Naytnal - Dust of the twilight (deutsche Version) - Elias J. Connor - E-Book

Naytnal - Dust of the twilight (deutsche Version) E-Book

Elias J. Connor

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Beschreibung

Kitty und ihre Adoptivschwester Jojo sind genervt. Ihre Mutter hat einen neuen Freund, und dann taucht auch noch ihre seltsame Tante Missy, die Jahre lang verschollen war, plötzlich auf. Zeitgleich sucht ein immer wiederkehrender Albtraum immer mehr Bewohner in Lantyan heim. Was für ein Glück, dass Kitty und Jojo ausgerechnet jetzt eine Nachricht aus Naytnal erhalten. Der Stern der Reiche, wie man Naytnal auch nennt, braucht Kittys und Jojos Hilfe. Kitty und Jojo haben eine schwere Mission vor sich, denn das Düstere droht, den Stern der Reiche heimzusuchen. Die Albträume erhalten auch hier Einzug, und das Böse verbreitet sich schnell. Kitty und Jojo stehen vor einem großen Rätsel. Ausgerechnet dann taucht in Kittys seltsamen Träumen ein junger Mann auf, der die Liebe zwischen ihr und Dennis aufs Gröbste gefährdet. Bald weiß Kitty nicht mehr, was real ist und was nicht... Der dritte Band der Fantasy-Serie NAYTNAL aus der Feder von Elias J. Connor – düster, emotional und geheimnisvoll.

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Elias J. Connor

Naytnal - Dust of the twilight (deutsche Version)

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Kapitel 1 - Unheimlcher Nebel

Kapitel 2 - Der längste Tag des Jahres

Kapitel 3 - Träume im Zwielicht

Kapitel 4 - Lantyans Insomnia

Kapitel 5 - Zwischenwelt

Kapitel 6 - Im Tausend Nächte Schlaf Reich

Kapitel 7 – Millionen Farben

Kapitel 8 - Die geheime Insel

Kapitel 9 - Sturm auf dem Ozean

Kapitel 10 - Die silbernen Ritter

Kapitel 11 - Die Schlacht im Tal der Shor'zéen

Kapitel 12 - Nur Liebe kann so weh tun

Über den Autor Elias J. Connor

Impressum

Widmung

Für Jana.

Meine Fiancee. Meine Muse. Meine Inspiration.

Ich liebe dich.

Kapitel 1 - Unheimlcher Nebel

Ein Ast bewegte sich sachte im Wind, und seine Blätter ließen dabei ein sanftes Rauschen entstehen. Als ein Vogel sich auf ihn setzte, bewegte sich das Geäst einige Male heftig hin und her, was zur Folge hatte, dass einige Blätter von dem Baum herunter fielen, zu dem es gehörte. Der Vogel schien völlig außer Atem zu sein. Jedenfalls sah es beinahe so aus, als würde er tief durchatmen.

Der Vogel blickte sich ein paar Mal um. Dann zwitscherte er vergnügt. Nachdem er einige Minuten so da saß, tapste er etwas schusselig auf dem Ast herum. Schließlich erblickte er einige Blüten. Schnell huschte er in die Höhe – und dabei bewegte er seine Flügel so schnell, dass er wie eine Libelle mitten in der Luft stehen blieb. Er hielt dann seinen langen, dünnen Schnabel in eine der Blüten und trank ihren Nektar.

Erst jetzt konnte man erkennen, dass der kleine Vogel ein Kolibri war, bunt und graziös wie ein Schmetterling. Und so graziös wie er eben noch in der Luft hing und Blütennektar trank, schwebte er wieder hinunter und setzte sich neben eine Wurzel des großen Baumes.

Am Horizont, hinter den Hügeln, ging langsam die Sonne auf. Ein zartes Morgenrot breitete sich im ganzen Tal aus, und im tiefen Osten sah man noch einen Stern, den einzigen, der es mit seinem Schein noch schaffte, gegen das beginnende Sonnenlicht anzukommen.

Nur einige kleine Wolken schwebten am Himmel entlang. Und es war ziemlich warm dafür, dass es erst etwa fünf Uhr morgens war. Das ganze Tal konnte sich sicherlich auf einen herrlichen Tag freuen.

Als der Kolibri ein Eichhörnchen erblickte, welches gerade unter den Wurzeln des Baumes hervor kroch, flog er ganz schnell wieder in die Höhe und setzte sich auf einen Ast sehr weit oben. Wieder verlor der Baum daraufhin einige bereits welke Blätter. Und eins davon traf das kleine Eichhörnchen. Verdutzt schaute es am Baum entlang. Dann schüttelte es seinen Kopf und fing damit an, in der Erde nach etwas zu suchen.

Plötzlich erschrak das Eichhörnchen. Ein Rattern war zu hören, und sachte breitete es sich durch das Tal aus. Die Hügel in der Ferne ließen sein Echo wieder hallen. Schnell versteckte sich das Eichhörnchen unter einer großen Wurzel und spähte dann neugierig hervor, um die Ursache des Ratterns festzustellen.

Ein Mädchen in einem kurzen Sommerkleid fuhr langsam auf einem Fahrrad einen Weg entlang, der neben dem Baum vorbei führte. Als es das Eichhörnchen erblickte, hielt das Mädchen ihr Fahrrad an und stieg ab. Sie streifte sich vorsichtig ihre hellbraunen Haare aus dem Gesicht und schob zwei kleine, wunderschön geflochtene Zöpfe hinter ihre Ohren.

Das Mädchen mochte etwa 17 Jahre alt sein. Sie trug eine moderne Frisur, und ihr Kleid war ebenfalls sehr modisch.

Sachte lief sie auf den Baum zu, unter dem sich das Eichhörnchen versteckt hatte. Dort angekommen, ging sie ganz langsam in die Knie und streckte eine Hand aus. Als das Eichhörnchen neugierig herauslugte, lächelte das Mädchen es an.

Daraufhin vergaß das Eichhörnchen seine Angst. Gekonnt tapste es unter der Wurzel hervor und sprang mit einem Satz dem Mädchen in die Hand. Dann huschte es über ihren Arm und setzte sich auf ihre Schulter.

