Kaiserhatz - Tanja Rast - E-Book

Kaiserhatz E-Book

Tanja Rast

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Beschreibung

Die Fortsetzung von Kaiserband:
Jahrelang hat Calino andere für sich regieren lassen und ein Leben in Luxus geführt. Damit handelte er sich den Ruf ein, ein Tyrann zu sein.

Die Bewohner seiner Hauptstadt, seinen neuen Rat, seine Gattin Atisa und vor allem seinen Geliebten Borean konnte er mittlerweile von seiner Rechtschaffenheit überzeugen. Jetzt will er dem Rest des Reiches zeigen, dass er ein guter Herrscher sein kann. Calino bricht zu einer alles entscheidenden Reise auf.

Doch unterwegs erreichen ihn schreckliche Gerüchte, und der unerfahrene Kaiser muss über sich hinauswachsen. Kommt er zu spät? Ist Borean schon lange tot?

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Calino & Borean II

 

 

Kaiserhatz

 

 

 

 

Tanja Rast

 

 

 

 

 

 

Roman

Inhaltswarnungen

 

Kann Spuren von Erdnüssen enthalten!

 

Es gibt Inhalte, die Betroffene triggern können, das heißt, dass womöglich alte Traumata wieder an die Oberfläche geholt werden. Deswegen habe ich für diese Personen eine Liste mit möglichen Inhaltswarnungen für alle meine Romane zusammengestellt:

 

www.tanja-rast.de/inhaltswarnungen

Inhaltsverzeichnis
1. Boreans Schüler
2. Betrübliche Nachrichten
3. Wolken über dem Palast
4. Ein Kaiser auf Reisen
5. Ein Köder
6. Der Jammer der Halter
7. Verlockung eines Kaisers
8. Mondbrötchen und ein Brief
9. Nächtliche Erkenntnisse
10. Kaiserliches Versteck
11. Der Palast
12. Gerüchte
13. Blitz und Donner
14. Goldjunge
15. Calinos Generale
16. Dreigestirn

 

Elfendrache - Der Schöne und das Biest
Kaye Alden: Eichherzchen
Die Autorin
Eine kleine Bitte
Danksagung

1.

Boreans Schüler

 

Der Knappe zog die letzten Riemen straff, während Borean geduldig wartete und den zweiten Burschen im Auge behielt, der mit einer Mischung aus Schüchternheit und Faszination Calino beim Rüsten half.

In gewisser Weise war es bezaubernd, dass Calino nicht den Schimmer einer Ahnung hatte, wie er seinem Knappen das Unterfangen erleichtern sollte. Er gab sich Mühe – wie immer seit jenem schicksalsschweren Tag, an dem Borean versucht hatte, sich selbst das Leben zu nehmen. Das schien vor einer Ewigkeit gewesen zu sein – oder gerade einen Wimpernschlag her.

Sobald der Bursche es wagte, eine Bitte an seinen Kaiser zu richten, befolgte Calino diese umgehend, damit dieser oder jener Riemen verschnallt werden konnte. Seine blauen Augen leuchteten, seine Wangen waren vor Aufregung und Vorfreude leicht gerötet, und es fiel ihm offensichtlich schwer, still zu stehen.

Derzeit passte es Borean recht gut, dass er deutlich vor Calino fertig wurde. Er klopfte dem Jungen, der ihm behilflich gewesen war, auf die Schulter und nickte Calino zu. »Ich bereite auf dem Hof etwas vor. Komm nach, sobald du fertig bist, mein Kaiser.« Die Anrede, auf der Borean vor anderen bestand.

»Wir beeilen uns«, antwortete Calino sofort und hob tatsächlich einen Arm, als er bemerkte, dass sein Knappe diese Hilfestellung benötigte.

Borean trat aus dem schattigen Gebäude, das die Rüstkammer der Kaiserlichen Garde beherbergte, auf den Sandplatz, der im Mauergeviert der Kaserne lag. Er schloss die Tür hinter sich und atmete tief die nach Hitze und Sand riechende Luft ein.

Fast wie in der Arena. Aber nur fast.

Denn all dies erinnerte Borean lebhaft an den Vorhof der Stallungen, wo sein Vater ihn und den älteren Bruder Tenero im Schwertkampf ausgebildet hatte. Nur der damals allgegenwärtige Duft der Rosen fehlte ebenso wie die sanfte Stimme des Vaters. Die Lehren würde Borean heute an Calino weitergeben, der noch nie im Leben ein Schwert in Händen gehalten hatte. Und damit sie Ruhe und Zeit hatten, mussten die Gardisten hier verschwinden.

Drüben beim Bogenstand standen vier Männer, die noch aus den Zeiten der Garde vor Boreans Ankunft im Palast stammten. Sie hatten bemerkt, dass er – nun ihr Kommandant, eine Rolle, in die er verblüffend mühelos gefunden hatte – auf den Sandplatz getreten war, und nahmen Haltung an.

Zu Boreans Linker droschen einige seiner Veteranen aus Katal aufeinander ein. Die Männer schienen sich wohl erst wieder beweisen zu wollen, dass sie nicht eingerostet waren. Kolis, Tavun, Kenna und noch drei weitere, allesamt durch Schlachten in den Grenzreichen gestählt, wo sie unter Borean als ihrem Hauptmann gedient hatten. Die Anrede rutschte den meisten von ihnen noch heraus, was nicht an Mangel an Respekt lag, wie er genau wusste. Eher das Gegenteil war der Fall.

Borean ließ sich die Sonne auf den Rücken scheinen, streckte sich, richtete sich gerader auf, hielt die Balance zwischen Lässigkeit und Selbstsicherheit wie schon damals im Heer und rief dann seinen Veteranen zu: »Männer!«

Das übertönte selbst das dumpfe Klopfen von stumpfen Waffen gegeneinander, und sie ließen die Klingen sinken und nahmen ebenso Haltung an wie die Bogenschützen.

»Danke. Unser Kaiser wünscht, von mir in Schwertkampf unterrichtet zu werden. Ich brauche den Platz und Ruhe. Sucht euch eine andere sinnvolle Beschäftigung.«

Er nahm den Gruß seiner Männer mit einem knappen Nicken und einem angedeuteten Gegensalut an. Nur Tavun blieb noch stehen und sah ihm ernst ins Gesicht, während Kenna im Durchgang zur Waffenkammer auf seinen Kameraden wartete.

»Nun?«, fragte Borean nach einem flüchtigen Blick zu Kenna.

