Lore-Roman 220 - Renate Busch - E-Book

Lore-Roman 220 E-Book

Renate Busch

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Beschreibung

Charlotte von Wendel - lebhaft, klug und eigensinnig - passt nicht in das starre Korsett, das man einer jungen Adligen anlegt. Als sie dem charmanten, aber selbstgefälligen Reichsgrafen Gernot von Neyden auf einem Internatsball die Stirn bietet, endet der Abend in einem gesellschaftlichen Eklat. Jahre später treffen sie sich wieder: Der Graf ist inzwischen Erbe des Nachbarguts - und ausgerechnet ihm schuldet ihre Familie Geld. Während ihr Vater krank ist, übernimmt Charlotte die Verantwortung für das Gut. Sie organisiert Kredite, treibt eine eigene Schweinezucht voran und setzt sich mit ganzer Kraft für den Erhalt ihres Elternhauses ein. Dabei kommt es immer wieder zu Reibungen mit dem neuen Nachbarn - dem Mann, den sie eigentlich nie wiedersehen wollte. Doch Gernot merkt bald: Die einstige Rebellin besitzt mehr Rückgrat und Mut als viele Männer ...

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Seitenzahl: 155

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

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Eine feine Dame wirst du nie

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Impressum

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Inhaltsverzeichnis

Inhaltsbeginn

Impressum

Eine feine Damewirst du nie

Doch gerade deshalb überrascht sie alle – und schreibt ihre eigene Geschichte

Von Renate Busch

Charlotte von Wendel – lebhaft, klug und eigensinnig – passt nicht in das starre Korsett, das man einer jungen Adligen anlegt. Als sie dem charmanten, aber selbstgefälligen Reichsgrafen Gernot von Neyden auf einem Internatsball die Stirn bietet, endet der Abend in einem gesellschaftlichen Eklat. Jahre später treffen sie sich wieder: Der Graf ist inzwischen Erbe des Nachbarguts – und ausgerechnet ihm schuldet ihre Familie Geld.

Während ihr Vater krank ist, übernimmt Charlotte die Verantwortung für das Gut. Sie organisiert Kredite, treibt eine eigene Schweinezucht voran und setzt sich mit ganzer Kraft für den Erhalt ihres Elternhauses ein. Dabei kommt es immer wieder zu Reibungen mit dem neuen Nachbarn – dem Mann, den sie eigentlich nie wiedersehen wollte. Doch Gernot merkt bald: Die einstige Rebellin besitzt mehr Rückgrat und Mut als viele Männer ...

Selten war es in diesem Haus so laut und stürmisch zugegangen wie heute.

Immer wieder erklang die mahnende Stimme der Internatsleiterin: »Aber, meine Damen, ich bitte Sie!«

Wer wollte den jungen Mädchen auch ihre Erregung verargen? Sie waren ja noch so jung, und heute wurden sie auf ihren ersten Ball geführt.

Trippelnd kamen die Mädchen die Treppe herunter, mit vor Aufregung geröteten Gesichtern. Als Frau Renken auftauchte und ihr geübtes Auge über die ihr anvertraute Schar gleiten ließ, verstummte jeder Laut. Sie hatte gedroht, jeden von diesem Abend auszuschließen, der sich nicht streng nach ihren Anordnungen richtete.

Sie waren hart, diese Anordnungen, aber niemand würde sie übertreten. Denn Frau Renken pflegte ihre Drohungen in Taten umzusetzen, das wusste man. Keinen Lippenstift, keine nachgezogenen Augenbrauen, keinen Puder.

Jetzt richtete die Internatsleiterin ihre schlanke Gestalt noch ein bisschen höher auf.

»Sie wissen, was ich von Ihnen erwarte. Die erste Gesellschaft der Stadt ist anwesend, und man wird Sie bestimmt genau unter die Lupe nehmen. Außerdem werden einige Gäste erwartet, deren Namen einen besonderen Klang haben. Denken Sie also immer daran, dass Sie von mir nicht nur zum Tanzen geführt werden, sondern dass sich gerade an diesem Abend zeigen wird, wer von Ihnen das Ziel meines Institutes erreicht hat. Und dieses Ziel ist, aus Ihnen Menschen zu formen, die sich in jeder Situation zu benehmen wissen. Kurz: Sie haben in aller Öffentlichkeit zu beweisen, dass Sie keine Backfische mehr sind, sondern junge Damen. So, nun wird es aber Zeit!«

Sie ließ einen letzten Blick über ihre Zöglinge schweifen und wandte sich dann zur Tür. Kaum war Frau Renken in das Dämmerlicht des Vorsommerabends hinausgetreten, als eine schlanke Gestalt die Treppe herunterhuschte. Frau Renken hatte nicht gemerkt, dass Charlotte von Wendel bisher gefehlt hatte.

