Naytnal - The awakening (deutsche Version) - Elias J. Connor - E-Book
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Naytnal - The awakening (deutsche Version) E-Book

Elias J. Connor

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Beschreibung

Kitty ist 16 Jahre alt und Schülerin eines Internats in den Bergen von Colorado. Ihr Leben ist eher trist und langweilig und sie fühlt sich sehr alleine. Einzig ihre Zimmerkollegin und beste Freundin Jojo bietet ihr in dieser Situation Halt. Als Kitty und Jojo eines Abends plötzlich in einer seltsamen, magischen Welt landen, wird aus der schüchternen, jungen Kitty nach und nach eine kämpferische, selbstbewusste Magierin. Zusammen mit Jojo muss sie in der geheimnisvollen Welt Naytnal den Kampf gegen das Böse aufnehmen, das die Welt zu zerstören droht. Die neue Fantasy-Serie NAYTNAL ist eine siebenteilige Serie über Kitty und Jojo in der phantastischen Welt des Sterns der Reiche, wie man Naytnal auch nennt. Dies ist der erste Band der Reihe. (Neufassung der Roman-Serie DIE NAYTNAL CHRONIKEN, in einem völlig neuen Licht erzählt.)

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Elias J. Connor

Naytnal - The awakening (deutsche Version)

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Kapitel 1 - Verfolgt von Dämonen

Kapitel 2 - Der Ruf der Finsternis

Kapitel 3 - Der geheimnisvolle Wissenschaftler

Kapitel 4 - Verbotene Magie

Kapitel 5 - Wo bin ich?

Kapitel 6 - Ion

Kapitel 7 - Grenzenlose Macht über den Wolken

Kapitel 8 - Xaya und L'ea

Kapitel 9 - Der Krieg zwischen Nyromo und Palalee

Kapitel 10 - Der Schlüssel der Macht

Kapitel 11 - Endkampf

Kapitel 12 - Der Traum, der keiner ist

Über den Autor Elias J. Connor

Impressum

Widmung

Für Jana.

Meine Prinzessin. Inspiration. Muse.

Danke, dass du in mein Leben gekommen bist.

Kapitel 1 - Verfolgt von Dämonen

Sie presste ihren zitternden Körper fest an die Felswand. Ihr Atem ging schnell, ihre Augen waren mit Tränen unterlaufen. Ihre Lippen bebten, so als sei es Minus 10 Grad kalt.

Die Schreie, die sie hörte, waren laut und deutlich. Aber inständig hoffte sie, dass sie sie hier nicht finden würden. Sie hielt sich eine Hand vor das Gesicht. Würde sie sie nicht sehen, könnten sie sie vielleicht nicht sehen. Aber es funktionierte offenbar nicht.

Das Mädchen, vielleicht 16 Jahre alt, drückte sich noch stärker gegen die Wand, als die Schreie noch lauter und deutlicher wurden. Das düstere Brüllen hallte durch die Nacht.

Sie wusste irgendwie, dass sie nicht hätte davon laufen sollen. Sie hätte sich ihnen stellen sollen, sich gegenüber ihnen behaupten sollen. Aber sie hatte keine Kraft mehr. Zu lange ist sie vor ihnen geflohen, zu lange hat sie sich vor ihnen versteckt. Und nun waren sie kurz davor, sie zu fangen und anschließend durch das verbotene Fenster zu stoßen. Wo sie dann landen würde, das konnte sie sich nicht ausmalen. Das wollte sie auch nicht.

„Lasst mich in Ruhe“, flüsterte das Mädchen tonlos.

Wieder ein Schrei. Diesmal lauter als sonst.

Mit letzter Kraft drückte sich das Mädchen feste gegen die Felswand der Schlucht, in der sie sich befinden musste. Plötzlich gab die Wand nach. Eine Öffnung entstand wie aus dem Nichts, und das Mädchen wurde von den Felsen verschluckt.

Die Schreie verstummten. Es wurde dunkler als die Nacht. Das Mädchen konnte nichts mehr sehen. Nur ihr Atmen war noch zu hören.

In der darauf folgenden Sekunde tastete das Mädchen ins Leere. Die Felswand schien verschwunden zu sein. Aber es war noch immer stockdunkel, und sie wusste nicht, wo sie war.

Langsam beruhigte sich ihr Atem wieder, als sie spürte, dass sie sich sicher fühlen konnte.

„Wo bin ich?“, flüsterte sie leise.

Plötzlich ertönte ein Poltern. Es klang, als ob jemand einen Stuhl oder einen Tisch hin und her schob. Sie hörte daraufhin, dass etwas zersprang – wahrscheinlich Glas.

Keine zwei Sekunden darauf ging ein kleines Licht an, wahrscheinlich das Licht einer Fackel. Erschrocken drehte sich das Mädchen um.

Sie befand sich in einer kleinen Höhle. Es war feucht und kalt hier drin. Die Tropfen, die von der Decke des Raums fielen, zauberten Steinmuster. Schmal und länglich formierten sie sich und hingen von der Decke herab. Unterhalb der Gebilde sah sie andere Muster, fast spiegelverkehrt wie die an der Decke.

„Ich wusste es“, hörte sie plötzlich eine Stimme.

Ruckartig drehte sich das Mädchen dorthin, wo die Stimme herkam. Daraufhin sah sie eine fremde Person neben sich stehen, die eine Fackel in der Hand hielt. Der junge Mann war vielleicht 18 Jahre alt. Mit einem ehrfürchtigen Blick sah er das Mädchen an.

„Ich wusste, dass du kommst“, sagte er.

Das Mädchen blickte verwundert in seine Augen.

„Wo bin ich hier?“, wollte sie wissen. „Wer bist du?“

„Dazu ist später noch Zeit, Kitty Linnore“, sagte der junge Mann. „Wichtig ist erst einmal, dass du hier bist.“

„Aber ich weiß gar nicht, wo ich bin“, stellte Kitty klar. „Was ist denn hier überhaupt los?“

Der junge Mann machte keine Anstalten, Kitty zu antworten. Er nahm sie bei der Hand und führte sie in eine Ecke der Höhle, in der ein Tisch mit zwei Stühlen saß.