»Hauptmann … Kommandant. Du bist ein besonders großer Kerl, und unser Kaiser reicht dir mit Mühe bis zur Schulter. Sollte das nicht jemand übernehmen, der nicht so riesig ist?«

»Du zum Beispiel?«

»Nun, ich überrage ihn nicht.«

»Nein, Tavun. Ich verstehe, warum du es anbietest. Aber die Sicherheit meines Kaisers gebe ich nicht einen Herzschlag lang aus der Hand. Ich kann meine Schläge notfalls abbrechen, sodass ihm kein Leid geschieht. Ich weiß, wie viele blaue Flecken ich nach Übungsgängen mit dir hatte.«

»Auf dich musste ich keine Rücksicht nehmen«, antwortete Tavun und lachte. Dann grüßte er zackig. »Aber ich halte schon die Klappe. Ich verstehe dich ja. Vielleicht kann ich später den Kopf hinhalten, wenn unser Kaiser ein wenig geübter ist.«

»Vielleicht«, antwortete Borean und meinte: Nein, auf gar keinen Fall. Mein Kaiser. Mein Calino.

Tavun grinste, als hätte er diesen Gedankengang durchschaut. Er stapfte zum Durchgang, wo Kenna noch auf ihn wartete. Die beiden klebten seit jeher kameradschaftlich aneinander und hatten sich im Kampfgetümmel stets gegenseitig den Rücken frei gehalten.

»Kenna?«, rief Borean, bevor der rothaarige Soldat verschwinden konnte.

Der hob eine Braue und nahm erneut Haltung an.

»Lass das«, meinte Borean ohne Strenge. »Wie geht es deiner Frau?«

»Rilan wäre am liebsten für immer schwanger, glaube ich. Es geht ihr blendend. Nur, was diese Frau derzeit alles isst, das dreht mir den Magen um. Ich hab ja Gerüchte gehört, dass Schwangere merkwürdige Dinge essen, aber Rilan übertrumpft sie alle«, verkündete Kenna voller Stolz.

»Grüß sie«, antwortete Borean und entließ damit die beiden Männer. Rilans Schwangerschaft – von der er eher zufällig gehört hatte – war ebenso weit fortgeschritten wie die der Kaiserin Atisa. Falls Calinos Gattin also eine Amme benötigte oder wünschte, hatte Borean beschlossen, ihr Rilan vorzuschlagen. Ohne sie zu kennen, vertraute er ihr. Außerdem war Atisa selbst eine Generalstochter und würde sich hoffentlich blendend mit einer Soldatengattin verstehen.

»Fertig!«, erklang Calinos Stimme hinter ihm, und Borean wandte sich gemächlich um.

Da stand in einer robusten Übungsrüstung sein Kaiser. Den Helm hatte Calino sich unter den Arm geklemmt, und so leuchtete sein blondes Haar im Sonnenschein, wetteiferte mit dem Strahlen seiner blauen Augen. Seine Wangen waren vor Aufregung und Vorfreude leicht gerötet, und der ganze Mann wirkte so lebendig, dass Boreans Herzschlag sich beschleunigte, einfach, weil dieser Anblick so gut tat und so wunderschön war.

»Fangen wir an?«, fragte Calino und konnte dabei kaum still stehen.

»Gleich«, antwortete Borean ihm und musste beinahe über sich selbst lächeln, weil seine eigene Stimme so rau klang. Mit zwei raschen Schritten trat er zu Calino, sah tief in diese dunkelblauen Augen, die wie der Sommerhimmel selbst leuchteten.

Winzige Fältchen tauchten in Calinos Augenwinkeln auf, als Borean eine Hand ausstreckte, nur einen Finger unter das Kinn seines Kaisers legte und ganz, ganz sanft Druck ausübte. Calinos Lider sanken halb hinab, und Borean beugte sich zu ihm hinab und küsste ihn liebevoll.

Er roch das milde Aroma von Orangenblüten, das Calino stets umwehte, schmeckte Süße wie von Honig, doch gleichzeitig auch die Hitze über dem Sandplatz, die ihr Echo in Calinos Muskeln fand.

Seit Wochen – nein, seitdem er dem Kinderzimmer entwachsen war – wünschte Calino sich, im Schwertkampf ausgebildet zu werden. Gluckenhafte Bedienstete und natürlich sein Onkel Nabicav hatten das zu verhindern gewusst. Wenngleich der Onkel durchaus nicht im Sinn gehabt hatte, Calino zu schützen.

Jetzt aber hatte Calino Borean und war der Bevormundung durch seinen Onkel entronnen. Zuerst hatte Boreans Verletzung aus dem Kampf mit Nabicav jegliche Ausbildung gründlich verhindert, und danach gab es so viel zu tun: Die Kaiserliche Garde auf Vordermann zu bringen, die Veteranen aus Katal in die Ränge aufzunehmen, sich selbst in diesem neuen Leben zurechtzufinden. Den Platz an Calinos Seite wirklich anzunehmen … Kein Wunder, dass Borean mitunter immer noch schwindelig wurde, wenn er sich klarmachte, was sich alles geändert hatte.

Langsam löste er sich von Calino, streichelte ihm über die Wange und nahm ihm dann den Helm ab, um ihn eigenhändig auf den blonden Schopf zu setzen und den Riemen unter Calinos Kinn zu verschnallen. Dann überprüfte er jeden einzelnen Rüstungsverschluss, den Sitz der Handschuhe und trat schließlich einen Schritt zurück, um seinen kleinen Kaiser prüfend zu mustern.

»Jetzt? Kriege ich ein Schwert? Und dann?«

»Erst einmal laufen wir um den Platz. Du musst dich an das Gewicht der Rüstung gewöhnen, denn es beeinflusst auch dein Gleichgewicht und den Schwerpunkt deines Körpers. Muskelkater wirst du ohnehin bekommen, aber wenn deine Muskeln warm sind, sinkt die Gefahr einer Zerrung.«

»Laufen die Soldaten vor einer Schlacht auch im Kreis?«

»Nein. Die Nähe der Feinde wärmt sie. Aber wir wissen beide, dass ich niemals eine Gefahr für dich bin, mein Herz.« Er sah Calinos strahlendes Lächeln, wie die Wangen sich in einem tieferen Rot verfärbten. Ich bin vorsichtig wie eine Glucke, die ihr einziges Küken umhegt, verdammt. So habe ich noch nie einen Rekruten behandelt. Aber keiner der jungen Männer, die Borean bislang ausgebildet hatte, war mit Calino vergleichbar. Er redete sich gut zu, dass es nicht alleine daran lag, dass er Calino liebte – und als Kommandant der Kaiserlichen Garde auch für dessen Sicherheit verantwortlich war.

Calino hatte im Leben noch nie etwas Schwereres als eine Schreibfeder geführt, im Gegensatz dazu aber den Kopf voll romantischer Bewunderung für seine Soldaten im Allgemeinen und Borean im Besonderen. Jeder andere Rekrut hatte zumindest körperliche Arbeit gekannt, ehe er auf den Kasernenhof gebracht wurde. Calino besaß nur einen hervorragenden Gleichgewichtssinn, ausreichend Kraft und eine geschmeidige Art, sich zu bewegen, die – das wusste Borean inzwischen – von Tanzen und Reiten stammte.

