Notärztin Andrea Bergen 1413 - Marina Anders - E-Book

Notärztin Andrea Bergen 1413 E-Book

Marina Anders

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Beschreibung

Eine Woche Ruhe! Endlich! Seufzend lehnt sich Notärztin Andrea Bergen tiefer in den Autositz und schenkt ihrem Mann Werner am Steuer ein zärtliches Lächeln. Selbst dieser lästige Stau kann ihre Vorfreude auf den Urlaub nicht trüben.
Doch plötzlich fällt ihr Blick auf eine Limousine in der Nähe. Ein junges Paar vertreibt sich die Zeit mit leidenschaftlichen Küssen, und das Lächeln auf Andreas Lippen erstirbt: Der Mann ist niemand anders als Antonia Farrers Ehemann Dirk, die Frau in seinen Armen Antonias Freundin Rebecca!
Andreas Gedanken machen sich selbstständig, und eine böse Ahnung steigt in ihr auf: Dreimal ist Antonia mit starken Vergiftungserscheinungen ins Krankenhaus gebracht worden, und jedes Mal war es ein Rätsel, wie ihr das Gift verabreicht wurde.
Schlagartig wird Andrea jetzt klar: Offenbar wollen Dirk und Rebecca die junge Frau aus dem Weg räumen! Andrea und Werner kehren an der nächsten Ausfahrt um - doch sie kommen zu spät. Antonia ringt nach einem erneuten Giftanschlag mit dem Tod ...


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Seitenzahl: 131

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Inhalt

Cover

Impressum

Gift im Blut

Vorschau

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Olena Yakobchuk / shutterstock

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7517-0058-0

www.bastei.de

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Gift im Blut

Gerade haben wir die schöne Antonia ins Krankenhaus gebracht – in letzter Sekunde, denn ihr Herz drohte zu versagen! Und wie auch nach den vorherigen Einsätzen in Antonias Marmelädchen haben die Kollegen im Labor Taxin in ihrem Blut nachgewiesen – das Gift der Eibe!

Glücklicherweise geht es Antonia wieder ein wenig besser, und sie schwört Stein und Bein, bei der Zubereitung ihrer köstlichen Eibenmarmelade akribisch aufgepasst zu haben, dass nichts von den hochgiftigen Eibensamen in die Marmelade gerät.

Ich weiß, wie gewissenhaft Antonia ist und dass sie jeden Arbeitsschritt genau dokumentiert. Also wie ist nun bereits zum dritten Mal Eibengift in ihren Körper gelangt?

Langsam kommt mir ein schlimmer Verdacht: Seit einiger Zeit arbeitet eine junge Frau bei ihr im Geschäft, die mir nicht sympathisch ist: Rebecca. Kann es sein, dass sie die Marmelade vergiftet hat?

Antonia schloss die Haustür ab und trug den Karton mit den Marmeladengläsern hinüber in das kleine Nebengebäude, in dem sie ihren Laden eingerichtet hatte.

„Antonias Marmelädchen“ hatte sie ihn genannt. In dem ansprechend eingerichteten Raum verkaufte sie selbst gemachte Marmeladen in dekorativen Gläsern, aber auch andere Spezialitäten wie handgefertigte Pralinen, exklusive Tees und Gebäck. Auch lustige Schürzen und Grußkarten waren in ihrem Sortiment zu finden.

Obwohl ihr Lädchen etwas außerhalb lag, konnte sich Antonia über mangelnde Kundschaft nicht beklagen. Im Moment schaffte sie es noch alles allein, doch eines Tages würde sie eine Hilfe einstellen müssen. Zumindest halbtags. Denn auch im Winter kochte sie Marmeladen. Ihre Kreationen aus exotischen Früchten waren sehr gefragt.

Das Marmelädchen war Antonias ganzer Stolz, ihr Ausgleich dafür, dass sie keine Kinder hatte. Dirk, ihr Mann, wollte keine, was sie von Anfang an gewusst hatte. Trotz aller Enttäuschung war Antonia bereit gewesen, es zu akzeptieren. Sie hoffte jedoch immer noch, ihn davon überzeugen zu können, dass eine Ehe ohne Kinder nicht komplett war.

Antonia seufzte. Ihre Ehe – das war so ein Kapitel für sich. Was für eine Ehe führten Dirk und sie eigentlich?

