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In den abgelegenen Dörfern am Rande des anatolischen Taurusgebirges herrscht der Grundbesitzer Abdi Aga. Der Boden ist so elend, dass fast nur Disteln auf ihm wachsen. Und von jeder Ernte fordert der Aga zwei Drittel. Memed, der Bauernsohn, hat seinen Hass auf sich gezogen. Er wird zur Flucht in die Berge gezwungen. Aus dem schmächtigen, ängstlichen Knaben wird ein Räuber, Rebell und Rächer des Volkes. Im Kampf gegen den Aga verliert Memed schließlich alles: seine Mutter, seine Braut, den fruchtbaren Acker, den die Bauern ihm nach der Amnestie bereithalten. Aber als die Rache an Abdi Aga vollzogen ist, führen die Bauern jedes Jahr die Ernten in die eigenen Scheunen. Und bei dem Freudenfest vor dem Pflügen erscheint auf dem Berg, hinter dem Memed verschwunden ist, eine Feuerkugel.
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In den Dörfern am Rande des anatolischen Taurusgebirges herrscht der Grundbesitzer Abdi Aga. Der Boden ist so elend, dass fast nur Disteln auf ihm wachsen. Und von jeder Ernte fordert der Aga zwei Drittel. Memed, der Bauernsohn, hat seinen Hass auf sich gezogen. Aus dem schmächtigen, ängstlichen Knaben wird ein Räuber, Rebell und Rächer des Volkes.
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Yaşar Kemal (1923-2015) wird der »Sänger und Chronist seines Landes« genannt. Er wuchs in einem Dorf Südanatoliens auf und lebte in Istanbul. 1997 erhielt er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, 2008 wurde er mit dem Türkischen Staatspreis geehrt.
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Horst Wilfrid Brands (1922–1998) war von 1971 bis 1979 Professor in Frankfurt am Main. Seine Forschungsgebiete waren die Turkologie, die Islamkunde und die Zentralasienkunde.
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Yaşar Kemal
Memed mein Falke
Roman
Aus dem Türkischen von Horst Wilfrid Brands
Memed-Romane I
E-Book-Ausgabe
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Unionsverlag
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Erster Band der Memed-Romane
Die Originalausgabe erschien 1955 unter dem Titel Ince Memed.
Die deutsche Erstausgabe erschien 1962.
Die vorliegende Übersetzung wurde von Helga Dagyeli-Bohne und Yildirim Dagyeli überarbeitet.
Originaltitel: Ince Memed (1955)
© by Yasar Kemal 1955
© by Unionsverlag, Zürich 2024
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Martina Heuer
ISBN 978-3-293-30798-8
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Über dieses Buch
Titelseite
Impressum
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Inhaltsverzeichnis
MEMED MEIN FALKE
1 – Die Hänge des Taurusgebirges steigen von der weiß …2 – Das mit Disteln bewachsene Land geht in den …3 – Es war Abend geworden. Die Bauern waren alle …4 – Der Sommer kam, die Erntezeit. In der Çukurova …5 – Memed warf auch noch das letzte Korn auf …6 – Eine einzige Kuh hatten sie. Die hatte dieses …7 – Wo Eichen wachsen, dort sieht man kaum einen …8 – Es herrschte eine solche Finsternis, dass man keine …9 – Die Mutter erhob sich noch vor der Dämmerung …10 – Leise und zaghaft klopfte es an der Tür …11 – Auf den Regen war feuchte, klebrige Hitze gefolgt …12 – In der Dunkelheit konnte man keine Hand vor …13 – Iraz war mit zwanzig Jahren Witwe geworden …14 – In den letzten zwei Tagen hatten sie sich …15 – Die Alten erzählten oft davon, wie es früher …16 – Sie wanderten die ganze Nacht hindurch, ohne auch …17 – Das Dorf Karadut liegt unmittelbar am Ufer des …18 – Seit Tagen waren sie auf der Flucht durch …19 – Das tiefe Grün der Myrten erinnert an ein …20 – Bald wusste es die ganze Çukurova, von Kadirli …21 – Sie folgten einem schmalen Saumpfad, der nach Çiçeklideresi …22 – Eines Vormittags kam Osman der Mächtige im vollen …23 – Über Çiçeklideresi ragt der steile, glatte und moosbewachsene …24 – So froh hatten sie Memed noch nicht gesehen …25 – Obwohl die Sonne schien, ging ein feiner Regen …26 – Abdi war nur noch ein Schatten seiner selbst …27 – Für die Bauern waren schlimme Tage angebrochen …28 – Das schwierigste Stück ihrer Wanderung war der Aufstieg …29 – Eine Abteilung Gendarmen unter Sergeant Asim und Ibrahim …30 – Zwischen den Felsen war ein leuchtend gelber Teppich …31 – Es wurde Herbst. Die Menschen auf der Distelplatte …32 – Der Alidağ war tief eingeschneit. Die Farbe des …33 – Sergeant Asim war schon fast lebensmüde geworden. »Diesen …34 – Im Dorf und in der Kreisstadt verbreitete sich …35 – Mein Falke hat den Agas das Rückgrat gebrochen« …36 – Hast du gehört, Memed?«, fragte Ali der Hinkende …37 – Die Kruppe des Pferdes war mehr lang gestreckt …Mehr über dieses Buch
Yaşar Kemal: Wie Memed mein Falke entstand
Über Yaşar Kemal
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Yaşar Kemal: Die Natur, Universum der Mythen
Yaşar Kemal: Das Gefängnis – die Schule der türkischen Literatur
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Lucien Leitess: Vor seinen Büchern werden wir wieder zu Kindern
Über Horst Wilfrid Brands
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Zum Thema Türkei
Die Hänge des Taurusgebirges steigen von der weiß schäumenden Mittelmeerküste ganz allmählich bis zu den Höhen der Taurusgipfel an. Über dem Mittelmeer kann man immer weiße Wolken sehen, die, aufeinandergetürmt, dahintreiben. Das Küstenland ist so glatt und ebenmäßig, dass man glauben könnte, es sei mit einer Glanzschicht überzogen. Sein Lehmboden lässt einen an Fleisch denken. Auf Stunden ins Landesinnere hinein riecht es hier nach Meer, nach der Schärfe des Salzes. Hinter den flachen Äckern mit ihrem von Furchen durchzogenen Lehm beginnt das Röhricht der Çukurova, bedeckt mit unentwirrbar ineinander verfilztem Gestrüpp, mit Brombeeren, Wildreben und Schilf – eine dunkelgrüne Hölle, ohne Anfang und Ende, dunkler und wilder noch als Urwald.
Ein Stück weiter landeinwärts, zur Rechten Anavarza, zur Linken Osmaniye, auf dem Weg nach Islahije, kommt man in eine weite Sumpflandschaft. Hier brodelt es im Sommer ringsumher, wenn die Sümpfe kochen und der widerwärtige Geruch von verfaultem Schilf, Kraut und Holz, der Fäulnisgestank des Bodens jedermann fernhält. Das klare Wasser, das im Sommer von den Sumpfpflanzen und vom Schilf verborgen wird, glänzt und glitzert im Winter wie ein Spiegel. Jenseits der Sumpfgebiete gelangt man wieder auf bebautes Land, auf fetten, warmen Boden. Ein Land, das vor Fruchtbarkeit glänzt, das für seine Saat vierzig- bis fünfzigfachen Ertrag zurückgibt.
Aber wenn man die sanften, myrtenduftenden Hügel hinter sich zurückgelassen hat, schrickt man jäh vor den Felsen zusammen, die sich plötzlich vor einem auftürmen. Mit den Felsen beginnt das Reich der Kiefern, deren Harz in kristallenen Tropfen an den Stämmen entlang zur Erde sickert. Die Ebenen, die sich hinter den Kiefern erstrecken, haben kargen Boden, der nichts trägt … Von hier aus sind die Taurushöhen mit ihren Schneegipfeln zum Greifen nahe.
Eine der Hochebenen ist mit Disteln übersät – Dikenlidüzü. Dort gibt es fünf Dörfer. Aber niemand dort besitzt auch nur einen Fußbreit Land. Alles Land gehört Abdi Aga. Die Dikenlidüzü ist eine Welt für sich mit ihren eigenen Gesetzen und Bräuchen, ganz abseits von der übrigen Welt. Die Menschen hier kennen außer ihren eigenen Dörfern so gut wie nichts von dieser Erde. Kaum einer von ihnen hat jemals die Außenwelt gesehen. So weiß auch niemand von der Dikenlidüzü, von ihren Dörfern, von ihren Menschen und deren Leben. Sogar der Steuereinnehmer lässt sich nur alle zwei, drei Jahre einmal blicken. Und der hat mit den Dörflern nichts im Sinn, denn bei denen gibt es nichts zu holen. Er geht zu Abdi Aga. Damit ist seine Pflicht erfüllt.
Das größte unter den Dörfern der Dikenlidüzü ist Değirmenoluk. Hier lebt Abdi Aga, der Grundherr. Das Dorf liegt im Osten der Ebene, am Fuße der purpurnen Felsen, die manchmal milchig weiß, dann grünlich silbern in einem bunten Farbenspiel schimmern.
