Serengard im geheimen Wald - Norbert Wibben - E-Book

Serengard im geheimen Wald E-Book

Norbert Wibben

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Beschreibung

Eila ist ganz benommen von dem schweren Duft und der einschmeichelnden Stimme in Sörens Arbeitszimmer. Sie kann sich nicht konzentrieren, um einen magischen Sprung durchzuführen. "Es ist alles gut, wehr dich nicht, schlaf jetzt. Ich bin gleich zurück." Ihre Gegenwehr beginnt zu erlahmen. "Ich will nicht schlafen, ich muss hier weg!" Ihre Füße sind schwer. Sie bewegt sich nur noch ganz langsam, Zentimeter um Zentimeter. Jetzt hat sie es vom Kamin bis zur Zimmerecke geschafft, in der vorhin noch der Golem gestanden hat. Bis zur Zimmertür und den Flur dahinter ist es aber noch so unendlich weit. "Ich bin müde, ich muss mich etwas ausruhen", denkt sie, während sie bereits zu Boden sinkt.

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Seitenzahl: 334

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Serengard im geheimen Wald

Fantasy Roman

Warum ich das Buch geschrieben habe

Als meine Kinder Nils, Malte und Maraike jung waren, habe ich ihnen abends Geschichten vorgelesen. Die allabendlichen Unterbrechungen, damit der Schlaf nicht zu kurz kam, erhöhten zwar die Spannung, waren aber nicht immer willkommen.

Meine Tochter Maraike versuchte mich stets zu überreden, doch noch eine Geschichte vorzulesen, oder besser, eine ausgedachte zu erzählen.

Wenn ich dann mit dem bekannten Dreizeiler begann:

»Ein Huhn und ein Hahn — die Geschichte fängt an…«, versuchte sie sofort zu unterbrechen: »Papa! Eine andere!«

Ich fuhr fort: »Eine Kuh und ein Kalb — …«

»PAAPAA!!! Nicht diese!«, ein neuer Versuch.

»… — die Geschichte ist halb.«

»Papa, du bist gemein!«

»Eine Katz’ und eine Maus — …«

»Papa, nur eine kleine Geschichte.«

»… — die Geschichte ist aus.«

Natürlich ließ ich mich manchmal gerne überreden, doch noch eine kleine Geschichte vorzulesen, die nur ein paar Minuten dauerte.

Seit vielen Jahren trage ich die Aufforderung Maraikes in mir, eine eigene Geschichte zu erzählen. Mit dieser Trilogie ist es soweit.

In Erinnerung an viele schöne Vorleseabende verpacke ich diese in den bekannten Dreizeiler:

Ein Huhn und ein Hahn — ….

Norbert Wibben

Serengard im geheimen Wald

Eila – Die Leuchtende, Band 3

Dies Buch ist Monika gewidmet.

Du bist mein Leben!

Ich liebe dich!

Det gir lys inn i mørket, og mørket han vil selge.

Er bringt Licht ins Dunkle, er wird die Dunkelheit vertreiben.

Sören und Bearach

Rettung

Beratung bei Roarke

Erneut in Coimhead

Besuch bei Brian

Ein Treffen mit Sisgard

Lagebesprechung der Dubharan

Auf in den Norden

Im geheimen Wald

Wisgard

Beratung der Dubharan

Auf dem Weg zu Roarke

Ausbildung bei Roarke

Den Fluss hinauf

Auf zum Tal im Norden

Entscheidung in Coimhead

Sorchas Rettung

Annas Flucht

Erfolge der Dubharan

Das Nordvolk

Ein kurzer Besuch in Serengard

Verzweifelte Suche

Ein verlorener Kampf

Erneuter Aufbruch

Fafnirs Feuer

Suche nach Anna

Kampf um Serengard

In der Hauptstadt

Im Weidenweg

Epilog

Erläuterungen

Namen

Begriffe

Zaubersprüche

Danksagung

Quellenangaben

Sören und Bearach

Ein Huhn und ein Hahn – die Geschichte fängt an

Im Westen des Landes.

Sören sitzt lesend in einem Sessel in der Bibliothek seines Landsitzes Mynyddcaer, die gleichzeitig sein Arbeitszimmer ist. Auf dem großen Tisch liegen viele aufgeschlagene Bücher verteilt. Diverse Papiere schauen aus einigen heraus, liegen durcheinander auf dem Tisch oder auch auf den Teppichen am Boden.

Die Suche nach einem Hinweis darauf, wie der Armreif eines auserwählten Zauberers für die Dubharan genutzt werden kann, war bisher vergeblich.

Sören will den in seinem Versteck aufbewahrten Reif für sich nutzbar machen. Auch wenn er nach außen hin im Interesse aller Fünf danach sucht, stimmt das keineswegs.

»Sobald ich den Armreif benutzen kann, werde ich der mächtigste aller Zauberer sein! Bearach wird seine Überheblichkeit büßen. Er behandelt mich, als wenn ich sein Untergebener wäre. Es muss sich doch etwas finden lassen …« Er blättert suchend in dem alten Buch, das er gerade aus dem Regal genommen hat.

Ein großer, mit brennenden Kerzen bestückter Kronleuchter wirft ein warmes Licht auf Bücher und Papiere.

Sören liebt das Kerzenlicht. Die Kerzen brennen immer, wenn er sich hier befindet, auch wenn es Tag ist und von draußen ausreichend Tageslicht hereinscheint.

Es sind einige Wochen seit dem letzten Treffen von Bearach und Sören vergangen. Zuletzt hatten sie gemeinsam, aber vergeblich, in Erdmuthes Haus nach der jungen, auserwählten Zauberin Eila gesucht.

Sören zuckt zusammen, als Bearach jetzt plötzlich in seinem Arbeitszimmer erscheint. Erstaunlicherweise bemerkt der andere Zauberer das nicht, während er aufgeregt zu reden beginnt:

»Ich komme gerade aus einer kleinen Stadt, in die ich, zusammen mit vier Zauberern und mit einer kleinen Wolfskriegerarmee, eingedrungen bin. Während die Kämpfer die letzten Barrikaden zu erstürmen versuchten, wurden sie plötzlich von fünf Gegnern von hinten angegriffen. Sofort reagierte einer von uns fünf Zauberern darauf und schickte Feuerkugeln auf diese Gruppe. Diese richteten nichts aus, aber sie zeigten, dass die fünf ebenfalls Zauberer waren. Als ihre Schutzglocken aufleuchteten, wurde ich darauf aufmerksam gemacht.«

Jetzt unterbricht Sören ihn: »Ich verstehe. Wir bekamen in der letzten Zeit oft unerwartete Gegenwehr bei unseren Aktionen. Vermutlich waren das diese fünf Zauberer oder ähnliche Gruppen.«

»Genau«, fällt ihm der andere ins Wort. »Ich vermute darüber hinaus, dass sich mindestens ein Auserwählter in der Gruppe befindet, sonst wäre sie größer.«

»Du benötigst also Unterstützung«, fällt hier Sören wieder ein.

