Professor Zamorra 1322 - Veronique Wille - E-Book

Professor Zamorra 1322 E-Book

Veronique Wille

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Beschreibung

Thomas stürzte ins Zimmer. Wortlos reichte er Nicole das Schreiben:

Sehr geehrter Mister Craft, las Nicole laut. Wir bedauern Ihnen die traurige Mitteilung machen zu müssen, dass Ihr Onkel Aleister Matthew Blake bereits im letzten Jahr am 15. November 2024 verstorben ist. Wir haben Sie als alleinigen noch lebenden Angehörigen und Erben ausfindig machen können und bitten Sie, sich mit uns baldmöglichst in Verbindung zu setzen ...


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Seitenzahl: 127

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

Der Butler

Leserseite

Vorschau

Impressum

Der Butler

von Veronique Wille

Der Nebel kroch immer weiter die menschenleere Dorset Street hinauf. Der gelbe Lichtschein der Gaslampen drang kaum durch ihn hindurch. Er erzeugte Schatten, die wie Gespenster im Nebel tanzten. Bis vor einer halben Stunde hatte wenigstens noch ihre Freundin Lizzie ein paar Häuser weiter ebenfalls ausgeharrt. Aber selbst sie hatte sich verabschiedet, nachdem die Aussicht, noch einen Freier abzukriegen, nahezu bei null lag.

Jetzt bedauerte es Mary Jane, nicht auch nach Hause gegangen zu sein. Aber sie brauchte das Geld ...

Thomas Craft, seit William MacKenzies tragischem Tod der alleinige Butler auf Château Montagne, kam kreidebleich ins Arbeitszimmer gestürzt. Nicole und Zamora sichteten soeben gemeinsam die über Nacht eingegangenen Mails. Darunter waren Anfragen aus aller Welt für wissenschaftliche Vorträge, Hinweise auf mögliche paranormale oder dämonische Aktivitäten, aber auch die eine oder andere Mail von Freunden.

»Verzeihung, aber ...« Thomas stockte, während Zamorra und Nicole ihn besorgt anschauten. Offensichtlich rang Thomas nicht nur um Worte, sondern auch um Fassung.

»Was ist los mit Ihnen, Thomas?«, fragte Nicole besorgt. Sie hatte ein besonderes Vertrauensverhältnis zu dem Butler. Und er zu ihr. Er vertraute ihr bedingungslos.

»Es ist ...«

Jetzt erst bemerkte Nicole den Bogen Papier, den Thomas Craft in der Hand hielt. Sie stand auf und ging auf ihn zu.

»Lesen Sie selbst, Madame«, sagte Thomas mit leicht zitternder Stimme. Es war völlig untypisch für den ansonsten stets um Souveränität bemühten Butler.

Er reichte Nicole das Blatt. Es handelte sich um einen auf edlem Bütten geschriebenen Brief. Als Briefkopf war der geprägte Stempel einer Anwaltskanzlei namens Stevenson & Louis angegeben.

»Sehr geehrter Mister Craft«, las Nicole laut, sodass auch Zamorra es mitbekam. Der Meister des Übersinnlichen hatte sich besorgt zu den beiden umgedreht und hörte aufmerksam zu.

»Wir bedauern Ihnen die traurige Mitteilung machen zu müssen, dass Ihr Onkel Aleister Matthew Blake bereits im letzten Jahr am 15. November 2024 verstorben ist. Wir haben Sie als alleinigen noch lebenden Angehörigen und Erben ausfindig machen können und bitten Sie, sich mit uns baldmöglichst in Verbindung zu setzen ...«

Nicole ließ den Brief sinken und sah Thomas an. »Sie haben uns nie etwas von Ihrem Onkel erzählt.«

»Weil es keine Veranlassung gab. Ich habe Onkel Aleister seit meiner Kindheit nicht mehr gesehen und ihn, ehrlich gesagt, auch völlig vergessen. Oder vielleicht auch verdrängt. Umso überraschender ist nun dieser Brief, denn ...« Er geriet wieder ins Stocken.