An den Felsen steht seit eh und je eine uralte Platane mit verkrümmten, bis auf den Boden hinabreichenden Zweigen. Wenn man sich dem majestätischen Baum auf hundert, auf fünfzig Meter nähert, so rührt sich weit und breit nichts. Es herrscht eine Stille, so tief, dass einen die Furcht überschauert. Wer auf fünfundzwanzig Meter, ja sogar auf zehn Meter nahe kommt, wird dasselbe empfinden. Aber tretet nur einmal dicht an den Baum heran! Ihr werdet unter einem ohrenbetäubenden Krachen zusammenschrecken! Von Schritt zu Schritt ebbt das Getöse dann wieder ab.
Das Rauschen kommt von der Quelle des kleinen Gewässers. Eigentlich liegt die Quelle gar nicht hier, aber die Leute in dieser Gegend sagen so, und dabei ist es geblieben. Das Schaum versprühende Wasser brodelt am Fuß der Felsen an die Oberfläche. Wirft man ein Stück Holz in dieses Wasser, so sieht man es nach ein, zwei Tagen, ja oft nach einer Woche noch auf dem Wasser tanzen. Es geht nicht unter. Einige behaupten sogar, auch ein hineingeworfener Stein halte sich obenauf. Der Bach kommt in Wirklichkeit von weit her, vom Akçadağ-Berg nämlich, von wo er den Duft des Majorans und des Thymians mit sich trägt, bis er sich hier unter dem Felsen verliert, um mit wütendem Kochen und Schäumen wieder ans Tageslicht zu treten.
Von hier bis zum Akçadağ türmt sich eine so steile Felslandschaft auf, dass man im ganzen Taurus kein Stückchen Land findet, das Platz für mehr als ein einziges Haus hätte. Gewaltige Kiefern und Buchen recken sich von den Felsen in den Himmel, und nur ganz selten trifft man in dieser steinernen Welt auf ein größeres Lebewesen – vielleicht einmal auf einen einsamen Hirsch, der des Abends, das Geweih auf den Rücken gelegt, auf einem Felsvorsprung mit ausgestreckten Läufen in die endlose Weite starrt.
Das mit Disteln bewachsene Land geht in den elendsten, unfruchtbarsten Boden über, den man sich vorstellen kann, eine Erde von quarkartigem Weiß. Wo Gräser, Bäume, sogar die Bocksfeige aufgehört haben zu wachsen, da breiten sich die Graudisteln üppig aus, da wuchern und gedeihen sie. Auf guter Erde findet man diese Disteln nie. Guter Boden wird immer bebaut, gepflegt. Solchen Boden liebt die Distel nicht. Auf Boden mittlerer Güte ist sie aber zu finden, dort muss man sie erst ausreißen, bevor gesät werden kann. So ist es überall auf den Ebenen bis hinauf zu den Gipfeln der Tauruskette.
Die Graudistel wird etwa einen Meter hoch. Sie hat Zweige, die mit stacheligen Blüten besetzt sind, Blüten in der Form von fünfzackigen, von harten Stachelspitzen eingefassten Sternen. Jede Distel bringt Hunderte von ihnen hervor.
Wo sie wächst, da steht sie so dicht, dass selbst eine Schlange nicht zwischen zwei Stauden hindurchkriechen kann. Und ließe man eine Nadel über dem Blätterdickicht fallen, so würde sie gewiss nicht bis zum Boden gelangen.
Im Frühling zeigen die Disteln ein mattes Blassgrün. Schon bei leisem Wind legen sie sich fast bis auf die Erde. Im Hochsommer beginnen blaue Adern zwischen dem Grün zu erscheinen, dann gehen nach und nach die Zweige und der Schaft in ein helles, aber immer kräftiger werdendes, prachtvolles Blau über. Schließlich sind ganze Felder, endlose Ebenen eine einzige blaue Fläche, die bei Sonnenuntergang im Winde wogt und rauscht. Wie das Meer den rötlichen Schimmer der sinkenden Sonne widerspiegelt, so liegt auch über dem Distelmeer der gleiche rötliche Schein.
Wenn es Herbst wird, beginnen die Disteln zu vertrocknen. Ihr Blau verwandelt sich in Weiß, und ein krachendes Geräusch ist zu vernehmen. Kleine weiße Schnecken kleben zu Tausenden an den Schäften, die über und über mit milchigen Perlen bedeckt scheinen. Das Dorf Değirmenoluk liegt mitten im Distelland. Es gibt keine Äcker, keine Weinberge, keine Gemüsegärten. Nur eine Wildnis voller Graudisteln.
Mitten durch das Distelgestrüpp lief der Knabe. Er war völlig außer Atem. Schon eine Ewigkeit war er so gelaufen, ohne anzuhalten. Plötzlich blieb er stehen, betrachtete seine von den Stacheln blutig gerissenen Beine. Er war am Ende seiner Kräfte. Er hatte Furcht. Hatte er es geschafft, würde er es schaffen? Ängstlich sah er sich um, weit und breit war niemand zu sehen. Er schöpfte wieder neuen Mut, schlug sich nach rechts, lief weiter, bis er so erschöpft war, dass er sich mitten zwischen die Disteln fallen ließ. Da sah er neben sich einen Ameisenhaufen. Es waren sehr große Ameisen. Für einen Augenblick vergaß er alles und vertiefte sich in den Anblick der am Eingang zu ihrem Bau wimmelnden Insekten. Dann kam er blitzschnell wieder zu sich, sprang auf, hielt sich wieder rechts, bis er bald danach den Bereich der Disteln hinter sich hatte. Am Rande des Feldes sank er in die Knie. Als er merkte, dass sein Kopf über die Disteln hinausragte, ließ er sich auf dem Boden nieder. Über seine Beine rieselte das Blut. Auf die blutenden Stellen strich er Erde. Die Wunden brannten wie Feuer.
Es war nur noch ein ganz kleines Stück bis zu dem Felsen. Mit seinen letzten Kräften lief er darauf zu. Bald war er bei der Platane, die unter dem höchsten Felsen steht. Der Boden um den Fuß des Baumes war brunnenähnlich vertieft, ausgefüllt mit goldgelben, rot geäderten Blättern, die sich noch am Stamm der Platane hochtürmten. Er warf sich auf das raschelnde Blätterpolster. Das Geräusch ließ einen Vogel von der äußersten Spitze eines der kahlen Äste auffliegen. Der Knabe, zu Tod erschöpft, wie er war, fand noch die Kraft, zu überlegen. Nichts wäre köstlicher, als hier die Nacht zu verbringen, nicht mehr keuchend zu laufen, zu fliehen … Hier war es so weich, dass man nicht wieder aufstehen konnte. Dann sagte er sich, dass ihn Wölfe und andere wilde Tiere hier in Stücke reißen würden. Ein paar von den letzten Blättern des Baumes fielen zu den anderen. Er sah ihnen zu.
Er sprach laut zu sich selbst, als ob noch ein anderer da sei: »Ich gehe hin. Ich muss das Dorf finden. Keiner weiß, dass ich nach dort unterwegs bin. Ja, ich gehe. Nie mehr kehre ich um, nie mehr gehe ich zurück. Vieh will ich hüten. Pflügen will ich. Ja, Vieh hüten und pflügen. Mutter soll mich nur suchen. Solange sie will. Der Ziegenbart soll mich nie wieder sehen, nie wieder. Aber wenn ich das Dorf nicht finde? Dann muss ich hier draußen umkommen. Dann sterbe ich eben. Das ist immer noch besser …«
Eine golden warme Herbstsonne lag auf den Felsen, auf der Platane und auf dem Blätterhaufen. Einige Herbstblumen wagten sich aus dem im Sonnenglanz verjüngten Boden hervor. Bitter duftete der feucht glänzende Affodill. Man riecht ihn zur Herbstzeit überall in den Bergen.
Eine oder zwei Stunden – wie konnte er es genau wissen? – blieb er dort. Die Sonne war schon hinter den Bergkämmen verschwunden, er hatte es nicht bemerkt. Erst jetzt besann er sich mit einem Mal darauf, dass man hinter ihm her war. Eiskalt überfiel ihn die Furcht. Wohin jetzt? Er wusste es nicht. Ein schmaler Ziegenpfad führte zwischen den Felsen hindurch. Ihm folgte er, atemlos laufend, ohne auf Felskanten und Geröll zu achten. Seine Müdigkeit war verflogen. Er blieb stehen, schaute sich einen Augenblick um, hastete weiter, über seine eigenen Füße stolpernd. Sein Auge traf eine winzige Eidechse auf einem verrotteten Baumstumpf. Das Tierchen huschte unter den Baum, als er näher kam.
