Professor Zamorra 1245 - Veronique Wille - E-Book

Professor Zamorra 1245 E-Book

Veronique Wille

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Beschreibung

"Ich bin fix und fertig, Liebling", stöhnte Christian. "Keinen Meter fahre ich mehr weiter."
Seine schwarzhaarige Partnerin rümpfte die Nase. "Ich würde dich ja ablösen, aber ich kann in dieser Nebelsuppe kaum noch was sehen. Und trotzdem ..."
"Was heißt trotzdem? Wenn es in diesem verfluchten Dorf ein Hotel gibt, checken wir da ein, basta!"
Mit "verflucht" traf Christian den Nagel auf den Kopf.
Und als hätte der Leibhaftige ihn erhört, tauchte just in diesem Moment vor ihnen die heruntergekommene Fassade einer Herberge im Scheinwerferlicht ihres Wagens auf ...


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Inhalt

Cover

Das Dorf der roten Hexen

Leserseite

Vorschau

Impressum

Das Dorf der roten Hexen

von Veronique Wille

»Ich bin fix und fertig, Liebling«, stöhnte Christian »Chris« Schreier. »Keinen Meter fahre ich mehr weiter.«

Seine schwarzhaarige Partnerin rümpfte die Nase. »Ich würde dich ja ablösen, aber ich kann in dieser Nebelsuppe kaum noch was sehen. Und trotzdem ...«

»Was heißt trotzdem? Wenn es in diesem verfluchten Dorf ein Hotel gibt, checken wir da ein, basta!«

Mit »verflucht« traf Chris den Nagel auf den Kopf.

Und als hätte der Leibhaftige ihn erhört, tauchte just in diesem Moment vor ihnen die heruntergekommene Fassade einer Herberge im Scheinwerferlicht ihres Wagens auf ...

In dem Moment, als die rothaarige junge Frau an ihm vorbeilief, spürte Zamorra, wie sich Merlins Stern auf seiner Brust leicht erwärmte.

Aber auch so wäre Zamorra die Rothaarige im dichten Gedränge der Einkaufsstraße aufgefallen: Sie war nämlich ausgesprochen attraktiv. Zwar hatte er nur einen kurzen Blick auf ihr hübsches Gesicht werfen können, aber es hatte sich sofort in seinem Gedächtnis festgesetzt: Die schulterlangen roten Haare umrahmten ebenmäßige Züge, in der vor allem die sanft geschwungenen Lippen und die hellgrünen Augen ihn faszinierten.

Er schaute ihr nach, aber es dauerte nur Sekunden, bis sie von der Menge der Passanten verschluckt wurde.

Was Zamorra erst jetzt, mit einigen Sekunden Verspätung bewusst wurde: Die Frau hatte nur ein rotes, knielanges Kleid getragen, kein Oberteil darüber, obwohl es noch empfindlich kalt war. Hatte sie überhaupt Strümpfe angehabt?

Zamorras Neugier war geweckt, obwohl er sich gleichzeitig sagte, dass ihr luftiges Outfit auch eine ganz normale Erklärung haben konnte. Vielleicht kam sie ja direkt aus einem der Geschäfte, wo sie als Verkäuferin arbeitete. Andererseits ...

Unwillkürlich tastete er nach Merlins Stern, den er an einer Kette unter seiner Lederjacke trug. Das Amulett war wieder erkaltet, dennoch hatte er deutlich die Erwärmung gespürt, als die Frau an ihm vorbeigerannt war.

Ein junger Mann rempelte Zamorra an und schimpfte im Vorübergehen: »Mann, Opa, was stehen Sie hier im Weg rum?«

Zamorra verzichtete auf eine Antwort. Der Bengel hätte ihn eh nicht verstanden, weil er Stöpsel im Ohr hatte. Und tatsächlich war er einen Moment lang einfach stehen geblieben, um kurz zu überlegen, ob es sich lohnte, der Frau zu folgen.

Nicht etwa, weil er erpicht darauf war, ihre Bekanntschaft zu machen, sondern immer noch beschäftigte ihn der sekundenkurze Wärmeimpuls von Merlins Stern, der normalerweise nur anschlug, wenn er schwarzmagische Aktivitäten wahrnahm.

Die Entscheidung wurde ihm abgenommen, als weiter vorne ein Aufschrei durch die Menge ging.

