Zu neuen Ufern - Carolin Grahl - E-Book

Zu neuen Ufern E-Book

Carolin Grahl

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Beschreibung

Er kommt aus Gran Canaria und ist der Sohn von Dr. Daniel Nordens Cousin Michael und dessen spanischer Frau Sofia. Alexander kennt nur ein Ziel: Er will Arzt werden und in die riesigen Fußstapfen seines berühmten Onkels, des Chefarztes Dr. Daniel Norden, treten. Er will beweisen, welche Talente in ihm schlummern. Dr. Norden ist gern bereit, Alexanders Mentor zu sein, ihm zu helfen, ihn zu fördern. Alexander Norden ist ein charismatischer, unglaublich attraktiver junger Mann. Die Frauenherzen erobert er, manchmal auch unfreiwillig, im Sturm. Seine spannende Studentenzeit wird jede Leserin, jeden Leser begeistern! »Wie konnte ich nur die rote Ampel übersehen! Ich begreife es einfach nicht. Ich wollte die Straße überqueren, und plötzlich hat mich dieser VW erfasst und durch die Luft geschleudert. Ich bin normalerweise ziemlich reaktionsschnell, aber diesmal war ich …« »Schon gut, junge Frau«, wiegelte der Ältere der Sanitäter ab, als er zusammen mit seinem Kollegen die Trage, auf der die Patientin lag, aus dem Rettungswagen hob. »So genau müssen wir das gar nicht wissen. Wir bringen Sie jetzt lieber schnellstmöglich in die Notaufnahme. Dort wird man Sie untersuchen und sich um Ihre Verletzungen kümmern.« »Mir fehlt nichts. Das habe ich Ihnen schon mindestens hundertmal gesagt. Meine Verletzungen sind nicht schlimm. Nur ein paar Kratzer und ein paar Blutergüsse, also nicht der Rede wert. Der Fahrer des Autos hätte weiß Gott nicht gleich den Notarzt rufen müssen. Das hätte er sich sparen können. Aber wahrscheinlich ist er noch mehr erschrocken als ich und hat deshalb derart überreagiert.« »Der Autofahrer hat nicht überreagiert, sondern verantwortungsbewusst gehandelt«, widersprach der jüngere Sanitäter. »Oder hätte er Sie etwa bewusstlos auf der Straße liegen lassen und Fahrerflucht begehen sollen? Wäre Ihnen das lieber gewesen?«

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Seitenzahl: 138

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Der junge Norden – 62 –Zu neuen Ufern

Kann Mutterliebe toxisch sein?

Carolin Grahl

»Wie konnte ich nur die rote Ampel übersehen! Ich begreife es einfach nicht. Ich wollte die Straße überqueren, und plötzlich hat mich dieser VW erfasst und durch die Luft geschleudert. Ich bin normalerweise ziemlich reaktionsschnell, aber diesmal war ich …«

»Schon gut, junge Frau«, wiegelte der Ältere der Sanitäter ab, als er zusammen mit seinem Kollegen die Trage, auf der die Patientin lag, aus dem Rettungswagen hob. »So genau müssen wir das gar nicht wissen. Wir bringen Sie jetzt lieber schnellstmöglich in die Notaufnahme. Dort wird man Sie untersuchen und sich um Ihre Verletzungen kümmern.«

»Mir fehlt nichts. Das habe ich Ihnen schon mindestens hundertmal gesagt. Meine Verletzungen sind nicht schlimm. Nur ein paar Kratzer und ein paar Blutergüsse, also nicht der Rede wert. Der Fahrer des Autos hätte weiß Gott nicht gleich den Notarzt rufen müssen. Das hätte er sich sparen können. Aber wahrscheinlich ist er noch mehr erschrocken als ich und hat deshalb derart überreagiert.«

»Der Autofahrer hat nicht überreagiert, sondern verantwortungsbewusst gehandelt«, widersprach der jüngere Sanitäter. »Oder hätte er Sie etwa bewusstlos auf der Straße liegen lassen und Fahrerflucht begehen sollen? Wäre Ihnen das lieber gewesen?«