»Mein Gott, Quirl, wo kommst du denn her? Wenn Frau Renken das gemerkt hätte.«

Lotte Seifert machte erschrockene Augen.

»Hat sie ja nicht, reg dich wieder ab«, flüsterte Charlotte, von ihren Kameradinnen nur Quirl genannt, zurück. »Du kennst doch mein Pech. Erst habe ich mir an so einem verdammten Stuhlbein eine Laufmasche gerissen, musste also die Strümpfe wechseln. Dabei fummelte ich wohl ein bisschen zu sehr, denn mit einem nicht zu überhörenden Knacks riss ein Träger meines Unterrockes. Wie du merkst, bin ich also wieder einmal an meinem Zuspätkommen völlig unschuldig.«

Sie kicherte vergnügt vor sich hin. Inzwischen war man in eines der Taxis gestiegen.

»Ob wir wohl jemand kennenlernen werden?«, fragte Lotte plötzlich.

»Wie meinst du das? Sicher werden wir jemanden kennenlernen, bei solchen Veranstaltungen lernt man immer viele Leute kennen«, antwortete Quirl unbekümmert.

»Ob wir vielleicht einen jungen Mann kennenlernen werden«, platzte Lotte heraus.

Am liebsten hätte Quirl jetzt laut gelacht, aber um Lotte nicht zu verletzen, hielt sie sich zurück.

Der Wagen hielt, man war am Ziel.

»Ich habe direkt Herzklopfen«, flüsterte Lotte. »Hoffentlich geht alles gut.«

»Sei doch bloß nicht immer so ein Hasenfuß. Sicher geht alles gut, und wir werden uns bestimmt herrlich amüsieren.«

Quirl glitt leichtfüßig aus dem Wagen, hielt dann Lotte die Rechte hin, um ihr zu helfen.

In der Halle des Gebäudes, in dem der Ball stattfand, traf man wieder zusammen. Frau Renken überschaute ihre Schar. Wenn die jungen Gesichter auch freudig gerötet waren – so ganz geheuer schien das alles den meisten ihrer Zöglinge doch nicht zu sein. Dazu drängten sie sich zu dicht zusammen, stand in ihren Augen ein zu ängstlicher Ausdruck.

Dann blieb ihr Blick an Charlotte von Wendel haften. Sie schien tatsächlich die Einzige zu sein, die nicht ein bisschen befangen war. Beinahe hatte die Internatsleiterin das erwartet – oder besser: befürchtet. Wie hell Charlottes Augen strahlten, wie frisch ihre Lippen glänzten – so rot, dass man fast annehmen musste, der Natur wäre nachgeholfen worden.

Doch Frau Renken wusste genau, dass das nicht der Fall war. Charlotte war eines der schönsten Mädchen, die sie jemals in ihrem Institut zu erziehen gehabt hatte. Aber leider auch eines der schwierigsten. Nicht, dass sie etwa bösartig, hinterhältig oder schlecht veranlagt wäre, nein, nichts von alledem war der Fall. Charlotte war sehr intelligent, begriff spielend und auf Anhieb, was anderen böses Kopfzerbrechen bereitete, arbeitete aus diesem Grund aber kaum einmal recht mit. Das alles wäre ja zu ertragen gewesen, wenn Charlotte sich bloß eines anderen Benehmens befleißigen würde. Sie war sehr übermütig.

Hoffentlich geht heute Abend alles gut, dachte Frau Renken. Aber bei Charlotte musste man immer auf alles gefasst sein.

Doch ihre Befürchtungen schienen grundlos zu sein. Die jungen Damen fanden es einfach herrlich und benahmen sich mustergültig. Sie tanzten. Ihre Gesichter waren gerötet, ihre Augen strahlten, aber sie benahmen sich alle, wie man es von den Schülerinnen eines der bekanntesten Internate erwarten durfte.