Als Handelsvertreter war er die meiste Zeit unterwegs und kam nur an den Wochenenden nach Hause. Dann wollte er meistens seine Ruhe haben, während Antonia gern etwas mit ihm unternommen hätte. So hatten sie an den Wochenenden nicht wirklich etwas voneinander.

Trotzdem war sie mit ihrem Leben zufrieden. Sie liebte das kleine Landhaus, das sie von einer Tante geerbt hatte, und sie liebte ihren Job. Sie wünschte sich nur, dass ihre Ehe mit Dirk etwas anders verlaufen wäre.

Und er? War er glücklich in ihrer Ehe? Vermutlich ebenso wenig. Hätte er sie sonst mit einer anderen Frau betrogen?

Sie hatte ihm damals verziehen, doch seit dieser Affäre hatte ihre Beziehung einen Riss bekommen. Für Dirk gab es nur noch seinen Beruf – und zur Entspannung Computerspiele. Selbst ihr Sexleben fand nur noch sporadisch statt. Würde sich daran jemals etwas ändern?

Ihre Gedanken wurden unterbrochen, als sie ein Auto in die Einfahrt fahren und vor dem Lädchen halten hörte. Hier kam die erste Kundschaft an diesem Morgen.

Antonia sah aus dem Fenster. Zu ihrer Freude war es Andrea Bergen, die Notärztin aus dem Elisabeth-Krankenhaus, die aus dem Auto stieg. Andrea gehörte zu ihrer Stammkundschaft, und auch ihre Schwiegermutter Hilde Bergen kaufte häufig bei ihr ein.

Antonia öffnete ihr die Tür. „Guten Morgen, Andrea“, begrüßte sie die frühe Kundin. „Schön, dass Sie bei mir vorbeischauen.“

Die Notärztin erwiderte ihren Gruß.

„Ich suche ein kleines Geschenk für eine Kollegin“, erklärte sie. „Da dachte ich an eine Ihrer leckeren Marmeladen.“

„Kein Problem.“ Antonia machte eine umfassende Armbewegung. „Sie haben die Qual der Wahl.“

Andrea Bergen lachte. „Ein wahres Wort. Die habe ich jedes Mal, wenn ich in Ihrem Lädchen bin. Deshalb fällt es mir ja immer so schwer, mich zu entscheiden, und ich komme mit viel mehr Dingen nach Hause, als ich eigentlich kaufen wollte.“

Antonia lachte ebenfalls. „Was für mich nicht unbedingt geschäftsschädigend ist. Haben Sie ein paar Minuten Zeit? Ich wollte mir gerade einen Tee aufbrühen und die neue Kräuterteemischung aus der Schweiz ausprobieren. Hätten Sie Appetit darauf?“

„Oh, das klingt verlockend. Für einen Tee nehme ich mir gern Zeit. Das wird mich davon abhalten, vor Dienstantritt noch rasch einen Kaffee zu trinken. Davon trinke ich sowieso zu viel.“

„Das kenne ich. Ich war ja auch so eine Kaffeetante. Aber seit ich diese leckeren Tees in mein Sortiment aufgenommen habe, trinke ich nicht mehr gar so viel Kaffee.“

Antonia machte die Notärztin noch auf die neue Pfirsichmarmelade mit Ingwer aufmerksam und ging dann zu der kleinen Theke, auf der alles Nötige stand, um Kaffee oder Tee zuzubereiten.

Sie goss eine kleine Kanne mit der neuen Schweizer Kräutermischung auf und stellte sie zusammen mit zwei Tassen auf ein Tischchen in der Ecke, um das vier zierliche Stühle standen. Hier konnten sich Kunden niederlassen und Scones oder Croissants mit Marmelade schlemmen. Dazu servierte Antonia ihnen Kaffee, Tee oder auch einen selbst hergestellten Fruchtsaft.

„Etwas zu knabbern dazu?“, bot Antonia an, nachdem sie sich gesetzt hatten.