Plötzlich begann er zu taumeln, blieb stehen. Es wurde ihm schwarz vor den Augen. Alles drehte sich um ihn. Mit zitternden Händen und Füßen stand er schwankend, blickte hinter sich und lief weiter. Ein Schwarm Rebhühner flog vor ihm auf, Herzschläge voll Angst für ihn, beim geringsten Geräusch schreckte er zusammen. Bis in den Hals fühlte er sein Herz klopfen. Entmutigt und schweißgebadet schaute er wieder zurück. Seine Knie gaben nach, und er musste sich zu Boden fallen lassen. Er befand sich auf einem steinigen, kleinen Abhang. In den scharfen Geruch seines Schweißes mischte sich Blütenduft. Nur mühsam konnte er die Augen öffnen. Er hob zögernd den schwer gewordenen Kopf, blickte ängstlich nach unten. Dort sah er verschwommene Umrisse. Aber war das nicht ein Lehmdach? Freudiger Schreck ließ sein Herz so hoch schlagen, als trage er es auf der Zunge. Wirklich, ein Haus! Jetzt konnte er Rauch aus dem Schornstein aufsteigen sehen. Keinen schwarzen, sondern leicht purpurfarbenen Rauch, der sich spiralig verteilte.
Hinter sich hörte er ein Geräusch wie von Schritten. Er fuhr herum. Links von ihm stürzte der Wald wie eine nachtschwarze Mauer vom Himmel auf die Erde. Die dunkle Masse kam näher, wie die schnell wandernde Front eines furchtbaren Wolkenbruchs … Wieder fing der Knabe zu sprechen an, diesmal laut, mit der Kraft der Verzweiflung, während er, um dem unheimlichen Dunkel zu entkommen, in entgegengesetzter Richtung ausschritt: »Ja, ich gehe hin und sage ihnen … ich gehe und sage … Ich wollte euch sagen … ich bin zu euch gekommen, um euer Vieh zu hüten. Pflügen kann ich auch … auch Korn schneiden. Ich heiße Mistik, Mistik der Schwarze … Nein, eine Mutter habe ich nicht, Vater auch keinen … Abdi Aga schon gar keinen. Ich will mich um eure Schafherde kümmern, euer Feld pflügen. Ich will euer Kind sein, ja … Nein, ich bin nicht Ince Memed, Kara Mistik nennen sie mich. Soll meine Mutter nur weinen. Soll mich Abdi Aga der Gottlose nur suchen. Ich werde zu ihnen gehören als ihr Kind …«
Dann brach er in lautes, jammervolles Weinen aus. Die schwarze Waldwand war immer noch nicht weg. Aber das Heulen aus vollem Halse machte ihn ruhiger. Als er den Hang hinabstieg, hatte er sich ausgeweint. Er wischte sich die Nase am Rockärmel trocken.
Als er im Hof des kleinen Hauses stand, hatte sich die Dunkelheit weiter ausgebreitet. Aber man konnte noch die Umrisse anderer Häuser erkennen. Er blieb einen Augenblick stehen, dachte nach. Ob dies das Dorf war? Vor der Haustür machte sich ein Mann mit langem, schwingendem Bart mit einem Packsattel zu schaffen. Von seiner Arbeit hochsehend, bemerkte er den aufrechten Schatten im Hof. Das dunkle Etwas machte zwei Schritte auf ihn zu, dann regte es sich nicht mehr. Der Mann störte sich nicht weiter daran und fuhr in seiner Arbeit fort, bis es ganz dunkel geworden war. Als er sich dann wieder umwandte, sah er, dass der aufrechte Schatten noch immer an der gleichen Stelle stand.
»He, du!«, rief er. »Was hast du hier zu suchen?«
Aus dem Dunkel antwortete es: »Ach, ich … Ich will Hirte bei dir werden, Onkel. Ich erledige dir alle Arbeit.«
Der Bärtige ergriff die Schattengestalt und zog sie näher heran. »Komm du erst mal hier rein, dann kann man reden.«
Er trat mit dem vor Kälte zitternden Knaben ein. Ein scharfer Nordwind war inzwischen aufgekommen.
»Wirf mehr Holz aufs Feuer, Frau«, sagte der Bärtige. »Das Kind hier zittert am ganzen Leibe.«
»Ja, wer ist denn das?«, fragte die Frau verblüfft.
»Allahs Gast«, gab der Alte zurück.
»So einen Gast habe ich mein Lebtag noch nicht zu Gesicht bekommen«, sagte die Frau lächelnd.
»Na, dann sieh ihn dir nur an«, erwiderte der Alte.
Sie ging und kehrte mit einem Armvoll Holz zurück. Nach und nach wurde das Herdfeuer lebendig.
Das Kind kauerte, ganz in sich zusammengekrochen, neben der Feuerstelle an der Wand. Glatte, von der Sonnenglut oben hin rötlich gesengte schwarze Haare fielen ihm tief in die Stirn über dem spitzen, ausgetrockneten, klein wirkenden Gesicht. Es hatte große, kaffeebraune Augen. Sein Körper war sonnenverbrannt. Man mochte sein Alter auf elf Jahre schätzen. Von den Pluderhosen war bis zur Kniehöhe nichts mehr übrig, der Stoff war im Distelgestrüpp geblieben, und seine Beine und Füße waren nackt. Die Beine waren blutverkrustet. Es zitterte immer noch, obwohl das Feuer jetzt angenehme Wärme verbreitete.
»Du bist sicher hungrig, armes Kind«, sagte die Frau. »Wart, ich gebe dir gleich eine Suppe, iss sie.«
»Ja«, erwiderte der Knabe.
»Sie wärmt dich«, sagte die Frau.
»Dann werde ich nicht mehr so zittern«, sagte der Knabe.
Sie füllte aus einem großen kupfernen Topf, der auf der Feuerstelle stand, eine verzinnte, kupferne Schale mit dicker Suppe, während die Augen des Kindes auf die dampfende Speise starrten. Sie stellte die Suppenschüssel vor ihn hin, drückte ihm einen Holzlöffel in die Hand: »So, nun iss schnell!«
»Ja«, antwortete er.
Der Mann meinte: »Aber nicht zu schnell, sonst verbrennst du dir den Mund.«
»Nein, nein«, gab er zurück. Er lächelte.
Auch der Alte lächelte. Die Frau war wohl ein wenig erstaunt darüber, denn ihr Mann sagte erklärend: »Seit er sich über die Suppe hergemacht hat, zittert unser kleiner Löwe nicht mehr.«
»Ja, es hat ganz aufgehört«, bestätigte der Knabe. Nun lächelte auch die Frau.
Die Feuerstelle war frisch mit Lehm verputzt. Aus Lehm war auch das Dach des Hauses, mit einer Reisigschicht an der Decke. Der Fußboden glänzte schwarz vom Ruß vieler Jahre. Das Haus bestand aus zwei Teilen, Wohnraum und Stall. Durch die Verbindungstür drang eine feuchtwarme Luft herein, in der sich die Gerüche von frischem Rinderdung, Stroh und frischem Grün mischten. Jetzt traten der Sohn, die Schwiegertochter und die Tochter der alten Leute vom Stall in den Wohnraum. Der Knabe starrte sie entgeistert an.
Der Alte wandte sich zu seinem Sohn: »Nun sag mal erst unserem Gast den Willkommensgruß.«
Der Junge sagte mit ernster Miene: »Willkommen, Bruder. Was gibts Neues?«
»Danke«, erwiderte er ebenso ernst. »Nichts Besonderes.«
Auch die Tochter und die Schwiegertochter sprachen ihren Willkommensgruß.
Das große Holzscheit auf dem Herd ging in helle Flammen auf.
Der Knabe saß wieder zusammengekauert da. Die Flammen warfen gespenstische Schatten. Der Alte, mit dem Blick auf dieses Geisterspiel, mochte sich denken, was in dem Kopf des Kindes vorging. Schweigend und ohne sich zu rühren, starrte er lange Zeit auf die Schattenbewegungen, die mit den verbrennenden Holzscheiten ihre Richtung veränderten. Als er endlich den Blick wandte, spielte ein Lächeln über seine hageren, von dem weißen Bart viereckig umrahmten Züge. Seine Stirn war von der Sonne kupferfarben, und der Schein der Flammen ließ auch sein ganzes Gesicht und den Hals kupfern glänzen.
Dann richtete sich der Alte mit einem Mal auf. »Sag mal, Gast, wie heißt du eigentlich? Das hast du noch nicht verraten …«
»Sie nennen mich Ince Memed«, antwortete der Knabe.
Als es nun doch heraus war, biss er sich ärgerlich auf die Lippen, ließ den Kopf sinken, als schäme er sich. Wie oft hatte er sich unterwegs seinen Spruch aufgesagt: »Sie nennen mich Mistik den Schwarzen.« Dann muss es eben auch so gehen, sagte er sich; warum eigentlich »Mistik«, wenn ich selbst einen Namen habe? Wer wird mich hier schon sehen …
Der Alte wandte sich zu der Schwiegertochter: »Bring jetzt das Essen. Beeil dich!«
Das Tischtuch wurde auf dem Boden ausgebreitet, und die Familie mit Ince Memed setzte sich im Kreise darum herum. Während des Essens sprach keiner ein Wort. Darauf wurde noch eine Traglast Holz auf das Feuer geworfen. Der Alte legte selbst ein großes Scheit genau in die Mitte des Feuers. Es wurde von den benachbarten Flammen ergriffen. Immer wieder war es so, und es machte dem Alten immer wieder Vergnügen, wenn die Flammen sein Stück Holz umzüngelten, packten und fraßen.
