Notärztin Andrea Bergen 1381 - Marina Anders - E-Book

Notärztin Andrea Bergen 1381 E-Book

Marina Anders

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Beschreibung

Urlaubsfahrt ohne Rückkehr

Ganz genau betrachtet Stella die Dinge, die die Notärztin ihr aus dem Autowrack gebracht hat: das gelbe Nachthemd, den abgegriffenen Plüschteddy, die zerkaute rote Hundeleine. Doch in Stella regt sich nicht der Hauch einer Erinnerung.
Dr. Bergen ist erschüttert. Wie hat sie auch annehmen können, mit diesen Gegenständen dem Gedächtnis der Patientin auf die Sprünge zu helfen, wenn die zuvor nicht einmal ihre Kinder erkannt hat? Und auch auf ihren Ehemann, der auf der Neurologischen Station liegt, reagiert Stella lediglich wie auf einen völlig Fremden ...

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Seitenzahl: 129

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Inhalt

Cover

Impressum

Urlaubsfahrt ohne Rückkehr

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Africa Studio / shutterstock

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar

ISBN 9-783-7325-8278-5

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Urlaubsfahrt ohne Rückkehr

Seitdem ich die Hofmeisters nach ihrem Unfall in der Eifel erstversorgt habe, lässt mich ihre traurige Geschichte einfach nicht mehr los. Und die Schicksalsschläge, die sie treffen, scheinen auch kein Ende zu nehmen: Mutter Stella fehlt nach der schweren Kopfverletzung immer noch jede Erinnerung, ihr Mann Gerald hat nach der Gehirn-OP eine gravierende Wesensveränderung durchgemacht, und bei Söhnchen Marcel wurde eine heimtückische Bluterkrankheit entdeckt, die sein zukünftiges Leben stark beeinträchtigen wird. Nichts ist nach der vereitelten Reise in den Urlaub noch so, wie es einmal war!

Nur Charlotte, die neunjährige Tochter der Hofmeisters, ist glimpflich davongekommen. Doch die Kleine weint herzzerreißend und weiß ohne ihre Familie nicht mehr ein noch aus.

Was soll nun aus den Hofmeisters werden? Wie kann ich ihnen helfen? Nachdem alle bisherigen Versuche gescheitert sind, Stellas Gedächtnisstörung zu beheben, kann ich nur noch ein letztes Experiment wagen: Es ist gefährlich, sehr gefährlich, doch Stellas allerletzte Chance …

Gerald Hofmeister fuhr unwillkürlich etwas schneller, als es in der verkehrsberuhigten Wohnstraße erlaubt war. Er konnte den Anblick des ockerfarbenen älteren Einfamilienhauses einfach nicht ertragen. Hinter diesen Mauern vegetierte die Frau dahin, deren Leben er zerstört hatte.

Zum Glück wohnte er mit seiner Familie am anderen Ende der Straße, aber das war trotzdem nicht weit genug entfernt. Da es eine Sackgasse war, gab es auch keine andere Möglichkeit, als jedes Mal an diesem Haus vorbeizufahren. Aber so oft kam das nicht mehr vor, und er musste diese nervenaufreibende Situation nicht jeden Tag durchstehen.

Seit jenem verhängnisvollen Zwischenfall im Operationssaal war Gerald arbeitslos. Er war heute nur in die Stadt gefahren, weil er einen Termin bei dem Rechtsanwalt gehabt hatte, bei dem Stella arbeitete.

Wie energisch sie manchmal sein konnte, seine hübsche Frau, die er über alles liebte! Sie hatte ihm nach dem schrecklichen Vorfall auch keine Vorwürfe gemacht, sondern ihm immer wieder versichert, dass ihn keine Schuld traf. Und sie hatte arrangiert, dass ihr Chef sich seines Falles annahm. Dieser hatte auch bereits die Staatsanwaltschaft eingeschaltet.

