Kommissar Guntram Ostfrieslandkrimis: Sammelband 6 - Moa Graven - E-Book

Kommissar Guntram Ostfrieslandkrimis: Sammelband 6 E-Book

Moa Graven

0,0
8,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Kommissar Guntram Ostfrieslandkrimis - Sammelband 6 Hierin enthalten die Krimis: - Ihre letzte Spur - Der Kaktus blüht im Stillen Wieder geht es um spannenden Fälle aus Leer (Ostfriesland) mit Kommissar Guntram und seiner Kollegin Katrin Birgner. Im Krimi "Ihre letzte Spur" verschwindet Jenna Franke spurlos, nachdem sie noch einmal mit ihrem Ex-Mann in Leer essen gegangen war. Im Krimi "Der Kaktus blüht im Stillen" wird Kommissar Guntram auf einen Hund hinter einem Fenster aufmerksam, weil dieser aufgeregt davor hin und her springt. Er geht der Sache nach und findet Rosemarie Kleinhaus tot in ihrem Bett. War es ein natürlicher Tod? Oder doch ein Mord? Ein Kaktus, die Königin der Nacht, bringt die Ermittler schließlich auf die richtige Fährte.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Ihre letzte Spur
Impressum
Zum Inhalt
Gefühlte Langeweile
Im Büro
Jenna
Der Verdacht
Eine fehlt
Misstrauen
Heiner Franke
Das Abendessen
Unangenehme Fragen
Das Leben steht still
Falsche Fährten
Im Büro
Auf den Zahn gefühlt
Auf Spurensuche
In Potshausen
Warteschleife
Heiner Franke
Dunkle Mächte
Der Winter kommt
Mein Brief an Sie, liebe Leserin und lieber Leser,
Der Kaktus blüht im Stillen
Impressum
Rhauderfehn, Ostfriesland
Zum Inhalt
Der Hund im Fenster
Hausbesuche
In der Dienststelle
Die Königin der Nacht
Schlechte Nachrichten
In Münster
In der Dienststelle
Tina und Peter
Der Tote vom Rajen
In Oldenburg
In der Nacht
Beim Frühstück
In der Dienststelle
Erna Peters
Die Familie
Gedankenspiele
Spuk im Kopf
Gabriele Stindt
Wahrheiten
Der Blick zurück
Zuhause
Mein Brief an Sie, liebe Leserin und lieber Leser,
Zur Autorin
Die Kommissar Guntram Krimi-Reihe im Überblick
Die weiteren Krimi-Reihen von Moa Graven im Überblick
Meine Autobiografie
Vielen Dank für Ihr Interesse an meinen Krimis!

Wortzähler: 76539

 

 

 

 

 

 

 

Kommissar Guntram Sammelband 6

Ostfrieslandkrimis von Moa Graven

 

 

Ihre letzte Spur

 

Der Kaktus blüht im Stillen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Moa Graven

 

Ihre letzte Spur

Ostfrieslandkrimi von Moa Graven

 

 

Moa Graven ist Ostfriesin und schreibt seit 2013 Krimis. Erst mit fünfzig hat sie die Leidenschaft für das subtile Verbrechen auch für sich entdeckt, als sie einen Fortsetzungskrimi für ein Monatsmagazin schrieb. Seit 2017 lebt die Autorin vom Schreiben und eröffnete ein Krimihaus in Rhauderfehn, wo man sie auch besuchen kann. Mit über 70 Krimis, die sie über 600.000 Mal im Eigenverlag verkaufte, gehört sie zu den erfolgreichsten Krimiautorinnen in Deutschland.

 

Impressum

Ihre letzte Spur – Kommissar Guntram Krimi-Reihe – Band 15

Ostfrieslandkrimi von Moa Graven

Alle Rechte am Werk liegen bei der Autorin

Erschienen im Criminal-kick-Verlag Ostfriesland

Das Krimihaus – 3. Südwieke 128a – 26817 Rhauderfehn

August 2020

ISBN 978-3-946868-71-2 (Taschenbuchausgabe)

Umschlaggestaltung: Moa Graven

Zum Inhalt

 

Ihre letzte Spur - Der 15. Fall in der Kommissar Guntram Krimi-Reihe in Ostfriesland

Heiner Franke ist überglücklich. Ein Abendessen mit seiner Ex-Frau. Es sieht endlich danach aus, als ob sie doch wieder zusammenfinden könnten. Doch dann, als sie eigentlich vielleicht noch zusammen etwas trinken wollen, ist Jenna plötzlich spurlos verschwunden.

 

Kommissar Guntram ermittelt seit 2013 in Leer Ostfriesland mit seiner Kollegin Katrin Birgner. Er liebt Chips und Whisky und pfeift auf Vorschriften seiner vorgesetzten Dienststelle in Osnabrück. Zwischen ihm und Katrin besteht von Anfang an eine gute kollegiale Freundschaft. Und nachdem Guntram Frau Siglinde stirbt, wird auch mehr daraus. Der erste Fall „Mörderischer Kaufrausch“ ebnete die Karriere von Moa Graven, und machte sie zu einer der erfolgreichsten Krimiautorinnen deutschlandweit.

 

 

Die Grenze zwischen

Liebe und Hass

verläuft oft fließend.

Moa Graven

 

 

Gefühlte Langeweile

Sie sah an ihm vorbei auf das gelbe Licht, das die Lampe auf seinen Schreibtisch warf. Eigentlich wollte sie nicht hier sein. Nicht in diesem Raum mit einem fremden Mann, der ihr Fragen stellte. Es langweilte sie unendlich.

»Frau Birgner?«, sprach er sie an, als er merkte, dass er ihre Aufmerksamkeit verloren hatte.

Katrin sah wieder zu ihm. »Ja?«

»Wie fühlen Sie sich genau in diesem Moment?«

Was ging ihn das an, dachte Katrin. Sie hatte sich von Guntram dazu überreden lassen, einen Psychotherapeuten aufzusuchen. Und das war wahrscheinlich genau das Problem. Sie selber hätte so etwas nie getan. Sie tat es nur für ihn. Und natürlich auch für Sarah. Das kleine unschuldige Mädchen hatte eine intakte Mutter verdient.

