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Schauplatz dieses Romans ist eine Sägemühle im Bayerischen Wald. Paul Friedl schildert einerseits Dorfbewohner, die um Liebe und Freundschaft ringen, andererseits zeigt er Menschen, die alles Gute missachten und in maßloser Selbstüberschätzung sich selbst zugrunde richten. Eine außergewöhnliche Dorfgeschichte, die den Leser nicht loslässt.
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Veröffentlichungsjahr: 2017
LESEPROBE ZU
Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2003
© 2017 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim
www.rosenheimer.com
Titelfoto: Michael Wolf, München
eISBN 978-3-475-54685-3 (epub)
Paul Friedl
Schwarze Kirschen
Schauplatz dieses Romans ist eine Sägemühle im Bayerischen Wald. Paul Friedl schildert einerseits Dorfbewohner, die um Liebe und Freundschaft ringen, andererseits zeigt er Menschen, die alles Gute missachten und in maßloser Selbstüberschätzung sich selbst zugrunde richten. Eine außergewöhnliche Dorfgeschichte, die den Leser nicht loslässt.
Über dem Wald kündigte sich der neue Tag an. Ein grauer Schein nur, aber er hob Dorf und Kirchturm aus dem Dunkel der Nacht, hellte die taudunstenden Wiesenflecken auf und drängte die Nacht aus dem Tal der Rumpachmühle in die weiten Forsten zurück.
Auch durch die Fenster der Wohnstube in der Rumpachmühle kam das leichte Grau des kommenden Morgens, und aus dem Dunkel der Stube tauchte das fahlweiße Gesicht der Müllerin, die am Tisch saß und gegen den Schatten starrte, der sich nun am Fenster abzuzeichnen begann. Wegen ihrer beträchtlichen Leibesfülle atmete sie röchelnd, und ihr heiseres Flüstern setzte die dicke, verbrauchte Stubenluft in Bewegung.
„Es wird schon Tag.“
„Hm“, kam die gebrummte Bestätigung vom Fenster her, und ein Streichholz flammte auf. Es beleuchtete für einen Augenblick das übernächtige Gesicht eines jungen Mannes, der hastig an der Zigarette zog.
Draußen wurde es heller, die Umrisse des Mannes am Fenster deutlicher. Hörbar stieß er den Zigarettenrauch aus. Mit der Linken stützte er sich am Fensterkreuz, der Ärmel des rechten Armes hing leer von der Schulter und steckte in der Hose.
„Wird ihn bald einer finden“, keuchte die Müllerin leise, „wird der Stiegler bald zur Arbeit gehen und ihn finden.“
Ein unwilliges Brummen kam vom Fenster her.
Unter der schwarzen Balkendecke stauten sich die rauchgeschwängerte Luft, die abschwellende Stubenwärme und der herbe Ruch von Sagemehl und altem Holz, von muffigen Kleidern, von der Sauermilchsuppe des Vorabends und dem bangen Atmen der beiden. Das alte Haus knisterte, und wenn in der Kammer nebenan der alte Müller hustete, horchte die Müllerin auf.
„Dann wird es nimmer lang dauern, bis die Gendarmen kommen. Wegen dem Streit beim Wirt wird man es gleich auf euch, die Müllerbuben, haben!“
Der junge Mann fuhr auf und zischte: „Auf mich kann es niemand haben! Ich hab net gestritten und net gerauft.“
„Alois, wenn die Gendarmen kommen, die stellen das ganze Haus auf den Kopf, und dann?“ röchelte die Alte aus dem dicken Hals.
„Pah, im Krieg haben sie das Haus dreimal durchgesucht und die alte Sackkammer net gefunden! Mutter, jetzt muß es gehen, wie wir es gemeint haben, oder es ist alles beim Teufel! Entweder die Sägemühle gehört uns, oder wir können zusammenpacken und gehen, das weißt du ja selber! Drum paßt mir das alles ganz gut. Besser hätte es für uns gar net kommen können. Mich kann keiner verdächtigen, ein Einhandl kann niemanden umbringen, das muß einer mit starken Fäusten gewesen sein, werden sie sagen.“
„Mir ist gar net gut dabei“, stöhnte die Müllerin.
„Du weißt gar nix und sollst auch nix sagen, wenn gefragt wird. Du weißt nur, daß der Bernhard in der Nacht heimgekommen ist und dir gesagt hat, daß er einen zusammengeschlagen hat, und dann hat er eben sein Zeug zusammengepackt und ist auf und davon. Wohin? Wie sollen wir das wissen! Vielleicht geht er ins Ausland.“
Der Alois war heftig geworden, und sie zischte warnend.
„Net so laut, der Vater könnt dich hören.“
Er lachte hämisch. „Komm mir net mit dem Vater! Ein Stiefvater ist kein Vater — und jetzt schaut die Geschichte ganz anders aus. Die Mühle muß mein werden, und jetzt, wo ich den Stiefbruder in der Hand habe, geht es nach meinem Willen! Da lasse ich mir auch von dir nix dreinreden!“
Sie schwiegen und horchten auf das Husten hinter der Kammertür.
Die Glut der Zigarette bewegte sich wie ein Leuchtkäfer vor dem Fenster. Draußen ging die Mainacht zu Ende, und der Himmel wurde blau. Die Stube wurde hell, und im wachsenden Taglicht sahen sie sich an.