„Danke, ich habe gerade fürstlich gefrühstückt. Meine Schwiegermutter tischt immer Unmengen auf. Aber das ist ganz gut, denn oft habe ich keine Zeit zum Mittagessen, wenn ständig Einsätze kommen oder ich anschließend noch an einer Operation teilnehmen muss.“

Antonia schüttelte den Kopf. „Ich muss Sie immer wieder bewundern, Andrea. Wie schafft eine so zierliche Frau wie Sie das alles? Ich stelle mir Ihren Beruf wahnsinnig anstrengend vor. Dagegen habe ich es richtig gemütlich in meinem Lädchen.“

Andrea trank von ihrem Tee. „Anstrengend kann man schon sagen. Trotzdem liebe ich meinen Beruf und möchte mit keinem anderen tauschen.“ Sie lächelte. „Aber auch bei Ihnen kann ich mir vorstellen, dass Ihnen die Arbeit manchmal über den Kopf wächst.“

„Oh ja. Erst vor einer halben Stunde noch ist mir der Gedanke durch den Kopf gegangen, dass ich mir irgendwann eine Hilfe zulegen muss. Gestern habe ich den ganzen Abend mit dem Kochen von Marmelade verbracht, und bis heute Abend sind die Gläser vermutlich alle weg.“

„Ist doch schön, wenn Sie einen solchen Absatz haben“, meinte die Notärztin. „Der Kräutertee ist übrigens ausgezeichnet. Ich denke, davon nehme ich welchen mit.“

„Gern. Als Geschenk für die Kollegin? Möchten Sie das Glas Marmelade trotzdem noch?“

„Ich nehme die Marmelade und ein Tütchen Kräutertee für meine Kollegin und noch extra Tee für zu Hause“, erwiderte Andrea. „Haben Sie eigentlich mal wieder Eibenmarmelade gemacht? Ich bekomme immer eine Gänsehaut, wenn ich nur daran denke.“

Antonia lachte. „Die Eibenmarmelade braucht Ihnen keine Gänsehaut zu verursachen. Da bin ich vollkommen auf der sicheren Seite. Ich verwende ja nur den roten Samenmantel, der einzige Teil der Eibe, der nicht giftig ist.“

„Aber was ist mit dem Samenkern? Der ist doch auch giftig. Kann da nicht mal etwas davon in die Fruchtmasse gelangen?“

Antonia schüttelte den Kopf. „Ausgeschlossen. Nicht aus Versehen. Da müsste man schon den Samen zerkleinern. Keine Sorge. Ich passe wirklich auf.“

Andrea Bergen wirkte immer noch skeptisch. „Verkaufen Sie die Eibenmarmelade auch?“

„Nein, das dürfte ich wahrscheinlich auch gar nicht. Die mache ich nur für mich allein. Mein Mann hat ebenfalls Bedenken. Er würde sie nicht anrühren und warnt mich mit schöner Regelmäßigkeit, dass ich mich eines Tages noch damit vergiften werde. Doch das wird mir sicher nicht passieren.“

Andrea schien die Sache immer noch suspekt zu sein. „Ist diese Eibenmarmelade denn wirklich eine so große Köstlichkeit, dass man nicht darauf verzichten kann?“

„Sie schmeckt einfach wunderbar, und so süß“, schwärmte Antonia. „Ich gebe zu, dass ich richtig süchtig danach bin. Ich esse sie jeden Morgen zum Frühstück, und auch zwischendurch nasche ich mal davon. Es ist ein Geschmack, der einfach mit nichts zu vergleichen ist.“

Antonia stand auf und ging zu einem Minikühlschrank, der hinter einem der Regale verborgen war. Sie entnahm ihm ein angebrochenes Marmeladenglas und öffnete eine Packung mit kleinen Kräckern, von denen sie welche auf einen Glasteller schüttete. Dann stellte sie beides auf das Tischchen. Mit einem Löffel gab sie etwas von der Eibenmarmelade auf einen Kräcker und schob ihn sich in den Mund. Genüsslich kaute sie.

„Möchten Sie nicht auch mal probieren?“, forderte sie die Notärztin auf.

Andrea Bergen machte ein unschlüssiges Gesicht. Die Sache schien ihr nicht geheuer zu sein. „Also gut“, überwand sie sich dann. „Da ich anschließend in die Notaufnahme fahre, kann ich dieses Abenteuer wagen, denke ich.“

Antonia lachte. Und sie freute sich, als die Notärztin ihr versicherte, dass die Eibenmarmelade wirklich ganz ausgezeichnet schmecke.

Nachdem sie ihren Tee getrunken hatten, packte Antonia das Glas Pfirsichmarmelade mit Ingwer, das Andrea ausgewählt hatte, sowie eine Tüte Schweizer Kräutertee als Geschenk ein. Dazu wählte die Notärztin noch eine hübsche Karte aus dem Ständer.