Zamorra zögerte keine Sekunde mehr. Er spurtete los, bahnte sich rücksichtslos den Weg durch die Menschen. Die einen eilten gleich ihm dem Aufruhr zu, die anderen waren schockiert stehen geblieben. Einige wenige traten bereits die Flucht an. Innerhalb weniger Augenblicke war in der quirligen Einkaufsstraße das pure Chaos ausgebrochen.

Der Jüngling, der ihn kurz zuvor noch angepflaumt hatte, hatte ebenfalls gestoppt. Er schaute sich verständnislos um, weil er aufgrund der Musikbeschallung im Ohr nichts mitbekommen hatte. Zamorra stieß ihn beiseite und hastete weiter.

Ein erneuter Aufschrei folgte weiter vorne, diesmal lauter und kreischender, so als wären die Zuschauer Zeuge, wie ein Trapezkünstler in die Tiefe stürzte.

Zamorra sprang über eine Frau hinweg, deren Einkaufstüten mit sündhaft teuren bedruckten Labels zu Boden gegangen waren und sie selbst hinterher.

Mehrere Leute kamen ihm entgegengestürzt, die pure Panik in den Augen. Andere, in der Mehrzahl Jugendliche, hatten bereits die Handys gezückt und liefen gleich ihm dem Ort des Geschehens entgegen.

Den hatte Zamorra endlich erreicht, nachdem er die vor ihm stehenden Gaffer beiseite gestoßen hatte.

Die Rothaarige von eben stand im Mittelpunkt eines bizarren Schauspiels: Der Zuschauerkreis, der sich um sie gebildet hatte, hielt gebührend Abstand. Die junge Frau hatte sich geduckt und bewegte sich langsam nach allen Seiten, um ihre drei Angreifer, die es offensichtlich auf sie abgesehen hatten, im Auge zu behalten.

Es waren – Katzen! Rot waren alle drei, die eine rotblond, die zweite hellrot und die dritte in einem leuchtenden Tizianrot, wie Zamorra es noch nie bei einer Katze gesehen hatte. Unter dem glänzenden Fell der drei malten sich die Muskeln ab.

Als wäre ihre Beute eine Ratte, so umkreisten sie das Mädchen. Lautlos, geschmeidig, gefährlich.

Erst beim zweiten Hinsehen erkannte Zamorra, dass das Kleid der jungen Frau in Brusthöhe eingerissen war und Blut heraussickerte. Die Biester hatten also schon einmal zugeschlagen.

Zamorra konnte sich nicht erinnern, schon einmal gehört zu haben, dass Stubentiger derart Jagd auf einen Menschen machten. Zudem er den Eindruck gewann, dass die Tiere gezielt und wie abgesprochen vorgingen. Sie sprangen abwechselnd auf die Frau zu, und im selben Moment, in dem diese sich nach einer umdrehte, sprang die nächste ihr in den Rücken.

Noch konnte sich die Frau die Angreifer vom Leibe halten. Noch schienen die drei Katzen Gefallen daran zu haben, ihr grausames Spiel in die Länge zu ziehen. Aber die Wunde bewies Zamorra, dass das Spiel bereits begonnen hatte in blutigen Ernst abzudriften.

Gleich zwei Angreifer sprangen auf die Frau zu. Sie erwies sich als äußerst gewandt. Die erste Katze erwischte sie noch im Sprung im Nacken. Blut spitzte hervor und färbte das Fell rot. Das getroffene Tier fiel zu Boden, rappelte sich aber sogleich fauchend wieder auf.

Zamorra hätte sich fast erstaunt über die Augen gerieben, als er das gebannt verfolgt hatte: Für einen winzigen Moment hatte es für ihn so ausgesehen, als habe sich die zuschlagende Hand der Frau in eine Pfote verwandelt! Und die Finger in Klauen, die in nadelspitzen Krallen endeten!

Er hatte keine Zeit, weiter darüber nachzugrübeln. Die zweite Katze hatte ihren Vorteil genutzt und sich im Rücken ihres Opfers verkrallt.

Die Frau schlug mit den Armen nach hinten aus, aber vergeblich. Die Angreiferin ließ sich nicht abschütteln.

Das alles hatte weniger als eine Viertelminute gedauert – aber endlich reagierte Zamorra. Mit vier schnellen Schritten hatte er die Frau erreicht. Er griff der Katze ins Nackenfell und versuchte, sie loszureißen. Damit erreichte er nur, dass sich die Kreatur noch stärker festkrallte. Ihrem Rachen entsprang ein fast menschliches, wütendes Grollen. Gleichzeitig versuchte sie, nach Zamorra zu schnappen.