„Setze dich“, forderte er sie auf.

Kitty tat, was er sagte, nicht ohne ihren Blick von ihm abzuwenden.

„Du bist vor ihnen davon gelaufen“, stellte der Mann fest.

„Vor wem?“, sagte Kitty nachdenklich.

„Lasse dich niemals von ihnen finden“, erklärte der Fremde. „Erst, wenn du bereit bist, kannst du gegen sie kämpfen.“

„Aber ich will gar nicht kämpfen“, beschwerte sich Kitty. „Gegen wen soll ich denn überhaupt kämpfen? Wer sind die, die mich verfolgen, und warum verfolgen sie mich?“

Der junge Mann schüttelte den Kopf.

„Alles zu seiner Zeit, Kitty Linnore“, sprach er ruhig.

Und in der kommenden Sekunde wurde es wieder stockdunkel. Kitty hörte nur ihren eigenen regelmäßigen Atem, der ruhig und sachte durch den Raum hallte.

„Die Dämonen sind auf der Suche nach dir“, glaubte sie die Stimme des fremden Mannes noch zu hören.

Aber dann wurde es mucksmäuschenstill.

Plötzlich war es so, als würde sie in die Höhe getragen werden und schweben. Mehrere Meter über dem Boden schien sie in der Luft zu gleiten. Kitty schien zu rufen, aber ihre Worte verhallten ungehört. Kitty spürte, dass sie stumm war.

Lichtscheine drangen an Kittys Augen. Sie begann, Bilder zu sehen. Wie ein Film schwebten diese Bilder an ihr vorüber. Längst schon war sie nicht mehr dort, wo sie eben noch glaubte zu sein. Sie musste ganz woanders gelandet sein, irgendwo in einer Wüste, irgendwo in einer Steppe, weit und einsam. Wind huschte über ihren Körper. Kitty war machtlos. Sie konnte sich nicht bewegen, konnte nicht schreien und nichts tun. Wie gefesselt verfolgten ihre Augen die Bilder, die sie sah.

Ein trockener Busch löste sich vom sandigen Boden und wurde vom Wind über die einsame, lange Straße gefegt. Der Mann sah ihm hinterher. Dann nippte er noch mal an seiner Wasserflasche und steckte sie anschließend wieder in seinen braunen Rucksack hinein, den er sich dann wieder um die Schulter hing. Am Horizont kamen einige Wolken auf, die wahrscheinlich auf ein typisches, kurzes Sommergewitter hindeuten könnten. Der Mann blieb kurz stehen und betrachtete sie. Dann atmete er tief ein, kratzte sich an seinem Bart und lief weiter. Ein schöner Tag zum Wandern, dachte er bei sich.

Wenig später hörte man ein Schild klappern. Ein altes Highway-Schild mit der Aufschrift „Welcome to Desert End – next stop 55 miles.“ Hier musste es also einen kleinen Ort in der Nähe geben, da könnte der Mann vielleicht übernachten, denn 55 Meilen bis zum nächsten Halt würde er sicher heute nicht mehr schaffen. Die untergehende Sonne ragte über den am Horizont liegenden Gipfeln des Monument Valley, und der Wind wurde stärker. Der Mann schaute sich nach Häusern um. Er sah keine, aber ein kleiner Feldweg ging von der Landstraße weg, wahrscheinlich führte der zu einer Herberge oder einem Motel. Genau das, was er jetzt bräuchte – ein einfaches, nettes Zimmer mit einem knarrenden, quietschenden Bett und einer Dusche. Vielleicht ein kleiner Fernseher im Raum, dass er sich die neuesten Nachrichten noch ansehen konnte, bevor er schlafen gehen würde.

Bevor der Mann den Feldweg inspizieren wollte, setzte er sich noch mal auf eine Bank am Straßenrand, um die ganzen Eindrücke des heutigen Tages noch mal Revue passieren zu lassen. Am Horizont konnte er einen Donner hören. Aha, das nahende Gewitter ist da hinten schon im vollen Gange, überlegte er. Er holte eine Landkarte aus der Tasche, und einen Filzstift ebenso. Dann zeichnete er auf der Karte den Weg ein, den er heute schaffte.

Man konnte nicht sagen, wie lange der Wanderer schon unterwegs war, aber so wie er aussah, bereits tagelang. Seine Klamotten waren verstaubt und dreckig. Sein Haar erschien fettig, und sein Stirnband, auf dem man die amerikanische Flagge erkennen konnte, war vom Schweiß getränkt von der Hitze hier inmitten der Wüste Arizonas. Welcher Verrückte läuft zu Fuß durch die Wüste? Aber vielleicht war er ja auch mit einem Motorrad unterwegs und hatte eine Panne. Weil aber die Tankstellen, geschweige denn Ortschaften hier in der Gegend oft Hunderte von Meilen auseinander liegen, musste man schon einen mehrtägigen Marsch zum nächsten Kaff in Betracht ziehen, wenn man nicht endlose Tage warten wollte.

Wieder ein Donner, der sich diesmal viel näher anhörte. Das Gewitter schien offenbar mit großer Geschwindigkeit herzukommen. Eine Wolke müsste man sein, dachte der Mann bei sich. Der Himmel verdunkelte sich plötzlich abrupt, mehrere Blitze zuckten. Der Mann blieb trotzdem sitzen.

Wie gebannt sah er in den Himmel. Die Wolken begannen plötzlich zu zirkulieren. Sie drehten sich, und das immer schneller. Ein Tornado? An einem solchen Tag? Noch ein lauter Donner. In der Nähe wurde scheinbar eine Stromleitung getroffen; das Geräusch war unverkennbar. Die Wolken bildeten nun einen Wirbel, immens groß, immer näher kommend. Bäume wurden durch die Luft geschleudert, ein Auto flog durch die Luft.

