Fahrplan watschelte – nur um festzustellen, dass der Neuner längst hätte dasein müssen. Wieder ein Vierer. Danach ein Siebener zum Bahnhof. Das nutzte mir auch nichts. Meine Füße wurden langsam feucht; ich hatte das Wildleder schon lange nicht mehr imprägniert. Und die Tasche mit dem Schotter aus meinem Schreibtisch (Glücksbringer, Privatkulis, Handbuch der Werbebranche, Reservestrumpfhose, Notfallschminkzeug, Pfefferminz, Fleckenkiller, Notizblöcke) war ganz schön schwer.
Ich tat mir Leid. Und alle Leute um mich herum schauten zwar genauso griesgrämig wie ich, aber Mitleid hatten sie keins mit mir – ungerührt ärgerten sie sich über ihre eigenen belanglosen Problemchen! He, ich habe gerade meinen Job verloren! hätte ich am liebsten gerufen. Bedauert mich gefälligst!
Jetzt einen Schnaps! Aber hier an der Haltestelle gab´s nur einen anerkannt schlechten Bäcker und die Pilsquelle – und die Gäste dort gaben die Kneipe wahrscheinlich als einzigen festen Wohnsitz an. Nein, so tief war ich auch noch nicht gesunken. Na endlich, ein Neuner. Proppenvoll natürlich.
Drin roch es nach nasser Wolle, ungewaschenen Leuten und den Pommes, die jemand selbstvergessen aß, ohne zu merken, dass ihm die Hälfte auf den Boden fiel und dort rasch zu einem gelblichen Matsch zertreten wurde.
Ich lehnte mich an ein Fenster; in der nächsten Kurve machte sich der Buggy selbständig, der neben mir abgestellt war, fuhr mir ans Bein und ruinierte mir die Strumpfhose. Ich tröstete mich damit, dass sie ohnehin schon eine Laufmasche gehabt hatte, und wehrte die Entschuldigungen der etwas überlastet wirkenden Mutter resigniert ab. Darauf kam´s jetzt wirklich nicht mehr an!
In diesem Bus konnte man zum Menschenfeind werden! Warum guckten die alle so mürrisch – sie hatten doch einen Job? Apropos... ich versuchte, den Stellenteil so zu falten, dass ich weiter lesen konnte, aber ich fand trotzdem nur Barfrauen und Küchenpersonal; dafür wäre ich in der scharfen Kurve, mit der der Bus an der Spitzinger Kirchstraße in die Schleife an der Endstation fuhr, fast noch hingefallen.
Jetzt hatte ich aber wirklich die Schnauze voll – der nächste, der mich schräg von der Seite ansah – oder Gott behüte anquatschte – kriegte eins reingewürgt! Ich raffte meine Tasche an mich, stopfte den sinnlosen Stellenteil hinein und trabte los, in die Rheinbergerstraße. Hässlich war es hier... ich hatte ja gehofft, mir nach einiger Zeit bei MediAdvert einen Umzug leisten zu können, aber das konnte ich jetzt wohl erst mal vergessen.
Die Rheinbergerstraße – benannt nach Mathilde Rheinberger, die um 1880 als Heroine am Stadttheater Starstatus genossen und ihr Vermögen dann der Stadt vermacht hatte – war lang, baumlos und auf beiden Seiten mit Backsteinbauten verschandelt. Hauptsächlich Kleinbetriebe, Autowerkstätten, die aussahen, als könnte man hier auch gefälschte Kennzeichen kriegen, Elektronikbastler, deren Zubehör wahrscheinlich vom Laster gefallen war, zweifelhafte Kneipen, Getränkemärkte, die so gut wie nichts Alkoholfreies führten, dazwischen ein Asia-Imbiss, der so scheußlich kochte, dass seine wahren Einkünfte wahrscheinlich aus dem traditionellen Handel mit geschmuggelten Zigaretten herrührten. Ab und an ein Wohnhaus wie das, in dem ich lebte – drei Etagen, in jeder vier Einzimmerappartements, leicht vergammelt, aber konkurrenzlos billig, was die Miete betraf. Und an der Ecke Ifflandweg gab´s einen 24/7-Waschsalon. Obskur, was die Mitwascher betraf, aber mit funktionsfähigen Maschinen und Trocknern. Außerdem hatte die Meinradstraße – knapp zehn Minuten entfernt – einen Billigmarkt aufzuweisen, und mehr brauchte ich bei meiner Finanzlage nun wirklich nicht.
Immerhin hatten wir einen Vorgarten – echter Luxus! Links und rechts des Plattenwegs, der unter das schief hängende Vordach aus gelbgrau verfärbtem Kunststoff führte, sah man matschigen Rasen, teilweise schneebedeckt, darauf einen zerbrochenen Schlitten, einen einzelnen gelben Wollhandschuh, so viele Kippen, dass wohl jemand seinen Autoaschenbecher hier ausgeleert haben musste, eine Plastiktüte vom Billigmarkt, die müde im Wind flatterte, aber nicht von der Stelle konnte, weil sie von zwei Pflastersteinen beschwert wurde, und eine verrostete Fahrradklingel.
Die Hundekacke zierte natürlich nicht den Rasen, sondern den Plattenweg – ich wich ihr im letzten Moment aus und stieß die Haustür auf. Während ich entenartig die Treppe in den zweiten, obersten Stock erklomm, begann ich, in meiner Tasche herumzuwühlen. Hausschlüssel – der verkroch sich immer sonst wo. Normalerweise hatte ich ihn in der Hosentasche, aber das blöde Kostüm hatte ja keine Taschen.