»So ist es. Die Zauberer, die mich begleitet haben, sind nicht stark genug. Ich weiß im Moment nicht, wo sich Gunnar, Glen oder Olaf befinden. Darum bin ich hier!«

»Genug geredet. Ich komme mit. Vielleicht erbeuten wir jetzt einen weiteren Armreif!«

Sören fasst Bearach am Arm, dann ist das Arbeitszimmer leer.

Im gleichen Moment leuchten ihre Schutzschilde auf. Sie befinden sich jetzt in der Stadt, von der Bearach berichtet hat. Sie stehen neben zwei Zauberern, deren Schutz bereits zu flackern beginnt. Am Boden sind die rauchenden Überreste von zwei anderen Zauberern zu erkennen. Bearach und Sören erwidern den Beschuss der Gegner sofort aufs Heftigste. Trotzdem verbrennt erneut ein weiterer Kampfgefährte Bearachs. Der Beschuss beider Seiten nimmt zu.

Aus der Gruppe der anderen erklingt eine höhnende Stimme: »Bearach, sei mir willkommen. Soll ich heute meine offene Rechnung begleichen? Ich habe doch bisher ganz vergessen, meine luxuriöse Unterkunft bei dir zu bezahlen.«

Bearach erkennt diesen Zauberer.

»Der unverschämte Knuth steht uns gegenüber!« Die verbliebenen drei Dubharan schicken jetzt pausenlos Feuerkugeln auf ihre Gegner.

Die Fünfergruppe teilt sich in zwei Parteien, so können sie die Dubharan von zwei Seiten unter Feuer nehmen. Diese schreien daraufhin wütend auf. Jetzt verbrennt erneut einer von ihnen. In diesem Moment hält Sören kurz inne. Er horcht in sich hinein und spricht aufgeregt zu Bearach:

»Ich bekomme gerade ein Alarmsignal aus meinem Haus. Jemand ist in Mynyddcaer eingedrungen und hat den Armreif aus seinem Versteck genommen!«

«Der Reif darf uns nicht genommen werden!« Bearach ist wütend, dann sind beide verschwunden.

Im gleichen Moment erscheinen sie in Mynyddcaer im Arbeitszimmer. Jeder Muskel Sörens ist gespannt. Welcher Zauberer ist so verwegen, ihn durch das Stehlen des Armreifs herauszufordern? Auch Bearach blickt angriffslustig um sich. Das schrille Alarmsignal und der schwere, süßliche Duft machen den Aufenthalt hier fast unmöglich.

Bearach fordert: »Beende sofort das unsinnige Alarmsignal und reinige die Luft von diesem Gestank. Das ist hier ja nicht zum Aushalten!«

Sören schaut zu ihm herüber. Nach einer Handbewegung und einem gemurmelten Spruch, herrscht nun Ruhe im Raum, und auch der süßliche Duft ist verschwunden.

Der Arbeitstisch steht nicht mehr an seinem Platz, sondern liegt neben der einen Zimmerwand, die Beine nach oben gestreckt. Die beiden Dubharan entdecken keinen Eindringling. Hier ist niemand! Sie gehen vorsichtig in Richtung Kamin. Halt. Dort in der Ecke liegt ein großer Haufen, der bisher nicht hier war. Er sieht wie ein Gemisch aus Sand und Staub aus.

»Der Golem ist zerstört worden! Wer konnte diesen Wächter besiegen?« Sören ist fassungslos.

»Du nutzt einen Golem als Wächter?« Bearach staunt. Woher hast du das nötige Wissen? –

Aber natürlich, ich vergesse, dass du ein richtiger Bücherwurm bist, vermutlich …«

»Schweig. Wir müssen den Eindringling finden, bevor er mit dem Armreif entkommt!« Sören hat das offene Versteck entdeckt.

In diesem Moment bemerken beide aus den Augenwinkeln eine Bewegung und wirbeln herum. Dort, neben Sörens umgekipptem Arbeitstisch, ist sie gewesen.

Rettung

Eila ist ganz benommen von dem schweren Duft und der einschmeichelnden Stimme in Sörens Arbeitszimmer. Sie kann sich nicht konzentrieren, um einen magischen Sprung durchzuführen.

»Es ist alles gut, wehr dich nicht, schlaf jetzt. Ich bin gleich zurück.«

Ihre Gegenwehr beginnt zu erlahmen.

»Ich will nicht schlafen, ich muss hier weg!« Ihre Füße sind so schwer. Sie bewegt sich nur noch ganz langsam, Zentimeter um Zentimeter. Jetzt hat sie es vom Kamin bis zur Zimmerecke geschafft, in der vorhin noch der Golem gestanden hat. Bis zur Zimmertür und den Flur dahinter ist es aber noch so unendlich weit.

»Ich bin so müde, ich muss mich etwas ausruhen«, denkt sie, während sie bereits zu Boden sinkt.

»Du darfst nicht so einfach einschlafen, decke dich mit dem Tarnumhang zu!« Eila versucht ihre Gedanken ‒ oder sind es Erdmuthes Anweisungen? ‒ umzusetzen. Mit großer Anstrengung zieht sie den Umhang aus ihrer Tasche und breitet ihn über sich aus.

Das nächste, was in ihr Bewusstsein dringt, ist Sörens Stimme, der offenbar zu einem anderen spricht:

»Das da vorne ist ein weiterer Wächter, der versagt hat. Ich brauche keinen dummen Köter, der zu nichts nutze ist. Dealanach cuir gu bàs!«

Ein gleißendes Licht erhellt den Raum. Eila kann es nicht sehen, aber sie vermutet, dass der von ihr betäubte Hund gerade getötet worden ist.

Eila beginnt sich besser zu fühlen und ihre Gedanken klären sich. Nicht nur der Duft und der Lärm sind verschwunden, auch die hypnotische Stimme ist verstummt. Sie atmet langsam und erleichtert die reine Luft ein. »Hoffentlich habe ich den Tarnumhang komplett über mich gezogen. Nicht, dass noch ein Teil eines Schuhs oder eine Strähne meines Haars darunter hervorlugt«, denkt die junge Zauberin ängstlich. Sie wagt aber nicht, sich zu bewegen. Vielleicht schauen die beiden gerade in dem Moment zu ihr, während der Umhang ungünstig verrutscht.