Zamorra hasste es, Gewalt gegen Tiere anwenden zu müssen. Aber diese Bestie war keine normale Katze mehr. Irgendetwas hatte von ihr Besitz ergriffen.

Mit einem gezielten Faustschlag gegen die Schläfe machte er kurzen Prozess. Mit einem weiteren Schlag wischte er das Tier vom Rücken seines Opfers.

Die Frau warf sich herum. In geduckter Haltung, beide Arme vorgestreckt und die Finger wie Krallen gekrümmt, funkelte sie ihn angriffslustig an. Dann erst schien sie zu begreifen, dass er kein Gegner war, sondern ihr zu Hilfe gekommen war.

Zeit zum Aufatmen hatten aber beide nicht. Die zwei anderen Katzen gingen ebenfalls zum direkten Angriff über. Als hätten sie sich stillschweigend abgesprochen, attackierte eine die Frau, die andere Zamorra.

Der ungleiche Kampf zwischen dem Professor und der Katze dauerte weniger als eine Minute, dann hatte er auch diesen Gegner ausgeschaltet. Dennoch war er diesmal nicht ganz ungeschoren davongekommen. Eine zwei Zentimeter lange, tiefe Kratzwunde auf der linken Wange zeugte davon, dass er Bekanntschaft mit den Krallen gemacht hatte. Er spürte, wie ihm das warme Blut das Gesicht hinablief bis in den Jackenkragen. Auch die Lederjacke hatte Spuren des Kampfes abbekommen. Tiefe Risse zeigten sich darin. Zum Glück war sie dick genug, sodass keine der Krallen hindurchgedrungen waren.

Zamorra atmete einmal tief durch. Überzeugte sich mit einem kurzen Seitenblick davon, dass die beiden Katzen nach wie vor wie leblos auf dem Boden lagen, und wandte sich zu der Frau um.

Er sah ihr zerfetztes rotes Kleid gerade noch hinter dem nach wie vor dicht gedrängten Kreis der Gaffer verschwinden.

Im ersten Impuls wollte er ihr erneut nachhetzen, aber dann fiel sein Blick auf die dritte Katze. Die war regelrecht gegrillt worden.

Das schwarze Fell und das darunter liegende Fleisch waren verbrannt.

»Unglaublich! Hast du das gesehen?«, hörte Zamorra eine der Umstehenden zu ihrem Mann sagen.

»Das war doch bestimmt irgendein Trick!«, erwiderte der völlig perplexe Gatte.

Auch die anderen Zuschauer waren in heller Aufregung.

»Geht es Ihnen gut?«

Eine Frau war an Zamorra herangetreten und sah ihn besorgt an. Dabei wirkte die circa Sechzigjährige überaus resolut, als sie sagte: »Ich bin Krankenschwester. Der Schmiss muss genäht werden!«

Sie reichte ihm ein Papiertaschentuch, das Zamorra dankend entgegennahm.

»Wollen Sie direkt hier vor Ort ...?«, fragte er. Das Scherzen war ihm nicht vergangen, obwohl er jetzt, wo der Adrenalinschub langsam versickerte, ein schmerzhaftes Brennen verspürte.

»Nein, aber Sie sollten so schnell wie möglich einen Arzt aufsuchen. Sind Sie gegen Tetanus geimpft?«

Zamorra interessierte etwas ganz anderes. Er wies auf das verelendete Tier. »Haben Sie gesehen, wie ...?«

Die Frau schnaubte. »Ich habe selbst zwei Katzen und bin im Tierschutz tätig, aber so etwas habe ich noch nicht erlebt ...«

»Ich meinte, wie das passiert ist ...?«

»Die Frau hat mit irgendetwas geschossen. Irgend so einen illegalen Leuchtstrahler. Es sah aus, als käme der Strahl direkt aus ihrer Hand ...«

Zamorra schaute erneut in die Richtung, in die die Frau gerannt war. Bestimmt war sie jetzt schon über alle Berge. Warum war sie überhaupt geflüchtet? Fürchtete sie noch weitere Angreifer?

Zamorra sah unwillkürlich nach allen Seiten, konnte aber kein weiteres Katzenvieh ausmachen.

Dafür fiel ihm etwas anderes auf. Neben der toten Katze lag eine grüne Schultertasche. Die Frau musste sie im Kampf verloren haben.

Zamorra hob sie auf und nahm sie an sich.

»Heh, Sie!«

Zwei junge Frauen, eine davon mit einer dicken Hornbrille, hatten sich vor ihm aufgebaut. Ihr Tonfall klang aggressiv.

