Flucht - Reimon Nischt - E-Book

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Reimon Nischt

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Beschreibung

Walter Carson findet sich im Krankenhaus wieder. Nachdem er Broderick Mark und dessen Bodyguard getötet hatte, wurde er beim Verlassen der Villa schwer verletzt. Kaum zu Kräften gekommen, erfährt er, dass er zu lebenslänglicher Haft auf dem Renegad verurteilt wurde. Doch die Sicherheitspolizei glaubt nicht an die Tat eines Einzelnen und will an die Hintermänner heran. So verhilft sie Carson zur Flucht und hofft, dass dieser sie zu seinen Auftraggebern führt. Carson sieht eine Möglichkeit, sowohl dem Renegad als auch der Polizei zu entkommen.

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Veröffentlichungsjahr: 2023

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Reimon Nischt

 

Flucht

 

Utopischer Roman

 

 

 

 

Herausgegeben von:

 

www.bilderarche.de 

 

© 2023 Reimon Nischt, Morierstr. 35a, 23617 Stockelsdorf 

Walter

 

„Mr. Carson, aufwachen!“

Walter fühlte sich wie in Watte gepackt. Er setzte Vertrauen in diese ihn behütende Umgebung. Ihn störte nur das Licht, dem er nicht zu entfliehen vermochte. Er drehte sich zur Seite und fühlte, wie die Dunkelheit nach ihm griff. Er versank in einer anonymen Welt.

„Mr. Carson, aufwachen!“

Walter hörte ein Flüstern. Dieses Geräusch war weit entfernt und er maß ihm keine Bedeutung bei. Ihn störte nur das grelle Licht. All sein Tun war darauf gerichtet, Schatten zu suchen. Schließlich fühlte er Watte und sank hinein.

„Mr. Carson, aufwachen!“

Das Flüstern hatte deutlich an Volumen zugelegt und Walter suchte nach einem passenderen Wort. Stimme. Ja, genau, er hörte jetzt eine Stimme. Die Wörter zerflossen in einem Singsang, dem er keinen Sinn entnehmen konnte. Licht umgab ihn mit einer Helligkeit, die er nur in Sonnennähe vermutet hätte. Nichts, was er unternahm, beseitigte diese bedrohliche Situation. Walter mobilisierte seine letzten Kräfte, um die ihn umgebende Welt zu ignorieren.

„Mr. Carson, aufwachen!“

Die Stimme dröhnte durch den Raum und zerriss die wattierte Welt. Walter musste seine Ohren vor dieser Gewalt schützen, doch war er nicht in der Lage, seine Hände zu bewegen. Walter stellte sich der Gefahr, blinzelte und öffnete schließlich die Augen. Die unerträgliche Helligkeit ängstigte ihn und er schloss sie umgehend.

„Mr. Carson, aufwachen!“

Ein Schatten hing über seinem Gesicht und er öffnete erneut die Augen. Das Licht hatte an Grausamkeit verloren, war aber immer noch grell.

„Nur Walter, bitte. Niemand nennt mich Mr. Carson“, flüsterte er dem Schatten zu.

„Schön Walter, Sie wieder bei uns zu haben“, antwortete dieser.

„Können Sie das Licht dämmen?“

„Erst wenn Sie wach sind.“

„Ich will nur Schlafen“, murmelte Walter.

„Geben Sie sich mehr Mühe.“

Was war das für ein Witzbold, der von Mühe geben redete? Was meinte er damit? Walter erfasste den Sinn der Worte nicht und driftete weg.

