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Der Immobilienkaufmann Michael Martens ist in zweiter Ehe mit Claudia verheiratet, die vor allem Damenhaftigkeit zur Schau trägt und damit ihren drei Stieftöchtern Coco, Hel und Jack und ihrer leiblichen Tochter Pat höllisch auf die Nerven geht. Allerdings kann man sie sehr nett veralbern, weil sie überhaupt keinen Humor besitzt. Nach zwei Morden aber wird deutlich, dass Claudias Vergangenheit ganz anders war, als sie stets behauptet hat. Das Team um Andi Reuchlin ist zunächst genauso ratlos wie die vier Töchter, die obendrein zum Teil noch vorübergehend unter Verdacht geraten. Die mühsame Ermittlungsarbeit trägt jedoch allmählich Früchte und schließlich wird zum einen geklärt, wer die - mittlerweile drei - Morde begangen hat, zum anderen findet sich die Restfamilie Martens zu einem tatsächlichen Familienleben zusammen.
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Seitenzahl: 367
Veröffentlichungsjahr: 2019
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Imprint
Feine Damen. Kriminalroman
Elisa Scheer
published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.deCopyright: © 2019 Elisa Scheer/R. John (85540 Haar)
www.elisa-scheer.de
ISBN 978-3-748568-65-0
Coco hatte das Ehepaar Bernstetter freundlich zur Tür begleitet und sah ihnen nun einen Moment lang gedankenvoll nach. Ob die beiden den Bungalow in Leiching-Süd kaufen würden? Tadellose Bausubstanz, allerdings ein sehr kreativer Grundriss… Sie hätte die Hütte nicht haben wollen, denn abseits vom nötigen Maklergeschwätz war sie, wie Coco fand, völlig verbaut. Der Frau hatte es aber gefallen, dass man sofort im Wohnzimmer stand und das Gästeklo erst hinter dem Esszimmer zu finden war. Wer hatte bei den beiden wohl das Sagen?
1,1 Millionen… da fiele etwas Ordentliches für sie selbst ab, wenn das Geschäft zustande käme. Und warum auch nicht? Gewöhnungsbedürftig war das Haus, aber prima in Schuss und eine solide Anlage. Nicht einmal wahnsinnig teuer, wenn man das große Grundstück und die erstklassige Lage in Betracht zog!
Immomax verkaufte bekanntermaßen auch keinen Schrott, mit so etwas ruinierte man sich nur den Ruf, fand Max, der Inhaber - Max Freilinger, der sich als Immobilienkönig von Leisenberg sah, Was allerdings war schon Leisenberg?
Gut im Geschäft waren sie aber wirklich, vor allem mit noblen Anwesen in Leiching, Waldstetten, Rothenwald und im Waldburgviertel. Hohe Preise, hohe Courtagen…. Und die Preise stiegen ja ständig, nicht nur hier….
Sie warf noch einen Blick in das großzügige offene Treppenhaus mit den schrägen Glasfassaden. So möchte ich auch wohnen, sollten die Kunden sofort denken. Das hoffte Max wenigstens.
Sie wandte sich ab, weil drinnen ihr Smartphone brummte. Oh, Whatsapp!
Heute Abend 19:00 Gruselsitzung, las sie. Geschrieben hatte Hel.
Ach, Mist! Hatte Claudia wieder ein Tribunal einberufen? Was war es wohl dieses Mal?
Keine von ihnen dreien wusste, was diese Kuh sich davon versprach, immer wieder auf ihren Stieftöchtern herumzuhacken – und mittlerweile auch auf ihrer eigenen Tochter, die sich Cocos Meinung nach recht nett zu entwickeln begann.
Keine hörte auf sie, Papa reagierte milde gereizt und Leander benahm sich seiner Mutter gegenüber noch unverschämter als alle anderen. War diese Person eigentlich nicht lernfähig? Sie war doch eigentlich nicht gar so beschränkt? Warum brach sie immer wieder einen Krach vom Zaun?
Sie schrieb zurück Unser Dresscode? Abgeranzt, schwarz oder Paris Hilton? und tippte auf Senden.
Mal sehen, was Hel vorschlug – oder würde Jack sich zuerst rühren? Die verkürzten Namen waren auch etwas, was Claudia maßlos ärgerte, aber sie hatten sich untereinander noch nie anders genannt und auch keinen Grund gesehen, dies zu ändern, nur weil die blöde Kuh Damen der Gesellschaft aus ihnen machen wollte.
Welche Gesellschaft denn? Ihnen allen war Waldstetten doch herzlich egal, sie wohnten doch ohnehin nicht dort. Viel zu langweilig.
Sie sortierte die Unterlagen, die sie den Bernstetters vorgelegt hatte, wieder in die Mappe zurück und räumte ihren Schreibtisch auf, wobei sie auf ein weiteres Brummen ihres Telefons wartete.
Da, endlich. Ah, Jack war schneller gewesen! Abgeranzt mit Hippie-Elementen, schlug sie vor. Ich hab da eine Pumphose aufgetan, da kippt die Olle aus den Latschen.
Sie schrieb sofort zurück: Gute Idee. Ich hab da auch noch was Uraltes…
Und wenn sie ganz großes Glück hatten, trafen sie in Waldstetten noch irgendwelche spießigen Nachbarn und konnten eine kleine Show abziehen…
Ihr Büro sah perfekt aus; sie schloss es ab und ging Max Bericht erstatten. Der lobte ihr Verhandlungsgeschick und reichte ihr ein weiteres Projekt, dieses Mal in Rothenwald. „Da ist nur die Adresse gut, die Bude hat´s schwer nötig. Und Denkmalschutz.“
„Klasse… Wen hasse ich so sehr, dass ich ihm das andrehen will?“
Max lachte. „Hau schon ab ins Wochenende – und denk dir bis Montag eine Strategie aus!“
Das sollte man sich nicht zweimal sagen lassen! Sie fuhr nach Hause nach Mönchberg und wühlte sich dort durch das unterste Fach im Kleiderschrank. Dort bewahrte sie alten Kram, Verkleidungen und Wochenendlumpen auf und ganz hinten fand sie tatsächlich einen wahnsinnigen Rock in Bollywood-Farben, mit üppigen Volants und sehr erfreulich verknittert. Wo hatte sie denn diese weiße bestickte Baumwollbluse…
Das Handy meldete sich wieder – Hel: Ich hätte ein Paillettenkleid im Stil der Achtziger, vom Flohmarkt. Schade…
Coco versprach: Beim nächsten Mal. Und Löwenmähne!
Hel: Logisch. Wie in dieser ollen Serie!
Coco schickte ein breit grinsendes Smiley zurück und suchte weiter nach der lappigen Bluse – da war sie ja!
Dazu Flipflops? Nein, damit konnte man so schlecht fahren… aber irgendwo mussten doch noch diese Stoffdinger sein, weiß?
Hinter den anständigen Schuhen gab es gleich zwei Paar – schwarz und annehmbar das eine, das andere weiß und unfassbar schmutzig. Die waren perfekt!
Sie setzte sich aufs Bett und schüttelte über sich selbst den Kopf: Sechsunddreißig Jahre alt, eine angesehene Immobilienmaklerin mit Uniabschluss, in einer sehr angenehmen Beziehung, aus ordentlicher Familie (das war wohl am wenigsten von Bedeutung) – und sie benahm sich wie mit vierzehn…
Hel und Jack übrigens genauso. Die drei Pubertiere… He, guter Titel, wie die drei Musketiere! Sie griff sofort wieder zum Telefon und teilte ihren Schwestern diesen Einfall mit. Umgehend erhielt sie zwei grinsende Smileys.