Wie nicht anders zu erwarten, fehlte es den jungen Dingern an Tänzern nicht, aber es war nicht zu verkennen, dass jedes Mal ein wahrer Sturm auf Charlottes Tisch begann, wenn die Kapelle Anstalten machte, einen neuen Tanz zu beginnen. War das nicht auch zu verstehen? Reizend waren die jungen Geschöpfe alle, aber von keiner ging der Charme aus, der Charlotte wie eine unsichtbare Ausstrahlung zu umgeben schien.

»Ein selten reizendes Geschöpf«, erklang neben Frau Renken eine Stimme und riss sie aus ihren Gedanken. »Da möchte man direkt noch einmal zwanzig sein.«

Sie lachte und reichte dem Sprecher ihre Rechte.

»Nehmen Sie doch einen Augenblick Platz. Sie schauen so zur Tür, erwarten Sie noch einen besonderen Gast?«

Der Polizeichef der Stadt, mit dem Frau Renken eine langjährige Freundschaft verband, nickte.

»Sie wissen ja, wie das ist. In meiner Position ist man leider immer im Dienst. Gernot Reichsgraf von Neyden wird bald aufkreuzen, die Theatervorstellung ist gleich zu Ende.«

»Oh, ist er also wieder einmal im Lande, der Schwerenöter? Ich habe ihn lange nicht mehr zu sehen bekommen«, meinte Frau Renken neugierig. »Was erzählt man sich denn diesmal über ihn? Die Frauen scheinen ihm ja noch immer nachzulaufen, wenn ich Ihre Bemerkung betreffs des Theaters richtig aufgefasst habe.«

»Haben Sie. Diesmal ist's die Soubrette, ich weiß nicht, ob Sie die Tauren kennen. Aber da ist der Graf. Sie entschuldigen.«

Der Beamte eilte auf den Saaleingang zu. Ja, dort stand der Reichsgraf. Aber nicht nur Frau Renken schaute in die Richtung, sondern durch den ganzen Saal ging ein Geraune und Geflüster.

Der Mann, dem diese Aufmerksamkeit galt, schien sie nicht zu bemerken. Ziemlich gleichgültig blickte er in die Runde, einige Male flüchtig nickend. Anders die rassige schwarzhaarige Frau an seiner Seite. Sonja Taurens Augen strahlten, als brenne ein heimliches Feuer in ihnen. Sie hielt den Arm des Reichsgrafen von Neyden so fest, als wolle sie ihn niemals wieder loslassen. Sie trug ein tief ausgeschnittenes Kleid und bewegte wiegend die Hüften, als sie jetzt auf den Polizeichef zugingen, der schon von Weitem ihrem Begleiter seine Rechte hinstreckte, nicht ihr.

Um Sonjas Mund zuckte es, aber sie verstand, sich zu beherrschen.

»Ich freue mich besonders, auch Sie hier begrüßen zu können.« Jetzt verbeugte sich der Polizeigewaltige vor ihr und führte ihre Rechte an seine Lippen.

Schon war Sonja wieder versöhnt und schenkte ihm ihr bezauberndstes Lächeln.

Lotte Seifert wisperte Quirl mit Blick auf den Reichsgrafen zu: »Oh, von so einem Mann habe ich immer geträumt. Ich könnte mich auf der Stelle in ihn verlieben.«

Ihre Augen waren weit aufgerissen.

»Den könntest du mir schenken«, antwortete Quirl ironisch. »Ich würde alles versuchen, ihn wieder loszuwerden. Derart aufgeblasene, von ihrer eigenen Wichtigkeit überzeugte Vertreter der Männerwelt sind mir in höchstem Maße zuwider. So, und nun redest du von etwas anderem, sonst wechsle ich an einen anderen Tisch.«

Plötzlich stand Gernot auf und kam in ihre Richtung. Er trat zu Frau Renken.

Mit dem feinen Empfinden eines unerweckten Herzens spürte Charlotte, dass die Frauen für Gernot mehr oder weniger ein Zeitvertreib waren. Heute amüsierte er sich mit einer Schwarzhaarigen, morgen mit einer Blonden. Oder auch zweimal hintereinander mit einer Schwarzhaarigen, war ja egal. Und diese Nichtachtung ihres Geschlechts, die sie mehr erahnte, als dass sie ihr direkt bewusst wurde, ärgerte sie maßlos.