»Sprechen Sie ruhig weiter, mein lieber Thomas.«

»Nun, es hatte Gründe, warum meine Mutter ihn fürchtete. Und ich ihn übrigens auch. Er war ein böser Mensch, müssen Sie wissen. Umso schmerzlicher ist es, nun wieder an ihn erinnert zu werden.«

Auch Zamorra erhob sich nun. »Wenn es so schmerzlich für Sie ist, Thomas, vergessen Sie das Schreiben doch einfach. Es besteht keine Pflicht, der Bitte Folge zu leisten.«

Thomas senkte den Kopf, ballte die Hände zu Fäusten. Dann sah er Zamorra fest in die Augen.

»Doch. Ich betrachte es als meine Pflicht. Sie können es vielleicht nicht verstehen, Monsieur le Professeur, aber ... nun, vielleicht hilft es mir ja, diesen dunklen Fleck meiner Vergangenheit endlich zu verarbeiten, indem ich mich ihm stelle.«

Nicole nahm seine Hand, die sich sogleich entkrampfte.

»Zamorra und ich verstehen Sie sehr gut, Thomas. Wir würden nicht anders handeln. Und schließlich, so besagt es der Brief, geht es ja auch um ein Erbe. War ihr Onkel vermögend?«

Thomas zuckte die Schultern. »Das vermag ich nicht zu sagen, Madame. Ich war damals, wie gesagt, noch ein Junge. Ich weiß jedoch, dass mir das Haus, das er allein bewohnte, riesig vorkam. Riesig und düster, und ich mich stets unwohl darin fühlte, wenn wir zu Besuch dort weilten.«

»Wie auch immer, Thomas, die Entscheidung liegt bei Ihnen«, sagte Zamorra. »Sie sollen jedoch wissen, dass wir Sie jederzeit beurlauben, sollte Ihre Anwesenheit vor Ort nötig werden.«

Thomas verbeugte sich leicht. »Ich danke Ihnen beiden sehr. Nun, ich denke, ich werde zunächst das Anwaltsbüro Stevenson & Louis telefonisch kontaktieren. Vielleicht weiß ich danach schon mehr.«

»Tun Sie das, Thomas«, ermunterte ihn Nicole. »Und scheuen Sie sich nicht, uns auf dem Laufenden zu halten. Natürlich nur, wenn Sie es für nötig befinden.«

Nachdem sich Thomas noch einmal bedankt und den Raum verlassen hatte, schauten sich die beiden Geisterjäger stirnrunzelnd an.

»Was meinte er nur mit dem dunklen Fleck seiner Vergangenheit?«, fragte Nicole.

»Hätte er es uns verraten wollen, hätte er es uns erzählt.«

»Du Schlauberger. Trotzdem, es klang nach einer nicht sehr schönen Episode in seinem Leben.«

»Einer, die er nach eigenen Worten verdrängt hast. Umso wichtiger wird es für ihn sein, sie aufzuarbeiten – was immer damals auch geschehen sein mag.«

Vergangenheit

»Ich will nicht zu Onkel Aleister, Mom!«

»Aber, Thomas, wir haben das doch alles lang und breit besprochen. Ich muss nun mal für eine Woche ins Krankenhaus, und dein Onkel Aleister ist unser einziger Verwandter. Also bleibt uns gar nichts anderes übrig. Seien wir froh, dass er sich um dich kümmern wird!«

»Ich will nicht!« Thomas' Stimme klang nun beinahe weinerlich. Er war zwölf Jahre alt, und er wusste, dass es sich nicht ziemte für einen zwölfjährigen Jungen zu heulen. Er versuchte sich zusammenzureißen, aber es fiel ihm schwerer, je näher sie der Eingangspforte kamen.

Sie war schwarz, ebenso wie das ganze herrenhausähnliche Gebäude in Schwärze getüncht war. Nicht nur deshalb wirkte es überaus düster. Thomas glaubte zu spüren, dass so etwas wie ein böser Hauch von Lucifer's Hall ausging.

Wer war schon so irre und benannte sein Haus nach dem obersten aller Teufel?