Kurz vor sechs – sie sollte duschen und sich in diese Hippiekluft werfen. Und ein möglichst windiges Täschchen finden…
Um sieben parkte sie vor dem Haus ihres Vaters und betrachtete erst einmal leicht kopfschüttelnd die Fassade zur Straße hin: Was machten die albernen Buchsbaumkübel auf beiden Seiten der Haustür? Und diese Blumenrabatte auf der Seite – wie in Versailles! Hatte Claudia jetzt auch noch einen Gärtner? Sie hatte sich doch wohl nicht die zarten Fingerchen schmutzig gemacht?
Resigniert klingelte sie und drückte dann das schmiedeeiserne Tor auf.
Die Haustür öffnete sich zögernd und Pat erschien.
„Scharf“, sagte die sofort, „aber ich glaube, sowas hab ich auch noch irgendwo… Ach ja, und die gnädige Frau ist im Salon.“
Coco steuerte den Salon, also das Wohnzimmer, an, wo auf zwei weit voneinander entfernten Samtsofas Papa mit einem E-Book-Reader und Claudia mit einem Hochglanzmagazin saßen.
Claudia sah auf. „Du lieber Himmel!“
„Hallo, Claudia. Papa…“ Sie umrundete Claudias Sofa und küsste ihren Vater auf die Wange. „Was liest du da Schönes?“
„Einen Krimi, meine Süße. Du siehst sehr bunt aus.“
„Ja, zur Feier des Tages.“
Ihr Vater unterdrückte ein Prusten und klopfte auf den Platz neben sich, während Claudia einen entrüsteten Laut von sich gab. „Wenn du immer so herumläufst, wundert es mich nur, dass du deine Arbeit noch nicht verloren hast!“
Coco schüttelte den Kopf. „Mach dir da mal keine Gedanken. Ich kleide mich immer entsprechend dem Anlass.“
„Was soll das heißen?“
Coco wurde einer Antwort enthoben, denn es läutete wieder und Jack trat auf: Pumphose mit Blumendruck in allen Farben des Regenbogens, dazu ein schwarzes Spitzenshirt und eine Handvoll bunter Holzperlenketten.
„Jack, sind das Birkenstock?“
„Mehr oder weniger, warum?“
„Schauen scharf aus“, log Coco mit einem Seitenblick auf Claudia.
„Ein geschmackloser Aufzug“, rügte Claudia sofort. „Warum könnt ihr euch nicht wie Damen kleiden?“
„Wie sollte das aussehen?“
„Um die Tageszeit wäre ein Cocktailkleid angemessen.“
Jack prustete los und Coco erkundigte sich: „Wie sieht so etwas aus? Du trägst ja selbst keins – wolltest du uns nicht ein Vorbild sein? Gibt es das überhaupt noch?“
„Blödsinn“, meinte Jack, „nur noch in Claudias Buch über den vornehmen Lebensstil. Erschienen 1960 oder so. Claudia, das ist bald sechzig Jahre her, kauf dir halt mal ein neues Buch!“
„Ach, Jack – schau doch hin – sie liest ja keine Bücher, nur Promiklatschzeitschriften. Aber vielleicht sind da ja Cocktailkleider drin…“
Dr. Martens hüstelte kurz und sah seine Tochter dann streng an. „Coco, lass es jetzt.“
„Sie hat aber doch gar nicht angefangen“, ereiferte sich Jack prompt.
„Trotzdem. Man kann auch einmal über etwas anderes reden!“
In diesem Moment schlenderte Leander herein, nickte seiner Mutter müde zu, warf sich auf ein freies Sofa und fuhr sich elegant durch die durchgestylte Frisur. „Ihr schaut aus wie heute in der Schule“, teilte er seinen Halbschwestern dann mit.
„Ach ja?“
„Bad Taste Day.“ Er grinste breit und schien leicht erstaunt, als Coco und Jack lachten. Claudia sah kopfschüttelnd von ihrer Klatschzeitschrift auf und zog dann ihre Uhr zu Rate. „Wo bleibt Helene, eure Schwester?“
„Oh, danke“, antwortete Jack. „Wir wären sonst nie darauf gekommen, dass Hel unsere Schwester ist.“
„Und wo ist sie?“
„Keine Ahnung. Vielleicht macht sie sich noch hübsch?“
„So wie ihr? Ihr wisst wirklich nicht, was ihr eurer Herkunft schuldig seid…“
Dieses Mal gab Dr. Martens ein warnendes Grunzen von sich, das ganz offensichtlich seiner Frau galt, denn die murrte halblaut: „Ist doch wahr!“
„Wie eine Zeitreise“, murmelte Jack.
„Eigentlich ganz lustig“, gab Coco ebenso leise zurück.
Schließlich tauchten gleichzeitig Pat und Hel auf und Claudia erhob sich. „Na endlich! Warum kommt ihr so spät? Euer Vater ist schon ganz ungeduldig.“
Coco drehte sich zu Papa um, der gerade milde erstaunt aufsah, diese Behauptung aber nicht weiter kommentierte.
„Es ist zwei Minuten vor sieben, was willst du denn?“, fragte Hel nicht ganz zu Unrecht.
„Du kommst wohl auch nur, um dich hier gratis durchfüttern zu lassen? Möchtest du dann auch direkt nach dem Dessert wieder gehen?“
Hel verdrehte ihre perfekt geschminkten Augen zur Decke. „Ich komme, um Papa zu sehen und weil du wieder mal einen Befehl herumgeschickt hast. Das Essen ist mir ziemlich egal.“
„Und wo ist dein Mann?“
„Hat was Besseres vor.“
„Unerhört!“
„Claudia, nun lass es doch“, mahnte ihr Mann. „Kein Wunder, dass die Kinder sich so benehmen, wenn du sie provozierst.“
„Also, das ist doch… Pat, was hast du denn da Unmögliches an? Wenigstens meine Tochter sollte doch etwas mehr Stilgefühl haben!“
„Woher das denn?“, murmelte Coco nicht gerade leise, was ihr einen sehr giftigen Blick eintrug.
Pat, die mittlerweile pinkfarbene Jeans und ein grell oranges T-Shirt trug, zuckte die Achseln.
„Ich finde, du passt super zu Coco, mit diesen Bollywood-Farben“, fand Jack. „Es wird schön bunt bei Tisch – und eigentlich habe ich direkt ein bisschen Hunger.“
„Tatsächlich?“, fragte Pat und ließ sich zwischen Coco und Hel aufs Sofa fallen. „Ich habe hier eigentlich selten Hunger. Mamas neue Köchin ist grauenhaft. Wieso hast du die Frau Ungstetter eigentlich rausgeworfen?“
„Sie wollte eine Gehaltserhöhung“, antwortete Claudia Martens ärgerlich. „Unverschämt, was Hauspersonal heutzutage verlangt!“
„Personal ist bekanntlich der einzige echte Luxus heutzutage“, ließ sich Dr. Martens vernehmen, ohne den Blick vom Reader zu wenden.
„Aber das ist doch eine Notwendigkeit!“, entrüstete sich Claudia. „Ein Grundbedürfnis!“
„Vor hundert Jahren vielleicht“, spottete Coco. „Mir scheint, du bist tatsächlich eine Zeitreisende. Deine übrigen Ansichten würden recht gut dazu passen.“
Jack und Pat kicherten beifällig, Hel seufzte. „Was ist denn jetzt?“
„Pat, sieh mal nach, wie weit Frau Mohr ist.“
„Wenn´s sein muss?“ Pat arbeitete sich theatralisch ächzend aus dem Sofa empor und schlenderte zur Tür.