„Vielen Dank, Antonia“, sagte sie zum Abschied. „Und seien Sie weiterhin vorsichtig mit Ihrer Eibenmarmelade.“

Antonia versprach es. Sie begleitete die Notärztin zur Tür und wünschte ihr einen angenehmen Dienst. Dann setzte sie sich an ihren Laptop und erledigte noch einige Schreibarbeiten, bis die nächsten Kunden kamen.

***

„Guten Morgen, die Herren“, begrüßte Andrea Bergen die beiden Sanitäter, die zu ihrem Team gehörten, als sie den Bereitschaftsraum in der Notaufnahme des Elisabeth-Krankenhauses betrat. Jupp Diederichs, der Fahrer des Rettungswagens, und Ewald Miehlke, der Rettungssanitäter, waren bereits anwesend und gaben den Gruß ihrer Chefin gut gelaunt zurück.

„Ist das für mich?“ Jupp deutete auf die dekorative Tüte mit der Aufschrift Antonias Marmelädchen, die Andrea auf dem Tisch abgestellt hatte.

„Du warst doch gar nicht brav, Jupp“, spottete sein Kollege und Kumpel. „Das ist bestimmt für mich.“

Andrea lachte. „Sorry, aber da muss ich Sie enttäuschen. Das hier ist mein Geburtstagsgeschenk für Dr. Barber. Ich werde es ihr gleich bringen, bevor ein Einsatz kommt.“

„Möchten Sie nicht vorher ein Tässchen Kaffee, Chefin?“ Jupp deutete auf die blubbernde Kaffeemaschine.

„Danke, ich habe gerade bei Frau Farrer einen Kräutertee getrunken“, lehnte Andrea ab. „Und bitte keine spöttischen Bemerkungen“, fügte sie mit erhobenem Finger hinzu, als sie das Grinsen auf den Gesichtern der beiden Männer sah. „Man muss auch mal was für seine Gesundheit tun.“

Damit nahm sie die Tüte und ging hinaus in die Notaufnahme.

Dort sang man gerade Happy Birthday, in das Andrea mit einstimmte. Umringt von den Kollegen und dem Pflegepersonal stand Maria Barber, die immer etwas schüchterne, jedoch äußerst fähige Unfallärztin, da und lächelte gerührt in die Runde.

„Vielen Dank euch allen“, sagte sie und nahm dann noch persönliche Glückwünsche und kleine Geschenke entgegen.

Andrea Bergen umarmte sie herzlich. „Alles Gute, Maria“, wünschte sie ihr und überreichte ihr die Tüte.

Maria Barber freute sich sichtlich darüber. „Oh, Antonias Marmelädchen! Lieben Dank, Andrea!“

Schwester Grit, eine bildhübsche junge Pflegerin, teilte Kaffee aus. Mit einem Anflug von schlechtem Gewissen warf Andrea einen Blick in Richtung Bereitschaftsraum, bevor sie nun doch einen Kaffee mittrank. Jupp und Ewald brauchten ja nichts davon zu erfahren.

Wenig später kam schon der erste Einsatz. Ein Radfahrer war in die Schienen der Straßenbahn geraten und dabei gestürzt. Mit einer vermeintlichen Schulterluxation lieferte das Notarztteam ihn ins Krankenhaus ein, wo er gleich auf die Röntgenstation gebracht wurde.

Kurz darauf mussten sie schon wieder ausrücken. Diesmal wurden sie zu einem älteren Herrn gerufen, der einen Herzinfarkt erlitten hatte. Eine Frau, die in der Nachbarwohnung einen dumpfen Fall gehört hatte, hatte den Rettungsdienst gerufen. Sie hatte auch den Schlüssel zu der Wohnung, wie sie erklärte, und war nach dem verdächtigen Geräusch gleich zu dem Nachbarn gegangen.

„Herr Wild hatte vor zwei Jahren schon mal einen Herzinfarkt“, erklärte sie. Geschwätzig fügte sie hinzu: „Kein Wunder, nachdem er sich über seine Tochter so aufgeregt hatte. Sie hat ihn nicht mal im Krankenhaus besucht, das herzlose Ding.“

Andrea achtete nicht weiter auf sie. Sie beugte sich über den schwergewichtigen Mann, der in der Küche auf dem Boden lag und sie mit Todesangst im Blick anstarrte. Er schien etwas sagen zu wollen, doch kein Laut kam über seine farblosen Lippen.

Während Andrea seine Vitalwerte sicherte, sprach sie beruhigend auf ihn ein und bat dann Ewald Miehlke, einen Venenzugang zu legen. Über diesen führte sie dem Patienten Medikamente zur Gefäßerweiterung zu, ebenso Schmerz- und Beruhigungsmittel.