Thomas hatte es nachgelesen. Ebenso hatte er sich in der Gemeindebibliothek informiert, was ein Satanist war. Onkel Aleister war ein solcher. Zumindest hatte Thomas das herausgefunden, als er heimlich gelauscht hatte, wie sich seine Mutter und sein Onkel stritten.

Ein Satanist huldigte dem Teufel, also war Onkel Aleister ein Teufelsanbeter. In dem Lexikon, aus dem Thomas seine Informationen bezüglich Satanismus bezogen hatte, waren auch Abbildungen gewesen. Bilder von Opferungen nackter Frauen. Und auch nackte Leiber von Männern und Frauen. Sie alle trugen Tiermasken. Was sie da miteinander trieben, wusste Thomas natürlich. Er war ja kein Kind mehr. Besonders ein ineinander verschlungenes Paar hatte es ihm angetan: Da trieben es nicht Mann und Frau, sondern zwei Männer miteinander.

In Thomas' Fantasie fanden auch in Lucifer's Hall solche Feiern statt. Seltsamerweise erregte ihn der Gedanke.

Und doch hatte er, seitdem er wusste, dass er eine Woche in dem düsteren Haus wohnen sollte, eine entsetzliche Angst davor.

Es war nicht so, dass er bisher niemals dort gewesen wäre. Im Gegenteil, sogar sehr oft, hatte Mom mit ihm Onkel Aleister besucht. Einmal im Monat lud er sie zum Essen ein. Jeweils am dreizehnten. Auch das war einer seiner Spleens. Er bezeichnete die Dreizehn als die unheiligste aller Zahlen.

Mom war alleinerziehend. Das Geld war immer knapp. Also nahm sie die Einladungen ihres Schwagers stets nur allzu gern an. Jedes Mal gab es ein üppiges Essen, das aus mehreren Gängen bestand. Besonders gern tischte Onkel Aleister Wild und Geflügel auf: Pudding mit Wildragout, Fasan mit Perlgraupen oder auch Moorhuhnpastete mit Entenleber.

Letzteres Gericht gab es zu Thomas' Leidwesen jedes zweite oder dritte Mal. Er hasste Innereien genauso wie Kaviar oder Schnecken. Es ekelte ihn geradezu an. Aber Onkel Aleister bestand darauf, dass er alles aß, was serviert wurde. Und je mehr Abscheu auf Thomas' Gesicht stand, umso sardonischer geriet das Lächeln seines Onkels.

Eigentlich gab es nur eines, auf das Thomas sich freute: auf den Nachtisch. Seine Favoriten waren Brownies mit dunkler Schokoladen-Ganache und karamellisierte Apfelpfannkuchen.

»So, jetzt mach nicht so ein jämmerliches Gesicht und reiß dich zusammen!«, tadelte ihn Mom, nachdem sie die altmodische Türglocke betätigt hatte und von drinnen Schritte zu hören waren.

Die Tür öffnete sich, und Mrs Mercy stand vor ihnen.

Mrs Mercy war Haushälterin, Köchin und wohl auch Hausdame in einem. Sie war füllig, hatte ein rundes, gutmütiges Gesicht mit blauen Kulleraugen. Und sie trug tatsächlich bei gewissen Tätigkeiten eine altmodische weiße Haube auf dem pechschwarz gefärbtem Haar. Sie mochte über sechzig sein. In Thomas' Augen war das uralt, aber dennoch ertappte er sich dabei, dass er manchmal auf ihre üppigen Brüste schielte, die sich unter ihrer Bluse abzeichneten.

»Ach, der junge Herr Thomas!«, begrüßte sie ihn und schenkte ihm ein warmherzig wirkendes Lächeln. Auch sonst war sie die Freundlichkeit in Person. Und dennoch traute Thomas ihr nicht. Unter der Freundlichkeit glaubte er noch etwas anderes wahrzunehmen. Er konnte es nicht genau benennen, aber es war etwas Liederliches, Grausames, Bösartiges. Wie die Hexe in Hänsel und Gretel, die sich gegenüber den Kindern nur freundlich gab, um sie in Wahrheit verspeisen zu wollen.