Eila sieht, wie Sören zu dem offenen Versteck eilt und hinein fasst. Der Verlust des Armreifs lässt ihn wütend aufschreien:

»Wenn ich den Schuft finde, der mich bestohlen hat, werde ich ihn bei lebendigem Leib rösten!«

Bearach antwortet höhnisch: »Dafür müsstest du ihn, der deine gesamten Vorsichtsmaßnahmen austrickste, aber erst einmal haben!«

Sören schaut zornig zu ihm herüber, entgegnet aber nichts. Die Dubharan durchsuchen den Raum. Sören sorgt mit: »Renovo!«, dafür dass der Arbeitstisch und die sonstige Einrichtung wieder repariert sind und an ihren ursprünglichen Plätzen stehen. Bearach kommt näher zur Zimmerecke, in der Eila noch benommen am Boden liegt.

»Ich kann hier nirgends einen Eindringling entdecken. Vermutlich hat sich der schon längst in Sicherheit gebracht!«

»Nein, das ist ausgeschlossen. Meine hypnotischen Zauber, die bei unbefugter Entnahme des Armreifs aus dem Versteck wirksam werden, verhindern jeden magischen Sprung. Das Entkommen zu Fuß ist auch unmöglich, da die Fenster und die Zimmertür mit einem weiteren Zauber versehen sind. Sobald diese nach Auslösen des Alarms geöffnet werden, wird eine totale Amnesie bei der Person bewirkt, die sie zu öffnen versucht.«

»Vielleicht haben deine Zauber ja versagt? Der Golem und dein anderer Wächter, der Hund, haben schließlich auch nichts ausrichten können!«

»Das kann und will ich nicht glauben«, entgegnet Sören aufgebracht. »Diese Zauber habe ich vorher viele Male an »Freiwilligen« getestet. Sie wirkten immer, warum sollten sie also jetzt nicht gewirkt haben? Aber wie konnte dieser Zauberer entkommen? …«

»Warte mal, vielleicht ist hier etwas«, unterbricht ihn Bearach, der weiter in Richtung Zimmerecke geht. Ich sehe eindeutig Fußspuren auf dem Teppich. Die Füße haben den Teppichflor in eine Richtung ausgerichtet, so, als wäre die Person kaum in der Lage gewesen, sich vorwärts zu bewegen.«

»Das passt zu meinen Schutzzaubern. Der Eindringling dürfte eigentlich nicht mehr gehen können. Unter größter Willensanstrengung würde ihm vielleicht ein Schlurfen gelingen. –

Aber in der Ecke ist nichts zu sehen. Oder der Zauberer müsste sich sehr klein gemacht haben.«

»Vielleicht hat er sich unsichtbar gemacht. Derartige Zauber gibt es«, ergänzt Bearach. »Ich werde der Spur folgen und nach ihm tasten. Falls er sich derart schützt, werde ich ihn gleich haben!« Er bückt sich. Mehr kriechend als gehend bewegt er sich vorsichtig vorwärts, den Boden auf jedem Quadratzentimeter genau abtastend.

Sören verfolgt die Suche gespannt. Er ist bereit, den Gegner sofort mittels Zauber zu töten. Jetzt ist Bearach in der Ecke angekommen. Er hat keinen Zauberer entdeckt.

Beratung bei Roarke

Im Norden des Landes.

Roarkes Arbeitszimmer ist in dicke Rauchschwaden gehüllt, als die Zauberer der Eingreifgruppe und Alveradis hier erscheinen.

Sie erzählen von den Ereignissen in der Stadt, und wie sie den Einwohner helfen konnten.

»Sven ist ein mutiger und entschlossener Hauptmann der Bürgerwehr. Er hat die volle Unterstützung des Bürgermeisters, der zwar im Herzen ein Feigling, dafür aber ein hervorragender Stratege ist«, beendet Knuth den Bericht.  Sie informieren Roarke auch über das Ergebnis ihrer Beratung mit den beiden.

»Die Umfriedung der Stadt und die Verteidigungsmöglichkeiten des Stadtkerns sollen verbessert werden. Außerdem wollen sie mit den umliegenden Ortschaften ein Bündnis bilden, um sich bei Angriffen gegenseitig beizustehen«, ergänzt Deirdre.

Alveradis fällt jetzt ein: »Mit dem offensichtlichen Elan des Bürgermeisters, die Verteidigung zu stärken, und mit dem Mut des Hauptmanns, werden sie vielleicht einen großen Bereich um die Stadt vom Einfluss der Dubharan freihalten können.«

Obwohl Roarke über diese Nachrichten erfreut ist, dämpft er die resultierende Freude.

»Jeder kleine Erfolg ist wichtig, auch wenn eure Aktionen eher Nadelstichen gleichen. Aber die Dubharan breiten sich immer noch weiter aus. Der Westen steht fast komplett unter ihrem Einfluss. Lediglich ein kleiner Bereich um Artagans Heim scheint dort noch verschont zu sein. Es stellt sich die Frage, ob Artagan nicht besser von dort verschwinden sollte. Sie könnten versuchen, ihn aufzuspüren und zu töten, um keinen Feind in ihrem Gebiet zu haben. Artagan ist als Ausbilder unserer jungen Zauberer bekannt, und allein deswegen ein lohnendes Ziel für sie.«

Alveradis stimmt ihm zu: »Du hast absolut Recht. Es geht ja nicht nur um ihn. Eila ist derzeit seine Schülerin. Es wäre nicht auszudenken, was ihr geschieht, wenn sie in die Gewalt der Dubharan gerät. Sie ist noch keineswegs in ihrer Ausbildung so weit vorangeschritten, dass sie es mit denen aufnehmen könnte.«

»Ich werde sie sofort warnen. Soll ich?« Finley ist in erster Linie um seinen Schützling besorgt, auch wenn er es geschickt dadurch zu verbergen sucht, dass er beide informieren will.

»Einverstanden, mach das. Es wird vermutlich am besten sein, wenn sie zu Rose Hlin nach Coimhead gehen. In dem Gebiet gibt es zwar kein größeres Gewässer, damit Artagan in seiner Ausbildung fortfahren kann, aber mögliche Angriffe sind dort einfacher zu kontern.«

»Auf dem Internatsgelände existiert ein Schwimmbecken, das vielleicht für kleinere Übungen im Wasserzauber reichen könnte«, ergänzt Deirdre. In Gedanken freut sie sich schon darauf, wieder einige Zeit mit Eila zu verbringen.

»Alveradis, begebe dich jetzt wieder in dein Haus. Bitte gib mir sofort Bescheid, wenn der Einfluss der Dubharan dort größer wird. Beobachte besonders die von euch gerettete Stadt und deren Nachbarorte. Wir müssen verhindern, dass die dunklen Zauberer weitere Orte in ihren Machtbereich bringen.«

»Dann gehe ich zuerst zu Sisgard, um sie zu informieren. Wir werden gemeinsam versuchen, den Osten vor dem Einfluss der bösen Magier zu schützen.«

Sofort darauf ist Roarke wieder allein. Seine Pfeife wird wieder angezündet, die im Eifer der Beratung erloschen ist. Jetzt schickt er erste, dicke Wolken in die Luft, die bald durch Rauchringe, in immer größeren Abständen, abgelöst werden.