Seine Frau trat zu ihm, näherte sich seinem Ohr und flüsterte: »Süleyman, wo soll ich dem Kind sein Lager richten?«
Süleyman antwortete mit seinem stets gleichbleibenden Lächeln: »Soll er vielleicht in der Krippe vom großen Gaul schlafen? Wer weiß, wie weit unser Gast gewandert ist, um gerade zu Süleyman zu kommen! Ich will, dass er gut schläft bei uns.«
Er wandte sich zu Memed, der inzwischen von der Wärme schläfrig geworden zu sein schien: »Hör mal, mein Gast, willst du schlafen?«
Memed schüttelte sich: »Nein, nein! Ich bin ganz wach.«
Der Alte schaute ihm forschend ins Gesicht. »Hör mal, Ince Memed, bis jetzt hast du noch nichts davon gesagt, wo du herkommst. Und wo willst du eigentlich hin?«
Ince Memed rieb sich die vom Rauch gebeizten Augen. »Von Değirmenoluk komm ich, und ich gehe in das Dorf.«
Süleyman wurde langsam neugierig: »Na, Değirmenoluk kenne ich ja, aber welches andere Dorf meinst du?«
»Na, Dursuns Dorf.«
»Von welchem Dursun?«, fragte Süleyman hartnäckig weiter.
»Na, bei Abdi Aga arbeitet er.« Dabei starrte er ins Leere.
»Ha?«, machte der Alte.
»So heißt unser Aga. Dursun ist sein Knecht. Er pflügt für Abdi Aga. Das ist Dursun.« Seine Augen glänzten plötzlich. Dann fügte er hinzu: »Neulich hat er einen jungen Falken gefangen. Diesen Dursun meine ich. Weißt du jetzt, welchen ich meine, Onkel?«
»Ja, ja, ich weiß schon; und was weiter?«
»In sein Dorf gehe ich eben. Dursun hat mir gesagt: Bei uns im Dorf schlagen sie die Kinder nicht. Sie treiben sie nicht zum Pflügen. Auf unseren Feldern wachsen keine Graudisteln. So sagte er, und da gehe ich jetzt hin.«
»Na, und wie heißt das Dorf? Hat dir Dursun das nicht auch gesagt?«
Memed schwieg, dachte nach, den Daumen im Mund. Dann sagte er leise: »Nein. Den Namen hat er mir nicht gesagt.«
»Seltsam«, meinte Süleyman.
»Ja, seltsam«, wiederholte Memed. »Wir haben zusammen gepflügt, Dursun und ich. Da haben wir uns manchmal zum Ausruhen auf einen großen Stein gesetzt. ›Unser Dorf müsstest du mal sehen‹, sagte er dann, ›seine goldene Erde, das Meer und die Tannen. Dort fährt man einfach auf die See hinaus und kann dann überallhin kommen.‹ Dursun ist von dort durchgebrannt. Das darf ich aber keinem erzählen. Nicht einmal meiner Mutter hab ich es gesagt.« Dicht an Süleymans Ohr setzte er hinzu: »Und du sagst es auch keinem, Onkel?«
»Hab keine Angst«, begütigte Süleyman. »Ich verrate schon nichts.«
Die Schwiegertochter stand auf und ging hinaus. Kurz darauf kehrte sie zurück, mit einem gefüllten Sack auf der Schulter, den sie zur Erde fallen ließ. Ein Haufen Baumwollkapseln quoll heraus. Sie waren schon gereinigt, schneeweiß, lauter runde weiße Wölkchen. Im Nu hatte sich ihr scharfer Geruch im Raum verbreitet.
»So, jetzt wollen wir Baumwolle zupfen. Nun zeig mal, was du kannst, Ince Memed«, sagte Süleyman munter.
Ince Memed, der sich schon eine Armlast von den Flocken vorgenommen hatte, gab ebenso munter zurück: »Baumwolle zupfen! Als ob das auch eine Arbeit wäre!«
Sofort begannen seine geschickten Hände zu arbeiten wie eine Maschine.
»Sag mal, Ince Memed«, fragte der Sohn, »wie willst du das Dorf eigentlich finden?«
Ince Memed war es anzumerken, dass ihm diese Frage zu schaffen machte. Mit einem kleinen Seufzer antwortete er: »Ich werde es eben suchen. Es liegt am Meer. Ich finde es schon.«
»Hör mal, Ince Memed, von hier bis zum Meer sind es nicht weniger als fünfzehn Tage Weg.«
»Ich suche es eben. Zurück nach Değirmenoluk gehe ich nicht. Lieber will ich sterben! Ich kann nicht mehr zurück. Und ich gehe auch nicht zurück.«
»Nun sag mal, Ince Memed«, nahm Süleyman das Wort, »mit dir ist doch irgendetwas los, Junge. Jetzt einmal heraus mit der Sprache! Warum streichst du so auf den Straßen umher?«
»Lass nur, Onkel Süleyman. Ich will dir ja alles erzählen. Mein Vater ist tot, und ich bin mit Mutter allein. Wir haben sonst niemanden. Und ich pflüge Abdi Agas Land.«
Als er so weit gekommen war, füllten sich seine Augen mit Tränen. Die Kehle war ihm wie zugeschnürt. Er nahm sich zusammen, aber man sah, im nächsten Augenblick würde er die Beherrschung verlieren und in ein verzweifeltes Weinen ausbrechen.
»Seit zwei Jahren ackere ich dieses Land, und die Graudisteln machen mich kaputt. Sie fressen mich ganz auf. Es ist, als ob einem wilde Hunde die Beine zerbeißen. Auf so einem Feld muss ich pflügen, und dabei prügelt mich der Aga noch jeden Tag halb tot. Erst gestern Morgen wieder … Ich habe geglaubt, ich ginge in Stücke. Aber dann bin ich durchgegangen. Und jetzt gehe ich in das Dorf. Dort kann mich der Abdi Aga nicht finden. Dort will ich für irgendeinen pflügen und sein Vieh hüten. Sein Sohn will ich sein, wenn ich darf.«
Bei den letzten Worten sah er Süleyman gerade ins Gesicht. Seine Beherrschung war sichtlich am Ende, noch ein paar Worte, und der Sturm der Verzweiflung würde losbrechen.
Süleyman hatte das wohl bemerkt, so vermied er es, weiter von Abdi Aga zu sprechen. »Nun pass mal auf, Ince Memed, ich will dir was sagen. Du bleibst einfach hier bei mir.«
Das Gesicht des Knaben leuchtete auf. Eine Welle von Glück überströmte ihn.
Der Sohn fügte hinzu: »Das Meer ist auch zu weit für dich, Ince Memed, und das Dorf ist nicht leicht zu finden.«
Die Arbeit an der Baumwolle war getan. Auf dem Boden wimmelte es von den winzigen schwarzen Baumwollkäfern, die beim Zupfen aus den Kapseln fallen. Neben der Feuerstelle breiteten sie eine kleine Lagerstatt aus. Memed sah schlaftrunken auf die Vorbereitungen. Süleyman hatte längst gemerkt, wie sich der Kleine nach einem Bett sehnte. Er bedeutete ihm mit einer Handbewegung, sich hinzulegen.
Ohne ein Wort kuschelte sich Memed in die Decken hinein, zog die Knie bis zur Brust heran. Der ganze Körper schmerzte, als sei er in einem Mörser zerstoßen worden.
In den Sekunden, bevor er einschlief, ging ihm seine neue Lage durch den Kopf. Jetzt hatte er wieder einen Vater. Sollten Mutter und Abdi Aga nach ihm suchen. Sollten sie suchen bis zum Jüngsten Tag. Er würde nicht zurückkehren.
Zwei Stunden vor Tagesanbruch zuckte er zusammen. Das war die Zeit, um die er jeden Morgen hinaus auf den Acker musste. Er sprang von seinem Lager auf und trat schläfrig vor die Tür, um zu pinkeln. Auf einmal war er ganz zu sich gekommen, besann sich auf den gestrigen Abend, den weißbärtigen Süleyman. Ja, er war in Süleymans Haus. Wozu sollte er noch in das Dorf? Jetzt war er Onkel Süleymans Sohn. Jetzt würde er nicht mehr von hier fortgehen.
Draußen war es bitterkalt. Zitternd kroch er wieder unter seine Decken, zog die Knie wieder an. Schön warm war es hier. Heute würde er gewiss bis zum Tagesanfang schlafen. Und schon war er wieder eingeschlafen.
Über einem kalten Morgen ging die Sonne auf. Die Mutter stand schon an der Feuerstelle, nahm die Suppe vom Feuer und rückte sie an den Herdrand, von wo ihr heißer, süßer Dampf aufstieg. Der Sohn war längst aufs Feld hinausgegangen. Süleyman saß an seiner Sattelarbeit, die er dort wieder aufgenommen hatte, wo er sie beim Dunkelwerden hatte unterbrechen müssen.