„Und bring mir ein Bier mit!“, befahl Leander.
Sie drehte sich um. „Du kannst mich mal, hol´s dir doch selber!“
„Pat!!“
„Pat hat ganz recht“, fand Jack. „Der kleine Pascha kann ruhig selber gehen. Lässt deine Freundin dir so etwas durchgehen, Leander?“
„Leander hat doch noch gar keine Freundin!“, empörte sich Claudia prompt. „Doch nicht mit sechzehn!“
„Wann denn sonst?“, fragte Coco. „Aber Mütter wissen bekanntlich auch nicht alles, gell, Leander?“
Der grinste zwar, hütete sich aber, etwas zu sagen.
Pat kam zurück und vollführte vor ihrer Mutter einen Hofknicks. „Madame, il est servi…“
Alle lachten – außer Dr. Martens, der noch damit beschäftigt war, seinen Reader herunterzufahren, und Claudia, die vor Ärger sprachlos war.
Man begab sich zu Tisch; wie üblich rotteten sich die Stieftöchter auf einer Seite zusammen - so hatte es Claudia wenigstens einmal formuliert. Sie hatte festgelegt, dass die Dame des Hauses an der einen Stirnseite und der Hausherr auf der anderen zu sitzen hatte, so dass die andere Längsseite Claudias leiblichen Kindern blieb, die dort früher erbitterte Kämpfe unter dem Tisch ausgefochten hatten und auch heute manchmal noch nicht ganz darüber erhaben waren.
Frau Mohr servierte die Suppe und stapfte grußlos wieder hinaus; Claudia schöpfte sich Blumenkohlcreme mit Kräutercroutons in ihren Teller und reichte die Terrine dann weiter – an ihre Kinder, ihren Mann und schließlich die Stieftöchter, die über diese unglaublich subtile Art der Geringschätzung grinsten.
Hel sagte allerdings doch, als sie an der Reihe war, in die Terrine spähend: „Bisschen wenig, was? Dachtest du, wir kommen nicht? Oder sollen wir aschenputtelmäßig hungern?“
Coco gluckste, Jack fügte hinzu: „Und pro Nase ein Crouton… nein, Claudia hat mindestens zehn…“
Leander lenkte ab, indem er seiner Schwester zwei Croutons klaute. Die regte sich nicht auf, sondern sagte: „Du kannst sie alle haben, die schmecken ranzig. Wie lange war denn die Schachtel schon abgelaufen?“
Claudia ließ ihren Löffel in den Teller fallen, so dass die Suppe spritzte und Flecken auf ihrer Seidenbluse hinterließ. „Da seht ihr, was ihr gemacht habt!“
„Wieso wir?“, fragte Coco. „Du hast den Löffel in die Suppe geworfen, was hast du erwartet?“
„Ich möchte von euch nichts mehr hören! Ihr seid so unhöflich, aber das ist vielleicht kein Wunder, nach dieser Erziehung! Euer Vater ist so enttäuscht von euch!“
„Claudia, hör auf damit!“ Dr. Martens funkelte sie über den Tisch hinweg an, warf dann aber auch seinen Töchtern einen warnenden Blick zu. „Und ihr benehmt euch eurem Alter entsprechend. Ich weiß, dass ihr das könnt!“
„Solange wir nicht provoziert werden“, murmelte Jack.
„Jacoba, das gilt auch für dich!“
Coco aß schweigend und unlustig. Die Croutons waren tatsächlich sehr alt und schmeckten ranzig. Und was sollte das mit der Erziehung? Mama hatte ihre Mädchen durchaus gut erzogen! Na, besser als diesen kleinen Rotzlöffel Leander auf jeden Fall…
„Leander, ich hatte heute eine E-Mail von deiner Schule“, verkündete der Vater in diesem Moment.
Pat prustete in ihre Suppe.
„Wieso du?“, fuhr Claudia auf.
„Der Aussage dieser Frau Suttner zufolge, weil du auf ihre Mails nicht reagiert hast. Ich höre also, dass Leander nur recht unregelmäßig am Unterricht teilnimmt. Leander?“
„Fällt doch dauernd aus“, murmelte der.
„Nein, ganz offensichtlich nicht. An der Mail hing eine Liste sämtlicher Fehlzeiten. Siebenundzwanzig Tage und hundertvierundvierzig einzelne Stunden. Du schwänzt also.“
„Das ist in der Oberstufe doch ganz normal.“
„Nein, ist es nicht. Wenn das erlaubt wäre, würde die Schule nicht so sorgfältig über deine Fehlzeiten Buch führen. Frau Suttners Hinweis war auch recht interessant, dass man in den letzten Jahren fast bei allen, die durchs Abitur gefallen sind, eine sehr lückenhafte Anwesenheit feststellen konnte. Und ganz ehrlich, mein Sohn – dass du ein Genie wärst, ist mir bisher noch nicht direkt aufgefallen. Du wirst also etwas Fleiß aufwenden müssen – und dazu regelmäßig am Unterricht teilnehmen. Mit sofortiger Wirkung hast du übrigens Attestpflicht.“
„Das darf die gar nicht!“, fuhr Claudia auf, während ihr Söhnchen mürrisch dreinsah.
„Doch, darf sie“, antwortete der Vater. „Wer, wenn nicht sie, sollte das denn entscheiden? Mit später kommen und zum Ausgleich früher gehen ist jetzt nichts mehr. Wenn du die Schule früher verlässt, gehst du auf der Stelle zum Arzt.“
„Und der nimmt dir dann immer wieder mal ein bisschen Blut ab“, prophezeite Coco.
Leander erbleichte.
„Warum das denn?“, wollte Pat wissen, die als frischgebackene Abiturientin natürlich über Fehlzeiten erhaben war.
„Na, man muss dieser Schulschwäche doch auf den Grund gehen? Vielleicht ist es Blutarmut? Oder sonst eine Krankheit? Da bräuchtest du doch eine Therapie?“
Leander murmelte etwas, was wie „Blöde Weiber“ klang. Sein Vater fuhr auf: „Du isst jetzt in der Küche weiter. Dein Benehmen ist unter aller Kanone.“
Leander trollte sich murrend.
Claudia sah giftig in die Runde. „Ihr habt den armen Jungen provoziert! Aus lauter Missgunst!“
„Ach“, entgegnete Jack, „was sollten wir ihm denn neiden? Seine Manieren? Dass er immer noch zur Schule geht? Möchte eine von euch etwa noch mal in die Pubertät zurück?“
Ihre Schwestern lachten abwehrend.
„Er ist der Sohn und Erbe!“, triumphierte Claudia, was ihren Mann verblüfft blinzeln ließ.