Roarke ist besorgt, sehr besorgt sogar. Wie können die Dubharan aufgehalten werden?

Erneut in Coimhead

Da die Hypnose und der Duft in Sörens Arbeitszimmer verschwunden sind, kann sich Eila nach einiger Zeit wieder konzentrieren. Als Bearach mit der Untersuchung der Ecke beginnt, bringt sie sich mit einem magischen Sprung in Sicherheit.

Eila befindet sich jetzt im Stall bei Seren-wib und nimmt ihren Tarnumhang ab, der in einer ihrer Taschen verschwindet. Sie umarmt erleichtert das Pferd und tätschelt dessen Hals. Das weißgraue Pferd Artagans steht nicht im Stall, also ist er noch auf einem Erkundungsritt unterwegs.

Eila überlegt, was sie als Nächstes machen will. »Ich würde gerne Knuth aufsuchen, um ihm den Armreif zu geben. Er könnte ihn sofort um sein Handgelenk legen. Dann wüssten wir, ob es tatsächlich sein Reif ist. Vielleicht dürfte ich dann endlich bei ihnen in der Eingreifgruppe mitmachen? Leider weiß ich aber nicht, wo er sich jetzt befindet. Vielleicht sollte ich kurz bei Sisgard nachfragen? Aber sie ist ja auch oft unterwegs. Dass sie während meiner Ausbildung lange im Castellum Saxi war, ist eine Ausnahme gewesen. Also werde ich Artagan um Rat fragen.«

Nach diesem Entschluss verlässt sie den Stall. Draußen wird sie von einem heftigen Schneegestöber überrascht. Damit hat sie nicht gerechnet, so in Gedanken wie sie ist. Einige Schneeflocken gelangen unter ihren Umhang bis auf die Haut ihres Halses, wo sie jetzt schmelzen.

»Brr, ist das unangenehm«, empfindet Eila, während sie hastig den Stoff zusammenrafft. Mit schnellen Schritten wechselt sie hinüber zum Haus, in dem sie eilig verschwindet. Einige hereingewirbelte Flocken liegen im Eingangsbereich auf dem Boden, die aber sofort schmelzen und kleine Wasserflecken bilden. Die junge Zauberin schüttelt ihren Umhang aus, was weitere feuchte Stellen hinterlässt.

Die Glut im Kamin wird, durch nachgelegte Holzscheite und etwas Geduld, bald zu einem lustig flackernden Feuer. Eila bleibt kurz davor stehen und reibt sich die klammen Hände. Die Wärme durchströmt ihren Körper und löst die immer noch vorhandene Anspannung langsam.

«Ich habe mich wirklich wie ein kleines Kind verhalten. Angestachelt durch Finleys Ablehnung ließ ich die notwendige Vorsicht außer Acht. Was habe ich mich doch für schlau gehalten, nur auf die Abwesenheit Sörens zu warten. Dabei sollte es doch jedem klar sein, dass im Haus mit Schutzzaubern und Wächtern zu rechnen ist. Wer lässt seine Schätze schon unbewacht oder unzureichend gesichert zurück?

Wenn ich weder den Tarnumhang noch jede Menge Schwein gehabt hätte, wäre ich schon im ersten Moment in Sörens Arbeitszimmer geschnappt worden.

Den Golem habe ich auch nur überwunden, weil ich auf Erdmuthes Wissen zurückgreifen konnte. Und dann hatte ich erneut großen Dusel. Ich schaffte es gerade noch, den Tarnumhang über mich zu legen, bevor ich auf dem Boden eingenickt bin.

Zum Glück bin ich nicht stark genug gewesen, um den Versuch zu schaffen, das Zimmer durch die Tür zum Flur zu verlassen. Bei deren Berührung hätte ich eine totale Amnesie verpasst bekommen. Das wäre es dann mit der so klugen Zauberin Eila gewesen.«

Tränen wollen in ihre Augen steigen, was sie aber nicht zulässt.

»Jetzt fang nicht auch noch an zu flennen. Es ist doch alles gut gegangen! Ich hoffe, dass der Armreif tatsächlich Knuth gehört, sonst muss Rose Hlin ermitteln, wer dessen Auserwählter ist.«

Nach einigen Augenblicken strafft Eila ihre Schultern und begibt sich in die Küche. Sie bereitet sich dort einen Tee aus Anis, Fenchel und Kümmel, der ihr noch etwas flaues Gefühl im Magen beseitigen wird. Beim Übergießen mit kochendem Wasser wirkt der aufsteigende Duft angenehm belebend. Nach sechs Minuten gießt sie den Tee in eine große Henkeltasse. Auf dem Weg ins Wohnzimmer nimmt sie schon einen ersten, kleinen Schluck davon. Das mulmige Gefühl im Bauch ist verschwunden, als die Tasse halb geleert ist.

Es dauert nicht lange, und Eila hört Hufschläge. Artagan kommt von seinem Erkundungsritt zurück. Sie bereitet eine zweite Tasse von dem heißen Tee zu. Als ihr Ausbilder hereinkommt, steht diese dampfend auf dem Tisch.

Er nimmt die Kapuze vom Kopf und zieht seinen weißen Umhang aus, um ihn auszuschütteln. Während die bereits schmelzenden Schneeflocken und Wassertröpfchen zu Boden fallen, lächelt er zu Eila herüber.

»Du hast das Feuer bereits wieder in Gang gesetzt und auch einen Tee bereitet. Das nenne ich eine gelungene Begrüßung.« Er blickt sie mit seinem Lausbubengesicht an, das sein wahres Alter nicht vermuten lässt. Mit seinem kurzgehaltenen, rötlichen, krausen Haar und seiner glatten, aber blassen Haut, wirkt er wie Anfang 40.

»Dabei ist er bereits 165 Jahre alt«, weiß Eila. »Er hat sicher bereits vieles erlebt, Gutes wie Böses, trotzdem macht er einen fröhlichen Eindruck.« Eila lässt sich gerne von seiner scheinbaren Unbeschwertheit anstecken. Das wirkt jetzt aufbauend auf sie. Die gefährliche Situation in Sörens Arbeitszimmer rückt langsam in den Hintergrund.