»Süleyman«, rief die Frau, »iss, die Suppe wird kalt!«
»Ist der Gast aufgestanden?«, fragte Süleyman.
»Lass das arme Kind. Es redet die ganze Zeit im Schlaf. Sicher hat es sich gestern zu sehr anstrengen müssen«, antwortete sie.
»Dann lass ihn nur schlafen. Er muss gestern davongerannt, den ganzen Tag auf den Beinen gewesen sein, das konnte man ihm ansehen.«
»Warum mag er wohl weggelaufen sein?«
»Weil sie ihn zu sehr gequält haben.«
»Wie schade um ihn, so ein schönes Kind. Können diese Gottlosen denn so einen Däumling nicht in Ruhe lassen?!«, seufzte die Frau.
»Er kann hier bleiben, solange er will«, sagte Süleyman.
In diesem Augenblick reckte sich Memed auf seinem Lager. Nachdem er sich gründlich die Augen gerieben hatte, blickte er zur Herdstelle, wo die Suppe im offenen Topf freundlich dampfte. Dann drehte er den Kopf nach der anderen Seite. Durch die Tür kam ein schnurgerader, wie mit dem Messer geschnittener Sonnenstrahl. Sofort sprang Memed hoch.
Süleyman bemerkte seine nervösen Bewegungen und rief ihm zu: »Keine Angst, mein Kind! Du darfst ruhig weiterschlafen, hier tut dir keiner was.«
Memed nahm die kupferne Wasserkanne vom Herd und trat vor das Haus. Nachdem er sich das Gesicht gewaschen hatte, ohne mit Wasser zu sparen, stellte er sich neben Süleyman, um ihm bei der Reparatur der Sättel zuzusehen.
»Kommt, esst eure Suppe, sie ist schon kalt!«, rief die Frau erneut.
Süleyman stand auf, klopfte mit der Hand auf den Sattel und zwinkerte Memed lächelnd zu: »Komm, wir wollen unsere Suppe essen.« Es gab Weizengrütze. Ihr Geruch, gemischt mit dem der gekochten Milch, hatte sich angenehm im Raum verbreitet. Sie schmeckte Memed vorzüglich. Er dachte: »Ich werde sein Sohn sein, ja, bestimmt.«
Süleyman war jetzt mit den äußeren Arbeiten am Sattel fertig. Nun ging er daran, ihn innen mit Heu auszupolstern. Wie es durch seine langen, alten Finger glitt! Im hellen Glanz der Herbstsonne schimmerten golden die aus dem trockenen Heu unter den Händen des Mannes aufsteigenden Staubteilchen.
»Hat er dich sehr gequält, der Abdi Aga?«, fragte Süleyman unerwartet.
Auf diese Frage war Memed nicht gefasst. Er musste seine fünf Sinne zusammennehmen.
»Ja. Halb totgeschlagen hat er mich. Sogar barfuß pflügen musste ich im Graudistelfeld, auch in eisiger Kälte. Noch dazu schlug er mich die ganze Zeit über halb tot. Einmal hat er mich so geprügelt, dass ich einen Monat liegen musste. Er schlägt ja alle, aber mich am meisten. Mutter sagt, wäre Sari-Hodschas Amulett nicht gewesen, dann hätte ich damals sterben müssen.«
»Ja, dann willst du wohl hier bleiben?«, fragte Süleyman.
»Ach, was soll ich in jenem Dorf? Es ist ja fünfzehn Tage weit von hier. Und wenn auch das Meer dort ist, was heißt das schon? Graudisteln gibt es dort keine, aber hier doch auch nicht. Ich bleibe hier. Hier kann mich ja auch keiner finden, oder? Değirmenoluk ist doch ganz weit weg von hier, nicht? Hier kann mich doch niemand finden, oder?«
»Mensch, du bist aber ein närrischer Kerl, du! Değirmenoluk liegt gleich dort drüben hinter dem Berg! Weißt du denn nicht mehr, welchen Weg du gekommen bist?«
Memed, vor Schreck wie versteinert, riss die Augen weit auf. Schweiß perlte aus seinen Poren. All seine Hoffnung war mit einem Schlage dahin. Er wollte etwas sagen, konnte aber nur trocken schlucken. Als er Adler am Himmel ihre Kreise ziehen sah, starrte er ihnen stumm nach. Dann drängte er sich an Süleyman: »Ich will doch lieber in das Dorf gehen und dort der Sohn jenes Mannes werden … Abdi Aga bringt mich um, wenn er mich hier findet.«
Süleyman grollte: »Ja, geh nur und lass dich dort von jenem Mann als Sohn aufnehmen.«
»Ach, wie schön wäre es, wenn ich dein Sohn sein und hier bleiben könnte.« Das kam halb schmeichelnd, halb jammernd heraus. »Das wäre ja so schön, aber …«
»Was aber?«
»Wenn er mich finden würde … Er hat keine Ehrfurcht vor Allah … Er hackt mich in Stücke.«
»Was können wir da tun?«, murmelte der Alte. Er hob den Kopf von der Arbeit, blickte Memed ins Gesicht, das plötzlich eingefallen und runzlig wirkte wie ein verwelktes Blatt. In den großen Augen des Jungen war kein Glanz mehr. Memed drängte sich noch enger an Süleyman, ergriff seine Hand. »Ach …«, sagte er, indem er den Alten mit flehendem Ausdruck ansah.
»Hab keine Angst, Ince Memed«, beruhigte ihn Süleyman. Memed lächelte, aber sein Lächeln war bedrückt, mit Furchtsamkeit gemischt.
Als Süleyman mit dem Sattel fertig war, erhob er sich. »Höre, Ince Memed, ich muss jetzt in das Haus da drüben. Du kannst machen, was du willst. Geh dir mal das Dorf anschauen.«
Memed ging ins Dorf. Es waren zwanzig, fünfundzwanzig Häuser. Aus Lehm gebaut, mit unbehauenen, willkürlich und kunstlos aufeinandergesetzten Steinen dazwischen, erhoben sie sich kaum mannshoch über dem Boden.
Er schlenderte vom einen zum anderen Ende. Auf einem Dunghaufen sah er Kinder beim Köküç-Spiel. Ein paar Frauen sah er auch. Sie kauerten vor ihren Spinnrädern. Ein Hund strich mit eingekniffenem Schwanz furchtsam an einer Mauer entlang. Überall lagen Dunghaufen. So trieb er sich bis zum Abend von Haus zu Haus umher, und niemand fragte ihn, woher er käme, wohin er wollte. Bei ihm daheim wurde jeder Fremde sofort von einer Horde Dorfkinder umringt. In diesem Dorf war es ganz anders. Das beschäftigte ihn sehr.
Als er wieder ins Haus kam, traf er auf Süleyman.
»Na, was gibts draußen, Ince Memed?«, empfing ihn der Alte. »Du hast dich ja den ganzen Tag nicht blicken lassen!«
»Alles in Ordnung«, antwortete er.
Auch die folgenden Tage verbrachte er damit, das Dorf zu durchstreifen. Dabei freundete er sich mit ein paar Kindern an. Sie spielten Köküç. Er konnte es weitaus am besten. Aber ganz anders als Kinder sonst, prahlte er nicht damit. Er gewann mit so selbstverständlicher Leichtigkeit, als wolle er das ganze Spiel damit als Kinderei abtun.
Dann kam die Regenzeit, der große Taurusregen, der zum Herbst gehört wie das Abfallen der Blätter. Oft gab es Gewitter. Geröll kollerte von dem dicht bewaldeten Berg über dem Dorf herab in die Ebene.
An einem dieser Tage kam Memed zu Süleyman. »Onkel Süleyman, wie lange soll das noch so weitergehen? Es ist mir unangenehm. Ich esse dein Brot und tue nichts dafür!«
Der Alte lachte. »Wozu die Eile? Nur langsam, es findet sich schon Arbeit für dich, Ince Memed.«
Nach ein paar Tagen setzte der Regen aus. Auf nasse Felsen, Bäume und Äcker schien wieder die Sonne. Von der feuchten Erde stieg ein Dunst auf, der sich überall ausbreitete und mit dem der Dunggeruch vom Dorf herüberkam. Manchmal war die Sonne von silbrigen Dunstwolken verdeckt. Ince Memed saß auf einem Stein am Hauseingang und zog seine neuen Bauernschuhe an. Süleyman hatte sie für ihn genäht. Die Haut war noch feucht, an dem purpurroten Flaum darauf konnte man sehen, dass sie von einem jungen Stier war. Die Schuhe erfüllten ihn mit großer Freude.
Süleyman trat zu ihm und beobachtete ihn, wie er mit geschickten Händen die langen Schnüre immer wieder herumschlang und dann hinten verknotete, wie es sich gehörte.
»Na, Ince Memed, du bist ja ein wahrer Meister im Schnüren von Bauernschuhen«, sagte er.