Dieser glühende, glückliche Eifer machte Borean am meisten Angst, weil die Grundausbildung nun einmal Zeit und Geduld erforderte. Und zumindest Letzteres schien ein Fremdwort für Calino. Bei ihm musste alles immer sofort sein – und auch umgehend gelingen, um ihn nicht zu enttäuschen.

Nun würde sich also auch zeigen, ob Borean als Lehrer an den eigenen Vater heranreichte, ob er Calino zumindest soweit Geduld beibringen konnte, dass es für die Ausbildung genügte. Und nebenbei hatte er Sorge um den Geliebten, die er in den Hintergrund drängen musste.

Er lief neben Calino her, als dieser artig seine zwei Runden um den Kasernenhof drehte und dabei nicht so sehr außer Atem geriet, wie Borean befürchtet hatte.

Am liebsten hätte er alles noch weiter hinausgezögert, sich in Erklärungen über die reine Kunst, die Soldatenmanier und schließlich über die besondere Gattung des Kampfes in der Arena ausgelassen.

Aber das wäre grausam Calino gegenüber, der so sehr darauf brannte und sich auf Borean verließ. Und es wäre feige.

Er führte Calino also zu dem Waffentisch, den er am Vormittag bereits vorbereitet hatte, während der Kaiser sich mit seinem Rat getroffen hatte. Ganz genau hörte Borean, wie Calino sich Mühe gab, ruhig zu atmen, sich Aufregung und die ungewohnte Übung des Laufs unter voller Übungsrüstung nicht anmerken zu lassen.

»Wir fangen an, wie mein Vater mit meiner Ausbildung begonnen hat.« Borean hob die in eine Lederscheide gehüllte Klinge vom Tisch, die er für Calino ausgesucht hatte. Er wird niemals kämpfen müssen, ermahnte er sich stumm. Ich bin ja da. Ich passe auf ihn auf. Laut sagte er: »Mit der Grundstellung, aus der heraus du schnell in alle Richtungen ausweichen oder angreifen kannst, in der du einen sicheren Stand hast. Deswegen musstest du dich an deine Rüstung gewöhnen, weil sie deinen Schwerpunkt leicht verändert.«

»So wie du in der Arena und gegenüber Nabicav gestanden hast? So ruhig, als hättest du keine Sorge der Welt?« Calinos Augen blickten leuchtend und doch ganz ernst zu Borean auf.

»Ja, das war Grundstellung – mit ein wenig Schauspiel verfeinert«, gab Borean zu. Vielleicht hatte er doch nicht nur einen begeisterten und aufgeregten Schüler vor sich. Dass Calino ihn in der Arena gründlich beobachtet hatte, war ihm klar gewesen, doch hatte er eher gedacht, es wäre der schwärmerische Blick eines frisch Verliebten gewesen. Offenkundig hatte Calino ihm aber nicht nur auf den Hintern gestarrt.

Er zog die Waffe und legte die Scheide zurück auf den Tisch. »Das ist ein schwerer Degen, eine stumpfe Übungswaffe. Unterschätze sie trotzdem nicht, auch ein Knüppel kann als Waffe benutzt werden; der ist ebenfalls nicht scharf.«

Calino nickte, und Borean sah Respekt und vielleicht auch Sorge wie den Schatten einer Wolke über sein Gesicht fliegen.

Mit einfachen Worten erklärte er den Aufbau der Waffe: Heft und Handschutz, die verstärkte Länge unterhalb der Parierstange, mittels derer Hiebe aufgefangen und abgewehrt werden konnten, die normalerweise geschärfte Klinge.

Mit der ihm eigenen Ernsthaftigkeit hörte Calino zu. Borean wusste sicher, dass er selbst kein derartig aufmerksamer Schüler gewesen war. Calino saugte wie ein Schwamm jedes Wort in sich auf und würde es für die Ewigkeit bewahren. So tat er es seit Wochen – seitdem Borean versucht hatte, sich das Leben zu nehmen, seitdem Calino erkannt hatte, dass er durch Faulheit und Bequemlichkeit sein Reich ins Chaos gestürzt hatte und beinahe seinen Thron und seinen Kopf verloren hätte.

Und dann geschah ein kleines Wunder, als Calino fast von ganz alleine die Grundstellung einnahm, nur wenig Hilfe und Korrektur benötigte. Er fand sein Gleichgewicht, die sichere Position, den festen Stand. Die Füße leicht nach außen schräg gestellt, die Knie nur einen Hauch gebeugt. Unverrückbar wie ein Fels und doch vollkommen geeignet, um aus diesem sicheren Stand in fast jede Richtung springen zu können, um einen Angriff abwehren oder ihm ausweichen zu können.

Borean wanderte zweimal um Calino herum, korrigierte sacht und war doch erstaunt und begeistert zugleich. Calinos Lächeln – zuerst ein wenig unsicher, dann von wundervoller Strahlkraft – zeigte deutlicher als jedes Wort, wie stolz der kleine Kaiser war, wie sehr es ihm gefiel, seinen Lehrer überrascht zu haben.

»Es war mir irgendwann aufgefallen, dass die Männer, die einen Kampf gewannen, meistens anders standen. Ein ehemaliger Soldat gegen einen Straßenräuber zum Beispiel. Als würden sie in sich ruhen. Ein wenig wie eine Schlange, die sich aufrichtet, auspendelt und dann bereit zum Zuschlagen ist. Bei dir habe ich das noch mehr gesehen als bei allen anderen vorher«, sagte Calino, nachdem Borean ihm zufrieden zugenickt hatte.

»Ebenso im Heer. Der eingezogene Bauernsohn, der einen zu raschen Drill erhielt, unterschied sich deutlich von jenen Männern, die schon eine Schlacht überlebt hatten«, stimmte Borean ihm zu. Er sah Calinos Blick zum Degen flackern, spürte den Ungestüm, obwohl Calino sofort wieder geradeaus blickte.

Borean reichte Calino die Waffe, sah zu, wie die im Lederschutz steckende Hand sich um das Heft schloss, wusste, wie schlank und seidig weich die Finger unter dem Leder waren. Wie hatte Nabicav das geschafft, seinen Neffen all die Jahre so zu gängeln? Alleine mit dem Vorwand, Gefahr von dem jungen Kaiser abhalten zu müssen, war das nicht möglich gewesen, wie Borean wusste. Während Nabicav sich eingenistet und die Macht an sich gerissen hatte, hatte er seinem Neffen jede Art von Zerstreuung vor die schmalen Füße geworfen, die nur möglich schien. Borean inbegriffen.