»Gnädige Frau, ich freue mich aufrichtig, Sie hier zu sehen«, begrüßte Gernot von Neyden Frau Renken.

Dann sprach er leiser, weder Lotte noch Quirl konnten verstehen, was er sagte. Aber es musste wohl ein Scherz gewesen sein, denn Frau Renken lachte erheitert und streifte mit ihrem Fächer seine rechte Wange.

»Ob ich wohl noch erlebe, dass Sie vernünftig werden, Graf? Ich habe schon längst alle Hoffnungen aufgegeben.«

Mit einer Handbewegung forderte sie Gernot auf, einen Augenblick bei ihr Platz zu nehmen.

Und tatsächlich, der Graf verbeugte sich unnachahmlich und ließ sich nieder.

Die jungen Mädchen, die alle in der Nähe der Internatsleiterin saßen, gaben sich große Mühe, sich nicht die Hälse zu verrenken. Ganz gelang ihnen das aber nicht.

»Hast du seine Stimme gehört?«, flüsterte Lotte Quirl zu. »Also, es ist mir ganz heiß und kalt über den Rücken gelaufen.«

Charlotte von Wendel schämte sich ihrer Kameradinnen. Besaßen die denn überhaupt kein Schamgefühl? Es war ja nahezu widerlich, wie sie diesen Mann anstarrten. Bewusst schaute sie in eine andere Richtung. Nein, sie wollte ihn nicht mehr sehen, diesen Don Juan, diesen eingebildeten Casanova, der da meinte, er brauche nur den kleinen Finger rühren und schon flögen ihm alle anwesenden Frauen um den Hals.

»Mir bestimmt nicht«, sagte sie laut.

Fast im gleichen Augenblick stieß Lotte sie verstohlen in die Seite.

»Quirl, er kommt auf uns zu. Du, mir zittern direkt die Knie.«

Und dann vernahm Charlotte auch schon eine Stimme, die ein junges Mädchen tatsächlich bis in ihre Träume verfolgen konnte.

»Ich habe Frau Renken gebeten, einmal die beste Tänzerin ihres Internats auffordern zu dürfen, Sie sollen es sein. Darf ich also bitten?«

Das war keine Frage, das war schon mehr ein Befehl. Zornig wandte sich Quirl dem Grafen zu. Ihre Augen waren dunkel.

»Wäre es nicht richtiger gewesen, bevor Sie sich an Frau Renken wandten, erst mich zu fragen, ob ich überhaupt mit Ihnen tanzen will?«

Bevor der Graf eine Antwort geben konnte – die ablehnenden Worte hatten ihn keineswegs aus seiner selbstherrlichen Ruhe gebracht – tauchte Frau Renken auf.

»Na, Charlotte, zier dich bitte nicht länger. Du brauchst vor dem Grafen keine Angst zu haben, er frisst dich nicht.«

Charlotte spürte, wie sich ein sehniger Arm um ihre Taille legte. Stur drehte sie ihren Kopf nach links, wie in der Tanzstunde gelernt.

»Sie tanzen wirklich gut, leicht wie eine Feder«, hörte sie wenig später seine Stimme, deren sonorem Wohlklang sie sich kaum noch zu entziehen vermochte.

Verdammt, sollte sich der Mann doch seine Bemerkungen schenken! Sie war nicht erpicht darauf, von ihm auch noch unterhalten zu werden.

»Sagen Sie einmal, war das eben Absicht, dass Sie mich getreten haben?«

Auch das klang nicht etwa verärgert, sondern mehr belustigt und amüsiert.

Mit einem Ruck wandte Quirl Gernot ihr Gesicht zu.

»Ja, es war Absicht, und eben war es schon wieder Absicht, damit Sie es nur wissen.«

»Damit ist es nun vorbei, kleines Fräulein.« Gernot lachte. »Wenn ich Sie gewähren lasse, kann ich ja morgen meine Füße nicht mehr gebrauchen.« Er hielt sie wie mit Eisenklammern fest. »Haben Sie eigentlich etwas gegen mich? Ich kann mich nicht erinnern, Sie bisher kennengelernt zu haben?«

Jetzt klang Interesse aus seiner Stimme.