„Der Alte hat mich lange genug schikaniert. Jetzt pfeift bald ein anderer Wind! Du sagst ihm alles genauso, wie wir es ausgemacht haben, sonst brauchst du dich um nix zu kümmern. Verstehst! Du weißt nix!“
„Ich fürcht mich — die Polizei — mit der mußt du fertig werden“, flüsterte sie bang.
Der Alois lachte wieder höhnisch auf.
„Das werd ich auch, und mit deinem Müller werd ich auch fertig!“
„Das ist eh ein kranker Mann! Wirst es doch erwarten können, bis er stirbt!“ keuchte die Müllerin.
„Du hältst natürlich lieber zu ihm als zu deinem eigenen Sohn! Hast ihn ja haben müssen! Hättest net hergeheiratet zu diesem alten Witwer, dann hätte ich meinen Arm noch!“
„Kann denn jemand was dafür, daß du in die Transmission gekommen bist? Hättest selber besser aufpassen sollen!“ schnaufte die Mutter.
„Das will ich nimmer hören!“ brauste der Alois auf.
„Net so laut!“ stöhnte sie. Aus der Kammer kam wieder das Husten und eine Bettstelle knarrte.
Die Sonne schob sich über den Wald und brachte den hellen Tag. Der schwere Atem der Müllerin füllte die Stube, und ihr angstgraues Gesicht kehrte sich dem Fenster zu.
„Der Bernhard —“, rasselte sie.
„Den werden sie net finden!“ stieß der Alois durch die Zähne, trat vom Fenster zurück und zischte: „Der Stieglermaurer geht in die Arbeit!“
Die Müllerin wischte sich mit der fleischigen Hand den kalten Schweiß von der Stirn.
„Jetzt dauert es nimmer lang, bis alles rebellisch wird — und die Hastreiter Angela wird auch bald kommen, die muß ja heut einstehen. Haben dann wieder ein fremdes Leut im Haus! Gar net wohl ist mir, wenn ich dran denke —“
„Das ist deine Sache, daß der nix aufgeht! Ist grad recht, daß sie bei uns fremd ist. Die kann drüben im Beihäusl schlafen, im Haus hat sie nix zu suchen, da kann sie dir in der Kuchl helfen, aber weiter nix“, antwortete er grob.
„Mir ist ganz schlecht, hab keine Minute geschlafen“, greinte sie.
Der Alois ließ sich auf die Bank fallen und streckte die Füße von sich. Während er mit der einen Hand eine Zigarette aus der Schachtel fingerte und sie, die Streichholzschachtel zwischen die Knie geklemmt, anzündete, beobachtete er mißtrauisch seine Mutter. Alles an dieser unförmigen Frau wirkte schlampig. Rock und Joppe waren im schmutzigen Braungrau, die Schürze fleckig. Unter dem schütteren, schon leicht ergrauten Haar war das feiste Gesicht breit und schwammig, und die huschenden Augen blinzelten durch dicke Fettpolster.
Sie schwiegen und horchten auf die kleinen Geräusche des alten Hauses und das leise Rauschen des Mühlbachs, der zwischen Wohnhaus und Säge floß. Auf dem großen Kirschbaum vor dem Haus sangen die Vögel den Morgen an. Der Löwenzahn leuchtete in tausend gelben Sonnen auf der Mühlwiese. Die Birken auf dem bergseitigen Hang hinter Wohnhaus und Sägewerk trugen die ersten seidiggrünen Blätter. Um die Rumpachmühle war es still, als hätten die Mühlleute den schönen Morgen verschlafen. In Windungen dem Bach folgend, führte das Sträßlein vom Wald nieder, vorbei am versteckten Häusl des Stieglermaurers und an der Rumpachmühle dem Dorf zu, und erreichte dieses durch ein Wäldchen.
Das alte Wohnhaus mit der angebauten aufgelassenen Mühle bot einen fast ärmlichen Anblick. Das weißgekalkte Untergeschoß trug einen hölzernen Aufbau mit einem Balkon, dessen Sprossen teilweise fehlten. Vom Anbau der alten Mühle war der Verputz längst abgefallen. Dieser rückwärtige Teil des Hauses steckte im Hang, und die jungen Brennessel wucherten schon wieder an den brüchigen Mauern. Gnädig breitete der blühende Kirschbaum seine weiße Pracht über das morsche Mühlendach, auf dem die Haustauben in der Frühsonne gurrten. Wo einst das Mühlrad sich drehte, grünten Stauden und Unkraut am eingestürzten Kanal. Vom alten Haus führte ein Steg über den Bach zum neuen Sägewerk, das von einer Turbine getrieben wurde. Neu und sauber war das kleine Beihaus, das an die Säge angebaut war. Grüne Fensterläden und weiße Wände, gelbbraunes Holz und ein rotes Ziegeldach strahlten den frischen Morgen wider.
Im Dorf, das in der Talmulde am unteren Mühlbach lag, kündete die Kirchenglocke den Tag an, und die hallenden Töne fluteten über die Hügel und Hänge zu den Wäldern. Hühner rannten ins Freie, Hähne krähten, und Tennentore knarrten.