Memed hob lächelnd den Kopf. »Ich kann sogar Bauernschuhe nähen, Onkel Süleyman. Aber die hier hast du wunderschön gemacht.«
Er erhob sich, trat zweimal mit seinem ganzen Körpergewicht auf, ging zehn, fünfzehn Schritte, dann wieder zurück. Verblüfft schaute er auf die Schuhe.
»Sie sitzen wie angegossen.«
Sie gingen zusammen ins Dorf. Unterwegs musste Ince Memed immer wieder seine Schuhe betrachten. Mal schritt er schneller aus, mal blieb er stehen und prüfte genau ihren Sitz. Dann wieder beugte er sich hinunter und streichelte den Flaum auf der Haut.
Süleyman nahm an dieser Freude Anteil. Er war mit seiner Arbeit zufrieden. »Ich sehe, sie gefallen dir, Memed«, schmunzelte er.
»Sie sind wunderbar, sie passen zu meinen Füßen, als wären sie angewachsen.«
»Siehst du, Ince Memed«, meinte Süleyman, »solche Bauernschuhe hätte dir keiner nähen können, wenn du in das Dorf gegangen wärst.«
»Tragen sie in jenem Dorf keine Schuhe?«, fragte Memed halb naiv, halb listig.
Süleyman konnte nicht herausfinden, ob es sich um Schläue handelte oder nicht.
»Doch, aber keine Bauernschuhe«, erwiderte Süleyman.
»Ach so, so ist das.«
Jetzt waren sie außerhalb des Dorfes, im freien Land. Memed atmete auf. Die Felder erstreckten sich bis an den Fuß des nächsten Berges. Sie schienen verlassen. Es gab keine Graudisteln, aber umso mehr Steine.
Er blieb einen Augenblick stehen. »Wohin gehen wir eigentlich, Onkel Süleyman?«
»Nur ein bisschen herumlaufen«, war die Antwort.
Memed schwieg und fragte auf dem weiteren Weg nicht mehr. Seine neuen Bauernschuhe waren schon lehmbeschmiert. Er verfluchte den Lehm, der seine Schuhe beschmiert hatte. Das Dorf lag schon sehr weit hinter ihnen, man konnte nichts mehr von ihm sehen als ein, zwei Rauchfahnen.
»Schau, Ince Memed«, sagte Süleyman, »hier wirst du die Ziegen weiden. Du kannst bis da drüben hinübergehen. Aber siehst du dort den hennafarbenen Hügel? Über den darfst du nie gehen. Dort liegt nämlich euer Dorf. Sie können dich packen und mitnehmen.«
»Nein, nein! Gut, dass ich es weiß.«
Süleyman sagte: »So, das wärs, gehen wir nach Hause.«
Dann kehrten sie um. Der Himmel hing voll schneeweißer Wolken. Zwischen den steinigen, grauen Feldern waren kreisförmige tiefgrüne Flächen eingesprengt. Das waren die Dreschplätze. An den Gräsern am Wege sah man hier und da Schnecken kleben.
Plötzlich begann Süleyman wieder zu sprechen. »Sag mal, Ince Memed, hat er dich sehr gequält, der ziegenbärtige Abdi?«
Memed blieb stehen, Süleyman auch. Memed sah wieder auf seine neuen Bauernschuhe.
»Komm, wir setzen uns dorthin«, sagte Süleyman.
»Gut«, meinte Memed, »setzen wir uns.« Dann begann er zu erzählen: »Schau, Onkel Süleyman, als mein Vater gestorben war, nahm uns Abdi Aga das bisschen weg, was wir hatten. Mutter durfte kein Wort sagen, sonst hätte er sie halb totgeschlagen, mich natürlich auch. Einmal hat er mich sogar mitten im Sommer an einen Baum gebunden und zwei Tage da draußen gelassen. Wenn Mutter nicht gewesen wäre … Sicher hätten mich dann die Wölfe zerrissen.«
Süleyman erhob sich seufzend. »Also so stehen die Dinge mit dir, Ince Memed … Ich kann dir nur sagen, hör auf meine Worte und geh nicht über den hennafarbenen Hügel! Da braucht dich nur einer zu sehen und es dem ziegenbärtigen Abdi zu sagen, und schon holen sie dich.«
»Allah behüte mich davor!«, rief Memed aus.
Am nächsten Morgen erwachte er sehr früh, sprang auf und trat vor das Haus. Es war in der ersten Morgendämmerung. Dann trat er an das Lager Süleymans, der im tiefen Schlaf schnarchte. Er stieß ihn an.
Der Alte kam nur langsam zu sich. »Was ist? Ach, du bists, Ince Memed. Was gibts denn?«, murmelte er schlaftrunken.
»Ja, ich bin es.« Memed war stolz, der Erste zu sein. »Es ist Zeit. Ich muss die Ziegen forttreiben.«
Süleyman stand sofort auf, schaute nach seiner Frau aus. Die war längst auf, die Kuh zu melken. Er rief nach draußen: »Mach schnell den Proviant für Ince Memed fertig.«
Die Frau wusch sich über einem Eimer die Milch von den Händen. »Es genügt erst mal. Ich kann sie am Abend fertig melken.«
Blitzschnell hatte sie den Beutel mit Memeds Mundvorrat für den Tag fertig. Gleichzeitig stellte sie ihm seine Suppe hin. Im Nu hatte er sie restlos aufgegessen. Ohne eine Minute Zeit zu verlieren, band er sich den Proviantbeutel um, und schon trieb er die Ziegen vor sich her. Er riss sich seine abgetragene Kappe vom Kopf, feuerte sie mit einem »Auf gehts!« hinter den Tieren her und brach in einen Freudenschrei aus: »Hurra!«
Süleyman rief ihm nach: »Glück auf den Weg!«
Memed schaute wieder und wieder zu ihm zurück, bis er mit der Ziegenherde außer Sichtweite war.
Süleyman seufzte in sich hinein. Seine Frau war neben ihn getreten. »Was hast du wieder für Kummer, Süleyman?«
»Frau, sieh nur mal, was der ziegenbärtige Abdi diesem Kind angetan hat! Es könnte einem das Herz brechen, wie es ihm ergangen ist. Ich habe seinen Vater gekannt; ein stiller bescheidener Mann nach seiner eigenen Art … Und nun muss sein Kind vor Angst und Verzweiflung in die Berge flüchten, mitten unter die Wölfe und Raubvögel. Ist das eine Welt?«
»Süleyman, du nimmst alles viel zu schwer! Nun iss erst mal deine Suppe.«
Es war Abend geworden. Die Bauern waren alle von den Feldern zurück. Ince Memed kam nicht, auch nicht, als die Dunkelheit hereingebrochen war.
Zeynep aus dem Nachbarhaus rief zu Memeds Mutter hinüber: »Döne! Döne! Ist Memed immer noch nicht zurückgekommen?«
»Er ist immer noch nicht da!«, kam es jammernd zurück. »Was soll ich jetzt nur machen?«
Zeynep wiederholte vielleicht zum zehnten Mal, was sie Döne schon vorher geraten hatte: »Nun geh zu Abdi Aga und frag ihn. Es kann doch sein, dass er zu ihm gegangen ist. Frag ihn selbst, gleich, meine Schwester. Ach, Döne, du Ärmste! Was du alles durchmachen musst!«
»Ach, womit hab ich das verdient? Memed hält sich nirgends auf, ist er im Dorf, so geht er gleich nach Hause! Bei Abdi Aga bleibt er schon gar nicht – nicht mal eine Sekunde lang! Aber ich will hingehen, vielleicht weiß er …«
Es war stockfinster unter einem Himmel ohne Mond, ohne Sterne, als Döne ihren Weg zu Abdi Agas Haus suchte. Sie musste sich tastend vorwärtsbewegen. Aus einem winzigen Fenster schimmerte etwas Licht. Sie näherte sich dem Schimmer mit klopfendem Herzen, schluckte ein-, zweimal. Sie zitterte an Händen und Füßen, biss die Zähne aufeinander. Nur mit Mühe konnte sie Laute hervorbringen. Sie klangen wie ein Röcheln: »Abdi Aga! Abdi Aga! Mein Memed ist noch nicht gekommen! Ist er bei Euch? Abdi Aga! Eure Füße will ich küssen, Abdi Aga! Nur sagt, dass er hier ist! Ich komme nur fragen …«
Eine herrische Stimme dröhnte heraus: »Wer ist da? Was willst du, jetzt mitten in der Nacht, Frau?«
»Abdi Aga, um Allahs willen … Mein Memed ist noch nicht nach Hause gekommen. Ich wollte nur fragen, ob er vielleicht hier ist …«
»Ach, du bist es, Döne? Allah soll dich heimsuchen. Komm herein. Lass hören, was du willst.«
Zusammengeschrumpft vor Angst und Schüchternheit, trat Döne ein. Abdi Aga saß mit untergeschlagenen Beinen auf einem Hocksofa neben dem Kamin. Er trug ein Samtkäppchen, das ihm auf das linke Ohr gerutscht war. Das hatte er immer auf dem Kopf, unterwegs, in den Bergen oder im Dorf. Damit wollte er zeigen, dass er ein frommer Muslim war. Er trug ein feines, gesticktes Hemd, seine Hände ließen eine Gebetskette aus großem Bernstein klappern. Er hatte ein scharf geschnittenes, längliches Gesicht, auffallend kleine blau-grüne Augen und rosige Wangen.