Nichts. Vielleicht im Seitenfach, ich musste ja bloß die Tasche mal richtig ausräumen. Auf dem Absatz vor meiner Etage gab es ein schmieriges Fenster mit einem merkwürdigerweise blitzblanken Fensterbrett. Dort räumte ich die Tasche komplett aus und drehte sie schließlich sogar um – nichts. Mein Hausschlüssel war weg!
Das konnte doch gar nicht sein! Oder hatte ich ihn heute Morgen vergessen? Nein... den Autoschlüssel hatte ich ja auch gehabt, und der hing mit dran. Also hatte ich ihn mitgenommen – ob mich im Bus einer beklaut hatte? Die Tasche war zu gewesen, Reißverschluss und Lasche mit Druckknopf. Nein, das hätte ich gemerkt. Und ein Taschendieb hätte mir doch wohl eher den Geldbeutel geklaut, aber der war unübersehbar noch da. Die Manteltaschen waren auch leer. Verdammt, wo konnte der Schlüssel sein?
Rausgefallen? Aber dazu war er zu schwer... Es hätte fürchterlich klirren müssen. Klirren... Heute hatte es mal geklirrt, fiel mir ein, aber wann? Und wo?
Genau – bei Hamm! Kurz vor meinem unrühmlichen Abgang hatte ich doch meine Tasche vom Tisch gefegt und dann alles hastig wieder aufgesammelt – dabei musste ich den Schlüsselbund übersehen haben. Sicher lag er dort immer noch unter dem Tisch.
Halb sieben... Wahrscheinlich war dort längst zu, aber vielleicht hatten die ja einen Nachtwächter oder Hausmeister oder sonst einen, der mir weiter helfen konnte. Tja, das half ja nun nichts – ich musste noch mal zurück, sonst blieb mir nichts übrig, als im Treppenhaus zu pennen und morgen meinen Wagen kurzzuschließen. Mal davon abgesehen, dass ich so was gar nicht konnte. Soo bildend war Fernsehen nun auch wieder nicht.
Also zurück zur Bushaltestelle, verdammt. Und es war noch kälter geworden und hatte wieder leicht zu schneien begonnen. Shit happens – und wenn, dann gleich richtig. Andererseits kam der Neuner schon nach zehn Minuten, und er war auch ziemlich leer – wer fuhr um diese Zeit schon in ein Industriegebiet?
Ich setzte mich auf einen Fensterplatz und starrte nach draußen, aber außer ein paar Straßenlaternen sah ich bloß mein eigenes verschmiertes Spiegelbild – müde, deprimiert und derangiert. Wirre Haare, aufgelöstes Make up, Ringe unter den Augen. Wenn schon – Tom würde ich jetzt auch nicht über den Weg laufen, und selbst wenn: Er stand ja auf Carla. Carla mit der Sanduhrfigur und den Kulleraugen. Da konnte ich nicht mithalten.
Als der Bus hielt, stieg ich lustlos aus und schlappte durch die glitschige dünne Schneeschicht die Straße entlang bis zur Hamm KG. Zehn nach sieben – ob dort überhaupt noch einer war? Pförtner schien es keinen zu geben, aber das Gebäude war nicht abgeschlossen. Waren die so leichtsinnig oder so fleißig? Viel Licht hatte ich in den Fenstern nicht mehr gesehen.
Im Hintergrund der Halle entdeckte ich einen Aufzug – sehr gut, Treppensteigen war mit diesen Schuhen keine besondere Freude. Zweiter Stock... ich trat in einen leeren Gang, nur von einer grünlichen Notbeleuchtung erhellt, und tappte bis zum Ende. Der Konferenzraum war tatsächlich noch offen! Die waren hier wirklich leichtsinnig. Ich schaltete das Licht ein, und da lag er, mein Schlüsselbund – dick und fett unter dem Tisch. Putzen taten die hier wohl auch nicht? Hastig steckte ich den Schlüssel ein, löschte das Licht und schlich den grünlichen Gang wieder zurück. Meine Pechsträhne schien nachzulassen – der Aufzug stand mit einladend offenen Türen da. Ich stolperte hinein und drückte auf E.
Lautlos schlossen sich die Türen, und der Lift setzte sich in Bewegung – aber nach oben. Mist! Im siebten Stock hielt er, und ein Mann trat ein, in der linken einen Pilotenkoffer (scheußliches Teil), in der Rechten eine Handvoll Papiere, in denen er las. Er grunzte kurz, ohne aufzusehen. „Drücken Sie mal T, bitte.“
Ich drückte T und starrte dann auf die Tafel an der Wand. Nächster TÜV 4/2003 Max. Gewicht 750 kg (8 Personen) Planzer Aufzüge.
Darunter 7-6-5-4-3-2-1-E-T-U-Notruf-Tür auf.
Tja, mehr gab´s hier nicht zu lesen. „Ganz schön spät schon“, sagte der Mann.
Ich gab einen zustimmenden Laut von mir, aber drehte mich nicht um. Wenn ich ihn nicht sah, konnte er mich auch nicht sehen... schließlich hatte ich hier eigentlich nichts zu suchen.
„Ich kenne Sie doch! Was machen Sie denn noch hier?“
Was? Ich fuhr herum. „Ach, Sie“, sagte ich dann missvergnügt. Der blöde Hund, der meine Präsentation nicht so überzeugend gefunden hatte! „Und, was machen Sie hier – um diese Zeit?“ Er sah mich streng an.
