Wo ist Anselm? - Carolin Grahl - E-Book

Wo ist Anselm? E-Book

Carolin Grahl

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Beschreibung

Er kommt aus Gran Canaria und ist der Sohn von Dr. Daniel Nordens Cousin Michael und dessen spanischer Frau Sofia. Alexander kennt nur ein Ziel: Er will Arzt werden und in die riesigen Fußstapfen seines berühmten Onkels, des Chefarztes Dr. Daniel Norden, treten. Er will beweisen, welche Talente in ihm schlummern. Dr. Norden ist gern bereit, Alexanders Mentor zu sein, ihm zu helfen, ihn zu fördern. Alexander Norden ist ein charismatischer, unglaublich attraktiver junger Mann. Die Frauenherzen erobert er, manchmal auch unfreiwillig, im Sturm. Seine spannende Studentenzeit wird jede Leserin, jeden Leser begeistern! »Hallo, Sie da!« Alex, der mit eiligen Schritten die Eingangshalle der Behnisch-Klinik durchquerte, um sich im Dienstzimmer seinen Arbeitsplan abzuholen, fühlte sich von hinten an der Schulter gepackt. »Hallo, Sie da!« Verblüfft und auch ein wenig ärgerlich wandte er sich um. Vor ihm stand eine schlanke Frau in Jeans und T-Shirt. Ihre lockigen blonden Haare fielen verwirrt und zerzaust auf ihre Schultern. Sie schaute Alex mit einem Ausdruck völliger Verzweiflung an und schien einem Nervenzusammenbruch nahe. Alex' anfänglicher Widerwille fiel in sich zusammen. »Brauchen Sie Hilfe?«, fragte er. »Kann ich irgendetwas für Sie tun oder …« »Wissen Sie, ob mein Mann hier in die Behnisch-Klinik eingeliefert wurde? Im Laufe der vergangenen Nacht? Oder heute Morgen?«, fiel ihm die Frau ins Wort. Alex schüttelte den Kopf. »Nein, ich weiß leider nicht, ob in dem betreffenden Zeitraum jemand eingeliefert wurde«, erwiderte er. »Am besten fragen Sie am Info-Schalter. Oder in der Notaufnahme.«

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Seitenzahl: 137

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Der junge Norden – 55 –Wo ist Anselm?

Niemand weiß, was wirklich geschah

Carolin Grahl

»Hallo, Sie da!« Alex, der mit eiligen Schritten die Eingangshalle der Behnisch-Klinik durchquerte, um sich im Dienstzimmer seinen Arbeitsplan abzuholen, fühlte sich von hinten an der Schulter gepackt. »Hallo, Sie da!«

Verblüfft und auch ein wenig ärgerlich wandte er sich um.

Vor ihm stand eine schlanke Frau in Jeans und T-Shirt. Ihre lockigen blonden Haare fielen verwirrt und zerzaust auf ihre Schultern. Sie schaute Alex mit einem Ausdruck völliger Verzweiflung an und schien einem Nervenzusammenbruch nahe.

Alex‘ anfänglicher Widerwille fiel in sich zusammen. »Brauchen Sie Hilfe?«, fragte er. »Kann ich irgendetwas für Sie tun oder …«

»Wissen Sie, ob mein Mann hier in die Behnisch-Klinik eingeliefert wurde? Im Laufe der vergangenen Nacht? Oder heute Morgen?«, fiel ihm die Frau ins Wort.