»Ich war nicht bewusstlos. Und wenn, dann höchstens zwei Sekunden oder allerhöchstens drei. Jedenfalls nicht lange genug, um den ganzen Aufwand mit Krankenwagen und Notarzt zu rechtfertigen.« Die Patientin verdrehte genervt die Augen. »In welche Notaufnahme bringen Sie mich hier überhaupt? Ich meine, zu welchem Krankenhaus gehört die Notaufnahme?«

»Die Notaufnahme gehört zur Behnisch-Klinik«, antwortete der ältere Sanitäter. »In der Behnisch-Klinik bekommen Sie eine ausgezeichnete ärztliche Versorgung.« Er schob die Patientin, die von Neuem anfing, den Unfallhergang zu schildern, in den Schockraum und manövrierte sie geschickt auf die Untersuchungsliege. Als er es geschafft hatte, stieß er erleichtert den Atem aus und wechselte mit seinem jüngeren Kollegen einen vielsagenden Blick, den dieser mit einem leisen Seufzer erwiderte.

»Die Patientin heißt Sandra Berger und ist zweiundzwanzig Jahre alt. Sie ist beim Überqueren der Haidhauser Straße in ein Auto gelaufen, wurde durch die Luft geschleudert und war kurzzeitig bewusstlos. Es besteht der Verdacht auf innere Verletzungen und ein Schädel-Hirn-Trauma«, wandte der ältere Sanitäter sich schließlich an Dr. Ganschow und zog sich dann zusammen mit seinem Kollegen zurück, nicht ohne noch einen weiteren bedeutungsvollen Blick mit ihm zu tauschen.

»Mir fehlt nichts. Mir fehlt wirklich nichts«, erklärte die junge Patientin ein weiteres Mal, noch ehe Dr. Ganschow überhaupt das Wort an sie hätte richten können. »Ich habe mir den rechten Ellbogen ein bisschen aufgeschürft und auch das rechte Knie. Das ist alles, glauben Sie mir. Hätte ich innere Verletzungen, müsste ich doch irgendwo Schmerzen spüren. Das ist aber nicht der Fall.«

»Wie dem auch sei - immerhin waren Sie bewusstlos«, entgegnete Dr. Ganschow. Er lächelte und nickte Sandra Berger zu. »Ich bin übrigens Dr. Ganschow, der behandelnde Notarzt. Und das ist Schwester Inga.« Er wies auf die Krankenschwester, die neben der Untersuchungsliege stand. »Und der junge Mann dort drüben, der gerade damit beschäftigt ist, das Verbandsmaterial aufzufüllen, ist unser Praktikant Alex, der mir hin und wieder in der Notaufnahme zur Hand geht.«

Sandra richtete sich ein wenig auf, um Alex besser sehen zu können. Als auch Alex sich nach ihr umsah, strahlte sie ihn mit ihren leuchtenden blauen Augen an. Sie wollte etwas sagen, doch Dr. Ganschow drückte sie sanft, aber bestimmt auf die Liege zurück, um sie zu untersuchen.

»Sie scheinen Glück im Unglück gehabt zu haben, Frau Berger«, sagte er, als die Untersuchung beendet war. »Soweit ich sehe, ist nichts gebrochen. Und es liegen wohl wirklich keine inneren Verletzungen vor.« Prüfend leuchtete er noch einmal in Sandras Pupillen. »Das Einzige, was mir Sorgen macht, ist Ihre Bewusstlosigkeit nach dem Unfall. Auch wenn sie nur kurz war. Eine Bewusstlosigkeit im Zusammenhang mit einer Gehirnerschütterung sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Ich schlage deshalb vor, dass wir sicherheitshalber eine Computertomografie machen.«

»Eine Computertomografie?«, fragte Sandra. »Was … was sieht man denn in so einer Computertomografie? Was für ein Ergebnis kann so eine Untersuchung schlimmstenfalls erbringen?«

»Man kann mithilfe einer Computertomografie den Schweregrad der Gehirnerschütterung erkennen«, erklärte Dr. Ganschow. »Und man kann sehen, ob durch den Aufprall auf den Asphalt möglicherweise in Ihrem Gehirn eine Schwellung oder eine Blutung entstanden ist.«

