Forbidden Chances - Nancy Salchow - E-Book

Forbidden Chances E-Book

Nancy Salchow

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Beschreibung

Erstmals zusammen in einem Sammelband: Die Liebesromane „Zweite Chance für den Millionär“, „Cold Boss, Hot Love“ und „Unstillbar: Eine verbotene Liebe“. Klappentext von „Zweite Chance für den Millionär“: Ihre ganze Kindheit und Jugend haben sie gemeinsam auf dem Land verbracht: Johanna und Nick. Einen Sommer lang war er sogar ihre große Liebe. Bis es ihn in die Großstadt zog, um Karriere zu machen, während sie in der Provinz blieb, um auf dem Bauernhof ihrer Familie zu arbeiten. Acht Jahre später ist er plötzlich wieder da: vermögend, erfolgreich und noch immer unverschämt gutaussehend. Doch während er Johannas Nähe sucht, geht sie instinktiv auf Abstand, viel zu wütend ist sie noch immer darüber, dass er sie damals zurückgelassen hat. Doch ihre verdrängten Gefühle für Nick sind nicht das einzige Problem, denn seine Rückkehr scheint nur der Zwischenstopp auf einer Dienstreise zu sein. Die Tatsache, dass Johannas Ex-Freund Mike wenig begeistert über Nicks Rückkehr ist, macht das Gefühlschaos schließlich perfekt. Ein emotionaler Kampf um Vertrauen, verdrängte Gefühle und die eigenen Prinzipien stellt Johannas Leben auf den Kopf.

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Inhaltsverzeichnis

Buch 1: Zweite Chance für den Millionär

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Buch 2: Cold Boss, Hot Love

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Buch 3: Unstillbar

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Epilog

Impressum

Nancy Salchow

Forbidden Chances

Sammelband mit drei Liebesromanen

Buch 1: Zweite Chance für den Millionär

Ihre ganze Kindheit und Jugend haben sie gemeinsam auf dem Land verbracht: Johanna und Nick. Einen Sommer lang war er sogar ihre große Liebe. Bis es ihn in die Großstadt zog, um Karriere zu machen, während sie in der Provinz blieb, um auf dem Bauernhof ihrer Familie zu arbeiten.

Acht Jahre später ist er plötzlich wieder da: vermögend, erfolgreich und noch immer unverschämt gutaussehend. Doch während er Johannas Nähe sucht, geht sie instinktiv auf Abstand, viel zu wütend ist sie noch immer darüber, dass er sie damals zurückgelassen hat.

Doch ihre verdrängten Gefühle für Nick sind nicht das einzige Problem, denn seine Rückkehr scheint nur der Zwischenstopp auf einer Dienstreise zu sein. Die Tatsache, dass Johannas Ex-Freund Mike wenig begeistert über Nicks Rückkehr ist, macht das Gefühlschaos schließlich perfekt.

Ein emotionaler Kampf um Vertrauen, verdrängte Gefühle und die eigenen Prinzipien stellt Johannas Leben auf den Kopf.

Der Roman ist in sich abgeschlossen, enthält heiße Szenen und natürlich ein wohlverdientes Happy End.

Es handelt sich um eine Neuauflage des Romans „Millionäre überbewertet“.

Anmerkung:Fleesenow ist eine von der Autorin erfundene Kleinstadt an der Ostsee, die immer mal wieder in ihren Büchern vorkommt. Angesiedelt wäre Fleesenow, gäbe es den Ort wirklich, vermutlich irgendwo in der Nähe der Insel Poel oder Wismar, der Heimat der Autorin.

Prolog

Für den Bruchteil von Sekunden verliere ich mich in der Art, wie er mich anschaut. Jeder andere Mensch könnte mich auf dieselbe Weise anschauen und es wäre nichts weiter als ein Blick. Aus Nicks Augen jedoch wirkt jede Aufmerksamkeit wie eine Botschaft – tiefgründig wie ein lange gehütetes Geheimnis, intensiv wie ein vertrauliches Geständnis.

Alles in mir sehnt sich danach, die Zeit zurückzudrehen und mich mit dem Kopf einer Frau dem Bauchgefühl eines Mädchens hinzugeben – dem Mädchen, das ich glaubte, nicht mehr zu sein. Doch es ist zu viel geschehen. Vor allem aber ist zu viel nicht geschehen. Träume, die wir hätten ausleben können. Wege, die wir hätten gemeinsam gehen können.

„Johanna?“ Er schaut mich fragend an, als mein Schweigen anhält. Doch anstatt ihm zu antworten, löst sich jedes Wort in meinem Kopf auf, bis nur noch gedankenlose Leere übrig ist.

Worüber haben wir gerade eben noch gesprochen? Warum haben wir gestritten? Und was genau werfe ich ihm eigentlich vor?

Ich fühle mich wie in einer Zeitschleife, die mich nicht mehr hergeben will. Eine Schleife, die an mir zerrt und mich gleichzeitig mit Emotionen überhäuft, von denen ich glaubte, sie längst hinter mir gelassen zu haben.

Ich schaue auf und erwidere seinen Blick, der mich noch immer auf unerschütterliche Art und Weise festhält.

Er steht so nah vor mir, dass ich seinen Atem hören kann.

Was tue ich hier eigentlich? Und warum hatte ein einziges Lied die Macht, mich aus dem Zelt zu vertreiben und in diese Situation zu bringen?

Ich möchte etwas sagen, doch meine Stimme gehorcht mir nicht. Stattdessen beginnt sich alles um uns herum zu drehen.

Ich sehe meine Hand, als wäre es die einer anderen Person, wie sie sich seitlich an seinen Hals legt, meine andere Hand, wie sie seine Wange berührt.

Und plötzlich gibt es kein Zurück mehr. Mehr Zugeständnisse scheint er nicht zu brauchen. Entschlossen zieht er mich an sich und küsst mich so leidenschaftlich, als hinge sein Leben davon ab.

Spätestens von diesem Moment an schaltet sich mein Kopf komplett aus. Alles, wonach ich mich sehne, ist hier und jetzt zum Greifen nah. Ich spüre seine Zunge an meiner, warm und fordernd, selbstbewusst und leidenschaftlich. Es ist der Kuss eines selbstsicheren Mannes, der ganz genau weiß, was er will. Und doch spüre ich irgendwo zwischen seinen kräftigen Händen noch immer denselben Mann, fast noch ein Junge, der mir damals seine Liebe gestanden hat.

Seine Lippen wandern zu meinem Hals, während er mein Haar sanft zur Seite streicht.

Eine allesübergreifende Ungeduld überkommt mich. Fast scheint es so, als habe sie acht Jahre gebraucht, um sich in mir in diesem Maße aufzustauen, nur um jetzt alle Zweifel wegzuspülen.

Ich sehe mir selbst dabei zu, wie ich nach seiner Hand greife und ihn hinter mir herziehe.

Die Tür zum Stall des alten Jensen ist nicht verschlossen. Um diese Uhrzeit ist hier niemand zu erwarten, erst recht nicht am Tag des Festes, das alle Bewohner zum Zelt und dem dazugehörigen Lagerfeuer zieht.

Noch in der offenen Tür fallen wir übereinander her. Mit dem Fuß schlägt er sie hinter uns zu, ohne dabei die Hände von mir zu lassen.

Die Musik aus dem Festzelt ist dumpf bis hierher zu hören und scheint wie eine blasse Erinnerung aus einer anderen Welt, während wir mit mutigen Schritten unsere eigene Realität betreten.

Keiner von uns beiden sagt auch nur ein Wort – und doch scheinen wir ganz genau zu wissen, was der andere denkt.

Als hätte er geahnt, was ich hier und jetzt, genau in diesem Moment brauche, zieht er mich in eine der ehemaligen Pferdebuchten. Halb küssend, halb an den Klamotten des anderen zerrend, lassen wir uns im Stroh nieder.

Ist das wirklich wahr? Gerade eben haben wir uns noch die bissigsten Kommentare an den Kopf geworfen und jetzt liegen wir hier, frei von allen Hemmungen und Zweifeln.

Bin das noch immer ich?

Und vor allem, ist das noch immer derselbe Mann, dem ich vor acht Jahren mein Herz geschenkt habe?

Alles scheint so vertraut, und doch ist alles anders.

Kapitel 1

„Da bist du ja!“ Mit offenem Mund steht Nadja in der Stalltür und starrt mich an, als hätte ich den Urknall verpasst. „Ich habe dich schon überall gesucht.“

„Was ist denn jetzt schon wieder los?“ Ich schiebe die Forke ins Stroh, während ein Huhn empört in der Buchte gackert, weil ich es beim Eierlegen störe. „Ich bin gerade beim Ausmisten, das siehst du doch.“

Unbeeindruckt von ihrer für sie so typischen Hibbeligkeit schiebe ich das alte Stroh in den Sack, ohne aufzusehen.

„Johanna.“ Nadja wird lauter. „Ich rede mit dir!“

Seufzend stelle ich die Forke gegen die Wand und schaue auf. Wie immer wirkt sie mit ihren engen weißen Jeans, dem schwarzen Glitzertop und dem platinblonden Kurzhaarschnitt wie ein Fremdkörper zwischen Stroh und Tieren.