»Ich habe doch gewusst, dass du nach dem Ritt etwas Warmes vertragen kannst. Das Wetter dringt durch den dicksten Umhang«, antwortet sie lächelnd. »Gab es etwas Ungewöhnliches?«

»Nein, es ist alles wie immer in letzter Zeit. Die Menschen verlassen ihre Häuser in den Dörfern möglichst nicht. Keiner traut dem Anderen, und in den größeren Orten herrschen jetzt Gruppen selbstsüchtiger Menschen. Obwohl die anderen Einwohner von ihnen ausgenutzt und unterdrückt werden, scheinen sie es relativ gut zu haben. Sie müssen zwar halbe Tage unentgeltlich Frondienste leisten, werden dabei aber nicht körperlich misshandelt. Die andere Hälfte des Tages können sie ihren eigenen Bedürfnissen widmen. Nach ersten Gräueltaten haben die neuen Herren eingesehen, dass eine schlechte Behandlung die Bevölkerung auf Dauer töten oder vertreiben würde. Dann müssten sie entweder die Arbeiten selber verrichten, oder auch den Ort verlassen. Es hat sich sozusagen ein Gleichgewicht gebildet, aus unfreien Untertanen und etwas einsichtigen Herren.«

«Aber das ist doch auch schrecklich. Die Menschen können und dürfen nicht selbst entscheiden, wie und wo sie leben wollen.«

«Damit hast du vollkommen Recht. Es muss etwas gegen die neuen Herren und die Dubharan unternommen werden. Aber das will gut vorbereitet sein. Ich meine, Roarke und Rose Hlin wissen, was sie tun. Du hast es ja auch von Finley, bei seinem letzten Besuch, gehört.«

In diesem Moment flirrt die Luft und Finley steht im Raum.

»Hallo Finley, wir haben gerade von dir gesprochen. Hast du das etwa gehört?«, will Artagan grinsend von ihm wissen.

Einem ersten Impuls gehorchend, eilt Eila auf ihn zu und umarmt ihn. Etwas verlegen tritt sie darauf einen Schritt zurück.

»Ich freu mich, dich zu sehen«, klingt es jetzt etwas gefasster. Die junge Zauberin sieht ein freudiges Aufleuchten in dem Gesicht des jungen Zauberers.

»Ich freue mich auch, sehr sogar!«

»Hm, hm. Also ihr beiden seid mir ja die Richtigen!« Artagans einsetzendes Gelächter lässt sie zu ihm herumfahren.

»Wie, die Richtigen?«, und »Was meinst du?«, fragen beide zur gleichen Zeit. Etwas verlegen bemerken sie, dass eine leichte Röte ihren Hals hinaufsteigt.

»Nicht daran denken! Jetzt nur nicht rot werden«, versuchen sich die jungen Zauberer gedanklich zu beruhigen.

»Wenn man euch jungen Leute so sieht, möchte man selbst wieder jung sein! Was war das doch für ein schönes Gefühl, wenn die Schmetterlinge im Bauch …«

Hier wird er energisch von beiden unterbrochen.

»Ich freue mich nur, Eila gesund und munter zu sehen«, entgegnet Finley.

»Finley hatte in der Zwischenzeit sicher gefährliche Aufgaben zu erledigen, darum bin ich froh, dass ihm offensichtlich nichts passiert ist«, fügt Eila hinzu.

»Ach so ist das. Hm, hm. Dann will ich mal nichts gesagt haben«, wiegelt Artagan jetzt ab, obwohl er ein wissendes Grinsen nicht unterdrückt. »Dann setz dich mal zu uns und erzähl, weshalb du gekommen bist.«

»Warte noch einen Moment, ich mache uns erst etwas zu Trinken«, fordert die junge Zauberin, während sie bereits in die Küche verschwindet.

Sie muss sich etwas beruhigen, beinahe hätte sie sich vor ihrem Ausbilder verraten. Trotzdem freut es sie, wie Finley reagierte. Er scheint also auch mehr als nur Beschützergefühle für sie zu haben, ist sie überzeugt.

Sie atmet bewusst ein paar Mal langsam ein und aus und bringt eine neue Tasse und eine Kanne heißen Tee ins Wohnzimmer.

Als sie von dem Getränk den ersten Schluck genommen haben, beginnt der junge Zauberer zu berichten.

»Wir haben heute eine Stadt vor der Übernahme durch die Dubharan retten können.«

Jetzt folgt ein kurzer Bericht der Ereignisse, danach fährt er fort: »Als wir danach bei Roarke eine kurze Beratung abgehalten haben, berichtete dieser davon, dass der ganze Westen des Landes unter Einfluss der Dubharan steht. Darum hat er mich hierhergeschickt. Er befürchtet, dass ihr hier nicht mehr sicher seid. Darum schlägt er vor, dass die Ausbildung Eilas im Bereich Wasser in Coimhead fortgesetzt werden soll.

Dort sind dann gleich mehrere Zauberer versammelt, so dass kein Angriff der Dubharan zu fürchten ist. Deirdre freut sich bereits auf weitere Übungsstunden in der Selbstverteidigung mit Eila. Da es dort ein Schwimmbecken gibt, könntet ihr auch mit Übungen der Wasserzauber weitermachen«, beendet er jetzt seinen Auftrag.

Alle schweigen.

Eila ist in Gedanken in Coimhead. Der Gedanke ist sehr verlockend, dort eine weitere Zeit zu verbringen.

Artagan blickt mit gerunzelter Stirn zwischen Eila und Finley hin und her.

»Das gefällt mir nicht. Ich soll hier heimlich verschwinden? Andererseits wäre Eila in Coimhead wirklich besser geschützt! Hm, hm. –

Wir sollten das nicht überstürzen. Ich schlage vor, wir schlafen eine Nacht darüber. Morgen früh werden wir uns dann entscheiden, nachdem alle Für und Wider abgewogen worden sind.«

»Ich wäre auf jeden Fall beruhigt, wenn Eila in Coimhead ist«, entgegnet Finley. »Aber es ist eure Entscheidung! Nur wartet nicht zu lange damit. Es ist nicht absehbar, wann die Dubharan hier zuschlagen werden.«

»Ich stimme Artagan zu. Wir sollten das morgen früh entscheiden. Wenn du heute Nacht hierbleibst, sind wir zu dritt und könnten einen Angriff soweit abwehren, bis wir uns in Sicherheit gebracht hätten.«

«Ist gut, solange kann ich bleiben«, beendet Finley ihre Diskussion.

Den Rest des Tages verbringen sie damit, in der Höhle am Meeresarm die Wasserzauber zu üben. Das Wasser gischtet hoch und schäumt auf oder liegt spiegelglatt da, dann stürmen Wellen auf den Strand oder aufeinander zu.

Die Zauberer liefern sich ein Duell, wobei das Wasser der Austragungsplatz ist. Plötzliche Eisschichten brechen auf und wandeln sich in Schollen, die im nächsten Moment von Eispfeilen gespickt werden, die senkrecht vom Himmel herabzischen.