»Na? Was willst du denn wieder? Lass hören!«
Döne stand gebeugt und händeringend vor ihm. »Aga, mein Memed ist noch nicht vom Feld zurück. Ich wollte nur fragen, ob er vielleicht bei Euch ist …«
Abdi Aga erhob sich drohend. »Ei! Sieh mal einer an! Er ist noch nicht zurück! So ein verfluchter Hundesohn! Und wo sind meine Ochsen? Was?«
Er watschelte so eilig zur Tür, dass die Rockschöße seines Hausgewands flatterten. »Dursun! Osman! Ali! Wo seid ihr?!«
Aus drei Richtungen hörte man es antworten: »Hier, Aga!«
»Sofort hierher mit euch!«
Blitzartig tauchten drei Gestalten aus dem Dunkel auf. Einer von ihnen war Dursun, ein grobschlächtiger Mensch in den Vierzigern. Die anderen waren junge Burschen von etwa fünfzehn Jahren.
»Hört zu, ihr drei!«, dröhnte der Aga. »Ihr macht jetzt, dass ihr hinaus aufs Feld kommt, und sucht mir diesen Hundesohn. Und vor allem meine Ochsen. Kommt mir ja nicht ohne die Ochsen wieder zurück. Habt ihr verstanden?«
Dursun sagte: »Wir haben uns ja schon gewundert, wo Memed geblieben ist. Wir wollen gehen und ihn suchen.«
Döne brach in lautes Schluchzen aus.
»Still, du!«, herrschte Abdi Aga sie an. »Man hat schon genug Ärger mit deinem Hundesohn. Das eine kann ich dir sagen, wenn mit meinen Ochsen etwas ist, dann bleibt ihm kein Knochen im Leibe ganz! Darauf hast du mein Wort!«
Dursun, Ali und Osman marschierten ins Dunkel hinaus. Die Frau lief hinter ihnen her.
»Bleib nur, Schwester. Wenn er überhaupt zu finden ist, dann finden wir ihn. Du kannst uns dabei nichts nützen. Wer weiß, ob ihm nicht irgendwas Dummes passiert ist, dass er sich jetzt nicht heimtraut. Vielleicht ist der Holzpflug hin. Oder das Joch kann ihm gebrochen sein. Kann jedem so gehen, aber so ein Junge hat dann gleich Angst vor Strafe … Hörst du, Döne? Kehr um, wir finden ihn, wir bringen ihn dir zurück.«
Döne flehte Dursun an: »Um Allahs willen, bring mir meinen Kleinen wieder! Ich vertraue ihn dir an, dich hat er doch gern …«
Dann kehrte sie in ihre Hütte zurück. Die Schritte der drei verloren sich in der Nacht. Ihre Füße fanden die vertrauten Pfade auch in der Dunkelheit. Erst kam der kleine Steinacker, dann stieg es steil an, sie mussten über die Felsen. Als sie die Felsen hinter sich hatten, setzten sie sich, um zu verschnaufen. Niemand sprach ein Wort. Es war stockfinster, und die Totenstille in den Bergen wurde nur von dem leisen Sirren fliegenden Kleingetiers unterbrochen.
Dursun beendete als Erster das Schweigen. Er sprach in die Nacht hinein, wie zu sich selbst: »Was ist mit dem Jungen? Wo mag er hin sein?«
»Wer kann das wissen?«, sagte Osman.
»Wisst ihr, was der Memed zu mir gesagt hat?«, ließ sich Ali vernehmen. »›Ich gehe in das Dorf‹, hat er gesagt. ›Lieber will ich draufgehen, als hier bleiben‹, hat er gesagt.«
»Er wird doch nicht so verrückt gewesen sein, zu verschwinden! Das wäre ja der reine Wahnsinn«, meinte Dursun erschrocken. »Recht hat er, wenn er fort ist«, murmelte Ali zwischen den Zähnen.
»Zehnmal recht hat er!«, pflichtete Osman bei.
»Wie wirs haben, ists schon besser, gleich zu verrecken!«, bekräftigte Ali.
»Wir sollten auch alle miteinander von hier weg«, meinte Osman. »Nach der Çukurova.«
»Die Çukurova ist gar nicht mal so weit«, sagte Dursun, »und der Boden bei uns im Dorf, wenn ich nur daran denke …«, fuhr er fort. »Wisst ihr, schuften muss man ja auch dort, aber man ist dabei sein eigener Aga. Keiner, der einem dauernd dazwischenredet, kein Treiber und Aufseher. Die Felder müsstet ihr mal zur Erntezeit sehen! Ihr meint, es liegen Wolken auf der schwarzen Erde. Das ist alles Baumwolle! Da wird ruck, zuck geerntet, und dann bringt das was ein! Zehn Kuruş das Okka. Da hat man im Herbst fünfmal so viel auf der Hand wie bei Abdi Aga im ganzen Jahr! Da gibt es eine Stadt, die heißt Adana. Die ist ganz aus Kristall. Die glänzt Tag und Nacht wie die Sonne. Darin kann man ewig umherlaufen. Straßen zwischen den Häusern, eine einzige Pracht. Dort fahren Eisenbahnen, ständig kommen und gehen die dort. Auf dem Meer schwimmen Schiffe, jedes so groß wie ein Dorf. Die fahren bis ans Ende der Welt. Alles ist voller Lichterglanz, dass man sich nicht sattsehen kann. Geld, das gibt es in der Çukurova wie Heu. Du brauchst nur zu arbeiten …«
Das dieser Schilderung folgende Schweigen unterbrach Osman mit einer Frage: »Wie groß ist die Welt wohl?«
»Riesig!«, antwortete Dursun. Sie gingen weiter. Dursun fuhr fort, von seinem Dorf zu erzählen. Bald gerieten sie in ein Distelfeld. Die starken Graudisteln zerkratzten ihnen die Beine. »Jetzt muss gleich der Acker kommen, wo Memed gepflügt hat«, meinte Osman.
»Glaubst du? Ich weiß es nicht genau«, antwortete Dursun.
Von links klang Alis Stimme: »Hier ist es!«
»Hier? Wo denn?«
»Ja, hier muss es sein. Es riecht nach umgepflügter Erde.«
Dursun blieb stehen, zog tief die Luft ein. »Ja, du hast recht.«
Von vorn rief Osman: »Ich laufe auf umgepflügtem Boden!«
Ali antwortete: »Ich auch.«
Neben ihnen angelangt, sagte Dursun: »Jetzt müssen wir die Stelle finden, wo er zuletzt geackert hat.«
»Die finden wir leicht«, meinte Osman.
»Mich frierts«, sagte Ali.
Dursun beschwichtigte ihn: »Zuerst müssen wir ihn finden, danach …«
Plötzlich rief er zurück: »Hier ist die letzte Furche! Er hat überhaupt nicht geackert heute!«
Ali folgte ihm, sich mit den Füßen vortastend. Nachdem er entlang der Grenze des umgepflügten Landes hin- und hergegangen war, sagte er: »Wahrhaftig! Das Stück Land ist so liegen geblieben. Er hat gar nichts mehr daran gemacht.«
»Es wird ihm doch nichts passiert sein?«, meinte Dursun halb verblüfft, halb besorgt.
Osman lachte auf: »Dem und etwas passiert, des Teufels eigenem Bruder? So einem kann doch nichts passieren.«
»Du kennst ihn doch am besten, Onkel Dursun«, meinte Ali. »Kann dem etwas zustoßen?«
»Allah gebe, dass es so ist! Ist ein guter Junge, der Memed, und ein armes Waisenkind …«
Sie setzten sich auf das gepflügte Land, während Osman Holz und Zweige zusammentrug und Feuer machte. Um die Flammen hockend, beredeten sie alle Möglichkeiten. Memed konnte von einem Wolf angefallen worden sein. Ein Räuber konnte ihm die Ochsen weggenommen haben. Noch vieles konnte geschehen sein, und sie fanden kein Ende und konnten sich für keine der vielen Möglichkeiten entscheiden.
In Dursuns vom Widerschein der Flammen kupfern glänzendem Gesicht war der Anflug eines zufriedenen Lächelns. Das Feuer ließ nach, bis nur noch glimmende Reste von ihm übrig waren. Es war ihnen beklommen zumute. Ali stimmte ein Lied an, eine melancholische Weise, die in die Nacht hinausklang:
»Ich schirre den Wagen vor meinem Haus
Kummerschwer weiß mein Herz nicht ein mehr noch aus
Ach, auf das heilige Buch will den Eid ich schwören
Nie soll mein Merhaba andern als dir gehören.«
Sie fröstelten, und Osman sammelte neues Reisig, um das Feuer wieder zum Leben zu erwecken. Dursun und Ali halfen ihm dabei, sodass sie einen großen Reisighaufen neben dem Feuer aufschichten konnten.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Osman. »Es hat keinen Zweck, jetzt mit leeren Händen zurückzukommen. Abdi Aga würde die Hölle über uns loslassen. Das Beste ist, wir bleiben die Nacht über hier. Wenn es Tag ist, werden wir ihn schon finden.«
»Memed finden wir sowieso nicht mehr. Der ist über alle Berge in jenes Dorf«, meinte Ali. »Ich möchte ja gern wissen, wo das sein soll, aber er hat von nichts anderem mehr gesprochen.«
Dursun lachte nur.