Er verdrängte diese Gedanken, überprüfte erneut Calinos Stand und wies dann auf eine Übungsfigur, die bereits von den Bogenschützen verwandt worden war. Ein Holzgestell, mit Stroh umwickelt, über das Leder gespannt worden war. »Darf ich dir deinen ersten Gegner vorstellen?«

Calino lachte, auch wenn er sich in seinen Träumen gewiss etwas anderes ausgemalt hatte. Wahrscheinlich gleich nach dem Rüsten einen dramatischen Übungskampf mit Borean. Voll Finten, spektakulärer Sprünge, waghalsiger Hiebe, Sand und Schweiß. Oh, Götter!

Wir haben Zeit, Calino. Du willst es lernen, dann machen wir es richtig und in Ruhe. Denn so wie Calino gewiss geträumt hatte, ähnelten die Bilder vor Boreans geistigem Auge eher Nachtmahren, dass sein Kaiser und Geliebter aus Übereifer einen Fehler beging. Einen, den selbst Borean im Übungskampf nicht ausgleichen konnte. Albträume voller Blut – selbst falls es nur ein abgeschlagener Finger sein sollte.

Nein, das kam nicht in Frage. Langsam, in Ruhe, jeder Schritt bedacht.

 

Calino schwitzte unter der ungewohnten, dick gesteppten Lederrüstung, spürte Muskeln, von deren Existenz er bislang nichts geahnt hatte. Der Degen, der sich anfangs so leicht angefühlt hatte, wog wahrscheinlich mehr als Borean. Mindestens.

Trotzdem fühlte er sich wohl. Frei, lebendig! Und geborgen in Boreans Nähe und Wachsamkeit. Die Geduld des wundervollen Geliebten war unendlich, so schien es Calino. Jede Erklärung und Anweisung war ihm verständlich, jede Korrektur konnte er nachvollziehen. Die sanfte, tiefe Stimme gab ihm Zuversicht, dass er sich nicht halb so ungeschickt anstellte, wie er es befürchtete.

»Lass uns eine Pause machen, Calino.«

»Nein, nein, ich kann noch, und …«

»Du wirst morgen vor lauter Muskelkater nicht aus dem Bett kommen.«

Ein Lächeln lag in der tiefen Stimme, und Calino wandte sich hastig um, um es sehen zu können. Immer noch lächelte Borean viel zu selten, und diese Augenblicke erschienen Calino kostbar.

»Wir haben Zeit«, sagte Borean sanft und legte ihm eine Hand an die Wange, streichelte über die Ohrmuschel und beugte sich herab. »Selbst eingezogene Rekruten mussten nicht an einem Tag alles lernen.«

Warm streichelte sein Atem über Calinos erhitzte Wangen, liebkoste die Lippen, und Calino schloss die Augen, wartete diesen einen, wundervollen Herzschlag lang, ehe Borean ihn küsste. Der Duft nach Bienenwachs auf Leder, nach Borean flutete seine Atemwege. Er wusste nicht, ob er den Degen einfach fallen lassen durfte, und so suchte er nur mit der linken Hand Halt an einem Riemen von Boreans Rüstung, als ihm die Knie weich wurden.

Borean legte einen Arm um ihn und zog ihn noch ein wenig näher. Calino hätte für eine Ewigkeit und länger so in der Sonne stehen und den Kuss auskosten können. Aber wie jeder Kuss und jede Umarmung endete auch dieser viel zu rasch – denn selbst eine Ewigkeit war zu kurz, wenn es um Borean ging.

»Pause«, stimmte er atemlos zu.

Kurz, aber herzlich drückte Borean ihn noch einmal an sich, ehe er ihn freigab und ihm dann den Degen abnahm. Calinos Herzschlag hüpfte freudig, als sein großer Geliebter ihm die Hand reichte, um ihn zum Waffentisch zu führen.

Dort standen kalter Tee und eine mit einem Wachstuch abgedeckte Platte voller Schnittchen und anderer kleiner Köstlichkeiten aus der kaiserlichen Küche bereit.

Borean legte ihrer beider Waffen daneben und rückte eine Holzbank vor den Tisch.

Calino wartete, bis Borean saß, und sah ihn fragend an. Als würden Gewitterwolken sich teilen, um die ersten Sonnenstrahlen durchzulassen, tauchte Boreans Lächeln auf, und er lachte sogar leise. Er streckte beide Hände nach Calino aus, und dieser kam gerne näher, setzte sich auf einen muskulösen Oberschenkel und lehnte sich für einen Augenblick an Boreans Brust, fühlte sich locker umarmt und atmete auf.

Dann legte er den Kopf in den Nacken. »Und, geliebter Lehrmeister? Bin ich ein hoffnungsloser Fall?«

»Ganz und gar nicht. Ich habe nur das Gefühl, dass du es sehr eilig hast.«

»Endlich kann und darf ich! Und wenn du mir etwas erklärst und zeigst, verstehe ich es auch gleich.« Er legte eine Hand auf Boreans Wange, spürte das kurze Barthaar, die Wärme der Haut, streichelte bis zur Kieferlinie hinab und fuhr diese mit einer Fingerspitze zum Kinn entlang. »Vielleicht bin ich ein wenig übereifrig«, gab er zu. »Kannst du es mir verdenken? Jahrelang habe ich jemanden wie Nabicav, andere Generale gesehen, die Aufmärsche von Truppen. Krieger wie dich in der Arena. Ich glaube, dass ich wirklich rasch lernen werde.«

Borean fing seine Hand sanft ein, führte sie an die Lippen und sah Calino dann über die Fingerknöchel hinweg an. »Ich weiß, und als du vorhin fast alleine in die Grundstellung gefunden hast, wurde mir auch klar, dass du sehr genau hingesehen hast. Trotzdem, Calino: Wir haben Zeit. Denn zumindest das vorgeschobene Argument deines Onkels entsprach der Wahrheit: Du bist der Kaiser, du bist zu wichtig, als dass du den Kopf in einer Schlacht riskieren darfst. Und nebenbei bin ich dein erster Leibwächter.«

Calino beugte sich rasch vor und küsste ihn. Dann blickte er ihm ernst in die Augen. »Wäre es dir lieber …«

»Nein«, unterbrach Borean sanft. »Aber wahrscheinlich will ich dich lieber beschützen, als dir mit einem Schwert in der Hand gegenüberstehen. Ich habe da nämlich noch einen Nachteil. Ich liebe dich.«

»Das ist kein Nachteil«, flüsterte Calino, der sich von einer Woge der Zärtlichkeit für seinen wundervollen Gefährten nahezu überrollt fühlte. Er musste sich räuspern und setzte hinzu: »Ich lasse mir mehr Zeit, versprochen. Du alleine bestimmst die Geschwindigkeit.«

Borean erwiderte den Kuss. Innig und liebevoll, ehe er sagte: »Gut, dann möchte ich, dass du jetzt einen Becher Tee trinkst und etwas isst. Wir machen nach der Pause weiter. Du wirst mich morgen wegen eines kolossalen Muskelkaters verfluchen, aber ich möchte dir heute noch die Grundlagen der Abwehr zeigen.«

Und das bedeutete, dass er mit einem Schwert in der Hand Calino gegenübertreten würde. Prompt raste Calinos Herzschlag vor Vorfreude wieder in die Höhe und schien Kapriolen zu schlagen. Denn er hatte sich in Borean verliebt, als er diesen das erste Mal in der Arena gesehen hatte. Aus diesem ersten, stürmischen Aufwallen der Leidenschaft war so viel mehr geworden. Borean hatte diese wundervolle Vertraulichkeit, mit der sie jetzt miteinander umgingen, besiegelt, als er Nabicav in den Weg getreten war. Calino wusste, wie gerne er seinen Geliebten gerüstet und bewaffnet sah, wenn Borean sich wie eine große Raubkatze bewegte, ein Bollwerk war.