 

Walter schlug die Augen auf. Er wusste nicht, wo er sich befand oder wie er hierher gekommen war. Allmählich manifestierte sich der Eindruck, dass er in einem Bett auf einer Krankenstation lag. Warum er sich in einem Krankenhaus aufhielt, wusste er nicht. Er rieb sich die Augen, doch sein rechter Arm tat nicht, was von ihm erwartet wurde. Hier stimmte etwas nicht. Ehe Walter den Gedanken in vollem Ausmaß erfasste, durchströmte ihn eine Hitzewelle. So fühlte sich nackte Angst an. Die Welle ebbte ab und er hob vorsichtig seinen rechten Arm hoch. Ein Stumpf trat in sein Blickfeld, dem Hand nebst Unterarm fehlten. Der Stumpf zitterte und erst da merkte Walter, wie er sich anstrengen musste, ihn so hochzuhalten. Ihn verließ alle Kraft und der Arm plumpste aufs Bett zurück. Schweiß klebte wie Sirup an seinem ganzen Körper. Er ließ es geschehen und ignorierte das unangenehme Gefühl. Er bemühte sich, gleichmäßig ein und aus zu atmen. Jedenfalls weiß ich jetzt, warum ich in einem Krankenhaus liege, ging es ihm durch den Kopf. Er sah sich den Stumpf erneut an. Er entdeckte etwas matt Glänzendes und wurde neugierig. Am Ende des Stumpfes schimmerte eine Schnittstelle, an der die zukünftige Prothese ihren Platz finden würde. Was er sah, bestätigte ihm, dass er in guten Händen war. Walter träumte mit offenen Augen davon, eine Tasse Tee zu genießen, die er in seiner Rechten hielt. Beruhigt schlief er wieder ein.

 

Beim nächsten Erwachen stand jemand an seinem Bett. Hatte er Besuch bekommen? Nein. Eine Krankenschwester hantierte an einer Apparatur herum.

„Hallo Walter, ich bin Schwester Jessie. Heute probieren wir Ihre Armprothese aus. Sind Sie bereit?“, fragte sie.

„Lesen Sie mir eine Geschichte vor, wenn ich Nein sage?“

„Freut mich, dass Sie Sinn für Humor besitzen. Den werden Sie hier brauchen.“

„Sie verstehen es, einem den Morgen zu versüßen.“

„Wer unter meine Fittiche gerät, sollte nicht aus Zucker sein. Bitte den rechten Arm ausstrecken.“

Die Schwester setzte die Prothese an und Walter spürte die Schnittstelle fest zugreifen. Er spielte mit den Fingern auf einer unsichtbaren Klaviatur, um ihre Beweglichkeit zu testen. Sein Fazit fiel nüchtern aus: Er würde kein zweiter Beethoven werden.

„Die Prothese gefällt Ihnen nicht? Willkommen im Klub, die mochte bisher noch keiner meiner Patienten.“

Schwester Jessie schien eine nüchtern agierende Person zu sein. Sie erinnerte Walter an frühe Robotermodelle.

„Ich kannte Roboter, die hatten einen ähnlichen Humor wie Sie. Inzwischen sind alle verrostet. Welches Öl hält Sie jung?“

„Wer auf dieser Station liegt, merkt für gewöhnlich nicht, dass ich ein Roboter bin. Respekt.“

„Ich habe mein Leben lang mit Robotern zusammen gearbeitet und sie schätzen gelernt.“

„Dann sollte Ihnen die Prothese gefallen. Sie besitzt nur einen eingeschränkten Funktionsumfang und passt vom Design her eher zu einem Roboter.“

Schwester Jessie hatte recht. Er fühlte sich in die Zeit vor über hundert Jahren zurückversetzt, in der Cyborgs in diesem Look gestaltet worden waren. Es sah sehr retro aus.

„Sie müssen noch an der Beweglichkeit Ihrer Finger arbeiten“, sagte sie und reichte ihm eine Tastatur. „Wenn Sie darauf spielen, erzeugen Sie verschiedene Farbtöne auf dem Display. Je gefühlvoller Sie die Tasten berühren, desto heller erscheinen die Farben.“

Walter ließ sich nicht lange bitten und testete, wie gefühlvoll er seinen Zeigefinger handhaben konnte. Ein stumpfer Blauton erschien.