Der letzte Glockenton schwamm mit dem leichten Wind davon, und der Mesner Sigl kam aus der Kirche. Er blieb auf dem Dorfplatz stehen, sah sich um und nahm, zufrieden mit dem schönen Morgen, bedächtig eine Prise Schnupftabak.
Beim Kirchenwirt, dessen Haus sich etwas aufdringlich in den Dorfplatz schob, schlief man in den Tag hinein. Es war spät geworden in der vergangenen Sonntagnacht. Sie hatten das Maibaumbier getrunken, lustig und streitbar, singend und lärmend, weit über die Mitternacht hinaus. Gestern hatten die Burschen den Maibaum aufgerichtet, und er prangte auf dem Platz, als sollte alle Tage Festtag sein. Über die Hausdächer ragte er und wollte sich mit dem Kirchturm messen, ein weißgeschälter Stamm mit Figuren auf den Quersprossen, dem Kranz und den bunten, im Winde flatternden Bändern und dem Tännling hoch droben auf der Spitze.
Bis in die Schlafstube des Mesnerhauses hatte er die Streiterei gehört, und wer konnte es schon gewesen sein? Den jungen Orthofer hatte er am Geschrei erkannt, und da war der andere wohl der Bernhard von der Rumpachmühle. Das waren die ewigen Widersacher, und man wußte ja, warum sie sich feind waren. Jeder spitzte auf die Sabine vom Böhmhofer, und in der letzten Zeit hatte der Bernhard wohl den Ertl Xaver, den jungen Orthofer, ausgeschaltet. Und wie der Xaver war, stolz und streitsüchtig, war da noch lange keine Ruhe. Ist aber zu keiner Rauferei gekommen, denn das hätte er, der Mesner, gehört. Läßt auch der Kirchenwirt nicht leicht etwas aufkommen und ist gleich mit dem Ochsenfiesel da und mit dem Hinauswurf. Wenn der mächtige Wirt Ruhe fordert, da hat sich noch keiner gemuckst, nicht einmal die Müllerbuben, die sonst recht lautmaulig sind.
Drüben schob der Dorfschmied das Tor auf, sah gähnend gegen den hellblauen Himmel, nickte dem Mesner zu und verschwand wieder in seiner rußigen Werkstatt.
Der Mesner Sigl nahm eine zweite Prise.
Über ihm um den Kirchturm kreisten schreiend die Dohlen und störten den Morgenfrieden des Montags. Aus den Höfen kamen die ersten Geräusche, doch der Dorfplatz blieb menschenleer. Der Mesner wollte sich schon seinem Haus und der späten Morgensuppe zuwenden, als von einem Feldweg, zwischen zwei Häusern hervor, ein Mädchen kam, nach der Turmuhr schaute, eilig den Platz querte und an ihm vorbei wollte. Es trug einen Koffer. Unter einer Fülle kastanienbrauner Haare sahen ihn große schwarze Augen an, und ein frischer Mund lächelte ihm zu.
„Guten Morgen, Mesner!“
„Ei, die Angela! Wo willst denn du hin?“
„Hab mich ein bisserl verschlafen. In der Rumpachmühl steh ich heut ein.“ Es klang unternehmungslustig, und doch forschten ihre dunklen Augen den alten Mann an, was er etwa dazu meinen möchte.
„O je, da hast du dir aber einen seltsamen Dienstplatz ausgesucht! Wirst es net leicht haben. Sind sonderbare Leut, die Rumpachmüller. Ist ihnen die Dirn davongelaufen, weil sie es bei dem zuwideren Alten und der boshaften Müllerin nicht mehr ausgehalten hat.“
„Weiß es“, sagte die Hastreiter Angela ernst, „aber ich fürcht mich net. Ich tu meine Arbeit und laß mir nix nachsagen.“
Der Mesner Sigl nickte. „Ich wünsch dir viel Glück! Sind Hintersinnige, die Mühlleute, und überhaupt ist es in der alten Mühle net ganz geheuer. Soll die Müllerin als Geist umgehen, hab ich gehört, das erste Weib des Rumpachmüllers. Und die Buben? Der Bernhard und der Alois, die werden es dir net leicht machen! Ich meine halt, ich sehe dich bald wieder mit deinem Kofferl auf dem Heimweg.“
Diese Auskunft schien die Angela zu ärgern, und ein wenig schnippisch meinte sie: „Ach geh, die Mühlleut sind auch Leut wie die andern! Ein wenig extrig und eigensinnig sind sie halt. Das ist mir gleich. Der Lohn ist gut.“
Die Angela wandte sich zum Gehen und bog vom Dorfplatz ab in das Sträßlein, das ins Tal der Rumpachmühle führte. Noch einmal nahm der Mesner eine Prise und sah ihr nach, wie sie eilig dem kleinen Wäldchen zustrebte. Mitten im Schnupfen hielt er inne und strengte seine Augen an.
Das war doch der Stieglermaurer, der da aus dem Birkenwald kam, der Angela etwas zurief und nun fuchtelnd ins Dorf rannte, als hätte er ein Feuer zu melden. Die Angela eilte in Richtung Mühle weiter und verschwand hinter den Bäumen.
Der Mesner rief den außer Atem auf dem Dorfplatz ankommenden Maurer an, wo es denn brenne.