Coco prustete in ihren halbleeren Teller. „Hast du das aus einer deiner geliebten Seifenopern? Vielleicht liest du mal nach, was das bundesdeutsche Erbrecht tatsächlich vorsieht.“
„Was?“
Dr. Martens nickte. „Caroline hat vollkommen Recht. Alle erben zu gleichen Teilen. Ich hätte Leander durchaus gerne zu meinem Nachfolger, aber dazu braucht er ein anständiges Abitur und entweder ein BWL-Studium oder eine gute Ausbildung zum Immobilienkaufmann. Und das sehe ich noch lange nicht!“
„Ach, du möchtest ihn wohl lieber enterben und deine gierige Tochter zu deiner Nachfolgerin machen?“
„Das verbitte ich mir“, warf Coco kalt ein, „ich bin mitnichten gierig und mit meiner Position bei Immomax sehr zufrieden. Nach Crommer ist das immerhin der zweitgrößte Immobilienmakler in Leisenberg.“
„Heuchelei“, murmelte Claudia und beobachtete kritisch, wie Frau Mohr eine Bratenplatte, eine Schüssel Salzkartoffeln und eine Platte mit grünen Bohnen auf den Tisch stellte und die Suppenterrine im Gegenzug abräumte.
„Glaub doch, was du willst.“
„Mit dem, was du hier am Essen sparst, kannst du Leander dann ja eine eigene Firma kaufen“, kommentierte Hel mit kritischem Blick auf den Hauptgang. „Das reicht doch schon wieder nicht für alle!“
„Wirklich, Claudia, etwas wenig scheint es schon zu sein“, merkte auch Michael Martens an.
„Ihr habt wohl extra das Mittagessen eingespart?“, fuhr Claudia ihre Stieftöchter an und tat sich selbst großzügig Braten und Kartoffeln und erheblich weniger Gemüse auf.
„Nehmt euch selbst“, forderte sie die anderen auf.
„… wenn es unbedingt sein muss. Nächstes Mal bringe ich mir eine Leberkässemmel mit“, murmelte Jack. Pat kicherte. „Regt euch nicht auf, ich sehe schon von weitem, dass die Bohnen matschig sind. Und die Bratensauce ist mit Mehl angedickt. Sieht man ja schon an der Farbe. Also, da koche ich ja besser!“
„Willst du das übernehmen?“
„Was würdest du denn zahlen?“
„Zahlen??“ Das klang regelrecht entsetzt.
„Logisch. Gute Arbeit ist auch gutes Geld wert und wie wir vorhin schon festgestellt haben, sind Hausangestellte wirklich teuer. Sagen wir, netto dreitausend plus Kost und Logis?“
Hel und Jack prusteten und Coco grinste breit.
Claudia blinzelte benommen. „D-dreitausend? Bist du wahnsinnig? So gierig wie diese drei dort? Außerdem habe ich das vorhin natürlich nicht ernst gemeint, du kannst doch nicht ernsthaft Köchin werden wollen?“
„Warum denn nicht?“
„Ich bitte dich, Patricia! Eine Patricia Martens aus Waldstetten wird doch nicht Köchin!“
„Warum nicht?“, wollte Jack wissen.
„Dass ihr für gesellschaftliche Nuancen kein Gespür habt, wundert mich nun nicht.“
„Die Fünfziger lassen grüßen“, spottete Coco und schob ihren Teller von sich. „Der Braten ist übrigens kräftig versalzen, offenbar ist Frau Mohr schwer verliebt.“
„Stimmt!“ Pat und Hel stellten das Essen ebenfalls ein. Der Hausherr beobachtete das Dauergezänk halb amüsiert, halb gereizt, essen tat er aber auch nicht mehr.
„Wir könnten zum Markt fahren und im San Carlo noch ein nettes Eis essen“, schlug Hel vor.
Das hielten alle Mädchen für eine sehr gute Idee; Claudia schnaufte natürlich entrüstet. „Und der Dialog von Früchten?“
„Du meinst, Obstpampe über den Teller geschmiert?“, entgegnete Coco und wartete interessiert auf die Reaktion, die prompt kam: „Ihr seid solche Banausinnen! Das ist das angesagte Dessert!“
„Ja, in den Achtzigern. Hab ich schon mal gelesen. Du hast Zurück zur Natur verpennt“, behauptete Jack sofort und Pat ergänzte: „… neben ungefähr dreißig anderen Trends.“
Claudia ließ schon wieder vor lauter Ärger ihr Besteck fallen und Bratensauce gesellte sich zu den Suppenflecken auf ihrer Seidenbluse.
„Michael! Sag doch auch mal was! Deine Töchter sind so schlecht erzogen!“
„Unsere gemeinsame Tochter ist kein Quäntchen besser, meine Liebe“, war die gleichmütige Antwort. „Du lieferst einfach unwiderstehliche Steilvorlagen, da darfst du dich nicht wundern.“
Das war offenbar zu viel. Claudia erhob sich, warf ihre Damastserviette in die Bratensauce und rauschte hinaus.
„Und ihr müsst ja auch nicht auf jede Provokation einsteigen! Oder habt ihr es so nötig, euch eure Überlegenheit zu beweisen?“
„Wir könnten uns doch einmal ganz normal mit oberflächlicher Höflichkeit unterhalten, ohne Gespinne, das sie aus dem Fernsehen hat, und ohne Gerede darüber, dass wir gierig, unerzogen und eine Riesenenttäuschung sind. Wir fangen schließlich nie an, aber kaum nimmt man sich vor, dieses Mal freundlich zu bleiben, kommt sie mit etwas derartig Grobem um die Ecke…“
„Ein bisschen Selbstachtung musst du uns schon auch zugestehen, Papa“, fügte Hel hinzu und Pat nickte eifrig. „ich hätte allerdings noch gerne gewusst, was ich statt Köchin beruflich machen sollte…“
„Ich bitte dich“, antwortete Coco. „Drei Semester Kunstgeschichte oder so was; vielleicht ein bisschen in der Schweiz oder in Frankreich. Da gibt´s Adelige.“
„In der Schweiz nicht!“
Darüber wurde nun leidenschaftlich und ohne besondere Sachkenntnis gestritten; der Vater schüttelte schwach lächelnd den Kopf.
Frau Mohr brachte schweren Schrittes die Fruchtpampe; alle Schwestern leiteten ihre Teller zu Leander in der Küche um, nur Coco bot ihren dem Vater an, der wieder schwach lächelte und murmelte: „Jedes Mal dieses beleidigte Hinausrauschen… geht ihr jetzt wirklich Eis essen?“
„Komm doch mit! Leander muss bestimmt Hausaufgaben machen – und Claudia schmollt in ihrem Boudoir…“
„Danke, aber eure Mädelsgespräche möchte ich nicht stören. Viel Spaß beim Eisessen!“
Sie hatten sich auf der Terrasse des San Carlo einen der letzten freien Tische geschnappt und üppige Eisbecher bestellt, je nach Geschmack eher Schoko-Nuss oder eher Früchte (nicht als Pampe!), mit oder ohne Sahne, Schokosauce oder Kokosraspeln, alle aber mit Nougatwaffeln, und löffelten nun zufrieden.
„Haben wir uns verdient“, fand Pat. „Das Essen wird von Mal zu Mal schrecklicher.“
„Meinst du Claudia oder den Fraß?“, erkundigte sich Coco angelegentlich und biss knurpsend in ihre Waffel.
„Eher den Fraß. Die Mohr kocht scheußlich, ich esse normalerweise schon gar nicht mehr in Waldstetten, schließlich gibt es überall Pizza oder Leberkässemmeln.“
„In deinem Alter kann man das auch noch essen“, seufzte Hel mit einem neidvollen Blick auf die schlanke Figur der Jüngsten. „Ich glaube, ich lege jedes Jahr zwei Kilo zu.“
„Dann lass halt die Sahne weg“, mahnte Jack mit einem beziehungsreichen Blick auf den hochgetürmten Eisbecher ihrer Schwester.