Er nickte und nahm den Teebecher entgegen, den Borean für ihn füllte und ihm reichte.

Calino trank zwei Schlucke und merkte jetzt erst, wie sehr die bisherigen Übungen ihn erhitzt hatten. Borean drehte sich leicht in der Hüfte und holte die Platte mit den Schnittchen in Reichweite, ehe er selbst Tee trank.

Gemütlich auf dem vertrauten Schoß sitzend zog Calino das Wachstuch von den Häppchen und wählte eine kleine Scheibe dunkles Brot mit geräuchertem Fisch aus, von dem er wusste, dass Borean ihn besonders mochte. Er hielt dem Geliebten den Happen hin, und Borean biss ab, überließ Calino die zweite Hälfte des Schnittchens.

Immer noch schien die Sonne auf den Kasernenhof, hüllte Boreans Duft Calino ein. Er fühlte sich wundervoll, überhaupt nicht müde, auch wenn er argwöhnte, dass Borean die Rast in die Länge zog, damit Calino sich ein wenig erholten konnte.

Sie tranken Tee, aßen belegte Brote und Weintrauben und schwiegen vertraulich miteinander. Borean war einer der ganz wenigen Menschen, in deren Gegenwart Calino nicht das Gefühl hatte, Stille sofort mit Worten auffüllen zu müssen.

Schließlich stellte Borean die Platte wieder auf den Waffentisch. »Wollen wir?«

Calino sprang auf und spürte dabei den Anflug leichten Unbehagens auf der Rückseite seiner Oberschenkel und im unteren Rücken. Aber das kam ja gar nicht in Frage, dass er sich davon einschüchtern ließ. Er wollte Borean gegenüberstehen, wenn dieser sein Schwert in der Hand hielt. Er wollte lernen und – hoffentlich – Stolz in Boreans dunklen Augen sehen, wenn sein Schüler wieder etwas richtig machte.

Sie traten in die Mitte des Hofes, wo sie genügend Platz hatten und der Boden von zahlreichen Gardistenstiefeln glatt und festgetreten worden war.

Calino schloss die Finger fester um sein Waffenheft, als Borean ihm noch einmal den Aufbau der Klinge erklärte. Geduldig und ruhig, die tiefe Stimme sanft wie Samt. Dann machte Borean einen Schritt rückwärts und zog sein eigenes Schwert, warf Gürtel und Lederscheide beiseite und schenkte Calino ein ermutigendes Lächeln. »Ich werde nicht meine volle Kraft einsetzen, keine Sorge. Heute möchte ich dir wirklich nur die Grundlagen beibringen.«

Es blieb ihm nur ein Nicken, während er diesen Anblick in sich aufsog. In der Arena hatte er sich in Borean verliebt, und er liebte es heute noch, seinen hochgewachsenen Gefährten gerüstet und bewaffnet zu sehen. Es lag an dem Ausdruck von Kraft und Gelassenheit, an dem Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit. Ein wenig war der Nervenkitzel der Gefährlichkeit dabei, wie Calino wusste. Borean bewegte sich wie eine große Raubkatze, und das verursachte einen wohligen Schauer, der Calinos Rücken hinab rann. Wunderschön, das war das einzige Wort, das ihm noch einfiel.

Ehe Borean zu ihm treten konnte, sprudelte Calino hervor: »Wir üben auch auf der Reise durch das Reich weiter, nicht wahr? Wir finden schon einen stillen Hof.«

»Wirst du nach den langen Kutschfahrten und den Besprechungen mit den Statthaltern nicht zu müde sein? Das ist deine erste Fahrt durch das ganze Reich, unterschätze die Anstrengungen nicht, Calino.«

»Ich hoffe doch«, antwortete er und fand in die Grundstellung, »dass ich nicht ganz so zerbrechlich bin.«

»Gut, das werden wir dann sehen, einverstanden?« Der ruhige Ernst in seinen dunklen Augen war Versprechen genug. »Uns wird etwas einfallen. Nun aber zurück zum Unterricht. Du willst eine Klinge abwehren, sie immer fort von deinem Körper lenken. Wir legen hier und jetzt den Grundstein. Später werden wir herausfinden, ob du in der linken Hand lieber einen Dolch führen möchtest oder einen Schild tragen willst. Aber so weit sind wir noch nicht. Bereit?«

Calino nickte angespannt. Er war sein ganzes Leben bereit für diesen Unterricht gewesen, doch jetzt war er erleichtert und überglücklich, dass Borean ihn unterwies. Früher hätte wohl Calinos Onkel Nabicav das persönlich übernommen, falls Calino sich jemals hätte durchsetzen können. Gewiss war er sich nur einer Sache: Bei seinem Onkel hätte er sich nicht halb so sicher gefühlt. Vielleicht hätte Nabicav es sogar darauf angelegt, ihn abzuschrecken, damit Calino das Unterfangen aufgab. Ein paar harte Schläge, vielleicht eine angebrochene Rippe oder so hätten dafür ausgereicht.

»Ganz langsam. Stelle es dir wie einen Tanz vor. Jede Bewegung eine Antwort auf die deines Gegners. Schläge abfangen, die Klinge von dir fortlenken – und später wirst du dabei auch noch nach einer Lücke in der Deckung deines Gegenübers suchen. Aber jetzt noch nicht.«

Hatte Calino gedacht, dass er bei den ersten Übungen ins Schwitzen geraten war, wurde er rasch eines Besseren belehrt.

Jeder Schlag Boreans erfolgte langsam, vorhersehbar und ganz gewiss nicht mit voller Kraft, trotzdem schuftete Calino schwer, fing einen Hieb nach dem anderen ab.

Der Geruch nach heißem Sand, Schweiß und Leder füllte seine Atemwege. Seine Beine schienen sich nach allzu kurzer Zeit in Grütze zu verwandeln, und jetzt spürte Calino auch ein brennendes Ziehen zwischen den Schulterblättern. Von seinem rechten Arm ganz zu schweigen.

