Abschied vom Abstieg - Herfried Münkler - E-Book

Abschied vom Abstieg E-Book

Herfried Münkler

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Beschreibung

Ein Gespenst geht um in Deutschland, das Gespenst des Abstiegs. Immer mehr Untergangs­szenarien sind im Umlauf oder werden sogar bewusst geschürt. Wenn es um die Zukunft geht, gilt es als ausgemacht, dass es unseren Kindern einmal schlechter gehen wird als uns. Doch diese Aussage ist ebenso grundlos wie gefährlich. Herfried und Marina Münkler zeigen eindrucksvoll, warum solche diffusen Ängste den Zusammenhalt einer Gesellschaft gefährden und allen Populisten, aus welcher Richtung sie auch kommen, Angriffspunkte bieten. Mehr noch: Das Abstiegsgerede hindert die Politik daran, über die wirklichen Schwachstellen der Gesellschaft zu sprechen und sie anzugehen. Bildung, Demokratie, europäische Integration: Das sind die Felder, auf denen jahrzehntelang nichts geschah und auf denen jetzt die Probleme heranwachsen, die auf mittlere Sicht unseren Wohlstand und, schlimmer, die Architektur unserer Gesellschaft gefährden können. «Dieses Buch leistet, was eigentlich Aufgabe der Bundesregierung gewesen wäre», schrieb der «Spiegel» über das Vorgängerbuch «Die neuen Deutschen» – und das gilt genauso für dieses: Es bekämpft falsche, gefährliche Ängste und zeigt, was Deutschland jetzt braucht und wie wir die Zukunft zurückgewinnen können. x

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Herfried Münkler • Marina Münkler

Abschied vom Abstieg

Eine Agenda für Deutschland

Über dieses Buch

Ein Gespenst geht um in Deutschland, das Gespenst des Abstiegs. Immer mehr Untergangsszenarien sind im Umlauf oder werden sogar bewusst geschürt. Wenn es um die Zukunft geht, gilt es als ausgemacht, dass es unseren Kindern einmal schlechter gehen wird als uns. Doch diese Aussage ist ebenso grundlos wie gefährlich. Herfried und Marina Münkler zeigen eindrucksvoll, warum solche diffusen Ängste den Zusammenhalt einer Gesellschaft gefährden und allen Populisten, aus welcher Richtung sie auch kommen, Angriffspunkte bieten. Mehr noch: Das Abstiegsgerede hindert die Politik daran, über die wirklichen Schwachstellen der Gesellschaft zu sprechen und sie anzugehen. Bildung, Demokratie, europäische Integration: Das sind die Felder, auf denen jahrzehntelang nichts geschah und auf denen jetzt die Probleme heranwachsen, die auf mittlere Sicht unseren Wohlstand und, schlimmer, die Architektur unserer Gesellschaft gefährden können.

«Dieses Buch leistet, was eigentlich Aufgabe der Bundesregierung gewesen wäre», schrieb der «Spiegel» über das Vorgängerbuch «Die neuen Deutschen» – und das gilt genauso für dieses: Es bekämpft falsche, gefährliche Ängste und zeigt, was Deutschland jetzt braucht und wie wir die Zukunft zurückgewinnen können.

Vita

Herfried Münkler, geboren 1951, lehrte bis zu seiner Emeritierung 2018 an der Berliner Humboldt-Universität. Zuletzt erschienen von ihm «Die Deutschen und ihre Mythen» (2009), «Der Große Krieg» (2013) und «Der Dreißigjährige Krieg» (2017), die jeweils monatelang auf der «Spiegel»-Bestsellerliste standen.

Marina Münkler, geboren 1960, ist Professorin für Literaturwissenschaft an der Technischen Universität Dresden. Sie veröffentlichte u. a. «Marco Polo» (1998), «Erfahrung des Fremden» (2000) und «Narrative Ambiguität. Die Faustbücher des 16.–18. Jahrhunderts» (2011).

Gemeinsam veröffentlichten Herfried und Marina Münkler das «Lexikon der Renaissance» (2000) und «Die neuen Deutschen» (2016).