„Die ist doch das Beste!“
„Dann beklag dich nicht“, meinte Coco, genüsslich ihren Löffel ableckend. „Schaut mal, da kommt ein hübsches Kerlchen vorbei!“
Alles schaute.
Tatsächlich: hochgewachsen, schlank, gut geschnittenes Gesicht, glänzendes Haar, keine sichtbaren Tattoos, weißes Hemd und unzerrissene Jeans. Vielleicht Ende zwanzig.
Der junge Mann kam näher, warf einen Blick auf den Tisch der vier Schwestern, stutzte und machte dann eiligst, dass er weiterkam. Coco wandte sich ihren Schwestern zu und stellte erstaunt fest, dass Hel und Jack ebenfalls etwas blass geworden waren.
„Was habt ihr denn? Hat er euch beiden so gut gefallen?“
Hel und Jack sahen sich kurz an, misstrauisch, wie es Coco schien, und wechselten dann zeitgleich das Thema:
„Da soll jetzt ein toller neuer Film laufen, über - “
„Habt ihr eine Ahnung, warum Claudia heute so ganz besonders angriffslustig war? Pat, entschuldige, sie ist deine Mutter, aber -“
Pat winkte ab. „Geschenkt. Mich nervt sie ja auch, mit ihrer Art, allen einen Lebensstil überstülpen zu wollen, den sie im Fernsehen gesehen hat.“
Coco lachte. „Kennt ihr „Royals“? Seid froh, dass sie sich nicht das zum Vorbild genommen hat!“
Pat freute sich: „Wäre doch toll! Wir müssten bei diesen grässlichen Essen Nylonstrümpfe und diese affigen Hütchen tragen, sonst ist Mama not amused.“
„Fascinators heißen die“, ging Hel eifrig darauf ein. „Bescheuerte Dinger. Als nächstes machen wir beim Reinkommen noch einen Hofknicks?“
„Ich verstehe gar nicht, wie man sich auf so veraltetes Zeug versteifen kann“, überlegte Coco. „Claudia ist – wie alt, Pat? Sechsundvierzig? Warum verhält sie sich, als sei sie Jahrgang 1900?“
„Vielleicht glaubt sie, in unseren Kreisen“ – Jack sprach dies mit dem passend gespitzten Mündchen aus – „ist sowas wichtig?“
„Dann kann sie aber nicht gerade viel vom Leben ganz normaler Familien aus der – naja – oberen Mittelschicht verstehen“, wandte Coco ein. „Bis zum Königshaus ist da doch noch ein weiter Weg, glücklicherweise. Lieber im Netz Klatsch über Prinzessinnen lesen als selbst eine sein.“
„Über ihre Familie erzählt sie eigentlich nie etwas“, gab Pat zu bedenken. „Nur, wie brav und angemessen sie sich immer aufgeführt hat. Na, wer´s glaubt…“
„Was hat sie eigentlich für einen Beruf? Also, gehabt?“, wollte Jack wissen. „Sie kann ja wohl nicht reiche Ehefrau gelernt haben?“
„Das sagt sie ja auch nicht! Wenigstens nicht so genau. Ich denke, irgendwas im Büro. Sachbearbeitung vielleicht. Papa hat mal erzählt, sie haben sich bei einem Firmenevent kennengelernt. Vielleicht war es was vom Immobilienverband Leisenberg?“
„Immobilienverband Oberbayern, wenn schon“, korrigierte Coco. „Eine eigene Leisenberger Gruppe gibt´s nicht, das wüsste ich. Na, damals vielleicht, 1998. Glaub ich aber auch nicht.“
„Dann war sie vielleicht bei Crommer oder so“, überlegte Pat. „Ich hab mir immer vorgestellt, wie die Bonzen an den Tischen sitzen, vorne referiert einer etwas über Umsatzrekorde, und Mama schleicht herum und verteilt Handouts oder kleine Mineralwasserfläschchen.“
Coco gluckste. „Das Bild hatte ich jetzt auch gerade vor Augen. Bloß kann man so etwas doch wohl laut sagen? Immobilien sind doch nicht peinlich? Himmel, ich mach doch auch nichts anders!“
Pat warf ihrer großen Schwester einen schlauen Blick zu. „Ja, aber du würdest nicht Zeug verteilen, sondern am Tisch sitzen. Oder den Vortrag halten.“
„Mag sein, aber Claudia hätte sich doch auch nach oben arbeiten können?“, schlug Jack vor.
Pat kicherte. „Ich bin ziemlich sicher, dass sie kein Abitur hat. Also konnte sie nicht studieren – und ganz ehrlich, ohne Uniabschluss kommst du doch nicht sehr weit. Coco, du bist Betriebswirtin, oder?“
„Ja, klar. Genauso wie Jack Mediendesign studiert hat und Hel Jura. Auch wenn sie nicht in ihrem Beruf arbeitet.“
„Ralf will das eben nicht“, murrte Hel. „Er findet Jura unweiblich.“
„So ein Idiot“, entfuhr es Pat. „Was sollst du denn dann den ganzen Tag machen?“
„Mich hübsch machen für ihn, vermutlich“, antwortete Hel mit einer Grimasse. „Ein bisschen öde ist das schon. Rumsitzen und warten, dass der hohe Herr nach Hause kommt…“
„Und das lässt du dir gefallen?“ Pat war entrüstet und musste gleich einen Riesenbissen Eis nehmen.
Coco war der gleichen Meinung. „In welcher Zeit lebt dein Ralf eigentlich? Das ist doch voll die Fünfziger!“
Pat wollte offensichtlich auch noch etwas sagen, jedenfalls lutschte sie sehr hektisch diesen Eisklumpen klein. Endlich konnte sie wieder sprechen: „Warum machst du das denn mit?“
Hel zuckte die Achseln. „Naja… Teilzeit-Anwältin ist schwierig, für Vollzeit bin ich auch ein bisschen zu - naja – zu faul. Eigentlich ist es so ganz gemütlich… ausschlafen, rumtrödeln, Pflegemaske, Fernsehen, bisschen Sport, die Wohnung dekorieren…“ Sie grinste etwas unsicher.
„Dann beklag dich auch nicht“, murmelte Jack, zog einen Strohhalm aus dem Becher in der Mitte und begann, die Reste in ihrer Eisschale misstönend aufzusaugen.
„Jack!“
„Nostalgieanfall. Ich war gerne ein Kind.“
„Wir auch, aber die Zeiten sind vorbei. Jack, du musst mit dem kindischen Getue aufhören!“
„Ich? Und wer hat mit der Parole Hippielumpen heute angefangen?“
„Doch bloß wegen Claudia! Wenn wir unter uns sind, kannst du die Albernheiten doch lassen. Was gibt´s denn bei dir sonst Neues?“
Jacks Gesicht verschloss sich. „Nichts, was soll schon sein?“
„Komisch“, meinte Coco, „vier nette Frauen, alle nicht hässlich – und nur eine hat einen Freund?“
„Ich hab doch Ralf!“, protestierte Hel, was ihr einen dreifachen Mitleidsblick eintrug.
„Ja, schon klar. Ralf, der will, dass du den ganzen Tag auf ihn wartest. Du Haremsdame, du.“
„Besser Ralf als gar keinen“, schnappte Hel, errötete sofort und senkte den Kopf. „Was hast du denn jetzt wieder?“, wollte Pat in jugendlicher Taktlosigkeit wissen. „Hast du doch noch einen?“
„Das geht euch gar nichts an!“
„Sie hat es nicht geleugnet!“, teilte Pat Coco mit perfektem Theaterflüstern mit.