„Ich habe dir doch gesagt, dass du dir andere Klamotten anziehen sollst, wenn du mich auf dem Hof besuchst“, schimpfe ich. „Wehe, du jammerst hinterher wieder, dass du in Hühnerdreck getreten bist.“

„Zum Umziehen war keine Zeit, ich bin direkt aus dem Salon hergekommen.“

„Himmel, was ist denn so dringend?“ Ich schiebe mir eine Haarsträhne hinters Ohr, die sich aus dem Zopfgummi gelöst hat. „Du siehst ja aus, als hättest du ein Gespenst gesehen.“

„Okay, ich mach’s kurz: Die Mutter von Nick war vorhin zum Schneiden und Föhnen bei uns. Ich war gerade hinten im Personalbereich und habe zufällig ihr Gespräch mit einer anderen Kundin belauscht.“

„Zufällig?“ Ich hebe die Augenbrauen.

„Stell dir vor, sie hat erzählt, dass Nick herkommt.“ Ihr Atem wird schneller. „Hierher nach Fleesenow.“

Für einen Moment ringe ich um Fassung, versuche jedoch, mir nichts anmerken zu lassen.

„Und wenn schon.“ Ich räuspere mich. „Dann besucht er eben seine Eltern, ist doch nichts dabei.“

„Er kommt nie her. Wenn, dann besuchen sie immer ihn in München. Fast so, als würde er krampfhaft versuchen, seiner alten Heimat aus dem Weg zu gehen. Seiner alten Heimat und …“

„Und mir, du kannst es ruhig aussprechen.“

„So habe ich das nicht gemeint.“

„Aber ich meine es so, Nadja. Acht Jahre lang war es ihm egal, wie es seinen alten Freunden geht, da erlaubst du mir doch hoffentlich auch, dass es mir inzwischen egal ist, wie es ihm geht.“

„Willst du mir etwa weismachen, dass es dich nicht interessiert, dass er nach all den Jahren plötzlich wieder da ist?“

Ich greife nach der Forke und harke das restliche Stroh zusammen. „Er hat sich für ein anderes Leben entschieden, welche Rolle spielt es da noch, was ich denke?“

„Seine Mutter hat erzählt, dass er inzwischen sogar Millionär ist. Das musst du dir mal vorstellen: Der kleine Nick auf dem Traktor deines Vaters scheffelt heute das große Geld mit dem Verkauf von Bioprodukten. Eine Idee, die er zweifellos seinen ländlichen Wurzeln zu verdanken hat.“ Sie schlägt lachend die Hände zusammen. „Ha! Das heißt dann wohl, dass wir gewissermaßen auch einen Anteil an seinem Erfolg haben.“

„Hörst du dir eigentlich selbst zu?“

„Ach Joey.“ Sie zwinkert mir zu. „Ich mache doch nur Spaß. Außerdem dachte ich mir, dass ich dir lieber gleich von seinem Besuch erzähle, bevor du es von jemand anderem erfährst.“

„Das ist wirklich lieb gemeint.“ Ich lasse die Schultern sinken und stütze mich auf die Forke. „Aber was soll ich denn deiner Meinung nach tun? In Panik verfallen? Nick war derjenige, der damals abgehauen ist. Es war seine Entscheidung, nicht meine. Wenn jemand nervös sein sollte, dann er und nicht ich. Aber ich wette mit dir, dass es ihn einen feuchten Dreck interessiert, wen von uns er wiedersieht.“

„Klingt aber sehr nach Verbitterung, wenn du mich fragst und nicht nach einer Frau, der es ganz egal ist, ihren Ex wiederzusehen.“

„Es war nur ein Sommer, Nadja. Glaubst du etwa, dass ich ihm heute noch nachtrauere?“

„Vielleicht wart ihr einen Sommer lang ein Paar, aber davor wart ihr jahrelang die besten Freunde. Das vergisst man doch nicht so einfach, auch wenn du versuchst, mir das einzureden.“

Langsam fangen ihre Anekdoten an zu nerven. Typisch Nadja. Entweder merkt sie wirklich nicht, wenn sie sich auf zu dünnem Eis bewegt oder sie will es nicht merken.

„Also schön.“ Ich hole tief Luft. „Was willst du von mir hören? Dass es seltsam ist, ihn wiederzusehen? Ja, das ist es. Dass ich mir damals die Augen wegen ihm ausgeheult habe? Ja, das habe ich – und niemand weiß das besser als du, nachdem ich den Weinvorrat deiner Eltern gekillt habe und du es auf dich genommen hast, damit ich keinen Ärger bekomme. Das werde ich dir nie vergessen.“ Ich atme aus. „Aber das alles ist so lange her. So verdammt lang her, Nadja. Was für eine Frau wäre ich, wenn ich mit 25 immer noch nicht über ihn hinweg wäre?“

„Eine Frau, die einfach wahnsinnig verknallt war.“ Sie tritt einen Schritt näher, sorgsam darauf bedacht, sich nirgends schmutzig zu machen. „Komm schon, Joey, ich bin’s. Es gibt keinen Grund, die coole Socke zu spielen. Lass uns darüber reden.“

„Also schön, er kommt zurück.“ Ich hebe die Arme. „Und nun? Soll ich deswegen durchdrehen? Wer weiß, ob wir uns überhaupt über den Weg laufen? Vielleicht ist er ja auch nur ein paar Tage hier.“

„Ich weiß nicht, wie lange er bleibt. Nur, dass er auf jeden Fall morgen auf dem Scheunenfest sein wird.“

Mein Herz beginnt zu rasen. Das jährliche Scheunenfest. Unweigerlich schieben sich die Bilder unseres letzten gemeinsamen Sommers in meinen Verstand. Unser erster Kuss. Unsere erste gemeinsame Nacht. Sein Liebesgeständnis. Es fühlt sich an, als lägen Jahrzehnte zwischen damals und jetzt.

„Und wenn schon.“ Ich zucke mit den Schultern. „Ich weiß ja noch nicht mal, ob ich da sein werde.“

„Du bist immer dort. Alles andere wäre auffällig, Süße.“

In Momenten wie diesen hasse ich es, dass sie alles über mich weiß.

„Musst du nicht in den Laden zurück?“, frage ich unruhig.

„Das ist der Vorteil, wenn man einen eigenen Salon hat“, antwortet sie. „Man kann auch mal spontan verschwinden, wenn man gerade keine Kundin bedient und die Kollegin da ist.“

„Schön für dich.“ Ich presse meine Lippen zusammen. „Aber wenn ich mit den Hühnern fertig bin, muss ich rüber zu den Pferden. Wie du siehst, habe ich also keine Zeit zum Tratschen.“

„Ach Joey.“ Sie drückt mir einen Kuss auf die Wange. „Du bist einfach süß, wenn du versuchst, mir etwas vorzumachen.“ So schnell, wie sie gekommen ist, verschwindet sie wieder durch die Stalltür. Draußen dreht sie sich noch einmal um. „Lass uns später telefonieren, okay?“

Ich winke ihr flüchtig zu, ohne sie wirklich anzuschauen. Das Letzte, was ich jetzt gebrauchen kann, ist ein weiterer skeptischer Blick von ihr, mit dem sie mich zu analysieren versucht.

Ich ziehe den mit altem Stroh befüllten Sack aus dem Stall und werfe ihn über meinen Rücken, um ihn zum Komposthaufen zu tragen. Auf halber Strecke bleibe ich stehen.

Gedankenverloren lasse ich meinen Blick in die Ferne wandern, hinaus auf die goldenen Felder und die mächtigen Eichen, die sie säumen, bis hin zu dem alten Kopfsteinpflaster, das zum Fleesenower See führt.

Der See. Auch er ist mit so vielen Erinnerungen verbunden.

Wie lange ist das alles her? Und wann wird sich die Gegenwart ein für alle Mal von der Vergangenheit lösen? Vielleicht niemals?

Das Krähen des Hahns reißt mich aus den Gedanken. Wie wach geworden kippe ich den Sack aus und mache mich auf den Weg zum Unterstand, um frisches Stroh zu holen. Was auch immer in meinem Kopf vor sich geht, die Arbeit macht sich schließlich nicht von allein.

Kapitel 2

„Wir haben schon seit Tagen nicht mehr zusammen gefrühstückt, Schatz.“ Nirgends klingt die Stimme meiner Mutter vorwurfsvoller als am Telefon.