»Sie lächeln«, sagte der Mann, »das ist doch schon mal ein gutes Zeichen.«

Er konnte nicht wissen, woran sie dachte und es ging ihn auch nichts an. Intakte Mutter? Was bedeutete das eigentlich, fragte sie sich, während der Therapeut die übereinandergeschlagenen Beine wechselte. Sicher erwartete er gleich eine ganz großartige Antwort von ihr auf seine dämliche Frage. Sie selber würde nie jemanden fragen, was er gerade dachte. Was ging es andere an? Wenn sie etwas sagen wollte, dann würde sie es schon tun. Ihr Blick ging zur Uhr an der Wand. Der große Zeiger war noch kein Stück weitergewandert, war ihr Eindruck. Die Minuten zogen sich immer quälend dahin, wenn sie hier saß. Sie langweilte sich. Sie wollte endlich wieder Polizistin sein. Auf Guntrams Schreibtisch sitzen und mit ihm über den neuen Fall spekulieren. Sie gehörte nicht hierher, wo man sie für verrückt hielt. Vielleicht stimmte es ja, sie war verwirrt. Es ging ihr nicht gut nach dem letzten Angriff auf ihre Person. Der Vater von Sarah hatte versucht, sie zu ermorden. So etwas steckte man nicht so einfach weg. Er hatte das Halloweenfest, das sie und Guntram bei sich zuhause mit den Kollegen aus den umliegenden Dienststellen feiern wollten, als willkommene Gelegenheit genutzt, um sie zu töten. Nur der blitzschnellen Reaktion und einem beherzten Eingriff von Jan war es wohl zu verdanken gewesen, dass sie überhaupt noch da war. Jetzt hier saß und versuchte, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Es war jetzt fast ein Jahr her seit dem Angriff. Sie war körperlich ziemlich schnell genesen, nur ihre Psyche hielt damit nicht Schritt. Sie schlief schlecht, nahm immer mehr ab, weil sie keinen Appetit hatte. Nur Sarah zuliebe hatten sie überhaupt Weihnachten gefeiert. Frank Osterkamp war wieder hinter Gittern, durch sein Attentat hatte er seine Bewährungsstrafe verspielt und würde jetzt wieder viele Jahre kahle Wände anstarren. Doch das schien ihm völlig egal zu sein. Er war besessen von ihr. Er wollte seine Tochter sehen. Das war so schmerzhaft wie absurd. Schließlich hatte er Katrin mit K.O.-Tropfen ausgeknockt und dann vergewaltigt. So einen Vater brauchte Sarah nun wirklich nicht. Das alles ging ihr durch den Kopf, während der Therapeut sie mit leicht hochgezogenen Mundwinkeln ein Lächeln mimend ansah und auf irgendetwas von ihr wartete. Eine Reaktion. Ein Wort. Doch sie blieb einfach stumm.

»Katrin«, sagte er jetzt und lockerte seine Körperhaltung, stellte die Beine nebeneinander und beugte sich vor, »ich denke, wir beenden die Sitzung für heute. Sie scheinen noch nicht bereit dafür zu sein, mir mehr über sich und das schreckliche Ereignis zu erzählen. Das ist für mich völlig okay. Ich verstehe das. Man braucht eine innere Bereitschaft, sich zu öffnen. Diese ist bei Ihnen im Moment, ja, vielleicht nur heute, nicht vorhanden. Ich denke, wir machen einen neuen Termin aus.«

Das denke ich nicht, dachte Katrin bei sich. Alles sperrte sich gegen diesen Mann. Wieder einmal. Es war der dritte Anlauf in fünf Monaten, dass sie versuchte, sich Hilfe von anderen zu holen, nur weil Guntram das wollte. Damit musste jetzt endlich Schluss sein.

»Ich möchte keinen neuen Termin«, sagte sie mit einer Stimme, als hätte sie sie gerade erst wiederentdeckt. Dann stand sie auf und verließ den Raum, ohne ihn noch einmal anzusehen.

Als sie endlich wieder im Wagen saß, atmete sie tief durch. Sie brauchte keine fremde Hilfe, sie schaffte das schon alleine. Sie brauchte nur Zeit. Es war wie damals, als sie Hals über Kopf nach München zu ihrer Freundin aufgebrochen war. Sie hatte sich einfach in den Wagen gesetzt und war losgefahren. Und dort war es dann passiert. War sie ein Typ, der zu Kurzschlusshandlungen neigte? Warum war es ausgerechnet ihr passiert? Sie hatte sich schon so oft den Kopf darüber zerbrochen, warum es Osterkamp ausgerechnet auf sie abgesehen hatte. Sie war nicht die Einzige, die er damals stalkte. Durch seinen Posten in der Verwaltung in Osnabrück hatte er Zugriff auf die Daten beliebiger Kolleginnen gehabt. Er wusste, wo sie im Einsatz waren. Wieso also gerade ich?, fragte sich Katrin jetzt zum millionsten Mal. Und doch wusste sie keine Antwort darauf zu geben. Und so würde es auch immer bleiben. Er hatte gegenüber Guntram geäußert, dass er sie sexy fand. Damals, als sie ihn auf Borkum geschnappt hatten, als er ihr wieder bis dahin gefolgt war, als sie mit Eva und Lisa dort Urlaub gemacht hatte. Schon damals musste man Guntram arg zurückhalten, damit er ihm nicht an Ort und Stelle den Hals umdrehte. Und jetzt, im letzten Herbst, da hatte Guntram ihm geschworen, dass er ihn umbringen würde, sollte er sich noch einmal in ihre Nähe wagen. Sie wusste, dass er es tun würde. Aber dann wäre er ein Mörder und man würde ihn einsperren. Diese Last, die wollte sie nicht länger mit sich herumschleppen. Aber was sollte sie tun? Was würde Osterkamp tun, wenn er wieder auf freien Fuß kam? Das war wohl der schlimmste Gedanke, der sie plagte. Sie würde niemals vor ihm sicher sein. Ebenso wenig Sarah, für die er sich irrwitzigerweise einbildete, ein guter Vater sein zu können. Er war verrückt.

Und sie musste damit leben, dass ein Verrückter vermutlich jede Minute, die er wach in seiner Zelle lag, an sie dachte. Es machte auch sie verrückt.

Sie musste einen Weg heraus aus diesem Wahnsinn finden. Doch der Mann da oben, sie sah noch einmal zu dem Fenster mit den schweren Vorhängen hoch, er würde ihr genau wie die anderen nicht helfen können.

 

Im Büro

Sein Kopf wog schwer, als er sein Gesicht auf den rechten Handballen stützte, während er sich auf den Schreibtisch lehnte. So war das alles nicht geplant gewesen. Seitdem man Katrin angegriffen hatte, arbeitete er wieder Vollzeit. Sicher, sie konnte ja nichts dafür, dass es ein Wahnsinniger auf sie abgesehen hatte. Am liebsten hätte er ihm eine Kugel in den Schädel geblasen, und das Gefühl, es war nicht abgekühlt in der Zwischenzeit. Doch das war seine kleinste Sorge. Wer seiner Familie etwas antun wollte, der traf unweigerlich auf seine Wut.

Heute war sie zu einem weiteren Therapeuten gefahren. Ein erneuter Versuch, ihr labiles Selbstbewusstsein wieder in den Griff zu bekommen. Er hatte es in ihren Augen gesehen, als sie am Morgen noch vor ihm losgefahren war. Alles in ihr sträubte sich dagegen. Sie tue das nur für ihn, hatte sie gesagt, und natürlich für Sarah. Sicher, Katrin war so. Sie opferte sich für andere auf. Es war komisch, wenn er so darüber nachdachte. Damals, vor rund zehn Jahren, als sie noch nicht einmal ein Paar gewesen waren, da war sie ihm immer so selbstsicher und taff erschienen. Er hatte sie von Anfang an sehr gemocht. Man konnte mit ihr über alles reden. Mehr wäre ihm nicht in den Sinn gekommen. Oder, naja, manchmal hatte er schon daran gedacht, wie es wäre, sie zu berühren. Er war auch nur ein Mann und in seiner Ehe lief es nicht gut. Es hatte eine Weile gebraucht, bis sie sich wirklich näher gekommen waren. Und da hatte sie ihm dann auch ihre schwächere Seite präsentiert. Und sie war stur. Er empfand es so, dass sie sich gar nicht helfen lassen wollte, da sie es alleine viel besser konnte. Das gehörte auch zur Wahrheit dazu.