Stahl kratzte auf Stahl, schabte mit einem nervtötenden Geräusch über Calinos schweren Degen. Schwer, in der Tat! Hatte ihm die Waffe anfangs noch bequem in der Hand gelegen, schien sie nun bei jeder Abwehrbewegung zäh und gewichtig an seinem Arm zu zerren, als würde der Sandboden des Kasernenhofes an ihr ziehen, um sie zu verschlingen. Und Calino gleich dazu!

Borean trat einen raschen Schritt zurück. »Genug. Es war schon zu viel. Du wirst mich morgen verfluchen, Calino.«

»Das kann ich gar nicht«, behauptete er und ließ die Waffe erleichtert sinken. Nun, eigentlich tat er gar nichts, sondern hegte den Verdacht, dass die Klinge samt dem rechten Arm einfach zu Boden stürzte.

»Komm, ich schäle dich aus deiner Rüstung, während du einen weiteren Becher Tee trinkst. Ich hätte die Übungen früher beenden sollen.« Borean wirkte zerknirscht.

Mit der linken Hand griff Calino nach ihm, ließ die Finger über den Unterarm zum Ellenbogen emporgleiten. »Nein. Ja, ich fühle mich ein wenig … nicht nur ein wenig erschöpft. Aber ich fühle mich auch gut dabei. Danke, Borean.«

Überzeugt schien sein großer Geliebter nicht, aber er nahm Calino die tonnenschwere Waffe ab, legte ihm einen Arm um die Schultern und führte ihn zum Waffentisch. »Du hast dich wacker geschlagen, mein Herz. Und ich bin sicher, dass du heute Nacht besonders gut schlafen wirst.«

Mit einem berechnend frechen Lächeln sah Calino zu ihm auf. »Schlafen? Oh, ich hatte da ganz andere Pläne!«

Ein wohliger Schauer rann über ihn, als Borean auf diese Worte hin leise lachte und ihn fester an sich drückte. Dabei fürchtete Calino, dass er wirklich nur in die seidenen Laken fallen, sich zusammenrollen und wie ein Stein schlafen würde.

2.

Betrübliche Nachrichten

 

Mit dem Erwachen kamen die Schmerzen. Wahrscheinlich wachte Calino auf, weil alles so wehtat. Ein feuriges Band zog sich von seinem Hinterkopf die Wirbelsäule hinab, verzweigte sich in seinem Hintern und brannte weiter bis in die Kniekehlen.

Er versuchte, den Kopf zur Seite zu drehen, und stöhnte leise, weil diese Bewegung kaum möglich war. Jetzt meldeten sich seine Rippen, zwischen denen Glut nistete, die bei jedem Atemzug angefacht wurde. Flach atmen, nicht bewegen.

Nie zuvor hatte er sich so elend gefühlt. Er konnte sich nicht rühren, und als er doch den Versuch wagte, ob er sich vielleicht hochstemmen oder auf die Seite drehen könnte, flammte neues Feuer in seinen Armen auf.

Mit einem Wimmern gab Calino diese Bemühungen auf, lag still und hoffte, dass das alles vorbeigehen würde.

Er vernahm leichte Schritte, durch dicken Teppich zusätzlich gedämpft, nahm all seinen Mut zusammen und wandte den Kopf.

Ein Nabel kam in sein Gesichtsfeld, eingebettet in eine wundervolle, flache Bauchdecke, unter deren sonnengebräunter Haut sich eindrucksvolle Muskelstränge abzeichneten.

»Du liegst ja immer noch im Bett«, erklang Boreans tiefe Stimme, und Calino hörte, dass sein großer Geliebter ernstlich erstaunt klang. Und ein wenig besorgt? Ja, bestimmt.

Jetzt sah er auch ein wenig mehr von Borean. Wassertropfen glitzerten auf dessen nackter Haut, um die Hüften hatte er sich ein Badetuch geschlungen, und er sah frisch aus wie ein Sommermorgen. Wie machte er das?

»Alles tut weh«, nuschelte Calino halb ins Kissen.

Borean lachte. Das wärmte Calino und machte die Schmerzen tatsächlich etwas leichter zu ertragen.

Die Laken raschelten, als Borean zu ihm aufs Bett stieg und auf Händen und Knien näher kam. »Muskelkater, mein armer Calino? Ich hatte dich gewarnt. Dagegen hilft nur mehr Bewegung. Und ein heißes Bad und vielleicht eine Massage.«

Nicht einmal die mögliche Aussicht auf Liebkosungen, streichelnde Hände und mehr kam gegen die Pein in Calinos Muskeln an. »Ich bleibe hier liegen und sterbe einfach«, murmelte er und merkte, dass er das halbwegs ernst meinte. Bewegen? Bloß nicht!

»Das sind trübe Aussichten«, sagte Borean sachlich und zog ihm schwungvoll die Decke weg. Die Matratze bewegte sich unter seinem Gewicht, als er sich auf die Knie aufrichtete und mit einer wohltuend warmen Hand über Calinos Rücken streichelte.

Calino seufzte leise. Ein Wassertropfen aus Boreans nassen Haaren fiel auf seine Schulter, dann spürte er warmen Atem an seiner Wange, gleich darauf die zärtliche Berührung durch Boreans Barthaare.

»Ich werde dich jetzt ins Badezimmer tragen und in einer Wanne mit heißem Wasser versenken. Glaub mir, das wird dir guttun.«

Ein Finger malte Kringel auf Calinos unteren Rücken, dann auf seinem Hintern. Gleich darauf streichelten beide Hände fest über seinen Rücken, und Boreans starke Finger fanden genau die Stellen, die schmerzten. Er drückte nicht fest zu, immer noch wirkten die Berührungen eher wie Zärtlichkeit.

Calino biss die Zähne zusammen, als Borean ihn auf den Rücken rollte, ihm einen Arm in die Kniekehlen schob und den anderen um die Schulter legte. Sofort ging es Calino besser, denn der Brustkasten, an den er sodann kraftvoll gezogen wurde, war warm vom Bad, roch nach Orangenblüten und Seife mit Mandelmilch. Außerdem tat es gut, so fest und behutsam hochgehoben zu werden, wie in einem wärmenden Kokon, was die Schmerzen tatsächlich linderte.

Borean stand auf, zog den Kopf leicht ein, um nicht an den seidenen Baldachin über dem Bett zu stoßen, und stieg dann mit einem langen Schritt von der Matratze.

»Ich würde mich lieber unter den Decken an dich kuscheln. Es geht mir schon viel besser«, sagte Calino und hob trotz der von Pein erfüllten Muskeln seines Unterarms die Hand, um einen schimmernden Wassertropfen fortzuwischen, der auf Boreans Schlüsselbein nistete.