Gerald bog in die Einfahrt zu dem Reihenhaus, in dem sie wohnten, und fuhr den Wagen in die Garage. Noch waren die restlichen Familienmitglieder nicht zu Hause, doch das würde sich bald ändern. Dann kamen nicht nur Charlotte und Marcel von der Schule, sondern auch Stella aus der Anwaltskanzlei. Sie würde das Mittagessen auf den Tisch bringen und sich freuen, dass er mit ihnen aß. Denn noch vor Kurzem hatte er um diese Zeit im Operationssaal der Schönheitsklinik von Professor Barthels, der vermutlich weder Professor noch Chirurg war, am Narkosegerät gestanden.

Er würde nie mehr dort stehen. Weder in der Schönheitsklinik noch in einem anderen Krankenhaus. Nicht, dass Gerald Anästhesist gewesen wäre. Er war lediglich ein MAFA, ein medizinischer Assistent für Anästhesie. Und genau da lag das Problem. Er wurde mit Aufgaben betraut, für die er nicht ausgebildet und denen er im Grunde nicht gewachsen war.

An der Schönheitsklinik, die nicht gerade den besten Ruf besaß, war es zum Beispiel üblich, dass MAFAs während einer Operation teilweise die Arbeit von Narkoseärzten übernahmen, sodass diese mehrere Operationen gleichzeitig betreuen konnten.

Gerald hatte sich damit überfordert gefühlt. So war es auch passiert, dass es durch einen Narkosefehler, der ihm unterlaufen war, zum Herzstillstand einer Patientin gekommen war. Zwar hatte sie in letzter Minute reanimiert werden können, doch danach fiel sie in ein Koma, und als sie daraus erwachte, war sie schwerstbehindert. Sie würde nie mehr ohne die Hilfe anderer leben können und brauchte rund um die Uhr Betreuung. Ihr Mann hatte die Schönheitsklinik verklagt, und Gerald war fristlos entlassen worden.

Er betrat das Haus und legte in der Diele ab. Amy, die Cockerspaniel-Hündin, begrüßte ihn lebhaft. Nachdem sie die erwarteten Streicheleinheiten von ihm bekommen hatte, ließ er sie hinaus in den Garten.

Auf dem Anrufbeantworter blinkte das rote Lämpchen, das ankündigte, dass jemand eine Nachricht hinterlassen hatte. Zögernd ging Gerald auf das Gerät zu. Schon ein paar Mal war es vorgekommen, dass er anonyme Anrufe erhalten und man ihn wegen seines Versagens im Operationssaal beschimpft hatte.

Es war erstaunlich, wie viele Leute darüber Bescheid wussten, dass er es gewesen war, dem dieser Narkosefehler unterlaufen war. Aber sie lebten auch in einer ländlichen Kleinstadt, in der solche Nachrichten schnell kursierten. Und natürlich hatte sich auch das Tagblatt über den Fall ausgelassen.

Gerald holte tief Luft und drückte den Knopf.

„Ich hoffe, du machst es dir zu Hause gemütlich und entspannst dich ein wenig“, tönte ihm die Stimme seiner Frau entgegen. „Ich freue mich auf unser gemeinsames Mittagessen. Ich liebe dich.“

Stellas Nachricht zauberte ein kleines Lächeln auf sein hager gewordenes Gesicht. „Ich liebe dich auch“, flüsterte er. Dann ging er in die Küche, um sich nützlich zu machen.

Während er das saubere Geschirr aus der Spülmaschine nahm und in die Schränke räumte, spann er seine trüben Gedanken weiter. Ja, er fühlte sich schuldig, auch wenn man letzten Endes die Klinik zur Verantwortung ziehen würde. Es gab da auch noch eine andere Sache, die er nie erwähnt hatte. Vielleicht hätte es ihn entlastet. Aber er wusste einfach nicht, was in diesem Augenblick im OP passiert war.

Er erinnerte sich nur daran, dass er plötzlich heftige Kopfschmerzen gehabt hatte und dass ihm einen Moment lang schwindlig gewesen war. Fast hatte er das Gefühl gehabt, irgendwie einen Aussetzer zu haben. Das würde die Lücke im Narkoseprotokoll erklären, die er nicht zu füllen vermocht hatte.