Er liebte sie. Egal, was sie tat oder sagte. Doch bei dem, was sie jetzt durchmachte, da konnte er nur danebenstehen. Sie ließ auch ihn nicht restlos an sich heran, wenn es um Sarah und diesen verdammten Osterkamp ging. Immer sagte sie, dass sie nicht mehr an ihn denken oder über das Verbrechen, dass er an ihr begangen hatte, nachdenken wollte. Als ob man das so einfach steuern konnte. Sie war so ein Dickkopf. Aber wenigstens versuchte sie es nun endlich ernsthaft, über die belastenden Dinge zu sprechen. Wenn auch mit einem Fremden. Ja, es traf ihn schon, dass sie sich weigerte, ihn mehr oder weniger als vollwertigen Partner an ihrer Seite zu sehen. Nie öffnete sie sich ihm ganz. Aber sollte es nicht gerade unter Ehepartnern so sein, dass man sich alles sagen konnte? Und wie ehrlich war er da selber? Wusste sie alles von ihm? Er schielte zur unteren Schreibtischschublade. Seit einiger Zeit lagerten da wieder Chips und Whisky. Wir haben wohl alle unsere Fehler, dachte er und das stimmte ihn milder gegenüber seiner Frau.

Ein Geräusch ließ ihn hochschrecken. Die Tür war aufgegangen.

Katrin kam herein.

»He«, sagte er und setzte sich aufrecht hin. »Ist der Termin schon vorbei?«

»Hm.« Sie zog die Schultern hoch und setzte sich auf die Kante seines Schreibtischs und sah ihn eindringlich an.

Er war nicht fähig, ihren Blick zu deuten. Hatte sie in seine Schublade gesehen und es würde gleich ein Donnerwetter geben? Aber sie war doch schon länger nicht mehr hier gewesen. War sie schwanger? Oh Gott. Oder war es doch gut? Aber er war doch schon so alt. Egal, was es war, sie machte ihn nervös. Er rollte ein wenig mit seinem Stuhl zurück, sagte aber nichts weiter.

»Ich habe beschlossen, wieder zu arbeiten«, sagte sie in sachlichem Tonfall.

Guntram wischte sich imaginären Schweiß von der Stirn.

»Oh«, sagte er, »hat dir dein neuer Therapeut dazu geraten?« Er wusste nichts anderes darauf zu erwidern.

»Nein«, gab sie zu, »das hat er nicht. Eigentlich habe ich auch gar nicht mit ihm gesprochen. Ehrlich gesagt bin ich es leid, Zuhause herumzusitzen und mich ständig mit diesen fremden Männern zu unterhalten, die angeblich dazu in der Lage sein sollen, mir zu helfen. Das sind sie nicht.«

Da wartete eindeutig ein Fettnäpfchen auf ihn, egal, was er jetzt sagte. Also hielt er lieber die Klappe.

»Ich kann mir vorstellen, was du jetzt denkst«, fuhr sie fort. Es tat ihr gut, endlich zu reden. Und offensichtlich ging das wirklich nur mit ihm. Dem Mann, den sie über alles liebte. Warum war sie denn nicht schon eher darauf gekommen. Sie beugte sich weiter zu ihm herüber und er zog seine Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Es gefiel ihr, dass er sich so unsicher in ihrer Nähe fühlte. Sie hatte Macht über ihn, dachte sie und schmunzelte. Dann konnte er gar nicht mehr reagieren, denn im nächsten Moment saß sie auf seinem Schoß und küsste ihn.

Ihre Lippen waren weich und schmeckten nach Erdbeere. Guntram genoss diesen Moment. Erwiderte ihre Zärtlichkeit und strich ihr sanft über den Rücken.

»Das machen wir viel zu selten in letzter Zeit«, sagte sie, als sie sich wieder zurücklehnte.

»Naja«, sagte er und fühlte sich in der Falle. Sie saß ja noch immer auf seinem Schoß, er konnte sich kaum rühren. Auch wenn sich alles in ihm regte. Hoffentlich spürte sie das nicht so in aller Deutlichkeit. Es war ihm fast peinlich, und dabei war sie doch seine Frau. Doch es war schon über ein halbes Jahr her, dass sie intim gewesen waren. Er hatte Verständnis dafür, dass sie sich zurückgezogen hatte. Aber was war jetzt mit ihr los? Etwas warnte ihn, dass es nicht normal war, so, wie sie jetzt war.

Katrin ging dann nicht weiter auf ihre Feststellung ein, sondern setzte sich wie selbstverständlich an ihren eigenen Schreibtisch.

»Woran arbeitest du gerade?«, fragte sie, als seien sie Fremde.

»Ich?« Guntram war verwirrt.

»Ja, du«, antwortete sie und spielte an ihrer Tastatur herum.

»Im Moment gibt es keinen Fall«, gab er zu und beobachtete sie dabei, wie sie mit ihrem Zeigefinger die Buchstabenreihen entlangfuhr, ohne den PC einzuschalten. Er blieb bei seiner Einschätzung, dass etwas im Anmarsch war. Er wusste nur noch nicht was und vor allem, ob er den Kürzeren dabei ziehen würde. Doch, dachte er dann, das werde ich, egal, was ich sage oder tue. Und auch wenn Katrin verwirrt schien, sie wirkte so zerbrechlich, dass es ihn innerlich schmerzte. Sie hatte so viel durchgemacht die letzten Jahre. Hatte sie da nicht auch einmal das Recht auf eine kleine Verrücktheit. Ein wenig aus der Spur zu geraten und sich zu benehmen, als wäre sie nicht von dieser Welt. »Wir könnten etwas essen gehen, was meinst du?«, fragte er und hätte sie am liebsten vom Stuhl gezogen und in den Arm genommen.

»Hm«, machte Katrin, »ich weiß gar nicht, ob ich großen Appetit habe.«

Er sah auf ihre Hände, die nur noch aus Haut und Knochen zu bestehen schienen. So direkt war es ihm bisher gar nicht aufgefallen. Natürlich, sie wurde immer dünner, das hatte er durchaus bemerkt. Aber wenn er sie jetzt so betrachtete, dann fehlte nicht mehr viel und sie wurde magersüchtig. Aß sie überhaupt noch genug? Darüber hatte er bisher nicht nachgedacht. Sie war ja kein Kind mehr. »Oder wir trinken nur einen guten Kaffee oder Tee zusammen«, schlug er vor, in der Hoffnung, dass der Appetit sich dann von selber bei ihr einstellen würde.