„Das sieht nach Arbeit aus. Lassen Sie sich nicht entmutigen. Ich komme morgen wieder und sehe mir Ihre Fortschritte an“, bemerkte die Schwester und ließ Walter mit der Tastatur allein. Nachdem er eine Stunde geübt hatte, wirkte der Blauton schon etwas freundlicher.

 

„Willkommen zurück in der Welt der Lebenden, Walter“, sagte Dr. Johansson beim Betreten seines Zimmers. „Ich bin hoch erfreut, dass Sie sich wieder an das Ereignis erinnern können, welches Sie zu uns geführt hat. Ich hatte schon Sorge, dieses Trauma nicht beheben zu können. Sie dürfen mich Laetitia nennen.“

„Ich darf meine behandelnde Ärztin mit dem Vornamen anreden?“

„Das ist ein Privileg all meiner Patienten, die vom Glück begünstigt, nach ihrem Tod weiterleben dürfen.“

„Das nennen Sie Glück? Man wird mich auf den Renegad schicken, wo ich kein Jahr überstehen werde.“

„Das glaube ich kaum. Sie hatten die Chance loszulassen, doch ein sich der Realität widersetzendes Etwas in Ihrem Innern hat sich ans Leben geklammert. Ich kann es nicht anders formulieren, weil es dafür noch keine Worte gibt. In beinahe 20-jähriger Arbeit ist mir das erst zum zweiten Mal zuteilgeworden. Nur Wunder sind noch seltener.“

„Ein langes Leben auf dem Renegad habe ich mir schon immer gewünscht.“

„Ihr Fall wurde noch nicht verhandelt. Warum sind Sie so pessimistisch?“

„Ich habe in ein Wespennest gestochen und kann mir nur schwer vorstellen, ungeschoren davonzukommen. Wie lange plagen Sie sich schon mit mir herum?“

„Drei Monate plus ein paar Tage.“

„Angeblich ist es Androiden verboten, Menschen zu töten. Warum bin ich dann nur durch ein Wunder am Leben?“

„In Ihrem Fall war nicht der Schweregrad einiger weniger Verletzungen, sondern ihre Vielzahl dafür verantwortlich.

„Ich meine gelesen zu haben, dass Androiden die Lebensfähigkeit ihres Gegners erfassen und davon abhängig weitere Maßnahmen ergreifen können. Bei mir schien diese Reaktionskette nicht funktioniert zu haben.“

„Auf dem Gebiet kenne ich mich nicht aus.“

„Macht nichts. Kann ich aufstehen?“

„Sie sollten lieber die Bettdecke zur Seite schlagen und die Frage neu formulieren.“

Walter ließ die Worte seiner Ärztin sacken. Langsam zog er die Decke beiseite, als wäre er ein Zauberer, der die Spannung während der Vorstellung auf die Spitze treiben wollte. Sein linkes Bein war eine handbreit über dem Knie abgetrennt worden.

„Ich war so naiv zu glauben, dass es nur meinen Arm erwischt hat“, sagte Walter, „Sie haben recht, mit einem Bein mache ich keine großen Schritte. Wann bekomme ich das zweite?“

„Sofort, wenn Sie möchten. Wir haben es Ihnen während des Liegens nicht anlegen wollen.“

„Werde ich lange üben müssen, um wieder richtig gehen zu können? Mit meinen Fingern hatte ich ganz schön zu kämpfen.“

„Nein. Es ist zwar eine einfache Prothese, doch in weniger als einer Woche können Sie wieder laufen.“

„So bald? Dann würde es mich freuen, Sie nächstes Wochenende ins Moonriver auszuführen.“ 

„Walter, vor der Tür Ihres Zimmers stehen zwei Wachposten. Seien Sie etwas realistischer.“

„Die beiden bereiten mir keine Kopfschmerzen. Ich dachte schon, Sie würden mir einen Korb geben.“

Dr. Johansson lachte, betätigte eine Taste auf ihrem Tablet und aktivierte einen Roboterarm, der die Prothese auf das Bett legte.