Alex schüttelte den Kopf. »Nein, ich weiß leider nicht, ob in dem betreffenden Zeitraum jemand eingeliefert wurde«, erwiderte er. »Am besten fragen Sie am Info-Schalter. Oder in der Notaufnahme.«

»Vom Info-Schalter komme ich gerade. Er ist nicht besetzt. Und zuvor war ich schon in der Notaufnahme, konnte aber nichts in Erfahrung bringen.« Die Frau wurde zusehends panischer. »Sie müssen mir helfen. Bitte!«

Alex warf einen raschen Blick auf seine Armbanduhr. Es blieb nicht mehr viel Zeit bis zum Beginn seiner Schicht, und wenn er sich verspätete, würde er sich wieder einmal Ärger einhandeln. »Ich bin leider in Eile, aber Frau Kleinlein, die am Info-Schalter Dienst hat, wird mit Sicherheit bald wieder da sein«, sagte er freundlich. »Sie kann im Computer nachsehen. Wenn Sie nur ein paar Minuten warten, wird Frau Kleinlein Ihnen …«

»Können Sie nicht nachsehen? Jetzt gleich?«, unterbrach die blonde Frau Alex ein weiteres Mal. »Ich will Sie natürlich nicht aufhalten, aber das Überprüfen der Neuzugänge seit gestern Nacht kann doch nicht allzu lange dauern.«

Ein flehentlicher Blick der Frau aus ihren großen, rehbraunen Augen brach Alex‘ letzten Widerstand. »Wie heißt denn Ihr Mann?«, erkundigte er sich, während er bereits in Richtung Info-Schalter lief.

»Faller. Anselm Faller«, kam mit zitternder Stimme die Antwort. »Tut mir leid, ich … ich habe mich Ihnen nicht einmal vorgestellt. Ich bin Darja Faller. Mein Mann und ich … wir sind seit zwanzig Jahren verheiratet. Glücklich verheiratet.«

Alex musterte Darja mit einem raschen Seitenblick.

Für eine Frau, die in fünf Jahren schon Silberhochzeit feierte, wirkte sie ziemlich jugendlich. Und das lag, wie Alex fand, nicht nur an ihrem Outfit, sondern auch an ihrer glatten Haut und an ihren flinken, geschmeidigen Bewegungen.

»Dann haben Sie wohl sehr jung geheiratet, Frau Faller«, lächelte er, während er Isabella Kleinleins Computer einschaltete. »Mist«, murmelte er, als er sah, dass Isabella eine Passwortsperre eingerichtet hatte.

»Funktioniert etwas nicht?«, erkundigte sich Darja.

»Doch, doch. Es ist nur …« Alex gab aufs Geratewohl Isabella Kleinleins Geburtsdatum ein, das sie ihm vor einiger Zeit bei einer kleinen Feier in der Behnisch-Klinik in ausgelassener, ein wenig alkoholseliger Laune verraten hatte: nichts. Auch der nächste Versuch, bei dem er einfach ihren Namen eingab, schlug fehl, ebenso wie die banale Zahlenkombination eins, zwei, drei, vier und die Buchstabenfolge A, B, C, D. »Verdammt«, ärgerte sich Alex. »Wie in aller Welt könnte das Passwort lauten?« Benutzte Isabella vielleicht den Namen ihres Freundes? Mit angehaltenem Atem probierte Alex es noch einmal – und diesmal klappte es.

Endlich konnte er auf sämtliche Dateien des Computers zugreifen. Er suchte nach Neuzugängen mit dem Datum des Vortags, aber ein Anselm Faller war nicht zu finden. Auch das aktuelle Datum brachte keinen Treffer. Sicherheitshalber checkte Alex auch noch sämtliche Stationen einzeln, aber ein Anselm Faller tauchte nirgends auf. »Ich kann leider nichts finden, Frau Faller«, seufzte Alex schließlich. »Ihr Mann befindet sich definitiv nicht in der Behnisch-Klinik.«

Darja schlug aufstöhnend ihre Hände vor ihr Gesicht. »Anselm, wo in aller Welt bist du?«

»Sind Sie sicher, dass Ihr Mann in die Behnisch-Klinik eingeliefert wurde?«, fragte Alex, während er Isabella Kleinleins Computer wieder herunterfuhr. »Vielleicht wurde er in ein anderes Krankenhaus gebracht, zum Beispiel ins Isar-Klinikum oder in eines der Stadtteil-Krankenhäuser. Wenn Sie möchten, kann ich die betreffenden Kliniken für Sie anrufen und mich erkundigen.«

»Danke, das ist nicht nötig. Machen Sie sich keine Mühe«, winkte Darja ab.