„Gleich in den Wagen mit ihm“, wies sie ihre beiden Männer an.

„Wird er sterben?“, fragte die Nachbarin taktlos, als Jupp und Ewald den Patienten auf der Trage aus der Wohnung trugen.

Andrea zog es vor, keine Antwort zu geben. Was hätte sie darauf auch erwidern sollen? „Wissen Sie, wie man seine Tochter erreichen kann?“, fragte sie stattdessen.

„Der ist es doch egal, was mit ihrem Vater passiert“, erwiderte die Nachbarin abfällig. „Die hat sich schon ewig nicht mehr blicken lassen. Aber wenn er stirbt und sie was erben kann, ist sie mit Sicherheit da.“

Andrea verkniff sich einen Kommentar. Sie folgte ihren beiden Sanitätern hinaus zum Rettungswagen, wo sie ihrem Patienten ein EKG anlegte und ihm Sauerstoff zuführte.

So schnell, wie es der Verkehr erlaubte, fuhren sie zurück zum Elisabeth-Krankenhaus. In der Notaufnahme war man über den Neuzugang bereits informiert. Da der Zustand des Patienten ziemlich ernst war, wurde er gleich ins Herzkatheterlabor gebracht, wo eine Koronarangiografie durchgeführt wurde. Anschließend bekam er ein Bett auf der Intensivstation.

Dort sah Andrea Bergen am Nachmittag nach ihm. Der Patient war wach und hatte wieder etwas Farbe im Gesicht.

„Sind Sie die Notärztin, die mich eingeliefert hat?“, fragte er, als könne er sich nicht mehr genau daran erinnern.

„Richtig.“ Andrea zog sich einen Hocker heran und setzte sich. „Wie fühlen Sie sich jetzt, Herr Wild?“

Er verzog das Gesicht. „Wie durch die Mangel gedreht. Bin ich wirklich noch am Leben? Mir kommt alles so unwirklich vor.“

„Das liegt an den starken Medikamenten.“ Andrea überflog die Anzeigen auf den Monitoren der Aufzeichnungsgeräte. „Sie sind noch einmal davongekommen und es sieht gar nicht einmal so schlecht aus, wenn man bedenkt, dass dies Ihr zweiter Herzinfarkt war. Aber in Zukunft werden Sie alles tun müssen, um einen dritten Infarkt zu verhindern. Denn diesen werden Sie vermutlich nicht mehr überleben.“

Ein bitterer Zug legte sich um die Lippen des Mannes. „Den will ich dann auch gar nicht mehr überleben. Ich bin allein, niemand kümmert sich um mich, und meine einzige Tochter will nichts mehr von mir wissen.“ Herbert Wild stöhnte, als hätte er große Schmerzen. „Daran bin ich nicht unschuldig, ich weiß“, fuhr er fort. „Habe viel falsch gemacht im Leben, auch bei meiner Tochter. Weiß nicht einmal, wo sie wohnt und wie sie lebt. Aber ich möchte sie noch einmal sehen, bevor ich von dieser Welt gehe.“

Er griff nach der Hand der Notärztin und drückte sie beschwörend. „Finden Sie meine Tochter, Frau Doktor! Da gibt es doch bestimmt Möglichkeiten. Rebecca heißt sie, Rebecca Wild.“

Andrea notierte sich den Namen. „Ich werde es versuchen“, versprach sie.

Er drückte noch einmal ihre Hand und ließ sie dann los.

„Danke, Frau Doktor“, murmelte er heiser. Mit geschlossenen Augen fügte er hinzu: „Wenn ich im Sterben liege, wird Rebecca mir vielleicht verzeihen, dass ich kein guter Vater war.“

Andrea tat der Mann von Herzen leid. Und sie beschloss, alles zu tun, um seine Tochter zu finden.

***

„Die Karte ist weg. Domi, die Karte ist weg!“

Ganz fassungslos stand Hannes Hofmeister, ein zwanzigjähriger Junge mit Down-Syndrom, vor dem Kartenständer in Antonias Marmelädchen. „Die Karte ist weg!“

Dominik Hofmeister, sein älterer Bruder, legte ihm lächelnd den Arm um die Schultern.

„Ist doch prima, dass wieder eine Karte von dir verkauft worden ist, Hannes. Die Beerenstauden mit dem Regenbogen dahinter sind aber auch ein schönes Motiv.“