»Sicher«, sagte sie plötzlich und sah ihn direkt an. »Was ist?« Sie musste seinen Blick richtig interpretiert haben.

»Ach nichts«, sagte er. »Komm, dann lass uns gehen.«

Jenna

Ratlos stand sie im Flur und starrte auf das Telefon. Hatte sie eben wirklich »Ja« gesagt? Sie konnte es selber kaum glauben. Immer wieder schaffte er es, sie zu überreden. Ein letztes Treffen, ein letzter Kaffee und jetzt ein letztes Abendessen, vermutlich bei Kerzenlicht. So zog sich ihre Trennung immer weiter in die Länge wie ein Kaugummi, der einem nicht mehr schmeckte, man aber aus Mangel an Möglichkeiten, ihn loszuwerden, weiter lustlos im Mund hin und her schob. Warum konnte er denn nicht einfach akzeptieren, dass es endgültig aus war? Sie hatte es ihm mehr als einmal deutlich gesagt, dass sie nicht mehr mit ihm zusammenleben wollte. Es auch einfach nicht mehr konnte. Viel zu viel war passiert. Sie fühlte sich in seiner Nähe nicht mehr wohl und schon gar nicht geliebt. Warum also noch einmal gemeinsam essen gehen?

Heiner ignorierte es praktisch, dass Schluss war. Und wundern durfte sie sich letztlich auch nicht darüber, wenn sie immer wieder auf seine Vorschläge für ein weiteres Treffen oder ein Gespräch einging. War es am Ende ihre eigene Schuld? Vielleicht. Sie hätte viel konsequenter sein müssen. Aber warum war sie es nicht. Liebe ich ihn doch noch?, fragte sie sich und ging jetzt in die Küche, weil ihre nackten Füße auf dem Fliesenboden kalt wurden.

Sie ließ Wasser in einen Kocher laufen, um sich einen Tee zuzubereiten. Dabei konnte sie am besten nachdenken.

Heute war ihr letzter Urlaubstag. Sie hatte sich nichts Besonderes vorgenommen, eben einfach nur relaxen und abends draußen sitzen bei einem Glas Rotwein. Ihre kleine Wohnung, die sie vor drei Monaten bezogen hatte, nachdem sie Heiner Hals über Kopf verlassen hatte, sie fühlte sich langsam wie ihr neues Zuhause an. Es musste ein Schock für ihn gewesen sein, als er von seiner Dienstreise zurückkehrte und ein leeres Haus vorfand. Nicht einmal eine Nachricht hatte sie ihm hinterlassen. Er hatte sie natürlich sofort mit Anrufen und Kurznachrichten auf ihrem Handy bombardiert. Sie hatte sich ein paar Mal mit ihm getroffen, nur an öffentlichen Orten. Sie hatte versucht, es ihm zu erklären. Natürlich verstand er es nicht, wie eine Frau überhaupt auf die Idee kommen konnte, einen wie Heiner Franke einfach zu verlassen. Er hatte ihr doch alles geboten. Sicher, das war seine Sicht auf die Dinge. Was sie dachte und ihm sagte, das prallte an ihm ab. Er bat sie, beschwor sie und letztlich flehte er sie an, es sich noch einmal zu überlegen und zu ihm zurückzukehren.

Doch sie wollte nicht. Blieb standhaft bei ihrem Entschluss.

Jenna saß am Tisch, trank ihren Tee und ärgerte sich. Sie hätte für heute Abend wirklich nicht zusagen sollen. Wie hatte er es eigentlich wieder geschafft, sie zu überreden? Ja, wenn er eines konnte, dann war es, Menschen das Gegenteil von dem tun zu lassen, was sie eigentlich wollten. Das war sein Job im Außendienst für ein großes Unternehmen. Aber bei einer Beziehung, da ging es doch um etwas ganz anderes. Er hatte es eigentlich nie wirklich verstanden, was sie wollte. Und vielleicht verlangte sie von ihm auch wirklich zu viel. Es hätte andere Frauen gegeben, die das Leben an seiner Seite genossen hätten. Geld gab es genug, ein großes Haus, dreimal Urlaub im Jahr und er scharte viele Freunde um sich, die ähnlich situiert waren.

Manchmal fragte Jenna sich heute, warum sie sich überhaupt in ihn verliebt hatte. Damals vor acht Jahren, als sie sich zufällig in einem großen Kaufhaus über den Weg gelaufen waren, als sie nach demselben Champagner griffen, da hatte ihr Herz bis zum Hals geschlagen. Es war die letzte Flasche im Regal gewesen und am Ende hatte Heiner sie gekauft und sie eingeladen, den Champagner mit ihm zu trinken. Sie hatte ihn nie gefragt, für wen er den Champagner eigentlich hatte kaufen wollen. Wahrscheinlich eine andere Frau, aber sicher nichts Ernstes. Denn seit dem Tag waren die beiden zusammen gewesen und unzertrennlich, bis sie schon ein Jahr später ihre Traumhochzeit feierten.

Jenna traten Tränen in die Augen, als sie jetzt daran zurückdachte. Es hatte auch schöne Zeiten mit Heiner gegeben. Es war nicht alles schlecht. Aber eben auch nicht alles so, wie sie es sich erhofft hatte. So ein Entfremdungsprozess, der verlief ja immer schleichend. Und sie hatte einfach mehr Zeit gehabt als er, darüber nachzudenken, ob sie wirklich glücklich war. Schließlich war sie ausgezogen.

Nein, dachte sie und wischte sich die Tränen weg. Ich werde heute Abend nicht nachgeben. Es wird das allerletzte Treffen sein. Heiner wird es endlich akzeptieren müssen.

Der Verdacht

Guntram wurde das Gefühl, dass etwas mit Katrin nicht stimmte, auch nicht los, als sie im Café saßen und auf die vorbeieilenden oder schlendernden Passanten in der Fußgängerzone von Leer sahen.

In einem Moment wirkte sie hektisch, im nächsten lächelte sie ihn an und erzählte eine lustige Begebenheit mit Sarah, die schon länger zurücklag. Irgendetwas ging mit ihr vor, und er konnte es sich nicht erklären. Vorhin im Büro, da hatte sie sich zu ihm auf den Schoß gesetzt. Das war schön gewesen. Doch mittlerweile glaubte er eher, dass sie ihn damit manipulieren wollte. Er sollte keine Fragen mehr zu Therapeuten stellen. Arbeiten wollte sie wieder. Nun, das war bestimmt verständlich aus ihrer Sicht. Aber war sie mental wirklich dazu in der Lage? In Guntram wuchsen die Zweifel wie ein bedrohliches Wesen, dem man sich vielleicht in diesem frühen Stadium noch widersetzen konnte, weiter heran.

»Warum siehst du mich so merkwürdig an?«, fragte Katrin plötzlich.