„Wenn Sie glauben, ich wollte hier was ausspionieren oder was klauen, sind Sie schief gewickelt“, fauchte ich. „Ich hab nur meinen Schlüssel geholt, der mir heute Morgen aus der Tasche gefallen war.“
„Ach ja?“
„Ach ja!“
„Herzeigen!“ Ich fischte den Schlüsselbund aus der Tasche und hielt ihn ihm vor die Nase. Ganz schön verknittert, der Kerl. Vielleicht sollte er seinen Anzug mal bügeln lassen. „Tatsächlich.“
Er verstummte. Vielleicht war ihm jetzt eingefallen, dass das überhaupt kein Beweis für meine Behauptung war. „Und wieso jetzt erst?“, fing er dann wieder an. Bevor ich antworten konnte, blieb der Lift mit einem verdächtigen Knirschlaut stehen, und das Licht wurde merklich trüber. Notbeleuchtung? Der struppige Kerl sah auf die Uhr, erfolglos.
„Haben Sie ein Feuerzeug?“
„Ich rauche nicht“, antwortete ich würdevoll. Er kramte in seinen Hosentaschen, dann in den Jackentaschen, schließlich drückte er mir seine Papiere in die Hand und suchte in seinem Koffer.
„Wer sagt´s denn... Oh, schon acht – ja, dann...“
„Was heißt das?“, schnappte ich.
„Dass der Lift nachts abgestellt wird.“
„Toll. Ist Hamm so pleite, dass die schon Strom sparen müssen? Vielleicht sollten Sie sich lieber einen anderen Job suchen."
„Die müssen das Geld für die Geräte wieder reinholen, die Sie heute Morgen geschrottet haben.“
„Was? Das kriegen Sie doch von MediAdvert wieder! Suhrbier hat mein ganzes Gehalt einbehalten!"
„Suhrbier? Interessant.“ Er klopfte wieder seine Taschen ab und fluchte dann leise. „Haben Sie ein Handy dabei?“
„Logisch“, antwortete ich von oben herab. Gar nicht so einfach, das überzeugend hinzukriegen, wenn man einen halben Kopf kleiner ist! „Kann ich mal?“ Ich fischte es aus der Tasche und reichte es ihm.
Er tippte kurz herum und schnaubte dann. „Warum wundert mich das nicht?“
„Kein Netz?“ Das war fast gar nicht hämisch gemeint.
„Kein Saft! Der Akku ist total leer. Hier, das nützt mir auch nichts.“
„Und der Notrufknopf ist wohl die reine Attrappe, was? Wahrscheinlich leistet sich dieser Laden nicht mal einen Hausmeister.“
Freundliche Angestellte jedenfalls nicht!
„Dafür leistet sich MediAdvert keine fähigen Leute“, blaffte er mich an, „aber wenn Sie für Suhrbier arbeiten, erstaunt mich wirklich gar nichts mehr.“
„Warum haben Sie uns dann überhaupt zur Präsentation geladen? Ach, woher sollten ausgerechnet Sie das wissen! Außerdem arbeite ich nicht mehr für Suhrbier.“
„Ach ja?“
„Ach ja! Er hat mich gefeuert, was dachten Sie denn!“
„Na, nach der Vorstellung, die Sie heute geboten haben... Machen Sie das immer so?“
„Klar. Unbeholfenheit als Verkaufstrick? Seien Sie nicht so blöd.“
„Wer ist hier blöd? Ich hab meinen Job wenigstens noch.“
„Schön für Sie.“ Etwas Besseres fiel mir leider nicht ein. „In dieser Klitsche“, fügte ich dann noch hinzu und sah mich abfällig um, „wo abends nicht mal der Lift geht.“
„Niemand hat Sie gebeten, hier herzukommen.“
„Es mag Sie erstaunen, aber ich hatte keine Lust, vor meiner Wohnungstür zu kampieren“, schnauzte ich ihn an. „Intelligente Leute haben einen Schlüssel bei den Nachbarn hinterlegt“, erläuterte er mit einem fiesen, sanften Lächeln. Ich unterdrückte den Impuls, ihn ans Schienbein zu treten. „Sie kennen meine Nachbarn nicht“, antwortete ich nur. „Ich kann´s mir denken. So, wie Sie arbeiten, können Sie sich wohl bloß ein Loch im Slum leisten, was? Wie wär´s, wenn Sie mal üben, wie man eine Präsentation richtig aufbaut?“
„Wozu denn noch? Die Sache ist ja wohl gegessen.“
„Ja, wenn Sie so wenig Ehrgeiz haben, kann ich Ihnen auch nicht helfen!“
„Wozu noch Ehrgeiz?“, maulte ich. „Morgen such ich mir was anderes. Werbung ist der letzte Scheiß.“
„Sie geben ja verdammt schnell auf.“
„Finde ich nicht. Ich hab fünf Wochen gearbeitet, und was kommt dabei raus? Kein Pfennig, Schulden, ein Haufen Anschnauzer. Da such ich mir doch lieber was Friedlicheres.“