Das Mädchen kramte dann ganz vorsichtig in einer Tasche ihres Kleides und holte ein paar Erdnüsse heraus. Als sie dem Eichhörnchen eine davon hin hielt, nahm es sie an und fraß sie. Dann hielt das Mädchen ihm eine zweite Erdnuss hin, und auch diese nahm das Eichhörnchen. Auch eine dritte Nuss, die das Mädchen dem Eichhörnchen gab, nahm es an.

Und ganz oben im Baum saß der Kolibri und begutachtete verwundert die Szenerie mit dem Mädchen und dem Eichhörnchen.

Plötzlich gab es einen lauten Knall, der ruckartig die Ruhe im gesamten Tal störte. Der Kolibri erschrak daraufhin. Flugs schnellte er in die Höhe und flog eilig davon. Und auch das Eichhörnchen erschrak so sehr, dass es schnell von den Schultern des Mädchens hinunter hüpfte und in den Boden verschwand.

Das Mädchen konnte vor Schreck kaum mehr atmen. Sie fasste sich an ihr Herz. Dann drehte sie sich langsam um und konnte nicht glauben, was sie dann hinter sich sah. Schneller als ein Blitz lief das Mädchen wieder zu ihrem Fahrrad, setzte sich darauf und begann zu strampeln, was das Zeug hielt. Was um alles in der Welt hatte den Kolibri, das kleine Eichhörnchen und das Mädchen so erschreckt, dass sie alle in Windeseile davonliefen?

Plötzlich, wie aus dem Nichts, entstand eine riesige Nebelwand im Tal. Sie war mehrere hundert Meter hoch und weit, und sie schien so dicht zu sein, dass man nicht durch sie hindurch sehen konnte. Im Morgengrauen sah die Nebelwand absolut gespenstisch, gar gruselig aus. Und sie ließ das ganze Tal in einem merkwürdigen, bizarren Licht erscheinen.

Der Wind bewegte den Nebel. Wie eine riesige Gardine, die vor einem offenen Fenster hängt, wog die Nebelwand langsam hin und her. Und mit jeder Bewegung blitzte das Weiß in merkwürdigen, seltsamen Lichtscheinen – so als bestünde die ganze Nebelwand aus Tausenden von weißen Farben. Und das Licht der aufgehenden Sonne, die sich im Nebel spiegelte, unterstützte diesen Effekt noch zusätzlich. Man könnte beinahe sagen, das ganze Gebilde sähe aus wie ein Polarlicht am Tag – aber das konnte ja nicht sein, denn Polarlichter sieht man nur in der Nacht, und außerdem gab es sie niemals in diesen Gefilden, wo sich dieses große Tal befand.

Plötzlich ertönte ein seltsam klingendes Geräusch, das offenbar auch aus dem Nebel kam. Es war blechern und metallisch. Es hörte sich an wie ein Summen, ein sehr, sehr tiefes Summen. So tief beinahe, dass man es kaum mehr wahrnehmen konnte.

Mit einem Mal – und das geschah innerhalb weniger Sekunden – öffnete sich die ganze Nebelwand plötzlich. Sie teilte sich in zwei voneinander unabhängige Teile, so als habe sie jemand mit einem riesigen Messer säuberlich getrennt. Und dabei wurde das metallische Geräusch, das Summen, lauter und höher. Es änderte sich in immer lautere und höhere Frequenzen. Bis es beinahe wie der Schrei einer Fledermaus klang.

Am unteren Ende der Nebelwand, auf dem Boden, trat plötzlich eine Person heraus. Langsam und im Gleichschritt.

Die Person war eine Frau. Eine sehr schöne Frau. Sie war blondhaarig, hatte schulterlanges Haar und eine eigenartige Hose und eine noch eigenartigere Jacke an. Die Jacke war schwarz und glänzte ganz seltsam, so als sei sie mit Silberstreifen durchzogen. Die Hose hatte ein ähnliches Muster wie die Jacke. Und sie hatte auf beiden Hosenbeinen jeweils einen weißen Blitz aufgemalt. Ein Blitz, wie er auch auf dem Rücken der Jacke zu sehen war.

Die fremde Frau trat gleichmäßig einige Schritte nach vorne. Schließlich blieb sie stehen und drehte sich dann herum – nach dort, von wo sie eben hinaus geschritten war.

Aber kaum dass sich die Frau umgedreht und hingesehen hatte, verschwand plötzlich auf seltsame Weise der ganze Nebel. So geheimnisvoll wie er gerade auftauchte, so geheimnisvoll verschwand er wieder ins Nichts. So als sei die ganze Nebelwand gar nicht da gewesen.

Die Frau schien sich nicht darüber zu wundern. Sie schien vielleicht erwartet zu haben, dass dies geschehen würde. Oder vielleicht dachte sie gar nicht darüber nach.

Das Tal verstummte nun wieder völlig. Einzig und allein das Rauschen des Windes und das Rascheln der Blätter waren noch zu hören.

Die Frau schüttelte kurz ihren Kopf. Sie schien Sand in den Haaren zu haben, den sie sich nun mit ihrer Hand heraus wischte. Dann nahm sie sich eine Bürste aus einer Tasche, die sie bei sich trug. Nachdem sie sich die Haare gebürstet hatte, sah sie weiter vorne eine kleine Holzbank, die direkt neben einem Brunnen lag. Langsam – und jetzt sah es beinahe beschwerlich aus – schlurfte die Frau zu dem Brunnen. Sie zog einige Male am Pumphebel, bis etwas Wasser aus dem Hahn kam. Dann hielt sie ihre Hände darunter. Sie trank mehrere Schluck von dem Wasser und machte sich schließlich das Gesicht nass. Als sie fertig war, setzte sie sich auf die Bank und ruhte sich eine Weile aus.

Die Frau mochte Mitte 50 gewesen sein, so genau konnte man das nicht sagen. In ihrer seltsamen Kleidung sah sie jünger aus. Sie atmete erschöpft.

Alles schien plötzlich wie vorher zu sein, als die Sonne dann schließlich ganz hinter dem Horizont hervorkam, und auch das Licht des letzten hellen Sterns der Nacht verschwand. Leises Vogelgezwitscher kam wieder aus den nahe gelegenen Bäumen hervor – offenbar sind die Vögel, die vor der Nebelwand geflohen sind, nun wieder zurückgekommen.