„Ich bin in letzter Zeit einfach früher aus dem Haus als sonst, Mama. Da hatte ich noch keinen Hunger. Ich trinke morgens nur meinen Kaffee und dann bin ich auch schon draußen auf dem Hof.“

„Das gilt nicht als Ausrede. Dein Vater ist seit fünfunddreißig Jahren Frühaufsteher und isst trotzdem jeden Tag sein Frühstück. Also, kommst du morgen früh rüber? Es gibt auch deine Lieblings-Sanddorn-Marmelade.“

„Wir wohnen und arbeiten auf demselben Bauernhof – und du rufst mich an, um mich das zu fragen?“ Ich lache. „Wir haben uns vor einer Stunde gesehen, Mama.“

„Ach, ich musste nur gerade daran denken, als ich den Marmeladen-Bestand geprüft habe.“

„Du bist süß. Also schön. Wenn es dir so wichtig ist, bin ich morgen gegen sechs bei euch, okay?“

„Prima. Und was machst du jetzt? Gehst du noch aus?“

„Heute nicht. Ich lasse mir glaube ich ein heißes Bad ein und bin für den Rest des Tages faul. Ella hat mir heute den letzten Nerv geraubt, da muss ich mich erst mal ein wenig erholen.“

„Du hast sie zu sehr verwöhnt, das ist jetzt die Quittung.“

„Sie ist eine ganz normale Stute, Mama. Ich habe sie niemals anders behandelt als die anderen Pferde. Nur im Moment will sie einfach nicht richtig fressen.“

„Hast du Dr. Farnow schon angerufen?“

„Er kommt nachher noch kurz vorbei.“

„Das ist gut. Lass uns morgen weiterreden, ja? Dein Vater sucht mal wieder nach den Schlüsseln für den Van. Wir sehen uns, Schatz.“

„Mach’s gut, Mama.“

Ich lege das Telefon auf die Schlafzimmervitrine und setze mich aufs Bett.

Alles scheint wie immer. Die Gespräche mit meiner Mutter, die sich ständig Sorgen um mich macht, obwohl ich ihr niemals Anlass dafür biete. Die Arbeit mit den Tieren. Die Koordination für das Hofcafé.

Und doch, irgendetwas ist anders.

Mein Blick fällt auf den Kleiderschrank neben der Tür.

Instinktiv stehe ich auf und öffne ihn, auf Zehenspitzen stehend greife ich schließlich ins obere Fach und ziehe einen kleinen Karton heraus.

Seufzend lasse ich mich erneut aufs Bett fallen und nehme den Deckel ab.

Alte Postkarten und Fotos. Erinnerungen aus vergangenen Tagen.

Unterbewusst scheine ich genau zu wissen, wo ich finde, was ich suche, denn schon nach wenigen Griffen halte ich es in der Hand.

Der Sommer 2009.

Lachend legt er von hinten die Arme um mich, während er auf einem Strohballen sitzt und ich mit breitem Grinsen davor stehe.

Das lange schwarze Haar fällt mir auf die Schultern, an meinen Jeans hängt etwas Heu vom Transport der Pferde, die wir an dem Tag von einem anderen Hof geholt haben.

Nick trug das Haar damals kurz.

Ob es noch immer genauso dunkel ist wie seine Augen?

Seine Augen. Dieser freche Blick, der einfach alles zu sehen scheint und doch so voller Wärme ist.

Schnell lege ich das Foto zurück und drücke den Deckel auf den Karton.

Warum tue ich mir das an? Warum lasse ich es zu, dass allein die Gewissheit, dass er zurückkehrt, diese Gefühle in mir auslöst? Und warum zum Teufel kehren die Erinnerungen an seinen Abschied selbst acht Jahre später immer wieder zurück?

Ich tue das nicht nur für mich, Joey. Ich will etwas im Leben erreichen. Für uns beide.

Wie soll dein Verschwinden für uns beide gut sein? Mein Leben ist hier, Nick. Das weißt du. Ich liebe es hier, und ich brauche niemanden, der mir irgendein besonderes Leben beschert. Ich kann für mich selbst sorgen.

Daran habe ich keinen Zweifel, aber bevor ich weiß, wie es mit uns weitergeht, muss ich die Weichen für meine Zukunft legen, und das geht nun mal nicht hier.

Da ist sie wieder, die Wut, die mir den Atem raubt. Die Wut auf ihn und seine Entscheidung. Die Wut auf mich, weil ich ihm immer noch den Zugang zu meinen Gedanken gewähre.

Entschlossen springe ich auf, schiebe den Karton zurück in den Schrank und lehne mich gegen die Tür, als könne allein diese Geste die Vergangenheit auslöschen.

Was auch immer ihn dazu bewegt hat, nach Fleesenow zurückzukehren, eins steht fest: Ich werde mich davon nicht aus der Spur bringen lassen.

Kapitel 3

„Guten Morgen, Bruno. Kommst du nach hinten zur Lagertür? Mein Transporter steht schon draußen, ich habe die Eier- und Gemüselieferung dabei.“

„Hallo Johanna. Dich schickt der Himmel.“ Bruno kommt hinter seinem Verkaufstresen hervor und nickt seiner Kollegin am Regal zu, die Kasse zu übernehmen.

Sein enganliegendes weißes T-Shirt, das seinen gewaltigen Bauch bedeckt, bringt mich insgeheim auch an diesem Morgen zum Grinsen. Die aschgraue Kappe, die seinen mittlerweile fast komplett kahlen Kopf bedeckt, gehören zu ihm wie die Maisernte zum Herbst.

„Ich hole nur noch schnell die Bestellliste.“ Er verschwindet durch den Gang mit den Reinigungsmitteln in Richtung Büroräume.

„Ich gehe schon mal nach hinten“, rufe ich ihm nach.

Gerade als ich mich zur Ladentür umdrehen will, zucke ich wie erstarrt zusammen. „Du?“

Er steht vor mir wie die Erscheinung aus einem verblassten Traum.

„Hallo Joey“, ist alles, was er sagt. Fast so, als hätten wir uns gerade erst gestern gesehen.

Wortlos starre ich ihn an.

Dieselben durchdringenden Augen wie früher, das Haar etwas kürzer, im Gesicht der Ansatz eines Dreitagebartes.

Augenblicklich schieben sich die Erinnerungen mit ganzer Macht in meinen Verstand.

Seine Oberarme sind kräftiger als früher. Ob er Sport treibt?

Erst jetzt fällt mir auf, dass ich noch immer nichts gesagt habe.

„Du siehst gut aus“, sagt er mit sanftem Lächeln.

„Danke, du auch.“ Ich kämpfe mir ein höfliches Grinsen ab.

„Es ist lange her“, sagt er leise.

„Acht Jahre“, antworte ich mit fester Stimme.

Unsere Vorgeschichte würde zumindest eine Umarmung erfordern. Stattdessen stehen wir uns in der Mitte des Ladens gegenüber und unterhalten uns wie zwei oberflächliche Bekannte, die nur aus Höflichkeit miteinander reden.

„Ich habe euren Transporter vor der Tür gesehen“, sagt er. „Der ist ja doppelt so groß wie der alte.“

Ich nicke. „Wir liefern mittlerweile viel größere Mengen aus als früher. Unser Kundenstamm ist gewachsen. Unser Angebot auch und …“ Ich verstumme. Es fühlt sich seltsam an, derart belanglose Floskeln mit ihm zu wechseln.

„Meine Mutter sagt, ihr richtet inzwischen auch Landhochzeiten aus.“

„Alle Feierlichkeiten, die so gebucht werden. Es gibt immer viel zu tun. Die Ernte, die Tiere, das Hofcafé, die Kutschfahrten. Es kommt einiges zusammen.“

„Deine Eltern sind sicher sehr glücklich über deine Unterstützung.“

„Das klingt so, als würde ich das alles nur ihnen zuliebe tun.“

„So habe ich das nicht gemeint, Joey. Das weißt du.“

Ich beiße mir auf die Zunge. Das ist nicht der richtige Zeitpunkt für den alten Streit.

„Es scheint sich jedenfalls einiges getan zu haben, seitdem ich weggegangen bin“, sagt er.

„Johanna!“ Brunos Stimme lässt mich aufschrecken. Mit der Liste in der Hand steht er hinter mir. „Du bist ja immer noch hier. Ich wäre dann so weit.“

„Tut mir leid. Ich habe mich festgequatscht.“

„Nick! Das gibt’s ja nicht.“ Bruno schlägt ihm freudig auf die Schulter. „Du hier? Was verschafft uns die Ehre? Habe gehört, du hast ordentlich Karriere in der großen weiten Welt gemacht.“

„Bruno.“ Nick umarmt ihn. „So groß ist die Karriere nun auch wieder nicht. Außerdem kann keine Karriere die Heimat ersetzen.“

Scheinheiliges Gequatsche! Von wegen Heimat. Acht Jahre lang keinen Fuß in heimische Gefilde setzen und jetzt so gefühlsduselig werden?

Cool bleiben, Joey. Er ist es nicht wert, dass du dich aufregst.

„Von mir aus können wir, Bruno“. Ich räuspere mich. „Ich muss danach noch zu einem anderen Kunden.“

„Na dann.“ Er löst sich von Nick. „Dann lass uns mal den Transporter leeren.“

„Wir sehen uns sicher später noch.“ Nick lächelt mir zu.

„Bestimmt“, ist alles, was ich herausbekomme.

Ohne mich noch einmal umzudrehen, folge ich Bruno durch den Laden in Richtung Lager. Doch mit jedem Schritt, den ich mich von Nick entferne, wird mir bewusst, wie viel Macht seine Anwesenheit noch immer auf mich hat.

Warum bin ich noch immer wütend auf ihn? Warum kann es mir nicht einfach egal sein, ob er hier ist, in München oder auf Hawaii? Das Letzte, was er verdient hat, ist auch nur ein einziger meiner Gedanken.