„Am besten werden Sie Hausfrau, da kann man nichts falsch machen. Und Sie könnten den ganzen Tag in Schlappen und Kittel herumlaufen. Wäre direkt eine Verbesserung“, fügte er hinzu und betrachtete mich kritisch. Mittlerweile hatten wir uns wohl beide an das funzelige Notlicht gewöhnt und sahen nun wieder ziemlich gut. „Ach ja? Haben Sie keinen Spiegel? Den Anzug kann ja auch die beste Hausfrau nicht mehr retten. Ihre arme Frau!“
„Ihr Mann kann einem ja auch bloß Leid tun, wahrscheinlich haben Sie schon die Stereoanlage, den Fernseher und das Auto ruiniert. Wo Sie auftauchen, hinterlassen Sie eine Spur der Verwüstung.“
„Arschloch“, murmelte ich. „Früher haben Sie wohl Erstklässler verprügelt, was? Gibt Ihnen das einen Kick?“
„Erstklässler? Klar. An solche Giftnattern wie Sie traut sich doch keiner ran. Wahrscheinlich haben Sie gar keinen Mann, kein Wunder.“
„Dann brauchen Sie ihn ja auch nicht zu bedauern, oder?“
„Sowenig wie Sie diese imaginäre Ehefrau! Zimtzicke.“
„Arroganter Angeber.“
„Versagerin.“
„Schnösel.“
„Was?“
„Schnösel“, wiederholte ich freundlich. „Haben Sie auch noch was an den Ohren? Da fragt man sich doch, was Ihre Chefs von Ihnen halten.“
„Meine Chefs?“
„Gibt´s hier ein Echo oder was? Die drei Leutchen, mit denen Sie heute die Präsentation angeguckt haben.“
„Sie meinen – den Präsentationsversuch.“
„Toll! Fühlen Sie sich jetzt besser, ja? So richtig groß und stark? Glückwunsch.“
„Spielen Sie hier nicht das Opfer, so bissig, wie Sie sind. Und kämmen Sie sich mal, Sie sehen aus wie eine Wetterhexe.“
„Passt doch zum Wetter.“
„Hier schneit es aber nicht. In diesem ganzen Chaos werden Sie ja wohl auch einen Kamm haben.“
Ich kramte herum und fand tatsächlich einen, dann zog ich die schon gefährlich lose sitzende Spange aus den Haaren, zwang den Kamm mühsam durch die verfilzten Strähnen und band die Haare danach wieder stramm zurück.
„Na, viel besser ist das auch nicht. Aber weniger schmuddelig immerhin. Kriegen Sie auch noch das weiße Zeug von ihrer Jacke ab?“
„Wenn ich rote Farbe an der Sakkotasche hätte, wäre ich ja ganz, ganz leise“, antwortete ich starrte anzüglich auf seine rechte Seite, wo sich die Tasche ziemlich beulte. Er untersuchte sofort sein Sakko und fluchte recht phantasievoll, als er einen offenen roten Tintenkuli herauszog. „Dokumentenecht“, hoffte ich und meine Stimme hörte sich sogar in meinen eigenen Ohren sehr befriedigend höhnisch an. „Verdammt, ja – ob das wieder rausgeht... Grinsen Sie nicht so blöd, das ist nicht lustig.“
„Nein? Ich finde, dass geschieht Ihnen recht, so rüde, wie Sie sich benommen haben.“
„Sie sind kindisch.“ Er zupfte immer noch an der ausgebeulten Tasche herum. „Haben Sie ernsthaft geglaubt, die Vorstellung, die Sie heute geboten haben, bringt Ihnen einen Auftrag ein?“
„Nein. Aber das Konzept war doch in Ordnung!“
„Das Konzept schon, aber Ihr unzusammenhängender Vortrag und die eingebauten Slapsticks, dazu der stumme Gast...“
„Welcher stumme Gast?“
„Na, wieso haben Sie denn diesen Pumuckl dabei gehabt? Der hat außer Grüß Gott und Auf Wiedersehen doch nichts geboten.“
„Tom ist kein Pumuckl!“, entrüstete ich mich. Das war doch die Höhe, und das von diesem langweilig aussehenden Typen! „Sieht aber aus wie einer. Sie stehen wohl auf den?“
„Blödsinn“, murmelte ich. „Er wollte doch bloß, dass ich es auch mal probiere.“
„Das war Ihr allererster Versuch? Und dann bei einem so großen Konto? Sind Sie beide denn wahnsinnig? Sie hätten doch auch bei etwas weniger Wichtigem üben können. Dieser – hm – Tom – ist das auch so ein Anfänger wie Sie?“
„Nein. Was geht Sie das eigentlich an?“
„Sie sind gut - wir stehen ohne Werbekampagne da, und das soll mich nichts angehen?“
„Darüber können sich ja wohl ihre Chefs aufregen. Und was heißt denn hier ohne Kampagne? Nach uns waren doch noch mehr Agenturen dran?“
„Da taugten die Konzepte nicht viel. Allerdings waren sie tadellos präsentiert.“
Er grinste frech, und ich holte aus, aber er fing meine Hand blitzartig ab.