„Der Ertl Xaver — der Orthofer — liegt dort hinten! Tot! Da ist was passiert — muß es der Polizei sagen!“ hastete der Stiegler heraus und ließ sich nicht aufhalten. Neben dem Kirchenwirt, wo bei der Haustür am Haus der Kathie Graßl das Schild „Landpolizei“ hing, läutete er und trommelte dann mit den Fäusten an die Haustür.
„Jetzt haben wir die Sauerei!“ entsetzte sich der Mesner, stand wie angewurzelt und wartete, bis sich drüben ein Fenster öffnete und der Polizeimeister Rabinger nach dem Grund des Alarms fragte. Er stand noch mit der Prise Schnupftabak auf der Faust, die er vor Schrecken zu schnupfen vergessen hatte, als schon der Polizeimeister Rabinger und der Polizeihauptwachtmeister Schedl aus dem Haus traten und sich mit dem Stiegler zum Mühlwäldl hin entfernten. Dann schlappte er über den Platz zum Schmied, um ihm die Neuigkeit zu sagen.
Im blühenden Kirschbaum vor der Mühle sangen die Vögel, und um die weiße Pracht sammelten sich die Bienen.
Die Sonne war nun schon über den Birkenweg gekommen und schien in die Wohnstube. Staub und Zigarettenrauch flirrten in der dicken Luft.
Sie hatten lange geschwiegen und ihren Gedanken nachgehangen, bis die Müllerin wieder bänglich flüsterte: „Jetzt müssen sie bald kommen.“
Wütend zischte der Alois: „Hör endlich damit auf! Freilich kommen sie, aber das kann schon noch eine Weile dauern, und warum sollten sie gleich zu uns kommen? Die werden sich zuerst erkundigen, was in der Nacht beim Wirt gewesen ist. Ich sag es dir noch einmal: Du weißt nix! Kein Wort mehr, als was wir ausgemacht haben!“
In der Kammer nebenan hustete wieder der Müller.
„Wenn es einmal aufmaulig ist und man es auch schon auf dem Böhmhof weiß, dann geh ich zur Sabine“, murmelte der Alois mehr für sich selbst. Fragend sah die Mutter ihn an.
„Jetzt ist der ganze Streit um die Sabine aus!“ fuhr der Alois befriedigt fort: „Jetzt werde ich mich um die Sabine annehmen. Wenn ich die Mühle hab und sie den Hof — Davon hab ich alleweil schon geträumt, und ist kein Weg dahin gewesen. Aber jetzt — jetzt ist der Weg frei!“
„Das willst fertigbringen?“
„Ja, Mutter, das bring ich fertig!“ triumphierte er. „Ich laß mir schon Zeit. Wenn der Xaver einmal in der Erd ist und die Polizei umsonst nach dem Bernhard sucht, dann hat die Sache bald ein anderes Gesicht. Der Böhmhofer hat nix gegen mich, wenn ich sagen kann: Ich bin der Müller.“
Sie keuchte heiser: „Ich komm aus der Angst net raus! Wenn du nur keinen Fehler machst, Bub! Wär am Ende besser gewesen, der Bernhard hätte sich der Polizei gestellt.“
Ein rauher Ruf aus der Kammer nebenan schreckte sie auf: „Zilli!“
„Jetzt ist er da!“ Die Müllerin war bis in die Lippen weiß geworden, erhob sich schwerfällig und watschelte in die Kammer.
Der Alois riß ein Fenster auf, um die stickige Luft hinaus zu lassen, und horchte auf das unwillige Gemurmel. Seine Züge strafften sich, als die Tür sich öffnete und die Müllerin ihren Mann im Rollstuhl in die Stube und an den Tisch schob.
Hinter dem Rücken des alten Müllers zwinkerte die Müllerin ihrem Sohn zu.
Im harten grauen Gesicht des Rumpachmüllers Simon Karg glühten unter weißbuschigen Brauen und über einer schmalen hakigen Nase durchdringende blaue Augen und musterten mißtrauisch den Stiefsohn.
„Ist bei dir alleweil noch Sonntag, weil du das Feiertagsgewand noch anhast? Oder bist gar grad erst heimgekommen?“
Der Alois zündete sich umständlich eine Zigarette an und sagte nichts. Über den Kopf des Alten hinweg sah er dabei auf die Mutter.
Der Alte zürnte: „Was ist los? Wo ist der Bernhard? Warum geht die Säge net? Den blauen Montag gibt es bei mir net!“
„Der Bernhard ist weg“, maulte der Alois in gekünstelter Ruhe.
„Weg? Was heißt weg? Im Bett wird er lümmeln! Weck ihn auf! Um sechs Uhr geht bei uns die Arbeit an!“
Schulterzuckend erwiderte der Alois: „Es ist was passiert heut in der Nacht —“
„Passiert? Was ist passiert? Gesoffen habt ihr!“
„Der Ertl Xaver hat wahrscheinlich dem Bernhard aufgelauert —“, zögerte der Alois und wich den zornigen Blicken des Müllers aus.
„Und? Mach auf dein Maul! Was ist los?“
„Ich weiß es ja net, bin ja net dabei gewesen“, trotzte nun der Alois. „Weiß nur, was der Bernhard gesagt hat.“
Die hilflose Wut stieg dem Müller ins Gesicht, und er kreischte: „Wo ist der Bernhard? Was hat er gesagt? Heraus jetzt endlich mit der Sprache!“
„Da kommt jemand“, hechelte die Müllerin warnend, und alle drei sahen nach den wegseitig gelegenen Fenstern. Draußen bog gerade die Hastreiter Angela vom Weg zur Mühle ab. Sie warteten steif, bis das Mädchen klopfte und auf den rauhen Ruf des Müllers hin eintrat. Sie war bleich, und ihre Lippen zitterten.