Nick und ich, das war gestern.

Und gestern ist acht Jahre her.

Kapitel 4

„Unser Kundenstamm ist gewachsen? Das ist alles, was du zu ihm gesagt hast?“ Nadja wirft ein Kleid neben mir aufs Bett. „Du verarschst mich, oder?“

„Na ja, wir haben belangloses Gefasel ausgetauscht, und dann kam Bruno, um die Lieferung mit mir durchzugehen.“

Sie zieht ein weiteres Kleid aus dem Schrank und hält es vor sich. „Was meinst du? Zu gewagt?“

„Du weißt schon, dass wir zum Scheunenfest gehen und nicht auf die Fashion Week, oder?“

„Mein letztes Date ist Wochen her. Ich brauche endlich mal wieder ein bisschen Frischfleisch im Bett – und wenn ich mir das angeln will, kann das Outfit nicht sexy genug sein.“

„Dann zieh’ es einfach an und gut ist. Wozu brauchst du da meine Meinung?“

„Aber du hast versprochen, mir beim Aussuchen zu helfen.“

„Am Ende ziehst du doch eh immer an, was du willst. Egal, was ich sage.“ Ich zwinkere ihr zu. „Das wissen wir doch beide.“

Seufzend wirft sie das Kleid zu dem anderen und setzt sich neben mich.

„Nun sag schon.“ Sie mustert mich skeptisch. „Wie war es für dich, ihn zu sehen? Du musst doch irgendetwas empfunden haben.“

„Also jetzt gerade empfinde ich eine große Portion Genervtheit, weil du wieder mal nicht lockerlässt.“

„Komm schon, Joey, wir wissen doch beide, dass du eigentlich darüber reden willst.“

„Selbst wenn ich es wollte, es gibt nichts zu erzählen. Wir haben uns nur kurz begrüßt, ein bisschen über den Hof geredet und das war’s auch schon.“

„Wie hat er denn ausgesehen? Wie hat er dich angeschaut?“

„Wie er mich angeschaut hat? Ist das dein Ernst?“

„Um Himmelswillen, Joey, jetzt lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen!“

„Also gut, wenn du es genau wissen willst: Er hat mich angesehen, als hätte er ein schlechtes Gewissen.“

„Sehr gut.“ Sie schlägt die Hände zusammen.

„Was ist daran bitteschön gut?“

„Na ja, das zeigt doch, dass du ihm nicht egal bist.“

„Wen interessiert es, ob ich ihm egal bin? Er hat jetzt sein Leben und ich meins. Und daran wird auch seine kurze Stippvisite in Fleesenow nichts ändern. Die anderen können ihn ja gern wie den Papst begrüßen, für mich ändert sein Auftauchen nichts.“

„Ach Joey.“ Sie legt die Hand auf mein Knie. „Du kannst ja gern ihm oder den anderen etwas vormachen, aber mir nicht. Ich weiß, dass er die Liebe deines Lebens war – und das ändert sich nicht einfach so.“

„Du hast es schon ganz richtig erkannt, Nadja. Er war meine große Liebe. Heute bin ich erwachsen und alt genug, um zu wissen, dass Liebe eben nicht alles im Leben ist. Vor allem dann nicht, wenn es eine einseitige Liebe ist.“

„Einseitig? Ist nicht dein Ernst, oder? Jeder Vollidiot weiß doch, wie sehr dich Nick vergöttert hat. Und zwar schon lange bevor ihr zusammengekommen seid.“

„Wenn er mich so sehr vergöttert hätte, wäre er nicht einfach so abgehauen.“

„Er wollte doch, dass du ihn begleitest, oder?“

„Du weißt, dass ich meine Zukunft schon immer auf dem Hof gesehen habe. Das war mein Plan – und er ist es bis heute.“

„Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du ein totaler Dickkopf bist?“

„Ach ja? Nur weil ich liebe, was ich tue?“

„Nein, weil du nicht akzeptierst, dass eben auch andere Leute ihre eigenen Zukunftspläne haben.“

„Du verstehst das nicht.“ Ich stehe auf und gehe zum Fenster. Wortlos schaue ich hinaus.

„Ach ja?“ Sie legt ihr Kinn von hinten auf meine Schulter und umschließt mich mit beiden Armen. „Und was verstehe ich nicht, Herzchen?“

„Es hat mich einfach verletzt, wie leicht es ihm fiel, mich zurückzulassen. Wie selbstverständlich es für ihn war, sein ganzes Leben hier aufzugeben. All seine Worte über die Liebe zu seiner Heimat, zum Leben auf dem Land sind doch rückblickend keinen Cent wert gewesen. Ich meine, er konnte ja gar nicht schnell genug wegkommen. Für mich fühlte sich das an wie …“ Ich gerate ins Stocken.

„Wie was?“

„Na ja, als würde er auf uns alle hinabschauen. Auf alle, die das Leben auf dem Land lieben und auch dazu stehen. Auf alle, die ihrer Heimat treugeblieben sind.“

„Und wenn du alle sagst, meinst du in Wahrheit dich?“

Ich versuche, die Tränen zurückzuhalten. Verrückt, dass die Emotionen selbst nach all der Zeit noch die Macht haben, mich zum Weinen zu bringen.

„Er hat dir viel bedeutet“, sagt sie leise, als sie meine Tränen bemerkt. „Das vergisst man nicht so einfach.“

„Das ist es nicht.“ Ich streiche meine Wange trocken. „Es war nur so … so demütigend.“

„Findest du nicht, dass du übertreibst? Er hat das Leben hier doch nie schlecht gemacht. Er wollte einfach studieren, etwas erreichen. Jeder hat halt andere Prioritäten. Deswegen bedeutet ihm seine Heimat sicher nicht weniger als dir.“

„Und warum ist er dann kein einziges Mal hier gewesen während seines Studiums? Warum ist er nicht spätestens danach zurückgekommen? Nein, ihm ging es immer nur ums Wegkommen. Weg von hier. Weg von allem, was uns als Kinder miteinander verbunden hat.“

Ich atme tief ein. Dann drehe ich mich mit gequältem Lächeln um.

„Aber was auch immer damals passiert ist“, ich räuspere mich, „es spielt heute keine Rolle mehr. Ich mache mein Ding und nichts und niemand wird mich davon abhalten.“

Sie drückt mir einen Kuss auf die Wange. „Das klingt schon viel besser. Und jetzt lass uns auch für dich die richtigen Klamotten für heute Abend aussuchen. Es ist nämlich sehr wichtig, dass du noch schärfer als sonst aussiehst. So scharf, dass sich Nick schwarzärgert, dass er dich damals sitzengelassen hat.“

Ich lache. „Klingt nach einer ausgezeichneten Idee.“

Kapitel 5

„Papa!“ Ich halte die Hand vor den Mund. „Du bist ja kaum wiederzuerkennen.“

Meine Mutter hakt sich mit stolzem Blick bei ihm unter. „Da siehst du mal, welchen Einfluss ich auf deinen Vater habe, wenn er mich lässt.“

Papa macht eine wegwerfende Handbewegung. „Es ist doch nur ein neues Hemd, das ist alles.“

Ich nehme einen Schluck von meiner Weißweinschorle. „Nein ehrlich, Papa, du siehst richtig gut aus, wenn du mal für ein paar Stunden deine grüne Latzhose an den Nagel hängst.“

Für eine Weile betrachte ich meine Eltern mit einem Hauch von Wehmut. Für Mitte Fünfzig haben sich beide erstaunlich gut gehalten. Mama mit ihrer sportlichen Figur und den kinnlangen dunklen Haaren, Papa mit den dunklen Locken, die an den Schläfen langsam grau werden. Sein kleiner Bauchansatz ist unter dem pastellblauen Hemd kaum zu sehen.

„Wenn ihr wollt, könnt ihr euch zu mir setzen“, schlage ich vor. „Nadja ist eh die ganze Zeit am Tanzen. Ich glaube, ein Typ aus dem Nachbardorf hat es ihr angetan.“

„Nein nein, Schätzchen.“ Meine Mutter winkt ab. „Feier du mal in Ruhe mit deinen Freunden, wir haben den Nachbarn versprochen, uns zu ihnen zu setzen.“

„Na dann“, ich nicke ihnen zu, „macht nicht so dolle.“

„Viel Spaß, Süße.“ Mein Vater wirft mir einen Luftkuss zu.

Ich schaue ihnen nach, wie sie zum anderen Ende des Festzelts gehen und sich zu den Kaisers setzen.

Mein Blick wandert zur Tanzfläche.

Nadja tanzt engumschlungen mit einem blonden Typen, der ihr schon den ganzen Abend am Rockzipfel hängt. Groß und kräftig – ihr typisches Beuteschema.

Ich nippe erneut an meiner Schorle und spiele mit dem Gedanken, mich an den Nebentisch zu setzen. Ein paar Leute aus meiner alten Schule, die wenigen, die in Fleesenow hängengeblieben sind. Doch irgendetwas hält mich davon ab. Die Sehnsucht nach Ruhe ist größer als der Wunsch nach lauten Gesprächen und schmutzigen Witzen.