»Sind Sie sicher?«

»Ja«, nickte Darja, »ich bin mir sicher. Sollte meinem Mann etwas zugestoßen sein, wäre er bestimmt in die nächstgelegene Klinik gebracht worden. Und das ist nun einmal die Behnisch-Klinik.«

Alex runzelte die Stirn. »Sie … Sie vermuten, Ihrem Mann könnte etwas zugestoßen sein, Frau Faller?«, hakte er nach. »Ich will Ihnen natürlich nicht zu nahe treten, aber wäre in diesem Fall nicht die Polizei eine geeignetere Anlaufstelle als die Behnisch-Klinik?«

»Die Polizei«, schnaubte Darja verächtlich. »Die Polizei, dein Freund und Helfer, meinen Sie?« Um Darjas Mundwinkel legte sich ein verbitterter Zug. »Auch auf dem Polizeirevier bin ich heute Morgen schon gewesen. Das Polizeirevier war sogar meine allererste Anlaufstelle. Und wissen Sie, was man mir dort gesagt hat, Herr …« Darja warf einen raschen Blick auf das Namensschild an Alex‘ Kittel. »Herr Norden«, ergänzte sie. »Können Sie sich vorstellen, was die Beamten meinem Mann unterstellt haben?«

Alex schwieg, auch wenn er sich durchaus ausmalen konnte, wie Darjas Besuch auf dem Polizeirevier abgelaufen war.

»Ich habe den Polizisten wahrheitsgemäß erzählt, dass mein Mann seit gestern Abend kurz nach zehn Uhr abgängig ist, aber sie waren nicht im Geringsten daran interessiert, meinen Mann zu suchen. Sie haben mir stattdessen ins Gesicht gesagt, dass sie aufgrund eines Gesetzes vor dem Ablauf von vierundzwanzig Stunden nach Verschwinden einer Person nichts unternehmen würden, und dass dieses Gesetz auch völlig in Ordnung wäre. Weil es einfach zu oft vorkäme, dass ein Partner sich auf Nimmerwiedersehen verabschiedet, indem er zum Beispiel einfach vom Zigarettenholen nicht mehr zurückkommt.« Darja schüttelte den Kopf. »Der Polizeibeamte, der mir das erklärt hat, hatte ein fast mitleidiges Lächeln im Gesicht, das nur allzu deutlich zeigte, was er dachte. Und die anderen beiden, die das Gespräch mitgehört hatten, haben verständnisinnige Blicke getauscht und dabei verhalten gegrinst. Ich … ich habe auf dem Absatz kehrt gemacht und bin einfach fortgelaufen. Ich konnte den Anblick dieser selbstgefälligen Typen einfach nicht länger ertragen.«

»Das kann ich durchaus verstehen«, meinte Alex. »Wenn man sich allerdings in die Lage der Polizisten versetzt … Polizisten sehen von Berufs wegen tagtäglich eine ganze Menge schlechter und negativer Dinge. Wahrscheinlich können sie deshalb nur schwer oder gar nicht verhindern, dass ihnen ein gewisses voreingenommenes Denken praktisch zur zweiten Natur wird.«

»Trotzdem ist es ungerecht, über einen Menschen zu urteilen, den man gar nicht kennt«, wehrte sich Darja. »Nie und nimmer würde mein Anselm mich im Stich lassen, indem er aus irgendeinem fadenscheinigen Grund die Wohnung verlässt, um nicht mehr zurückzukehren. Allein die Vermutung, Anselm könnte zu so etwas fähig sein, ist eine infame Unterstellung und eine glatte Unverschämtheit.«

Alex nickte, auch wenn seine Gedanken inzwischen wieder zum Dienstzimmer und zu seinem Arbeitsplan zurückgekehrt waren. Nach einer Weile fing er an, nervös von einem Bein aufs andere zu treten, doch Darja merkte es nicht.