Während Ali beim Feuer Wache hielt, um es nicht verlöschen zu lassen, legten sich die beiden anderen zum Schlafen nieder. Ali saß unbeweglich und starrte in die Flammen. Einmal wandte er den Kopf vom Feuer ab ins Dunkel.
»Er ist weg«, sprach er zu sich selbst. »Gut so. In diese Kristallstadt ist er gegangen, nach Yüreğir mit dem warmen Boden. Tausendmal recht hat er.«
Später weckte er Osman und ließ sich von ihm ablösen. Auch er legte sich jetzt hin, bettete den Kopf auf eine Erdscholle. Bevor er einschlief, murmelte er: »Der ist dorthin gegangen, der Memed, meinst du nicht, Osman? In die Gegend, von der uns Dursun erzählt hat.«
»Ja«, sagte Osman nur.
Alle drei erwachten gleichzeitig, als die Morgendämmerung das erste fahle Licht warf. Im Osten verteilte sich ein leichtes Rot über dem Horizont, fasste die Ränder der Wolken ein, die kurz danach in ein reines Weiß übergingen. Eine kühle, aber angenehme Morgenbrise kam auf. Bald ließ sich die Umgebung klar erkennen. Jenseits des frisch gepflügten Ackerlands erstreckte sich die Distelwildnis bis an den Horizont, wo jetzt die Sonne aufging.
Die drei erhoben sich schwerfällig in der Mitte des Feldes. Langsam wanderten große Schatten westwärts. Alle zugleich reckten sie sich die Müdigkeit aus den Gliedern, und alle zugleich hockten sie sich nieder und pinkelten.
Sie reckten sich wieder, um die Müdigkeit zu vertreiben, während sie über Memeds Ackerland stapften.
»Da, seht die Spuren!«, rief Osman plötzlich aus. »Hier sind die Ochsen vor dem Pflug gegangen … Jetzt müssen wir den Spuren folgen!«
An einer Stelle blieben sie lange stehen und sprachen miteinander. Da hatten zwei Ochsen am Boden gelegen, man konnte es an den großen, muldenartigen Körpereindrücken sehen. Man sah auch, dass sie mit Joch und angeschirrtem Pflug gelegen hatten.
Die junge Sonne begann, ihre erste Wärme über das Land zu verbreiten. Aus der Distelwüste heraustretend, kamen sie an einen Wasserlauf. Mit einem Mal stieß Ali einen Schrei aus. Im Nu waren die beiden anderen neben ihm. Da standen die Ochsen, ins Joch geschirrt, und den Pflug hinter sich! Eines der Tiere war rot, das andere violett. Beiden standen die Knochen weit heraus.
Osman war ganz blass geworden. »Mit dem Jungen ist etwas los. Wenn er nur geflüchtet wäre, hätte er die Ochsen nicht einfach im Geschirr stehen lassen. Da ist etwas anderes passiert!«
»Ein Dreck ist passiert!«, sagte Ali. »Der schlaue Kerl hat sie so stehen lassen und ist auf und davon in sein Dorf!«
Osman wurde wütend: »Was soll das verdammte Gefasel? Das Dorf gibt es doch gar nicht.«
»Nun seid mal friedlich, Burschen«, griff Dursun lächelnd ein. »Fangt mir bloß keinen Streit an.«
Sie trieben die Ochsen vor sich her. Als sie im Dorf anlangten, war es schon heller Tag. Vom Berg gegenüber hob sich langsam der Nebel. Die Frauen, die Kinder und das Jungvolk des Dorfes hockten fast vollzählig um Döne herum. Als sie die drei Tagelöhner mit dem Ochsengespann kommen sahen, standen alle auf, starrten mit aufgerissenen Augen schweigend auf die Gruppe wie auf eine furchtbare Offenbarung. Döne lief aufschreiend auf die Ochsen zu: »Dursun! Wo ist mein Kind?«
Dursun zuckte die Achseln: »Wir haben sie so im Tal gefunden, die Ochsen.«
Die Frau schlug sich mit den Fäusten auf die Brust: »Oh, mein armer Memed, mein armes Waisenkind!«
»Nun reg dich doch nicht so auf, Schwester«, versuchte Dursun, die Verzweifelte zu beruhigen. »Es wird ihm schon nichts geschehen sein. Ich gehe noch mal los, ihn suchen. Ich finde ihn schon.«
Döne hörte ihn nicht. Von Schluchzen über und über geschüttelt, warf sie sich in den weißen Staub, der ihr Haar überzog, ihr in die Augen drang und, vermischt mit ihren Tränen, ihr Gesicht unkenntlich machte. Die Menge stand schweigend. Die Blicke wanderten von der am Boden wimmernden Döne zu den Ochsen. Zwei Frauen lösten sich aus der Gruppe, gingen auf die halb ohnmächtig Daliegende zu, ergriffen ihre Arme und zogen sie hoch. Der Kopf hing ihr wie leblos auf die linke Schulter herab. Sie fassten sie unter, um sie in ihr Haus zu bringen.
Sobald Döne fortgebracht war, kam Bewegung in die Umstehenden. Die alte Cennet, eine hagere, verrunzelte Frau, die man Cennet das Pferdegesicht nannte, sprach zuerst. »Die arme Döne!«, sagte sie. »Was ist denn mit ihrem Sohn?«
»Der ist tot. Wenn er noch am Leben wäre, müsste er jetzt da sein«, antwortete eine andere. Das war die gedrungene Elif, die sich wegen ihrer Unglücksprophezeiungen als Unke im Dorf einen Namen gemacht hatte. Die schicksalsschweren Worte wurden von Mund zu Mund weitergegeben:
»Memed ist tot …«
Wieder war Elif zu hören: »Sicher haben ihn die Feinde seines Vaters umgebracht.«
»Unsinn!«, entgegnete die alte Cennet. »Sein Vater hatte keine Feinde. Der Ibrahim, der hat keiner Fliege etwas getan.«
Durch die wogende Menge der Frauen mit ihren weißen Kopftüchern, bunt bedruckten Kattungewändern, ihrem Fez und auf den Stirnen klimpernden Kupfermünzen pflanzte es sich wie ein Kanon fort: »Ibrahim hat keinem etwas getan! Armer Memed! Blind werden soll der Heide, der ihm was zugefügt hat.«
Dann verbreiteten sich einige Worte, bei denen man nicht wusste, wer zuerst auf den schrecklichen Einfall gekommen war: »Döne soll schauen, über welchen Plätzen die Adler kreisen. Da soll sie hingehen, wenn sie ihn wiederfinden will.«
»Ja, wo etwas Totes liegt, da kreisen die Adler …«
»Und wenn er ins Wasser gestürzt ist?«
Plötzlich wandte sich die Menge an die Frau, die das eben geäußert hatte. Es war im Nu still. Die Menge verharrte im Schweigen, um sich alsbald wieder zu beleben.
»Vielleicht ist er ins Wasser gefallen.«
»… ins Wasser gefallen.«
»… ins Wasser …«
Plötzlich setzte sich die Menge ostwärts in Bewegung, die barfüßigen Kinder an der Spitze, dann folgten die Frauen, mit bloßen Füßen auch sie. Die Kleinen bahnten den Weg durch das Distelgestrüpp, mit blutüberströmten Beinen. Die Frauen folgten, die Graudisteln verfluchend. Hinter dem Distelfeld lag die Felsengruppe vor ihnen. Jetzt gingen die Frauen voran, die erschöpften, blutenden Kinder blieben zurück. Als sie an der rauschenden großen Platane angekommen waren, hatten auch die Kräfte der meisten Frauen nachgelassen. Als sie das Brodeln des Wassers hörten, blieben sie stehen, um nach einem Augenblick des Atemholens geschlossen, wie eine Herde, auf das Wasserloch zuzulaufen, das von dem unter dem Felsen hervorschießenden Wasser zu einem großen Becken ausgehöhlt worden war. Eine nach der anderen trat heran, blickte verstört auf die gurgelnde, wirbelnde Fläche über der unheimlichen Tiefe. Im Halbkreis standen sie darum herum. Ein paar Blätter trieben wirbelnd obenauf, immer an der gleichen Stelle, ohne fortgespült zu werden.
Nachdem die Frauen lange stumm auf das Toben des Wassers gestarrt hatten, sagte die alte Cennet unvermittelt: »Er wäre wieder nach oben gekommen, wenn er hier hineingefallen wäre.«