Doch statt in Deckung zu gehen, blieb der Mann einfach wie angewurzelt sitzen und sah in den Himmel, wie versteinert, immer in dieselbe Richtung. Auf einmal flog etwas sehr Seltsames aus dem Wirbelsturm heraus. Es war groß, sehr groß. Es hatte Flügel und hatte einen eigenartigen, grünen Schimmer. Seine Flügel schlugen langsam, fast ruhig wie im Gleitflug. Der Wind konnte dem seltsamen Geschöpf anscheinend gar nichts anhaben. Es sah gefährlich aus. Und gruselig. Aber es war irgendwie auch eine phantastische Kreatur, bewundernswert und fast majestätisch. So landete das Geschöpf dann auch plötzlich. Es landete genau vor den Augen des Mannes.

Es bäumte sich vor ihm auf. Mit seinen riesigen Augen in seinem Kopf, der aussah wie der einer hässlichen Schlange, blickte es auf den Mann herab. Es ließ dann seine Flügel herabhängen und schnaubte eine Rauchwolke aus seinen beiden riesenhaften Nüstern. Das Wesen schien eine Art Drache zu sein, eine Mischung aus Dinosaurier und Echse. Seine Beine waren dünn, fast klein im Gegensatz zu seinem majestätischen Körper. Das seltsame Wesen senkte dann seinen Hals herab, bis es dem Mann genau in die Augen sah.

„Mach deinen Wunsch!“, sprach es mit tiefer, inbrünstig klingender Stimme

„Wer bist du? Was bist du?“, sagte der Mann mechanisch, aber dennoch nicht zitternd vor Angst. Er wirkte apathisch, so wie eine Marionette ohne Fäden.

„Mach deinen Wunsch!“, wiederholte das Wesen inbrünstig. Seine Stimme klang irgendwie verzerrt, blechern und hallend zugleich. Viel lauter als der Wind. Und fremd, eigenartig fremd. „Mach deinen Wunsch! Ich, Thunderbird, bin gekommen aus den Weiten des Alls, hierher, um dir die Weltherrschaft anzubieten. Ich bin allmächtig. Tausche deine Seele mit mir, und so wirst du grenzenlose Macht erhalten, die meinige grenzenlose Macht. Du wirst zum Kaiser, zum absoluten Herrscher deines Planeten. Mach deinen Wunsch!“

Der Mann stand nach wie vor da wie zu einer Salzsäule erstarrt. Er wirkte fast von seiner Handlungsfähigkeit beraubt, wie eine stillstehende Maschine ohne Öl. Kein Zweifel, das fremde Wesen Thunderbird muss den Mann so tief in Hypnose versetzt haben, wie noch niemand zuvor in Hypnose versetzt worden war, und die Kraft, die Macht, mit der Thunderbird dies tat, muss so immens gewesen sein wie es noch nie eine Macht gewesen ist, noch niemals auf der ganzen Welt. Der Mann hatte keinerlei Chance, als die Antwort zu geben, die er geben musste.

„Ich wünsche, meine Seele mit deiner zu tauschen“, sprach der Mann dann langsam.

„Nun gut“, röhrte Thunderbird. „So sei es!“

Dann reckte er seinen Hals in die Luft. Eine tiefrote Feuerfontäne schoss aus seinem großen Maul, und er zeigte seine Zähne, während er sie auspustete. Dann verschlang plötzlich der Wirbelsturm den Drachen mitsamt dem Mann, und kurz darauf verschwanden die Wolken, das ganze Unwetter, so schnell wie es entstanden ist.

Es herrschte nun eine mysteriöse Ruhe am Rande dieses langen, endlosen Highways.

Kapitel 2 - Der Ruf der Finsternis

Der Schnee fiel leise auf den Hof. Nebel machte sich im ganzen Tal breit. Er schien die Berge langsam zu verschlingen, die rings um das Tal gelegen waren. Und dunkel war es. Selbst gegen 17 Uhr schon. Der Hof war schon ganz weiß, und Eiszapfen hingen von den Dachrinnen des riesigen grauen Betonklotzes. Manche so groß wie mehrere Stockwerke.

Auf dem Hof war es sehr ruhig. Einige wenige Menschen schleppten Holzkisten umher. Sie schienen nicht recht zu wissen, wohin damit. Andere spielten Basketball. Wieder andere bemühten sich, den Schnee vom Hof zu schaufeln. Und immer wieder sah man geheimnisvolle, in schwarz-weiß gekleidete Frauen umherlaufen, und ab und an hörte man sie einen unverständlichen Satz schreien.

Hinter fast jedem Fenster des riesigen, nicht endend wollenden grauen Gebäudekomplexes schien Licht. Wahrscheinlich bereiteten sich die meisten Bewohner jetzt auf das Abendessen vor. Hinter einem Fenster konnte man ein Mobile sich drehen sehen. Bei näherem Hinsehen erkannte man, dass eine Person es immer wieder anzuschubsen schien.

Lantyan – das Elite-Internat in den amerikanischen Rocky Mountains. Eines der bekanntesten Häuser ganz Amerikas. Nur ausgewählte Kinder und Jugendliche, meist von reichen Familien, landeten hier, um eine, wie es heißt, ganz besondere Erziehung zu genießen. In Wahrheit aber ist der Alltag hier eher trist, und die Schüler müssen sehr viel mit anpacken und arbeiten, und sie haben kaum Freizeit für ihre eigenen Interessen. Auch die älteren Internatsschüler, die bei Versammlungen immer wieder mehr Freizeit und weniger Arbeit forderten, kamen mit ihren Wünschen nie am harten Regime des Internats an. Die meisten fügten sich wohl oder übel ihrem Schicksal.

Auf dem Flur herrschte rege Hektik. Einige Kinder brüllten, schrien, lachten, wurden daraufhin von den Erziehern ermahnt. Ein Mädchen mit einem roten Kleid, etwa 17 Jahre alt, rannte einen kleineren Jungen um, und beschwerte sich daraufhin bei ihm, was er hier zu suchen habe. Dann rannte sie in ein Zimmer und knallte die Tür zu.

„Kitty?“, rief sie. „Kitty!“

Sie schaltete das Licht an, denn das Zimmer war stark abgedunkelt.

„Kitty, schläfst du?“, rief das Mädchen.