„Lassen Sie das. Ihnen gehen wohl langsam die Argumente aus?“
„Nein, aber die Geduld. Hat dieser Saftladen hier jetzt einen Hausmeister oder nicht? Und wieso passiert nichts, wenn man auf den Notruf drückt? Ist das wirklich bloß eine Attrappe?“
„Natürlich gibt´s hier einen Hausmeister, und das ist kein Saftladen, sondern ein ziemlich solider mittelständischer Betrieb. Seien Sie nicht so arrogant, oder gehört Ihnen etwa Microsoft? Das würde Ihre lasche Arbeitsauffassung erklären.“
„Solide? Wir hängen jetzt schon eine Dreiviertelstunde hier herum, und dieser Hausmeister kriegt seinen Arsch nicht hoch? Liegt der schon irgendwo besoffen in der Ecke?“
„Nein!“, fauchte der Schnösel. „Wahrscheinlich ist er auf seinem Rundgang. Wenn er in sein Büro zurückkommt, wird er es schon blinken sehen. Luft kriegen wir doch, also was soll´s? Oder wollten Sie auf die Piste? So??“
„Nein! Wozu denn auch? Glauben Sie, ich hab heute groß was zu feiern?“
„Ihr komischer Kollege könnte Ihnen ja wenigstens ein Essen spendieren, wenn er Sie schon ins Messer laufen lassen musste.“
„Der ist nicht komisch, und er hat´s bloß gut gemeint. Dass ich Erfahrungen sammle und so.“
„Gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht. So ein Holzkopf!“
„Hacken Sie nicht dauernd auf Tom rum, Sie kennen ihn doch gar nicht.“
„Kunststück, so wenig, wie er sich heute profiliert hat. Soll ich lieber auf Ihnen herumhacken?“
„Von mir aus, der Tag ist ohnehin schon beschissen gelaufen. Und außerdem will ich hier raus, und zwar subito.“
„Werden Sie jetzt auch noch hysterisch? Führen Sie sich nicht auf wie in einem drittklassigen Katastrophenfilm – und behaupten Sie bloß nicht, Sie hätten Klaustrophobie. Das kauf ich Ihnen nicht ab.“
„Sag ich ja gar nicht. Und ich bin nicht hysterisch!“
„Aber nahe dran.“ Er rutschte langsam an der Edelstahlwand entlang nach unten und setzte sich gemütlich hin. „Recht haben Sie“, kommentierte ich.
„Ach was! Inwiefern?“
„Der Anzug ist sowieso ruiniert, so wie Sie aussehen, dann können Sie sich auch im Dreck wälzen.“
„Eben. Setzen Sie sich doch auch – oder glauben Sie, Ihr Kostüm ist noch zu retten?“
„Dem fehlt gar nichts, was eine Kleiderbürste nicht in Ordnung bringen könnte“, schnappte ich und blieb trotzig stehen.
„Wie sie wollen. Sie bocken wie eine Dreijährige.“
„Herzlichen Dank. Sie haben die Manieren eines Zehnjährigen!“
„Immerhin.“ Er klappte seinen Koffer auf und studierte den Inhalt einer Plastikbox, dann seufzte er. „Hat die Mami kein Pausenbrot eingepackt?“, höhnte ich. „Doch, aber das hab ich leider schon verspeist. Ich wollte eigentlich essen gehen, aber bis wir hier rauskommen...“ Hunger hatte ich auch, aber das konnte ich jetzt nicht mehr zugeben. Dass er nichts mehr zu essen hatte, freute mich aber wenigstens. „Muttersöhnchen“, murmelte ich also nur.
„Nur kein Neid.“
„Neid?“, keuchte ich. „Mitleid! Sie sind – na, vierzig doch mindestens, und da wohnen Sie noch bei Mami? Ist ja erbärmlich!“
„Hab ich nie behauptet.“
„Haben Sie wohl!“
„Nein. Sie müssen besser zuhören.“
„Ich hab zugehört! Sie haben das Brot, das die Mami Ihnen eingepackt hat, leider schon gegessen. In der großen Pause wahrscheinlich“, fügte ich finster hinzu. Durst hatte ich auch, und einen miesen Geschmack im Mund.
„Ich hab nur gesagt, dass ich das Brot schon gegessen habe. Die Mami haben Sie ins Spiel gebracht. Meine Sandwiches hole ich mir morgens bei Break & Fast. Haben Sie nichts mehr zu futtern?“
„Nö. Ich bin nicht so verfressen“, log ich.
„Ehrlich? Sieht man gar nicht“, kam prompt die Antwort. Ein Königreich für einen Baseballschläger! Oder für ein vergiftetes Sandwich... in Todesqualen sollte er sich zu meinen Füßen winden! Obwohl, dann würde er mir bloß auf die Schuhe kotzen. Andererseits konnte ich die sowieso wegschmeißen, Absatz ab, Naht geplatzt... „Soll das heißen, ich bin zu dick?“, empörte ich mich, leider nicht ganz ohne Quieken in der Stimme.
„Nein, nein...“ In einem Tonfall, der eindeutig das Gegenteil besagte.
Damit hatte er meine Achillesferse erwischt – das Kostüm saß wirklich ein bisschen stramm um die Hüften, vielleicht sollte ich doch mal so eine Diät... wenn ich hier jemals rauskam, würde ich mir eine Zeitschrift kaufen und die Diätvorschläge akribisch befolgen – mindestens zwei Wochen lang... na gut, eine. Aber eine Woche lang wirklich! Und Gymnastik für schlanke Hüften...
„Was passt Ihnen denn nicht?“, fragte ich kriegerisch.
„Wieso? Ich hab doch gesagt, nein. Nagt das an Ihnen?“ Der feixte ja schon wieder!
„Unsinn. Außerdem – was Sie von mir denken, kratzt mich nun wirklich nicht. Wenn wir hier raus sind, sehen wir uns doch sowieso nie wieder. Gott sei Dank“, fügte ich noch hinzu, um sicher zu gehen, dass er das auch als Beleidigung auffasste. „Ja, Gott sei Dank“, wiederholte er unverschämterweise. „Ich hab Hunger, verflixt...“
Ich fand in meiner Tasche noch ein ältliches Pfefferminzpäckchen und bot ihm ein Bonbon an. Er nahm es mit spitzen Fingern. Nach einem Moment fing er an zu husten. „Puh, ist das scharf...“
„Wie heißt es so schön – sind sie zu stark, bist du zu schwach“, freute ich mich und ließ mir nicht anmerken, dass mir das Zeug eigentlich auch zu heavy war.