»Wir zeigen Sie an, Sie Tierquäler!«, sagte die mit der Brille. »Wir haben genau gesehen, wie sie die beiden Katzen totgeschlagen haben!«

»Die sind nicht tot. Die kommen schon wieder zu sich.«

»Ah ja, und die da wohl auch, die Ihre Freundin angezündet hat, was?«

Zamorra hatte keine Lust auf die unsinnige Diskussion und wandte sich ab, während sich zu den beiden jungen Frauen weitere Menschen gesellten. Er vernahm Rufe wie »Tierschänder!«, »Den müsste man selbst mal anzünden« und dergleichen mehr. Wahrscheinlich hatten nicht alle mitbekommen, dass er und die junge Frau es waren, die attackiert worden waren.

Er überlegte, ob er sich um die beiden Katzen kümmern sollte. Sie hatten es gezielt auf die junge Frau abgesehen. Er vermutete, dass sie ansonsten niemanden angreifen würden. Trotzdem stellten sie ein Risiko dar.

Das Mädchen mit der Hornbrille hatte sich zu einer der Katzen runtergebeugt und streichelte deren Kopf. In dem Augenblick kam das Tier zu sich. Augenblick war es wieder voll da. Mit der linken Tatze schlug es nach dem Mädchen, das aufschreiend zurückzuckte.

Dann sprang das Tier auf die Beine und flüchtete.

Auch die zweite Katze schlug nun die Augen auf. Der Blick, den das Tier Zamorra zuwarf, war voller Hass. Nie zuvor hatte Zamorra so etwas bei einem Tier erlebt. Die Augen wirkten auf abartige Art – menschlich!

Es bedachte ihn mit einem zornigen Fauchen und ergriff nun ebenfalls die Flucht.

Auch Zamorra hatte genug.

Er bahnte sich eine Lücke durch die noch immer aufgeregt herumstehenden Zuschauer und machte sich auf den Weg zum mit Nicole vereinbarten Treffpunkt.

»Du sahst aus, als wärst du in einen Pulk um sich schlagender Hooligans geraten!«, sagte Nicole, als sie eine halbe Stunde später in einem Café in der Croix-Rousse saßen und zur Ruhe gekommen waren. Gleich nachdem Nicole Zamorra gesehen hatte, hatte sie seine Wunde begutachtet und mit fachmännischem Blick befunden, dass sie zum Glück nur oberflächlich war und nicht genäht werden musste. In einer Apotheke erstanden sie Pflaster, wobei es sich die Apothekerin nicht nehmen ließ, Zamorra eigenhändig zu verarzten.

»Ich glaube, die drei Biester wären auch mit den Hooligans fertiggeworden«, erwiderte Zamorra und nippte an seinem heißen Espresso, während Nicole in ihrem Salat herumstocherte.

»Trotzdem, ich habe einen echten Schrecken bekommen! Dein ganzes Gesicht war voller Blut!«

»Tut mir leid, dass ich dir deine Shopping-Tour vermasselt habe.«

»Unsinn! Die Klamotten können warten. Was ist mit der Frau? Warum glaubst du, haben die Viecher sie angegriffen?«

Zamorra zuckte mit den Schultern. Er hatte zwar alles bereits erzählt, aber dazu gekommen, den Vorfall zu hinterfragen, waren sie bislang noch nicht.

»Auf jeden Fall war es ein gezielter Angriff. Die Katzen haben es auch nur auf sie abgesehen. Okay, auf mich auch, weil ich ihr zu Hilfe gekommen bin. Aber die ganzen Gaffer haben die drei Tiere völlig ignoriert. Ansonsten hätte ich auf Tollwut oder was ähnliches getippt ...«

»Du sagtest, Merlins Stern habe sich erwärmt ...«

»Ja, dadurch bin ich ja erst auf die Frau aufmerksam geworden. Ich meine, außer dass sie ungewöhnlich attraktiv war.«

»Aha, das hat dein Kennerblick also im Vorbeilaufen sofort erfasst.«

»Zwangsläufig.«

»Merkwürdig, dass Merlins Stern nicht weiter eingegriffen hat ...«

»Ich war ja nicht in tödlicher Gefahr. Wahrscheinlich, wenn mir die Viecher an die Kehle gesprungen wären, hätte mich das Amulett sicher beschützt.«

Zamorra nahm einen weiteren Schluck, während Nicole ihn betrachtete und die Stirn furchte. »Du solltest auch was essen. Am besten ein Steak. Du siehst ziemlich blass um die Nase aus, chéri.«

Bevor Zamorra erwidern konnte, dass er absolut keinen Appetit verspürte, fuhr Nicole fort. »He. Was ist mit der Tasche, die deine hübsche Rothaarige verloren hat?«

»Stimmt, die habe ich noch gar nicht inspiziert.«

Zamorra langte zum Nebensitz und ergriff sie.