Inhaltsübersicht

Einleitung: Zeitenwende oder Zwischenspiel?1. Der Verlust der Zukunft: eine BestandsaufnahmeWie der Glaube an den Fortschritt der Angst vor dem Abstieg wichDie schwindende Bindekraft von VolksparteienDiffuse Zukunftsskepsis und ihre FolgenDas Ende einer Epoche kollektiver Aufstiege und die Entstehung des PopulismusWas die deutsche Gesellschaft spaltetLinks-rechts: alte Schemata und neue KonstellationenEntzivilisierung oder Revitalisierung? Ein Blick durch die Brillen von Norbert Elias und Peter SloterdijkDie Theorie vom neoliberalen Sündenfall und die Hoffnung auf eine neue Koalition der LinkenDrei grundsätzliche EinwändePolitisch-kulturelle Erklärungen des PopulismusAngst und FurchtFakten und Narrative, Experten und IdeologenWie die Angst instrumentalisiert wirdDie heikle Frage der kollektiven Identität2. Abstiegsängste, Niedergangsprognosen und ihre ProfiteureGroße Erzählungen vom nahen EndeAufstieg und Niedergang in geschichtlichen ZyklenApokalyptische SzenarienVerwissenschaftlichte Niedergangsbeschreibungen: Rom als AnalysefolieMichel Houellebecqs Vision des vollendeten NiedergangsPseudonaturwissenschaftliche Niedergangs- beschreibungen: das Entropiegesetz, der lange Frieden und der Sog der MetropoleAbstiegsgesellschaft, ambivalente Moderne oder «große Transformation»?3. Die Bildungsrepublik: ein unvollendetes ProjektDie große KlageBildung als zweckfreies kulturelles WissenDer missverstandene Wilhelm von HumboldtDer Parvenü, die Karikatur des BildungsbürgersBildung als nutzenorientiertes und ökonomisch verwertbares WissenWelche Rolle spielen die vergleichenden Bildungsstudien?Der Kampf um die BildungChancengleichheit und BildungsgerechtigkeitDie Auseinandersetzung um die SchuleBildungsentscheidungenProbleme, Reformversuche und halbherzige BemühungenDas Bildungssystem der DDR: Schreckbild oder mögliches Vorbild?Neue pädagogische InstrumenteBildung für alle: Grundlinien einer Agenda4. Die Erneuerung der liberalen DemokratieDrei KrisensymptomeDie medialen Voraussetzungen bürgerschaftlicher PartizipationVolk, Parteien und Bürger: Woher kommt politische Urteilskraft?Vorschläge zur Stärkung der liberalen DemokratieDie zyklische Erneuerung des Parteiensystems und die Parteien als Vermittler politischer KompetenzWas kann die direkte Demokratie leisten?Die republikanische Idee des tugendhaften BürgersVorschläge zur demokratischen ErneuerungVier Dimensionen gesellschaftlicher SpaltungGemeinwohlpflege und InnovationsfähigkeitVorschläge zur Sicherung des gesellschaftlichen Zusammenhalts5. Deutschland, Europa und die neue WeltordnungZentrifugalkräfte im Innern, wachsende Herausforderungen von außenEuropäische KrisenszenarienDer Weg in die Überdehnung: Süd- und Osterweiterung der EUWeltordnung ohne «Hüter» und Zerfall des WestensSchluss: Was aus alldem folgtLiteraturDank

Einleitung: Zeitenwende oder Zwischenspiel?

Weithin ratlos reagiert das Gros der Beobachter darauf, dass sich inzwischen auch in Ländern mit beachtlichem Wohlstand eine Unzufriedenheit ausgebreitet hat, die jederzeit in Zorn und Wut umschlagen kann. Bis vor kurzem noch herrschte die Auffassung vor, die Ordnung der Demokratie sei dann sicher, wenn es einem Land wirtschaftlich gut gehe. Umgekehrt galten langwährende ökonomische Krisen als Gefährdung der demokratischen Ordnung. Das Paradebeispiel dafür ist die Zeit zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg, als die gerade erst gegründeten Demokratien Mitteleuropas sich der Reihe nach in autoritäre oder diktatorische Ordnungen verwandelten. Wenn nach historischen Analogien zur aktuellen Krise gesucht wird, fällt der Blick deshalb regelmäßig auf die 1920er und 1930er Jahre. Zumal in Deutschland wird das Ende der Weimarer Republik als Menetekel für die jüngsten Entwicklungen beschworen. Nach einer kurzen Prosperitätsphase geriet das Land in eine schwere Wirtschaftskrise, mit deren Dauer das Vertrauen in die Demokratie dahinschmolz. Im Unterschied dazu hat die Bundesrepublik die letzte Finanz- und Wirtschaftskrise glimpflich überstanden und danach ein Jahrzehnt ungebrochenen wirtschaftlichen Wachstums durchlaufen. Das ist der grundlegende Unterschied zur Endphase der Weimarer Republik. Dennoch wird der Vergleich mit den 1920er und 1930er Jahren, in denen die Demokratie allenthalben in die Defensive geriet und in Süd- und Mitteleuropa durch den Aufstieg von Diktatoren zerstört wurde, immer wieder herangezogen.[1] Sobald die Vorstellung aufkommt, die aktuelle Krise stehe für einen «Wendepunkt der Geschichte», hat das krisenverschärfende Folgen, denn diese Deutung dramatisiert die Krise und damit die weitere Entwicklung.

Unstreitig sind in den letzten Jahren in Europa und andernorts Politiker an die Macht gekommen, die den demokratischen Rechtsstaat und die Anhänger einer liberal-pluralistischen Gesellschaft verachten. Sie sind jedoch keineswegs gewählt worden, weil sie ihre Aversion gegen die Grundsätze der demokratischen Ordnung geheim gehalten hätten; vielmehr haben sie damit offen für sich geworben. Sie haben auf demokratischem Weg Mehrheiten gewonnen, auf die gestützt sie die Demokratie einschränken, wenn nicht abschaffen wollen. Das zeigt, dass eine große Anzahl von Menschen kein Vertrauen mehr in die Funktionsmechanismen der Demokratie hat – jedenfalls dann, wenn Demokratie nicht nur für die Herrschaft nach dem Willen der Mehrheit steht, sondern auch für die Bindung der Mehrheit an das Recht und die Möglichkeit individueller Präferenzentscheidungen gegen die Auffassung der Mehrheit. Auf diesen drei Grundsätzen – demokratische Machtkontrolle, Rechtsstaatlichkeit und gesellschaftliche Liberalität – beruht, was wir als «westliche Demokratie» bezeichnen. Genau das aber bestreiten die Anhänger von Erdoğan, Kaczyński und Orbán, Trump, Putin, Duterte und Bolsonaro. Für sie heißt Demokratie, dass die Mehrheit ohne Rücksicht auf Minderheiten entscheidet, was sie will, und dass diese Mehrheit mit populistischen Parolen und Maßnahmen gelenkt wird.