Sandra runzelte die Stirn. »Das … das hört sich irgendwie gefährlich an«, meinte sie. »Wenn das Ergebnis der Untersuchung positiv ist … müsste ich dann im Krankenhaus bleiben?«

»Das müssen Sie leider ohnehin«, erwiderte Dr. Ganschow. »Zur Beobachtung. Aber nur für ein paar Tage.«

»Ein paar Tage? Ach nein! So ein Mist!« Sandra verdrehte ärgerlich die Augen. »Wie konnte dieser verdammte Autofahrer nur den Notarzt rufen! Wenn er es nicht getan hätte, wäre ich einfach nach Hause gegangen, und alles wäre gut.«

»Jetzt sind Sie aber hier. Und glauben Sie mir, es ist besser so«, stellte Dr. Ganschow klar. »Alex wird Sie nach oben bringen zur Computertomografie. Wenn das Untersuchungsergebnis vorliegt, wird unser Neurologe, Dr. Groß, es mit Ihnen besprechen. Und dann zeigt Alex Ihnen Ihr Krankenzimmer.«

Alex, der neben die Untersuchungsliege getreten war, lächelte Sandra aufmunternd zu. Seine Anwesenheit schien Sandra zu beruhigen und ihre Laune zu verbessern, denn die Anspannung in ihrem Gesichtsausdruck löste sich und sie lächelte spontan zurück.

Willig ließ sie sich von Alex in einen Rollstuhl helfen und aus dem Schockraum schieben.

»Du bist Praktikant hier, hat dieser Dr. Ganschow gesagt. Wofür machst du das Praktikum eigentlich?«, fragte sie, als Alex sie wenig später in ihrem Rollstuhl in den Lift manövrierte. »Einfach so zum Spaß? Oder möchtest du später als Pfleger arbeiten?«

»Das Praktikum ist Pflicht im Rahmen meines Studiums«, erwiderte Alex. »Ich studiere Medizin im zweiten Semester.«

»Du studierst Medizin? Wow!«, platzte Sandra voller Bewunderung heraus. »Du bist wohl ein Superschlauer. Mit lauter Einsen im Abiturzeugnis und einem Intelligenzquotienten von 180 oder so.«

Alex musste lachen. »Ich habe tatsächlich ein Einser-Abitur«, antwortete er. »Aber das schafft man nicht allein mit Intelligenz und Fleiß. Dazu gehört auch ein Quäntchen Glück. Schließlich weiß niemand alles. Und wenn man Pech hat und genau nach den Dingen gefragt wird, die man nicht weiß … Was im Übrigen meinen Intelligenzquotienten anbelangt – den kenne ich schlicht und einfach nicht.«

»Ich glaube, du bist nicht nur superschlau, sondern auch supernett, was im Grunde viel wichtiger ist«, sagte Sandra. »Dass du hier in der Behnisch-Klinik bist, ist wenigstens ein kleiner Lichtblick für meinen unfreiwilligen Krankenhausaufenthalt.« Sie verhoffte einen Moment, dann fügte sie hinzu: »Kommst du mit zu meiner Computertomografie? Ich meine, bleibst du bei mir während der Untersuchung?«

»Das darf ich nicht«, antwortete Alex. »Aber ich warte vor dem Untersuchungsraum auf Dich, versprochen.«

»Danke, das ist echt lieb von dir. Außerdem musst du mir hinterher ja auch mein Krankenzimmer zeigen.«

»Eben.« Alex schob den Rollstuhl den Flur entlang in die Richtung, in die der Pfeil mit der Aufschrift »Computertomografie« wies. »Ach ja, noch etwas«, fiel ihm plötzlich ein. »Gibt es irgendwelche Angehörigen oder Mitbewohner oder Nachbarn, die ich von deinem Klinikaufenthalt in Kenntnis setzen soll? Damit dir jemand die nötigsten Sachen bringt?«

Sandra schluckte und schwieg.

»Bestimmt gibt es etwas, das du während deiner Tage im Krankenhaus brauchst oder gerne bei dir haben möchtest und deshalb …«, begann Alex, doch Sandra fiel ihm sofort ins Wort.