Regenschauer prasseln auf diese Gebilde und lösen sie wieder auf. Sofort danach liegt eine vollkommen glatte Wasserfläche vor ihnen.

Finley ist beeindruckt von Eilas Können. Er ist überzeugt, dass sie ihm mindestens ebenbürtig ist. Artagan bemerkt die bewundernden Blicke des Jünglings.

»Ich bin ehrlich überrascht, wie perfekt du diese Zauber schon beherrschst«, lobt er sie neidlos.

»Sie hatte ja auch den besten Lehrer«, schmunzelt Artagan. »Nein, im Ernst. Finleys Lob ist berechtigt. Du bist eine Meisterschülerin, Eila!«

»Ich danke euch«, erwidert die junge Zauberin verlegen. »Das Lob gebe ich aber zurück. Du bist wirklich ein überragend guter Lehrer, bei dem mir das Lernen viel Vergnügen bereitet hat. –

Und jetzt sollten wir die Pferde füttern, selber etwas essen und dann schlafen gehen.«

Sie wechseln jetzt in den Stall. Danach verläuft der Abend wie von Eila vorgeschlagen.

In dieser Nacht träumt sie.

Sie sitzt auf dem Rücken eines grauweißen Pferdes, dessen Fell leicht silbern zu schimmern scheint und galoppiert über leicht ansteigendes Flachland. In dem Pferd erkennt sie Seren-wib. Ist dies die bereits mehrfach gesehene Sequenz, in der sie gleich ein Rudel grauer Wölfe von rechts kommen sehen wird?

HALT und das Pferd erstarrt in der Bewegung. BEWEGEN und Eila schaut sich um. Sie sieht aber weder Albin, noch die Wölfe. Also ist dies etwas, was noch geschehen wird!

WEITER. Sie sind jetzt von hohen Bergen umgeben, deren Gipfel schneebedeckt sind. Diese setzen sich bis in weiter Ferne fort, neben- und übereinander emporragend. Der Abend bricht bereits herein. Sie haben nun ein Tal erreicht, in dem sie weiterreiten. Hier und dort zweigen Seitentäler ab. Das mittlerweile herrschende Dämmerlicht nimmt immer mehr ab. Der Weg ist nur noch schwer zu finden.

Jetzt erreichen sie einen Platz, wo sie anhalten. Viele Pferdehufe haben den Boden aufgewühlt. Hier müssen viele Berittene gewesen sein. Sie will sich das näher ansehen und vom Pferd steigen, aber da ändert sich der Traum.

Eila sieht Nebel übers Land kriechen. Die Morgendämmerung beginnt. Obwohl die Helligkeit zunimmt, ist es schwierig, sich zurecht zu finden. Ein Windstoß schiebt die Nebelschwaden kurzzeitig etwas auseinander, doch sie schließen sich sofort wieder. Trotzdem konnte sie einen Blick auf ein Wolfsrudel erhaschen, das von fünf Reitern begleitet wird.

Sie wälzt sich unruhig hin und her. BEWEGEN und HÖREN erlaubt Eila, vorwärts zu hasten. Jetzt befindet sie sich auf gleicher Höhe mit den Reitern, die in dunkle Umhänge gehüllt sind.

»Was ist das für ein seltsamer Nebel? Der wird offensichtlich durch einen Zauber aufrechterhalten, da unsere Windzauber ihn nicht vertreiben können. Kennst du keinen besseren Gegenzauber, Sören?«

Eila ist erschrocken, als sie Bearachs Stimme erkennt. Und nun antwortet Sören:

»Nein, den kenne ich nicht. Aber wenn wir immer weiter in die Richtung reiten, wo der Nebel scheinbar dichter wird, werden wir vermutlich näher zu Artagans Haus kommen.«

»Da stimme ich dir zu. Wir müssen aber auf den Boden vor uns achten, damit wir nicht plötzlich in eine Felsspalte stürzen. Für uns wäre das ja nicht schlimm, aber dann wären unsere Hilfskräfte außer Gefecht gesetzt.«

Eila wälzt sich hin und her.

AUFWACHEN.

Sie ist entsetzt. Die Dubharan planen einen Überfall auf Artagan. Findet das jetzt gerade statt oder erst in der Zukunft? Sie setzt sich auf und grübelt, dann wird ihr klar, dass das vielleicht gerade jetzt passiert. Durch das Fenster der Schlafkammer sieht sie bereits den Morgen grauen, und dichte Nebelschwaden wabern wie jede Nacht um das Haus.

In aller Eile zieht sie sich an und stürmt zur anderen Schlafkammer, in der sie Artagan und Finley schleunigst aufweckt. Kurz und hastig erklärt sie, was sie gerade gesehen hat.

Sie beschließen, diesen Ort sofort zu verlassen. Welchen Sinn würde es machen, wenn sie den fünf Dubharan ein Gefecht lieferten, um sich dann vielleicht doch in Sicherheit bringen zu müssen? Fünf gegnerische Zauberer, darunter die zwei mächtigsten von ihnen, könnten in der Auseinandersetzung vielleicht Erfolg haben. Warum sollten sie eine Verletzung oder gar Schlimmeres riskieren? Es ist ja niemand in Not, dem sie beistehen müssten. Da ist es besser, vorsichtig zu sein!

Eila hastet in ihre Kammer zurück und rafft ihre Sachen zusammen. Kurz darauf befindet sie sich im Stall. Hier satteln Artagan und Finley bereits beide Pferde. Als sie damit fertig sind, fassen sich alle an den Händen und den Tieren an den Hals, und der Stall ist leer.

Im gleichen Augenblick stehen sie vor der Treppe zum Haupteingang von Coimhead.

Finley begibt sich auf die Suche nach Rose Hlin, die er in ihrem Arbeitszimmer antrifft.

Artagan folgt Eila. Sie bringen die Tiere zu den Schulpferden in den Stall.

Eila wird freudig von den Pferden im Stall begrüßt. Aufgeregt beschnuppern sie Seren-wib und Artagans Tier. Nachdem die Zauberer die Pferde abgesattelt haben, beobachten sie vorsichtshalber, wie die Leitstute der kleinen Schulherde die »neuen Mitglieder« aufnehmen wird. Sie erkennen, dass es keine Schwierigkeiten geben wird. Seren-wib war bereits einmal aufgenommen worden und wird sofort erkannt. Und das andere Tier wird auch akzeptiert.

Artagan geht voraus zu Rose Hlin, während die junge Zauberin ihre Sachen in das Zimmer bringt, in dem sie viele Jahre zusammen mit Anna geschlafen hat. Einen Moment sitzt sie auf der Bettkante, in Erinnerungen an die damalige Zeit versunken.