Borean besaß wirklich die schönsten Schlüsselbeine der Welt, befand Calino lange nicht zum ersten Mal. Ach, alles an ihm war wundervoll. Er lehnte den Kopf an eine einladende Schulter und ließ sich ins Badezimmer tragen.

Warme, feuchte Luft schlug ihm entgegen, duftete nach Rosen und Orangen und nach Borean. Benutzte Handtücher hingen ordentlich über einem Gestell, Seifen, Bürsten und andere Gegenstände säumten wie kleine Soldaten in Reih und Glied das dunkle Holzbrett neben der Wanne. Seitdem Borean sich in Calinos – in ihren gemeinsamen – Gemächern heimisch fühlte, hatten diese einiges ihrer trägen Verspieltheit verloren. Die Diener hatten sich rasch angepasst, als sie begriffen, dass ihr Kaiser keinerlei Einwände gegen eine etwas nüchternere Einrichtung erhob. Überall verstreute Kissen gehörten der Vergangenheit an, die Vielzahl der aufgestellten Vasen war reduziert und der dekorative kleine Schreibtisch gegen ein größeres Exemplar getauscht worden, an dem Calino tatsächlich nicht nur Verse und Liebesbriefe verfasste, sondern seinen Aufgaben als Herrscher des Kaiserreichs nachkommen konnte.

Borean setzte ihn nun auf einem Schemel ab, und Calino schaffte es gerade noch, ihm beide Hände auf die Wangen zu legen und ihn solcherart zu einem Kuss einzuladen, ehe sein großer Geliebter allzu praktisch denkend heißes Wasser in die große Badewanne einlassen konnte.

»Alleine deine Fürsorge macht den Muskelkater viel leichter erträglich«, flüsterte Calino in Boreans Mundwinkel, als der Kuss endete.

»Ein heißes Bad wird es noch besser machen. Du wirst das genießen, während ich dir Kleidung hole und das Frühstück in Auftrag gebe.«

Borean konnte so wundervoll stur sein, dass Calinos Herzschlag albern Kapriolen schlug, weil diese Beharrlichkeit alleine ihm galt, weil der Geliebte sich um ehrlich ihn sorgte.

Er nickte mit einem dankbaren Lächeln und genoss dann den Anblick von Boreans Rücken, unter dessen sonnengebräunter Haut die klar konturierten Muskeln sich bewegten. Der Geliebte beugte sich vor, drehte die Wasserhähne auf und kümmerte sich danach um Handtücher. Er warf Rosenblütenblätter und getrocknete Orangenschalen ins Wasser. Der Duft nach beidem nahm noch einmal mehr zu, hüllte Calino ein, während der Dampf des warmen Wassers tatsächlich schon dazu beitrug, dass seine Muskeln gar nicht mehr so schlimm schmerzten.

»Du könntest auch mit mir in die Wanne steigen«, raunte er versonnen.

Borean warf ihm einen raschen Blick über eine Schulter zu und schüttelte leicht den Kopf. »Heute soll General Badon ankommen, mit dem ich die letzten Einzelheiten deiner Reise durch das Reich besprechen will: worauf er hier in seiner Rolle als Statthalter achten muss. Wen er von der Kaiserlichen Garde zu seinem Schutz wünscht. Und jetzt ab in die Wanne mit dir.«

Calino riss die Augen weit auf und gab sich Mühe, sehr kläglich, einsam und verlassen zu Borean aufzusehen.

Das entlockte seinem Gefährten wenigstens ein amüsiertes Kopfschütteln. Wunschgemäß beugte Borean sich zu ihm herab und küsste ihn zärtlich. Wärme rieselte durch Calino, und als Borean ihn – ohne den Kuss zu unterbrechen – auf den Arm nahm und zur Badewanne trug, erhob er nicht die geringsten Einwände. Natürlich wäre es schöner, wenn Borean sich zu ihm gesellen würde. Viel, viel schöner.

Doch die Reise durch das ganze Reich war Calinos Idee gewesen. Die Bürger der Hauptstadt, seinen neuen Rat, die Kaiserliche Garde und ganz wichtig seine Kaiserin Atisa und vor allem Borean hatte er von seiner Rechtschaffenheit überzeugen können. Er arbeitete die Versäumnisse der vergangenen Jahre auf, bekämpfte Korruption und gab sich Mühe, die Ausbeutung seitens seines Onkels Nabicav und des alten Rats wieder gutzumachen. Doch war das Reich größer als nur die Hauptstadt, und die Folgen der Vernachlässigung waren überall im Land zu spüren. Viele Kleinadelige und noch mehr die Bevölkerung mussten noch gewonnen und überzeugt werden. So viele Missstände behoben und im ganzen Reich gegen Profitmacher vorgegangen werden.

Er stöhnte unwillkürlich, als Borean ihn in das sehr warme Wasser setzte, den Kuss beendete und Calino über die Wange streichelte.

»Siehst du? Es wird gleich besser. Ich kümmere mich um alles Übrige, genieße du das Bad.«

Und mehr blieb dann auch nicht zu tun, da Borean den Raum verließ. Calino räkelte sich im Wasser, streckte die schmerzenden Beine lang aus und genoss das Gefühl, wie die Wärme die Schmerzen vertrieb. Irgendjemand – wahrscheinlich Nabicav – hatte ihm einmal gesagt, dass ein Muskelkater noch niemanden umgebracht hätte, sondern ein Zeichen wäre, dass man ausnahmsweise wirklich etwas geleistet hätte.

Sehr witzig. So, wie Borean sich eben bewegt hatte, wie mühelos er Calino ins Badezimmer getragen hatte, verspürte der nämlich keinen Schmerz in seinen eindrucksvollen Muskeln, und er hatte am Vortag erheblich mehr geleistet als Calino. Was wieder einmal mehr bewies, dass Nabicav nur danach getrachtet hatte, Calino zu schikanieren und zu entmutigen.

Er sank etwas tiefer ins Wasser und war sogar schon soweit kuriert, dass er ein heranschwimmendes Rosenblütenblatt fortschubsen konnte. Ein vorsichtiges Recken tat noch weh, aber Calino war sich sicher, den garstigen Muskelkater in kürzester Zeit abschütteln zu können. Vielleicht würde er nicht gerade heute wieder auf den Übungsplatz zurückkehren, aber morgen bestimmt schon wieder.

Zufrieden – und sehr vorsichtig – setzte er sich auf, angelte nach Seife und einem Waschtuch, als es leise an der Tür klopfte und Borean nach Calinos Aufforderung wieder in das Badezimmer trat.

Voll bekleidet in seidig schimmerndem schwarzen Leinenwams und ebenso dunkler Lederhose, was Calinos immer noch schwelende Hoffnung, den Geliebten zu sich in die Badewanne locken zu können, zunichtemachte.