»Sie merken aber auch alles«, spottete Quirl. »Jawohl, mein hoher Herr, ich habe nicht nur etwas gegen Sie, ich habe sogar sehr viel gegen Sie. Sie brechen mir sämtliche Rippen. Ich verspreche auch, Sie nicht mehr zu treten.«

»Akzeptiert. Aber darf man wissen, womit ich Ihr Missfallen erweckt habe, kleines Fräulein?«

»Nennen Sie mich nicht immer kleines Fräulein. Ich bin kein kleines Fräulein, ich bin Charlotte von Wendel. Eigentlich könnte man von Ihnen bessere Manieren erwarten.«

Wenn dieser Mann mich weiter so von oben herab behandelt, lasse ich ihn auf der Stelle stehen, tobte Quirl innerlich.

»Sehen Sie nur, wie verärgert Frau Renken zu uns herübersieht«, sagte die arrogante Stimme wieder. »Ich kann sie übrigens gut verstehen, denn sicher ist Ihre Internatszeit bald herum, und es sollte Frau Renken gelungen sein, Sie zu einer vollendeten Dame zu erziehen. Aber lassen Sie es sich gesagt sein: Eine Dame werden Sie nie.«

»Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich um Ihre Angelegenheiten kümmern würden«, fauchte Charlotte wie eine Wildkatze. »Ich sage Ihnen ja auch nicht, dass sich ein Mann mit Geschmack kaum in aller Öffentlichkeit mit einer solchen Dame vom Theater zeigen würde.«

Das war selbst dem Grafen ein bisschen zu arg. Sein Gesicht veränderte sich jäh. Eine Ader schwoll dick auf seiner hohen Stirn an. Mitten in einer Drehung stoppte er, ergriff Quirl am Arm und zog sie mit sich. Gegen seine sehnigen Hände gab es keinen Widerstand.

Alle Blicke waren auf sie gerichtet. Frau Renken lächelte zwar, aber es wirkte seltsam verkrampft, dieses Lächeln.

Der Graf verbeugte sich vor ihr und erklärte: »Vielen Dank für Ihre Erlaubnis, gnädige Frau, aber Ihr junger Zögling mag wohl tanzen können, benehmen kann er sich leider nicht.«

Sprach's, verbeugte sich erneut und ging davon, ohne Quirl noch einmal angesehen zu haben.

Ein Geflüster und Geraune erklang durch den Saal, das Getuschel wollte kein Ende nehmen. Doch dem Grafen schien das Aufsehen, das er erregt hatte, nichts auszumachen, ja, er schien sich sogar köstlich zu amüsieren. Man hörte ihn häufig lachen.

Quirl dagegen lehnte jeden weiteren Tanz ab. Sie saß hoch aufgerichtet da, wirkte stolz und unnahbar. Doch ganz so sicher, wie sie sich gab, war sie wohl doch nicht.

»Wir sprechen uns noch. Das war ja unerhört«, raunte Frau Renken ihr zu, als der Graf ihren Tisch verließ.

Nicht lange nach dem Zwischenfall gab sie ihrer Schar das Zeichen zum Aufbruch. Auf der Rückfahrt hüllte sich Quirl in Schweigen. Sie erzählte auch nichts von der Unterredung, die sie noch in der gleichen Nacht mit Frau Renken hatte.

***

Sie lag nun schon einige Jahre zurück, diese Unterredung, genau wie Charlotte von Wendels Zusammentreffen mit dem Reichsgrafen von Neyden. Aber Quirl konnte weder das eine noch das andere vergessen.

Damals, in jener Nacht, hatte sie in aller Offenheit Frau Renken erklärt, was sie zu ihrem Verhalten veranlasst hatte.

»Und ich würde mich ein zweites Mal nicht anders benehmen«, hatte sie schlicht ergänzt, nicht ein bisschen trotzig.

»Aber Charlotte!« Frau Renken war wirklich erschüttert gewesen.

Doch dann hatte sich ihre Stirn in Falten gelegt. Ja und dreimal ja, sie konnte das schöne Geschöpf verstehen, das in so selbstbewusster Haltung vor ihr stand. War sie nicht auch immer der Meinung gewesen, es wäre an der Zeit, dass ein weibliches Wesen dem Grafen endlich mal die Zähne zeigte?