»Wie mag es Anna wohl mit ihrem Studium ergehen? Hoffentlich ist sie in Sicherheit vor den Dubharan und deren Anhängern.«

Anna wollte das Studium in einer Stadt in der Nähe der Hauptstadt beginnen. Dort hat die Regierung alle Truppen zusammengerufen und um sich geschart, wie Eila von Finley und auch auf der Zusammenkunft aller Zauberer gehört hatte.

»Den Anhängern der bösen Zauberer sollte es nicht gelingen, die Stadt und die weitere Umgebung zu unterwerfen, wenn sie keine Unterstützung durch die Zauber selbst bekommen werden«, überlegt sie. »Es ist aber lediglich eine Frage der Zeit, wann die Dubharan diese mutlose Regierung aus dem Amt jagen.«

Jetzt grübelt sie noch etwas über die erste geträumte Sequenz der letzten Nacht. In der Eile des Aufbruchs hat sie bisher nicht daran gedacht. »Was mag sie bedeuten?«

Da sie keine Anhaltspunkte erkennen kann, hofft sie, diese in einer neuen Sequenz zu bemerken.

Eila verlässt ihr Zimmer und das Haus, läuft den bekannten Weg zum Hauptgebäude und tritt ein. Sie geht weiter ins Gebäude, dreht sich nach rechts und steht vor einer großen Eichentür. Sie sieht das Messingschild mit dem Schriftzug

Professor

Rose Hlin.

neben der Tür, und lässt den Türklopfer, eine Elfe aus Messing, einmal auf den glänzenden Messingknopf treffen.

Sofort ertönt ein freundliches »Herein!« Sie öffnet die Tür und tritt in einen kleinen Vorraum, von dem sie gleich weiter in das Arbeitszimmer eilt.

Hier wird sie freudig von der Schulleiterin Rose Hlin und Deirdre begrüßt. Finley und Artagan sitzen bereits auf zwei Stühlen, so dass Deirdre und Eila auf dem Sofa Platz nehmen.

»Wie wäre es mit einer Tasse Tee?«, kommt die übliche Frage von Rose Hlin, die alle zustimmend beantworten.

»Hm, hm. Natürlich gerne. Welche Pfefferminzsorte wird es heute wohl sein?«, antwortet Artagan, während ein Grinsen sein Gesicht noch lausbübischer erscheinen lässt. Nach wenigen Minuten ist die Schulleiterin zurück und gießt jedem eine Tasse ein.

»Dann bin ich mal gespannt, ob ihr das herausschmecken werdet!«

Zuerst meldet sich Finley: »Es ist, ja genau, es ist … Pfefferminztee!« Er grinst dabei über das ganze Gesicht.

»Aber kein gewöhnlicher. Ich komm’ nicht drauf, es liegt mir sozusagen auf der Zunge.«

»Du bist ja ein ganz Schlauer«, bekommt er jetzt von Deirdre zu hören, während Rose Hlin lächelt.

»Aber ich kenne mich damit nicht so aus. Er ist sehr lecker, und ich spüre eine fruchtige Note, mehr weiß ich aber auch nicht.«

Jetzt blickt die Schulleiterin zu Artagan und Eila.

»Was sagt ihr dazu? Ihr seid doch wirkliche Experten, oder?«

»Ich meine, hm, hm. Ja, das stimmt, du hast etwas Zitronengras mit ins heiße Wasser getan. Wolltest du uns damit auf eine falsche Fährte locken? Zitronenminze ist es eindeutig nicht, dafür ist das Aroma zu fruchtig. Welche Sorte es ist, weiß ich, aber ich bin gespannt, ob Eila es auch herausbekommt.«

»Das kann ja jeder sagen«, scheint sich Finley zu empören. Da er dabei zwinkert, möchte er Artagan aber nur etwas necken. »Dann flüstere mir deinen Tipp doch ins Ohr«, fordert er nun.

Eila wartet das ab und sagt dann: »Es ist Erdbeerminze!«

Rose Hlin erklärt lachend: »Na, Finley, habe ich Recht, diese beiden als Experten zu bezeichnen?«

»Das hast du. Meinen Respekt, alter Junge«, sagt er zu Artagan gewandt, während er ihm lachend auf die Schulter klopft. Zu Eila meint er: »Von dir habe ich nichts anderes erwartet. – Nein, Spaß beiseite. Meine Hochachtung! Ich könnte diese feinen Unterschiede nicht schmecken.«

Eila berichtet nun, was sie in der Nacht hellgesehen hat. Die erste Sequenz erwähnt sie nur kurz, die zweite berichtet sie aber ausführlich. Rose Hlin fasst die aktuelle Situation und das Gehörte in einem Satz zusammen:

»Das bedeutet also, der Westen ist für uns verloren!«

»Dort herrschen die Dubharan derzeit zwar uneingeschränkt«, korrigiert Artagan sie, »aber nur, bis wir zum Gegenschlag ausholen. Ich werde ihnen mein Haus doch nicht ohne Kampf überlassen.«

»Das darf aber nicht unüberlegt erfolgen! Wir müssen in ausreichender Stärke, mit einer Mindestzahl von geeigneten Zauberern, zum Gegenangriff übergehen.« Rose Hlins Stimme ermahnt sie alle zur Vernunft. »Wann dafür der beste Zeitpunkt ist, werden wir in einer Beratung mit Roarke, Solveig, Bhatair, allen Ausbildern und allen Auserwählten festlegen. Ich schlage vor, sie sollte zu Beginn des Frühjahrs stattfinden.«

»Ich hoffe, dass die Dubharan bis dahin nicht zu viel Einfluss gewonnen haben«, zweifelt Artagan. »Aber du hast Recht, wir müssen auch genügend andere Kämpfer zur Verfügung haben. Ob die Stämme aus dem Norden im Westen kämpfen wollen, müssen wir ebenfalls wissen. Es gibt also noch vieles zu tun«, erklärt sich Artagan jetzt einverstanden.

»Ich muss zu Roarke zurückkehren und werde ihm von der aktuellen Situation berichten«, beendet jetzt Finley ihre kurze Zusammenkunft.

»Danke, dass du uns gestern gewarnt hast. Ich werde in den nächsten Tagen zu Roarke kommen. Die Übungen mit Eila werde ich dann beenden können, da sie die Zauber bereits sehr gut beherrscht, wie du dich selbst überzeugen konntest.« Artagan schüttelt Finley beide Hände.

Rose Hlin reicht Finley zum Abschied ihre Hand.

Deirdre und Eila sind nicht so zurückhaltend, beide umarmen ihn kurz. Sie fordern sich dabei gegenseitig auf, auf sich zu achten. Eila flüstert noch kurz: »Und Godspeed!«, dann ist er verschwunden.