»Ich wüsste nicht, was das sein sollte«, beschied sie in abweisendem Tonfall. »Ein Nachthemd bekomme ich vom Krankenhaus. Und notfalls kann ich mich auch in Slip und T-Shirt ins Bett legen. Und Seife, Zahnpasta, Einwegzahnbürste und all das Zeug steht bestimmt ohnehin im Bad meines Krankenzimmers.«

»Ja, schon. Aber vielleicht würdest du gern ein Buch lesen. Oder auf deinem MP3-Player deine Lieblings-Playlists hören. Oder … Keine Ahnung, irgendetwas, das dir die Zeit verkürzt und dir deinen Aufenthalt in der Behnisch-Klinik angenehmer macht.«

Sandra zuckte die Schultern. Sie dachte an ihren geliebten Fotoapparat, aber den würde ihr ihre Mutter ohnehin niemals bringen. Was aber wahrscheinlich auch nicht weiter schlimm war. Was gab es schließlich in einem Krankenhaus schon Lohnendes zu fotografieren?

»Bücher kann ich mir am Krankenhauskiosk kaufen. Da gibt es bestimmt alles, was das Herz begehrt. Jede Menge Krimis. Jede Menge Liebesromane. Und was die Musik betrifft, muss ich nicht immer meine alten Playlists rauf und runter hören. Dann ziehe ich mir eben zur Abwechslung mal andere Musik rein. Garantiert hat auch die Behnisch-Klinik diese Tablets mit Internetanschluss und Kopfhörern an den Betten. Im Klinikum „Rechts der Isar“ haben sie solche Dinger jedenfalls. Das habe ich damals gesehen, als ich Carlo besucht habe. Also ich meine …«

»Okay«, seufzte Alex. »Natürlich hat die Behnisch-Klinik diese Tablets. Aber trotzdem … gibt es denn niemanden, der sich Sorgen macht, wenn du ein paar Tage und Nächte nicht nach Hause kommst?«

Sandra griff nach einer ihrer langen blonden Locken und wickelte sie sich nervös um den Zeigefinger. »Meine Mutter, klar«, stieß sie schließlich so völlig emotionslos hervor, dass Alex unwillkürlich zurückprallte. »Also ich … ich wohne noch bei meiner Mutter. Klingt jetzt irgendwie albern, ist aber so. Und … deshalb ist es meine Mutter, die mich wohl als Erste vermissen wird.« Sandras hübsches, fein gezeichnetes Gesicht verfärbte sich beinahe von einer Sekunde auf die andere puterrot.

»Ich kann deine Mutter gerne verständigen«, bot Alex an. »Während du in der Computertomografie bist zum Beispiel. Du brauchst mir nur ihre Handynummer zu geben. Aber wenn du sie lieber später selber anrufen möchtest, ist das natürlich auch in Ordnung.«

Sandra spielte weiter mit ihrer Haarsträhne und überlegte. »Wenn … wenn du den Anruf bei meiner Mutter für mich übernehmen würdest, wäre das wirklich sehr lieb und zuvorkommend von dir. Aber mach dich darauf gefasst, dass sie komplett ausflippt. Wahrscheinlich dreht sie frei, wenn sie erfährt, dass ich …«

»Kein Problem«, wiegelte Alex ab. »Meine Mutter würde auch erschrecken, wenn sie plötzlich einen Anruf bekäme, dass ich im Krankenhaus bin. Also ich meine natürlich als Patient.«

Sandra musste lachen, ob sie wollte oder nicht. »Deine Mutter würde sich dann wahrscheinlich sofort in ihr Auto setzen und zu dir fahren, oder?«, fragte sie.

Alex schüttelte den Kopf. »Wohl kaum«, erwiderte er. »Die Anfahrt wäre dann doch ein bisschen weit. Wenn schon, müsste sie fliegen.«

»Wieso? Leben deine Eltern nicht hier in München?«

Wieder kam von Alex ein Kopfschütteln. »Meine Eltern leben in Las Palmas auf Gran Canaria.«

»Echt jetzt? Sind sie ausgewandert? Weil es ihnen hier in München zu kalt und zu regnerisch ist?«

»Nein«, erwiderte Alex. »Meine Mutter ist Spanierin. Mein Vater hat sie auf einer Urlaubsreise kennengelernt und ist dann aus Liebe zu ihr für immer nach Spanien gezogen.«

»Wirklich?« In Sandras blaue Augen trat ein verträumtes Leuchten. »Wie romantisch ist das denn? Ich … ich bin total high. Und du? Hast du eine Freundin? Oder lebst du allein hier in München?« Als Alex nicht gleich antwortete, senkte Sandra schuldbewusst den Kopf. »Ich bin schrecklich neugierig, nicht wahr?«, sagte sie.