„Hab mich ein wenig versäumt — aber vorn im Wald liegt der Orthofer — erschlagen —“
Es war still in der Stube. Der Müller war bleich geworden, seine Frau, die hinter ihm stand, warf der Angela rasch einen bösen Blick zu, und der einarmige Stiefsohn Alois sah sie abwartend und interessiert an. Betroffen über das Schweigen, kamen dem Mädchen die Tränen.
„Der Stiegler hat ihn gefunden — und ich hab mir nimmer auf dem Sträßl zu gehen getraut. Bin über die Felder her —“
Sie wischte sich die Tränen ab und wartete, verwundert über das Verhalten der Mühlleute. Furcht kam sie an vor diesen seltsamen Menschen. Warum sagten sie nichts? Warum sahen sie so sonderbar drein? Ungerührt der Alois, gespannt und entgeistert der alte Müller, und rot vor Verlegenheit die unförmige Müllerin. Rasselnd den Atem tief aus dem Hals holend, sagte diese schließlich:
„Ist schon recht, wir wissen es schon. Ich zeig dir gleich deine Kammer, kannst dich umziehen und in den Stall gehen. Komm!“
Geschäftig watschelte sie dem Mädchen voran aus der Stube, stapfte über den Hof, hinüber zum neuen Beihaus bei der Säge.
Der schöne Maimorgen erschien der Angela auf einmal düster und gespenstisch. Sollte sie der Müllerin sagen, daß sie nicht bleiben könnte? Angst und Verwirrung fielen sie an. Was waren das doch für Leute! Daß da vorn im Wäldchen ein Toter lag, machte ihnen gar nichts aus. Sie wußten es schon? Warum hatten sie es dann nicht im Dorf angezeigt? Warum hatten sie die Polizei nicht benachrichtigt?
Ächzend drückte die Müllerin die Haustür auf und zog sich am Stiegengeländer mühsam die Treppe hoch. Oben öffnete sie eine Tür und sagte rauh: „Das ist deine Kammer.“
Die Angela sah in ein völlig neu eingerichtetes Zimmer und zögerte: „Das ist alles so neu.“
„Ist auch net als Dienstbotenkammer gedacht, aber —“
„Warum tut ihr mich net in die Kammer, wo die andere Dirn auch gewesen ist?“ fragte die Angela bescheiden.
Grob keuchte die Müllerin: „Im Haus drüben kann ich dich net brauchen!“ Sie wandte sich zum Gehen und befahl: „Tu deine Arbeit, und kümmere dich net um Sachen, die dich nix angehen! Der Alte und der Alois haben dir nix zu schaffen.“ Und schon auf der Stiege, wandte sie sich noch einmal um: „Wenn ich dich beim Herumschnüffeln erwisch, fliegst du sofort!“
Dann schwankte sie davon, und die Stiege knarrte unter ihrem Gewicht. Die Haustür klappte.
Jetzt erst wagte die Angela, sich das Zimmer genauer anzusehen. Schrank, Bett, Tisch und Stuhl waren neu, der Fußboden mit einem Teppich ausgelegt, schöne Bilder an den Wänden, vor dem Fenster ein Vorhang, wie ihn nur die besseren Leute in ihren Wohnzimmern haben. Und es roch noch nach Farbe und neuen Textilien.
Wenn das nicht ein Irrtum war! Dieses Beihaus hatte sich doch der Müller im vergangenen Sommer bauen lassen, um sich zurückzuziehen, wenn der Bernhard heiratete? Das war kein Dienstbotenzimmer! So konnte der Raum für eine Hausdirn in der verrufenen Rumpachmühle gar nicht aussehen!
Die Stille in dem Haus bedrückte sie, und ratlos stand sie und überlegte. Wenn sie ihren Koffer nahm und davonging?
Was aber würde der Vater sagen, wenn sie wieder heimkam? Nein, das ging nicht. Jetzt war sie schon einmal da und mußte bleiben!
„In Gottes Namen“, flüsterte sie, nahm ihr Arbeitsgewand aus dem Koffer und zog sich um.
Was hatte sie jetzt zu tun? War da niemand, der sie in ihre Arbeit einwies? Sie verließ das Beihaus und sah sich im Hof um. In die Stube zu gehen und nach der Arbeit zu fragen, getraute sie sich nicht. Es mußte doch jemand kommen und ihr sagen, was sie zu tun hatte! Kurz entschlossen ging sie zum Stall, der im alten, an das Wohnhaus anschließenden Mühlenbau untergebracht war. Ihren Einstand hatte sie sich anders vorgestellt. Mit nüchternem Magen war sie von daheim fortgegangen, weil man doch am Dienstplatz als erstes den Morgenkaffee erwarten konnte, und nun stand sie da, und niemand kümmerte sich um sie.
Sollte sie nur Stalldirn sein? Um der Müllerin im Haus zu helfen, hatte der Bernhard sie vor drei Wochen gedungen.