„Ich hab´s mehr mit dem Spot, wo der Mafiaboss verminzt wird und den Übeltäter mit Betonschuhen im Hafenbecken versenken lässt“, knurrte er. Ich musste lachen. „Jetzt setzen Sie sich doch endlich hin, ich kriege schon einen ganz verkrampften Hals“, brummte er. „Oder genießen Sie es, dass endlich mal jemand zu Ihnen aufschaut?"
„Klar. Aber ich will mal gnädig sein.“
Ich legte den Mantel unter und versuchte, mich einigermaßen elegant zu setzen, aber das Ergebnis war, dass zum einen mein zerrissener Strumpf besonders gut zur Geltung kam und zum anderen, als ich fast ganz unten war, ein hässliches Knirschen mir zeigte, dass mein Kostümrock die Beanspruchung nicht mehr ausgehalten hatte.
Hastig tastete ich nach der hinteren Naht. Na klasse! Und ich konnte mir auf dem Heimweg nicht einmal die Jacke umbinden – wegen des Erdbeerflecks und wegen der Kälte. Immerhin war es draußen ja dunkel, tröstete ich mich. Und ein Taxi konnte ich mir notfalls auch nehmen. Langsam konnte ich mich über gar nichts mehr aufregen – mein Adrenalin war für das nächste halbe Jahr verbraucht. Ich regte mich nicht einmal mehr über den Spott in den grauen Augen mir gegenüber auf.
„Jetzt können Sie das Kostüm endgültig wegschmeißen“, stellte er fest.
„Na und?“, antwortete ich und lehnte den Kopf müde an die stählerne Wand. „Glauben Sie, ich brauche in diesem Leben noch mal ein Kostüm? Ist doch egal...“
„Dass Frauen immer gleich so übertreiben müssen – Sie finden schon wieder einen Job.“
„Klar doch. Irgendwas Simples, das meine bescheidene Intelligenz nicht überfordert – das wollten Sie doch sagen, oder?“
„Wem der Stiefel passt – he!“ Ich blinzelte desinteressiert; er wühlte wieder im Koffer herum. „Haben Sie etwa Ihr Handy gefunden?“
„Nein – aber was Essbares!“ Triumphierend hielt er einen etwas zerdrückten Schokoriegel hoch und packte ihn dann genussreich aus – man sah ihn förmlich sabbern. Ich hob das Kinn und beschloss, über solche niedrigen Begierden erhaben zu sein. Er schmatzte unüberhörbar.
„Wo haben Sie denn Tischmanieren gelernt?“, giftete ich.
„Wollen Sie ein Stück?“
Das überhörte ich vornehm, aber als nur noch ein kleines Stück übrig war, wurde ich schwach. „Doch!“ Ich bekam ein angebissenes Stück schokoladeüberzogenes Karamell, leider ohne Nuss darin, und lutschte es genüsslich. Mein Gegenüber sah merklich zufriedener drein. „Wollen Sie nicht noch rülpsen?“, fragte ich, als ich mir die letzten Reste der Köstlichkeit aus den Zähnen gelutscht hatte. „Warum sollte ich?“
„Es würde das Geschmatze von eben nett abrunden.“
„Tja – ich wusste eben, was Sie erwarteten. Aber sorry, einen Rülpser kann ich mir jetzt nicht abquälen. Vor zwanzig Jahren, ja...“
„Jaja, die Studentenzeit...“
Er warf mir einen giftigen Blick zu. „Ich konnte mal meinen ganzen Namen rülpsen!“ Ich lehnte den Kopf wieder an die Wand und sah nach oben in die trübe grünliche Funzel. „Ich bin tief beeindruckt. Kann ich ein Autogramm haben?“
„Ich habe meine Hochglanzfotos und den goldenen Stift leider nicht dabei.“
„Tatsächlich? Ich dachte, damit haben Sie ihren Koffer vollgestopft – falls wider Erwarten doch mal ein Fan vorbeikommt.“ Er lachte ärgerlich. „Für Ihr Mundwerk brauchen Sie wirklich einen Waffenschein.“
„Sie wecken eben meine niedrigsten Instinkte. Ihre Schuld, nicht meine. Bei vernünftigen Leuten bin ich eigentlich ganz friedlich.“
„Ich bin also unvernünftig?“
„Wem der Stiefel passt...“
„Billig, billig. Retourkutschen – fällt Ihnen nichts Besseres ein?“
Ich blinzelte träge. „Warum soll ich mich in geistige Unkosten stürzen?“
Er schnaufte verächtlich und wühlte wieder in seinem Koffer herum.