„Sehr vielsagend“, fand Coco auch prompt. „Führ uns den Knaben doch mal vor – oder ist er noch alberner als Ralf?“
„Ist er nicht!“
„Aha.“ Coco und Pat grinsten fröhlich, Hel knallte einen Zehner auf den Tisch und erhob sich. „Blöde Weiber! Tschüss!“
„Beleidigte Leberwurst!“, rief Pat ihr hinterher und kratzte sich dann den Kopf. „Warum geht sie in die Richtung? Sie hat doch da drüben geparkt?“
Die verbliebenen Schwestern reckten neugierig die Köpfe und verfolgten, wie Hel sich dem Café schräg gegenüber näherte und zwischen den Tischchen auf der Terrasse der Sala Candida etwas zu suchen schien – oder jemanden?
Besonders Jack beobachtete ihre Schwester aufmerksam. Coco drehte sich irgendwann wieder um und fragte dann nur noch etwas gelangweilt: „Hat sie jetzt etwas gefunden oder ist sie schon gar nicht mehr in der Sala Candida?“
„Hm?“ Jack kramte ihr Handy heraus und fotografierte in die Richtung der Sala Candida.
„Leicht übertrieben“, fand Pat.
Jack antwortete nicht, sondern beschäftigte sich damit, das Foto mit den Fingern zu vergrößern und es dann sorgfältig zu inspizieren. Coco zuckte die Achseln und wandte sich Pat zu. „Willst du jetzt wirklich Köchin werden oder war das bloß, um Claudia auf die Palme zu bringen?“
„Letzteres. Ich koche echt gerne und besser als die olle Mohr. Na, das wäre noch keine Kunst… Aber ein Leben lang in einer dumpfigen Restaurantküche… ich werde vielleicht Jura oder Tiermedizin machen, den Schnitt hab ich ja. Das ärgert Mama auch.“
„Versteh ich nicht. In diesen Kitschromanzen am Sonntagabend lernt die Tierärztin doch immer den Schlossherrn kennen, dessen verletztes Pferd sie behandelt hat? So stellt sie sich doch das Leben vor?“
Pat war begeistert. „Das erzähle ich ihr, sie wird platzen! Aber warum sie nichts über ihr früheres Leben erzählen will, weiß ich auch nicht.“
Andreas Reuchlin sah sich zufrieden in seinem Teamraum um: Maggie machte gerade die Berichte zum jüngst gelösten Fall fertig und Liz speicherte alles ab, was das Whiteboard enthalten hatte. Ben inspizierte den Materialschrank und machte sich murmelnd Notizen, was alles für den nächsten Fall, der garantiert noch in dieser Woche um die Ecke kam, nötig war – Mappen, USB-Sticks, Notizblöcke für die weniger Technikaffinen… Und das taten sie alles praktisch unaufgefordert! Okay, mehr oder weniger…
„Ein Dreck ist hier drin…“, murrte Ben und fegte den Staub mit der Handkante von den Regalbrettern auf den Boden.
„Putzt du zu Hause auch so?“, fragte Maggie, breit grinsend. Ben ignorierte das vornehm und verließ das Büro, um sich alles Notwendige zu holen.
Maggie erbarmte sich, feuchtete den Putzschwamm an, der das Waschbecken hinter der Tür schmückte, und wischte einmal über die Regalbretter, die Ben immerhin leergeräumt hatte.
„Ihr seid erfreulich häuslich“, ließ sich Andi vernehmen, der an der Statistik seines Teams arbeitete. Bis jetzt sieben Fälle in diesem Jahr – und alle gelöst! Durchschnittlich in jeweils einer Woche gelöst! Ob Joe, Anne, Thomas oder Felix wirklich besser waren?
Kriminalrat Spengler hatte ja in seiner väterlichen Art (lag das wohl an den mittlerweile drei Kindern, die er mit dieser Werbefrau produziert hatte?) gemahnt, sie möchten doch jetzt bitte nicht auf Teufel komm raus schnell ermitteln – gründlich und gerichtsfest, das sei immer noch die Devise. Zügiges Arbeiten sei aber freilich nicht zu verachten… und er wisse die Schwierigkeit eines Falles bei der Auswertung der Statistik durchaus einzuschätzen.
Eine solche Auswertung hatten sie bis jetzt noch nicht zu sehen bekommen – und würden sie wahrscheinlich auch nie. Es sei denn, um ihnen Beine zu machen, aber dazu waren sie zu gut, ganz bestimmt!
Sein Telefon klingelte und er nahm ab, voll böser Ahnungen.
Seine Ahnungen bestätigten sich – wie meistens. „Leute, los geht´s! Männliche Leiche.“
„Wo denn?“, fragte Ben, der mit Mappen und anderem Kram hereinkam.
„Leiching. Hinter dem Zollhausmuseum. Wir werden es schon finden.“
Das war auch tatsächlich nicht schwer, man musste nur parken, sobald man das Blaulicht der Streife und des Krankenwagens sah und die unvermeidliche Gruppe von Schaulustigen.
Sie bahnten sich den Weg durch die Leute und schnauzten dabei nach links und rechts: „Haben Sie nichts Sinnvolles zu tun?“
Ein Handy klickte und Andi nahm es dem Fotografen sofort aus der Hand. „Recht am Bild, schon vergessen? Sie können es in einigen Tagen wieder abholen, sobald wir Ihre Fotogalerie überprüft und gegebenenfalls gelöscht haben.“
„Was?“ Der Besitzer schien sich aufplustern zu wollen, aber Liz und Maggie zückten nur ihre Kripoausweise und meinten freundlich lächelnd: „Da kommt noch was auf Sie zu. - Datenschutz, Sie verstehen?“
Das verscheuchte ohnehin die meisten Schaulustigen – wenn man hinterher nichts posten konnte, machte das Gaffen offenbar nur den halben Spaß…
Das Opfer lag in der von Büschen getarnten Nische, in der das Museum seine Mülltonnen – blau, gelb, braun und grau – normalerweise versteckte. Hätte der Hausmeister die Tonnen nicht an die Straße gerollt, weil die Müllabfuhr (grau und gelb) fällig war, hätte man den Toten vielleicht tagelang nicht entdeckt.
Der tote Mann lag auf dem Rücken und hatte zwei Schusswunden in der Brust. Dr. Engelhorn drehte sich um. „Das hier scheint genau das Herz getroffen zu haben und war damit wohl todesursächlich. Kleines Kaliber, vielleicht 0.22. Genaueres -“
„- wenn du ihn auf dem Tisch hattest“, vollendete Andi routiniert.
„Sehr brav.“
„Weiß man, wer er ist?“
Einer von der Spurensicherung sah auf. „Ein Oliver Perfler, achtundvierzig. Wohnt aber nicht direkt hier. Mehr so am Kreuz West, dem Perso zufolge.“
„Harter Kontrast“, kommentierte Maggie.