Gerald blickte in den Kühlschrank und entdeckte den Topf mit dem Gulasch, das Stella am vergangenen Abend vorgekocht hatte. Sicher würde sie Nudeln dazu reichen wollen; die liebten die Kinder. Er stellte den Topf auf den Herd und schaltete die Platte auf klein, um das Gulasch langsam zu erwärmen. Dann setzte er das Wasser für die Nudeln auf. Anschließend suchte er die Zutaten für einen gemischten Salat zusammen.

Kurz darauf verriet Amys freudiges Bellen ihm, dass Stella und die Kinder nach Hause gekommen waren. Meistens nahmen sie denselben Bus. Gerald ging zur Haustür, um zu öffnen.

„Hallo“, begrüßte er sie und stutzte dann, als er Stellas bekümmerte Miene sah. Normalerweise brachte sie Frohsinn und Sonnenschein ins Haus, auch wenn draußen das trübste Wetter herrschte. Dann bemerkte er das blutgetränkte Taschentuch, das Marcel, sein elfjähriger Sohn, sich vor die Nase hielt, und er bekam einen heftigen Schrecken.

„Was ist passiert?“, fragte er heiser. „Hat dich jemand auf die Nase geschlagen?“

***

„Nein, er hat nur wieder wie aus heiterem Himmel Nasenbluten bekommen“, erklärte Stella an Marcels Stelle, nachdem sie und die Kinder Gerald ebenfalls begrüßt hatten. „Das hatte er ja schon ein paar Mal. Ein weiterer Grund für die Bullies in seiner Klasse, ihn zu hänseln und zu mobben.“

„Ich will überhaupt nicht mehr in diese blöde Schule gehen!“, rief Marcel aufgebracht, bevor er im Bad verschwand, um sich das Gesicht zu waschen und die Nase zu kühlen.

Auch die neunjährige Charlotte machte ein verdrossenes Gesicht.

„Ich will auch nicht mehr in die Schule“, schloss sie sich ihrem Bruder an. „Da sind gar keine so netten Kinder wie in der anderen Schule, die wir früher besucht haben.“

Stella seufzte. Wären sie nur nie hierher gezogen! Doch nachdem Gerald ein gut bezahlter Job in dieser Schönheitsklinik angeboten worden war, hatten sie alle Brücken hinter sich abgebrochen und waren in den Bodenseeraum gezogen. Obwohl die Gegend wunderschön war, fühlten sie sich hier nicht wohl.

Sie ging in die Küche, um sich um das Mittagessen zu kümmern. Sie hörte die Kinder die Treppe hinaufpoltern. Der Fernseher im Wohnzimmer wurde eingeschaltet. Gerald wollte sich vor dem Essen noch die Nachrichten ansehen.

Stella rührte das Gulasch um und schnitt die Kräuter und die Zwiebel für den Salat klein. Sie dachte daran, wie Gerald die Schönheitsklinik von Professor Barthels schon kurz nach seiner Einstellung ziemlich suspekt gefunden hatte. Auch seinen Job hatte er sich etwas anders vorgestellt. Das war der erste Dämpfer nach ihrem Umzug gewesen. Dazu war noch gekommen, dass es den Kindern in der Schule nicht gefiel und sie Sehnsucht nach ihrem früheren Zuhause und ihren alten Schulkameraden hatten.

Nur Stella hatte es in der Anwaltskanzlei wirklich gut angetroffen. Sie kam mit ihrem Chef bestens aus und verstand sich auch prima mit den Kolleginnen.

Vielleicht könnte ich statt meines Teilzeitjobs einen Vollzeitjob bekommen, überlegte sie. Wegen des Verdienstausfalls nach Geralds Entlassung konnte es sonst finanziell etwas knapp werden. Sie wollte noch vor ihrem Urlaub mit ihrem Chef darüber sprechen – falls sie überhaupt noch weiterhin hier wohnen würden. Das war noch die andere Frage. Brachte es überhaupt etwas hierzubleiben nach allem, was vorgefallen war?

Das Schlimme war, dass es sich bei dieser Patientin, die angeblich durch Geralds Schuld zum Pflegefall geworden war, nicht nur um eine Frau handelte, die in ihrer Straße wohnte, sondern auch um die Mutter eines von Marcels Klassenkameraden. Die ganze Schule wusste von dem tragischen Vorfall, und Marcel litt sehr unter den taktlosen Bemerkungen, die nicht nur die Schüler, sondern auch so manche Lehrer machten. Charlotte bekam ebenfalls so einiges davon ab.

