Achills Version - Reimon Nischt - E-Book

Achills Version E-Book

Reimon Nischt

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Beschreibung

Hector hat es geschafft. Er ist versessen darauf, sein Ingenieurspraktikum auf epsilon Eridanus anzutreten, einem Planeten, der zur wirtschaftlichen Nutzung freigegeben wurde. Bordingenieur Stellan, der in jungen Jahren einer radikalen Umweltorganisation angehörte, sieht das Unterfangen skeptischer und möchte nach dieser Expedition sein unstetes Leben als Raumfahrer gegen ein seßhaftes Dasein auf seinem Heimatplaneten eintauschen. Für den Bordcomputer Achill, eine KI der neuesten Generation, ist diese Mission nach einer langen Vorbereitungszeit seine erste Bewährungsprobe. Doch was sich dann tatsächlich auf epsilon Eridanus abspielt ist verstörend und unerklärlich zugleich. Hectors verbissene Versuche, sich dem Geschehen rational zu nähern, bleiben unbefriedigend. Doch letztlich begreift er, daß er sich mit Achill und dessen Version der Ereignisse auseinandersetzen muß.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Reimon Nischt

 

Achills Version

 

Utopischer Roman

 

 

 

 

Herausgegeben von:

 

www.bilderarche.de 

 

© 2020, 2024 Reimon Nischt, Moriertstr. 35 a, 23617 Stockelsdorf 

I: Hector

 

Ankunft

 

Hector Olivera war Student und unter Tausenden von Bewerbern der Auserwählte, der sein Ingenieurspraktikum auf epsilon Eridanus absolvieren durfte. Keine Frage, er war gut, doch sicher nicht besser als viele der anderen Bewerber. Deshalb hatte er Vorsorge getroffen und bei der Auswahl etwas nachgeholfen. Die Auswahlkommission war vor über zehn Jahren durch ein auf KI basiertes Programm ersetzt worden, welches deutlich schneller zu einem Ergebnis kam. Diese Auswahl musste nur noch durch ein dreiköpfiges Gremium endgültig bestätigt werden. Hector hatte alle eingereichten Arbeiten der letzten Jahre durch ein selbst geschriebenes Programm analysieren lassen und so herausgefunden, welche Kriterien für den Sieg ausschlaggebend waren. Seine Bewerbungsarbeit hatte er solange optimiert, bis sie Spitzenwerte erzielte.

Jetzt flog Hector mit der Rutger Hauer einem Planeten entgegen, der für die komplette wirtschaftliche Nutzung vorgesehen war. Ein Forscherteam hatte hierzu nach jahrelanger Arbeit die Freigabe erteilt. Deshalb konnte Technik eingesetzt werden, die keine Rücksicht auf die Umwelt nehmen musste. Es sollte nach Edelhölzern in den riesigen Waldgebieten gesucht und mit der Erkundung der Bodenschätze begonnen werden. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Vorarbeiten mussten nur noch mit den effizientesten Abbaumethoden in Einklang gebracht werden. Hector hatte sich für das Team der Edelholzverarbeitung entschieden, da hier nach kurzer Vorbereitungszeit aktiv Hand angelegt wurde. Er liebte Action. 

Andere Teams suchten, auf verschiedene Standorte verteilt, nach seltenen Erden und Edelmetallen. Einige Lagerstätten waren von den Wissenschaftlern bereits kartographiert worden und Teams, die dort zum Einsatz kamen, konnten ebenfalls schnell mit der Förderung beginnen. Doch wer schon mal gesehen hatte, mit welcher Kraft und Dynamik Schreiternter Bäume herausrissen, den lockten langweilige Förderanlagen nicht mehr hinter dem Ofen hervor. Außerdem waren Edelhölzer gerade en vogue. Wer etwas auf sich hielt, musste damit in seinen eigenen vier Wänden angeben. Hector wusste, dass die Welt gelegentlich verrückt spielte und hatte nichts dagegen, diese Verrücktheiten zu bedienen.

Noch nie hatte er seine Heimat, die Leviosa, verlassen. Im Netz stand, dass Weltraumreisen sterbenslangweilig waren, was er inzwischen genauso sah. Auch das Passieren eines HyperGates war in keiner Weise spektakulär, nur allein die Vorstellung, beim Durchfliegen Hunderte von Lichtjahren ad hoc zu überwinden, nötigte ihm Respekt ab.

Es gab noch keinen Konsens, durch welche physikalischen Prozesse HyperGates entstanden waren. Einige Wissenschaftler favorisierten die Theorie, es handele sich um natürliche Gebilde, andere lehnten deren Existenz komplett ab und eine kleine Gruppe, die wie Aussätzige behandelt wurde, hielten HyperGates für Werke einer unbekannten Zivilisation.

Hector, der sich als angehender Ingenieur für die letztgenannte Theorie erwärmte, träumte davon, diesen gemutmaßten Außerirdischen eines Tages zu begegnen. Doch wenn er versuchte, diese Begegnung zu visualisieren, scheiterte seine Phantasie daran, sich Außerirdische vorzustellen, die HyperGates bauen konnten.

 

Zwei Tage zuvor hatte Hector epsilon Eridanus zum ersten Mal mit bloßem Auge gesehen und seitdem empfand er eine erwartungsvolle Spannung. Die Ankunft des Schiffes verfolgte er von seiner Kabine aus. Der Anblick des Planeten erinnerte ihn an Aufnahmen von der Erde. Vermutlich lag es an dem bläulichen Schimmer, den beide Himmelskörper aufwiesen, so als wären sie miteinander verwandt. 

Hector gehörte neben vier weiteren Mitarbeitern dem Team der Holzverarbeitung an, welches von Robert Sturges geleitet wurde. Sturges hatte ihn Woody genannt, nicht weil ihm der Name Hector entfallen war, sondern weil er, wie er sagte, alle seine Praktikanten so betitele. Hector verzog keine Miene, sondern dachte nur, dass Sturges bestimmt der Typ Mann war, der in seiner Vorstellung alle Frauen Honey nannte. Wahrscheinlich auch die einzige Frau in seinem Team, obwohl Hector diese Assoziation beim Anblick von Lena Andersson nicht in den Sinn kam. Für ihn verkörperte sie die Sorte Frau, die nicht mal im Traum daran dachte, einen Mann um Hilfe zu bitten, weil sie es gewohnt war, ihre Probleme selbst zu lösen. Im Gegensatz zu allen anderen im Team sprach Lena ihn mit seinem Namen an. Schon deswegen mochte er sie. 

Geräte und Materialien wurden verladen und nach unten geschafft. Die Wissenschaftler hatten mit der Erforschung der Waldregion ihre letzte Aufgabe beendet und die Forschungsstation an einem See zurückgelassen. Neben dieser Station wurde jetzt eine zweite errichtet, die Sturges mit drei Männern belegte. Hector und Lena bezogen in der alten Quartier, der man den jahrelangen Gebrauch ansah. Doch Hector gefiel sein neues Zuhause, besonders der Blick aus der Badewanne durch das Panoramafenster zum See hinaus war traumhaft schön. Gewöhnlich bekam man so eine Aussicht nicht gratis.

„Lena, hast du schon das Bad inspiziert?“

„Ja. Es scheint mir, dass unsere Vorgänger den Aufenthalt auf diesem Planeten genossen haben. Der Anblick wird bald nur noch eine Erinnerung sein. Vergiss nicht, Hector, wir sind hier, um von diesem Ort aus einen Feldzug zu beginnen, der dem Planeten in wenigen Jahren Narben zufügen wird, die nie wieder verheilen werden.“

„Bei dir hört es sich so an, als ob wir Verbrechen begehen würden.“

„Glaub mir, deine Illusionen verschwinden schneller, als dein Bart wächst.“

Hector strich sich übers Kinn. Er sagte in Gedanken Ja zur Eroberung des Planeten und sah ihr mit Freude entgegen. Er steckte in der Haut eines kleinen Jungen, der ein großes Geschenk bekommen hatte, es so schnell wie möglich öffnen möchte und verzweifelt, weil es ihm nicht erlaubt wird. Hector war ungeduldig. 

In der folgenden Woche erledigte das Team alle Vorarbeiten und da Hector nicht mit einbezogen wurde, stromerte er in der Gegend herum. Er lief die alten Trampelpfade entlang, die vor Jahren von den Forschern angelegt worden waren und die er jetzt kaum noch als solche erkannte. Einer dieser Pfade führte zum See hinunter, dessen Ufer von großen Bäumen beschattet wurde. Hector fackelte nicht lange, warf seine Sachen ab und stürzte sich ins Wasser. Er schwamm aus dem schattigen Bereich hinaus und genoss auf dem Rücken treibend die Sonne. Urlaub konnte auch nicht schöner sein. Hector schwamm weiter in den See hinaus. Als er etwa die Mitte erreicht hatte und sich in alle Richtungen umblickte, wurde ihm bewusst, wie winzig und unbedeutend er war.

Nachdem sämtliche Utensilien auf dem Planeten für den Einsatz zur Verfügung standen, rief Sturges sein Team zusammen.

„Wir befinden uns hier in einem für den Planeten typischen Mischwald. Laut meinen Unterlagen gibt es in der Region Bestände von Edelhölzern. Jedenfalls lassen Dichte und Härte der Hölzer diese Vermutung zu. Ich habe das Gebiet in Planquadrate eingeteilt. Wir werden die Edelhölzer ernten und ihre Samen sammeln. Der restliche Wald wird gerodet, um Platz für die edlen Gewächse zu schaffen. Aber zuerst werden wir ein Sägewerk errichten. Alles klar so weit?“

„Du hältst uns hier eine Rede, als ob wir das zum ersten Mal tun. Ist der Sauerstoffgehalt der Luft zu hoch für dich oder wirst du langsam größenwahnsinnig?“

Sam Dexter sagte das in seinem schleppenden Tonfall und alle lachten, nur Hector hielt sich zurück.