»Anselm und ich haben uns gestern im Fernsehen gemeinsam einen Krimi angeschaut«, begann sie zu erzählen. »Und hinterher wie immer ein letztes Mal die Tagesschau. Dann ist Anselm losgezogen, um seine nächtliche Runde zu joggen, während ich die Weingläser und das Knabberzeug weggeräumt habe.«

»Ihr Mann joggt nachts? Vor dem Schlafengehen?«, wunderte sich Alex. »Ich jogge auch sehr gerne, absolviere meine Runde aber morgens, genau wie die meisten anderen Menschen.«

»Bei Anselm war … ist das anders, denn wir hatten früher einen Hund. Und der musste, ehe wir zu Bett gingen, noch mal rausgeführt werden. Inzwischen ist unser Filou zwar schon seit einem guten Jahr auf der anderen Seite der Regenbogenbrücke, aber die abendliche Runde ist ein Teil von Anselms Tagesablauf geblieben. Und da er nun keinen Begleiter mehr hat, der an jeder Ecke stehen bleibt, um zu schnüffeln oder zu pinkeln, hat Anselm sich aufs Joggen umgestellt. Zumal es obendrein noch den Vorteil hat, dass es die Kalorien von den zuvor genossenen Crackern verbrennt.« Darja machte eine kleine Pause, die Alex schon auf das Ende des Gesprächs hoffen ließ, doch dann fuhr sie kopfschüttelnd, als könnte sie immer noch nicht fassen, was geschehen war, fort: »Anselm hat sich gestern Abend mit einem flüchtigen Kuss und einem ›Tschüss, bis später‹ von mir verabschiedet wie immer. Ich habe den Fernseher angelassen, um mir beim Aufräumen die Zeit zu vertreiben. Es kam eine Reportage über die negativen Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit. Ich fand das Thema sehr fesselnd und interessant, sodass mir zunächst gar nicht aufgefallen ist, dass Anselm schon viel länger fort war als sonst. Erst als die Reportage zu Ende war, habe ich bemerkt, dass es bereits Viertel nach elf war. Da Anselm normalerweise nicht länger als eine halbe Stunde joggt, bin ich ziemlich erschrocken. Natürlich hat der Krimi, den wir kurz zuvor gesehen hatten, meine Fantasie noch zusätzlich beflügelt und mir allerhand schreckliche Dinge vorgegaukelt.«

»Das wäre mir wohl nicht anders ergangen«, stimmte Alex zu. »Haben Sie dann noch weiter auf Ihren Mann gewartet? Oder sind Sie losgezogen, um ihn zu suchen?«

»Letzteres«, erwiderte Darja. »Das Problem war nur, dass ich mich um diese Zeit eigentlich nicht mehr alleine auf die Straße wage. Man liest und hört ja heutzutage so viel von Vergewaltigungen und Messerattacken. Also habe ich meine Schwester Kira angerufen, die mit ihrem Mann ebenfalls hier in München lebt, und ihr die Situation geschildert. Sie hat versucht, mich zu beruhigen und mir einzureden, es wäre durchaus möglich, dass Anselm irgendeinen Hundebesitzer von früher getroffen und sich verplaudert hätte, doch nach einigem Hin und Her ist sie zusammen mit ihrem Mann zu mir gekommen, um mir bei der Suche nach Anselm zu helfen. So gegen halb zwölf sind wir dann zu dritt losgezogen, um die Strecke, die Anselm normalerweise zurücklegt, abzulaufen. Allerdings ohne Erfolg. Zu diesem Zeitpunkt fing ich langsam, aber sicher an, panisch zu werden. Ich wollte zur Polizei, aber Wulf, mein Schwager, war der Überzeugung, dass das sinnlos wäre. Er sagte, die Beamten würden ohnehin nichts unternehmen, womit er ja, wie sich anderntags herausstellte, Recht behalten sollte.«

»Und dann?«, erkundigte sich Alex, der über Darjas Geschichte den Beginn seiner Schicht zusehends vergaß.