Stella gab die Nudeln ins Kochwasser. Gut, dass die Ferien bald anfingen. Sie würden in die Eifel fahren, wo sie sich am Laacher See ein Ferienhaus gemietet hatten. Von dort aus wollten sie die Burgen und Schlösser am Rhein erkunden und eine Schifffahrt während des alljährliche Spektakels „Rhein in Flammen“ unternehmen. Die Kinder würden ihren Spaß haben und alles Unschöne für eine Weile vergessen. Stella wurde aber auch das Herz schwer, wenn sie daran dachte, wie sehr es vor allem Marcel schon vor dem neuen Schuljahr graute. Ob sie doch wegziehen sollten?

Wenig später war das Essen fertig. Stella deckte den Tisch und rief nach ihren Lieben.

Marcels Nasenbluten hatte wieder aufgehört. Trotzdem machte sich Stella Gedanken.

„Wenn du dieses Nasenbluten noch öfter hast, sollten wir mit dir zum Arzt gehen“, meinte sie, als alle um den Tisch herumsaßen.

„Ist doch nicht so schlimm“, wehrte Marcel ab. „Bestimmt geht es in den Ferien ganz weg.“

„Ich freu mich schon ganz doll auf den Urlaub“, warf Charlotte ein. Ihre verdrossene Miene hatte sich wieder erhellt. Normalerweise war sie auch ein fröhliches Mädchen, das viel von seiner Mutter hatte.

Normalerweise … Stella seufzte wieder. Wann würde bei ihnen wieder Normalität einkehren?

Sie warf einen kurzen, unschlüssigen Blick auf Gerald. Trotz aller Vorfreude war sie plötzlich unsicher. Konnten sie sich den Urlaub überhaupt noch leisten?

Auch Gerald schien jetzt Bedenken zu haben.

„Ich bin mir nicht sicher, ob wir tatsächlich fahren sollen“, meinte er, und man konnte ihm ansehen, wie schwer ihm diese Worte fielen.

Marcel rutschten die Nudeln von der Gabel. Mit offenem Mund starrte er auf seine Eltern.

„Wieso denn das auf einmal? Es war doch fest ausgemacht, dass wir am Sonntag in die Eifel fahren.“

„Ja, zu dem Ferienhaus am See“, bekräftigte Charlotte. „Wir müssen da hinfahren. Es sind doch unsere Ferien.“

Gerald nahm eine Tablette aus der Packung und spülte sie mit einem Schluck aus dem Wasserglas hinunter.

„Ich weiß nicht, ob ich unter diesen Umständen einfach in den Urlaub fahren kann, als wäre nichts gewesen“, sagte er schwer.

Stella betrachtete ihren Mann nachdenklich. Seit jenem Vorfall litt Gerald unter teils heftigen Kopfschmerzen, die ihn immer häufiger überfielen und die er mit einer immer höheren Dosis Tabletten bekämpfte. Bestimmt waren die Schmerzen psychisch bedingt. Der Urlaub würde eine gute Therapie für ihn sein, davon war Stella überzeugt. Nach ein paar Tagen Abstand würde er sicher in der Lage sein, sich zu entspannen.

„Ich denke, der Urlaub wird uns allen guttun“, sagte sie und lächelte zuversichtlich. „Wir haben auch schon das Ferienhaus am Laacher See gebucht und bezahlt. Das Geld bekommen wir nicht mehr zurück.“

„Ist mir schon klar“, murmelte Gerald unentschlossen.

„Wir müssen hinfahren!“, betonte Charlotte noch einmal, diesmal eindringlicher. „Ich hab meinen Rucksack schon gepackt.“

„Mama und ich werden uns die Sache noch durch den Kopf gehen lassen“, sagte Gerald. „Es ist eben eine finanzielle Frage, da ich nicht weiß, wie lange ich arbeitslos sein werde. Viel werden wir uns im Urlaub nicht leisten können, wenn ich nichts verdiene.“

„Ich kann mein Sparschwein mitnehmen“, stellte Charlotte in Aussicht, und Marcel war bereit, sein Sparkonto zu plündern.