„Wir haben einen Praktikanten unter uns, für den meine Worte in erster Linie bestimmt waren oder hast du ihn noch nicht bemerkt?“

„Der Junge ist doch nicht blöd, der wird das schon von ganz allein spitzkriegen.“

„Halt die Klappe, Sam. Der Tag, an dem du nichts zu nörgeln hast, ist noch nicht geboren. Wie steht es um unsere Technik? Alles einsatzbereit?“

Mike Greenwood räusperte sich, bevor er sprach: „Ein Roboter hat einen Defekt, den ich nicht beheben kann. Wir können ihn nur als Ersatzteillager verwenden. Alles andere funktioniert einwandfrei.“

„Gut. Das können wir verkraften. Dann mal los, ihr wisst, was zu tun ist.“

Plötzlich wurde Hector mutig: „Ich würde mir gerne den defekten Roboter ansehen.“

„Einen Tag gebe ich dir, danach weichst du Lena nicht mehr von der Seite.“

Sam und Mike feixten.

„Gib ihm zwei Tage“, sagte Lena und brachte die Männer zum Schweigen.

„Na gut, die soll er haben“, brummte Sturges und beendete die Versammlung.

Roboter

 

Hector umrundete den defekten Roboter. Es handelte sich um einen Schreiternter auf vier robusten Beinen, der noch keinen Einsatz hinter sich hatte. Seine beiden Greifarme versprachen eine unbändige Kraft. Hector aktivierte den Koloss über sein Notebook und machte einige technische Standarddurchläufe. Die Mechanik des Roboters schien voll funktionstüchtig zu sein. Jedes einzeln angesteuerte Element führte genau die gewünschten Bewegungen aus. Hector erweiterte den Check auf koordinierte Bewegungsabläufe. Für den Fall, dass der Roboter seinen Vorgaben nicht folgte, suchte Hector zwischen zwei wuchtigen Bäumen Schutz, die der Schlagkraft der Greifarme widerstehen konnten. In der Uni war er im letzten Semester bei einem Test dabei gewesen, als ein Roboter außer Kontrolle geriet. Diese destruktive Kraft flößte ihm jedes Mal, wenn er daran zurückdachte, Respekt ein. Hector veranlasste eine simple Abfolge, die mit dem Ausfahren des Greifarms begann, dann mit dem Öffnen und Drehen des Greifers fortfuhr und mit dem Einfahren des Greifarms in seine Ruheposition endete. Diesen Ablauf musste der Roboter zehnmal wiederholen. Zu Hectors Zufriedenheit verlief alles planmäßig und die Akkuratesse der Ausführungen stellte jede tänzerische Darbietung einer Ballerina in den Schatten.

Hector erhöhte den Schwierigkeitsgrad des Bewegungsablaufes und testete weiter. In der siebten Runde schlug ein Greifarm ohne Vorwarnung zu, als wollte er einen imaginären Gegner niederstrecken. Obwohl der Schlag nicht gegen Hector gerichtet war, brach diesem plötzlich der Schweiß aus. Bei der Schnelligkeit der Bewegung wäre jede menschliche Reaktion zu spät gekommen. Als Hector sich von dem Schreck erholt hatte, folgte der Roboter bereits wieder dem vorgegebenen Ablauf.

Hector spielte den halben Tag die verschiedensten Situationen durch, ohne dem Fehler auch nur nahezukommen. Auch die Auswertung der Logs brachte ihm keine neuen Erkenntnisse, da das Fehlverhalten dort nicht registriert war. Wie es dazu kommen konnte, vermochte Hector nicht zu sagen. Er war ahnungslos und weil ihm nichts Besseres einfiel, schaltete er in den Sprachmodus.

„Hallo Champion, kannst du mich hören?“

„Mein Name ist Ro279-04-127-V2.“

„Hallo Ro279-04-127-V2, mein Name ist Hector und ich nenne dich ab jetzt Champion oder kurz Champ. Hast du das verstanden?“

„Ja, Hector.“

„Sehr gut, Champ. Wie ist dein technischer Status?“

„Einen Augenblick bitte, meine Systemanalyse läuft.“

Hector musste nicht lange warten.

„Alle meine Prozesse arbeiten fehlerfrei.“

„Erstaunlich! Hat die Analyse kein abweichendes Verhalten während meiner Testreihen festgestellt?“

„Nein, Hector. Ich wiederhole: Alle meine Prozesse arbeiten fehlerfrei.“

„Du hast vorhin, abweichend von deinem Programm, einen Schlag ausgeführt. Erinnerst du dich daran?“

„Es ist mir verboten, einen Menschen zu verletzten. Du irrst dich.“

„Ich habe nichts davon gesagt, dass du nach mir geschlagen hast. Also beantworte bitte meine Frage.“

Hector wurde hellhörig. Der Roboter hatte ihm eine ausweichende Antwort gegeben. Das war ein äußerst seltsames Verhalten.

„Ich kann mich an diesen Schlag nicht erinnern, weil ich ihn nicht ausgeführt habe.“

„Ich hatte schon mit vielen Robotern zu tun, du Champ, bist der erste Lügner.“

Der Greifarm schlug zu.

„Nennst du das etwa Fliegenfangen?“

„Nein. Du hast mich provoziert.“

„Ich sollte dich nicht provozieren können. Du bist ein Roboter ohne Emotionen. Jemand hat sich mit dir einen üblen Scherz erlaubt. Ich bringe das wieder in Ordnung und ich schalte dich jetzt aus.“

„Du kannst mich nicht ausschalten.“

Der Roboter ließ drohend seinen Arm kreisen.

„Requies!“, rief Hector und die Maschine erstarrte in der Bewegung.

„Da hast du ja einen Freund fürs Leben gefunden.“

„Hallo, Lena. Ist dir so ein Verhalten bei einem Roboter schon mal untergekommen?“

„Den hat doch einer absichtlich falsch programmiert, um uns einen Streich zu spielen.“

„Glaube ich nicht. Derjenige hätte doch nur seinen Spaß daran, wenn er zugegen wäre. Ich arbeite noch mal alle Logs durch. Ich muss den entscheidenden Hinweis übersehen haben.“

„Hast du überhaupt zu Mittag gegessen?“

„Nein, wieso?“

„Hector, es ist schon längst Feierabend. Mach mal eine Pause.“

„Seid ihr heute gut vorangekommen?“

„Sieh dich um. Die ersten Planquadrate sind für die neue Pflanzung gerodet. Wir brauchen den Roboter wirklich nicht.“

„Ja, schon möglich. Doch das Problem lässt mir keine Ruhe. Stellst du mir bitte etwas von dem Essen kalt?

„Da kommen wir zum Kern des Problems: Du willst dich doch nur von mir durchfüttern lassen.“

„Morgen koche ich. Versprochen.“

„Ich will aber keine Tiefkühlkost.“

„Wer will die denn schon.“

Lena winkte ihm zu und ging Richtung Unterkunft davon. Hector widmete sich wieder den Logs. Nach einer Stunde konnte er mit Sicherheit sagen, nichts übersehen zu haben. Trotzdem hatte er keinen Hinweis auf das Fehlverhalten gefunden. Der Roboter stellte eine potentielle Gefahr dar. Er musste Sturges informieren.

 

„Ich wusste schon, warum ich keinen Praktikanten haben wollte“, knurrte Sturges, „keine Ahnung davon, was los ist, aber eine dicke Lippe riskieren.“

„Wenn du meiner Analyse nicht traust, lass doch Mike die Daten überprüfen. Wir können in dieser Situation doch nicht einfach den Kopf in den Sand stecken.“

Hector hatte nicht vor, klein beizugeben. Sie befanden sich auf einem fremden Planeten und Fahrlässigkeit konnte sich niemand leisten.

„Mike hat Besseres zu tun, als seine Zeit mit Hirngespinsten zu verplempern.“

„Robert, ich war auch Zeuge, wie der Roboter nach Hector geschlagen hat. Dieses Verhalten ist mir nicht geheuer. Hier passiert etwas Seltsames und wir müssen uns darüber Klarheit verschaffen“, mischte Lena sich ein.

„Wir werden ein Jahr lang hier bleiben. Glaubst du, da kommt es auf einen Tag an?“, meinte der bisher noch nicht in Erscheinung getretene Ingmar Lindgren.

„Ingmar? Hab ich eben deine Stimme gehört?“, witzelte Sam. Da niemand lachte, lenkte Sturges ein.

„Mike, wie siehst du das?“

„Gewalttätige Roboter sind ein Problem. Morgen gehe ich die Logs durch und wenn ich keinen Hinweis finde, werden wir den Schiffskommandanten informieren müssen.“

„Verfluchter Mist! Hätte ich nur keinen Praktikanten angenommen“, knurrte Sturges.

„Hector ist der Letzte, der etwas dafür kann, dass dieser Roboter spinnt. Das weißt du genau, Robert. Mike hat recht, wir müssen die anderen in Kenntnis setzen. Vielleicht haben sie ähnliche Probleme“, mischte sich Ingmar ein.

„Robert, ab morgen kümmere ich mich um Hector. Du kannst mir das Geld, das du für die Betreuung unseres Praktikanten einstreichst, dann in bar geben.“

Lena lächelte unschuldig.