Einsam und alleine saß die fremde Frau noch immer Gedanken verloren auf der Holzbank und bestaunte und belauschte die Szenerie dieses Morgens.

Plötzlich erhob sie sich wieder. Nun hatte sie offenbar Kraft genug getankt. Sie machte ihre Tasche zu, hing sie sich wieder um, und dann erspähte sie einen Weg rechts von sich, der sich durch unzählige, große Weiden schlängelte. Sie lief zu dem Weg hin. Und dann lief sie langsam los. Langsam und gleichmäßig. Und müde. Etwas muss mit ihr geschehen sein, dass sie so außer Atem war, so müde schien und sich so schwach fühlte.

Und als der Kolibri und das Eichhörnchen wieder zu dem Baum zurückkamen, wo sie sich vorhin aufhielten, war die geheimnisvolle, fremde Frau bereits hinter dem ersten Hügel verschwunden.

Kapitel 2 - Der längste Tag des Jahres

Die Tannen und Kiefern rings um den Hof waren riesig. Aber ein Baum überragte sie schon seit allen Zeiten. Es war die große Tanne, die mitten auf dem Hof stand. Als sie damals diesen Komplex bauten, wollten manche von ihnen die große Tanne abreißen. Aber dann hat man sie kurzerhand unter Naturschutz gestellt – und so blieb sie stehen, und man baute eine Bank um sie herum.

Der Platz hier draußen an der Tanne war gemütlich. Viele Leute setzten sich in den Pausen einfach hier hin. Oder sie lernten. Oder die Lehrer bereiteten ihre nächste Stunde vor. An den Nachmittagen ruhten sich viele hier einfach ein bisschen aus. Und in den Abendstunden gab es öfters mal Feten, Grillfeste und andere Partys, jetzt wo es endlich Sommer wurde.

In den frühen Morgenstunden dieses herrlichen Tages war es hier zwar schon richtig warm, aber trotzdem war es offenbar noch viel zu früh, dass man jemanden an der großen Tanne inmitten des Schulhofes antreffen könnte. Und selbst für ein Internat, wo man meinte, dass viele früh aufstehen, war kurz vor halb acht einfach noch zu früh.

Der Wind, auch wenn er nur sanft wehte, ließ die große Tanne unmerklich schwanken. Man konnte es sehen, wenn man ganz oben an die Spitze schaute.

In den frühen Morgenstunden dieses Tages war es für die Uhrzeit natürlich auch noch dementsprechend ruhig auf dem ganzen Hof. Und leise. So leise, dass man sogar das Heulen von Wölfen oder das Röhren von Hirschen bis hierher hören konnte.

Aber die Ruhe wurde dann plötzlich abrupt unterbrochen. Ein Mädchen, das auf einem Fahrrad fuhr, schoss nämlich auf einmal mit einem Affenzahn hinter einem Busch hervor und fuhr dann mitten auf den Hof. Dort drehte sie einige ziellose Kreise.

In der Nähe einer Treppe, die zu den Tennisplätzen führte, befanden sich die Abstellbuchten für die Fahrräder. Unzählige Räder waren dort abgestellt. Das Mädchen verringerte nun ihre Geschwindigkeit. Während sie dahinschlenderte, suchte sie nach einer freien Ecke für ihr Rad. Schließlich fand sie eine, und dann stieg das Mädchen ab.

Geschickt lenkte sie sein Rad in die dafür vorgesehene Halterung. Ebenso geschickt montierte sie das Fahrradschloss daran und schloss dann das Rad ab.

Kaum, dass das Mädchen damit fertig war, atmete sie erst mal tief aus. Sie muss schnell gefahren sein. Oder sehr lange, das konnte man ihr nicht genau ansehen. Sie schien jedenfalls ziemlich abgehetzt zu sein. Still stand sie da und sah in den Himmel. Ihre Augen waren groß. Und ihr Haar war hellbraun, knapp schulterlang und frech geschnitten. Zwei coole, geflochtene Zöpfe hingen in zwei roten Strähnchen hinter den Ohren. Das heißt, einer der beiden Strähnen verdeckte eher momentan das Gesicht des Mädchens. Sanft schob sie sich die Strähne aus ihrem Gesicht.

Anscheinend dachte das Mädchen über irgendetwas Bestimmtes nach. Jedenfalls schüttelte sie den Kopf, dann machte sie sich auf den Weg, in das große Haus aus Holz hineinzugehen, welches den großen Hof umrandete.

Lantyan – das geheimnisvollste aller Internate. Wer hierher kam, konnte sich mächtig stolz schätzen. Fast alle Kinder aus Amerika wünschten sich, einmal ein Jahr lang hier verbringen zu dürfen. Natürlich ist bei einer solch langen Warteliste die Anforderung sehr hoch, hier rein zu kommen. Man muss schwere Prüfungen mitmachen. Man muss wissenschaftlich interessiert sein – denn Lantyan ist eine sehr Wissenschaft orientierte Schule mit Schwerpunkten wie Physik, Mathematik, amerikanische Geschichte und ähnliche Dinge. Man sollte meinen, dass dies eher die Kinder abschrecken würde – aber Tatsache war, dass immer mehr Kinder nach Lantyan wollten. Sogar schon Kindergartenkinder wünschten sich vom Weihnachtsmann eine Nacht in Lantyan.

Es war nicht etwa nur die Wissenschaft, die die Kinder hierher lockte. Man erzählt sich nämlich, dass Lantyan ein großes Geheimnis birgt. Und genau das ist es, was die Kinder hierher zieht. Genau deswegen wollten so viele hierher kommen. Aber nur die Wenigsten schafften es tatsächlich, die harten Aufnahmeprüfungen zu bestehen. Und irgendwie sollte es auch gut sein, dass nicht jeder das Geheimnis von Lantyan kennen durfte.