Liegt es an der Tatsache, dass ich Nick schon mehrmals durchs Zelt habe laufen sehen? Oder daran, dass er mich immer wieder mit seinen Blicken aus der Ferne mustert?

Aus dem Augenwinkel sehe ich ihn mit dem DJ reden. Er wirkt gelöst, fröhlich, unbeschwert. Warum nur gelingt es mir heute nicht, ebenso unbeschwert zu sein?

Was ist nur los mit dir, Joey? Du bist sonst immer die Erste auf der Tanzfläche und heute mutierst du zur absoluten Spaßbremse.

Ich leere mein Glas und ertappe mich bei der Idee, mir etwas Stärkeres vom Bierwagen zu holen. Normalerweise brauche ich keinen Alkohol, um meine Laune zu steigern. Aber irgendwann ist immer das erste Mal.

Als ich mich jedoch auf den Weg zum Wagen mache, erlebe ich die nächste Überraschung.

„Joey! Du siehst großartig aus.“

„Mike.“ Ich umarme ihn. „Ich wusste gar nicht, dass du auch kommst. Deine Schwester sagte, du musst am Wochenende arbeiten.“

„Ich habe meine Schicht verlegt.“ Er mustert mich mit wachem Blick. „Das Scheunenfest habe ich schließlich noch nie verpasst.“

Die Art, wie er mich anschaut, macht seine Absichten selbst drei Monate nach unserem Schlussstrich deutlich. Eine Tatsache, die mir in den letzten Wochen sauer aufgestoßen ist, heute jedoch ist sie eine willkommene Abwechslung.

„Schön, dich zu sehen“, sage ich und merke, dass ich es so meine. Ob der Alkohol seine erste Wirkung zeigt?

„Wo sitzt du?“ Er lässt seinen Blick über die Tische und Bänke im Zelt wandern.

„Hinten rechts.“ Ich nicke zu unserem Platz. „Ich bin mit Nadja da, aber die ist schon seit Ewigkeiten auf der Tanzfläche.“

„Verstehe.“ Er grinst, als er sie in den Armen des blonden Hünen sieht. „Manche Dinge ändern sich wohl nie.“

„Na ja“, ich zucke mit den Schultern, „du kennst sie ja.“

Für einen Moment schaut er mich schweigend an, als hoffe er noch immer, in meinem Blick die Erklärung für unsere Trennung zu finden. Dass ich seine Gefühle nie in dem Maß erwidert habe, wie er es verdient hätte, habe ich niemals in der Deutlichkeit ausgesprochen, wie es vielleicht angebracht gewesen wäre. Und auch jetzt fühlt es sich falsch an, ihn derart zu verletzen.

„Habe ich schon erwähnt, wie gut du aussiehst?“ Er fasst sich an die Stirn, als müsse er sich erst über die Bedeutung dieser Worte klarwerden.

„Ja, das hast du“, ich lache, „aber du kannst es gern öfter sagen. Ich fühle mich nämlich etwas unwohl in diesem Kleid.“ Ich zupfe an dem schwarzen Chiffon. „Nadja hat es ausgesucht. Hätte ich nicht die Jeansjacke drüber, käme ich mir irgendwie nackt vor.“

„Wieso?“ Er schaut zu meinen Knien herab, die direkt unter dem Kleid herausragen. „Es steht dir doch super.“

Er kommt näher und streicht mir eine Haarsträhne hinters Ohr. „Du weißt noch immer ganz genau, wie du mir den Kopf verdrehst“, flüstert er mir zu.

„Mike. Bitte! Du weißt doch, dass ich … ich meine, es ist drei Monate her und …“

„Darf ein Mann einer alten Freundin kein Kompliment mehr machen?“ Er hebt abwehrend die Hände.

„Doch, natürlich. Aber ich will nicht, dass du dir falsche Hoffnungen machst.“

„Hör zu, Joey, ich weiß, dass diese Lass-uns-Freunde-bleiben-Nummer eine dämliche Floskel ist, aber in unserem Fall hoffe ich wirklich, dass wir das irgendwie hinbekommen. Wir kennen uns schon so lange und ich will das ungern verlieren.“

„Ich auch nicht.“ Ich presse die Lippen aufeinander. „Ich fände es nur unfair, wenn ich …“

„Es ist alles gut“, fällt er mir ins Wort, nur um danach gleich wieder in einen verschwörerischen Flüsterton zu verfallen. „Und dass ich dich noch immer scharf finde, ist ja deswegen nicht verboten.“

Nun entweicht mir doch ein kleines Grinsen. Charmant ist er ja, das kann man ihm nicht nehmen. Seine breiten Schultern, die wasserblauen Augen und dunkelblonden Strähnen, die ihm in die Stirn fallen, machen ihn zu einem echten Frauenmagneten. Dass er ausgerechnet mir Avancen gemacht hat, hat mir damals sehr geschmeichelt. Vielleicht war das der Grund, warum ich mir eingeredet habe, verliebt in ihn zu sein. Oder war es doch nur der Wunsch, dass das mit dem Verlieben früher oder später von allein kommen würde?

„Eine Frau sollte niemals zu viele Komplimente bekommen.“ Ich lache. „Das steigt uns nur zu Kopf.“

„Deswegen mache ich sie auch nur denen, die sie verdient haben.“

Im Augenwinkel sehe ich jemanden näherkommen. Ich weiß, dass er es ist, bevor ich aufschaue.

„Mike.“ Nick pufft ihm kumpelhaft gegen den Oberarm. „Ist ja eine Ewigkeit her.“

„Habe schon gehört, dass du wieder da bist.“ Mike zieht ihn zu einer kurzen, etwas krampfigen Umarmung an sich heran. „Wie geht’s dir? Hätte nicht gedacht, dich nochmal wiederzusehen.“

„Alles im grünen Bereich“, antwortet Nick. „Ich schlage mich tapfer, zumindest, was das Berufliche angeht. Und du?“

„Ich arbeite im Holzwerk. Harte Arbeit, aber das Geld ist okay.“

„Freut mich für dich.“

Nick schiebt die Hände in seine Hosentaschen und bleibt etwas deplatziert neben uns stehen. Ob er sich bewusst für Jeans und T-Shirt entschieden hat, um immer noch wie Einer von uns zu wirken? Oder ist das auch heute noch sein wahres Ich?

„Ich bin noch mit den Jungs auf ein Bier verabredet.“ Mike haucht mir einen Kuss auf die Wange. Etwas zu lang, etwas zu zärtlich. „Vielleicht sehen wir uns ja später noch?“

Ich nicke wortlos.

Mit einem kurzen Blick in Nicks Richtung wendet er sich schließlich von uns ab und verschwindet auf die Festwiese, wo bereits die Vorbereitungen für das Lagerfeuer laufen.

Die Tatsache, dass wir allein zurückbleiben, schlägt mir unweigerlich auf den Magen.

„Also, du und Mike, ja?“ Sein Blick wandert in die Ferne.

„Ist schon eine Weile her“, antworte ich knapp. „Wieso fragst du?“

„Ach, ich wundere mich nur. Dass er auf dich steht, war ja schon damals klar. Aber ich hätte nie gedacht, dass du dich auf ihn einlassen würdest. Früher fandest du ihn immer nervig.“

„Tja, die Dinge ändern sich eben.“ Ich hebe die Augenbrauen. „Das müsstest du doch am besten wissen.“

„Komm schon, Joey, soll das jetzt etwa immer so laufen zwischen uns?“

„Ich weiß nicht, was du meinst.“

„Dieser biestige Unterton und all diese giftigen kleinen Andeutungen. Wir sind doch erwachsen, oder?“

„Du hast recht, wir sind erwachsen. Und genau deshalb rede ich auch mit dir, anstatt meinem Instinkt zu folgen und dich einfach hier stehen zu lassen.“

„Die gute alte Joey.“ Er legt den Kopf schräg und betrachtet mich wehmütig. „Dickköpfig wie immer.“

„Dann dürfte mein Verhalten ja keine große Überraschung für dich sein.“ Ich erwidere seinen Blick selbstbewusst.