Stella war gerührt. „Das ist lieb von euch, aber das wird sicher nicht nötig sein. Es wird schon irgendwie klappen. Ich bin auf jeden Fall dafür, dass wir wie geplant in den Urlaub fahren. Er wird uns allen guttun. Zu Hause zu bleiben würde ich nicht so lustig finden. Wir brauchen Erholung, Abstand zu den Geschehnissen.“

Diesen Argumenten konnte sich auch Gerald nicht verschließen. Nachdem er und Stella noch einmal alles durchgerechnet hatten, fingen sie ein paar Tage später mit dem Packen an. Das Geld würde knapp werden, aber hierbleiben, wo die Nachbarn schon mit dem Finger auf sie zeigten, war auch keine Lösung.

***

Als Andrea Bergen an diesem Morgen die Notaufnahme des Elisabeth-Krankenhauses betrat, wartete ihr Notarztkollege Clemens Stellmacher schon auf seine Ablösung. In Straßenkleidung und mit dem Pager in der Hand stand er da und unterhielt sich gerade mit Schwester Sonja, einer älteren, äußerst tüchtigen Pflegerin, die gern mit den Ärzten fachsimpelte. Dabei sah er immer wieder zur Tür. Als er Andrea erblickte, kam er eiligen Schrittes auf sie zu.

„Sie können sich nicht vorstellen, was in dieser Nacht wieder los war“, begrüßte er sie und drückte ihr den Pager in die Hand. „Ich bin völlig geschafft.“ Sein abgrundtiefes Stöhnen bekräftigte seine Worte.

„So sehen Sie auch aus“, sagte Andrea mitleidig. Sie meinte es aufrichtig, denn Clemens sah wirklich so aus, als hätte er tagelang nicht geschlafen. „Gehen Sie nach Hause und ruhen Sie sich aus.“

„Wahrscheinlich brüte ich eine Erkältung aus.“ Er fuhr sich kurz über die Stirn. „Wenn nicht sogar eine Grippe“, fügte er düster hinzu.

„Ach je.“ Andrea war von diesen Aussichten wenig begeistert, denn es würde bedeuten, dass sie und Dr. Conrady, der dritte Notarzt im Team, sich den Notdienst teilen und jeder zwölf Stunden Dienst machen musste. Das konnte anstrengend werden, ganz abgesehen davon, dass die Pläne, die ihr Mann Werner und sie für dieses Wochenende hatten, ins Wasser fallen könnten.

Sie hatten vor, endlich wieder einmal zu ihrer Blockhütte im Westerwald zu fahren. Seit Wochen waren sie nicht mehr dazu gekommen. Entweder hatte Andrea Notdienst, oder Werner, der Kinderarzt war, hatte Bereitschaftsdienst gehabt, oder das Wetter hatte nicht gepasst.

„Dann lassen Sie sich von Christiane mal schön pflegen“, meinte sie.

„Ach, Christiane!“ Clemens winkte leicht frustriert ab. „Sie hat viel zu viel mit ihren schwangeren Schützlingen zu tun, um sich auch noch um einen kranken Ehemann kümmern zu können. Und Basti ist ja auch noch da.“

Clemens hatte bei seinen Worten so wehleidig geklungen, dass Andrea sich ein Lächeln verkneifen musste. Christiane Stellmacher war seine zweite Frau und besaß eine gut besuchte Hebammenpraxis. Außerdem war sie Beleghebamme auf der Frauenstation des Elisabeth-Krankenhauses. Da blieb nicht viel Zeit für ein Familienleben. Nicht nur der Ehemann, auch der kleine Sebastian kam dabei etwas zu kurz. Aber so war es nun mal, wenn beide Partner berufstätig waren.

Clemens Stellmacher berichtete von den Patienten, die er in der Nacht gehabt hatte und von denen noch einige in den Behandlungskabinen lagen. „Schwester Sonja hat die Unterlagen“, fügte er hinzu, bevor er sich verabschiedete und dem Ausgang zustrebte.