Sie beugte sich zu ihm herunter, strich ihm übers akkurat gescheitelte Haar und kniff ihm scheinbar freundschaftlich in die Wange. Jedes Mal tat sie es fester, als es hätte sein müssen, und Thomas musste sich zusammenreißen, um nicht aufzuschreien.

Erst danach begrüßte sie seine Mom.

»Dann kommen Sie doch bitte herein, Mrs Craft. Ihr Schwager erwartet Sie schon.«

Sie wandte sich um und ging voran. Mrs Craft folgte ihr dichtauf. Thomas schlich ihnen hinterher. In der Hand hielt er einen kleinen Koffer. Er war schwer, obwohl er nur die Kleider für eine Woche enthielt. Und ein paar Bücher.

Onkel Aleister hockte in seinem Inspirationsraum. So nannte er das ganz in Schwarz gestrichene Zimmer, das von dreizehn schwarzen Kerzen nur schwach erhellt war. Er saß im Schneidersitz auf einem mit schwarzmagischen Symbolen bestickten Teppich, trug ein schwarzes Gewand und einen breitrandigen Schlapphut, unter dem sein Gesicht im Schatten lag, und wies bei ihrem Eintritt mit einem Zauberstab auf Thomas.

»Ah, mein Junge. Ich freue mich, dass du dich entschlossen hast, mir eine Woche lang Gesellschaft zu leisten.«

Ich habe mich nicht entschlossen, dachte Thomas. Mom lässt mir keine andere Wahl.

Aber er behielt seine Gedanken wohlweislich für sich. Er wusste, dass Onkel Aleister schnell wütend wurde, wenn man ihm widersprach. Mom hatte das oft erfahren müssen. Manchmal trug sie danach auch Blessuren am Leib. Thomas konnte nur vermuten, dass Onkel Aleister sie auch schlug. Das fand jedoch hinter verschlossenen Türen statt, während sich Mrs Mercy um ihn kümmerte.

Einmal hatte Mom ein blaues Auge davongetragen. Sie sagte, sie sei gegen eine Tür gelaufen. Ein andermal kreuzte ein roter Striemen ihr Gesicht, wie von einer Peitsche. Als Thomas sie fragte, wie das passiert sei, fing sie an zu weinen.

»Eine Mahlzeit kann ich heute nicht anbieten«, bedauerte Onkel Aleister. »Ich nehme an, Helen, dass du dich auch gleich wieder auf den Weg machen musst.«

Es klang wie ein Befehl, und Mom nickte auch sofort.

»Ja, natürlich, Aleister. Und ich danke dir, dass du dich um Thomas kümmerst. Es ist wirklich eine große Erleichterung für mich.«

»Das weiß ich doch, Helen. Aber es ist eine Selbstverständlichkeit. Ich helfe, wo ich helfen kann.«

Es klang in Thomas' Ohren nicht ehrlich, sondern fast höhnisch. Aber Mom lächelte dankbar.

Dann drückte sie Thomas innig und verabschiedete sich.

Thomas sah sie nie wieder.

Gegenwart

Das Herz von Thomas Craft klopfte bis zum Hals, als er das Gartentor aufschloss und den gewundenen Pfad entlangschritt, der zum Portal führte. Kies knirschte unter seinen schwarzen, akkurat geputzten Schuhen. Sie würden bestimmt schmutzig werden. Denn Dreck und Unkraut hatten den Pfad erobert. Auch zu beiden Seiten wucherte es üppig. Hier hatte schon lange niemand seinen grünen Daumen walten lassen.

Wie damals, als er für längere Zeit hier eingezogen war, trug er einen Koffer bei sich. Dieser war um einiges größer als der, den er als Zwölfjähriger dabeigehabt hatte. Damals hatte er ja nicht ahnen können, dass seine Mutter bei der Operation verstarb und er Onkel Aleister ausgeliefert sein würde.

Auch jetzt rechnete Thomas nicht damit, dass er länger als ein, zwei Tage in London würde bleiben müssen. Leider hatte keiner der Notare in der Kanzlei Stevenson & Louis schon heute für ihn Zeit gehabt. Dafür war er zu kurzfristig angereist. Man hatte ihn auf den morgigen Tag vertröstet und ihm zumindest schon mal die Schlüssel für das Haus überreicht. Schließlich gehörte es jetzt ihm.