»Es war eine schreckliche Nacht«, erinnerte sich Darja schaudernd. »Obwohl Kira und Wulf bis zum Morgen bei mir geblieben sind. Sie haben gemeinsam mit mir gewartet, ob Anselm nicht doch noch auftauchen würde. Allerdings ist unsere Hoffnung mit jeder Viertelstunde, die verging, geschwunden. Gegen drei Uhr morgens habe ich es vor Angst um Anselm nicht mehr ausgehalten und wollte noch einmal nach ihm suchen. Ich war zu diesem Zeitpunkt bereits so verzweifelt, dass ich mich auch alleine auf den Weg gemacht hätte, aber Kira und Wulf sind getreulich an meiner Seite geblieben. Fast eine Stunde lang haben wir ein zweites Mal das ganze Viertel abgesucht. Und mit Stirnlampen sogar noch einen Teil des Englischen Gartens, nur um am Ende unverrichteter Dinge und in noch größerer Sorge wieder zurückzukehren. Als es schließlich Tag wurde, bestand ich darauf, zur Polizei zu gehen, obwohl Wulf nach wie vor nicht viel von dieser Idee hielt und mir davon abriet.« Unwillkürlich verdrehte Darja bei der neuerlichen Erwähnung ihres Besuchs auf dem Polizeirevier die Augen. »Wie tatkräftig die Polizei mir letztendlich weitergeholfen hat, habe ich Ihnen ja bereits erzählt, Herr Norden.«

»Alex, nicht Herr Norden«, verbesserte Alex.

Darja sah ihn verwirrt an. »Alex, nicht Herr Norden?«, wiederholte sie und schlug sich eine Sekunde später gegen die Stirn. »Alex. Selbstverständlich spreche ich Sie gerne mit Ihrem Vornamen an, wenn Ihnen das besser gefällt.« Sie brauchte einen Augenblick, um sich wieder zu sammeln. »Nach dem Besuch auf dem Polizeirevier mussten Wulf und Kira zur Arbeit fahren und konnten mich deshalb nicht mehr hierher in die Behnisch-Klinik begleiten. Sie haben mich aber gebeten, sie auf dem Laufenden zu halten.« Mit einem Seufzer richtete Darja ihre rehbraunen Augen auf Alex. »Ich weiß nicht mehr aus noch ein«, gestand sie. »Anselm kann sich schließlich nicht in Luft aufgelöst haben. Also … muss er wohl oder übel einem Verbrechen zum Opfer gefallen sein. Das ist, so wie die Dinge liegen, die einzig logische Erklärung. Wenn ich mir vorstelle, dass Anselm, während ich ihn zusammen mit Kira und Wulf gesucht habe, irgendwo mit einem Messer im Rücken oder mit eingeschlagenem Schädel gelegen ist und unter grässlichen Schmerzen langsam und elend verbluten musste … Dieser Gedanke macht mich fast wahnsinnig.« Darja wischte sich ein paar Tränen aus dem Augenwinkel. »Was glauben denn Sie, was mit meinem Mann passiert sein könnte, Alex?«

Alex schluckte trocken. Das Bild eines schwer verletzten und einsam und hilflos mit dem Tode ringenden Menschen wühlte ihn bis ins Innerste auf. »Ich … ich weiß es nicht«, stammelte er. »Vielleicht … klärt sich ja doch noch alles auf eine Art und Weise auf, die weit weniger dramatisch ist und die nur niemand von uns auf dem Schirm hatte.«

»Ja, vielleicht«, stimmte Darja zu, aber ihre Stimme klang eher skeptisch als überzeugt.