Die Jugendliche mit den dunkelblonden Haaren lief nun zu einem großen Eingang, der sich in der Mitte des riesigen Gebäudekomplexes befand. Die zwei großen Glastüren waren von einem schön verzierten Holzrahmen umrandet. Und alle Fenster dieses Hauses hatten ähnlich verzierte Rahmen. Und wunderschöne Rollläden. Das Gebäude war wie ein U geschnitten, und in dessen Mitte befand sich der Hof mit dem großen Baum. Und vor jedem Fenster gab es kleine Balkons mit kleinen blühenden Blumenkästen.

Sie kam in ein großes Treppenhaus hinein. Angenehmes Licht leuchtete hier in die großen, oberhalb liegenden Fenster hinein, die es voll beleuchteten. Langsam stapfte sie nach oben. Sie zog sich dabei am Treppengeländer entlang.

Ein paar andere Schülerinnen und Schüler waren schon dabei, in den großen Frühstückssaal zu gehen, der sich rechts vom Treppenhaus befand. Es war jetzt viertel vor acht, und die Schule beginnt immer erst um neun Uhr. Aber wenn die Schüler schon früher wach waren, warum sollten sie nicht schon mal frühstücken? Jedenfalls konnte man jeden Morgen ab sieben Frühstück bekommen, auch am Wochenende.

Als sie daraufhin einen Flur betrat, kamen ihr auf dem roten Teppich drei oder vier Kinder entgegen gestürmt, von denen eines sie anrempelte.

„Oh... sorry, Sydney“, entschuldigte sich der etwa 13-jährige Junge sofort. Offenbar kannte er das Mädchen. „Habe es voll eilig. Totalen Hunger.“ Und schon schwirrte er wieder davon.

Sydney musste kurz grinsen. Dann aber lief sie weiter. Hier auf dem Flur hatten die Zimmertüren Nummern, wie im Hotel. Aber die Namen der Bewohner standen ebenfalls daran. Als Sydney an einer Türe mit der Aufschrift Sydney Loona und Natalie Cox angelangt war, öffnete sie diese Türe und ging hinein.

„He, Sydney!“, freute sich ein Mädchen, das gerade auf ihrem Bett saß und eigenartig aussehende Aerobic-Übungen machte. „Da bist du ja. Wo warst du?“

„Frag lieber nicht.“ Sydney schmiss sich aufs Bett und streckte ihre Beine und Arme von sich.

Natalie war wie Sydney 17 Jahre alt und Sydneys beste Freundin. Schon seit einiger Zeit teilten sich die beiden hier auf Lantyan das Zimmer. Sydney kam erst vor drei Monaten hierher. Sie hatte Glück, dass sie mitten im Schuljahr einen Platz bekommen hatte. Und schon seit sie hier war, war sie mit Natalie befreundet. Na, ja, eigentlich dauerte es einige Wochen, ehe sie sich anfreundeten. Denn Natalie war bislang die beliebteste Schülerin der Klasse. Mit ihren hellbraunen, langen Haaren verdrehte sie ihren Klassenkameraden den Kopf. Und Sydney avancierte, als sie kam, sehr schnell zu Natalies Konkurrentin. Aber schließlich rauften sie sich doch zusammen. Und dann wurden sie unzertrennlich.

„Wieder schlecht geschlafen?“, fragte Natalie, während sie aufstand und aus ihrer Tasche ein Mathe-Buch herausholte.

„Schlecht?“ Sydney sah zu ihrer Freundin herüber. „Überhaupt nicht!“, betonte sie. „Gegen Mitternacht habe ich gedacht, ich gehe mal etwas an die frische Luft. Gegen drei war ich schon mit dem Fahrrad auf den Feldern unterwegs. Und dann bin ich gefahren und gefahren. Bis dann plötzlich...“

Natalie hörte ihr gespannt zu. Aber Sydney redete nicht weiter.

„Bis was? Sag schon!“, drängelte Natalie.

„Ach, nichts.“

Natalie konnte das nicht verstehen. Sie hatten noch nie Geheimnisse voreinander. Und jetzt gab es etwas, was Sydney offenbar gesehen oder erlebt hatte, und sie wollte es Natalie nicht sagen.

„Bist du noch dabei, für deine Prüfung zu lernen?“, versuchte Sydney Natalie stattdessen abzulenken. Das Manöver schien zu klappen.

„Ja“, antwortete Natalie. Dann hob sie ihre Schultern kurz an. „Ich schaffe es ja doch nicht.“

„Wir müssen es halt versuchen.“

Sydney kannte Natalies Problem. Und sie hatte das Gleiche, nur nicht in Mathe, sondern in Latein. Und wenn nichts mehr bei der Nachprüfung geschehen sollte, müssten Sydney und auch Natalie das Jahr wiederholen.

„Hast du etwa die ganze Zeit gelernt?“, fragte Sydney.

„Nein, nur drei oder vier Stunden.“

„Von wann an?“ Sydney schaute Natalie streng an – aber was sollte sie ihr sagen? Schließlich war sie ja selbst die ganze Nacht draußen. Deshalb war sie auch nicht böse, dass Natalie die Frage einfach überhörte.

Schließlich klappte Natalie ihr Buch zu und legte es weg. „Was soll’s“, sagte sie. „Gehen wir frühstücken.“

Wenig später stapften Natalie und Sydney auf den mittlerweile gut besuchten Gang und liefen hinunter zum Speisesaal.

Es gab drei kleine Hütten, die in der Nähe des großen Gebäudekomplexes lagen. Eigentlich waren es Holzhäuser, aber in den Tälern von Colorado nannte man sie Hütten. Sie waren groß genug, um dort mit fünf oder sechs Leuten zu wohnen.

Eine der Hütten sah leicht verdreckt aus. In ihr wohnte der Hausmeister. Er hatte vielerlei handwerkliche Arbeiten zu verrichten, und das meiste davon machte er direkt in seinem Garten. Klar, dass sich Altmetall, Holz, Staub und Sägespäne in seinem Garten stapelten.

In der anderen Hütte wohnte Mr. Templeton, der frühere Schuldirektor, der aber immer noch als Lehrer unterrichtete. Sein Haus sah sauber aus, und jetzt im Sommer blühten viele Pflanzen in seinem Garten. Mr. Templeton sammelte exotische Blumen. Leider wurde es hier in Colorado, auch wenn das Dörfchen in einem großen Tal lag, im Winter schon ziemlich kalt, und so weigerten sich manche Pflanzen einfach, aufzugehen.