Ein anderes Mädchen mit schulterlangen, blonden Haaren, etwa 16 Jahre alt, saß am Fenster und schubste immer wieder ein Mobile aus Glasfragmenten an, welches davor hing und dabei den von draußen reflektiertem Schein im Zimmer verbreitete und sanfte Lichtspiele an die Zimmerwand warf. Sie schien in Gedanken versunken zu sein. Leise summte sie eine Melodie. Es schien immer die gleiche Melodie zu sein, immer in der gleichen Tonfolge.

„Hallo! Erde an Kitty. Gehirnsensoren einschalten“, witzelte das eine Mädchen, das gerade so hektisch die Tür öffnete. „Mensch, in einer halben Stunde gibt es Essen, und du bist nicht mal angezogen.“

„Was?“ Kitty erschrak. Dann drehte sie sich um und schnürte den Gürtel ihres Bademantels, den sie trug, fest. „Oh... hey, Jojo.“

Jojo nahm sich die Bürste von Kittys Nachtschränkchen und kämmte sich ihre gewellten, braunen Haare. „Ich darf doch?“

„Ist deine Bürste schon wieder weg?“

„Spurlos. Du kennst das ja.“

„Wieso verschlampst du andauernd deine Sachen?“, beschwerte sich Kitty. Jojo schaute sie ratlos an und machte dann weiter. Kitty kam daraufhin vom Fensterbrett runter und ging zum Wandschrank. Sie öffnete ihn und suchte nach einer passenden Hose. Als sie dann meinte, keine zu finden, schloss sie den Schrank wieder.

„He, willst du im Bademantel zum Essen? Wir dürfen doch heute bei den Jungs sitzen...“, lachte Jojo.

„Du und die Jungs immer. Der blöde Fraß ödet mich sowieso langsam an“, erwiderte Kitty. Jojo schnappte sich dann eine kleine Parfümflasche und machte sich davon etwas an den Hals. Dann legte sie sich noch eine kleine Kette um.

„Sag mal, meinst du nicht, du übertreibst etwas?“, fragte Kitty kopfschüttelnd.

„Seh ich gut aus?“, fragte Jojo, ohne eine Antwort darauf zu erwarten. „Komm, mach hin. Wir müssen gleich los.“

Kitty lachte kurz über Jojo, dann streifte sie ihren Bademantel ab und zog sich eine Jeans und einen dazu passenden Pullover an. Auf dem Pulli war das Bild eines riesigen Drachen, der Feuer speiend über eine Stadt flog.

„Was soll das denn?“, staunte Jojo leicht mürrisch.

„Ich zieh an, was ich will. Außerdem mag ich Drachen“, antwortete Kitty.

„Aber darin siehst du aus wie ein Kind.“

„Ich bin kein Kind.“

„Baby, Baby, Baby...“, sang Jojo frotzelnd. Kitty haute ihr daraufhin eine auf den Kopf.

„Mensch, Kitty. Du bist 16. Benimm dich doch auch so“, konterte Jojo darauf.

Im Speisesaal war es jetzt ziemlich voll. Die Schüler, die für heute dazu bestimmt waren, teilten das Essen aus. Wie Wachmänner standen zahlreiche Erzieher und Erzieherinnen im ganzen Raum verteilt. Es geschah zwar nur einmal im Monat, aber es geschah immerhin, dass Jungen und Mädchen mal in gemischten Gruppen zusammen Abendessen durften. Früher gab es hier auf Lantyan für Jungen und Mädchen immer getrennte Uhrzeiten zum Essen. Aber eine Gruppe der Schüler hat nach einer Versammlung kürzlich durchsetzen können, dass es nun einmal im Monat ein „gemischtes Abendessen“ gab. Heute war einer dieser Tage, auf den Jojo sich schon lange freute. Erwartungsvoll betrat sie den großen Speisesaal, hinter ihr lief Kitty staunend und schüchtern.

„Nicht drängeln!“, brüllte eine Frau laut, gekleidet in so etwas Ähnlichem wie einem Nonnen-Kostüm.

„Jeder geht ruhig zu seinem Platz! Und geräuschlos!“, schrie ein älterer Mann im Anzug.

Der Speisesaal war riesig groß. Zu seiner linken Seite sah man eine lange Theke, auf der das Essen stand – vielmehr, das was sie hier Essen nannten. Hinten war eine große Wand, mit Bildern von den Begründern des Internats. Die Decke des Speisesaals war hoch, mindestens zwölf bis fünfzehn Meter. Der Saal war ausgestattet mit mehreren großen Tischen für 10 bis 12 Leute, und vielen kleinen Tischen für Vierer- und Sechsergruppen. Zwischen den Tischen gab es ewig lange Gänge auf denen sich die Kinder drängelten, um einen guten Platz zu bekommen. Der Fußboden war frisch gebohnert. Er bestand aus grauen Fliesen, die manchmal verursachten, dass einige Kinder ausrutschten. Auf der rechten Seite waren große Fenster angebracht, vergittert wie in einem Gefängnis. Das Licht war grell. Mehrere schlichte Strahler leuchteten monoton die Tische an.

„Hier“, rief ein Mädchen und winkte einem anderen Mädchen. Ein kleiner Junge fiel hin, stand wieder auf und fiel erneut. Eine Erzieherin hob ihn grob auf und schubste ihn vor sich her.

„Jordan“, hörte man ein Kind rufen.

„Larissa“, rief ein anderes. „Wo bist du?“

Jojo überblickte kurz die Lage. Dann entdeckte sie einen Tisch, an dem zwei Jungs saßen, die sie süß fand. Zwei Plätze waren dort noch frei.

“Komm, Kitty“, sagte sie hektisch und zog ihre Freundin am Arm. „Da drüben.“ Jojo zog so schnell, dass Kitty jemanden anrempelte. Jojo blieb stehen und drehte sich zu Kitty um. Kitty drehte sich zu der Person um, die sie gerade angerempelt hat.

„Mr. Templeton...“, sagte sie leise.

Templeton war der Leiter des Internats. Er war stets schick gekleidet. Die älteren Schüler warnten die jüngeren immer davor, ihm zu nah zu kommen. Man sagt, dass er eine Allergie auf Kinder habe. In seiner großen Montur, schnieke erscheinend in seinem tiefblauen Anzug, baute er sich vor Kitty auf. Sein Gesicht war griesgrämig. Er hatte graue Haare und unwahrscheinlich dicke Augenbrauen, die aussahen wie aus Pferdehaar. Grimmig blickte er Kitty an. Er schien zu zittern, und sein Gesicht wurde Puterrot.