Die Faktoren, die zum Aufstieg der autoritär-autokratischen Politiker geführt haben, sind unterschiedlich, mischen sich teilweise aber auch: In Polen etwa verband sich gekränkter Nationalstolz mit den in ländlichen Räumen vorherrschenden Werten; in anderen Fällen trat die Vorstellung in den Vordergrund, Zuwanderung gefährde die nationale Identität; in den USA, aber auch in Teilen Frankreichs spielt die Erfahrung wirtschaftlichen Abgehängtwerdens eine zentrale Rolle; in Brasilien oder auf den Philippinen kommt physischer Angst infolge dramatischer Drogenkriminalität eine ausschlaggebende Bedeutung zu. Überall geht der Aufstieg autoritär-autokratischer Politiker mit Korruptionsvorwürfen gegen die politische Elite einher – in einigen Fällen treffen die Vorwürfe zu, in anderen sind sie nur ein Bestandteil von Denunziationskampagnen. Der Gestus des Auskehrens und Saubermachens trifft dabei nicht nur den politischen Gegner, sondern auch die demokratische Ordnung selbst: Sie sei, so der Subtext, nicht in der Lage, der sich ausbreitenden Korruption erfolgreich Widerstand zu leisten. Deshalb müssten «starke Männer» kommen, um das Land zu säubern[2] – von moralischer Verkommenheit, politischen Intrigen und gegen den «Willen des Volkes» gerichteten Einflusskoalitionen.

Die Delegitimation der politischen Parteien und der parlamentarischen Ordnung ist das eine; das andere ist ein in der Gesellschaft weit verbreitetes Gefühl der Einflusslosigkeit, der Wehrlosigkeit gegenüber Entwicklungen, die als bedrohlich wahrgenommen werden, und des Ausgeliefertseins an Mächte, denen man hilflos gegenübersteht. Als Sammelbegriff für diese Empfindungen hat sich die Formel vom Kontrollverlust durchgesetzt. Das Gefühl der Wehrlosigkeit und des Ausgeliefertseins ist inzwischen zur durchgehenden Grundierung der ansonsten wechselnden Stimmungslagen in der Politik geworden. Es findet seinen Niederschlag in der Ausbreitung obsessiver Verschwörungstheorien,[3] die auf der politischen Linken wie der Rechten anzutreffen sind, und in einer diffusen Identifikation mit «starken Männern», die bei den an ihrer Hilflosigkeit Leidenden ein Gefühl wiedergewonnener Stärke hervorbringt.

Das unvermittelte Nebeneinander von gefühlter Hilfslosigkeit und imaginierter Allmacht ist weniger ein politisches als ein religiöses Phänomen, jedenfalls dann, wenn man als «politisch» eine Beziehung begreift, die unter dem Vorbehalt ihrer Revidierbarkeit eingegangen wird, während religiöse Bindungen unbedingt und uneingeschränkt sind. Der europäische Weg zur demokratischen Ordnung war dementsprechend mit der politischen Neutralisierung des Religiösen durch Zurückdrängung in die Sphäre des Privaten verbunden. Aber das war keine einsinnige Entwicklung, denn der gesellschaftliche Zusammenhalt, auf den Demokratien angewiesen sind, wird nicht zuletzt von im weiteren Sinn religiösen Antrieben getragen. Beides muss aber sorgsam auseinandergehalten werden.

Die Säkularisierung des Politischen in Europa ging immer wieder mit Gegenbewegungen einher, die, wie etwa der Nationalismus oder der Glauben an einen unfehlbaren Führer, religiöse Elemente in die politischen Beziehungen mischten und dabei das Politische ins Herrschaftliche oder Totalitäre zurückverwandelten.[4] Die Erinnerung an die daraus erwachsenen Katastrophen genügen aber offenbar nicht mehr, um die Sehnsucht nach der Sakralisierung des Politischen zu blockieren. In der Sehnsucht nach «starken Männern» zeichnet sich nicht nur eine Rückkehr religiöser Sehnsüchte in eine «entzauberte Welt» (Max Weber) ab, die das Projekt der liberalen Demokratie gefährden, sondern auch das Paradox, dass das, was besonders entschieden abgelehnt wird, nämlich der Islamismus, sich genau durch eine solche Vermischung von Politik und Religion auszeichnet.[5] Nun betrifft der Verweis auf den Islam sicherlich nicht das Selbstverständnis der westlichen Demokratie, die sich als Sachwalter einer irreversiblen Entwicklung angesehen hat und nach wie vor ansieht. Aber die entscheidende Frage lautet, ob es sich bei der Rückkehr religiöser Elemente in die Politik um eine zeitweilige Regression, ein politisches Zwischenspiel oder eine Zeitenwende handelt, wobei der Islamismus dann ein Vorreiter dessen wäre, was uns in Europa noch bevorsteht.