„Hast du diese Abneigung eigentlich gegen alle Menschen, die sich dafür entscheiden, aus der Provinz zu verschwinden?“

„Nur gegen die, die mir jahrelang vorgegaukelt haben, wie sehr sie ihre Heimat lieben.“

„Aber der Wunsch, im Leben voranzukommen und die Liebe zur Heimat schließen einander doch nicht aus.“

„Ach ja? Dann heißt das im Umkehrschluss wohl, dass alle, die hier bleiben, im Leben gescheitert sind?“

Er kommt näher. „Ich kenne wirklich niemanden, der einem so gekonnt die Worte im Mund umdreht wie du, Johanna.“

„Oh verstehe, jetzt bin ich plötzlich wieder Johanna. Da sickert die Wut wohl auch bei dir langsam durch.“

„Ich bin nicht wütend auf dich. Ich frage mich nur, warum es nach all der Zeit so zwischen uns laufen muss.“

„Es ist alles in Ordnung.“ Ich stemme die Hände in die Hüften. „Ich freue mich, dich mal wiederzusehen. Wirklich. Ich will nur von Anfang an klarstellen, dass du hier besser keinen roten Teppich erwarten solltest, nur weil du ein bisschen Kohle gemacht hast.“

„Jetzt kommen wir der Sache näher. Du glaubst, dass ich jetzt ein egoistischer reicher Sack geworden bin, dem seine Wurzeln egal sind, richtig?“

„Ach, weißt du, Nick, das Geld war nicht unbedingt nötig, um einen Egoisten aus dir zu machen.“

„Wie schön, dass ich von uns beiden der Egoist bin. Jemandem ein schlechtes Gewissen einzureden, nur weil er Ziele im Leben hat, ist natürlich überhaupt nicht egoistisch.“

„Du weißt ganz genau, dass sehr viel mehr dahintersteckt, Nick. Und eigentlich sagt es mehr über dich aus als über mich, dass du dich nicht mehr daran erinnerst.“

„Ich erinnere mich an absolut alles.“

„Ach ja? Wirklich?“ Ich lache bitter. „Und wie kommt es dann, dass du von mir erwartest, einfach so zu tun, als wäre nichts geschehen?“

„Das verlange ich doch gar nicht. Aber ebenso wenig kannst du von mir erwarten, dass ich nach acht Jahren immer noch wie ein begossener Pudel vor dir stehe und dich um Verzeihung bitte.“

„Du sollst mich nicht um Verzeihung bitten. Darum geht es hier doch gar nicht. Ich sage doch nur, dass …“ Ich verstumme. Die Wahrheit ist, dass ich selbst vergessen habe, was ich sagen wollte. Welche Bedeutung haben Worte überhaupt, wenn sie scheinbar in zwei verschiedenen Sprachen gewechselt werden?

„Ich weiß, dass du sauer bist – und du hast auch allen Grund dazu. Aber ich bin nicht mehr derselbe Kerl wie damals. Ich habe viel über mich gelernt. Über das Leben. Und über das, was wirklich wichtig ist.“

In seinen Augen liegt noch immer derselbe Ausdruck wie damals. Neugier und Übermut, aber auch Weisheit, die stets seiner Zeit voraus war. Und irgendwo dazwischen die Suche nach einer Verbündeten.

„Wir waren Freunde“, sage ich leise. „Bevor es mehr wurde, waren wir vor allem Freunde, Nick. Und Freunden vertraut man bedingungslos.“

„Aber ich habe dir vertraut. Immer.“

„Das habe ich lange Zeit auch geglaubt“, antworte ich fast lautlos.

„Wir sollten reden, Joey. Über so vieles.“

„Welchen Sinn sollte das jetzt noch haben?“

Ich spüre die Erinnerungen wie alte Feuer in mir aufflackern.

„Was hältst du davon, wenn …“, beginnt er vorsichtig, nur um schon im nächsten Moment von Mike unterbrochen zu werden. Wie aus dem Nichts steht er plötzlich wieder neben uns und greift selbstbewusst nach meiner Hand.

„Genug gelabert, ihr Lieben.“ Er reißt mich von Nick weg. „Jetzt wird getanzt.“

Ich wehre mich nicht, als er mich auf die Tanzfläche zieht. Vermutlich würde ich mich von jedem wegziehen lassen, solange ich nur irgendwie der bedrückenden Stimmung entfliehen kann.

Sie spielen „Can’t Stop The Feeling“ von Justin Timberlake. Eigentlich genau die richtige Nummer, um den Kopf freizukriegen. Und während ich Nick über Mikes Schulter einen letzten flüchtigen Blick zuwerfe, hoffe ich, dass es auch bei mir funktionieren wird.

Kapitel 6

Ich umklammere mein Glas wie einen Anker. Wodka-Lemon und ich – heute Abend scheinen wir das perfekte Team zu sein.

Nadja nippt währenddessen an ihrem Erdbeerlikör. „Wodka? Du? Passt irgendwie gar nicht, Schätzchen.“

„Du beschwerst dich doch immer, dass ich nichts vertrage. Heute beweise ich dir mal das Gegenteil.“

„Wie schön, dass Nicks Anwesenheit so gar keinen Einfluss auf dich hat.“ Der ironische Unterton in ihrer Stimme ist nicht zu überhören.

„Meine Güte, dass du immer darauf rumreiten musst.“ Ich rolle mit den Augen.

„Ich bin deine beste Freundin.“ Sie prostet mir zu. „Nicht lockerzulassen ist mein Job.“

„Und diesen Job nimmst du wie immer sehr ernst.“

Sie schaut mich skeptisch an. „Und du bist dir sicher, dass alles okay bei dir ist?“

„Absolut sicher. Warum auch nicht?“

„Na ja, ich habe dich vorhin mit Nick reden sehen.“

„Tatsächlich? Hätte nicht gedacht, dass du überhaupt was mitbekommst, so wie du an den Lippen dieses Kerls geklebt hast.“

„Ich habe meine Augen einfach überall.“

„Ach ja? Sind deine Augen denn auch bei dieser hübschen Rothaarigen, mit der dein Schönling gerade tanzt?“

„Die da?“ Sie macht eine gleichgültige Handbewegung. „Ich habe ihm gesagt, dass ich mal eine Tanzpause brauche. Soll er sich ruhig ein wenig mit der Falschen langweilen. Umso mehr freut er sich, wenn ich wieder da bin. Du weißt ja, wenn man interessant für die Männer bleiben will, muss man sich auch mal zurückziehen.“

Ich nehme einen großen Schluck aus meinem Glas. „So eine Logik kann auch nur von dir kommen.“

„Genug von mir. Erzähl’ schon, was wollte Nick?“

„Nichts Besonderes. Wir haben nur …“ Ich gerate ins Stocken.

„Was ist?“ Nadja sieht mich fragend an.

Schon an den ersten Tönen erkenne ich den Song. Wie lange ist es her, dass ich ihn das letzte Mal gehört habe? Auch wenn der Text überhaupt nicht zu uns passte, so war es doch der Refrain, den er mir damals gewidmet hatte.

Das ist von jetzt an dein Song.

Seine Worte hängen noch immer wie ein Echo in der Luft.

Joey. Baby.

Wie sehr habe ich es damals geliebt, mit ihm danach zu tanzen. Und wie oft war am Ende mehr daraus geworden als nur ein Tanz.

„Hey!“ Nadja schlägt die Hände zusammen. „Das sind ja Concrete Blonde. Ist das nicht die Nummer, die du damals immer so geliebt hast?“

„Concrete was?“ Ich spiele die Ahnungslose. „Keine Ahnung. Kann schon sein.“

„Willst du mir erzählen, du erinnerst dich nicht? Der Song heißt genau wie du: Joey. Als Nick weggezogen ist, hast du ihn in Dauerschleife gehört.“

Ich versuche, mir nichts anmerken zu lassen. „Das ist so lange her.“

„So etwas vergisst man doch nicht, Schätzchen.“

Ich schaue zum DJ herüber und sehe Nick nur wenige Meter neben ihm stehen. Sein Blick sucht meinen in einer Eindringlichkeit, die die Vergangenheit mit aller Macht zurückholt.

Instinktiv springe ich auf.

„Was hast du denn?“ Nadja greift nach meinem Unterarm, doch ich reiße mich los und laufe aus dem Zelt.

„Joey!“ Ich höre ihre Stimme hinter mir, aber etwas hält mich davon ab, mich noch einmal umzudrehen, geschweige denn auch nur eine Minute länger hier zu bleiben.

Draußen angekommen atme ich tief ein, während ich versuche, meine Gedanken zu sortieren.

Die Nacht ist bereits angebrochen. Das Lagerfeuer, umzingelt von unzähligen Schaulustigen, flackert nur wenige Meter neben mir auf der Festwiese. Doch mir steht nicht der Sinn nach einer Menschenansammlung.

Abrupt wende ich mich ab und gehe auf die Ställe zu. Die einzige Richtung, wo keine allzu große Gefahr durch unliebsame Gesellschaft droht.

„Joey!“

Ich bin nicht überrascht, seine Stimme zu hören, trotzdem drehe ich mich nicht zu ihm um.

Erst als ich seine Hand auf meiner Schulter spüre, bleibe ich stehen.

„Was soll das, Nick?“, entfährt es mir schließlich. „Glaubst du, du lässt den DJ mal eben unseren Song spielen und ich vergesse alles, was war?“

„Es war einfach nur eine kleine sentimentale Idee. Was ist so schlimm daran?“

„Du kapierst es immer noch nicht, oder?“ Ich hebe die Arme.

„Um ehrlich zu sein: Nein, ich kapiere es wirklich nicht. Man könnte ja fast glauben, du gönnst mir meinen Erfolg nicht.“

„Oh ja, natürlich. Das wird es sein, Nick. Weil jeder, der in der mecklenburgischen Provinz zu Hause ist, zwangsläufig auf alle Menschen neidisch sein muss, die im fernen München Karriere machen.“

„Was ist nur los mit dir?“ Er greift nach meinem Arm. „Ich weiß, dass ich dir damals sehr wehgetan habe und glaube mir, wenn ich gewusst hätte, wie sehr, dann …“

„Was dann?“ Ich löse mich aus seinem Griff. „Dann wärst du nicht gegangen?“

Schweigend senkt er den Blick.