Sofern er das Erbe annahm. Noch wusste er nicht, ob irgendwelche Hypotheken auf dem Anwesen lasteten oder sich Onkel Aleister mit Schulden aus der Welt verabschiedet hatte. Eigentlich wusste er noch überhaupt nichts. Weder woran sein Onkel gestorben war noch sonst etwas.

Allzu alt mochte Onkel Aleister im Augenblick seines Todes nicht gewesen sein. Vielleicht sechzig oder sogar etwas jünger.

Als Thomas die breiten Stufen hochschritt und den Schlüssel im Schloss herumdrehte, musste er schlucken. Es war das allererste Mal, dass er sich selbst Eintritt in Lucifer's Hall verschaffte. Wann immer er sich daran erinnerte, so war es stets Mrs Mercy gewesen, die ihm geöffnet hatte. Sie musst längst uralt oder ebenso unter der Erde sein wie sein Onkel.

Der Schlüssel schien nicht recht zu passen. Er bekam ihn nicht ganz hinein. Ob ihm die Assistentin, die ihm das Bund überreich hatte, das falsche Schlüsselbund ausgehändigt hatte?

Es war auf jeden Fall ärgerlich.

Thomas Craft versuchte es noch ein paarmal, aber als auch das nichts brachte, wandte er sich ab, um den Rückweg anzutreten.

Da vernahm er aus dem Innern des Hauses sich nähernde Schritte.

Und schon wurde die Tür geöffnet.

Er konnte seine Überraschung nicht verbergen, obwohl ihm bewusst war, wie dumm er wahrscheinlich aus der Wäsche schaute.

Denn vor ihm stand niemand anderes als Mrs Mercy!

Und sie hatte sich kein bisschen verändert. Zumindest nicht, wenn er das Bild aus seiner Erinnerung aufrief und es mit der Person verglich, die ihn nun wie damals freundlich anlächelte.

Aber wie war das möglich? Natürlich wusste er, seitdem er auf Château Montagne in Diensten war, dass alles nur Denkbare möglich war. Es gab Dämonen und eine Hölle, der sie entstammten. Es gab Außerirdische und Sara Moon. Es gab für den normalen Menschen kaum vorstellbare Wesen wie die Silbermonddruiden Teri Rheken oder Gryf ap Llandrysgryf, die den zeitlosen Sprung beherrschten. Und es gab ein Wesen wie Taran, in das er sich sogar verliebt hatte. Nicht zuletzt waren da Zamorra und Nicole, die aus der Quelle des Lebens getrunken hatten und seitdem nicht mehr alterten.

Aber es lag eindeutig jenseits seiner Vorstellungskraft, dass auch Mrs Mercy daraus geschöpft hatte.

Oder sie war eine Hexe. Er hatte es damals nur vermutet. Allerdings waren manche Erinnerungen an sie verblasst oder ganz gelöscht. Wie so vieles, was ihm in Lucifer's Hall widerfahren war. Erst als er den Brief von Stevenson & Louis erhalten hatte, war einiges wieder aufgeploppt – so, als wäre es seit Jahrzehnten unter einem Geröllberg schwerer Steine verschütt gewesen.

Mrs Mercy strahlte ihn an. »Mein Junge!«, begrüßte sie ihn und streichelte ihm wie damals über den strengen Seitenscheitel. Nur musste sie sich, im Gegensatz zu früher, nicht bücken, sondern auf Zehenspitzen stellen, damit sie an ihn heranreichte.

Wenigstens vermied sie es, ihm in die Wange zu kneifen. Fast hatte er es befürchtet.

Mein Junge, hatte sie ihn genannt. Ganz so, wie manchmal Madame Claire manch einen Bewohner auf dem Château nannte. Merkwürdig, dass er dabei nie an Mrs Mercy gedacht hatte.

»Mrs ... Mercy?«, fragte er nun. Noch immer konnte er kaum glauben, dass sie es war, die vor ihm stand.