Aber jetzt war es ja Sommer, wie gesagt. Und vor der Terrasse der dritten und größten Hütte saß eine junge Person, vielleicht 16 oder 17, in kurzen Hosen und einem lustigen T-Shirt. Sie hielt ein Buch in ihrer Hand und schien offenbar sehr darin vertieft zu sein. Die ganze Zeit sah sie aus wie eingefroren. Wie gemalt. Nur ihre mittellangen Haare, die golden in der Morgensonne glänzten, wehten im Windhauch ab und an hin und her. Manchmal wehte der Wind ihre Haare vor die Augen, dann musste sie sie weg streifen. Aber so saß sie einfach da und las die ganze Zeit.

Auf ihrem T-Shirt war ein seltsames Motiv zu sehen. Sie wusste auch nicht, warum es ihr so gefiel, denn eigentlich war das Bild etwas gruselig. Es zeigte eine Burg, eingekesselt von zwei riesigen Schwertern. Die Burg war dunkelrot. Wie Sandstein, nur noch viel roter.

Das Buch, das das Mädchen in den Händen hielt, war ein hellblaues Buch. Sein Titel war „Die Amerikanische Geschichte der Neuzeit“ und prangerte in großen, dunklen Lettern auf dem Cover.

Als sie eine Seite umblättern wollte, versuchte sie dies ohne großen Aufwand zu tun, und möglichst ohne sich dabei zu bewegen. Sie legte das Buch auf ihre Knie und pustete darauf, so dass sich dann automatisch eine Seite umblättern würde. Aber offenbar hatte sie die Gesetze der Schwerkraft vergessen – denn plötzlich fiel das Buch hinunter auf den Boden. Mitten in den Sand, der sich über der ganzen Veranda ausbreitete.

Im selben Moment kam eine Frau aus dem Haus. Sie lächelte. Ihr blondes Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Und ihr heller, modischer Anzug schien das Sonnenlicht zu reflektieren.

„Du meine Güte...“, stammelte die Frau, als sie den Sand auf der Veranda erblickte. „Jojo, Schatz, ich dachte, ihr hättet aufgeräumt.“

„Ja, Mom“, entgegnete das Mädchen, ohne aufzublicken. „Ich meine, machen wir noch.“

„Was liest du da?“, fragte die Frau hektisch. „Habe ich dir nicht gesagt, du sollst deine Hausaufgaben nicht immer auf den letzten Drücker machen?“

„Ja, Mom“, sagte Jojo verlegen. Und mit einem Lächeln blickte sie ihre Mom dann schließlich an.

„Es gibt gleich Frühstück, Schatz. Wo ist Kitty?“

„Ich weiß nicht.“ Jojo packte ihr Buch weg und stand auf. „Wow, Mom, du siehst heute klasse aus.“

„Danke“, lächelte Jojos Mom verlegen.

Jojo ging dann, gefolgt von ihrer wunderschönen Mom, in die Küche der zweistöckigen Hütte. Sie schnappte sich zwei Toastbrote und eine Schale Müsli. Dann setzte sie sich an den runden Holztisch und goss sich noch ein Glas Orangensaft ein.

Wenig später kam ein anderes Mädchen eine Treppe herunter gehastet. Sie hatte lange, blonde Haare, die sie sich im Laufschritt mit einem Haargummi zu einem Pferdeschwanz zusammenband. Das Mädchen hatte ein echt cooles, sehr schönes Kleid an. Es war grün und hatte am unteren Ende sogar Rüschen.

Plötzlich blieb das Mädchen stehen. Dann blickte sie mit ihren großen Augen die Treppe hinauf. Sie lief schnell wieder nach oben, kramte etwas in ihrer Schublade und fand schließlich, was sie suchte – einen kleinen, blauen Ball. Den steckte sie dann in ihre Tasche hinein und polterte wieder vergnügt die Treppe hinunter.

Hätte man das Hüpfen des Mädchens verlangsamt, dann wäre aufgefallen, dass an ihrem Hals eine wunderschöne Kette baumelte. An ihr hing ein noch viel schönerer Anhänger, der silbern, fast bläulich, leuchtete. Der Anhänger zeigte ein sehr geheimnisvolles Motiv: eine Art Mondsichel glänzte wundervoll über einer Schraubenmuschel. Und an der Muschel waren zwei Federn dran. Sie waren nur mit einem ganz dünnen, fast unsichtbaren Stück mit der Muschel verbunden. Aber irgendetwas machte den Anhänger wohl so fest, dass er dennoch niemals hätte auseinander brechen können.

Vor der Küchentüre hing ein Spiegel, auf dessen Bord einige Schminkutensilien lagen. Als das Mädchen an ihm vorbei hüpfte, schnappte es sich schnell einen Lippenstift und malte noch eben schnell ihre Lippen an. Jetzt sah sie richtig cool aus.

„Kitty!“, rief eine Frauenstimme freundlich aber bestimmt aus der Küche. „Komm jetzt. Ihr müsst doch in zehn Minuten schon los.“

Kitty hüpfte in die Küche hinein. Als sie ihre Mom sah, sprang sie zu ihr und legte heftig beide Arme um sie. Dann drückte sie sie fest an sich.

„Ist ja gut, Schatz“, sagte Kittys und Jojos Mom Leonie. „Was ist denn nur mit dir los.“

„Ach, nichts, Mom“, sagte Kitty. „Ich wollte dich nur mal drücken.“

„So, jetzt mach' aber hin, ja?“

„Hey, Kitty...“, wunderte sich Jojo, als sie sie ansah.

„Was ist? Steht mir das nicht?“

„Klar“, lächelte Jojo. „Sieht irre klasse aus.“ Jojo schüttelte dann fragend den Kopf und hob ihre Arme. „Ich dachte nur, du machst dir nichts aus so Klamotten und Schminke.“

„Jojo, wie alt bin ich jetzt?“, fragte Kitty.