„Noch was zu essen? Oder doch Autogrammkarten?“, erkundigte ich mich nachsichtig. „Nein... da war doch – wo hab ich´s denn? Ha!“ Er hielt eine kleine Plastikschachtel hoch. „Funkgerät? Minisender? Werkzeugkoffer? Sprengsatz? Haben Sie das von Q bekommen?“
„Freut mich, wenn ich Sie an James Bond erinnere!“ Er lächelte geschmeichelt. „Bilden Sie sich keine Schwachheiten ein. Sie sind höchstens einer von den Kerlen, die in der Pretitle-Sequenz draufgehen.“
Das Lächeln erstarb, bis sein Blick wieder auf das Plastikding fiel. „Jedenfalls sind Sie nicht imstande, zu erraten, was ich hier habe.“
„Palmtop. Wollen Sie jetzt Freecell spielen?“
„Falsch.“
„Survival Kit mit Eiweißpillen?“
„Auch falsch.“
„Heftpflaster, weil Sie mich anders nicht mundtot machen können?“
„Bilden Sie sich bloß nichts ein. Ich lasse Sie doch dauernd gewinnen, schließlich habe ich ja mal gelernt, dass man kleine Mädchen nur mit halber Kraft verprügeln darf. Wieder falsch. Alle drei Versuche verplempert.“
„Blöder Angeber. Wie der Fuchs und die sauren Trauben. Was heißt überhaupt, kleine Mädchen? Ich bin nicht klein.“
„Aber noch nicht trocken hinter den Ohren. Sie sind doch höchstens – na, dreißig?“
„Fünfundzwanzig!“, fauchte ich. „Ich könnte Ihre Tochter sein, und trotzdem bin ich erwachsen!!“
„So frühreif war ich auch wieder nicht. Wie fünfundzwanzig sehen Sie auch nicht aus.“
„Jaja, ich weiß, alt und fett. Was ist denn jetzt da drin?“
„Also doch neugierig?“
„Quatsch! Nageln Sie sich das Ding doch ans Knie – mir doch egal.“
„Sehr glaubhaft. Irgendwie müssen wir uns doch die Zeit vertreiben, bis dieser Hausmeister mit seinem Rundgang fertig ist. Es ist schon nach neun.“
„Wem sagen Sie das! Meine Firma ist das ja nicht. Sie tun mir Leid, dass Sie hier arbeiten müssen.“
„Ach ja? Ich kann mir vorstellen, dass Leute, die gar keine Arbeit hätten, froh wären, wenn sie hier arbeiten dürften. Solange sie nicht nach halb acht in den Aufzug steigen...“
„Reiben Sie es mir nur rein! Wetten, morgen Nachmittag hab ich wieder einen Job?“
„So viele Agenturen mit Bedarf an –hm- eigenwilliger Präsentation gibt es in Leisenberg auch nicht.“
„Blödmann. Außerdem hab ich nicht von Agenturen gesprochen, oder? Ich nehme alles, und wenn´s Hamburgerbraten ist.“
„Sie spinnen ja!“
„Ach ja? Von irgendwas muss sogar so was wie ich leben, so lange hält der Hüftspeck auch nicht vor, und die Miete für meine Slumbude kann ich damit auch nicht bezahlen. Was ist jetzt da drin?“
„Sie lenken doch dauernd ab!“
„Gar nicht wahr! Sie haben damit angefangen, dass es schon nach neun ist. Ich wollte bloß höflich sein.“
„Sie – und höflich? Sie sind unverschämt, seitdem ich Sie in diesem Lift erwischt habe!“
„Unverschämt? Und was sind dann Sie? Rotzlöffel!“
„Nana! Solche Ausdrücke machen Sie aber ganz schön alt...“ Er grinste schon wieder. „Was ist da jetzt drin? Und lassen Sie mich bloß nicht wieder raten.“
„Warum eigentlich nicht? So vergeht die Zeit doch auch ganz nett. Na gut, ich will mal gnädig sein...“
„Den herablassenden Ton können Sie sich sparen“, fauchte ich, schlug wohl zum hundertsten Mal auf den Notrufknopf und wandte mich dann schmollend ab. „Sind wir jetzt eingeschnappt?“, erkundigte er sich mit seidenweicher Stimme. Ich schwieg. „Na gut, dann spiele ich eben alleine damit. Linke Hand gegen rechte Hand... auch lustig. Wenn Ihr blödes Handy ginge, könnten wir schließlich Hilfe rufen.“
„Wenn ich gewusst hätte, wie vorsintflutlich diese Bude ist, hätte ich es heute Morgen noch aufgeladen. Ob ich zu spät gekommen wäre, wäre bei dieser Präsentation auch schon egal gewesen.“
„Da sprechen Sie ein wahres Wort gelassen aus.“
„Großes.“
„Was?“
„Du sprichst ein großes Wort gelassen aus. So heißt das Zitat!"
„Wenn schon. Sie wissen doch nicht mal, woher das ist!“
„Goethe, Iphigenie auf Tauris. Tun Sie nicht so, als hätten Sie die Bildung gepachtet!“
„Was Sie wissen, weiß ich schon lange!“
„Wollen Sie mich zu einem kleinen Quiz provozieren?“
„Keine blöde Idee – auch wenn Sie von Ihnen ist. Okay, hier kommt die erste Frage: Wer hat wann gesagt Das ist nicht der Anfang vom Ende, aber vielleicht das Ende vom Anfang?“
Verdammt, schwierige Frage – und ich durfte mich jetzt nicht blamieren. Obwohl, mit dem Iphigenie-Zitat hatte ich doch schon ganz gut vorgelegt, oder?
„Wollen Sie mir nicht die vier üblichen Alternativen vorlegen?“
„Nein. Wir spielen streng.“
Schade. Hm. Verflixt. Es klang so entschlossen, so nach „Wir fangen an, etwas dagegen – wogegen? – zu unternehmen.“ Ich hatte nicht den leisesten Schimmer. „Wolfgang Clement?“
„Falsch. Winston Churchill, 1940. Eins zu null.“
„Eins zu eins! Ich hab das Zitat richtig gewusst.“
„Da haben wir doch noch gar nicht gespielt. Eins zu null.“
„Na gut – wenn Sie das brauchen, um nicht total zu verlieren... Ich gönn´s Ihnen. Welcher Tag ist Ein Datum der Schande – und wer hat das gesagt?“
„Das haben Sie gerade erfunden.“
„Blödsinn. Glauben Sie, so was hab ich nötig?“
„Garantiert. So weit wird´s mit Ihrer Allgemeinbildung auch nicht her sein.“
„Lenken Sie nicht ab. Wissen Sie´s oder wissen Sie´s nicht?“
„Klar weiß ich das! Moment – ich hab´s gleich... ja, genau. Franklin Roosevelt, über den 7. Dezember 1941. Na?“
„Richtig“, musste ich zugeben.