»Und dann noch eins«, hatte Frau Renken damals die Unterredung geschlossen. »Die Männer sind nun einmal so, zumindest die richtigen. Du wirst mich nicht verstehen, vielleicht begreifst du mich aber später einmal. Auch im Zeitalter der Gleichberechtigung muss sich eine Frau dem Mann unterordnen, und sie tut es gern, wenn der Mann tatsächlich ein Mann ist.«

Auch darauf hätte Quirl so manches zu sagen gehabt, aber wieder hatte sie geschwiegen. Dieser Graf schien ja eine beinahe unheimliche Macht auf die Frauen auszuüben. Selbst Frau Renken sagte: Die Männer sind nun einmal so.

Diese Worte hatte sie nie vergessen, sie hatten sich unauslöschlich in ihr Gedächtnis gebrannt. Und seit jenem Tag war ihr Verhalten den Männern gegenüber unmerklich ein anderes geworden. Sie betrachtete sie skeptisch, unter einem ganz bestimmten Gesichtspunkt. Und sie war bisher keinem auch nur ein bisschen nähergekommen.

Auch der Mann, der im Augenblick an ihrer Seite dahinritt, konnte sich nicht rühmen, mehr als andere erreicht zu haben.

Auf Walter Dehnkens Stirn erschien eine Falte.

»Warum magst du mich eigentlich nicht?«, wollte er wissen.

Er hatte ein rundliches, gutmütiges Gesicht, der junge Gutserbe, und in seinen Augen stand häufig ein kindlich anmutender Ausdruck, wie jetzt gerade auch – zusammen mit einem gewissen Bitten und Flehen.

Quirl schüttelte den schönen Kopf.

»Nun rede keine Opern, sicher mag ich dich, sehr gern sogar!«

Sie schob sich eine blonde Locke aus dem Gesicht, rückte sie mit einer einzigen Bewegung wieder an ihren Platz.

Der gute Walter. Wenn er doch endlich einsehen würde, dass es mit ihnen nichts werden konnte. Wie er sie jetzt wieder anschaute. Und dabei war er ein guter Kerl, der eine Frau bestimmt glücklich machen konnte.

Charlotte war allerdings nicht diese Frau. Aber gab es überhaupt einen Mann, an dessen Seite sie ein Glück finden könnte? Zwei graue Augen tauchten vor ihr auf, schienen sich in spöttischer Überheblichkeit auf sie zu richten ...

»Na, wie war's denn?«, empfing der Vater sie wenig später. »Mit Walter einig geworden?«

Ein listiges Blinzeln begleitete seine Worte.

Quirl wusste, worauf ihr Vater zielte.

»Mit Walter bin ich doch immer einig«, antwortete sie ruhig. »Er leiht uns die Maschine.«

Ihr Vater schaute ihr seufzend nach. Walter Dehnken hätte er gern zum Schwiegersohn gehabt. Sicher, er war kein Adonis, aber ein ehrlicher, aufrichtiger Charakter, der seine Frau einmal auf Händen tragen würde. Und dann war da noch etwas, was für Walter Dehnken sprach: Er war reich. Der alte Herr von Wendel seufzte und kratzte sich hinter dem Ohr. Charlotte sollte doch vernünftig sein, verflixt noch einmal. Noch war es ihm ja immer gelungen, ihr zu verheimlichen, wie es in Wirklichkeit um Wendel stand, aber wenn nicht bald ein kleines Wunder geschah, musste er mit der Sprache heraus.

Charlotte hatte inzwischen ihr Zimmer erreicht. Sie zog die Reitstiefel aus und stand bald unter der Dusche. Ach, tat das nach einem Ritt gut. Sie wirkte frisch wie ein Frühlingstag, als sie ein wenig später an der Tafel erschien.

Man war gerade beim Nachtisch angelangt, als das Telefon klingelte.

»Bleibt nur sitzen, ich gehe schon hin!«, meinte Quirl und war auch schon an der Tür. Als sie wieder erschien, stand ein recht nachdenklicher Zug um ihren Mund. »Herr Seemann ist tot«, berichtete sie leise.