Dabei genügt es freilich nicht, nur die jüngere Vergangenheit, etwa die 1920er und 1930er Jahre, oder die Demokratisierungsschübe nach dem Ersten Weltkrieg und dem Zusammenbruch des Sowjetsystems zu betrachten.[6] Es müssen vielmehr größere Zeiträume ins Auge gefasst werden, in denen bürgerpartizipative Ordnungen für Jahrhunderte verschwunden sind. Dafür steht das Ende der athenischen Demokratie im 4. vorchristlichen Jahrhundert, die Agonie der römischen Republik nach jahrzehntelangen Bürgerkriegen drei Jahrhunderte später und auch der Untergang republikanisch-stadtstaatlicher Ordnungen im 15. und 16. Jahrhundert. In allen drei Fällen handelt es sich nicht um eine zeitweilige Unterbrechung in der Geschichte bürgerpartizipativer Ordnungen, sondern um das definitive Ende eines spezifischen Typs von Bürgerpartizipation. Als Jahrhunderte später wieder Ordnungen errichtet wurden, die auf der politischen Teilhabe von Bürgern beruhten, war dies ein Neuanfang und keine Wiederaufnahme dessen, was es zuvor schon einmal gegeben hatte. Das ist mit Wendepunkt oder Zeitenwende gemeint: eine für lange Zeit irreversible Veränderung.

Wie kommt es zu solchen Abbrüchen in der Geschichte bürgerpartizipativer Ordnungen? Der Verweis auf eine tiefe, unüberbrückbare Spaltung der Gesellschaft ist die eine Erklärung dafür: Demnach sind die sozialen und politischen Gegensätze so groß geworden, dass sie in bürgerpartizipativer Form nicht mehr zu befrieden sind und der Ruf nach einem mit uneingeschränkter Macht ausgestatteten Herrscher entsteht. Ein weiterer Grund kann sein, dass die bürgerpartizipative Ordnung von äußeren oder inneren Feinden gewaltsam zerschlagen wird. Eine dritte Erklärung spricht vom freiwilligen Rückzug der Bürger aus der Politik, sei es, weil ihnen der damit verbundene Aufwand zu lästig geworden ist, sei es, weil sie das sichere Leben im Privaten den Risiken eines politischen Lebens vorziehen.

Diese drei Erklärungen schließen sich gegenseitig nicht aus. So ist politisches Engagement in einer gespaltenen Gesellschaft sehr viel riskanter als in einer sozial und politisch geeinten. Und Feinde der bürgerpartizipativen Ordnung haben in gespaltenen Gesellschaften bessere Chancen, an die Macht zu kommen, als in gefestigten. Ob daraus nun eine Unterbrechung oder ein Abbruch politischer Teilhabe wird, hängt wesentlich davon ab, ob eine starke Gruppe der Bürger am Partizipationsprojekt festhält und es zu erneuern versucht oder ob die Bürgerschaft resigniert und eigene Macht- und Geltungsansprüche aufgibt. Étienne de La Boétie, ein französischer Jurist und Essayist des 16. Jahrhunderts, hat mit Blick auf Letzteres von der servitude volontaire gesprochen, der freiwilligen Knechtschaft, in die sich Bürger begeben, um der Last politischer Teilhabe ledig zu sein.[7] La Boétie glaubte, eine solche Entwicklung in seiner Gegenwart, die er mit dem Ende der römischen Republik verglich, beobachten zu können. Er gelangte zu dem Ergebnis, die Ära bürgerschaftlicher Politikpartizipation sei definitiv zu Ende gegangen.

Anders als La Boétie war Karl Marx bei seiner Auseinandersetzung mit dem Scheitern der 1848er-Revolution in Frankreich und dem Staatsstreich von Napoleons Neffen im 18. Brumaire des Louis Bonaparte der Auffassung, das Ende der Epoche der Bourgeoisie und den Aufstieg des Proletariats vor Augen zu haben, wenngleich Letzteres durch die Unterwerfung der Bourgeoisie unter die Herrschaft Bonapartes aufgehalten wurde. In einem anderen Sinne als La Boétie ging aber auch er von einer freiwilligen Unterwerfung aus, nämlich vom Eingeständnis der Bourgeoisie, «dass ihr eigenes Interesse gebiete, sie der Gefahr des Selbstregierens zu überheben, dass um (…) ihre gesellschaftliche Macht unversehrt zu erhalten, ihre politische Macht gebrochen werden müsse, dass (…) um ihren Beutel zu retten, die Krone ihr abgeschlagen und das Schwert, das sie beschützen solle, zugleich als Damoklesschwert über ihr eigenes Haupt gehängt werden müsse».[8] Das klingt – ganz ähnlich wie bei La Boétie – nach freiwilliger Knechtschaft, beschreibt aber kein prinzipielles Ende, sondern nur den politischen Abstieg einer Klasse, die einer aufsteigenden Platz machen muss, den Machtwechsel aber durch ein Übergangsregime verzögert: «Die französische Bourgeoisie bäumte sich gegen die Herrschaft des arbeitenden Proletariats, sie hat das Lumpenproletariat zur Herrschaft gebracht, an der Spitze den Chef der Gesellschaft vom 10. Dezember [Louis Bonaparte].»[9]