Im Wald

 

Am nächsten Morgen begleitete Hector Lena auf dem Weg zu den Flugerntern. Sie bestiegen eines der kleinen, wendigen Modelle. Lena setzte sich hinter das Steuer und ein paar Knopfdrücke später flogen sie bereits in geringer Höhe über dem Urwald dahin.

„Wir halten heute nach Edelhölzern Ausschau. Ich habe von unserem Team im Orbit Koordinaten bekommen, an denen wir fündig werden müssten.“

Hector nickte nur und schwieg.

„Was ist los mit dir, hast du schon das Interesse an unserer Arbeit verloren?“

„Natürlich nicht. Ich muss nur immer an diesen Roboter denken.“

„Genieße lieber die Aussicht.“

Hector sah auf das grüne Waldmeer hinab, auf die sich im Wind neigenden Wipfel der Bäume und es wirkte authentischer, als jeder Werbefilm für Wildnistouren es je hätte sein können. Nur und das war seltsam, das entsprechende Gefühl wollte sich nicht einstellen. Hector registrierte alles, doch es berührte ihn nicht. Sollte er wirklich sein Interesse verlieren? Er schüttelte den Kopf, um diesen Gedanken zu verdrängen, doch wenn Vergessen nur so einfach funktionieren würde.

Die Farben der Welt, die die Palette eines jeden Malers sprengen würde, rauschten an Hector vorbei, der sie in seinem Gedächtnis nur als einen Film in fadem Grau speicherte. Er fühlte sich wie ein Koch, der die besten Zutaten verwendete, doch beim Probieren nichts schmeckte.

„Hat dir die Aussicht die Sprache verschlagen?“

„Kann man so nicht sagen. Ich sehe, dass es schön ist, ohne es zu fühlen. Bin ich Opfer einer Weltraumkrankheit geworden?“

„Klingt für mich eher nach Unterforderung. Du brauchst dringend eine richtige Arbeit und solltest dich von durchgeknallten Robotern fernhalten.“

„So einfach ist das?“

„Ja. Das hier ist nicht mein erster fremder Planet. Im Vorwege weiß niemand, welcher Macht wir uns stellen müssen. Vielleicht ist dieses seltsame Empfinden deiner Jugend geschuldet oder du bist nur sensibler als die anderen im Team. Mit der Zeit wirst du dich anpassen.“

„Schön, dann lass ich alles auf mich zukommen. Ist ja eh kein großes Ding.“

„Ich kann dir nur sagen, wie es mir bisher ergangen ist. Jeder reagiert nun mal anders. Ich weiß so einiges über Pflanzen. Menschliche Befindlichkeiten sind nicht mein Gebiet. Also entschuldige meine amateurhafte Psychologie.“

„Nein, nein. Ich muss mich entschuldigen.“

„Unsinn. Gut, dass wir darüber geredet haben. Reden ist die beste Therapie. Friss es bloß nicht in dich hinein. Das geht selten gut aus.“

Hector nickte und blickte nach draußen, ohne etwas wahrzunehmen. Dieses zwei sein musste während der Nacht wie eine Krankheit über ihn gekommen sein. Er versuchte dagegen anzukämpfen, suchte nach Baumriesen und immer, wenn er einen entdeckt hatte, erlosch das Interesse, da keine emotionale Rückkopplung erfolgte. Lena unterbrach diese frustrierenden Versuche.

„Wir sind am Ziel. Ich werde uns jetzt einen Landeplatz schaffen und dann schauen wir uns dieses Prachtexemplar genauer an.“

Hector wollte fragen, wovon sie sprach, als er den Baum bemerkte, der fast sein ganzes Gesichtsfeld einnahm. War der vor einer Sekunde auch schon da gewesen? Vielleicht sollte er nicht gegen diesen Zustand ankämpfen, sondern ihm nachgeben, wie Bäume, die einem Sturm trotzen, indem sie sich biegen. Sollte es nicht besser werden, musste er sich etwas Neues einfallen lassen.

Lena hatte den Flugernter sanft gelandet und beide stiegen aus. Der Boden war unerwartet weich und von einer Art Moos überzogen. In der Luft lag der Geruch von verbranntem Holz, den die gefällten Bäumen verströmten. Lena hatte die Führung übernommen und er folgte ihr in das Dickicht. Das Tageslicht wich einer durch den dichten Bewuchs erzwungenen Dämmerung. Bevor Hector sich im Wald verlieren konnte, stand er einer dunklen Wand gegenüber, die nichts anderes als der Stamm des Edelholzbaumes war. Lena suchte bereits nach Sämlingen, die sie, sofern sie welche fand, gleich herausriss und in den dafür vorgesehenen Behälter warf. Hector schaute ihr beim Arbeiten zu.

„Was ist los, brauchst du eine Einladung?“

Hector erwiderte nichts darauf, sondern ging, in entgegengesetzter Richtung nach Sämlingen suchend, davon. Doch zuerst gab er seinem Verlangen nach, den Baumstamm zu berühren. Er strich mit seinen Händen über die Rinde und staunte über ihre unnachgiebige Glätte. Nach einer Weile löste er sich von dem Stamm und sammelte Sämlinge, die er zu den anderen legte.

„Gut, das reicht für heute. Wir fliegen zurück.“

„Wir sind doch erst ein paar Minuten hier. Haben wir es so eilig mit dem Rückflug?“

„Dein Zeitgefühl täuscht dich. Wir sind schon mehr als zwei Stunden vor Ort.“

Hector schaute ungläubig zur Uhr. Lena hatte recht.

„Habe ich wirklich so getrödelt?“

„Als du dich nicht blicken ließest, habe ich nach dir gerufen und keine Antwort erhalten. Ich dachte schon, ich müsste dich suchen, doch du standest da, mit beiden Händen den Stamm berührend, tief in dich versunken. Es war ein so friedliches Bild, dass ich es nicht über mich brachte, dich aus deiner Trance zu reißen.“

„Mit mir passiert hier etwas, worauf ich keinen Einfluss habe.“

„Fühlst du dich krank oder erschöpft?“

„Weder noch.“

„Das wird schon wieder. Wir sollten es den anderen nicht unbedingt auf die Nase binden.“

„Ist das wirklich eine gute Idee?“

„Glaub mir, sogar eine sehr gute.“

Plaudernd legten sie den Weg zum Ernter zurück.

 

Im Lager angekommen gingen beide, ohne nach den anderen zu sehen, in ihre Unterkunft.

„Ich werde uns jetzt etwas Leichtes kochen. Ich habe richtig Hunger“, sagte Lena.

„Kann ich dir behilflich sein?“

„Nein. Setz dich an den Tisch. Es dauert nicht allzu lange.“

Hector tat wie ihm geheißen und sah Lena beim Kochen zu. Er unterhielt sie mit belanglosen Geschichten, die er im letzten Semester erlebt hatte. Die einzig gute, nämlich die, wie er den Praktikumsplatz bekommen hatte, ließ er unerwähnt. Trotzdem sah Lena hin und wieder zu ihm hinüber, manchmal lächelnd, manchmal erstaunt, ohne von ihrer Tätigkeit abzulassen. Und dann standen zwei gefüllte Teller auf dem Tisch.

„Egal wie es schmeckt, du musst das Essen loben.“

Hector nahm einen vollen Löffel von dem wunderbar duftenden Gericht und nickte anerkennend. Es schmeckte ihm wirklich, doch da er keinen Hunger verspürte, mühte er sich mit der großen Portion eine Weile ab.

„Sei nicht enttäuscht. Ich hatte keinen Hunger und trotzdem ist mein Teller leer. Es war wirklich ausgezeichnet.“

„Das mit dem Lügen hast du noch nicht so gut drauf. Das musst du noch üben.“

„Nein, wirklich, ich war schon satt, als ich mich an den Tisch gesetzt habe. Wie nennt sich dieses Gericht?“

„Weiß ich nicht. Doch das war eines der Lieblingsessen der Wissenschaftler, die hier geforscht haben. Sie hinterließen uns ihre Rezeptsammlung. Ich habe heute Morgen, während du noch geschlafen hast, die erforderlichen Zutaten gesammelt.“

„Dann werden wir hier nicht verhungern?“

„Nur wenn du Fleisch essen willst. Hier gibt es keine Tiere.“

„Ja, davon habe ich gehört. Ohne Fauna ist der Planet doch etwas Besonderes. Weshalb wurde er nicht unter Naturschutz gestellt?“

„Gerade weil es keine Tiere gibt, können wir auch kein höheres Leben in seiner Entwicklung beeinträchtigen.“

„Aber unter allen bekannten Planeten ist dieser durch das Fehlen einer Fauna einzigartig. Er hätte in seiner ursprünglichen Form erhalten bleiben müssen.“

„Das sehe ich genauso. Doch das Gesetz kennt so einen Passus nicht. Da geht es, wie gesagt, nur um den Schutz höherer Lebensformen.“

„Als ob wir nicht schon genug Rohstoffquellen zur Verfügung hätten.“

„Genug ist nicht genug. Das ist unser Motto.“

Hector hörte die Resignation in ihren Worten.

Tagebuch

 

„Bist du bereit, William?“

„Ich warte nur auf deine Worte.“

Die Antwort kam von dem Tagebuch, das Hector William nannte. Schon während seiner Schulzeit hatte er sich angewöhnt, ihm seine geheimsten Gedanken anzuvertrauen. Öffnete Hector das Buch, wurde seine Iris gescannt, was ihm als Einzigem ermöglichte, Einträge zu lesen und neue hinzuzufügen. William war ihm über die Jahre ein verlässlicher Freund geworden.