„Versuchen Sie jetzt, Ihr neues Bein anzulegen. Es sollte Ihnen nicht allzu schwer fallen.“

Walter setzte sich auf und brachte die Prothese an der dafür vorgesehenen Schnittstelle mit wenigen Handgriffen an. Ein kurzes akustisches Signal bestätigte ihm den Erfolg.

„Es fühlt sich gut an“, sagte er und schwang sich auf eine Seite des Bettes. Er tastete vorsichtig nach dem Fußboden und richtete sich auf. Die ersten Bewegungen wirkten unbeholfen und nach einigen zaghaften Versuchen setzte er sich erschöpft aufs Bett.

„Es ist anstrengender, als ich gedacht habe“, sagte er.

„Ihr Körper ist noch geschwächt. Doch für mich sah das gut aus. Sie werden keine Woche brauchen, um sich wie gewohnt bewegen zu können.“

„Werde ich, nachdem ich wieder gehen kann, in ein Gefängnis verlegt?“

„Nicht sofort. So schnell werden Sie mich nicht los.“

„Danke Laetitia. Jetzt hätte ich noch eine Bitte: Könnte ich einen Stift und Papier bekommen?“

„Wie ungewöhnlich. Können Sie zeichnen, Walter?“

„Nein, ich weiß nur, dass meine Finger über eine Tastatur fliegen können, doch etwas so Altmodisches wie Schreiben möchte ich nicht missen.“

Laetitia schlug mit der Hand auf ihre vielen Taschen im Arztkittel.

„Ah, da ist er“, rief sie und reichte Walter einen Zettelblock mit Stift.

„Haben Sie gewusst, dass ich danach fragen werde?“

„Selbstverständlich. Ich kenne die Bedürfnisse aller meiner Patienten“, sagte sie, ohne eine Miene zu verziehen.

„Tatsächlich“, entgegnete Walter und grinste schelmisch.

„Noch eines, sollten sie sich schlafen legen, müssen Sie die Beinprothese wieder abnehmen.“

„Solange ich träumen darf, ist mir alles recht.“

„Den Glauben an die Kraft von Träumen sollten Sie sich bewahren.“

„So schlimm steht es um mich?“

Dr. Johansson verließ das Zimmer, ohne zu antworten.

 

Walter hatte gerade die Beinprothese angelegt, als Laetitia ihn besuchte. Er ging ihr entgegen und begrüßte sie.

„Wie kommen Sie zurecht?“

„Sie sehen ja, wie wackelig ich auf den Beinen bin. Ich muss meine sportlichen Ambitionen zurückstecken.“

„Vielleicht auch nicht“, sagte Laetitia vage.

„Wie meinen Sie das?“

„Ich wusste nicht, dass Sie einen Gönner haben.“

„Ich auch nicht. Wie kommen Sie darauf?“

„Weil ich eine Überraschung für Sie habe.“

Sie öffnete die Tür und zog eine Krankenliege herein, auf der zwei unterschiedlich große Taschen lagen.

„Ist das für mich?“

„Daran besteht kein Zweifel. Sehen Sie nach.“

Walter öffnete die kleinere Tasche und ein Unterarm kam zum Vorschein. Er nahm ihn heraus und erkannte sogleich, dass es sich um eine Prothese handelte. Anschließend widmete er sich dem großen Behältnis, das, wie zu erwarten, eine Beinprothese enthielt.

„Das sind Ihre neuen Prothesen. Zögern Sie nicht, sie anzulegen. Ich bin auch neugierig.“

„Das sollen Prothesen sein, die sehen so echt aus. Ich dachte, jetzt ist Raubtierfütterung.“

„Nein. Wir verfüttern nur blutige Gliedmaßen.“

Walter legte die einfache Armprothese ab und setzte das Geschenk an. Die Schnittstelle ließ einige Töne erklingen und Farbsequenzen aufleuchten. Der künstliche Arm verschmolz auf wunderbare Weise mit seinem eigenen.