„Na... du wirst nächsten Monat 17 Jahre alt.“

„Genau“, stellte Kitty klar. „Dann wird es höchste Zeit, dass ich mal damit anfange.“

„Leute“, warf Leonie ein, die gerade dabei war, den Frühstückstisch von Dingen zu befreien, die momentan nicht mehr gebraucht würden. „Seht euch das hier mal an“, sagte sie, als sie dann einige Blätter Papier zusammensuchte. „Ihr kennt doch die ganzen Schulbands. Habt ihr nicht Lust, für das Sommerfest in drei Tagen diese Bewerbungen durchzusehen und eine Band auszusuchen, die an dem Abend spielen wird? Das könntet ihr doch heute Nachmittag machen.“

„Klar“, sagte Jojo.

„Machen wir gerne“, stimmte Kitty zu.

Just in diesem Moment ging die Türe der Hütte auf, und ein junger Mann von vielleicht 17 oder 18 Jahren betrat das Haus. Er sah gut aus – groß, schicke Frisur, mehr im Achtziger-Jahre-Stil, aber er mochte es wohl so – und er hatte einen schicken Anzug an.

„Guten Morgen, Mrs. Linnore“, grüßte er Kittys und Jojos Mom. „Morgen Jojo, morgen Süße. Ready for school?“

„Und ich weiß auch schon, wer uns dabei hilft“, beendete Kitty grinsend ihren Satz von vorhin. „Hallo, Dennis.“

Kitty stürmte auf ihn zu, umarmte ihn heftig und drückte ihm einen Kuss auf.

„Wobei hilft?“, fragte Dennis verdutzt.

„Das wirst du schon sehen. Heute Nachmittag“, erklärte Kitty. Dennis sah sie einfach an und schüttelte grinsend den Kopf.

Dennis war Kittys Freund. Schon seit über einem halben Jahr. Genauso lange lebte Dennis nun bereits hier auf Lantyan. Und seit er hier ankam – eigentlich schon vorher – waren Kitty und er unzertrennlich. Er war Kittys erste große Liebe, und sie auch seine.

Leonie Linnore hatte heute noch alle Hände voll zu tun – nicht nur, um das bevorstehende Schulfest auszurichten. Leonie war die Direktorin von Lantyan, dem Elite-Internat in Colorado/USA. Und sie war froh, dass ihre beiden Kinder mit ihrem Freund Dennis zusammen ihr ein bisschen für die Vorbereitung des Sommerfestes zur Hand gingen. In zwei Tagen begannen die Schulferien, und noch immer waren nicht alle Zeugnisse besprochen. Für heute und morgen hieß das noch einmal: Zeugniskonferenzen ohne Ende.

Leonie lebte auch erst seit einem halben Jahr hier. Und ebenso lange hatte sie erst die phantastische Stelle der Schuldirektorin intus. Klar, dass manche Aufgaben noch immer nicht so klappten wie sie eigentlich sollten. Kurz vor Weihnachten des vergangenen Jahres kaufte Leonie das wunderschöne Häuschen auf dem Schulgelände zwischen dem Pausenhof und den Tennisplätzen. Und hier lebte sie nun mit Kitty und Jojo.

Eine halbe Stunde war es jetzt noch, bis heute die Schule anfing. Kitty, Jojo und Dennis machten sich langsam auf den Weg in das große Schulgebäude. Ihre Klasse lag im Westflügel, wo die zehnten bis zwölften Klassen waren. Die Klasse von Kitty und Jojo hatte einen seltsamen aber schönen Namen: Klasse 11 Faylon. Kitty hatte der Klasse diesen Namen gegeben. Warum, das wusste sie nicht. Auch wusste sie nicht, was Faylon bedeutete. Aber irgendwie mochte sie aus irgendeinem Grund dieses Wort. Auch die Klasse von Dennis war hier. Er ging eine Jahrgangsstufe über Kitty und Jojo zur Schule. Seine Klasse hieß Klasse 12 Evandor. Es gab noch die Klassen Lythin oder Myraley oder Snoorulph und viele mehr – und alle Namen haben die Schüler erfunden.

Dennis, Kitty und Jojo liefen gerade an der großen Tanne in der Mitte des Schulhofes vorbei. Schon viele Kinder saßen unter ihr. Die meisten von ihnen spielten oder quatschten miteinander. Auf dem Schulhof wurde es jetzt schon langsam richtig voll.

Auch Lehrer liefen herum. Lantyan war alles andere als streng. Die Schüler hatten hier sehr viele Freiheiten. Sie konnten sich ihre Zeit oft selbst einteilen. Aber Leistung mussten sie schon bringen. Denn dafür wollten zu viele andere hierher, die es nicht schafften.

Kitty holte dann schließlich ihren blauen Ball, den sie vorhin zu Hause einpackte, aus ihrer Tasche. Jojo stellte sich daraufhin einige Meter von ihr in Position.

„Komm, Kitty“, sagte sie. „Wirf!“

Und Kitty warf den Ball. Er schnellte in die Höhe, in Jojos Richtung. Aber plötzlich – wie von Geisterhand gesteuert – blieb der Ball einfach stehen. Mitten in der Luft. Und dabei machte er ein wundersames, rauschendes Geräusch.

Sofort stellten sich einige Schüler um Kitty und Jojo herum. Mit verwunderten Blicken folgten sie ihrem Spiel.

Der Ball flog nach etwa einer Minute weiter, direkt in Jojos Hand.

„Ich bin schon viel besser geworden, nicht?“, sagte Kitty.

Jojo lachte. Dann hob sie den Arm in die Höhe, und warf den kleinen, blauen Ball in die Luft. Wieder blieb er auf einmal hoch über ihnen einfach in der Luft stehen. Die anderen staunten wortlos. Alle, die hier nun in der Nähe waren, schauten gebannt auf den Ball.

Plötzlich flog er weiter, und Kitty fing ihn auf.

„Nicht ganz eine halbe Minute“, lächelte Dennis, der neben Jojo stand. „Da musst du wohl noch etwas üben, Jojo.“

„Ich habe schon mal drei Minuten geschafft“, gab Jojo sich daraufhin an.

„Drei Minuten?“ Kitty schüttelte den Kopf. „Niemand schafft drei Minuten.“

„Habe ich wohl.“ Jojo legte ihre Hände auf ihre Hüften. „Lasst uns ein kleines Turnier machen. Beim Fest.“

„Na schön“, lachte Kitty.