„Aus meinen Augen!“, brüllte er Kitty warnend an. Kitty trat einen Schritt zurück.

„Komm, Kitty. Die Plätze sind immer noch frei“, sagte ihre Freundin Jojo leise. Die beiden Mädchen stapften daraufhin zu den Jungs an den Tisch, wo bereits das Essen stand. Eine widerlich aussehende hellbraune Pampe, wohl irgendetwas mit Kartoffeln.

„Widerliche Pampe“, maulte Kitty, und musste sich dafür einen Stoß von Jojo in die Seite einfangen.

„Hi“, begrüßte Jojo mit einem fast übertriebenen Lächeln die beiden Jungs. Der eine war dunkelblond, groß, gut gebaut. Er sah ein bisschen aus wie der Schauspieler Brad Pitt und schien etwa 17 oder 18 Jahre alt zu sein. Der zweite Junge war dunkelhaarig, trug eine Brille und war eher klein, vielleicht etwa 15 Jahre alt. Kitty wusste sofort, dass Jojo den großen gut aussehenden Jungen anbaggern würde. Die beiden Mädchen setzten sich an den Tisch und begannen zu essen.

„Ist der nicht süß?“, fragte Jojo ihre Freundin und sah dabei auf den dunkelblonden Jungen.

„Also... ich bin ja kein Experte, aber du solltest ihn vielleicht ansprechen“, flüsterte Kitty zurück.

„Hab ich doch schon“, entgegnete Jojo genervt.

„Hi“, machte Kitty sie ironisch nach. Auch die Jungs tuschelten. Wenn sich die Blicke von Jojo und dem Dunkelblonden trafen, bemühte Jojo sich, ihn stets anzulächeln, auf ihre nahezu überkünstliche Weise. Kitty schüttelte den Kopf und atmete tief aus, während sie beschloss, der Sache nun Nägel mit Köpfen zu machen.

„Sagt mal, wie heißt ihr eigentlich?“ fragte sie dann schließlich.

„Ich bin Jeremy“, sagte der Brad-Pitt-Verschnitt. Er lächelte Kitty an. „Und du?“

„Ich heiße Kitty Linnore“, antwortete Kitty ihm gelassen. „Das ist meine Freundin Jojo.“

„Hallo, Jojo“, sagte Jeremy. Jojo nickte kurz. Ihr stand plötzlich die Schamröte im Gesicht, so dass sie glatt als Feuermelder durchgehen konnte. Sie brachte kein Wort heraus.

„Ich bin Jesse“, sagte der kleinere Junge schließlich. „In welcher Stufe seid ihr?“

„Elfte. Und ihr?“ Kitty hielt die Gabel hoch, die kurz ihr Haar berührte. Gekonnt wischte sie mit der Serviette die Gabel ab und aß dann weiter.

„Ich in der achtenten. Jeremy in der zwölften Stufe.“

„Wow...“, entfuhr es Jojo.

„Funktioniert absolut super, nicht?“ witzelte Kitty ihrer Freundin zu.

„Halt die Klappe“, erwiderte Jojo angesäuert.

„Kitty Linnore... Wo hab ich den Namen denn schon mal gehört. Ich weiß, du kommst mir irgendwie bekannt vor.“ sagte Jeremy zu Kitty.

„Keine Kunst“, machte Jojo. „Ihre Mom ist Forscherin. Eine bekannte Astronomin.“

„Sie ist Anthropologin.“ sagte Kitty leise und senkte ihren Kopf.

„Etwa Leonie Linnore? Die bekannte Jägerin der Dinosaurier?“, fragte Jeremy. Kitty nickte.

„Mann, irre. Ich hab' ihre ganzen Bücher gelesen. Ich finde es ganz klasse, was sie macht. Kaum zu glauben, ich sitze hier mit Leonie Linnores Tochter. Ich hatte ja gar keine Ahnung, dass du... sag mal, was machst du hier in Lantyan? Bist du nicht mit deiner Mom auf Reisen?“

„Wozu?“, entgegnete Kitty mürrisch.

„Das ist voll der Wahnsinn. Ich hab' ja gar nicht gewusst, dass Leonie Linnore eine Tochter hat. In ihren Büchern hat sie nie was davon geschrieben...“

„Sie hat eben viel zu tun!“, schrie Kitty. Ruckartig stand sie daraufhin auf und ließ ihre Gabel ins Essen fallen, so dass ein Teil der Pampe den Tisch versaute. Eilig rannte Kitty raus, noch bevor eine Erzieherin oder ein Erzieher heraneilen konnte.

„Was hat sie denn?“, fragte Jeremy.

„Nichts. Nimm es nicht persönlich“, antwortete Jojo.

In ihrem Zimmer angekommen, schmiss Kitty sich gleich aufs Bett. Sie versteckte ihren Kopf in ihrem Kissen und heulte leise vor sich hin. Fast regungslos weinte sie. Wenig später öffnete sich die Zimmertüre.

„He, Kitty, alles okay?“, fragte Jojo. Sie schaltete das Licht ein, was Kitty wohl vergessen hatte. Jojo setzte sich zu Kitty aufs Bett. Der Windhauch ließ das Mobile sich drehen. Einige Glasfragmente des Mobiles reflektierten das Licht und warfen kleine Punkte an die Wand, die sich bewegten. Zärtlich legte Jojo Kitty die Hand auf die Schulter. Dann streifte sie durch ihre Haare und schob sie zur Seite, so dass sie vielleicht einen Blick auf ihr Gesicht werfen konnte. Kitty drehte sich dann um. Jojo sah ihre verweinten Augen.

„Tut mir leid, dass ich es dir vermasselt habe, das mit den Jungs“ sagte Kitty leise.

„Nicht so schlimm“, beruhigte sie Jojo. „Was war denn mit dir plötzlich los?“

„Weiß nicht“, hauchte Kitty. Sie setzte sich auf und zog sich ihren Pullover aus, den sie auf den Boden schmiss. Dann stand sie auf und entledigte sich ihrer Jeans. Kittys Haut war hell, glänzte aber matt-dunkel im Schein des schwachen Zimmerlichts. Nachdem sie sich dann ihr Nachthemd überzog, legte sie sich wieder in ihr Bett.