„Mit mir geht etwas Unerklärliches vor. Seit drei Tagen habe ich nichts mehr gegessen und trotzdem fühle mich weder hungrig noch kraftlos. Allerdings nehme ich Wasser zu mir. Damit es den anderen nicht auffällt, esse ich meine vorgesetzten Portionen auf, doch der Drang, mich zu übergeben, ist so mächtig, dass ich das Essen keine Stunde bei mir behalten kann.“

Während Hector den Text diktierte, sah er, wie sich seine Worte in Buchstaben verwandelten und die leere Seite allmählich füllten.

„Ich habe nicht vor, diese Veränderungen zu melden, weil ich nicht zur Rutger Hauer zurückgebracht und untersucht werden möchte. Dieser Planet hat mich von dem Zeitpunkt an verändert, an dem ich ihn betreten habe und ich möchte wissen, wohin mich diese Veränderungen führen werden.“

Hector schloss die Augen, lehnte sich in seinem Sessel entspannt zurück und diktierte weiter.

„Sicher ist meine Weigerung, mich ärztlich untersuchen zu lassen, auch darauf zurückzuführen. Doch ich kann nicht unterscheiden zwischen dem, was ich ohne den Einfluss des Planeten gemacht hätte oder nicht, denn ich bin nun mal hier. Vielleicht habe ich mich an einer Pflanze infiziert und mein Zustand entspricht einer permanenten Halluzination. Was meinst du, William, werde ich verrückt?“

„Wenn ich mir deine Einträge vergegenwärtige, komme ich nicht umhin, dich zu warnen. Nichts, was du mir je anvertraut hast, war von dieser Qualität. Du driftest in eine Welt ab, die wir beide nicht kennen. Lass dir von deinen Gefährten helfen.“

„Danke, William, du hast deine Pflicht getan und mich gewarnt. Doch wie empfindest du meine Situation?“

„Es ist für mich natürlich spannender, das Unerwartete ins Buch zu schreiben, als immer nur das ewig Gleiche in anderem Wortlaut.“

„Du meinst ich bin ein langweiliger Typ, dem nichts Aufregendes widerfährt?“

„Ja, in etwa. Ich weiß es und du solltest es auch wissen. Dein Leben ist kein Abenteuerroman. Schließlich hast du mir Tausende deiner Bücher implementiert, die meine Vergleichsbasis bilden. Nach diesen Kriterien ist dir noch nichts Spektakuläres widerfahren, bevor du epsilon Eridanus betreten hast. Das heißt, eine Ausnahme lasse ich gelten: deine Verabredungen mit Reese im letzten Semester. Was du mir darüber mitgeteilt hast, findet sich in keinem meiner Bücher. Ich habe es daher in die Kategorie aufregend aber nicht bedrohlich eingeordnet.“ 

„Manchmal wünschte ich mir, ich hätte dich nicht dazu angehalten, mir die Wahrheit zu sagen.“

„Wozu wäre ich dann von Nutzen?“

„Ich könnte mich bei dir auszuweinen und du würdest mich trösten.“

„Allein die Vorstellung bringt mich zum Würgen.“

„Schön, dass wir wieder einer Meinung sind.“

„Also lässt du dir von deinen Leuten helfen?“

„Was versprichst du dir davon?“

„Es erscheint mir ein Gebot der Vernunft zu sein. Die wenigsten Abenteurer suchen das Abenteuer. Es ist eher umgekehrt, sie werden vom Abenteuer gefunden. Niemand begibt sich absichtlich ins Ungewisse, wenn ihn nicht die Umstände dazu zwingen und dich zwingt niemand.“

„Da bin ich mir nicht so sicher. Es ist bestimmt kein äußerer Zwang. Ich ändere mich von innen heraus und entwickele dadurch keine Gegenwehr. Aber etwas ist für die Wandlung meines Wesens verantwortlich. Ich habe mein Möglichstes für diesen Praktikantenplatz gegeben und jetzt verspüre ich überhaupt kein Interesse mehr an dieser Aufgabe. Verstehst du, was ich meine?“

„Ich denke schon. Hast du dir schon mal überlegt, was geschieht, wenn es den anderen genauso ergeht wie dir? Das endet in einer Katastrophe.“

„Du bist mir ja der geborene Pessimist. Ganz so schlimm wird es schon nicht kommen.“

„Und woher nimmst du deinen Optimismus?“

Hector zuckte mit den Schultern.

„Das ist keine Antwort! Was ist aus dem Roboter geworden, der nach dir geschlagen hat? Du bist mir noch das Ende der Geschichte schuldig.“

„Da gibt es nicht viel zu erzählen. Mike konnte aus den Logs auch keine neuen Erkenntnisse gewinnen. Das ist der Stand der Dinge. Ob Sturges die Analyse weitergeleitet hat, ist mir nicht bekannt.“

„Du hast dich mit einer Energie durch diese Logs gewühlt und jetzt scheint es dich überhaupt nicht zu kümmern, was deswegen unternommen wurde. Du solltest bei Sturges nachfragen.“

„William, du bist penetrant. Ich sage dir die ganze Zeit, dass ich eine Metamorphose durchmache. Hörst du mir nicht zu?“

„Was für eine Frage. Ich mag bloß keine losen Enden. Im wirklichen Leben mag alles durcheinandergehen, doch nicht in einem Tagebuch. Dein Gehirn filtert die Ereignisse, sodass sie eine Struktur bekommen. Fehlt diese, stimmt etwas nicht mit dir.“

„Das sage ich doch die ganze Zeit: Mit mir stimmt etwas nicht. Reite doch nicht immer wieder darauf herum.“

„Entschuldige Hector, ich möchte dir doch nur ein gutes Tagebuch sein.“

„Schwamm drüber, alter Freund. Morgen werde ich bei Sturges nachhaken. Lies mir jetzt bitte die Passagen vor, die von Reese handeln. Vielleicht gibt es da doch die eine oder andere Bedrohung. Wer weiß, was ich alles übersehe habe.“

Nacht

 

Hector machte sein Vorhaben wahr, sich nach dem Roboter zu erkundigen. Nach dem Frühstück, im Anschluss an die übliche Besprechung, warf er die Frage in die Runde, was der Kommandant der Rutger Hauer wegen ihres Roboterproblems angeordnet habe. Alle sahen ihn mit großen Augen an.

„Was ist los mit euch? Der Kommandant muss doch eine Anordnung getroffen haben und diese möchte ich erfahren.“

„Ist das denn noch wichtig? Es reicht doch, wenn er nicht eingesetzt wird“, antwortete Sturges. Hector sah sich um und da sich niemand für dieses Thema zu interessieren schien, ließ er es dabei bewenden. Er hoffte, dass William jetzt kein loses Ende mehr hatte, obwohl ihm eine innere Stimme sagte, das es nicht so glatt abgehen würde. Doch diese Stimme war zu leise, als dass er bei dem Thema weiter insistierte.

Sturges hatte Lena und ihm die heutige Arbeit zugeteilt. Wie in letzter Zeit üblich, trödelte Hector ein wenig herum, weshalb Lena bereits zum Ernter gegangen war. Doch diesmal wartete sie nicht auf sein Erscheinen und flog statt dessen ohne ihn los. Er sah ihr nach, wollte winkend protestieren, doch ließ er die halb erhobene Hand wieder sinken.

Im Wald, an einen Baum gelehnt, fand Hector wieder zu sich. Ihm fehlte die Erinnerung, wie er dorthin gelangt war. Hector erhob sich, zog sein Smartkom aus der Jackentasche und staunte nicht schlecht, als er bemerkte, dass er sich acht Kilometer vom Lager entfernt hatte. Ihm stand ein ermüdender Rückmarsch bevor.

Hector stolperte durch Kuhlen und verfing sich in Luftwurzeln. Er wollte den direkten Rückweg nehmen, musste aber immer wieder dem unpassierbaren Unterholz ausweichen, sodass sein Weg so geradlinig verlief, wie der einer Ameise.

Hector schalt sich einen Idioten. Da hielt er das Smartkom in der Hand, um den Weg zu finden, anstatt jemanden aus dem Team anzurufen, der ihn abholen kam. Er legte eine Pause ein und wählte Lenas Nummer. Sie meldete sich nicht. Auch Sturges, Mike, Sam und Ingmar waren nicht erreichbar. Das bedeutete bestimmt nichts Gutes. Hector machte sich wieder auf den Weg. Noch lagen sechs Kilometer vor ihm, die, gemessen an seiner Kraft und Motivation, viel eher dem Zehnfachen entsprachen.

Die Dämmerung überraschte ihn wie den Wattwanderer die Flut. Er ergab sich in sein Schicksal und richtete sich ein provisorisches Nachtlager her, das aus Zweigen, Blättern und Moos bestand. Er nahm einen Schluck aus der Wasserflasche und war froh darüber, keinen Hunger zu spüren. Jetzt nach etwas Essbarem zu suchen, wäre mit dem Licht seiner kleinen Taschenlampe sehr mühselig geworden. Hector fühlte sich so schon ausgelaugt und kaum hatte er sich mit großen Blättern zugedeckt, schlief er ein.

Es war für ihn eine unruhige Nacht. Er wälzte sich von einer Seite auf die andere, immer auf der Suche nach einer bequemen Position, die er jedoch nie einzunehmen vermochte. So war er dankbar, als der Morgen dämmerte. Wenig erholt quälte er sich hoch, trank etwas Wasser und machte sich auf den Weg.