Guntram fühlte sich ertappt. »Ich?«

»Ja«, lächelte sie, »ich bin schließlich mit dir hier.«

»Es ist nichts. Ich dachte gerade über etwas nach.«

»Was denn?«

»Es geht um Mathias.«

»Wieso? Was ist mit ihm?«

»Er wird nach Oldenburg wechseln.«

»Wie bitte? Seit wann weißt du das?«

Er griff nach seiner Teetasse. Er hätte es ihr sagen müssen.

»Seit ein paar Tagen«, antwortete er ausweichend.

»Aber warum?« Sie fixierte ihn mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck.

»Du weißt warum«, raunte er, »es wäre auf Dauer nicht gut gegangen, wenn er da geblieben wäre.«

Sie wusste natürlich genau, worauf er anspielte. Mathias Sanders hatte es versäumt, seine Kollegen darüber zu informieren, dass man Frank Osterkamp wegen guter Führung vorzeitig aus der Haft entlassen hatte. Es mochte dabei auch mitgespielt haben, dass er einer aus den eigenen Reihen war. Aber dadurch, dass Guntram und Katrin nichts von seiner Entlassung wussten, waren sie von Osterkamps Mordanschlag auf Katrin völlig überrascht worden. Sicher hätten sie sich nicht auf den Anschlag vorbereiten können, sie wussten ja nichts davon. Aber sie wären immerhin umsichtiger und auf der hut gewesen. Wahrscheinlich hätte es diese Halloweenparty dann nie gegeben. Auf jeden Fall mit besseren Vorkehrungsmaßnahmen, was die Sicherheit betraf.

Als sicher war, dass Katrin durchkommen würde, hatte Guntram seinem Kollegen unmissverständlich nahegelegt, dass es besser sein würde, wenn sie nicht mehr zusammenarbeiteten. Und jetzt war es endlich soweit, er würde nach Oldenburg wechseln.

Katrins angespannte Gesichtszüge wurden freundlicher.

»Sicher hast du recht«, sagte sie milder. »Es wäre nur schön gewesen, wenn du mir früher davon erzählt hättest.«

»Vielleicht. Aber es macht ja keinen Unterschied, solange du nicht im Dienst bist.«

Sie erwiderte nichts mehr, sondern wandte ihren Blick Richtung Tresen.

»Sollen wir zahlen?«, fragte er schlussfolgernd.

Sie nickte. Er winkte die Bedienung heran. Dann gingen sie zurück.

Auf dem Parkplatz bei der Dienststelle schließlich verabschiedeten sie sich.

»Fährst du jetzt nach Hause?«, fragte er.

Sie nickte.

»Na gut, dann bis heute Abend«, sagte er und strich mit seiner Hand an ihrem Arm entlang. Er traute sich nicht, ihr jetzt einen Kuss auf die Wange zu geben. Da war noch eine unsichtbare Schranke zwischen ihnen. Sie hatte ihm seinen Alleingang noch nicht ganz verziehen.

»Bis später«, sagte sie, sah ihm noch einmal flüchtig in die Augen. Dann stieg sie in den Wagen.

Guntram ging Richtung Dienstgebäude. Aus dem Augenwinkel sah er, wie ihr Wagen vom Parkplatz rollte. Sie hatte den Blinker rechts gesetzt. Wenn er Glück hatte und sich beeilte, dann konnte er sie noch an der Ampel erwischen, wenn sie auf Rot sprang. Er wartete, bis ihr Wagen außer Sichtweite war, nachdem sie abgebogen war. Dann hastete er zu seinem Auto, sprang hinein und fuhr vom Parkplatz. Und er hatte Glück. Katrins Wagen stand direkt an der Ampel, dann er weitere vier Wagen hinter ihr. Sie würde ihn nicht bemerken. Er reihte sich ebenfalls in die rechte Abbiegespur ein. Es überkam ihn ein ungutes Gefühl. Wäre sie nach Hause gefahren, dann wäre sie weiter geradeaus gefahren. Aber so schlug sie die Richtung in die Altstadt ein. Wo wollte Katrin hin? Hatte sie etwas vergessen, das sie noch erledigen wollte? Das wäre denkbar. Das würde auch erklären, warum sie eben gesagt hatte, dass sie nach Hause fahren würde. Es wurde grün. Die Wagen setzten sich in Bewegung und Guntram blieb an Katrin dran. Vor der Rathausbrücke mussten sie wieder warten und Guntram schaffte es gerade noch mit dem letzten Wagen, die Brücke zu überqueren, bevor die Ampel erneut auf Rot sprang.

Dann fuhr Katrin um den Pferdemarktplatz herum und weiter geradeaus in die Groninger Straße. Was zum Teufel wollte sie hier? Mittlerweile gab es nur noch einen Wagen zwischen ihm und ihr. Er musste auf seinen Abstand achten, damit sie ihn nicht entdeckte, wenn sie in den Rückspiegel sah. Am Ende der Straße bog sie rechts ab und dann die nächste links in die Noortmer Chaussee. Plötzlich fuhr sie rechts rein auf den Parkplatz, der zu den Wohnblocks gehörte. Guntram rollte im Schritttempo an der Einfahrt vorbei, um sehen zu können, was sie machte. Stieg sie aus? Hatte sie ihn entdeckt und wollte sehen, wie weit er gehen würde mit seiner Verfolgungsjagd. So ein Mist, dachte er und fuhr rechts in die nächste Straße. Dort stellte er seinen Wagen auf dem Parkplatz ab, stieg aus und schlich an der Hecke entlang zurück, um auf den Parkplatz sehen zu können, auf dem Katrin stehen musste.

Tatsächlich. Ihr Wagen war noch dort. Aber sie saß nicht mehr darin. Wohin war sie gegangen? Er konnte sich nicht erinnern, dass sie beide hier gemeinsame Freunde hatten. Eigentlich hatten sie kaum Freunde. Die Abende verbrachten sie in der Regel zusammen mit Sarah, bis diese ins Bett gebracht wurde. Sie gingen nie raus zu geselligen Treffen. Er hatte dazu im Grunde sowieso keine Lust. Aber was war mit Katrin? Er hatte sich das nie gefragt.

Sein Blick wanderte nach oben zu den Fenstern des Wohnblocks, die er aus seiner Perspektive sehen konnte. Er wehrte sich, diesen Gedanken zuzulassen. Doch war es möglich, dass seine Frau einen Geliebten hatte?

Ein schwerer Kloß bildete sich in seinem Magen und kroch die Speiseröhre hinauf. Er bekam kaum noch Luft und fing an zu husten und beugte sich nach vorne, um nicht zu viel Lärm dabei zu machen. Er konnte doch jetzt nicht an allen Türen klingeln und nach Katrin fragen. Aber was sollte er denn sonst tun? Einfach hier warten, bis sie wieder zu ihrem Wagen kam? Und dann? Sie damit konfrontieren, dass er sie erwischt hatte? Dann musste er auch zugeben, dass er sie heimlich verfolgte. Sie würde einen Weg finden, es so zu drehen, dass es ja kein Wunder sei, dass es so gekommen war, wenn er ihr nicht vertraute. Er schluckte hart. Sah noch einmal zu ihrem Wagen. Die Erkenntnis, dass es überhaupt möglich war, dass sie ihn betrog, war so erschütternd, dass ihm plötzlich der Schweiß ausbrach. Seine Knie zitterten. Er schlich zu seinem Wagen. Wartete einen Moment, bis er sich ruhiger fühlte, und fuhr dann los, um wieder in die Dienststelle zu gehen. Er musste in aller Ruhe darüber nachdenken, was er jetzt tun sollte.