„Es war wegen deiner Mom, nicht?“, wollte Jojo wissen. Kitty antwortete nicht.

Jojo zog sich dann ihr Nachthemd an und legte ihre Klamotten anschließend in den Schrank.

Auch Kittys Klamotten, die noch auf der Erde lagen, räumte Jojo in den Schrank rein. Dann wollte sie sich gerade in ihr Bett legen, als Kitty sich zu ihr drehte.

„Kannst du heute bei mir schlafen?“, fragte Kitty.

„Klar“, antwortete Jojo. Dann legte sie sich zu Kitty ins Bett und nahm sie in den Arm. „Du musst nicht traurig sein.“

„Sie will gar nicht wissen, wer ich bin“, flüsterte Kitty.

„Warum sollte sie das nicht wollen?“, hakte Jojo nach.

„Sie war nie hier. Sie besucht mich nie“, heulte Kitty. „Warum nicht? Warum nicht?“

„Sie hat vielleicht zu viel zu tun...“, versuchte Jojo zu trösten.

„Sie will mich nicht“, sagte Kitty verzweifelt.

„Sie will dich ganz bestimmt, Kitty. Sie kommt dich bestimmt bald besuchen.“

„Aber ich weiß schon gar nicht mehr, wie sie aussieht. Alles was ich habe ist ein altes Foto.“

Kitty holte ein Foto aus ihrem Nachtschrank und gab es Jojo in die Hand. Darauf war ein Mann zu sehen, eine wunderschöne Frau, und ein kleines Mädchen von höchstens drei oder vier Jahren. Das Mädchen hatte nichts weiter an als eine Badehose, der Mann trug ein T-Shirt und die Frau ein dünnes, mehrfarbiges Strandkleid. Im Hintergrund sah man ein Meer.

„Das war kurz bevor ich hierher kam“, erzählte Kitty, während sie sich die Tränen aus den Augen wischte. „Kurz bevor mein Dad starb.“ Sie machte eine lange Pause. Jojo starrte auf das Bild.

„Ich weiß nicht mehr, wer mich hierher gebracht hat, Jojo“, sagte Kitty schließlich. „Ich kann mich einfach nicht erinnern. Manchmal denke ich, ich war schon immer hier.“

„Deine Mom ist sehr schön.“ sagte Jojo leise.

„Glaubst du, dass sie mich vergessen hat? Einfach vergessen?“

„Ach, Kitty. Deine Mom liebt dich. Da bin ich ganz sicher. Sie kommt bestimmt eines Tages, um dich zu holen. Sie hat dich bestimmt nicht vergessen. Sieh mal, ich habe nicht mal Eltern...“

„Aber du hast eine Tante, die dich oft besucht. Und da gehst du auch in den Ferien immer hin.“

„Ja, schon... aber da ist es öde. Und die ist auch so streng wie die Leute hier.“

Jojo legte das Foto dann zurück in Kittys Nachtschrank und knipste das Licht aus. Dann legte sie wieder den Arm um Kitty und schmiegte sich fest an sie.

„Ich bin froh, dass ich dich habe“, flüsterte Kitty, während sie sich zur Wand drehte.

„Schlaf jetzt. Morgen sieht es bestimmt wieder besser aus“, sagte Jojo leise, während sie ihrer Freundin sanft über die langen Haare streichelte. Kitty beruhigte es sehr, die Nähe ihrer besten und einzigen Freundin zu spüren, gerade in diesem Moment, wo sie so traurig war. Jojo schlief bald darauf ein. Kitty konnte ihre gleichmäßigen Atemzüge an ihrem Hals spüren. Nachdenklich starrte sie an die Wand und hoffte, bald einzuschlafen.

Am nächsten Morgen wurde Kitty von einem lauten Donnern an die Türe geweckt. Vom Flur draußen konnte man bereits Kindergeschrei hören, und dazwischen immer wieder die mahnenden, lauten Stimmen der Erzieher und Erzieherinnen. Kitty streckte sich, während Jojo noch seelenruhig zu schlafen schien.

Wieder klopfte es lautstark an die Türe. „Aufstehen! Wenn ihr nicht in zehn Minuten draußen seid, gibt es eine Woche Zimmerarrest“, hörte Kitty eine tiefe Männerstimme rufen. Oh, nein, nicht schon wieder Templeton. Dieser Mann war unerträglich. Und er war bekannt dafür, dass er all seine Drohungen stets wahr machte. Wenn er Zimmerarrest ankündigte, hieß das auch Zimmerarrest und nichts anderes. Das war wie im Gefängnis. Kitty machte das schon einige Male durch, und immer war er es, der ihr Zimmerarrest erteilte.

„Schnell, Jojo!“ Kitty stupste ihre Freundin an, die daraufhin gähnend die Augen öffnete. Keine zwei Sekunden darauf stand sie im Bett, während Kitty bereits dabei war, sich anzuziehen.

„Hatte Templeton etwa wieder Weck-Dienst heute?“, wollte Jojo wissen.

„Der macht das doch gerne, uns so grob aus den Federn zu reißen.“

Jojo kramte hektisch in ihrem Schrank herum.

„Wo sind meine Schuhe? Ich kann meine Schuhe nicht finden, Kitty“, sagte sie.

„Unterm Bett.“ Hektisch kramte Kitty ihre Bürste heraus und kämmte sich die Haare. Noch fünf Minuten waren Zeit. Kitty rannte schnell ins Bad, um sich zu waschen. Katzenwäsche musste in Anbetracht der dahin rinnenden Zeit reichen, duschen könnte sie später noch. Jojo kramte hektisch ihre Schuhe hervor und zog sie an. Dann rannte sie ins Bad und putzte sich die Zähne.

„Wie lange noch?“, fragte sie, den Mund noch voller Zahncreme. Kitty sah auf die Uhr. „Drei Minuten.“ Schnell schnürte Kitty ihren Gürtel zu, dann war sie mit Zähneputzen an der Reihe. Noch eine Minute. Warum musste Templeton die Kinder auch immer so spät wecken? Kein Wunder, dass sie oft nicht rechtzeitig zum Unterricht erschienen.