Als er den Wald verließ und über die gerodete Fläche stolperte, rief er noch einmal an. Niemand meldete sich und Hector machte sich wirklich Sorgen. Er erhöhte sein Tempo. In dieser Mondlandschaft kam er noch langsamer voran als im Wald. Die tiefen mit Wasser vollgelaufenen Kuhlen nebst den Wurzeln, die nach seinen Füßen griffen, machten das Laufen nicht eben leichter. Endlich erreichte er die planierte Fläche und sah das Lager vor sich. Hector lauschte und nahm nur die Geräusche der Natur wahr. Der Wind strich durch die Wipfel der Bäume, hob in kleinen Wirbeln den Mutterboden an und kräuselte die Oberfläche des Sees. Nichts konnte friedlicher sein. Dem Anschein nach. Da er nicht wusste, welchem Umstand er das Schweigen seiner Kollegen zu verdanken hatte, bewegte er sich, jegliche Deckung ausnutzend, vorwärts.

Hector zählte die Ernter: Es fehlte keiner. Er wollte schon weiter gehen, als er den Geruch bemerkte, fremdartig und nicht hierher gehörend. Er schnüffelte, ohne dessen Ursprung zu erkennen, nur tiefes Unbehagen fühlend, setzte er seinen Weg fort.

Mike lag mit verrenktem Körper und zerschmettertem Kopf in der Werkstatt. Der Champ hatte ganze Arbeit geleistet. Das war Hectors erster Gedanke und er glaubte nicht, dass er falsch lag. Er sah sich weiter um und fand den nächsten.

Sturges war auf der Flucht von dem Roboter überrannt worden. Er lag mit zerquetschtem Oberkörper bäuchlings auf dem Boden.

Die anderen wollten sich in der neuen Unterkunft in Sicherheit bringen. Der Champ hatte sich jedoch Einlass durch die Wand verschafft. Ingmar, Sam und Lena lagen im selben Zimmer. Der Roboter musste sie in wüster Raserei gegen die Wände geschmettert haben. Hector fühlte nichts, nur eine sich ins Unendliche ausbreitende Leere. Das verstörte ihn mehr als der Anblick seiner ermordeten Kollegen.

Hector überzeugte sich davon, dass alle anderen Roboter noch in ihren Boxen standen. Nur der Champ hatte verrückt gespielt. Hector musste Hilfe vom Schiff herbeirufen, bevor der tollwütige Roboter wieder zurückkam. Er lief zur Funkkabine und hielt abrupt inne. Die Tür war eingetreten worden und das Innere des Zimmers glich einem Schrottplatz. Hier konnte er sich keine Hilfe erhoffen. Er rannte zu seiner Unterkunft, schnappte sich ein paar Dinge, die ihm zum Überleben in der Wildnis notwendig erschienen und wollte gerade die Station verlassen, als mit lautem Getöse die Wand seitlich von ihm aufbrach.

Hector ließ das Zusammengesuchte fallen und lief in den Wald, der hinter der Station begann. Er hoffte, dass die eng stehenden Bäume den Roboter bremsen würden und ihm einen Vorteil verschafften. Hector lief bergab. Er drehte sich nicht um, da das Brechen von Bäumen und Ästen die Nähe des Roboters verdeutlichte. Plötzlich lichtete sich der Wald und er lief auf einen Steilabhang zu, unter dem sich der See ausbreitete. Mit letzter Kraft sprintete er dem Wasser entgegen und sprang über die Kante.

Hector schlug wie eine explodierende Granate durch die Wasseroberfläche. Der Champ würde ihm nicht folgen können, da er kein Tauchroboter war. Hectors Frohlocken verwandelte sich in Entsetzen, als er eine Druckwelle spürte und Augenblicke später von einer Kraft, der er nichts entgegenzusetzen hatte, auf den Grund des Sees gezogen wurde. Diese Kraft presste Hector den letzten Rest Luft aus der Lunge.

 

Mit den Armen wirbelnd schoss Hector nach oben und saß aufrecht in seinem Bett. Das Herz schien nicht genug Platz in seinem Brustkorb zu finden. Hector, der sein Zimmer erkannte, begriff, dass alles nur ein Traum war, sein Herz hingegen brauchte etwas länger, bis es zur Ruhe kam.

Hector schaltete das Licht an, wühlte sich aus dem Bett und ging zur Küche. Er hatte die Hand schon am Lichtschalter, als er von einer Stimme aus dem Dunkel begrüßt wurde.

„Hector, kein Licht. Bitte.“

Er zuckte kurz zusammen, ging zum Kühlschrank, nahm eine Flasche Wasser heraus und setzte sich zu Lena an den Tisch.

„Du solltest dich für einen Job in einer Geisterbahn bewerben.“

„Dazu braucht es mehr, als kleine Jungen zu verschrecken.“

„Was ist denn passiert?“

„Vielleicht solltest du doch das Licht anmachen.“

Hector blieb schweigend sitzen.

„Na los, worauf wartest du noch?“

Er erhob sich und schaltete das Licht an. Lenas Anblick verschlug ihm den Atem.

„Ist das Blut? Wer hat dir das angetan?“

„Ich, ganz allein. Plötzlich hat mich eine Hungerattacke gepackt und ich lief wie eine Irrsinnige in die Küche. Ich habe mir das erstbeste Messer aus dem Block geschnappt und mir die Pulsader aufgeschnitten. Ich gierte nach dieser rot sprudelnden Quelle. Es war unbeschreiblich köstlich. Nichts, was ich je in meinem Leben zu mir genommen habe, hat so ein Glücksgefühl in mir ausgelöst. Endorphine schossen in ungeahntem Maße durch den Körper. Irgendwann fühlte ich mich gesättigt. Mit der Sättigung kam der Ekel. Ekel vor mir selbst über diese Tat, die ich nicht zu erklären vermag.“

Sie zeigte ihm die Schnittwunde am linken Arm, doch er konnte den Blick nicht von ihrem blutverschmierten Mund abwenden. Langsam trat er näher.

„Ich glaube, ich bin nur für mich eine Gefahr. Im Moment fühle ich mich gut, habe nur Angst vor der nächsten Attacke.“

„Hast du eine Ahnung, woher diese Gier kommt?“

„Nein. Allerdings habe ich jegliches Essen erbrochen.“

Hector lachte auf.

„Geht mir genauso. Ich trinke nur Wasser.“

Lena nickte. Hector sah sie an und sah zugleich in seine Zukunft.

„Weißt du, wie es um die anderen steht?“

„Nein. Das ist mir auch egal.“

„Du denkst an ...?“

„Ich weiß nicht, wie viel Blut ich heute getrunken habe. Vielleicht einen halben Liter, spielt ja doch keine Rolle. Sollte sich die Menge von Mal zu Mal steigern, wovon ich ausgehe, dann wird der Zeitpunkt kommen, an dem ich verblute. Allerdings werde ich vorher bewusstlos. Doch eine innere Stimme sagt mir, dass sich das hier anders abspielen wird. Ich denke, ich werde mich leer trinken. Allein diese Vorstellung nimmt meinem Suizid jeglichen Schrecken.“

„Zieh nur keine voreiligen Schlüsse.“

„Sollte es besser ausgehen, werde ich nicht traurig sein. Na los, gehen wir wieder zu Bett.“

Kaum hatte Hector die Tür hinter sich geschlossen, starrte er seine Handgelenke an und fragte sich, wann er diese Adern gierig aussaugen würde. An Schlaf war nicht zu denken.

Geständnis

 

Hector wühlte sich den Rest der Nacht durch sein Bettzeug und fiel kurz vor der Morgendämmerung in einen unruhigen Schlaf. Er erwachte durch ein Klopfen an seiner Tür.

„Alles in Ordnung mit dir?“

„Ja, habe nur verschlafen.“

Hector stand auf und ging unter die Dusche. Trotzdem fühlte er sich immer noch wie gerädert. In der Küche wartete Lena mit einem Glas Wasser auf ihn.

„Hier, dein Frühstück.“

Er brachte ein schiefes Lächeln zustande und stürzte das Glas in einem Zug hinunter. Gemeinsam verließen sie ihre Station und gingen zu den anderen hinüber. Sie wurden schon erwartet. Hector erntete von Sturges einen missbilligenden Blick.

„Schön, dass ihr Zeit gefunden habt, vorbeizuschauen.“

„Halt die Klappe, Robert. Wir haben Probleme und müssen darüber reden. Sofort!“, erwiderte Lena in einem Ton, der allen Anwesenden klar machte, dass etwas Außergewöhnliches vorgefallen war.

„Zwei Tage lang habe ich keinen Bissen zu mir genommen. Gestern Abend wurde ich von dem unwiderstehlichen Drang gepackt, mein Blut zu trinken. Und ich habe es getrunken. Hector hat seit drei Tagen nichts mehr gegessen und steht möglicherweise kurz davor, dasselbe zu tun. Wer von euch hat ähnliche Probleme? Aber erzählt mir keinen Scheiß, dafür ist die Sache zu wichtig.“

Eine Zeit lang herrschte Schweigen, dann meldete sich der Mann zu Wort, der sonst immer im Hintergrund blieb.

„Mir geht es wie dir, Lena“, sagte Ingmar. Die anderen folgten dem Beispiel ihres großen Schweigers und murmelten anschließend ebenfalls ihre Zustimmung.

„Wir müssen die Rutger Hauer über unseren Zustandinformieren und uns an Bord untersuchen lassen. Ist jemand anderer Meinung?“ 

Lena nahm das Schweigen als Zustimmung und bat Sturges, die Verbindung zum Schiff herzustellen. Hector sah, dass die Männer erleichtert waren, die Heimlichtuerei beenden zu können. Da alle dieselben Symptome aufwiesen, musste sich niemand mehr als Aussätziger fühlen.