„Das ist ja unglaublich. Mit der Prothese werde ich Klavierspielen können.“

„Sie können Klavierspielen?“

„Nein, ich werde es lernen und mir für den linken Arm auch eine Prothese anfertigen lassen.“

Walter legte sich aufs Bett und probierte die neue Beinprothese an. Auch wie bei seinem künstlichen Arm wurden akustische und optische Signale erzeugt.

„Das neue Bein fühlt sich so fantastisch an wie der Arm.“

Walter setzte sich im Bett auf und zog die Knie an. Er schwang sich auf eine Seite und ließ sich auf den Fußboden hinunter. Nach wenigen Schritten war das Zögerliche in seinen Bewegungen verschwunden. Er ging beschwingt durchs Zimmer.

„Wer hat mir diese wunderbaren Dinge spendiert, die mit Sicherheit ein Vermögen gekostet haben?“

„Damit haben Sie recht, Walter. Die Prothesen kann man mit Gold aufwiegen, doch der Spender wollte anonym bleiben. Sie haben einen Gönner, der zu schätzen weiß, was Sie getan haben.“

„So sieht es aus und bei gegebener Zeit wird er es mich wissen lassen. In dieser Welt hat alles seinen Preis.“

Walter schritt auf die Ärztin zu und verbeugte sich leicht.

„Darf ich um diesen Tanz bitten.“

„Walter, Sie Charmeur“, sagte sie und berührte wieder eine Taste auf ihrem Tablet. Musik erklang und als ob es zu seinen täglichen Gewohnheiten gehören würde, umtanzte er mit seiner Partnerin die wenigen Möbelstücke im Zimmer.

„Es heißt, Sie hätten zwei Männer erschossen. Stimmt das?“

„Das ist die Kurzfassung. Wollen Sie die ganze Geschichte hören?“

„Ich kann mir nur schlecht vorstellen, dass Sie zwei Menschen umgebracht haben.“

„Es sind immer die Umstände, die einen zum Gewalttäter machen“, sagte Walter und erzählte von seinem Treffen mit Broderick.

„Ich hatte Indizien beisammen, die besagten, dass er meinen Freund eliminiert hatte und meinen Roboter beauftragt, mich zu töten. Ich wollte von ihm die Wahrheit wissen, habe ihn aufgesucht und machte ihm eine Schusswaffe zum Geschenk, die einem meiner Vorväter gehört hatte. Broderick zeigte sich interessiert und ich schlug ihm ein Spiel vor.“

Walter erzählte Laetitia, wie Russisch Roulette funktionierte und wie der weitere Abend verlaufen war.

„Wer die Waffe auf seinen Kopf richtend, sich nicht traute abzudrücken, musste eine Frage wahrheitsgemäß beantworten. Die dritte Runde hat er nicht mehr verkraftet und musste sich meiner Frage stellen. Da er diese wahrheitsgemäß beantwortete, konnte er mich nicht mehr gehen lassen. Er gab seinem Bodyguard ein Zeichen, mich zu liquidieren. Nur war ich schneller und erschoss den Mann mit dem verschenkten Revolver und anschließend Broderick mit der Laserpistole des Bodyguards.“

„Hört sich wie Notwehr an.“

„Ja, nur fürchte ich, dass es sich nicht beweisen lässt.“

„Gibt es keine Aufzeichnungen von dem Geschehen?“

„Der Witz an der Geschichte ist ja gerade, dass Broderick jegliche Überwachung abgeschaltet hat, weil er vorhatte, mich zu beseitigen. Er wollte sich schließlich nicht selber belasten. Da bin ich mir ziemlich sicher.“

„So, wie die Dinge liegen, ist das nicht von der Hand zu weisen.“

„Ja. Nur wie wollen Sie mir daraus einen Strick drehen?“, fragte Walter.