»Gib her«, sagte Nicole. »Handtaschen sind Frauensache.« Sie hatte Messer und Gabel beiseitegelegt.

Zamorra sträubte sich nicht und gab ihr die Tasche.

Fachmännisch beäugte Nicole zunächst das Fabrikat. »Hm, Gucci. Nicht gerade billig. Ich schätze mal um die tausend Euro.«

Zamorra fiel fast aus allen Wolken »Was? Das kleine Ding?«

»Und eindeutig keine Fälschung. Allerdings ...« Nicole beäugte die Tasche noch genauer. »... scheint sie mir etwas älter zu sein. Vielleicht nicht mehr der neueste Schrei. Womöglich hat sie die Tasche ja gebraucht gekauft und etwas preiswerter erstanden ...«

»Deine Expertise in allen Ehren, chérie, aber ...«

Nicole warf ihrem Partner einer ärgerlich wirkenden Blick zu. »Du störst mich beim Deduzieren! Oder hast du schon mal gelesen, dass Doktor Watson seinen Sherlock dabei unterbricht?«

»Nein, aber warum soll das, um Gottes willen, wichtig sein, ob die Tasche jetzt neu ist oder aus Großmutters Mottenkiste stammt?«

»Ganz einfach: Wo ersteht man heutzutage gebrauchte Dinge? Natürlich bei Ebay. Mit unseren Mitteln könnten wir herausfinden, wer eine solche Tasche in letzter Zeit erworben hat ...«

»... mit unseren nicht ganz legalen Mitteln, meinst du sicherlich.«

»Gyungo würde sagen: ›Nicht die Handlung ist entscheidend, sondern die Motivation dahinter‹.

Zamorra seufzte. »Ich gebe mich geschlagen. Und jetzt, bitte, schau endlich nach, was sich in der Tasche befindet.«

Während Nicole den Verschluss öffnete, sagte sie spitz: »Du willst doch nur einen Hinweis darauf, wo die Kleine wohnt, damit du ihr das Fundstück persönlich überbringen kannst.«

»Ich schätze, die ›Kleine‹, wie du sie nennst, hat im Moment andere Sorgen, als mich näher kennenlernen zu wollen. Die Kreaturen haben ihr ganz schön zugesetzt, und ich vermute mal, sie hat etliche Verletzungen davongetragen.«

Nicole hatte unterdessen den Verschluss der Tasche aufgeknipst und langte hinein. Nacheinander holte sie einen Schminkspiegel, Lippenstift und Wimperntusche sowie eine winzige Geldbörse hervor.

»Das war alles?«, fragte Zamorra enttäuscht.«

Nicole fasste noch einmal in die Tasche, fingerte darin herum und zog mit einem triumphierenden Lächeln einen Notizzettel hervor. Als sie ihn jedoch genauer unter die Lupe nahm und las, verdüsterte sich ihre Miene wieder. »Leider nur eine Telefonnummer.« Sie reichte die Karte an Zamorra weiter.

»Hm ... eine sehr zarte, ich vermute mal: weibliche Handschrift. Die vermutlich von unserer Rothaarigen stammt. Wessen Nummer mag sie da notiert haben?«

»Wie wär's, wenn wir sie einfach mal eingeben?«, schlug Nicole vor. Sie nahm den Zettel wieder an sich, zog das TI-Gamma hervor und setzte das Gesagte sogleich in die Tat um. Bevor sie jedoch auf die grüne Taste drückte, damit der Ruf rausging, trat die Kellnerin an ihren Tisch und gab einen erschreckten Laut von sich. »Monsieur ... Sie ... Sie bluten ja!«

Zamorra fasste sich an die Wange. Die Wunde von den Kratzern war soeben wieder aufgegangen.

»Nichts Ernstes«, sagte Zamorra rasch. Und an Nicole gewandt: »Ich geh mal eben in die Toilettenräume und wechsle das Pflaster.«

Nicole nickte. »Mach das. Ich warte noch mit dem Anruf, bis zu wieder da bist.«