Eine fehlt

Edda Smidt sortierte an diesem Morgen die Eingangspost, als sie auf die Uhr an der Wand sah. Gleich war es schon elf. Eigentlich war es im Bildungszentrum Potshausen so üblich, dass man am Tag, wenn man aus seinem Urlaub zurückkehrte, kurz mit ihr Kontakt aufnahm, um die bevorstehende Woche zu besprechen. Und in dieser Hinsicht war Jenna Franke lange überfällig. Komisch, dachte Edda, sonst war auf die Kollegin eigentlich immer Verlass. Ob etwas vorgefallen war? Sie hatte beim Frühstück mit ihrer Gruppe nichts gehört. Nun ja, dachte sie und hielt einen Brief vom Landkreis in der Hand, der bestimmt einige Zeit in Anspruch nehmen würde, dann gebe ich ihr noch eine Stunde.

Die Zeit verstrich und Edda konzentrierte sich auf Zahlenkolonnen, als es an die Tür klopfte. Sie blickte auf. Endlich, dachte sie noch, als sie erkannte, dass es die neue Praktikantin Karola Duin war, die jetzt in ihr Büro kam.

»Oh«, sagte Edda. »Ich dachte, Jenna käme endlich.«

»Sorry«, sagte Karola, »das wusste ich nicht.«

»Schon gut. Aber sag mal, kannst du mal rumfragen, ob jemand etwas von Jenna Franke gehört hat. Ich habe schon versucht, sie in ihrem Büro zu erreichen, aber sie geht nicht ran.«

»Klar, kann ich machen«, sagte Karola, die Jenna Franke bisher noch nicht kennengelernt hatte, weil sie erst zum Team stieß, als diese bereits in Urlaub gegangen war. Sie wandte sich zum Gehen.

»He«, meinte Edda und stoppte sie, »warum warst du denn gekommen?«

»Ach«, winkte Karola ab, »nicht so wichtig. Das können wir auch später besprechen.«

»Okay, dann quäle ich mich mal weiter mit meinen Zahlen herum.« Sie hielt das Schreiben der Verwaltungsbehörde mit einem ebenso gequälten Grinsen in die Höhe.

Die Tür schloss sich hinter Karola und es wurde wieder still im Raum. Doch Edda konnte sich jetzt nicht mehr konzentrieren und weiterarbeiten. Sie wusste, dass Jenna sich vor einigen Monaten von ihrem Mann getrennt hatte, dieser aber nicht aufhörte, ihr nachzustellen. Hoffentlich, so dachte Edda jetzt, als sie besorgt aus dem Fenster sah, hatte Jennas Fernbleiben von der Arbeit nicht mit ihm zu tun. Nun, dachte sie, wenn sie sich wieder mit ihm versöhnt hatte, okay, das wäre ihre Sache. Aber was, wenn ihr Ex-Mann ihr etwas angetan hatte?

Edda erschrak vor ihren eigenen Gedanken. Ihr Mund wurde trocken, als sie langsam ausatmete. Sollte sie bei Jenna einfach mal Zuhause anrufen? Bestimmt würde diese es ihr nicht übel nehmen, dass man sich Sorgen machte.

Also griff Edda zum Telefonhörer und wählte über die Kurzwahl Jennas Nummer. Es klingelte lange, doch es nahm niemand ab, bis dann der Anrufbeantworter ansprang. Bevor die Ansage zu Ende war, legte Edda wieder auf. Es fühlte sich unheimlich an, nichts von Jenna zu wissen. Sie war im Grunde die zuverlässigste Person, die sie kannte.

Wäre ich nur selber losgegangen, um die anderen nach Jenna zu fragen, dachte Edda nun. Sie hatte keine Ruhe mehr, hier im Büro zu sitzen. Sie sah noch einmal aus dem Fenster. Unten im Hof sah sie, wie Karola sich mit einem jungen Mann unterhielt. Dieser schüttelte kurz darauf den Kopf.

Edda hielt es jetzt nicht mehr in ihrem Büro aus. Sie griff nach ihrer leichten Strickjacke und ging ebenfalls nach draußen. Dort begegnete sie Karola, als sie um die Hausecke kam.

»Und?«, fragte sie sofort, »hat jemand Jenna gesehen?«

Karola schüttelte bedauernd blickend mit dem Kopf. »Nein, bisher niemand.«

»Das ist wirklich sehr komisch«, sagte Edda mehr zu sich selbst. »Ich habe eben bei ihr Zuhause angerufen, es geht niemand ran.«

»Hm.«

»Ich weiß nicht«, fuhr Edda fort, »aber ich habe ein ganz ungutes Gefühl. Vielleicht sollte ich mal bei ihr vorbeifahren. Was denkst du?«

»Hm. Weiß ich nicht. Ich kenne Frau Franke ja nicht.«

»Stimmt, da hast du natürlich recht. Aber ich kenne sie schon eine ganze Weile. Und dass sie einfach fehlt, ohne sich zu entschuldigen, das sieht ganz und gar nicht nach ihr aus. Im Moment habe ich keine fixen Termine. Ich fahr jetzt einfach mal bei ihr vorbei. Wenn was ist, du erreichst mich auf dem Handy.«

»Okay«, sagte Karola und sah der Pädagogin nach. Und auch wenn sie Jenna Franke nicht kannte, so machte sie sich jetzt auch Sorgen. Denn Edda war jemand, bei dem es ziemlich lange dauerte, bis er zu solchen Maßnahmen griff. Dann musste die Sache wirklich ernst sein.