„Zwei zu null!“
„Was – was ist denn das für eine Zählweise? Wofür wollen Sie denn zwei Punkte haben?“
„Na, für die Frage vorhin, die Sie nicht gewusst haben!“
„Moment mal! Dann krieg ich jetzt für meine Frage aber auch einen Punkt!“
„Wieso? Ich hab´s ja gewusst, oder?“
„Quatsch. So spielen wir nicht. Einen Punkt gibt es überhaupt nur für eine richtige Antwort. Es steht eins zu null für Sie, basta.“
„Na, wenn Sie das glücklich macht... Okay, ich weiß was: Was sind Reverse Floaters?“
„Reverse Floaters... Hm. Wertpapiere?“
„Genauer!“
Wertpapiere waren also schon mal richtig. Floaters... das klang nach flexiblen Kursen – oder Zinssätzen... Reverse... irgendwie umgekehrt... „Anleihen mit variablem Zinssatz. Je höher irgendein fester Zins, desto niedriger der Satz der Anleihen.“ Triumphierend sah ich ihn an.
„Na gut. Sie wissen zwar garantiert nicht, was als Basiszins genommen wird -“
„Muss ich auch nicht, das haben Sie nicht gefragt!“
„Kriegen Sie sich wieder ein, ich lasse es ja gelten.“
Ich dachte scharf nach, dann wusste ich etwas Fieses. „Wie lautet die Formel für doppelkohlensaures Natron?“
„Puh – bin ich hier in der Schule?“
„Verdammt lang her, was?“, feixte ich. Das war übrigens auch eine gute Frage – gleich merken! „Weil Sie in der Schule so gut waren, was?“
„Was hatten Sie für einen Durchschnitt?“
„Zwei eins. Ist das jetzt eine neue Frage?“
„Nein. Nur Konversation am Rande. Ich hatte eins neun, ätsch!“
„Und ich hab einen Job.“
„Ratte.“
„Provozieren Sie mich eben nicht. Diese Scheißformel...“
„Ich warte... Noch eine Minute...“ Anzüglich sah ich auf meine Uhr, die ich mittlerweile im grünen Dämmerlicht recht gut ablesen konnte. Schon kurz vor zehn? Verdammt, diesen Hausmeister würde ich feuern, wenn ich hier was zu sagen hätte! „Die Minute ist um. Na?“
„Keine Ahnung. Wissen Sie´s überhaupt selbst?“
„Natriumbicarbonat - Na2 (CO3). Das hört man doch schon an der Bezeichnung, wenn man ein bisschen was von Chemie versteht!“
„Hab ich nie behauptet. Bei uns haben bloß die Weicheier Chemie weiter genommen, die coolen Typen hatten Physik.“
„Lieber anständige Noten als ein cooles Fach, in dem man nichts rafft. Bei uns waren die Leute vernünftiger.“
„Was heißt bei uns?“
„Mariengymnasium.“
„O Gott – eine Jungfrau! Ich war natürlich auf dem Leo…“
„Ein eingebildeter Poldi... bloß gut, dass mich hier keiner sehen kann, wie ich mich mit einem Poldi abgebe!“
„Nur kein Neid. Okay, eins zu eins. Wie heißt die Grand-Prix-Strecke in Japan?“
Ich sah ihn verächtlich an. „Suzuka. Zwei zu eins!“
„Schön für Sie. Nächste Frage!“
Ich dachte scharf nach. Mit typischen Frauenfragen konnte ich bestimmt punkten, aber die Kommentare konnte ich mir dann schon wieder vorstellen. Blöder Macho – wer interessierte sich denn schon für den Grand Prix? Grand Prix - Musik – Superstar... genau!
„Wie heißt der schräge Daniel aus Eggenfelden mit Nachnamen?“
„Welcher schräge Daniel?“
„Von Deutschland sucht den Superstar.“
„Wenn Sie sich so was reinziehen, wundert es mich nicht, dass Sie keine Präsentation über die Bühne bringen.“
„Das kennt man auch, wenn man es nie gesehen hat, aus dem Radio. Also?“
Er dachte scharf nach, den Blick an die Decke gerichtet. Ich hörte förmlich die kleinen Rädchen in seinem Hirn rattern. „Kübler.“
„Letztes Wort?“
„Ja, verflixt.“
„Knapp daneben ist auch vorbei. Küblböck. Drei zu eins!“
„Scheißspiel“, knurrte er. „Was, schon zehn durch? Wenn ich diesen Hausmeister in die Finger kriege!“
„Nicht ablenken. Sie sind dran.“
„Wenn´s sein muss...“
„He, wer hat denn mit dem Spiel angefangen? Ihnen macht so was wohl auch nur Spaß, solange Sie gewinnen, was? Der totale Atavismus.“
„Lassen Sie mich raten – Sie lesen in Ihrer Freizeit den Fremdwörterduden und sind immer noch bei A.“
„Haha. Haben Sie jetzt eine Frage oder fällt Ihnen nichts mehr ein?“
„Ich hab jede Menge Fragen. Wer wird deutscher Meister?“