„Ich verstehe Ihre Frage nicht.“

„Sicher tun Sie das. Ich weiß nicht, für wen Sie arbeiten, doch ich bin mir sicher, dass Sie keine Ärztin sind. Ich erzähle Ihnen von einem selbstmörderischen Spiel und Sie tun nicht mal erschrocken. Ich habe die Waffe nur unzureichend beschrieben und auf weitere Fragen ihrerseits gewartet. Ebenso wenig sind Sie auf das Wort Eliminierung eingegangen. Totale Fehlanzeige. Sie wissen nämlich Bescheid und hatten bereits die Möglichkeit, die Waffe selber in Augenschein zu nehmen. Habe ich noch etwas vergessen? Ach ja, trotz dieser unerfreulichen Wendung gefallen Sie mir noch immer, Laetitia.“

„Walter Carson, ehemaliger HyperScout, hat die Caldera entdeckt, auf der ich meine Kindheit verbracht habe. In der Schule gehörte es zum Lehrstoff, den Namen des Entdeckers unseres Planeten zu kennen. Leider ist unsere Bekanntschaft nur von kurzer Dauer, da Sie bald zum Renegad aufbrechen werden, Walter.“

„Sagten Sie nicht, die Verhandlung hätte noch nicht stattgefunden?“

„Ich habe gelogen. Das Verfahren gegen Sie ist bereits abgeschlossen. Sie sind des Doppelmordes für schuldig befunden worden. In Anbetracht Ihres geschwächten Gesundheitszustandes und wegen der drückenden Beweislast wurde darauf verzichtet, Sie in den Zeugenstand zu laden. Ihr Verteidiger hat dagegen protestiert, doch wurde ihm vom zuständigen Richter das Wort entzogen, der argumentierte, der Gerechtigkeit müsse umgehend Geltung verschafft werden.“

„Da Sie meine Version kennen, ist Ihnen der tatsächliche Ablauf bekannt. Mir wurde das Gerichtsurteil noch nicht zugestellt.“

„Ich weiß“, sagte Laetitia und überreichte ihm einen Brief. Walter nahm ihn entgegen und legte ihn ungeöffnet in die oberste Schublade des Schranks neben dem Bett.

„Ich dachte der genaue Wortlaut des Urteils interessiert Sie.“

„Nein. Ich denke, Sie haben mir eine gute Zusammenfassung gegeben. Sind Sie hier, weil Sie die Richtigkeit des Urteils anzweifeln?“

„Nein, das Urteil interessiert mich nicht. Ich bin neugierig auf Sie geworden, als ich erfahren habe, dass Sie der Walter Carson sind.“

„Ich hoffe, Sie sind nicht enttäuscht. Nutzen Sie die Zeit, mich weiter zu befragen oder wollen Sie mich auf dem Renegad besuchen?“

„Allein die Vorstellung ist gruselig“, antwortete Laetitia.

„Jemand hat mir von den Bedingungen, die dort herrschen, berichtet. Gruselig ist eine milde Formulierung.“

„Das kann nicht sein. Die Raumstation im Orbit des Renegad verhindert, dass Meldungen von Gefangenen nach Außen dringen.“

„Das weiß ich wohl. Ich habe mit jemandem gesprochen, der vom Renegad geflohen ist.“

„Das ist unmöglich. Davon hätte ich erfahren. Nein, die ganze Welt hätte davon erfahren!“

„Verkehrter Ansatz. Eine komplette Nachrichtensperre hat verhindert, dass dieses Ereignis medial stattfinden konnte.“

„Erzählen Sie weiter.“

„Ich sage nur soviel: Dieser Mann hat sich freiwillig für medizinische Experimente gemeldet und das Schiff, das ihn und weitere Leidensgefährten zum Zielort fliegen sollte, wurde gekapert.“

„Das ist keine Flucht, sondern Zufall.“

„Trotzdem haben Sie nichts davon gehört.“

„Worauf wollen Sie hinaus?“

„Das Informationsfreiheit eine Illusion ist und wir immer nur mit aufbereiteten Häppchen abgespeist werden. Ich weiß auch, dass nicht alle Unsterblichen auf der Amalterra eliminiert wurden, obwohl es in den Medien stand.“