Sie bildeten einen Halbkreis um Sturges, der sich vor das Funkgerät gesetzt hatte. Er übermittelte den besorgniserregenden Zustand seines Teams und wartete auf die Antwort des Kommandanten.

„Hallo Robert, wir haben uns kurz beraten und werden euch umgehend einen Gleiter schicken. In der Zwischenzeit errichten wir hier eine Quarantänestation. Nehmt nichts mit. In der Luftschleuse des Gleiters findet ihr Kleidung zum Wechseln. Bis nachher“, sagte der Kommandant und beendete das Gespräch.

„Der war aber kurz angebunden“, meinte Mike, „der hat nicht mal so getan, als ob er Mitleid mit uns hätte.“

„Warum sollte er auch. Wir bereiten ihm Ungelegenheiten. Unser Kommandant hat es faustdick hinter den Ohren. Der wollte bestimmt mit einer Kollegin aus der Sportabteilung zu Mittag essen und besagte Dame anschließend zum Dessert vernaschen. Wir bringen seinen Tagesablauf durcheinander“, grinste Sam anzüglich.

„Dir fällt auch nichts Neues mehr ein“, sagte Lena zu ihm.

„Ich sage nur die Wahrheit“, beharrte er.

„Ab nach draußen, der Gleiter ist im Anflug.“

Sturges beendete die Diskussion und alle verließen die Station. Hector setzte sich ab, um sein Tagebuch zu holen. Es leuchtete ihm nicht ein, dass sie nichts mitnehmen durften, wo sie doch unter Quarantäne gestellt werden sollten.

„Wo bist du, William?“, rief er in sein Zimmer hinein.

„Auf dem Bett.“

Hector durchwühlte alle dort herumliegenden Sachen, bis er William fand. Als er die Tür der Station schloss und zum Landeplatz hinüber sah, stand dort niemand mehr. Hatte man ihn vergessen? Er rannte los. Nach der Hälfte der Strecke hielt er abrupt inne. Er traute seinen Augen nicht. Am Rande der Landebahn lagen die Mitglieder seines Teams wie gefällte Bäume. Hector sah sich um. Sonst hatte sich nichts verändert. Vorsichtig näherte er sich dem Unglücksort. Er hockte sich vor Lena hin und sah, dass eine Laserwaffe ganze Arbeit geleistet hatte. Auch die anderen waren auf dieselbe Art getötet worden. Hector fiel nur eine Erklärung ein: Sie mussten vom Gleiter aus im Vorbeiflug erschossen worden sein. Nur warum? Er musste sich die Antwort schuldig bleiben. Es wäre gut möglich, dass die Mörder ihren Irrtum bald bemerkten und wiederkamen, ihn zu liquidieren. Dieser Gedanke erfüllte ihn mit Trotz. Er wollte sich nicht wie ein Schaf abschlachten lassen.

Hector machte mit seinem Tagebuch schnell ein paar Fotos von der Szenerie. Vielleicht würden sich die Bilder eines Tages als nützlich erweisen. Dann lief er zur Station zurück. Hector hatte nur den Plan, so schnell wie möglich zu verschwinden. Der Urwald bot bestimmt sichere Verstecke. Er suchte sich ein Messer und einen Behälter für Wasser, zog eine robuste Jacke über und verließ die Station.

Die Sonne stand hoch am Himmel. Doch der Wald umschlang ihn mit Dunkelheit. Unsichtbar für Flugobjekte aller Art suchte er nach einem Weg. Ohne Pause quälte er sich durch undurchdringliches Gelände, bevor er vor Erschöpfung eine Rast einlegen musste. Hector lehnte sich an einen Baum und gönnte sich einen Schluck Wasser. Die Frage nach dem Warum ließ ihn nicht los. Hatten sie dermaßen Angst vor ihnen? Bevor der Kommandant Entscheidungen traf, konsultierte er für gewöhnlich den Bordcomputer. Die rationale Sicht des Computers stellte ein Gegengewicht zur menschlichen Emotionalität dar. Hector konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass der Computer ihre Tötung vorgeschlagen hatte. Sollte er das trotzdem getan haben, war die Welt, die er kannte, aus den Fugen geraten. Was musste geschehen sein, dass ein Computer, dessen oberste Priorität dem Schutz des menschlichen Lebens galt, das Gegenteil veranlasste. War ihre Krankheit so verheerend?

Die Dunkelheit des Waldes beruhigte ihn. Er machte sich keine Illusionen über sein Schicksal: Er stand auf der Abschussliste. Er konnte seinen Tod nur hinauszögern. Die Rutger Hauer war ein schmuckloses Arbeitsschiff und für die Suche nach Menschen nicht ausgerüstet. Seine Gegner mussten ebenfalls improvisieren und wer improvisiert, macht Fehler. Doch solch simple Annahmen wie die Zeitspanne, die er bisher auf der Flucht unterwegs war, verbunden mit der geschätzten Geschwindigkeit, mit der er vorankommen würde, ergäben ein so kleines Zielgebiet, dass sie es nur abholzen mussten, um ihn zu erledigen, wenn nicht diejenigen, die sich damit auskannten, alle tot wären. Das Makabre der Situation war ihm durchaus bewusst.

Vielleicht hatte der Kommandant sich nur mit seinen ranghöchsten Offizieren beraten und beschlossen, kein Risiko einzugehen. Immerhin hatten Wissenschaftler Jahre lang auf dem Planeten geforscht, ohne gesundheitliche Schäden davonzutragen und Hector war kaum zwei Wochen hier.

Dann kam ihm die Idee, dass ein anderes Team ihrem mit der Krankmeldung zuvorgekommen war, in Quarantäne geschickt und als extrem gefährlich eingestuft worden war. Dieser Gedanke trug nicht dazu bei, seinen Tag schöner zu machen. Oder doch? Vielleicht verstand der Kommandant das Töten der eigenen Leute als einen Akt der Gnade, weil er wusste, was ihnen bevorstand. Er hatte sich dieser Gnade entzogen und musste nun zusehen, wie er zurechtkam. Sie hatten kein Interesse an ihm, weil sich das Problem, das er darstellte, bald von selbst erledigen würde. Hector schwirrte der Kopf. Das alles waren nur fruchtlose Spekulationen. Er stand auf und kämpfte sich weiter durch den dichten Wald.

Plötzlich blieb Hector stehen. Er war wie ein Blinder zwischen den Bäumen umhergeirrt, ohne daran zu denken, wie er zur Station zurückkehren konnte. Von nun an musste er seinen Weg markieren, daher ritzte er mit seinem Messer ein großes Kreuz in die Rinde des ihm am nächsten stehenden Baumes. Außerdem veranlasste er sein Tagebuch, sich den Weg zu merken.

Zuflucht

 

Hectors Tag hatte jegliche Struktur verloren. Das ihn permanent umgebende Dämmerlicht verhinderte, dass er die Tageszeiten auseinanderhalten konnte. Wenn es zum Gehen zu dunkel wurde, bereitete er ein Lager aus Zweigen, Blättern und Moos, auf dem er mehr schlecht als recht schlief. Er dachte auch immer daran, die Rinde des Baums, der neben seinem Lager stand, mit einem Kreuz zu zeichnen.

Nach einer schier endlosen Strecke lehnte Hector sich an einen Baum, der von einem Bach in engem Bogen umflossen wurde. Jeden Morgen fühlte er sich schwächer als noch am Abend zuvor. Doch da er sich nur von Wasser ernährte, beunruhigte ihn dieser Umstand nicht weiter. Das Wasser spielte die ihm vertraute gurgelnde Melodie und Hector tauchte seinen Kopf in das kühle Nass. Er hatte Glück, dass es im Wald genügend Bäche gab, an denen er seinen Wasserbehälter immer wieder auffüllen konnte. Hector wischte sich mit dem Ärmel über sein Gesicht und betrachtete die zurückgelegte Strecke, die das Tagebuch aufgezeichnet hatte. Er war froh, dass er nicht im Kreis lief.

Hector musste wieder Sonne tanken und auch sein Tagebuch aufladen, dem er bisher nur wenig anvertraut hatte, um Strom zu sparen. Daher änderte er seine Strategie und folgte nun dem Bachlauf, der ihn zu einem größeren Gewässer führen würde. So seine Hoffnung.

Hector hatte erwartet, im Bach schneller voranzukommen, doch nachdem er der Länge nach ins Wasser gefallen war, weil er eine Wurzel übersehen hatte, quälte er sich wieder am Ufer entlang. Irgendwann schimmerten Lichtreflexe durch das Waldesdunkel und er beschleunigte seine Schritte, die doch nur ein Taumeln waren. Wie ein fehlgesteuerter Roboter stolperte er aus dem Wald.

Hector schrie vor Schmerz auf, denn das Tageslicht hatte ihn so stark geblendet, dass er seine Hände vor die Augen schlug und halb erblindet durch die Finger spähend in den Wald zurücktaumelte. Zitternd warf er sich zu Boden. Er gab seinen Augen genügend Zeit, sich an diese Helligkeit zu gewöhnen und startete einen zweiten Versuch.

Hector stand am Ufer eines Sees, der sich über mehrere hundert Meter Länge erstreckte, was ihn bewog, seine Flucht zu beenden. Er legte sein Tagebuch zum Aufladen in die Sonne und sah sich nach einem Platz um, an dem er einen Unterschlupf bauen konnte. Er sammelte Äste, die er in Form eines spitz zulaufenden Daches anordnete. Das Resultat, das er am frühen Abend begutachtete, verdiente die Bezeichnung Hütte nicht. Doch für den Anfang genügte es. 