 

Der Weg bis zur Wohnung von Jenna in Idafehn war nicht weit und so klingelte Edda bereits nach zwanzig Minuten an der Tür. Es tat sich nichts. Sie horchte. Auch von drinnen kam nicht das geringste Geräusch. Ein dumpfes Gefühl von Vorahnung, dass Jenna etwas passiert sein musste, verfestigte sich immer mehr. Was mache ich jetzt bloß?, fragte sich Edda. Sie kannte niemanden aus dem weiteren Verwandten- oder Bekanntenkreis aus Jenna Lebensumfeld, den sie jetzt hätte fragen können, was los war. Außer Heiner. Ihren Noch-Ehemann. Doch Edda scheute sich davor, ihn anzurufen und zu fragen, ob er etwas über Jenna wusste. Was war, wenn sie damit nur die Distanz, die Jenna mühsam zu Heiner aufzubauen versuchte, wieder konterkarierte. Wenn er nämlich anfing, sich Sorgen um Jenna zu machen, dann würde er Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um sie zu finden. Schließlich versuchte er ja seit Monaten, Jenna dazu zu bewegen, zu ihm zurückzukehren. Und wenn sie jetzt verschwunden war, dann würde er sie finden wollen. Um jeden Preis. Und dann war da noch ein Gedanke, der Edda schon viel früher an diesem Tag durch den Kopf gegangen war. Heiner konnte auch etwas mit Jennas Verschwinden zu tun haben. Wie würde er dann wohl reagieren, wenn sie, Edda, plötzlich bei ihm vor der Tür stand und ihn fragte, ob er wisse, wo sie sei? Es gab da mehrere Szenarien, die ihr durch den Kopf gingen, was passieren könnte, als sie sich an die Wand im Hausflur lehnte. Wenn Heiner etwas mit dem Verschwinden von Jenna zu tun hatte, dann konnte er auch ihr etwas antun, weil sie ihm auf die Schliche zu kommen drohte. Er könnte sie ins Haus locken und ihr dann ein Messer in den Rücken rammen. So etwas sah man ja immer wieder in den Spielfilmen im Fernsehen. Edda lief eine Gänsehaut über die Arme, wenn sie nur daran dachte. Sie würde Heiners zweites Opfer werden. Die Zeitungen würden irgendwann darüber schreiben, dass zwei Frauen des Bildungszentrums in Potshausen auf mysteriöse Weise verschwunden waren. Und irgendwann würde man Heiner auf die Spur kommen, sein Haus durchsuchen und zwei Frauenleichen im Keller finden. Übel zugerichtet in einer Truhe in Einzelteilen verstaut.

»Hallo, geht es Ihnen nicht gut?«

Diese Stimme erschreckte Edda fast zu Tode. Eine Frau war aus dem Geschoss über Jennas Wohnung die Treppe heruntergekommen und musste sie dort gesehen haben, an die Wand gelehnt, das Gesicht schmerzverzerrt.

»Oh«, machte Edda und schob sich den Pony aus dem Gesicht, »mir geht es gut. Ich wollte zu meiner Kollegin Jenna, aber sie macht nicht auf. Haben Sie sie heute vielleicht schon gesehen?«

Die Frau hielt für einen Moment inne und ging in sich. Dabei hielt sie sich am Geländer fest und stellte ihre Tasche, die sie mit sich trug, ab. »Heute noch nicht«, sagte sie dann nachdenklich, »aber gestern Abend, da habe ich sie noch kurz gesprochen, als ich mit meinem Hund runtergegangen bin.«

Edda horchte auf. Das war immerhin ein Anfang. »Gestern Abend«, wieder holte sie, »was hat sie gesagt, wo sie hinwollte?«

»Tja«, sagte die Frau gedehnt, nahm ihre Tasche wieder auf und kam dann die letzten Stufen herunter, bis sie mit Edda auf Augenhöhe stand. »Sie hatte sich schick gemacht, darauf habe ich sie angesprochen. Daraufhin sagte sie mir, dass sie zum Essen verabredet sei. Ja, so war es. Sie wollte in ein Restaurant gehen, jetzt fällt es mir wieder ein.«

»Wohin und mit wem?«, hakte Edda nach.

»Oh, das weiß ich leider nicht. Ich bin ja keine Tratschtante, wissen Sie.« Fast entschuldigend blickte sie jetzt zu Boden.

»So habe ich das auch nicht gemeint«, sagte Edda, »es ist nur so, dass Jenna, also Frau Franke, eigentlich hätte sie heute wieder ihren ersten Arbeitstag gehabt und sie ist nicht erschienen. Ich bin übrigens Edda Smidt, eine Kollegin von ihr.« Sie reichte der Frau die Hand.

Diese gab ihre dazu. »Heidrun Weber. Das ist aber seltsam. Frau Franke hat mir hin und wieder von ihrer Arbeit erzählt und wie sehr sie ihr gefällt. Und sie hätte heute zurückkommen müssen sagen Sie?«

Edda nickte. »Ehrlich gesagt habe ich mir Sorgen gemacht, wir sind mehr als nur Kolleginnen, deshalb bin ich hierher gefahren.«

»Tja«, sagte die Frau gedehnt, »und jetzt?«

»Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht«, gab Edda zu. Sie wollte ihre Vermutung, dass es etwas mit Jennas Ex-Mann zu tun haben könnte, noch nicht ins Spiel bringen und damit vielleicht falsche Gerüchte gegen ihn verbreiten. Schließlich war auch sie keine Tratschtante. »Außerdem wüsste ich nicht, wen ich sonst noch nach ihr fragen sollte. Haben Sie eine Idee?«

Heidrun Weber lehnte sich jetzt ebenfalls an die Wand und sah wie Edda zu den Stufen, die sie gerade heruntergekommen war. »Ich habe einen Schlüssel zur Wohnung«, sagte sie dann fast im Flüsterton, so, als befürchte sie, damit etwas Falsches zu sagen. »Wir haben uns ein wenig angefreundet, könnte man sagen. Und Sie wissen ja, wie das ist, wenn man mal länger nicht da ist, dann müssen die Blumen versorgt werden und nach der Post gesehen.«

»Das stimmt«, bestätigte Edda. Sie war sich nicht sicher, ob es wirklich ratsam war, wenn sie jetzt mit der Frau in Jennas Wohnung ging und dort in ihren Privatsachen herumschnüffelte. Noch war ja immer nicht klar, ob wirklich etwas passiert war. Jenna konnte jeden Moment nach Hause kommen und sie dabei ertappen, wie sie in ihrer Unterwäsche wühlte. Vielleicht war sie ja doch nur mit akuten Zahnschmerzen zum Arzt gegangen. Noch hoffte Edda inständig, dass es so war. Doch in Wahrheit wusste sie, dass sie nur die Augen vor dem verschloss, was wirklich passiert sein könnte. Immer wieder der Gedanke an Heiner und seine Kühltruhe im Keller. »Kennen Sie eigentlich den Mann von Frau Franke, ich meine, ihren zukünftigen Ex-Mann, denn Jenna beabsichtigt, sich scheiden zu lassen.«

»Ja«, sagte die Frau ohne Umschweife oder große Verwunderung. »Der ist ein paarmal hier vor der Tür gewesen, so wie Sie jetzt.«

»Tatsächlich?« Edda hätte das wirklich nicht gedacht, dass er soweit ging, und sie bis zu ihrer neuen Wohnung verfolgte. »Und sie hat nicht aufgemacht?«

Die Frau zog die Schultern hoch. »Ich mische mich in so etwas ja nicht gerne ein«, sagte sie zögerlich, »aber Frau Franke hat mir dann von sich aus erzählt, wer er ist und dass es ihm schwerfällt, die Trennung zu akzeptieren. Aber dass sie auf keinen Fall zu ihm zurückwollte, das hat sie mehrmals betont.«

Irgendwie wirkte diese Offenheit befreiend auf Edda. Sie musste jetzt nicht mehr mit ihrem Verdacht hinter dem Berg halten und hatte eine Verbündete.