La Boétie erzählt die Geschichte der republikanisch-bürgerpartizipativen Ordnung als eine von Niedergang und Untergang. Für ihn ist das die Summe dessen, was er einerseits an historischem Wissen zusammengetragen und andererseits selbst beobachtet hat. Marx hingegen beschreibt einen Abstieg, in dessen Hintergrund sich, wie er meint, der Anfang eines neuen Zeitalters abzeichnet. Dieser Unterschied in der Beobachtung wird aber nicht in erster Linie durch faktische Differenzen begründet, sondern durch Erzählmuster, durch Narrative, die es ermöglichen, das Beobachtete einzuordnen und zu bewerten. Abstieg und Niedergang bilden hier frames, Rahmungen, die letzten Endes darüber entscheiden, ob wahrgenommene Ereignisse auf den Aufstieg der einen Klasse oder den Abstieg der anderen hindeuten, ob sie den Niedergang von Herrschaftsformen oder die Heraufkunft einer neuen Gesellschaft ankündigen.[10] Narrative sind in gesellschaftliche Konstellationen eingebettet, deren Wahrnehmung und Beschreibung ihrerseits durch ebendiese Narrative geprägt ist. Dabei verschaffen sie sich die empirischen Belege für ihre Richtigkeit selbst. Narrative können deshalb auch nicht empirisch widerlegt werden. Aber sie können ihre Deutungsmacht einbüßen.[11]

Um den Zirkel zu durchbrechen, in dem polarisierende Narrative alle anderen Formen der Weltwahrnehmung verdrängen, müssen zunächst die Narrative selbst kritisch betrachtet werden. In der Bundesrepublik wie in der DDR waren die Nachkriegszeit, die späten 1950er und die frühen 1960er Jahre von der Vorstellung eines kollektiven Aufstiegs geprägt: der Rückkehr Deutschlands in die Gemeinschaft der europäischen Völker und der allgemeinen Verbesserung der Lebensverhältnisse. Im Unterschied dazu dominieren gegenwärtig die Narrative von Abstieg und Niedergang: des Abstiegs ganzer Schichten in den Zustand dauerhafter Prekarität, aber auch des ökonomischen Abstiegs Deutschlands und Europas, ebenso wie des Niedergangs vorgeblich christlich-abendländischer Werte. Der «Westen», von dem vor nicht allzu langer Zeit noch angenommen wurde, er sei der politische und ökonomische Prägestempel der Zukunft,[12] wird als globaler Abstiegskandidat angesehen, und der ängstliche Blick richtet sich auf Ost- und Südostasien als das neue Kraftzentrum des 21. Jahrhunderts.[13] Zweifellos ins Wanken geraten ist «der Westen» als politisches Projekt; der Optimismus der frühen 1990er Jahre ist verflogen. Das Frappierende daran ist, dass man nicht recht erklären kann, warum es gerade jetzt zu diesem Stimmungsumschlag gekommen ist. Nicht die Empirie hat sich verändert, sondern das Leitnarrativ.

Nachfolgend soll es jedoch nicht nur um Erklärungen für den Stimmungswechsel gehen. Es wird auch nach Auswegen aus der Krise und nach Perspektiven für eine Gesellschaft gesucht, in der nicht mehr, wie zwischen den 1950er und den 1970er Jahren, mit einem sozialen «Fahrstuhleffekt» gerechnet werden kann.[14] Zudem werden Überlegungen zur politischen Ordnung einer Welt angestellt, in der Europa und die USA nicht länger wie selbstverständlich die wirtschaftliche Führungsposition einnehmen werden. Letztlich geht es um die Struktur einer Welt, die nicht mehr in Niall Fergusons Formel The West and the Rest beschrieben werden kann.[15] Und es geht um eine Gesellschaft, in der sozialer Aufstieg wie Abstieg zu einer wesentlich individuellen Angelegenheit geworden sind, wobei soziale Veränderungen zwar ganze Berufsgruppen erfassen können, aber nicht mehr zum Aufstieg ganzer Schichten und Klassen führen werden.[16] Dass dies weitreichende Folgen gerade für das Selbstverständnis der deutschen Gesellschaft hat, steht außer Frage. Sie war in der Nachkriegszeit wie in der Phase der Wiedervereinigung durch die Erwartung kollektiver Aufstiege geprägt, und der «Abschied vom Aufstieg» hat ihr Selbstverständnis wie ihren Erwartungshorizont tiefgreifend verändert.[17]

Seit den 1960er Jahren gab es in der Bundesrepublik einen starken Trend der Parteien zur politischen Mitte, weil nach Auffassung der Demoskopen die Wahlen dort und nicht auf den politischen Flügeln entschieden wurden.[18] Die Polarisierung der politischen Landschaft nahm ab, was auch damit zu tun hatte, dass sich die Erwartungen im unteren Segment der Gesellschaft nicht länger auf grundlegende Veränderungen der Verhältnisse richteten, als deren Beförderer sich bis dahin die Parteien des linken Spektrums profiliert hatten. An ihre Stelle traten Vorstellungen eines schrittweisen, aber kontinuierlichen Aufstiegs. Parallel dazu schwand in bürgerlichen Kreisen die Angst, durch die unteren Schichten wirtschaftlich enteignet zu werden, und liberalere Auffassungen wurden auch in konservativen Kreisen akzeptabel. Die beiden Volksparteien CDU und SPD rückten weiter in die Mitte des politischen Spektrums, wo sie auf die dort seit längerem angesiedelte FDP trafen, und nach einer Phase parteiinterner Flügelkämpfe folgten ihnen auf diesem Weg auch die am Ende der 1970er Jahre neu entstandenen Grünen.[19]