Ungeduldig brüllten ihr zwei Kühe entgegen, und sie sah, daß im Stall noch nichts getan war.
Wo war der Bernhard? In der Wohnstube hatte sie ihn nicht gesehen. Mit ihm hätte sie wenigstens reden können, aber die dicke Müllerin fürchtete sie. Verzagt tätschelte sie die beiden Kühe. Etwas mußte ja geschehen, und herumstehen und zuwarten konnte sie auch nicht!
Im Stadel nebenan holte sie Heu und suchte die Melkeimer, die sie dann am Brunnen fand.
Als die Müllerin in die Stube zurückgekommen war, machte sie sich wortlos am Ofen zu schaffen. Sie sah, daß ihr kranker Mann inzwischen vom Alois über den Vorfall in der Nacht unterrichtet worden war, denn er saß zusammengekauert in seinem Rollstuhl, den Kopf in den Händen, und rührte sich nicht. Ihren fragenden Blick beantwortete der Alois mit einem nichtssagenden Schulterzucken.
„Ich begreif das net“, murmelte der Müller und fuhr auf: „Wo will er denn hin? Warum ist er net dageblieben? Kann doch auch Notwehr gewesen sein! Wenn der Xaver ihm den Weg abgepaßt hat, dann hat er sich doch wehren müssen!“
„Ins Ausland will er, hat er gesagt. Es ist alles so schnell gegangen“, sagte der Alois ungerührt, als ginge ihn das alles nichts an.
„Was hätte es ihn genutzt, wenn er doch keinen Zeugen hat!“ brummelte die Alte am Ofen.
Mißtrauisch sah der Müller von einem zum andern.
„Habt ihr ihm etwa den Rat gegeben, daß er ins Ausland gehen soll?“
Er bekam keine Antwort. Die Zornröte stieg ihm ins Gesicht, und er schlug mit der Faust auf den Tisch:
„Und warum habt ihr mich net aufgeweckt? Warum sollte ich nix wissen?“
„Weißt ja, daß du dich net aufregen sollst! Einen zweiten Schlaganfall überstehst du nimmer, hat der Doktor gesagt“, keuchte die Müllerin.
„Ich überstehe alles, und ich sag euch, daß da was net stimmt! Könnte euch so passen, wenn mich jetzt der Teufel holen tät! Der Bernhard ist weg, jetzt bin ich euch noch im Weg! Aber da täuscht ihr euch!“
Sein Zornausbruch berührte Mutter und Sohn nicht. Gleichgültig meinte die Müllerin:
„Alois, du könntest der Angela im Stall helfen, die kennt sich ja bei uns noch net aus. Und dann soll sie zum Kaffee kommen.“
Langsam und zögernd verließ der junge Mann die Stube. „Was kann ich schon helfen!“ nörgelte er, ehe er die Tür hinter sich kräftig zumachte.
Der Rumpachmüller begehrte auf: „Zilli, an der ganzen Geschichte stimmt was net! Warum habt ihr mich net aufgeweckt? Warum hat der Bernhard mich net geweckt, ehe er fortgegangen ist?“
„Wie soll ich das wissen?“ warf sie bissig hin. „Und was soll da net stimmen? Wird die Polizei schon herausbringen, was passiert ist! Ich bin net dabei gewesen.“
„Und dein Herr Sohn? Was hat der mit der Sache zu tun?“
„Gar nix, er ist später erst heimgegangen, und da ist es schon passiert gewesen.“
„Natürlich, der Alois, der hat mit solchen Dingen nix zu tun! Das hab ich mir gedacht! Himmelherrschaft, und ich muß in diesem verdammten Stuhl sitzen
und kann mich net rühren! Hat wenigstens der Bernhard so viel Geld, daß er für die erste Zeit auskommt?“
„Hab ihm noch gegeben, was ich gehabt hab.“
„Ich muß zur Polizei — der Alois muß mich ins Dorf fahren — ich muß wissen, wie das zugegangen ist!“ „Die Polizei wird schon selber kommen. Die wissen bald, daß sich der Bernhard und der Xaver beim Wirt gestritten haben“, rasselte sie.
Düster starrte der Alte vor sich hin. —
Der Alois lungerte im Stall herum, sah der Angela beim Melken zu und forschte sie mit harmlosen Fragen aus, was sie wohl zu der Untat meinte, die dem jungen Orthofer das Leben gekostet habe.
Froh darüber, daß wenigstens einer von den Mühlleuten sich um sie kümmerte, meinte sie bang: „Ich kann net verstehen, wie der Xaver ins Mühlwäldl kommt, wo doch sein Heimweg nach der anderen Seite liegt.“
„Hm“, tat der Einarmige nur und betrachtete sie interessiert.
„Warum ist denn eigentlich eure Dirn gegangen?“ wollte die Angela wissen.
Er zahnte spöttisch: „Hat sich mit der Mutter net recht vertragen. Die Mutter greint gern, das mußt aber net so tragisch nehmen. Sonst ist es bei uns in der Mühle zum Aushalten. Die Arbeit ist net viel.“
Sie war inzwischen mit dem Melken fertig, und er nahm ihr den Eimer ab.
„Komm, jetzt könnte der Kaffee fertig sein.“
Er ging ihr mit dem Milcheimer voran. Am Brunnen wusch sie sich noch die Hände und folgte ihm in die Wohnstube.