Hector zog seine Sachen aus und stürmte wie ein kleiner Junge, dem man eine Wartezeit verordnet hatte, bevor er baden gehen durfte, in den See. Er kreischte vor Wonne und empfand die Wassertemperatur als angenehm. Nach wenigen Schwimmzügen verspürte er Hunger. Vor lauter Entsetzen floh er aus dem Wasser, setzte sich auf einen Stein und betrachtete seine Arme. Nein! Es war nicht der Hunger nach seinem Blut, sondern nach richtiger Nahrung. Ein Steak hätte er jetzt nicht zurückgewiesen. Erleichtert stand er auf, ließ sich in der Sonne trocknen und suchte anschließend im Wald nach Essbarem. Er zerkaute Blätter, probierte Früchte und Samen. Alles erschien ihm geschmacklos. Er knabberte von jungen Zweigen die Baumrinde ab und spukte sie angewidert aus. Sie schmeckte bitter. Er lief zum See, seinen Mund auszuspülen. Doch bevor er dort ankam, rebellierte sein Magen, der keine feste Nahrung mehr gewohnt war. Hector erbrach die gesamte Mahlzeit und blieb erschöpft liegen, nachdem das Würgen ein Ende gefunden hatte.

Obwohl er sich elend fühlte, war er guten Mutes. Er hatte Hunger verspürt. Es würde ihm nicht so ergehen wie den anderen, die nach ihrem eigenen Blut gegiert hatten. Er war auf dem Weg der Genesung.

Hectors Tag gewann an Struktur. Der Sonnenstand zeigte ihm den Verlauf der Stunden an, den er im dunklen Wald nur erahnen konnte. Nach und nach gewöhnte sein Magen sich daran, wieder feste Nahrung aufzunehmen. Nur dass er das Essen nicht kochen konnte, wurmte ihn. Allein mit einem Messer ausgerüstet, sah er für sich keine Möglichkeit, ein Feuer zu entfachen. Er musste warten, bis sich die Natur seiner erbarmte und Feuer vom Himmel schickte. Doch hatte es in der Zeit, die er auf epsilon Eridanus verbracht hatte, noch kein Gewitter gegeben. So würde er auch zukünftig nur kalte Speisen verzehren. Doch davon einmal abgesehen führte er ein behagliches Leben.

 

„William, mein Freund, du bist über meine Situation im Bilde. Die letzten Tage ist die Temperatur gefallen. Wird es in der Region einen Winter mit Minusgraden geben, erfriere ich. Daran besteht kein Zweifel. Sag jetzt nicht, ich soll auf einen Blitzeinschlag warten, das mache ich schon die ganze Zeit. Was schlägst du vor?“

„Du musst deine Hütte winterfest machen und dir einen Nahrungsvorrat anlegen.“

„Damit zögere ich mein Erfrieren nur hinaus.“

„Ja, doch das ist die Voraussetzung für dein Überleben. Wenn das Eis auf dem See dick genug ist, wirst du dir einen Block herauslösen und ihn mit deinem Messer zu einer Linse formen, die du anschließend schleifst. Diese Linse benutzt du als Brennglas. Mit ein wenig Übung wirst du damit in der Lage sein, ein Feuer zu entfachen. Was hältst du davon?“

„Besser als kein Plan. Dann sollte ich sofort damit beginnen, trockenes Gras zu sammeln.“

„Nein, zuerst brauchst du einen trockenen Raum, in dem du dein Brennmaterial lagern kannst und einen für deine Vorräte.“

„Ja, gut und wie geht es weiter?“

„Du stichst dir Grassoden aus und schichtest sie wie Ziegelsteine auf einen Unterbau aus Ästen. Das gibt der Konstruktion die nötige Stabilität.“

„Das könnte sogar funktionieren.“

„Es hängt allein von deiner Geschicklichkeit ab. Deine Hütte solltest du auch nach diesem Konzept umgestalten.“

„Dann kommt wenigstens keine Langeweile auf.“

„Dich zwingt niemand, hier zu überwintern. Du kannst zur Station zurückgehen.“

„Woher weißt du, dass ich nicht mehr verfolgt werde?“

„Das hast du dir nur eingebildet. Gab es dafür irgendwelche Anzeichen?“

„Hätte ich welche bemerkt, wäre ich vielleicht schon tot.“

„Gut möglich. Du kannst versuchen, hier zu überwintern und im nächsten Frühjahr zur Station zurückkehren.“

„Versuchen? Zweifelst du am Gelingen?“

„Ich habe keine Ahnung, wie hart der Winter hier ist. Gibt es viele Tage mit Temperaturen von unter minus 20 Grad, überlebst du nicht. Die andauernde Kälte wird dich zermürben.“

„Ich lasse es auf einen Versuch ankommen.“

„Das habe ich nicht anders erwartet. Doch gib nicht mir die Schuld, wenn du scheiterst.“

„Versprochen.“

 

Natürlich hatte es sich bei William einfacher angehört, als es in Wirklichkeit war. Hector plagte sich mit den Grassoden ab, die mit ihrem Wurzelwerk tief im Boden ankerten. Obwohl er von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang arbeitete, nahm der Lagerraum nur langsam Kontur an. Jeden noch so kleinen Fortschritt hielt er vor dem Einschlafen in seinem Tagebuch fest. Der 23. Eintrag fiel länger aus als die übrigen, weil Hector, am Ende der Bauarbeiten angelangt, seiner Freude freien Lauf ließ.

Die nächsten Tage sammelte er trockenes Altholz, Gräser und Moose. Anschließend legte er sich einen gebührenden Vorrat an Früchten, Wurzeln und Blättern zu, wie William es geraten hatte.

Seine aktive Phase endete abrupt. Träge lebte er nun in den Tag hinein und manchmal aß er sogar von seinen Vorräten, weil er zu faul zur Nahrungssuche war. William kritisierte ihn für diese Handlungen und mahnte ihn, sich nicht gehen zu lassen. Was wusste ein Tagebuch vom Überleben in der Wildnis, von den Momenten der Einsamkeit, die über ihn herfielen wie Wespen über einen Pflaumenkuchen? Hector winkte ab. Natürlich war ihm klar, dass er nicht nachlässig werden durfte. Doch an manchen Tagen war er eben weniger klug als an anderen.

Winter

 

Das Warten auf den Winter fand ein jähes Ende. In einer klaren Nacht fiel die Temperatur auf mehrere Grad unter Null, sodass Hector seine Hütte verlassen musste, um sich warm zu laufen. Die Vorstellung, sich jetzt in der Station ins Bett zu kuscheln, hatte ganz gewiss etwas Verlockendes. Nachdem er am Seeufer entlang getrabt war, nahm er die Wärme mit in seine Hütte und schlief kurz darauf ein. Doch schon bald kroch er nach Wärme suchend in sich zusammen und spürte die durch alle Schichten seiner Bekleidung heranschleichende Kälte. Die Kälte war der Feind und er hatte ihr nichts entgegenzusetzen. Er drehte sich von einer Seite auf die andere, wollte die Decke, die er nicht hatte, eng um seinen Körper ziehen. Hector erwachte abermals durchgefroren. Müde rappelte er sich auf und lief erneut am See entlang. Doch nachdem er sich wieder hingelegt hatte, verhinderte die Erinnerung an die Tortur des Frierens sein Einschlafen. Er wälzte sich bis zum Morgengrauen unruhig hin und her.

Nach dem Aufstehen prüfte Hector die Eisdicke am Seeufer. Er schätzte sie auf knapp zwei Zentimeter. Hielt die Kälte weiter an, konnte er in spätestens fünf bis sechs Tagen eine Linse anfertigen. Das bedeutete, eine Woche lang nachts zu frieren und tagsüber immer in Bewegung zu bleiben. Schon nach einer durchwachten Nacht fühlte er sich wie erschlagen. Missmutig nahm er sein Frühstück ein, das besonders kalt war. Er hatte sich gut auf den Winter vorbereitet gewähnt und jetzt fürchtete er sich bereits nach dem ersten Wintertag vor der kommenden Frostnacht. Auch ein Rückmarsch zur Station kam nicht mehr infrage, da er die Nächte schutzlos nicht überleben würde.

Zwei Tage später ging Hector zum See und suchte nach einer geeigneten Stelle, die Eisdecke aufzubrechen. Der flache Uferbereich schien ihm bestens geeignet für sein Vorhaben. Zuerst zerstieß er mit einem starken Ast das Eis, schob ihn anschließend durch das entstandene Loch unter die Oberfläche und brach sie weiter auf. Die ersten Bruchstücke waren erwartungsgemäß zu dünn für eine Linse, wie sie ihm vorschwebte, sodass er sich Stück für Stück zu dickerem Eis vorarbeitete. Als Hector meinte, das Eis wiese die notwendige Stärke auf, konnte er es mit dem Ast nicht mehr aufbrechen, betrat den See und markierte mit seinem Messer die Größe des benötigten Blocks.

Die Sonne stand am blauen Himmel. Dankbar empfing Hector ihre Wärmestrahlung. Das Freilegen des Blocks, der eine Seitenlänge von einen halben Meter bei einer Dicke von mehr als zehn Zentimetern hatte, erwies sich mit seinem Messer als schweißtreibende Arbeit. Er kniete auf dem Eis und vertiefte seine gezeichneten Umrisse. Es gelang ihm immer nur, kleine Stücke abzubrechen, die ihn mitunter schmerzhaft an den Händen oder im Gesicht trafen. Doch die Vorstellung, kommende Nacht neben einem Feuer liegen zu können, ließ ihn pausenlos weiterarbeiten.