Seit einiger Zeit herrscht nun in der Mitte parteipolitisches Gedränge, und es ist eher an den Nuancen in Sach- als in Grundsatzfragen erkennbar, wofür die Parteien jeweils stehen. Das ist durchaus bemerkenswert, denn der Drang zur politischen Mitte verstärkte sich in dem Maße, wie die Warnungen vor einer Erosion der sozialen Mitte häufiger wurden. Die Folge dieses allgemeinen Drangs in die Mitte war jedenfalls, dass die festen Wählerbindungen schwanden, die Zahl der Wechselwähler zunahm und die Wahlbeteiligung konstant zurückging. Die Wahlentscheidung wurde dadurch, was politische Informiertheit und Orientierung an den eigenen Interessen anbetraf, erheblich anspruchsvoller, und das kam der Mittelschicht zugute, die politisch stärker interessiert und engagiert ist. Sie ging zur Wahl, während die sozial Depravierten ihr immer häufiger fernblieben.[20]

Dann aber wurden im Gefolge der letzten Finanz- und Wirtschaftskrise und der zunehmenden Probleme, die der EU zu schaffen machten, die politischen Ränder in Europa wieder attraktiv. Es waren indes weniger die alten Rechts- und Linksparteien, die Zulauf erhielten, als neue populistische Parteien, die mit einfachen Antworten auf komplexe Fragen beachtliche Wahlerfolge erzielten.[21] Auf welcher Seite des politischen Spektrums die populistischen Bewegungen entstanden, scheint im Wesentlichen von der wirtschaftlichen Lage und der politischen Kultur des Landes abhängig zu sein: In den südlichen EU-Ländern war der Populismus (mit dem Sonderfall Italien)eher links angesiedelt, im restlichen Europa dagegen eindeutig rechts,[22] und auch im globalen Rahmen ist er überwiegend politisch rechts zu finden – wobei freilich anzumerken ist, dass die Rechtspopulisten auch einige genuin linke Themen aufgegriffen haben, mit denen sie nicht nur die Parteien «rechts der Mitte», sondern auch traditionell linke Parteien in Bedrängnis bringen konnten. In der Folge hat sich das klassische Parteienspektrum verschoben – so weit, dass sich die Frage stellt, ob die Rechts-links-Unterscheidung noch angemessen und zutreffend ist. Die Diagnose von Abstieg und Niedergang ist jedenfalls auf beiden Seiten anzutreffen, und die entsprechenden Narrative gehören zum Mobilisierungspotenzial der Parteien und Bewegungen beider politischer Flügel.

Verlierer dieser Entwicklung sind die Volksparteien, die in einer Zwickmühle stecken: Stärken sie in Reaktion auf die neuen sozioökonomischen Herausforderungen und die Verschiebungen im Parteiensystem ihre rechten oder linken Flügel, so verlieren sie Wähler in der Mitte. Bleiben sie hingegen Parteien der Mitte und grenzen sich gegen die rechts- wie linkspopulistischen Bewegungen ab, so verlieren sie Wähler auf den jeweiligen Flügeln, was sie unter Umständen die Stimmen kostet, die sie brauchen, um ihren Anspruch auf das Prädikat einer Volkspartei aufrechtzuerhalten oder zumindest eine Position zu besetzen, die eine Regierungsbildung ohne sie unmöglich macht. Wie die Entscheidung auch ausfällt: Sie ist mit erheblichen Wählerverlusten verbunden, weswegen die Parteiführungen vor klaren Entscheidungen zurückschrecken und die Richtungskonflikte innerhalb der alten Volksparteien zunehmen.[23] Das wiederum senkt deren Attraktivität für Wähler der Mitte. Die CDU ist mit diesem Dilemma bisher geschickter umgegangen als die SPD, die die Hauptleidtragende der veränderten Parteienlandschaft ist: Sie hat in der Mitte, nach links, aber auch nach rechts verloren, und Teile ihrer alten Klientel gehen überhaupt nicht mehr zur Wahl.[24]

Gewinner dieser Entwicklung sind in Deutschland – neben den Rechtspopulisten der AfD – die Grünen, die sich leicht links von der Mitte angesiedelt und als die Partei einer modernen bürgerlichen Mittelschicht etabliert haben. Man kann darin eine Bestätigung von Ronald Ingleharts These sehen, wonach Menschen, die in materiell gesicherten Verhältnissen leben, «postmaterialistische» Werthaltungen ausbilden.[25] Dabei spielen materielle Interessen zwar weiterhin eine Rolle, aber sie stehen nicht, wie bei Personen mit «materialistischer» Grundhaltung, im Mittelpunkt der politischen Präferenzen; Werte wie Menschenrechte und Minderheitenschutz gewinnen dagegen an Bedeutung und können durchaus höher gewichtet werden als das unmittelbare Eigeninteresse. Auch das Eintreten für die Interessen der gesamten Menschheit, zu denen die Begrenzung des Klimawandels und der Schutz der Artenvielfalt gehören, kann der postmaterialistischen Werthaltung zugerechnet werden.