„Es ging mir nie darum, deinen Zukunftschancen im Weg zu stehen.“ Ich werde lauter. „Es geht darum, dass ich erst einen Tag vorher von deiner Abreise erfahren habe und du in all den Wochen zuvor so kaltherzig warst, mir jeden Tag aufs Neue beim Spinnen meiner Träume zuzuhören. Träume, die ich mit dir verwirklichen wollte. Jeden Tag haben wir davon gesprochen, Nick. Jeden verdammten Tag.“ Ich unterdrücke die Tränen. „Du hast mir zugehört, wenn ich von unserem eigenen kleinen Hofcafé geträumt habe. Du hast sogar die Frechheit besessen, dir mit mir zusammen mögliche Namen dafür auszudenken.“ Ich schaue ihm direkt in die Augen. „Sag schon, Nick, was ging dir durch den Kopf, als du mir vorgegaukelt hast, dieselben Träume zu haben? Arme, dumme Joey? Ich hoffe, sie kommt ohne mich zurecht, wenn ich in die echte Welt hinausziehe?“

„Das ist es, was du von mir denkst? Ist das dein Ernst?“

„Was hätte ich denn bitte sonst denken sollen? Den einen Tag schwärmst du mir davon vor, wie toll es sein wird, wenn wir unser Café eröffnen und uns einen eigenen Hof zusammen aufbauen und am nächsten Tag stellst du mich vor vollendete Tatsachen.“

„Aber doch nur, weil ich Angst hatte, es dir zu sagen. Und weil ich den Gedanken, ohne dich zu sein, so lange wie möglich verdrängt habe. Aber das mit dem Hofcafé und all unsere Visionen – glaub mir, Joey, das waren keine Lügen. Und ich habe deshalb mit dir gemeinsam davon geträumt, weil ich wirklich daran geglaubt habe, dass wir das irgendwann zusammen realisieren.“

„Ach echt? Und wann? Wenn du das Großstadtleben satthast? In zehn Jahren? Zwanzig? Oder doch erst im Rentenalter, wenn die Langeweile von Fleesenow ein bisschen besser in dein Leben passt?“

„Ich musste damals einfach raus hier. Meine Eltern steckten mitten in der Scheidung. Ich fühlte mich irgendwie fehl am Platz – und das, was ich vom Leben erwartete, ließ sich hier nicht wirklich umsetzen.“

„Stimmt. München ist die einzige Stadt in Deutschland, in der man studieren kann.“

„Es ging mir doch nicht nur ums Studium. Du weißt, dass dort auch Kenny lebt. Er hat mir damals die Chance gegeben, in seiner Firma zu jobben und all das zu lernen, was ich heute in meinem eigenen Unternehmen umsetzen kann.“

Ich lache auf. „Dann ist also dein Cousin schuld, dass du vor dem Leben hier fliehen musstest?“

„Ach, Joey. Warum sind die Dinge für dich eigentlich immer nur schwarz oder weiß?“

Ich bemühe mich um einen ruhigen Atem. „Ganz ehrlich, Nick? Es spielt keine Rolle mehr. Es ist dein Leben und geht mich nichts mehr an. Ich weiß, dass du es mir vermutlich nicht abkaufst, aber ich wünsche dir wirklich alles Gute. Nur versteh bitte auch, dass sich die Welt hier auch ohne dich weitergedreht hat und nicht jeder in Hysterie verfällt, nur weil du dich hier wie ein lang vermisster Hollywoodstar feiern lässt.“

„Was redest du denn da? Von wem lasse ich mich bitteschön feiern? Was kann ich denn dafür, dass hier absolut niemals etwas passiert und es zum Ereignis hochgekocht wird, wenn ich mal meine Eltern besuche?“

„Siehst du?“ Ich hebe die Augenbrauen. „Jetzt hast du es selbst zugegeben: Hier in Fleesenow passiert absolut niemals etwas. Und genau das ist deine Meinung über uns und das Leben hier. Ich wünschte nur, du hättest den Arsch in der Hose gehabt, mir das zu sagen, bevor ich mich auf dich einlasse. Bevor ich mich der Illusion hingebe, dass du vielleicht die Liebe meines Lebens sein könntest.“

Er legt den Kopf schräg und betrachtet mich mit eindringlichem Blick. Die kleine Falte zwischen seinen Augen taucht auch heute noch auf, wenn ihn etwas beschäftigt. Genau wie damals.

„Die Liebe deines Lebens?“, wiederholt er leise. „Ist das wahr? Aber wir waren so jung, Joey. Ich war gerade mal neunzehn und du erst siebzehn.“

„Tja, tut mir leid, wenn ich geglaubt habe, für dich sei es mehr als nur ein kleiner Flirt unter Freunden.“

„Natürlich war es mehr als das, aber …“ Er gerät ins Stocken. „Ich habe immer an dich gedacht“, fährt er leise fort. „Jeden einzelnen Tag.“

„Und warum warst du nach deinem Umzug kein einziges Mal mehr hier?“

„Du hast doch jede meiner Nachrichten ignoriert. Nicht eine Antwort kam, egal, wie oft ich mich gemeldet habe.“

„Ich war eben beschäftigt.“

„Womit? Damit, mich zu verfluchen?“

„Kann schon sein. Aber für so feige, dass du deswegen nicht mehr in deiner Heimat auftauchst, hätte ich dich eigentlich nicht gehalten.“

„Ja, vielleicht war ich feige. Aber nicht so, wie du denkst. Ich hatte einfach Angst davor, dass ich meine Entscheidung, nach München zu gehen, bereuen würde, wenn ich dich wiedersehe. Dass ich alles hinschmeiße und meine Chancen auf eine Karriere aufs Spiel setze.“

„Na, da können wir ja alle beruhigt sein, dass ich dich nicht vom richtigen Weg abgebracht habe, nicht wahr?“

Er rollt mit den Augen. „Weißt du eigentlich, dass du eine totale Zicke sein kannst?“

„Oh ja, Nick, das ist mir klar. Weil Frauen immer Zicken sind, wenn sie ein bisschen Stolz und eine eigene Meinung haben. Bei Männern nennt man das übrigens Selbstbewusstsein.“

„Seien wir doch ehrlich.“ Er greift nach meiner Hand. „Du bist nicht so, wie du tust. Die Johanna, die ich kenne, war niemals eine Zicke. Du warst immer die Unbeschwertheit in Person.“

„Du weißt nichts mehr über mich, Nick.“ Ich entziehe ihm meine Hand. „Nicht das Geringste.“

„Ich kaufe dir nun mal einfach nicht ab, dass du so kratzbürstig bist, wie du dich hier gibst. Die echte Joey würde für die Menschen, die ihr am Herzen liegen, absolut alles tun. Die echte Joey würde nachts mit mir Hunde von Tierquälern befreien oder eine ganze Woche an der Seite ihrer kranken Stute verbringen, wenn es nötig ist. Die echte Joey hat ein unendlich großes Herz.“ Er mustert mich intensiv. „Und die echte Joey ist auch der Grund dafür, dass ich bis heute jede Frau, der ich irgendwie näherkomme, mit ihr vergleiche.“

Für einen Moment stehen wir wortlos da. Ich bin müde vom Streiten, aber noch erschöpfter von dem Versuch, mich gegen meine aufkeimenden Gefühle zu wehren. Warum verschwindet er nicht einfach wieder dorthin, wo er die letzten acht Jahre war?

„Ich … ich muss zurück“, sage ich schließlich. „Ich habe Mike versprochen, nochmal mit ihm zu tanzen.“

„Mike“, wiederholt er in einem seltsamen Unterton. „Und du bist dir sicher, dass das mit euch vorbei ist?“

„Eifersüchtig?“ Ich grinse frech.

„Aus welchem Grund sollte ich eifersüchtig sein? Ich wundere mich nur wie gesagt. Du fandest ihn immer ganz furchtbar. Ich weiß noch wie heute, wie du ihn einen aufdringlichen Spinner genannt hast.“

„Mike hat sich verändert, sonst hätte ich mich niemals auf ihn eingelassen. Und ja, es ist vorbei mit ihm. Auch wenn es weder dich noch sonst irgendwen etwas angeht.“ Ich wende mich von ihm ab. „Und jetzt entschuldige mich, aber ich muss zurück ins Zelt.“

„Warte.“

Für einen kurzen Augenblick bleibe ich stehen. „Was ist denn noch? Findest du nicht auch, dass es besser ist, wenn wir wieder ein klein wenig Abstand zueinander gewinnen? Du siehst doch, wozu das führt. Nichts als Streit und Wortgefechte. Und genau deshalb ist es das Sinnvollste, wenn ich mich jetzt wieder auf das Leben hier konzentriere. So, wie ich es auch bisher getan habe.“

„Aber ich will keinen Abstand.“ Er kommt einen Schritt auf mich zu. „Ich will nicht wieder so tun, als wäre nichts geschehen. Du und ich, das war immer etwas ganz Besonderes. Wir haben uns alles anvertraut. Du konntest in mir lesen wie in einem Buch. All diese Erinnerungen sind jetzt wieder da. Und da erwartest du von mir, dass ich so tue, als wäre das nicht weiter wichtig?“

Für den Bruchteil von Sekunden verliere ich mich in der Art, wie er mich anschaut. Jeder andere Mensch könnte mich auf dieselbe Weise anschauen und es wäre nichts weiter als ein Blick. Aus Nicks Augen jedoch wirkt jede Aufmerksamkeit wie eine Botschaft – tiefgründig wie ein lange gehütetes Geheimnis, intensiv wie ein vertrauliches Geständnis.