»Frühstück wird gerade aufgetragen, und ich bringe dir frische Wäsche. Brauchst du Hilfe, um aus dem Wasser zu kommen?«

»Ich könnte jemanden gebrauchen, der mir den Rücken wäscht«, schlug Calino mit einem frechen Zwinkern vor. »Es geht mir wirklich viel besser. Das heiße Bad war eine wundervolle Idee. Danke.«

Boreans dunkle Augen nahmen einen weicheren Ausdruck an. Er nickte einfach und entwand Calino Waschtuch und Seife.

Calino rückte ein wenig vor und beugte sich nach vorne. Das schmerzte noch sehr, das Brennen zwischen seinen Schulterblättern hatte einem dumpfen Ziehen Platz gemacht.

Der Duft nach Seife hüllte Calino ein, während Borean ihm den Rücken wusch, die Linien der schmerzenden Muskeln mit sanftem Druck nachfuhr, immer wieder warmes Wasser über Calinos Haut schöpfte und so liebevoll mehr tat, als nur vermeintlichen Schmutz gründlich abzuspülen. Jeder Strich mit dem seifigen Tuch linderte den Muskelkater, und bald meinte Calino, dass alle Pein aus ihm wich, wie es das heiße Bad alleine nicht vollbracht hatte.

Und Borean ließ es nicht dabei bewenden, sondern kümmerte sich auf gleiche Weise um den leidenden und geschwächten rechten Arm, ehe er Calino auf das Jochbein küsste. »Kommst du zurecht? Es tut mir leid, ich hätte früher auf einem Ende der Übungen bestehen sollen.«

»Bitte nicht, Borean. Ich habe mich gestern so gut wie lange nicht gefühlt, und ich freue mich auf weiteren Unterricht. Nur nicht heute!«

Sanft lehnte Borean seine Stirn gegen Calinos. »Nein, heute ganz bestimmt nicht. Ich werde auch viel zu tun haben, sobald Badon eintrifft. Ich warte auf dem Balkon auf dich, mein Herz.«

Wie immer, wenn Borean ein Kosewort verwandte, das er so innig aussprach, wie niemand sonst es vermochte, beschleunigte sich Calinos Puls. Ach, am liebsten hätte er die Reise im letzten Augenblick doch noch abgesagt oder zumindest verschoben. Er wollte mit Borean hier in ihrem gemeinsamen, kleinen Reich bleiben, mit ihm in den Gärten spazieren, weiter Schwertkampf lernen, zusammen mit ihm lesen und nachts – nach ganz anderer schweißtreibender Tätigkeit als auf dem Übungshof – an ihn gekuschelt schlafen.

Die Aussicht, tagelang in der Kutsche zu sitzen, umringt von Leibwächtern und Dienern, um dann nach der Ankunft in irgendeiner fremden Stadt mit Statthaltern, Würdenträgern und mehr sprechen zu müssen, erschien mit einem Mal grauenhaft und äußerst niederdrückend.

Doch als Borean sich erhob und das Badezimmer verließ, wusste Calino, dass er dieser Schwäche nicht nachgeben durfte. Immerhin würde er Borean und auch Atisa an seiner Seite haben, Richter Tigenus als Berater und mehr. Die Fahrt durch sein ganzes Reich war notwendig, und die faulen Tage, in denen er sich vor jeder Anstrengung gedrückt hatte, gehörten der Vergangenheit an.

Energisch wusch er sich und kletterte schließlich nur noch ein wenig mühsam aus der Wanne.

 

Borean saß auf der Balkonbrüstung und blickte über den wundervollen Palastpark, genoss den Duft der zahllosen Blüten, der süß zu ihm aufstieg. Es war noch frisch, versprach aber, ein schöner Tag zu werden.

Unter gläsernen Hauben wartete das kunstvoll angerichtete Frühstück auf den Kaiser. Vasen mit gelben Rosen nahmen jeden verfügbaren Platz auf dem Tisch ein. Ein Korb mit frischen Pfirsichen stand neben Boreans Platz. Er hatte diese besondere Köstlichkeit gleich entdeckt und wusste, dass er sie Calinos Anweisungen an die Diener verdankte.

Er streckte sich und nahm dann wieder seinen Teebecher in die Hand. Bis er diesen geleert hatte, würde er Calino Zeit geben und dann zur Sicherheit nach ihm sehen, ob er vielleicht doch nicht aus eigener Kraft aus der Wanne kam.

Er hätte den Unterricht früher abbrechen sollen, das war ihm klar. Aber es hatte Spaß gemacht! Ein so begnadeter, fleißiger Schüler wie Calino war etwas Besonderes. Ihm zuzusehen, wie er immer wieder sicher in die Grundstellung kam, wie verblüffend leichtfüßig er sich bewegt hatte … Borean lächelte bei der Erinnerung und nahm noch einen Schluck Tee.

Anziehend hatte er Calinos Äußeres schon bei der ersten Begegnung gefunden. Und dann entdeckt, dass der vermeintlich kaltherzige Tyrann weder noch war. Er hatte hinter die Fassade blicken dürfen und dort einen so liebevollen, ernstlich bemühten Mann entdeckt, der nicht einmal geahnt hatte, in welch ausweglose Lage er Borean gedrängt hatte. Und dann hatte die Welt sich auf den Kopf gestellt, und Borean hatte begriffen, dass er seinen Kaiser liebte. Jetzt kam der atemberaubende Anblick hinzu, wie Calino sich auf dem Kasernenhof bewegt hatte. Dieser ungemeine Eifer, das Streben nach etwas Neuem, was ihm bislang vorenthalten worden war.

Ach, verdammt, Nabicav hatte genau gewusst, warum er Calino von jeglicher Waffenausbildung ferngehalten hatte. Klein, schlank, aber wendig und schnell – mit einer vernünftigen Ausbildung dazu hätte Calino seinen Onkel im Göttergericht geschlagen, dessen war Borean sich sicher.

Er nahm den letzten Schluck Tee, stellte den Becher auf die Balkonbrüstung und stand auf. Jetzt würde er nachsehen, ob der arme Calino gerade Klimmzüge am Wannenrand ausführte.

Er trat in den Vorraum, als Calino just diesen Augenblick wählte, den Vorhang zwischen diesem Saal und seinen privaten Gemächern mit einer Hand zur Seite zu schieben.

Ein tapferes Lächeln begrüßte Borean, der instinktiv nach einem Hinken, nach einer Unbeholfenheit Ausschau hielt, die ihm sagen würden, wie schlimm Calinos Muskelkater tatsächlich war. Aber es ging, so schien es.

Trotzdem beeilte er sich, zu seinem Geliebten zu gelangen und ihn liebevoll in den Arm zu ziehen. Calino schlang beide Arme um ihn und lehnte sich an, bettete die Wange an Boreans Brust und atmete leicht auf.

»Noch sehr übel?

---ENDE DER LESEPROBE---