Die populistischen Bewegungen, gleichgültig, ob politisch rechts oder links, sind dagegen zu Sammlungsbewegungen für Personen mit «materialistischer» Grundeinstellung geworden, die sich zunächst um ihre eigene Subsistenz sorgen, aber ebenso um ihre Lebensstile, Traditionen und Werte. Das erklärt auch, warum jene Teile der Industriearbeiterschaft, die sich durch Globalisierung, Wertewandel und Umweltschutz bedroht fühlen, eher den Rechtspopulisten als der klassischen Linken zuneigen. Rechtspopulistische Bewegungen vermitteln ihnen den Eindruck, ihre Angst vor dem sozialen Abstieg werde ernst genommen und abgewertete Traditionen würden verteidigt. Dementsprechend können die Rechtspopulisten nicht nur das konservative bis rechte Narrativ des politischen Niedergangs, sondern auch das links angesiedelte des sozialen Abstiegs bespielen.[26]

Das ist das zweite Dilemma der Volksparteien: dass sie zwischen Interessenvertretung und Wertorientierung hin- und herschwanken und dabei auf Kompromisse setzen, die von einem Teil ihrer Wähler als faule Kompromisse abgelehnt werden. Sie können weder die eine noch die andere Seite hinreichend bedienen. Eine Reihe von Beobachtern hat daraus geschlussfolgert, dass die große Zeit der Volksparteien vorbei sei und diese sich in den kommenden Jahren in kleinere Parteien in einer aufgesplitterten Parteienlandschaft verwandeln würden. Was das bedeuten könnte, soll nachfolgend erörtert werden.

Die Veränderung der politischen Grundstimmung von Vertrauen zu Misstrauen, von Zuversicht zu Pessimismus und Zukunftsangst, die in den Abstiegs- und Niedergangsnarrativen ihren Ausdruck findet, dazu das Auseinanderdriften der Gesellschaft, in dessen Folge «Materialisten» und «Postmaterialisten» einander unversöhnlich gegenüberstehen, das Auseinanderfallen von Lebensstilen und schließlich die Neuordnung der Parteienlandschaft mit dem angesichts wachsender Polarisierung paradoxen Effekt eines erhöhten Zwangs zum Kompromiss – all dies hat zu einem fundamentalen Wandel der politischen Perspektiven geführt, der durchaus als Wendepunkt begriffen werden kann. Stand global seit Mitte der 1950er Jahre die Schaffung wirtschaftlicher, später auch politischer Großräume im Mittelpunkt der Agenda, so hat sich inzwischen eine Präferenz für politische Kleinräumigkeit durchgesetzt, wie sie im Brexit-Votum der Engländer, im Erfolg der «America first»-Parole Trumps in den USA und im Anwachsen zentrifugaler Kräfte in der EU zum Ausdruck kommt. Es hat sich damit auch ein Politikstil durchgesetzt, der nicht mehr auf nüchterne und argumentativ unterfütterte Rationalität, sondern auf Herabsetzung des politischen Gegners und des «Anderen» setzt. Langfristige Planung und die dafür erforderlichen Kompromisse werden derzeit durch eine hektische, kurzfristig orientierte Politik konterkariert und durch negative Emotionalisierung, die nicht zuletzt durch die digitalen Kommunikationsplattformen des Internetzeitalters befördert wird, erschwert bis unmöglich gemacht.

Die Folge ist, dass der lange dominante Multilateralismus durch Bilateralität verdrängt wird. Die großen Mächte sind vor allem um ihre eigenen Vorteile besorgt und kümmern sich kaum noch um die common goods einer globalen Ordnung. Politiker, die sachbezogene Politik betreiben, haben gegen all jene, die Stimmungen aufheizen und Ängste bewirtschaften, einen schweren Stand. Das hat sich inzwischen zu einer ernst zu nehmenden Bedrohung der liberal-rechtsstaatlichen Demokratie ausgewachsen. Die Probleme sind groß und die Herausforderungen gewaltig. Dennoch sind die folgenden Kapitel im Grundton der Zuversicht gehalten. «Abschied vom Abstieg» heißt nicht, dass wir uns in eine neuerliche Aufstiegseuphorie hineinerzählen; zunächst steht für uns fest, dass der Abstieg nicht das Leitnarrativ bleiben darf. Es gibt durchaus gute Gründe, zuversichtlich in die Zukunft zu blicken. Dazu müssen freilich einige der entscheidenden Probleme bearbeitet werden.

Wir werden deshalb Vorschläge machen, die drei zentrale gesellschaftliche und politische Felder betreffen: Bildung, Demokratie und Europa. Auf allen drei Feldern lassen sich die skizzierten Probleme und die Wirkung von Abstiegs- und Niedergangsnarrativen gut erkennen. Für alle drei Felder lässt sich aber auch eine Agenda entwickeln, um die Probleme lösungsorientiert und vorwärtsgewandt anzugehen. Gewiss werden diese Vorschläge nicht unumstritten sein, aber eine positiv ausgerichtete und auf rationalen Begründungen fußende Diskussion könnte in einer Situation, in der von medialer Empörung getriebene Kompromisslosigkeit und negative Emotionalisierung die Debatten bestimmen, schon viel helfen.

[...]

Anmerkungen

Leseprobe

1

Vgl. Wirsching/Kohler/Wilhelm (Hgg.), Weimarer Verhältnisse?.

2

Es fällt auf, dass durchweg von «starken Männern» und nicht etwa von «starken Frauen» die Rede ist. Offenbar wird allein Männern die notwendige Stärke zugetraut, den «Augiasstall der Politik» zu säubern. Man kann darin eine «Rücknahme» vorangegangener Entwicklungen sehen: Einem halben Jahrhundert des Aufstiegs von Frauen in politische Spitzenämter wird die Forderung nach einer Revirilisierung der Politik entgegengestellt. Donald Trump hat in der Auseinandersetzung mit Hillary Clinton ganz unverhohlen auf diese Strategie gesetzt.