Alles in mir sehnt sich danach, die Zeit zurückzudrehen und mich mit dem Kopf einer Frau dem Bauchgefühl eines Mädchens hinzugeben – dem Mädchen, das ich glaubte, nicht mehr zu sein. Doch es ist zu viel geschehen. Vor allem aber ist zu viel nicht geschehen. Träume, die wir hätten ausleben können. Wege, die wir hätten gemeinsam gehen können.

„Joey?“ Er schaut mich fragend an, als mein Schweigen anhält. Doch anstatt ihm zu antworten, löst sich jedes Wort in meinem Kopf auf, bis nur noch gedankenlose Leere übrig ist.

Worüber haben wir gerade eben noch gesprochen? Warum haben wir gestritten? Und was genau werfe ich ihm eigentlich vor?

Ich fühle mich wie in einer Zeitschleife, die mich nicht mehr hergeben will. Eine Schleife, die an mir zerrt und mich gleichzeitig mit Emotionen überhäuft, von denen ich glaubte, sie längst hinter mir gelassen zu haben.

Ich schaue auf und erwidere seinen Blick, der mich noch immer auf unerschütterliche Art und Weise festhält.

Er steht so nah vor mir, dass ich seinen Atem hören kann.

Was tue ich hier eigentlich? Und warum hatte ein einziges Lied die Macht, mich aus dem Zelt zu vertreiben und in diese Situation zu bringen?

Ich möchte etwas sagen, doch meine Stimme gehorcht mir nicht. Stattdessen beginnt sich alles um uns herum zu drehen.

Ich sehe meine Hand, als wäre es die einer anderen Person, wie sie sich seitlich an seinen Hals legt, meine andere Hand, wie sie seine Wange berührt.

Und plötzlich gibt es kein Zurück mehr. Mehr Zugeständnisse scheint er nicht zu brauchen. Entschlossen zieht er mich an sich und küsst mich so leidenschaftlich, als hinge sein Leben davon ab.

Spätestens von diesem Moment an schaltet sich mein Kopf komplett aus. Alles, wonach ich mich sehne, ist hier und jetzt zum Greifen nah. Ich spüre seine Zunge an meiner, warm und fordernd, selbstbewusst und leidenschaftlich. Es ist der Kuss eines selbstsicheren Mannes, der ganz genau weiß, was er will. Und doch spüre ich irgendwo zwischen seinen kräftigen Händen noch immer denselben Mann, fast noch ein Junge, der mir damals seine Liebe gestanden hat.

Seine Lippen wandern zu meinem Hals, während er mein Haar sanft zur Seite streicht.

Eine allesübergreifende Ungeduld überkommt mich. Fast scheint es so, als habe sie acht Jahre gebraucht, um sich in mir in diesem Maße aufzustauen, nur um jetzt alle Zweifel wegzuspülen.

Ich sehe mir selbst dabei zu, wie ich nach seiner Hand greife und ihn hinter mir herziehe.

Die Tür zum Stall des alten Jensen ist nicht verschlossen. Um diese Uhrzeit ist hier niemand zu erwarten, erst recht nicht am Tag des Festes, das alle Bewohner zum Zelt und dem dazugehörigen Lagerfeuer zieht.

Noch in der offenen Tür fallen wir übereinander her. Mit dem Fuß schlägt er sie hinter uns zu, ohne dabei die Hände von mir zu lassen.

Die Musik aus dem Festzelt ist dumpf bis hierher zu hören und scheint wie eine blasse Erinnerung aus einer anderen Welt, während wir mit mutigen Schritten unsere eigene Realität betreten.

Keiner von uns beiden sagt auch nur ein Wort – und doch scheinen wir ganz genau zu wissen, was der andere denkt.

Als hätte er geahnt, was ich hier und jetzt, genau in diesem Moment brauche, zieht er mich in eine der ehemaligen Pferdebuchten. Halb küssend, halb an den Klamotten des anderen zerrend, lassen wir uns im Stroh nieder.

Ist das wirklich wahr? Gerade eben haben wir uns noch die bissigsten Kommentare an den Kopf geworfen und jetzt liegen wir hier, frei von allen Hemmungen und Zweifeln.

Bin das noch immer ich?

Und vor allem, ist das noch immer derselbe Mann, dem ich vor acht Jahren mein Herz geschenkt habe?

Alles scheint so vertraut, und doch ist alles anders.

Doch er ist sehr geschickt darin, meine Gedanken auszublenden.

Langsam beugt er sich über mich und zieht den Träger meines Kleides herunter. Zärtlich und doch hemmungslos liebkost er meine Schulter. Seine Küsse sind so voller Fordern, dass ich die Abdrücke seiner Zähne auf meiner Haut spüren kann.

Erregt schließe ich die Augen und werfe meinen Kopf zurück, während er das Kleid langsam an meiner Taille hochschiebt.

Feucht und elektrisierend ziehen seine Lippen ihre Bahnen von meinem Bauchnabel hinauf zu meinen Brüsten.

Hastig zerre ich an seinem Gürtel und ziehe seine Jeans aus, während er sein T-Shirt in einer einzigen Bewegung über die Arme streift.

Der Anblick seines trainierten Oberkörpers macht mich nur noch ungeduldiger.

Woher kommt all dieses aufgestaute Verlangen? Und warum habe ich es in dieser Form bisher bei keinem anderen gespürt?

Doch ehe ich mich in weiteren Gedanken verlieren kann, geht alles ganz schnell.

Ich spüre ihn stark und fordernd in mir, sehe die Lust in seinen Augen, während wir uns im selben Rhythmus verlieren.

Meine Hände umklammern seine kräftigen Oberschenkel, in denen ich jede Bewegung wie einen Stromschlag spüren kann.

Hart und leidenschaftlich. Schnell und doch eindringlich.

Unsere empfindlichsten Stellen scheinen aufeinander wie zwei Zahnräder zu reagieren, die lückenlos ineinander greifen, nur um die letzten Hemmungen auszuschalten.

Sein Atem ist schnell und warm.

Ich kann nicht anders, als ihn in seinem Moment höchster Erregung zu beobachten, denn die süße Lust in mir scheint an seiner nur noch mehr zu wachsen.

Ich spüre, wie sich mein Weg zum Gipfel rasant verkürzt. Alles in mir schreit nach dem Ziel, auf das wir beide mit lautem Atem zusteuern.

Meine Finger krallen sich in seinen Hintern, während die Abstände zwischen den Stößen kürzer werden.

Sein Kopf ist nun ganz nah neben meinem, sein Mund regelrecht saugend an meiner Schulter, als könne allein diese Bewegung dabei helfen, den nahenden Höhepunkt noch intensiver auszukosten.

Ich höre mich leise stöhnen, ein Geräusch, das mir seltsam fremd erscheint. Doch hier und jetzt fühlt es sich so selbstverständlich an. So selbstverständlich wie die süße Verlockung, die an der Spitze auf uns wartet.

Sein Stöhnen ist tief und leise und macht mich nur noch mehr an, während meine Hände von seinem Hintern zu seinen Schultern wandern.

Alles in mir sehnt sich danach, ihn überall zu berühren, jede Faser seines Körpers zu spüren.

Ihm scheint es ähnlich zu gehen, denn während ich erregt die Augen schließe, fühle ich seine Zähne sanft und doch anregend an meiner Brustwarze.

Ein leichtes Ziepen. Süß und stimulierend.

Ich werde noch wilder.

Was tut dieser Mann mit mir? Woher nimmt er all das Wissen über meinen Körper?

Jeden Moment ist es so weit, das fühle ich sowohl in seinen als auch in meinen eigenen Bewegungen.

Härter. Schneller.

Ich atme wie ferngesteuert.

Fester.

Ich schiebe meine Fingernägel fordernd in seinen Rücken – und während meine Lippen seine wie eine Ertrinkende suchen, sehe ich in seinen Augen, dass er dabei ist, genau wie ich auf den höchsten Gipfel zuzusteuern.

Kapitel 7

17. Juli 2009

Es ist das erste Mal seit Wochen, dass ich Tagebuch schreibe … dass ich Tagebuch schreiben MUSS. Ich bin total durch den Wind.

Nick hat mich geküsst.

Mein bester Freund hat mich geküsst!

Das Verrückte daran ist, dass ich es mir insgeheim schon so lange vorgestellt habe. Und jetzt, jetzt ist es wirklich geschehen.

Niemals hätte ich es für möglich gehalten, dass es ihm wie mir geht, immerhin habe ich mir die allergrößte Mühe gegeben, ihm nicht zu zeigen, dass ich schon lange mehr für ihn empfinde.