»Ich würde Ihnen so gerne helfen, Frau Faller, wenn ich nur wüsste, wie«, meinte Alex nach einer Weile. »Ich werde auf jeden Fall die Augen offenhalten. Und sollte ich irgendetwas in Erfahrung bringen, rufe ich Sie sofort an.«

»Danke, das wäre wunderbar«, erwiderte Darja. »Ich gebe Ihnen meine Telefonnummern, Alex. Handy und Festnetz.« Sie zog eine Visitenkarte aus ihrer Handtasche und reichte sie Alex. »Und … und bitte denken Sie nicht, dass mein Mann mich möglicherweise doch verlassen hat. Das ist die einzige Option, die mit hundertprozentiger Sicherheit ausgeschlossen werden kann. So etwas würde Anselm niemals tun. Er würde mich nie und nimmer betrügen oder sich gar einer anderen Frau wegen aus dem Staub machen. Anselm ist ein wunderbarer Mensch. Liebevoll, einfühlsam und treu wie Gold.«

»Das glaube ich Ihnen gerne«, sagte Alex, worauf Darja ihn mit einem Ausdruck tiefster Dankbarkeit anblickte.

»Dann gehe ich jetzt also nach Hause«, erklärte Darja schließlich. »Auf der Arbeit habe ich mich entschuldigt. Ich wäre, glaube ich, nicht fähig, einen klaren Gedanken zu fassen und würde ohnehin nur alles falsch machen.« Sie verhoffte einen Moment, dann fügte sie hinzu: »Und danke, dass Sie sich so lieb um mich gekümmert haben, Alex.«

»Bitte, gern geschehen«, erwiderte Alex ein wenig steif, weil er vor Verlegenheit und Betroffenheit allmählich überhaupt nicht mehr wusste, was er sagen sollte.

Beklommen blickte er Darja Faller nach, als sie mit hängenden Schultern auf den Ausgang der Behnisch-Klinik zusteuerte.

Im selben Moment sah Alex aus dem Augenwinkel Dr. Ganschow auf sich zukommen. Sofort machte sich ein flaues Gefühl in seiner Magengrube breit, weil ihm wieder glühend heiß einfiel, dass er noch immer nicht seinen Dienstplan abgeholt hatte. Wenn er nun in der Notaufnahme eingeteilt war und Dr. Ganschow bereits nach ihm suchte …

»Da sind Sie ja, Alex«, sagte Dr. Ganschow, noch ehe Alex seinen Gedanken zu Ende geführt hatte. »Sie sind offenbar schwerer zu finden als die berühmte Stecknadel im Heuhaufen. Sie müssen sofort mit mir kommen, auch wenn Sie heute eigentlich auf der Internen Abteilung eingesetzt sind. Ich brauche Sie dringend in der Notaufnahme. Ich habe dort nur Schwester Anna als Hilfe, und das ist angesichts des gut gefüllten Wartezimmers nicht genug. Mit Dr. Schön von der Internen Abteilung habe ich bereits vor einer knappen Stunde gesprochen. Er war zwar nicht entzückt, dass ich Sie ihm entführe, hat sich aber notgedrungen in sein Schicksal gefügt. Wenn Sie mich jetzt also bitte in die Notaufnahme begleiten …«

»Selbstverständlich«, sagte Alex dienstfertig und eilte hinter Dr. Ganschow her in Richtung Notaufnahme.

Aufatmen war angesagt.

Die Aufregung beim Anblick Dr. Ganschows hatte sich zu seiner Erleichterung als ein Sturm im Wasserglas erwiesen. Mit ein bisschen Glück war es sogar möglich, dass durch den Wechsel in die Notaufnahme seine grandiose Verspätung gar nicht weiter auffiel. Und außerdem war er in der Notaufnahme genau am richtigen Ort, um frühzeitig Bescheid zu wissen, sollte Anselm Faller doch noch eingeliefert werden. Wenn das keine glückliche Fügung war …

*

Als Dr. Ganschow und Alex die Notaufnahme erreichten, war das immer näher kommende Martinshorn eines Rettungswagens zu hören.

»Klingt nach Notfall, der natürlich Vorrang hat«, meinte Dr. Ganschow mit einem Blick in das Wartezimmer, das sich mittlerweile noch mehr gefüllt hatte. Unwillkürlich entfuhr ihm ein Seufzer. »Ich fürchte, das wird wieder einmal ein sehr langer Tag werden.«

›Das fürchte ich auch‹, dachte sich Alex im Stillen.