3

Christian Alt und Christian Schiffer haben die sich seit den 1970er Jahren verstärkenden Schübe von Verschwörungsideen herausgearbeitet (Angela Merkel ist Hitlers Tochter, S. 39–68). Während es sich dabei zunächst um Identifikationskerne esoterischer Minderheiten handelte, haben solche obsessiven Ideen seit den Anschlägen vom 11. September 2001 politische Wucht erlangt. Zur Geschichte der Verschwörungstheorien weiterhin Butter, «Nichts ist, wie es scheint», S. 139–178; zu deren Ausbreitung in Deutschland Heitmeyer, Autoritäre Versuchungen, S. 318–322.

4

Zu dieser Unterscheidung in der Geschichte des politischen Denkens vgl. Gebhardt/Münkler (Hgg.), Bürgerschaft und Herrschaft, passim. Eric Voegelin hat Nationalismus und Totalitarismus in ihren diversen Varianten unter dem Begriff der «politischen Religion» analysiert.

5

Der Historiker Frank Bösch hat die Islamische Revolution im Iran als eines der Beispiele für die von ihm auf das Jahr 1979 datierte «Zeitenwende» angeführt.

6

Samuel Huntington hat von «Wellen der Demokratisierung» gesprochen, was impliziert, dass es nach Phasen des Vordringens auch wieder Phasen des Zurückflutens gibt.

7

La Boétie, Von der freiwilligen Knechtschaft, S. 32–95.

8

Marx, «Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte», S. 136.

9

Ebd., S. 175.

10

Zur Theorie des Framing aus linguistischer und kognitionspsychologischer Sicht vgl. Busse, Frame-Semantik; zur Praxis – mit teilweise problematischer Anwendungsorientierung – Wehling, Politisches Framing, S. 42–67.

11

Demgegenüber scheint uns der Vorschlag von Chantal Mouffe (Für einen linken Populismus), rechten Narrativen linke entgegenzusetzen, wenig sinnvoll. Vielmehr kommt es darauf an, die Analyse von Narrativen, die vorwiegend in den Kulturwissenschaften betrieben wird, in den Sozialwissenschaften stärker zur Geltung zu bringen und bestimmten Narrativen Argumente, nicht andere Narrative, entgegenzusetzen.

12

Vgl. dazu die Arbeiten Heinrich August Winklers, insbesondere dessen mehrbändige Geschichte des Westens.

13

Exemplarisch dafür etwa Khanna, The Future is Asian.

14

Beck, Risikogesellschaft, S. 121–160.

15

So der englische Titel von Fergusons Buch Der Westen und der Rest der Welt.

16

Als ein Ergebnis dieser Entwicklung sieht Andreas Reckwitz in seinem Buch Die Gesellschaft der Singularitäten die verschärfte Konkurrenz um den individuellen Vorrang Einzelner. Damit aber erodiert der gesellschaftliche Zusammenhalt. Es wird nachfolgend deswegen auch um die Frage gehen, wie unter den Bedingungen fortschreitender Individualisierung der Zusammenhalt einer Gesellschaft gewährleistet werden kann, beginnend damit, dass die Verlierer dieser Entwicklung nicht ins Bodenlose stürzen dürfen, bis dahin, dass Gesellschaften ein gemeinsames Selbstbewusstsein brauchen, das ihnen Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten und Stolz auf das in der Vergangenheit Geleistete verschafft. Es geht um jene kompensatorischen Mechanismen, die der Politikwissenschaftler Karl Deutsch einst auf die Formel brachte, ein Auto könne umso schneller fahren, je bessere Bremsen es habe.

17

Der Begriff «Erwartungshorizont» ist durch Reinhart Koselleck («Erfahrungsraum und Erwartungshorizont») geprägt worden.

18

Vgl. Münkler, Mitte und Maß, S. 225ff.

19

Dazu Walter, Gelb oder Grün?, S. 77ff.

20

Vgl. Schäfer/Schwander/Manow, «Der sozial ‹auffällige› Nichtwähler», S. 21–44.

Leseprobe

21

Vgl. Zick/Küpper/Berghan, Verlorene Mitte – feindselige Zustände, S. 15–33 und 283ff.

22

Vgl. Priester, Rechter und linker Populismus, insbes. S. 32–50, sowie Manow, Die politische Ökonomie des Populismus, S. 38ff.

23

Dazu Walter, Im Herbst der Volksparteien.

24

Dazu Walter, Vorwärts oder abwärts?, S. 118ff.; ders., Die SPD, S. 313ff.

25

Über die empirische Basis von Ingleharts The Silent Revolution ist in den Sozialwissenschaften eine heftige Debatte geführt worden. Retrospektiv lässt sich festhalten, dass diejenigen, die Ingleharts These auf die Gesellschaft als Ganzes bezogen haben, falsch lagen, wohingegen sich jene, die darin die Voraussage einer Spaltung der Gesellschaft in «Materialisten» und «Postmaterialisten» erkannt haben, bestätigt sehen können.

26

Dazu Manow, Die Politische Ökonomie des Populismus, S. 99ff.

Impressum

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Oktober 2019

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Covergestaltung Frank Ortmann

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ISBN 978-3-644-10084-8

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Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.

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