Dann musste Jojo auch lachen und legte freundschaftlich den Arm um ihre Schwester. Die anderen begannen, zu flüstern. „Seltsamer Ball“, hörte man jemanden sagen. „Ich wusste, dass es wahr ist“, flüsterte eine anderes Schülerin.

Von den Gerüchten über Lantyans große Geheimnisse hörte man viel. Aber noch nie hatte ein Bewohner des Internats tatsächlich etwas davon gesehen.

Leonie hatte Kitty und Jojo eigentlich nicht erlaubt, den Ball der Tajunas mit in die Schule zu nehmen. Die anderen würden Fragen stellen, und dass nur ganz besondere Menschen das geheime Tor öffnen können, habe seinen Grund. Die Regeln seien so festgelegt, und nicht nur von denjenigen, die hier auf Lantyan leben.

Kitty und Jojo hatten noch viel mehr Dinge, die noch viel sonderbarer waren als dieser kleine Ball. Und auch Dennis hatte diese Dinge. Denn Kitty und Jojo gehörten zu diesen besonderen Menschen, für die das geheime Tor, von dem sich alle erzählten, offen stand. Jedoch mussten sie schon einen sehr, sehr wichtigen Grund haben, hindurch zu gehen.

Und Dennis – er gehörte nicht nur zu den besonderen Menschen. Dennis war jemand, der von der anderen Seite des geheimen Tors hierher kam. Er lief nie gerne Reklame damit, genau wie Kitty und Jojo. Zu sehr genossen sie das Dasein als ganz normale Menschen. Aber wenn jemand mal Hilfe brauchte, dann wandte er sich vertrauensvoll an sie.

Es klingelte zum Unterricht. Die meisten Schüler liefen nun in ihre Klassen. Dennis war bereits in seine Klasse gegangen. Aber Kitty und Jojo trödelten noch auf dem Hof herum.

„Meinst du, Leonie schimpft, wenn wir beim Fest ein Turnier mit dem Tajuna-Ball machen?“, wollte Jojo wissen.

„Glaub' ich nicht“, sagte Kitty. „He, Jojo... warum nennst du sie immer noch manchmal Leonie?“

„Weiß auch nicht“, lächelte Jojo. „Das alles ist noch viel zu schön. Ich habe wohl manchmal Angst, dass ich mich zu schnell dran gewöhne.“

„Na, umso schneller, desto besser, Schwesterherz“, witzelte Kitty. Jojo lächelte sie an.

Vor einem halben Jahr erst hatte Leonie Linnore Jojo adoptiert. Vor einem halben Jahr erst hatte auch Kitty ihre Mom Leonie endlich wieder in die Arme schließen können. Das erste Mal seit über zwölf Jahren. Leonie wusste bis dahin nämlich nicht, dass Kitty hier im Internat Lantyan lebte. Und als Kitty schließlich ihre Mom zurückbekam, bekam sie in ihrer besten Freundin Jojo gleich auch noch eine Schwester.

Auf dem Flur, der zu ihrem Klassenraum führte, sahen Kitty und Jojo beim Reingehen plötzlich zwei Mädchen herumsitzen. Sie hielten sich gegenseitig in den Armen. Sie sahen sehr traurig aus, so als sei etwas sehr Schlimmes über sie hinein gebrochen. Vorsichtig traten Kitty und Jojo an sie heran.

„Was habt ihr?“, fragte Kitty nett.

Das eine Mädchen schaute zu ihr auf und schob sich einen ihrer beiden Zöpfe hinter das Ohr. Wortlos blickte sie mit ihren großen Augen Kitty an.

„Können wir euch helfen?“

Das Mädchen antwortete nicht. Auch das andere Mädchen sagte nichts.

Freundschaftlich klopfte Kitty ihnen auf die Schulter. Dann gingen sie und Jojo weiter.

In der Klasse stand bereits Mr. Templeton, der Klassenlehrer der 11 Faylon, am Lehrerpult, als Kitty und Jojo den Raum betraten.

„Na, ihr beiden?“, sagte er. „Haben wir wieder herumgetrödelt?“

„Entschuldigung“, sagte Jojo. „Wir... na, ja...“

Glücklicherweise erwartete Mr. Templeton keine nähere Erklärung. Er war kein strenger Lehrer. Aber er war gerecht. Und dass Kitty und Jojo die Töchter der Schuldirektorin waren, gab ihnen nicht das Recht auf eine Sonderbehandlung. Das wussten beide auch.

Jojo und Kitty gingen zu ihren Plätzen. Früher waren in Lantyan Mädchen und Jungen getrennt unterrichtet worden. Und vieles war hier ganz anders als jetzt. Aber das ist sehr lange her, wie man sich erzählt. Nur Kitty und Jojo wissen, dass dies eigentlich noch gar nicht so lange her ist. Aber sie sprechen nicht gerne über diese Zeit, die sie ja selbst mal miterlebt haben.

„Nun, dann schreiten wir mal zur Zeugnisbesprechung“, kündigte Mr. Templeton an. „Ich kann mit hoher Zufriedenheit sagen, dass alle von euch die Versetzung in die zwölfte Klasse geschafft haben. Und ich bin sehr froh, auch im kommenden Schuljahr nach den Ferien wieder euer Klassenlehrer sein zu dürfen.“

In der Klasse brach Jubel und Applaus aus. Auch deswegen, weil niemand sitzen blieb. Vielleicht hatten einige es befürchtet, darunter auch Jojo, denn in Geschichte war sie einfach mies.

„Unsere Klasse“, begann Templeton dann wieder, „wird sich möglicherweise in kommenden Jahr um zwei Schüler vergrößern. Ich erwarte von euch, dass ihr unsere neuen Mitschülerinnen dann freundlich aufnehmen werdet, ganz gleich aus welchem Grund sie in unsere Klasse kommen.“

Drei Tage vor den Ferien wurde nicht mehr viel in der Schule getan. Die Prüfungen waren fast alle abgeschlossen – lediglich die Nachprüfungen für diejenigen, die eventuell sitzen blieben, standen in den ersten beiden Schulstunden noch an.