Liz drehte sich einmal um die eigene Achse. „Einen direkten Blick auf diese Nische hat hier überhaupt niemand. Idealer Ort. Hat er einen Führerschein? Dann könnte ich mal nach dem Wagen schauen…“
Kopfschütteln der Spurensicherung. „Nur der Perso und gerade mal zwölf Euro siebenunddreißig. Und ein ziemlich altes Handy.“
„Hier fahren auch viele Busse her“, stellte Ben fest. „Da vorne… die Nummer 41 und die 27.“
„Haben die die schon wieder umbenannt… na, egal. Wo fahren die denn hin…“ Liz inspizierte die Aushangfahrpläne. „Na immerhin, der Siebenundzwanziger fährt direkt zum Kreuz West, erstaunlich eigentlich.“
„Wieso? Sowohl die Schickis als auch die Prekären müssen öfter mal in die Innenstadt“, erklärte Ben. „Schau, er fährt über den Bahnhof und über den Markt. Eigentlich eine gute Linie.“
„Zugegeben. Gut, er kann also mit dem Siebenundzwanziger hierhergekommen sein. Wozu wohl… kennt er hier Leute?“
„Wir werden den Herrn Perfler im Präsidium durchchecken, dann sehen wir ja, wen er hier kennt. Und vielleicht auch, was er hier wollte.“
Sie kehrten zur Leiche zurück und betrachteten sie. Weißes Hemd – wenn man von den Blutflecken absah -, sehr dunkle, gut sitzende Jeans und dunkelbraune Schuhe. Eine recht preiswert wirkende Armbanduhr vollendete das Outfit.
„Schöne Haare“, stellte Maggie fest, die gerade wieder herantrat. „Im Museum hat keiner etwas gemerkt. Die haben aber auch gerade erst aufgemacht. Der Typ muss einen guten Friseur haben. Gehabt haben.“ Sie seufzte.
„Der wäre für dich doch viel zu alt gewesen“, mahnte Andi. Er hatte sich den Hausmeister vorgenommen, der auf einem der Betonblumenkübel neben dem Eingang saß und immer noch benommen vor sich hinstarrte, eingehüllt in eine Rettungsdecke.
„Der braucht Betreuung“, stellte Liz fest und instruierte die Sanitäter entsprechend.
Sobald jemand den Hausmeister versorgt hatte und die Leiche in einem Transportsarg lag, fuhren sie ins Präsidium zurück.
„Brauchen wir mehr Leute?“, überlegte Andi, während er Maggie beobachtete, die schon mal eine Überschrift an die Tafel schickte: Mord am Zollhausmuseum.
„Geht das so? Zollhausleiche finde ich doch etwas sehr flapsig…“
Er nickte ihr zu. Maggie beschriftete eine große Plastikwanne, in der die Berichte gesammelt werden würden, mit dem gleichen Titel, Ben verteilte die Mappen, die er gerade erst geholt hatte, und Liz formulierte die ersten Beobachtungen und schickte sie in die Tafel, zartgrün eingefärbt.
Warum grün, fragte er jetzt wohl besser nicht…
Lieber wandte er sich seinem Rechner zu und schaute nach, was das Netz über Oliver Perfler hergab.
Gar nicht mal so wenig… Adresse am Kreuz West, Norderneyweg, das hatte der Ausweis schon verraten. Geburtsdatum 11.12.1969… von Beruf offenbar Buchhalter, aber seit längerem ohne Beschäftigung. Aha! Hatte gesessen, fünf Jahre ohne Bewährung wegen zahlreicher kleinerer Unterschlagungen… außerdem hatte er lange Jahre in Hamburg gelebt, seit … 1996.
Verheiratet… die arme Frau. Saß die etwa in Hamburg und fragte sich, wo ihr Oliver hingeraten war? Wie sollte sie darauf kommen, dass er im tiefsten Oberbayern im Knast saß? Hatte sie vielleicht eine Vermisstenanzeige …?
Nein, alles ganz umgekehrt. Die Frau hieß Claudia Perfler, 46 Jahre alt, wohnhaft in Leisenberg. Selling, Neusser Straße, Sekretärin. Dann hatte sich Oliver nach Hamburg abgesetzt, war nach vielen Jahren zurückgekommen, hatte die Unterschlagungen begangen und war eingewandert? Na, dann hätte er, was diese Claudia anging, wohl auch getrost wegbleiben können!
Jedenfalls sollten sie Claudia Perfler befragen. Und sich in Perflers Wohnung umsehen…
Ben und Liz machten sich mit der Spurensicherung auf zur Wohnung im Norderneyweg; er selbst fuhr mit Maggie nach Selling.
„Alles eher bescheiden“, fand Maggie. „Kreuz West, Selling – und dann legt ihn jemand in Leiching um? War doch gar nicht sein natürliches Habitat, oder?“
„Du denkst, er hat jemanden Geldigen erpresst?“
„Naja – so abwegig ist das doch gar nicht?“
„Wer weiß…? Hemmungen hätte er wohl nicht gehabt, schließlich ist er ja schon einmal kriminell geworden. In seiner Akte steht freilich, dass er nicht gewalttätig war, mehr wohl der Schmumacher.“
„Dazu passt Erpressung doch gar nicht so übel, oder?“
„Ja, schon möglich…“
Neusser Straße 27, hatte in der Akte gestanden. Leicht verwirrt studierten sie die Klingeltafel, aber auf allen zwölf Schildern (drei Wohnungen pro Etage) standen ganz andere Namen.
„Sowas Blödes!“, murrte Andi und drückte kurz entschlossen auf alle drei Knöpfe im Erdgeschoss. Sofort ertönte der Summer und er drückte die Tür auf.
„Soll´n das?“, maulte es aus der mittleren Wohnung. Rechts schaute eine wohlfrisierte alte Dame aus der Tür, links blieb die Tür geschlossen.
Andi und Maggie zückten ihre Ausweise. „Wir sind auf der Suche nach Claudia Perfler. Können Sie uns da vielleicht behilflich sein?“
„Nie gehört“, wurde in der Mitte behauptet.
„Doch, die hat mal hier gewohnt“, erinnerte sich die alte Dame.
Maggie strahlte sie an. „Oh, sehr gut! Können Sie uns da Genaueres erzählen? Dürfen wir hereinkommen?“
„Aber bitte sehr!“
Sie wurden in ein picobello aufgeräumtes Wohnzimmer mit falschen Biedermeiermöbeln geführt und setzten sich mit Frau Reuter, ihrer Gastgeberin, um den runden Tisch mit der Decke aus Klöppelspitze.
„Das ist aber schon bestimmt zwanzig Jahre her, dass die Frau Perfler hier gewohnt hat. Eine ganz junge Frau war das, sehr hübsch. Und immer recht elegant gekleidet. Die passte gar nicht so recht hierher.“ Sie lächelte fein. „Sie wollte wohl gerne etwas Besseres sein.“
„Haben Sie auch ihren Mann gekannt?“
„Ach ja. Der junge Herr Perfler… das war damals wirklich traurig. Er ist von einem Tag auf den anderen verschwunden! Dabei hatte er sich immer so bemüht, seiner jungen Frau jeden Wunsch von den Augen abzulesen, aber er hat wohl nicht genug verdient… ich bin sicher, sie wollte lieber in einer vornehmeren Gegend wohnen. Hier ist es ja schon ein bisschen – naja, bescheiden, gell?“
„Aber gemütlich“, beeilte Maggie sich zu widersprechen, was ihr ein Lächeln eintrug. „Was ist denn geschehen, nachdem der Herr Perfler verschwunden ist?“
„Mei, die Frau Perfler hat noch eine Zeitlang hier gewohnt und dann ist sie umgezogen – wohin, weiß ich auch nicht. Einmal hab ich sie noch gesehen, da war ich in der Stadt. Vielleicht ein Jahr, nachdem der Herr Perfler – äh – weg war. Da war sie recht schick. Ja, und sie hatte ein Tütchen in der Hand, von der Schloss-Parfümerie.“
„Und das konnten Sie sich merken? Toll!“, lobte Andi.