Im Laufe der Woche übt Eila unter Artagans Aufsicht ihre Wasserzauber. Auch wenn das Schwimmbecken gegenüber dem Meeresarm sehr klein ist, wirken die Zauber dort ebenso. Es fehlt natürlich der überwältigende Eindruck, wenn die große Wassermenge in riesigen Wellen auf den Strand zurast.

Am Abend des vierten Tages treffen sich beide mit Deirdre und Rose Hlin in dem Arbeitszimmer der Schulleiterin. Nachdem sie wieder Tee, diesmal ist es Apfelminze, getrunken haben, beginnt Artagan:

»Ich bin mit Eilas Können äußerst zufrieden. Neues kann ich ihr nicht mehr beibringen und die gelegentlichen Übungen kann sie auch ohne mich durchführen.« Jetzt wendet er sich direkt an Eila: »Darum erkläre ich deine Ausbildung, im Bereich Wasser, für erfolgreich abgeschlossen. Hm, hm. ‒

Ich bin sehr stolz auf dich! Die Zeit mit dir war sehr erfrischend. Ich habe mich wieder jung gefühlt. Das Schlittern auf dem Eis, die Wasserschlachten, die gemeinsamen Erkundungsritte, … was hatten wir für eine schöne Zeit! Ich danke dir dafür!«

Verlegen blinzelt er eine kleine Träne fort.

Eila erhebt sich und fragt etwas schüchtern: »Darf ich?« Als sie nur einen verwunderten Ausdruck auf diesem sonst so keck wirkenden Gesicht sieht, ergänzt sie: »Ich nehme das mal als ein Ja.« Und schon umschlingen ihn ihre Arme.

»Ich danke DIR! Ich habe viel gelernt und mich sehr wohl gefühlt!« Damit lässt sie ihn los und setzt sich wieder. Dann fragt sie: »Kannst du mir noch einen Rat geben? Wo sollte ich mit meiner Ausbildung weitermachen?«

»Ja, hm, hm. Warte mal«, er ist noch etwas gerührt von der unerwarteten Umarmung, und wischt sich jetzt aus beiden Augen eine Träne. »Ich meine, du musst den Bereich Luft unbedingt auch noch kennenlernen. Du brennst darauf, zusammen mit Finley in der Eingreifgruppe mitzuwirken! Aber, ich bin genau wie er der Meinung, dass du erst deine Ausbildung abschließen solltest. Und dazu gehört auch der Bereich Luft. Wenn du möchtest, nehme ich dich mit zu Roarke, der dich darin ausbilden wird.«

Eila weiß, dass dies eine gute Möglichkeit wäre, ihre nächste und letzte Ausbildungsstufe zu beginnen. Sie ist aber erneut enttäuscht, dass Artagan, genau wie Finley, ihren größten Wunsch nicht verstehen will.

Trotzdem antwortet sie freundlich: »Ich danke dir für dein Angebot, Artagan. Aber, Deirdre wird sehr enttäuscht sein, wenn ich dich jetzt begleite. Sie möchte wenigstens ein paar Tage mit mir zusammen verbringen. Danach könnte sie mich zu Roarke bringen. Sie war ja auch bereits mehrfach dort. Wenn ich das dann als nächsten Schritt machen werde. Vielleicht besuche ich aber auch meinen Großvater. – Das ist, glaube ich, eine gute Idee.«

Die junge Zauberin sieht, wie sich Deirdres Züge freudig erhellen. Nach Artagans Vorschlag konnte man die Enttäuschung förmlich in ihrem Gesicht lesen, was jetzt vorbei ist.

»Ich freue mich sehr, wenn Eila noch ein paar Tage bleibt. Wir können dann unsere Selbstverteidigung auffrischen«, antwortet sie freudig. »Wenn Eila dann zu Roarke möchte, würde ich sie begleiten. Sie ist dort noch nie gewesen, deswegen könnte sie nicht alleine mittels magischem Sprung zu ihm kommen.«

Eila hat nicht nur die gemeinsame Zeit mit Deirdre im Sinn. Sie möchte von ihr auch erfahren, wo sich Knuth gerade aufhält. Da beide zur Eingreifgruppe gehören, wird sie es vielleicht wissen, vermutet sie. Außerdem möchte sie ihr törichtes Vorgehen zur Eroberung des Armreifs nicht vor ihrem Ausbilder oder Rose Hlin kundtun. Bei Deirdre hat sie dagegen keine Hemmungen, da sie diese als eine gute Freundin betrachtet.

Artagan verabschiedet sich von Rose Hlin und Deirdre, dann gehen er und die junge Zauberin hinüber in den Pferdestall. Er sattelt sein Pferd. Beide lächeln sich noch einmal an, dann sind er und das Tier verschwunden.

Am nächsten Morgen treffen sich Deirdre und die junge Zauberin im Sportraum. Sie trainieren den ganzen Vormittag ihre Selbstverteidigung. Erneut stellen sie die Unterschiede zur Kampftechnik des Ausbilders Achaius fest. Eila erinnert sich an die eher kraftbetonte Ausbildung bei Erdmuthes Wächter. Dort übte sie Schwertkampf, Ringen und Boxen. Sie liebt die von Deirdre gelehrte Technik, bei der mit weniger Kraft gearbeitet wird, ebenso. Dabei wird die Energie des Angriffs umgelenkt und zur Überwältigung des Gegners genutzt.

Nach dem Mittagessen laufen beide mehrere Runden durch den Park. Am Nachmittag, beim Bogenschießen, staunt Eila erneut über die Schnelligkeit und Treffsicherheit, mit der ihre ehemalige Lehrerin, Pfeil um Pfeil in das Zentrum der Zielscheibe schickt. Abends unterhalten sie sich etwa zwei Stunden mit Rose Hlin in deren Arbeitszimmer.

Die nächsten beiden Tage verlaufen ebenso. Am vierten Tag unterbrechen sie die Vormittagsübungen, weil Deirdre zu einem Treffen der Eingreifgruppe gerufen wird.

In deren Abwesenheit läuft Eila einige Runden durch den Park bis es Zeit zum Mittagessen ist, das sie heute mit der Schulleiterin einnimmt. Den Nachmittag verbringt sie in Rose Hlins Arbeitszimmer, und stöbert in deren alten Büchern. Eines trägt den Titel »Die Anwendung schwarzer Magie im Mittelalter«. Sie blättert darin und beginnt einige Passagen zu lesen. Darin findet sie eine Liste von Flüchen, die ihr auf den ersten Blick unglaubwürdig erscheinen. Haben die Menschen damals tatsächlich geglaubt, dass sie damit

die Ernte vernichten,

das Vieh dahinsiechen und verenden lassen,

den Nachbarn, die Nachbarin unfruchtbar machen,

die Vorräte ungenießbar machen, usw.

konnten?