Dann klingelte es zur Pause. Kitty und Jojo hatten eigentlich vor, auf dem Schulhof etwas mit ihrem Tajuna-Ball zu spielen, aber Dennis riet ihnen davon ab. Und so saßen sie alle drei an der großen Tanne und ließen sich die Sonne ins Gesicht scheinen.

„Das Fest wird riesig“, sagte Jojo.

„Also, ich freu' mich auch drauf“, bestätigte Dennis. „Besonders auf das Barbecue.“

„Ich gar nicht“, sagte Kitty gestresst. „Da muss ich beim Kochen helfen.“

Plötzlich entdeckte Kitty auf der anderen Seite der Tanne, dass dort die beiden Mädchen saßen, die heute Morgen so traurig waren.

„Komm, Jojo, gehen wir mal zu ihnen“, forderte Kitty ihre Schwester auf. Und schon liefen sie und Jojo zu den beiden Mädchen. Traurig saßen sie dort und hielten sich an den Händen.

„Na, ihr?“, sprach Kitty sie an. „Wollt ihr jetzt mal mit uns reden?“

„Danke“, sagte das eine Mädchen. „Ist nicht nötig.“

„Wie heißt ihr eigentlich?“, fragte Jojo.

„Ich bin Sydney Loona“, sagte das Mädchen mit den zwei Zöpfen in den Haaren.

„Ich heiße Natalie Cox“, stellte sich das andere Mädchen vor.

„Ihr seid aus der Zwölften, nicht wahr?“, fragte Kitty dann.

„Nicht mehr lange“, sagte Sydney völlig aufgelöst. „Wir haben gerade beide unsere Nachprüfung verhauen.“

„Als würde die Welt von Mathe abhängen“, weinte Natalie.

„Ach, du Scheiße“, rutschte es Jojo raus. „Dann... dann bleibt ihr sitzen?“

Die Mädchen nickten verweint.

„He“, machte Kitty plötzlich. „Dann seid ihr die Beiden, die im nächsten Schuljahr in unsere Klasse kommen. Irre.“

Jojo stieß Kitty leicht in die Seite.

„Also... Templeton ist super okay“, erklärte Kitty.

„Ja“, versuchte Jojo, Sydney und Natalie zu trösten. „Kitty und ich sind heute Morgen zu spät gekommen. Und da hat er nichts gesagt.“

„Ich bin erst seit drei Monaten da“, erklärte Sydney. „Und schon habe ich einen solchen Misserfolg.“

„Aber es kann doch wieder besser werden“, tröstete Kitty sie. Sie setzte sich neben Sydney, während Jojo sich neben Natalie setzte. Kitty klopfte Sydney leicht auf die Schulter. „Ihr kommt in eine tolle Klasse, ihr werdet sehen.“

„Kitty...“, grübelte Sydney plötzlich. „Seid ihr Kitty und Jojo Linnore?“

„Erwischt!“, musste Kitty gestehen.

„Ist nicht immer leicht als Kinder der Direktorin“, warf Jojo ein.

„Ihr seid es wirklich?“, fragte Sydney dann leise. Sie blickte Jojo an, dann wieder Kitty. „Ihr seid die Einzigen, die das geheime Tor durchschritten haben? Ihr habt die andere Welt gesehen? Ihr seid die Kaiserin vom Stern der Reiche und ihre Stellvertreterin?“

Jojo blieb fast die Luft weg. Kitty sah Sydney mit fragenden Augen an. Sie bemühten sich stets, dass es geheim bleiben würde. Einige wussten es. Aber nie sprach jemand sie darauf direkt an.

„Woher wisst ihr das?“, fragte Kitty schließlich.

„Dann stimmt es“, schloss Natalie daraus.

„Na, ja... ja“, gab Kitty schließlich zu.

„Wir haben so vieles von euch gehört“, berichtete Natalie. „Sie erzählen sich, dass ihr besondere Menschen seid. Du meine Güte – ich wusste schon immer, dass dies nicht bloß Gerüchte sind.“

„Es stimmt“, sagte Jojo. „Aber bitte lauft jetzt nicht gleich damit herum, okay?“ Jojo wirkte leicht empfindlich darauf, dass sie nun seit ewig langer Zeit das erste Mal wieder direkt auf das Thema angesprochen wurde.

„Nein, bestimmt nicht“, sagte Natalie entschuldigend. „Aber... es ist nur so, dass...“ Sie wandte sich dann Sydney zu. „Erzähl ihnen von deinen Albträumen.“

„Albträume? Was für Albträume?“, interessierte sich Kitty nun dafür.

„Ach... nichts weiter. Ich schlafe einfach schlecht. Und wenn ich mal schlafe, dann träume ich immer wieder diesen blöden Albtraum.“

„Und... was passiert da?“

„Ist schwer zu beschreiben. Ich kann es nicht so in Worte fassen.“

Es klingelte dann zur nächsten Stunde, und die Schüler sprangen alle auf und liefen in ihre Klassen.

„Was haltet ihr davon, wenn Jojo und ich euch morgen Nachmittag mal besuchen kommen?“, fragte Kitty.

Dankbar nahmen Sydney und Natalie das Angebot an, bevor sie und auch Kitty und Jojo wieder in ihre Klassen gingen.

Kapitel 3 - Träume im Zwielicht

Leonie war sichtlich erschöpft, als sie vom Lehrerzimmer hinunter in den Speisesaal hastete, um dort schnell einen Eistee zu trinken. Um die Mittagszeit war es jetzt hier schon ziemlich voll. Leonie stellte sich an eine Schlange vor der Getränke-Theke an.

„Hi, Mrs. Linnore“, wurde sie von einer Kollegin begrüßt. „Wollen Sie auch zu Mittag essen?“

„Nein, nur schnell etwas trinken“, erklärte Leonie. „Ich habe gleich noch mit den Vorbereitungen fürs Fest zu tun.“

„Oh, ja“, sagte die Kollegin. „Das kenne ich. Ich muss ebenfalls noch einiges erledigen. Übrigens, Sie wissen nicht zufällig, wann das Zelt aufgebaut wird?

---ENDE DER LESEPROBE---