Sie erschrak vor dem düsteren Blick, mit dem der alte Müller sie aus seinem Rollstuhl ansah. Der Kaffee stand bereits auf dem Tisch, und zögernd nahm sie auf dem Stuhl Platz, den die Müllerin ihr mit einer Handbewegung zuwies. Behäbig ließ sich die Müllerin auf dem breiten, für ihren Umfang bestimmten Sessel nieder und schlürfte schmatzend den Kaffee, während der Alois nur nippte und die Tasse bald zurückschob. Der Alte rührte sein Kaffeegeschirr gar nicht an. Sooft die Angela mit einem schnellen Blick aufsah, bemerkte sie, daß die blaugrauen Augen des Alten auf sie gerichtet waren.
Lauernd sah die Müllerin mit raschen Blicken in die Runde. Ihre Augen verschwanden fast völlig hinter den Fettwülsten.
Sind besondere Leute, hatte der Mesner gesagt, und im ganzen Dorf und der Umgebung hielt man die Rumpachmüller für scheu und hintersinnig. Der Angela Hastreiter wurde bange: Im Mühlwäldl lag ein Toter, und sie fanden es nicht wert, darüber auch nur ein Wort zu verlieren! Und wo war der Bernhard?
Ein beklemmender Gedanke fiel sie an. Hatte der Bernhard etwas mit dem Toten zu tun? Und die anderen wußten das? Da hatte sie es ja schon am ersten Tag ihres Einstandes ungut getroffen!
Warum redete niemand? Dieses Schweigen wurde ihr unheimlich. Sie zuckte erschrocken zusammen, als plötzlich der Müller zornig loswetterte:
„Wir können die Säge net stehen lassen!“ Als er ihr Erschrecken sah, mäßigte er sich: „Der Böhmhofer will morgen sein Bauholz, die Zimmerleute warten.“ Und nach einigem Überlegen meinte er fast freundlich: „Dirndl, du könntest nachher zum alten Koller ins Dorf gehen. Er soll uns doch für ein paar Tage aushelfen.“ Und wieder zornig werdend, fauchte er den Alois an: „Und dich, Faulpelz, möchte ich nimmer lang herumlungern sehen! Kannst dem Koller helfen!“
Wortlos erhob sich der Alois und verließ die Stube. Als auch die Angela ging, um den alten Koller zu holen, der ehedem Säger in der Mühle gewesen war, faßte sie draußen der Stiefsohn des Müllers am Arm und flüsterte befehlend:
„Sagst dem Koller, daß er erst morgen in der Früh anzufangen braucht — und dem Müller sagst du, daß der Koller net eher Zeit hätte!“
Sie riß sich los. „Ich tu, was mir angeschafft ist und wie es mir angeschafft wird.“
„Die Mutter will es aber auch so!“ wurde er wütend.
„Dann hätte sie es ja sagen können!“
Sie eilte davon und atmete erleichtert auf, als sie sich auf dem Weg befand und der sonnige Maientag sie umfing.
In diesem Haus hielt sie es nicht lange aus! So hatte sie sich die verschrobenen Mühlleute nicht vorgestellt, als der Bernhard zu ihnen gekommen war, um sie zu dingen. Er war so nett und freundlich gewesen. Zum Vater zurückkehren konnte sie auch nicht gleich wieder Die kleine Rente, die er hatte, reichte doch nicht für zwei. Und alle Tage ging es wohl in der Mühle auch nicht so ungut zu. Sie wollte ihre Arbeit tun und sich nichts gefallen lassen. Von dem Einarmigen schon gar nicht. Sein Gesicht mit dem hämischen Lauern war ihr widerlich.
Und die Müllerin? Die Zilli? Kellnerin war sie gewesen, damals schon dick und schlampig, und im Dorf war es eine große Überraschung, als der Rumpachmüller nach dem Tode seiner ersten Frau die Zilli heiratete, die ihm gleich einen erwachsenen Sohn mitbrachte. Drei Jahre mochte es her sein. Was man dann aus der Mühle hörte, war nichts Gutes.
Zuerst kam der Alois in die Transmission, die ihm den Arm ausriß, dann traf den Müller ein Schlaganfall und lähmte ihn. Im vergangenen Fasching rauften die Mühlbuben, der Bernhard und sein Stiefbruder, daß die Polizei einschreiten mußte, und es verging kaum ein Tag, an dem Vorbeigehende nicht den alten Müller und seine Zilli hätten streiten hören. Es ging niemand gerne in die Mühle, denn die Rumpachmühlleute hatten sich abgeschlossen und waren unfreundlich geworden. Bis auf den Bernhard. Mit dem war noch zu reden.
Die Angela bog vom Sträßlein in den Feldweg ein, der hinter dem Mühlwäldl ins Dorf führte. Sie schauderte.
Da drunten auf der Straße, hinter den Birken, lag vielleicht noch der Ertl Xaver, wenn sie ihn nicht schon weggebracht hatten. Die Morgenkühle, die aus dem Wäldchen kam, mutete sie wie ein Totenhauch an. Rascher ausschreitend, wanderte sie zwischen den Wiesen dem Dorf zu. Es war so merkwürdig still über den Fluren, und niemand arbeitete auf den Feldern.