»Ein bisschen vielleicht«, schmunzelte Alex. »Aber das ist nicht weiter schlimm, weil ich ohnehin keine Geheimnisse hüte. Da ist nichts, was zu verbergen wäre: Ja, ich habe eine Freundin. Und was meine Wohnsituation angeht, habe ich, als ich nach dem Abitur zum Studium nach München gekommen bin, zuerst bei meinem Onkel und bei meiner Tante gewohnt, bin dann aber schon bald zusammen mit meiner Freundin in eine Wohngemeinschaft in der Glockenbachstraße gezogen.«

»Du lebst jetzt also mit deiner Freundin und noch ein paar anderen Studenten in einer Wohngemeinschaft. Das finde ich cool. Das finde ich cool«, stellte Sandra anerkennend fest. »Wenn ich da an mein Leben denke …« Sie winkte mit einem Seufzer ab. »Wahrscheinlich lachst du dich insgeheim schief über eine so langweilige und spießige Person wie mich.«

»Nein. Wieso sollte ich?«, gab Alex zurück. »Solange du keinen festen Freund hast, ist es doch voll okay, bei deiner Mutter zu leben. Sicher verstehst du dich gut mit ihr.«

Sandra biss sich auf die Unterlippe, weil sie beim besten Willen nicht wusste, was sie dazu sagen sollte.

»Da wären wir«, verkündete Alex zu ihrer Erleichterung fast im selben Moment und wies auf eine Tür mit der Aufschrift Computertomografie. »Wenn also ich den Anruf bei deiner Mutter übernehmen soll, müsstest du mir jetzt …«

»Klar. Die Handynummer«, unterbrach Sandra ihn. »Hast du etwas zum Schreiben?«

Alex zog einen Zettel und einen Kugelschreiber aus der Tasche seines Kittels, und Sandra diktierte ihm die Nummer ihrer Mutter. »Viel Glück«, sagte sie, als Alex den Zettel entgegennahm.

»Ich habe immer Glück«, grinste Alex. »Besonders bei Frauen.«

Sandra grinste zurück, während Alex die Tür des Untersuchungsraums öffnete, wo Sandra von Dr. Groß bereits erwartet wurde.

*

Erna Berger betrat Sandras Krankenzimmer, warf einen missbilligenden Blick auf ihre Tochter und schüttelte dann verständnislos den Kopf. Sie ließ die riesige, prall gefüllte Reisetasche, die sie mitgebracht hatte, zu Boden gleiten, näherte sich Sandras Bett und schlug ihre Hände über ihrem Kopf zusammen. »Wie kann man so dumm sein und schnurstracks in ein Auto laufen? Einfach so?«, fragte sie und schüttelte den Kopf noch heftiger. »So etwas kann wirklich nur dir passieren, Sandra. Als mir dieser … dieser Axel Norden am Telefon die ganze Geschichte erzählt hat … Ich dachte, mich tritt ein Pferd.«

»Alex«, sagte Sandra.

»Wie bitte?«

»Der junge Mann, der dich angerufen hat: Er heißt Alex, nicht Axel.«

»Was geht mich an, wie dieser Typ heißt«, gab Erna Berger ärgerlich zurück. »Fremde Menschen interessieren mich nicht. Ich habe schon genug mit dir und deiner Schussligkeit und Dummheit zu schaffen. Wie kann man nur eine rote Ampel übersehen? Wo in aller Welt hattest du deine Augen? Ein kleines Kind, ein zwölfköpfiger Wurf Hundewelpen und ein Sack Flöhe gleichzeitig sind leichter zu hüten als du. Wenn man dich nur ein einziges Mal allein aus dem Haus lässt, landest du im Krankenhaus. Ich fasse es nicht! Ich fasse es einfach nicht!« Erna presste ihre Handflächen gegen ihre Schläfen und ließ sich mit einem langgezogenen Stoßseufzer in einen der Besuchersessel sinken.