Exakt zehn Minuten nachdem sie geweckt wurden, standen Kitty und Jojo auf dem großen Flur des Mädchenschlafsaals. Templeton, in voller Montur am Ende des Flurs stehend, blickte auf seine Uhr, dann blickte er Kitty und Jojo an. „Na, ihr habt es gerade noch so geschafft. Da könnt ihr von Glück sagen“, murrte er. Dann ging er zum Treppenhaus. Zwei andere Mädchen rannten wie vom Blitz getroffen ebenfalls zum Treppenhaus, und auch Kitty und Jojo rannten dann los.

Natürlich hatten auf Lantyan Jungen und Mädchen nicht nur getrennte Schlafgeschosse, auch die Geschosse mit den Klassenräumen befanden sich für Jungen in einem anderen Bereich als für Mädchen. Die Jungen wurden im vierten und fünften Flur auf der rechten Seite unterrichtet, die Klassenräume der Mädchen befanden sich in den ersten beiden Stockwerken auf der linken Seite. Das Zimmer von Kitty und Jojo lag Gott sei Dank nicht allzu weit weg von ihrem Klassenraum im ersten Stockwerk.

Frühstück gab es auf Lantyan vor den ersten beiden Schulstunden nie. In der großen Pause hatten die Kinder Gelegenheit, sich an einem kleinen Laden im Erdgeschoss etwas zu essen zu holen – ein belegtes Brötchen oder eine Schale trockenes Müsli. Die ersten beiden Stunden waren daher immer die unangenehmsten Schulstunden des ganzen Tages. Vor allem in Kittys und Jojos Klasse, denn sie hatten bei Mrs. Greyhound Geschichte.

Mrs. Greyhound sah genauso aus wie sie hieß – groß, grauhaarig und dick wie einer der bekannten Greyhound-Busse. Sie trug stets ein viel zu enges Nonnen-Kostüm, das jeden Moment hinten aufzureißen drohte. Auf ihrer einem Greifvogel ähnelnden Nase saß eine dicke viereckige Brille. Wenn es einen Inbegriff für Hässlichkeit geben würde, so würde dies ohne weiteres Mrs. Greyhound sein. Ebenso mürrisch wie hässlich war sie außerdem. Sie war eine der strengsten Lehrerinnen auf Lantyan.

Kitty und Jojo konnten sich gerade noch hinsetzen, bevor Mrs. Greyhound schließlich das Klassenzimmer betrat.

„Ich gehe davon aus, dass ihr euch alle auf die heutige Unterrichtsstunde vorbereitet habt“, begann sie, noch bevor sie am Schreibtisch angekommen war. Die Schülerinnen kramten hektisch in ihrer Schultasche herum und holten dann ein Buch und ein Heft heraus.

„Ashford, Lynn?“, rief sie auf. Sie kündigte niemals an, die Anwesenheit zu überprüfen, da sie das ja generell jedes Mal machte. „Anwesend“, antwortete Lynn Ashford. Genauso üblich war es, dass die Kinder stets mit „anwesend“ zu antworten hatten. „Boyce, Benjamine?“ „Anwesend.“ „Benedict, Samantha?“ „Anwesend.“

„Ich hab nicht gelernt“, flüsterte Jojo Kitty zu.

„Hättest du mal besser getan.“ Kitty legte ihr Buch und ihr Heft auf den von Holzwürmern angefressenen Schultisch.

„Ich hatte eben keine Zeit.“ Jojo zog die Schultern hoch und versuchte, so unschuldig wie möglich zu wirken.

„Frey, Harriet?“ „Anwesend.“

„Glaubst du, sie lässt einen Test schreiben?“, fragte Jojo. Kitty raunte.

„Goose, Josephine?“, rief Mrs. Greyhound auf. Jojo starrte in die Luft. „Goose, Josephine?“, sagte Mrs. Greyhound noch lauter. Jojo atmete tief durch. „Anwesend“, antwortete sie missbilligend.

Jojo mochte ihren vollen Namen nicht leiden, und schon einige Male riskierte sie Zimmerarrest, weil sie Mrs. Greyhound darauf aufmerksam machte, dass sie Jojo hieß und nicht Josephine.

„Holstein, Daniela?“ „Anwesend.“ Fast immer waren alle Mädchen anwesend, und wenn einmal nicht, hatte das betreffende Mädchen immer Zimmerarrest, oder es war krank und Mrs. Greyhound hatte aus der Krankenabteilung bereits die Nachricht darüber erhalten. Es war eigentlich sinnlos, die Anwesenheit jedes Mal zu überprüfen. Die Lehrer wussten immer, wo die Schüler waren.

„Geht es dir denn heute wieder besser?“, fragte Jojo Kitty. Gerade dachte Jojo an den gestrigen Abend, an dem Kitty so wahnsinnig fertig war wegen ihrer Mom.

„Weiß nicht. Mir geht's immer noch mies.“ Kitty streifte sich ihre langen, blonden Haare aus dem Gesicht und stieß einen Seufzer aus.

„Was hältst du davon, wenn wir heute Nachmittag mal etwas draußen spielen?“ Jojo wollte Kitty aufmuntern. Kitty lächelte und nickte. Wenigstens hatte sie Jojo noch. Ihre beste Freundin.

„Wir könnten vielleicht mit den Jungs Baseball spielen, wenn sie es uns erlauben.“

„Linnore, Kitty!“, rief Mrs. Greyhound laut. „Hier wird nicht geschwätzt.“

Mrs. Greyhound setzte ihre Liste bis zum Ende fort. „Nehmt nun ein leeres Blatt Papier zur Hand“, sagte sie anschließend. „Ihr werdet nun einen Aufsatz über die Ära Reagan schreiben. Dafür gebe ich euch eine Stunde Zeit. Anschließend werden die Aufsätze eingesammelt. Und los.“

„Ein unvorbereiteter Test...“, fluchte ein Mädchen leise.