Auf dem Dorfplatz standen die Leute vor der Kirche zusammen: der Schmied mit aufgestülpten Hemdsärmeln, der weißhaarige Mesner, der dicke Wirt, ein paar Männer und wichtigtuende Frauen. Zögernd näherte sich die Angela, um zu hören, was gesagt wurde.
„Haben halt wieder einmal gestritten, und ich hab ihnen sofort abgeboten. Daß gleich eine solche Sauerei herauskommen könnte — wer hätte denn das gedacht!“ schimpfte der Kirchenwirt, und der Mesner meinte dazu wichtig: „Der Xaver ist halt alleweil schon ein Hitziger gewesen. Was hatte er überhaupt im Mühlwäldl zu suchen? Ist net sein Heimweg! Kann mir schon denken, wie es zugegangen hat.“
„Mich erbarmt der eine wie der andere”, brummte der Schmied.
Als talauf ein Auto ins Dorf einfuhr und vor dem Graßlhaus hielt, wandten sich alle dem Wagen zu, aus dem der Hauptwachtmeister Schedl stieg und eilig im Dienstraum der Landpolizei verschwand.
Es dauerte kaum eine Minute, als er mit seinem Vorgesetzten wieder erschien und beide sich zu Fuß auf den Weg zur Mühle machten.
Sie beachteten die Menschengruppe nicht, und von den Dorfleuten wagte niemand, eine Frage an die Beamten zu richten.
Zur Rumpachmühle gingen sie! Freilich, lag ja auf der Hand!
Die Hastreiter Angela verließ den Dorfplatz. Sie fröstelte. Sie hatte es sich nicht auszudenken getraut, daß es einer von der Mühle gewesen sein könnte — aber warum waren sie dort so seltsam gewesen? Ob sie nicht lieber ihrem Vater Bescheid sagte und gar nicht mehr in das Haus zurückkehrte, unter dessen Dach ein Mörder war?
Aber was ging es sie an? Sie war ein Dienstbote und hatte ja damit nichts zu tun.
Der alte Koller wohnte im Austragshaus eines Bauernhofes und war über die Botschaft, die ihm die neue Mühldirn brachte, gar nicht erfreut.
„Wenn ich das Geld net so notwendig brauchen könnt, brächten mich keine zehn Rösser in die Rumpachmühle. Und wenn net wenigstens der Bernhard da wäre, schon gar net. Mit den andern hab ich lieber nix zu tun.“
„Ich hab es halt ausgerichtet, wie der Müller es mir aufgetragen hat“, meinte die Angela verschüchtert, „ist eh was passiert — und ich bin erst seit heut dort eingestanden und ging auch lieber wieder auf der Stelle.“
Der alte Koller wußte noch nichts von dem, was geschehen war, und die Neugierde trieb ihn zur Eile an. „Kannst sagen, daß ich gleich komme.“
Als sie auf dem Rückweg wieder auf den Dorfplatz kam, hatten sich die Leute zerstreut. Nur der Schmied stand noch in der Tür seiner Werkstätte und hielt sie an.
„Hast gefehlt gestern beim Maibier! Ist recht lustig gewesen, und hätte gern mit dir getanzt.“
„Allein geh ich net, und ausgeführt hat mich niemand“, gab die Angela ihm ein wenig spitz Bescheid.
„Ja, wenn ich das gewußt hätte! Bei dir weiß man ja nie, wie man dran ist!“ widersprach er und sah sie wohlgefällig an.
„Bin froh, daß ich net dort war. Ist wieder gestritten worden.“
„Bist seit heute in der Mühle, hab es schon gehört. Hast denn sonst keinen andern Platz gefunden? Wird dir der Einhandl keine Ruhe lassen, fürcht ich. Wenigstens hat mir die Simader Nanni, die in der vergangenen Woche in der Mühl aufgehört hat, so was gesagt, daß sie wegen dem Alois gekündigt hat.“
„Den fürcht ich net!“ lächelte sie.
„Brauchst es mir nur zu sagen, wenn er frech wird! Dann schlag ich ihn noch ganz zum Krüppel!“ bot er sich mit einem gutmütigen Grinsen an.
Darüber mußte sie hellauf lachen. „Ist schön, daß du dich um mich kümmern willst, aber ich kann mir schon selber helfen.“
„Nach deine Schwarzaugen wird er bald närrisch sein, wirst es sehen! Ich schaue dir um einen anderen Platz, in der Mühle ist es für dich nix“, sagte er besorgt.
„Wenn es mir zu dumm wird, dann gehe ich schon selber. Jetzt bleib ich grad extra — ich tu meine Arbeit, und alles andere geht mich nix an. Jetzt muß ich aber weiter.“ Sie ging nicht und fragte nach einer Weile zögernd: „Meinst du, daß da einer von der Mühle den Ertl Xaver umgebracht hat?“
„Der ist net tot. Der Schedl hat ihn ins Krankenhaus gefahren. Aber ich kann mir denken, wer es gewesen ist.“
„Net tot?“ Sie atmete auf und rannte davon, diesmal nicht mehr über die Felder, sondern auf dem Sträßlein zur Mühle zurück.
Ist also kein Mord geschehen, ging es ihr erleichtert durch den Kopf. Dann — wenn es auch der Bernhard gewesen sein sollte, war es doch nicht so schlimm.
Nun wußte sie, daß sie doch in der Mühle bleiben würde.
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