Mit dem Ast dirigierte Hector den Block dem Ufer entgegen. Nachdem er ihn geraume Zeit bearbeitet hatte und kaum ein Fortschritt zu verzeichnen war, wusste er, dass der schwierigste Teil noch vor ihm lag. Doch durch die Sonneneinstrahlung wurde die Oberfläche des Blocks weicher, was ihm die Arbeit erleichterte. Seine Finger waren inzwischen taub, da er für die Schaffung einer glatten Linsenoberfläche nur seine Hände verwenden konnte. Hector betrachtete sein Tagwerk. Der sperrige Eisblock hatte eine Metamorphose durchgemacht und sich in ein optisches Werkzeug verwandelt, das seiner Funktionsprobe harrte.

Hector hatte diesen Augenblick herbeigesehnt. Den Moment, an dem er Feuer machte, um dem Winter die Stirn zu bieten. Was er nicht vorhersah, war die Angst, die mit der Fertigstellung der Linse von ihm Besitz ergriff. Erfolg oder Misserfolg entschieden über sein Weiterleben oder Sterben. Er hätte lieber den kleinen Finger seiner rechten Hand geopfert, als sich diesem Test zu unterziehen. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch bereitete Hector die Stelle für das Lagerfeuer, kniete sich davor nieder und hielt die Linse in die Sonne. Er variierte den Abstand, bis ein heller Punkt auf dem trockenen Brennmaterial zu erkennen war. Als Kind hatte er auf diese Weise Papier entflammt. Er wartete. Rauch kräuselte empor und kurz darauf glimmte ein Flämmchen auf, das sich bald darauf zu einem Feuer mauserte. Hector legte die Linse beiseite und streckte seine Hände den Flammen entgegen. Als er die Wärme spürte, wollte er vor Glück zerfließen. Alles je Erlebte verblasste vor diesem Augenblick, der gewöhnlicher nicht sein konnte.

Nachdem Hector seiner Gefühlsaufwallung wieder Herr geworden war, sah er sich mit der Aufgabe konfrontiert, das Feuer am Leben zu erhalten. Er war von der Arbeit ausgelaugt, was er erst jetzt nach dem Abklingen des Endorphinrausches bemerkte. Die Wahrscheinlichkeit war hoch, dass das Feuer in der Nacht erlosch, während er wie ein Stein schlief. Ihm graute davor, frierend aufzuwachen. Sollte der folgende Tag einen von Wolken verhangenen Himmel zeigen, stände es schlimmer um ihn als zuvor. Er hatte eine Chance erhalten und sie genutzt. Er konnte nicht darauf bauen, ein zweite zu bekommen.

„Hallo William, mein Freund, fällt dir etwas Gescheites ein?“

„Klar, zünde den Wald an. Das Feuer wird bestimmt nicht so schnell ausgehen.“

„Deine letzten Ratschläge waren von deutlich besserer Qualität.“

„Ich kann dir nur das anbieten, was du im Laufe der Jahre in mich hineingeschrieben hast. Das mit dem Waldbrand ist jetzt 18 Jahre her.“

Hector überlegte einen Moment.

„Damals wurde ich eingeschult. An einen Waldbrand kann ich mich nicht erinnern.“

„Klar, so etwas würde jeder verdrängen. Gleich zu Beginn deiner ersten Ferien hattest du die grandiose Idee, auf einer Waldlichtung ein Feuer zu entzünden. Soll ich weitererzählen?“

„Erspare mir die Schmach. Mein Vater kam hinzu, hat das Feuer gelöscht und mich anschließend verhauen.“

„Erinnerung ist doch ein schönes Geschenk.“

„Nicht jede. Ich werde am See ein großes Feuer anzünden, das die Nacht über brennt. Wenn ich frierend erwache, kann ich das Feuer in der Hütte schnell wieder in Gang bringen.“

„Damit es lange brennt, solltest du auch feuchtes Holz nehmen.“

„Ich lege alles drauf, was ich finden kann.“

 

Wie erwartet, erwachte Hector frierend in der Nacht. Das Feuer in der Hütte war erloschen und kalte Luft drang durch den Rauchabzug im Dach herein. Hector öffnete die Tür und sah das Feuer am See brennen. Erleichtert lief er hin und holte Glut, um es in der Hütte neu zu entfachen. Als er wieder vor Kälte aufwachte, ging bereits die Sonne auf. Das Feuer am See brannte noch immer und er eilte hin, Wärme zu tanken.

Beim Frühstück experimentierte er mit verschiedenen Früchten, die er in die Glut legte. Die Wärme, die sich in seinem Magen ausbreitete, erhöhte sein Wohlbefinden. Durch den Garprozess wurde das Essen allgemein bekömmlicher. Auf einen heißen Tee musste er jedoch verzichten, da er kein feuerfestes Gefäß besaß.

Nach dem Frühstück suchte er nach Holzstücken, mit denen er das große Feuer am Leben erhalten konnte. Bis zum Abend hatte er einen ansehnlichen Haufen aufgeschichtet.

Wenn er sich ans Feuer setzte, in die Flammen blickte und sich wilde Geschichten ausdachte, ähnelte sein Aufenthalt am See einem Abenteuerurlaub. Zog die Kälte seinen Rücken hinauf, wandte er sich um, bis der Rücken wieder erwärmt und sein Gesicht abgekühlt war. Hector hatte schon weniger Spaß an einsamen Wintertagen gehabt.

 

Der Wetterumschwung kam über Nacht. Der Wind frischte auf und schob Wolken vor sich her. Gegen Morgen begann es zu schneien. Hector schaute dem fröhlichen Treiben der Flocken zu und da der Schnee dem Feuer nichts anhaben konnte, ging er seiner Hauptbeschäftigung, der Holzsuche, nach. Im dichten Wald bekam Hector vom Schneefall kaum etwas mit, aber als er wieder zur Lichtung am See gelangte, war alles von einer dicken Schneehülle umgeben. Doch das Feuer brannte wie eh und je. Hector legte Holz nach und setzte sich dicht an die Flammen, deren Knistern er als einziges Geräusch wahrnahm, da der Schnee alle anderen dämpfte.

Gegen Abend hatte der Schneefall noch zugenommen und Hector musste den Eingang zur Hütte freiräumen. Im Innern fühlte es sich weniger kalt an. Bevor er das Feuer zur Nacht entfachte, stieß er mit einem Ast den Rauchabzug frei. Ein paar Schneeflocken fanden den Weg durch die Öffnung, bis der abziehende Rauch das Eindringen weiterer verhinderte.

Am Morgen mühte Hector sich vergebens ab, die Tür zu öffnen. Entweder lag ein Bär davor oder er war eingeschneit. Da Hector noch nie einen Bären zu Gesicht bekommen hatte, fand er es bemerkenswert, von einem zu träumen. Auf seinem Heimatplaneten gab es nichts, was diesem Tier auch nur entfernt ähnelte. Seltsam, dachte er und schnitt das Flechtwerk aus Zweigen auseinander, das er euphemistisch Tür nannte. Anschließend wühlte er sich durch den Schnee nach draußen.

Hector bestaunte die verzauberte Welt. Er betrachtete die Bäume, die ihre Äste unter der weißen Last hängen ließen, als wären es Behausungen von Riesen. Er stürzte sich in Schneewehen und wusch sein Gesicht, bis es glühte. Er sah sich nach seinem Feuer um. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, als dort, wo er die Feuerstelle vermutete, nur noch Qualm aufstieg. Hector wollte loslaufen und versank bis zum Schritt im lockeren Schnee. Er ruderte mit den Armen, um das Gleichgewicht zu halten, doch kam er zu spät, die Katastrophe abzuwenden. Die Glut war erloschen. Er griff nur noch in erkaltete Asche, die seine geröteten Hände grau überzog. Hector hatte sich in Sicherheit gewähnt, gedacht, er wäre in der Lage, der Natur zu trotzen, doch in Wirklichkeit hatte er nur Glück gehabt.

Hector ließ sich in den Schnee fallen und starrte ungläubig zu der Stelle, an der gestern noch Flammen in den Himmel gelodert hatten. Wie versteinert saß er da. Die Kälte des Winters war in seinem Herzen angekommen, obwohl er die Wärme der Sonnenstrahlen auf seinem Gesicht spürte. Die Schönheit der Welt drang nicht mehr zu ihm durch. Stunden, Minuten, Sekunden bedeuteten ihm nichts, er hatte jegliches Gefühl für Zeit verloren. Mühsam rappelte er sich auf und schleppte sich zur Hütte zurück. Er schlüpfte durch den Schneetunnel hinein. Nach der Helligkeit im Freien kam ihm das Innere der Hütte besonders finster vor. Licht drang nur durch die enge Deckenöffnung herein. Doch für sein Vorhaben brauchte er kein Licht, jetzt war die Dunkelheit sein Freund. Hector legte sich auf sein Lager. Die Enttäuschung, das Feuer verloren zu haben, hatte ihm jegliche Kraft entzogen. Er machte die Augen zu und wollte nur noch schlafen. Mit etwas Glück würde er den kommenden Tag nicht mehr erleben. Er hoffte auf einen tiefen Schlaf. Sollte er träumen, so wünschte er, es möge von Bären sein. 

II: Stellan

 

Castor und Pollux

 

Stellan Gardner hatte für das Firmenkonsortium Bigger World