„Mei, die Schloss-Parfümerie ist recht teuer – und ich hab mir gedacht, sie muss gescheit Geld haben, wenn sie da einkauft. Das gleiche Zeug gibt´s doch viel günstiger in der Discount-Parfümerie! Sie hat mich auch gesehen – und ein bisserl verlegen gegrüßt und dann auf die Uhr geschaut, als hätte sie´s recht eilig – und dann war sie weg.“
Alter Trick, das mit der Uhr…
„Meinen Sie, die anderen Mieter wissen auch noch etwas über Frau Perfler?“
Kopfschütteln. „Die wohnen doch noch gar nicht so lange hier! Der Freddy in der Mitte ist erst seit drei Jahren hier, und die Frau Fischer links arbeitet ewig lang und wenn sie heimkommt, will sie ihre Ruhe. Die wohnt seit… 2012 oder so hier.
„Fünf Jahre…“
„Ja, oder fast sechs, das weiß ich nicht mehr so genau.“ Frau Reuter versank in Gedanken – und gerade, als Andi den Abschied einleiten wollte, sah sie wieder auf. „Sie ist – oder war – Skorpion, das hat sie mal erzählt. Hübsch war sie… naja, ob sie das heute noch ist? Der Zahn der Zeit, gell?“
„Wie groß war sie denn? Daran dürfte sich ja nicht so viel geändert haben.“
„Mei, einen Kopf größer als ich, tät ich sagen. Damals war ich allerdings selbst noch ein bisserl größer. Schätzen tät ich… eins zweiundsiebzig oder etwas mehr. Nicht viel mehr, gell?“
„Mittelgroß, Skorpion und gut aussehend. Wissen Sie, was sie beruflich gemacht hat?“, wollte Andi wissen.
„Gesagt hat sie nichts… vielleicht Sekretärin? Sie hat so ein bisserl nach einem nobleren Büro ausgeschaut. Aber das denk ich mir nur halt so…“
„Das könnte uns auch schon weiterhelfen, vielen Dank!“ Maggie lächelte zutraulich, sie fand die alte Dame einfach reizend.
„Nette Frau“, sagte sie dann auch draußen.
„Viel gewusst hat sie nicht – aber immerhin. Diese Claudia macht mir aber auch Spaß – hat sie noch nie etwas von Ummelden gehört? Und arbeitet die nichts mehr? Diese Daten sind doch heillos veraltet… der Perfler hat sich hier 1996 vom Acker gemacht, das sind mehr als zwanzig Jahre…“
„Vielleicht ist sie ihm nach Hamburg nachgereist“, schlug Maggie vor und ärgerte sich sofort über ihre eigene Dummheit: „Nee, Quatsch, dann wäre sie ja in Hamburg gemeldet. Ob sie ausgewandert ist? Du weißt schon, macht eine Kneipe auf Mallorca auf oder eine deutsche Bäckerei in New York?“
„So wie im Fernsehen?“, spottete Andi und schlug den Weg zum Präsidium ein. „Kneipe meinetwegen, sie konnte ja hoffen, prominent zu werden, das könnte zu ihrem Typ passen, wie Frau Reuter sie beschrieben hat. Aber Bäckerei? Maggie! Also ich stelle mir die Frau nicht mit Teig an den Fingern vor.“
„Ich eigentlich auch nicht“, gab Maggie zu. „Vielleicht ist sie auch tot?“
„Das vermute ich langsam auch. Zeugenschutzprogramm wird´s ja wohl nicht sein… in diesem Zusammenhang war von keinem Verbrechen die Rede, außer diesen albernen Unterschlagungen. Nicht gerade organisierte Kriminalität. Aber wir können bei Frieder nachfragen, ob ihm der Name etwas sagt.“
Frieder Jansen von der Abteilung O.K. schüttelte einige Minuten später bedauernd den Kopf. „Perfler? Nein, wüsste ich jetzt nicht… Wie bitte? Sechsundneunzig?? Da war ich ja noch in der Schule, Andi! Und du übrigens auch. Ich lass mal die Akten von damals durchsehen, der Kram ist ja aus Sicherheitsgründen nicht digitalisiert.“
Damit musste Andi sich zufrieden geben.
Skorpion… Skorpione hatten Ende Oktober, Anfang November Geburtstag, oder? Sechsundvierzig… Jahrgang 1971.
Er rief das Programm auf und gab Claudia Oktober 1971 ein. Toll, ungefähr zwanzig Treffer. Er las sich alles durch und seufzte. Vier waren mittlerweile schon tot – Drogen, Autounfälle, Krebs.
Drei andere saßen ein… nun, die konnte man nicht unbedingt ausschließen, wer sagte denn, dass Claudia Perfler nicht auf die schiefe Bahn geraten war? Andererseits hießen die Knastfrauen nicht Perfler, sondern Müller, Ofcek und Stadlbauer.
Blieben noch dreizehn, verstreut über die ganze Bundesrepublik und das angrenzende Ausland. Gott, wie mühsam…! Vielleicht hatte diese rätselhafte Person aber auch im November Geburtstag? Mit der Suchoption November kamen noch sechzehn neue Claudias dazu…
„Scheiße!“, verkündete er dann lautstark. Maggie hob den Kopf von ihrem eigenen Bildschirm und sah ihn fragend an.
„Zweiunddreißig Claudias, die Skorpion sein könnten – ich Trottel! Wann genau ist Skorpion?“
„Puh! Schätzungsweise vom zwanzigsten Oktober bis zum zwanzigsten November. Kannst du dann welche ausschließen?“
„Danke! Was täte ich ohne dich…“
Damit fielen tatsächlich sieben Claudias weg. Toll, noch fünfundzwanzig… Er schob die Tastatur ein Stück von sich. „Vielleicht habe ich ja Glück und in Perflers Wohnung findet sich ein uralter Geburtstagskalender?“
Maggie brummte ermutigend, starrte aber weiter auf ihren Bildschirm.
„Was schaust du gerade?“
„Was über Perfler noch so im Netz steht. Und mit wem er in der Zelle gesessen hat.“
„Sehr gut!“ Andi kopierte die Informationen in ein neues Dokument, wandelte das Ganze in eine Tabelle um und sortierte nach Geburtsdaten. Vielleicht half das später ja irgendwie weiter… bei seinem Glück wahrscheinlich nicht.
Ben und Liz hatten sich in einer eher kleinen und ausgesprochen seltsam geschnittenen Wohnung am Norderneyweg umgesehen und alles, was sie selbst und das übrige Durchsuchungsteam an Interessantem gefunden hatten, in einer großen Plastikwanne gesammelt.
Viel war es nicht, stellten sie schließlich fest. Kein Rechner, ein winziges Adressbuch, eine Handvoll Briefe, so gut wie keine Wertsachen, wenig Garderobe (diese allerdings von einigermaßen guter Qualität) und ein Firmenausweis von XAM!
„Ist das nicht eine total schicke Werbeagentur?“, fragte Ben leicht verblüfft. Liz bestätigte ihm das. „Ich kann mir auch nicht vorstellen, was der da gemacht hat, er war doch kein Werbefuzzi? Was hat der gleich wieder gemacht, bevor er eingefahren ist?“
„Buchhalter, oder? Na, sowas braucht man ja wohl überall…“
„Würdest du einen vorbestraften Betrüger als Buchhalter einstellen?“
„Eher nicht. Vielleicht fegt er die Büros aus.“
„Superjob… naja, was macht er auch Schmu und lässt sich obendrein noch erwischen… Warum macht so einer sowas?“, überlegte Liz.