Mrs. Greyhound legte ihren Wecker auf den Tisch und drehte an ihm. Die Klasse begann zugleich los zu schreiben. Es war so still, dass man nur noch das Ticken der Uhr durch den mittelgroßen Klassenraum hallen hörte. Mrs. Greyhound brauchte nie viele Worte. Sie war in ihrer Unterrichtsmethode auch nie ein Freund vieler Worte. Meistens ließ sie die Klasse irgendwelche Schreibarbeiten verrichten, während sie in einem Buch las – allerdings ohne jemals auch nur eine Schülerin aus den Augen zu verlieren.

Kitty schrieb und schrieb immer weiter, so als würden ihr die Gedanken gerade so zufließen. Jojo ließ ihren Stift langsam über ihr leeres Blatt kreisen. Nach einigen Minuten stupste sie Kitty unter dem Tisch an. Kitty schaute kurz, dann wandte sie sich wieder ihrer Arbeit zu.

Kaum eine Minute später stupste Jojo ihre Freundin wieder am Knie an.

„Psst“, machte Kitty unhörbar leise.

„He...“, flüsterte Jojo. „Was hast du schon?“ Jojo vergewisserte sich, dass Mrs. Greyhound ihren Kopf tief in ihrem Buch vergraben hatte und hoffte, bei Kitty wenigstens die wichtigsten Jahreszahlen abschreiben zu können. Denn natürlich hatte Jojo zum Lernen keine Zeit gehabt, weil sie sich viel zu sehr auf das gestrige Abendessen mit den Jungs freute.

„Sei ruhig!“, mahnte Kitty flüsternd. „Wenn die uns erwischt, sind wir dran.“ Kitty schrieb weiter, legte aber ihr Blatt so hin, dass Jojo einen kleinen Blick darauf werfen konnte. Offenbar nicht gut genug, denn schon kurze Zeit darauf stupste Jojo Kitty ein drittes Mal an. Kitty blickte ernst zu ihrer Freundin – und genau in diesem Moment schaute Mrs. Greyhound von ihrem Buch auf.

„Linnore!“, schnaubte sie. „Sofort wirst du deine Arbeit abgeben.“

„Aber...“ Kitty atmete hektisch.

„Sofort, sagte ich.“ Mrs. Greyhound war unerbittlich. „Und du hast einen Tag lang Zimmerarrest. Bis morgen früh.“

Widerwillig nahm Kitty ihr Blatt und legte es Mrs. Greyhound auf den Tisch.

„Das ist nicht fair, Mrs. Greyhound. Kitty war es nicht. Ich habe...“, versuchte ihr Jojo schnell zur Hilfe zu eilen, aber die Lehrerin schien es besser zu wissen.

„Und du schweigst, Josephine. Sonst wirst du heute zum Arbeiten verdonnert.“

Was das hieß, wussten alle. Die Kinder wurden für den ganzen Nachmittag, bis in den späten Abend herein, zu diversen Tätigkeiten wie Kisten schleppen oder Keller aufräumen verdonnert, meist als Strafe für belanglose Missetaten. Wenn sie Glück hatten, brauchten sie nur Akten im Schulbüro zu sortieren, das war dann weniger anstrengend.

So war das hier seit Anbeginn der Existenz vom Internat Lantyan. Seit über 100 Jahren, und es hatte sich bis heute – kurz vor Weihnachten 2021 – nicht geändert.

Jojo schaute Kitty hilflos an, als sie an ihr vorbei ging. Kitty sah sie an und ging dann wortlos aus dem Raum. Klar, vielleicht war sie sauer auf Jojo, aber nie würde sie ihre Freundin verpetzen. Und sie wusste, dass Jojo ihr helfen wollte, es aber nicht konnte.

Es war schon lange dunkel, als Jojo ins Zimmer kam. Kitty saß wieder auf der Fensterbank und spielte mit dem Mobile. Dabei summte sie wieder die gleiche Melodie, die sie auch gestern Abend summte.

„He, Jojo.“ Als Kitty Jojo sah, hüpfte sie, sichtlich erleichtert von der Fensterbank herunter. „Wo warst du so lange?“

„Strafdienst“, sagte Jojo knapp. „Ich hab das Büro aufräumen müssen. Den ganzen Tag.“

„Tut mir leid.“

„Ist doch nicht deine Schuld. Die Greyhound ist aber auch zu blöd.“ Jojo setzte sich neben Kitty aufs Bett und legte einen Arm um sie. „Und wie war dein Tag so?“

„Ungeheuer spannend.“ Kitty lachte. „Rumhängen, lernen, mit dem Mobile spielen... ach, ich bin froh, dass du endlich da bist.“

Kitty und Jojo spielten noch eine Partie Karten. Als sie fertig waren und Kitty die Karten in die Nachttisch-Schublade legen wollte, fiel ihr wieder das Foto ihrer Mom in die Augen. Traurig blickte sie es an.

„Glaubst du, dass Wünsche sich manchmal erfüllen?“, fragte sie dann Jojo leise.

„Ja, bestimmt.“ Jojo bemerkte Kittys traurige Stimmung und wollte ihr um jeden Preis die Laune wieder verbessern.

„Ich möchte sie so gerne bei mir haben.“

Kitty stellte das Foto wieder auf den Nachttisch und legte sich dann ins Bett.

„Du hast jedenfalls mich, solange deine Mom noch nicht herkommt.“ Jojo streifte die Bettdecke von Kitty runter. „Komm, rutsch ein Stück, dann schlaf‘ ich wieder bei dir.“ Jojo schlüpfte dann zu Kitty ins Bett.

„Ich muss immer an sie denken. Ich wüsste zu gerne, was sie gerade tut.“

„Vielleicht ist sie gerade mit Ausgrabungen beschäftigt. Oder sie schreibt ein neues Buch...“ Im selben Moment als sie das sagte, hätte sich Jojo dafür verfluchen können. In keinem ihrer Bücher hatte Leonie Linnore ihre Tochter Kitty erwähnt, und Kitty hatte sie alle gelesen.

„Warum schreibt sie nie etwas über mich?“ Aus Kittys Augen flossen einige Tränen, aber Kitty versuchte es zu unterdrücken.

---ENDE DER LESEPROBE---