»Es tut mir leid, Mama, dass der Unfall passiert ist. Wirklich. Es tut mir leid, dass ich dir schon wieder Sorgen mache, weil ich nicht aufgepasst habe. Aber bitte sei doch nicht so böse mit mir. Ich habe einen Fehler gemacht, das weiß ich. Aber jeder kann doch einmal einen Fehler machen. Ich …«

»Jeder?« Erna Berger lachte laut und scheppernd auf. »Ja, vielleicht hast du Recht«, sagte sie dann. »Alle Menschen machen Fehler. Hin und wieder. Aber du … du machst nicht hin und wieder einen Fehler, sondern dir passieren andauernd irgendwelche Fehler. Du produzierst Fehler am laufenden Band.«

»Bitte hör auf, so zu schreien, Mama. Jedes laute Wort tut mir weh. Auch körperlich. Ich habe Kopfschmerzen, ich …«

»Du? Du hast Kopfschmerzen?«, wiederholte Erna. »Und was soll dann erst ich sagen? Ich habe noch viel schlimmere Kopfschmerzen als du. Und Herzrasen habe ich obendrein. Und Magenschmerzen. Und warum das alles? Weil ich mich deinetwegen dauernd aufregen muss. Du wirst mich noch vorzeitig ins Grab bringen, du …«

Erna verstummte abrupt, als die Tür von Sandras Krankenzimmer aufging und Alex den Raum betrat. »Frau Berger, nehme ich an«, sagte er freundlich, trat auf Erna zu und streckte ihr zur Begrüßung seine Hand hin. »Ich bin Alex. Alex Norden. Wir haben vor einer guten Stunde miteinander telefoniert.«

Mechanisch ergriff Erna Berger die dargebotene Rechte und schaute zu Alex auf.

Der Blick aus seinen blauen Augen traf sie wie ein Blitz.

Für einen Moment glaubte sie sich ein Vierteljahrhundert zurückversetzt in ihre eigene Jugendzeit. Das waren Heikos Augen, die sie da anschauten. Dasselbe intensive Blau. Derselbe durchdringende Blick, der einem in die tiefsten Tiefen der Seele zu schauen schien. Unwillkürlich schnappte Erna nach Luft. Erst als ihr Alex‘ schwarze Haare auffielen, beruhigte sich ihr Herzschlag wieder ein wenig. Heikos Haare waren blond gewesen. Genauso weizenblond wie Sandras Locken.

Sandra hatte so ziemlich alles von Heiko geerbt – Augen, Haare, Statur. Und leider auch seinen Charakter.

»Danke, dass Sie noch heute Abend kommen konnten, Frau Berger«, redete Alex weiter und riss Erna damit aus ihren Gedanken.

»Ich bin ein zuverlässiger und verantwortungsvoller Mensch. Deshalb bin ich auf Ihren Anruf hin sofort von der Arbeit nach Hause gefahren, habe Sandras wichtigste Sachen in mein Auto gepackt und bin durchgestartet in Richtung Behnisch-Klinik«, erklärte sie. »Sofern in dem dichten Berufsverkehr von ›durchstarten‹ überhaupt die Rede sein kann. De facto bin ich mehr als zehn Minuten im Stau festgesteckt und hatte das Gefühl, auf glühenden Kohlen zu sitzen.«

»Das kann ich mir gut vorstellen«, sagte Alex. »Aber die Hektik wäre nicht nötig gewesen. Bei Ihrer Tochter wurde eine Computertomografie gemacht und anschließend noch eine MRT, weil Dr. Groß auf Nummer sicher gehen wollte. Sandra ist somit erst seit einer Viertelstunde in ihrem Zimmer. Und wahrscheinlich ist sie sogar froh, dass sie sich vor Ihrem Besuch noch ein wenig ausruhen konnte.«

Sandra nickte und lächelte Alex dankbar an.