»Das hat sie auch mir gegenüber schon mehrfach geäußert«, stimmte Edda zu.

»Denken Sie etwa ...«. Heidrun Weber vollendete den Satz nicht, sondern legte jetzt ihre flache Hand vor den Mund.

»Ich weiß es nicht«, gab Edda zu. »Doch ja, ich mache mir Sorgen um Jenna.«

»Wollen Sie zur Polizei gehen?« Die Frau wischte sich jetzt über die sorgenvolle Stirn.

»Das wäre zwecklos, die würden nichts machen. Und Sie haben Jenna ja gestern Abend sogar noch gesehen. Wenn wir nur wüssten, in welches Lokal sie gehen wollte, dann könnte man dort nachfragen, ob jemand etwas weiß.«

»Aber das kann man doch herausfinden«, gab sich Heidrun Weber optimistisch. »Ich meine mich zu erinnern, dass Jenna etwas von gehobener deutscher Küche in Leer gesagt hat, als ich nachfragte.«

»Dann scheiden Griechen und Italiener oder Chinarestaurants schon mal aus«, murmelte Edda. »Das macht die Sache in der Tat einfacher. So viel gute deutsche Küche haben wir in Leer nun auch wieder nicht. Mir fällt da im Moment nur die Waage ein und vielleicht noch das Fischrestaurant.«

»Hm«, machte ihr Gegenüber, »mich müssen Sie da nicht ansehen, ich kenne mich nicht aus. Ich koche immer für mich und meinen Hund zuhause und komme nicht so viel raus.«

Edda tat die Frau in diesem Moment irgendwie leid. Wahrscheinlich war sie verwitwet und hatte nicht mehr viel Abwechslung in ihrem Leben.

»Wissen Sie was«, sagte sie, »wie wäre es, wenn wir beide heute Abend mal in die Waage gehen und recherchieren?«

Heidrun Weber machte große Augen, dann schmunzelte sie, als würde man sie gerade veralbern.

»Ich meine das durchaus ernst«, bekräftigte Edda, »wir beide wissen, dass uns die Polizei jetzt noch keine große Hilfe sein wird. Also müssen wir selber an Informationen gelangen.«

»Und wenn Jenna bis heute Abend wieder da ist?« Fast hörte es sich so an, als würde die Frau es dann bedauern.

»Dann gehen wir trotzdem, und zwar zu dritt«, meinte Edda, doch im tiefsten Inneren wusste sie, dass es dazu sowieso nicht kommen würde.

»Gute Idee. Was meinen Sie, sollen wir trotzdem einen Blick in die Wohnung werfen? Ich könnte den Schlüssel von oben holen.«

Für einen Moment war Edda hin und her gerissen. Doch eigentlich hatte Heidrun Weber recht. Was war, wenn Jenna in ihrer Wohnung lag. Bewusstlos. Es konnte ja auch ein Unfall, ein Sturz im Badezimmer oder so gewesen sein.

»Ja«, sagte sie deshalb, »das ist eine gute Idee. Sie sollten den Schlüssel holen.«

 

Misstrauen

 

Guntram wachte mit einem pelzigen Gefühl im Mund auf. Der gestrige Abend war normal verlaufen und doch fühlte sich seit seiner Entdeckung gestern in Leerort alles anders an. Er sah neben sich. Katrin schlief noch tief und fest und atmete leise durch den halb geöffneten Mund.

So ein Gefühl des Misstrauens konnte einem wirklich das Herz herausreißen, dachte er und fühlte sich an die Brust. Bisher hatte er nie Probleme mit dem Kreislauf gehabt. Doch jetzt schlug sein Herz wild und unregelmäßig. Wie konnte sie damit leben, ihn zu belügen? Und dann so selig neben ihm im Bett zu liegen und zu schlafen. Auch gestern Abend beim Essen war sie völlig entspannt gewesen. Auf die Frage, was sie denn so den Rest des Tages gemacht hätte, hatte sie nur »das Übliche eben« geantwortet und dabei weiter mit Sarah über Cornflakes oder Brei diskutiert.

Wann haben wir uns so voneinander entfernt?, fragte er sich jetzt und fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. War er für sie nicht mehr attraktiv? Er sah an sich herunter. Er hatte den üblichen Bauch, den Männer um die fünfzig eben mit sich herumtrugen wie eine Trophäe eines angenehm geführten Lebens. Und wenn er in den Spiegel sah, dann konnte er das Doppelkinn und die leichten Tränensäcke nicht leugnen. Warum auch? Er stand zu seinem Aussehen. Und eigentlich war Katrin auch nie so oberflächlich gewesen, dass sie nur aufs Äußere schielte.

Er sah wieder zu ihrem Gesicht, die langen dunklen Wimpern, die hin und wieder kaum sichtbar zuckten. Sicher träumte sie. Aber vermutlich nicht mehr von mir, dachte er resigniert und sein Blick fiel auf die lange Narbe an ihrem Hals. Um ein Haar wäre sie gestorben. Er legte die Bettdecke sachte zur Seite und kroch heraus, um ins Bad zu gehen. Auf dem Weg dorthin warf er einen Blick durch die leicht geöffnete Tür zum Zimmer von Sarah. Das Mädchen hatte seinen Teddy im Arm und schlief auch noch. Nein, dachte Guntram, als er weiterging, so schnell werde ich meine kleine Familie nicht aufgeben.

Nach dem Duschen zog er die Sachen vom Vortag an, die er üblicherweise im Bad liegen ließ. Er wollte nicht noch einmal ins Schlafzimmer gehen, und Katrin wecken, falls sie noch schlief. Doch als er die Badezimmertür öffnete, da stand sie vor ihm. Der leichte Geruch nach Schlaf umwehte sie und sie blinzelte ihn an.

»Morgen«, murmelte sie, hauchte ihm im Vorbeigehen einen Kuss auf die imaginäre Wange und schob ihn sachte weiter, damit sie die Tür schließen konnte.

»Ich mach dann mal Kaffee«, sagte Guntram zu sich selbst und ging die Stufen nach unten in die Küche.

Er stellte das Radio an, holte die Zeitung aus dem Postkasten, während der Kaffee durchlief. Alles war wie immer an einem Morgen. Oder hätte es zumindest sein können. Doch natürlich schaffte er es nicht, die trüben Gedanken beiseitezuschieben. Sollte er sie doch darauf ansprechen, dass er sie an einem Ort gesehen hatte, wo er sie nicht vermuten würde? Den sie vor ihm verheimlichte. Am liebsten hätte sie er sie einfach gefragt, was das zu bedeuten hatte. Doch er hatte auch Angst vor der Wahrheit. Nämlich, dass sie ihm dann sagte, dass sie sich in einen anderen verliebt hatte. Vielleicht hatte sie diesen anderen Mann im Krankenhaus kennengelernt. Er war einer der Ärzte oder Pfleger. Viel jünger als er selber und attraktiv.

---ENDE DER LESEPROBE---