„In der Tat. Meine Informationskanäle berichten das gleiche.“

„Aber Sie hegen Zweifel. Das sehe ich Ihnen an. Suchen Sie nach Brock Montgomery. Ich finde, das ist eine schöne Hausaufgabe. Wenn wir uns das nächste Mal sehen, werde ich Sie danach fragen.“

„Es wird kein nächstes Mal geben, Walter. Hier trennen sich unsere Wege.“

„Seien Sie zuversichtlicher, Laetitia“, rief er ihr hinterher.

 

Walter hielt Lorenzo für den noblen Spender der neuen Prothesen. Sollte das zutreffen, dann war bestimmt mehr Technik eingebaut worden, als zum Bewegen der Finger nötig war. Er musste nur Zugang zu diesem Equipment erlangen. Walter hatte bereits in der vergangenen Nacht darüber nachgesonnen, doch ohne ein Resultat zu erzielen. Es musste etwas Einfaches sein und etwas, dem nur er Bedeutung beimaß. Da ihm nichts Besseres einfiel, entfernte er die Armprothese und tastete sie ab. Doch dadurch wurde er auch nicht schlauer. Walter betrachtete die Schnittstelle eingehender. Er konnte keine Verschraubungen finden, die er hätte lösen können. Das Einzige, was er ändern konnte, war die Farbe, mit der die Farbsequenz beginnen sollte. Der RGB-Wert war durch das Zahlentripel 231,158 und 113 vorbelegt. Walter änderte die Codierung und beim Ansetzen der Prothese leuchteten die Farben in einer anderen Abfolge. Danach stellte er wieder auf den Standard zurück und überlegte, was er mit dieser Eingabemöglichkeit anfangen konnte.

Es dauerte eine Weile, bis ihm klar wurde, dass der Anfangsbuchstabe seines Vornamens der dreiundzwanzigste im Alphabet war und das A der erste, was nacheinander geschrieben 231 ergab. Sollte das Zufall sein oder führte diese Methode zum Ziel? L und T ergaben 1220 und er war versucht aufzugeben, denn der Farbwert konnte nur im Bereich von 0 bis 255 liegen. Doch dann subtrahierte er solange 255 von der Zahl, bis er einen Wert erhielt, der diesem Intervall entsprach. Walter kam auf 200 und gab die Codierung ein. So verfuhr er auch mit den letzten beiden Buchstaben und erhielt 8. Der neue RGB-Wert lautete 231,200,8 und als er die Prothese ansetzte, kam wie erwartet eine andere Farbreihenfolge zum Tragen, die mit einem Gelbton begann. Gleich darauf ertönte eine leise Stimme, die verkündete, der Sprachmodus sei aktiviert worden.

„Danke“, sagte Walter reflexartig und starrte perplex auf seinen Arm, der sofort mit den Erläuterungen zur Initialisierung begann. Walter musste einen vorgegebenen Text nachsprechen, der zur Stimmenidentifizierung diente, sodass er als einziger über die Berechtigung verfügte, mit der Armprothese zu kommunizieren. Dieser Vorgang nahm einige Minuten in Anspruch.

„Was muss ich tun, um hier herauszukommen?“, fragte Walter, dem zum Test nichts Gescheiteres einfiel.

„Das weiß ich noch nicht so genau. Es gibt nicht nur den einen Weg.“

„Mein Vorschlag lautet: Ich springe aus dem Fenster und lasse mir Flügel wachsen.“

„Wir befinden uns drei Stockwerke unter der Erde. Nächster Vorschlag.“

„Dann nehme ich eben den Fahrstuhl.“

„Das könnte sich als fatal erweisen, da die beiden Wachen vor der Tür einen Schießbefehl haben.“

„Also sag schon, wie gehen wir vor?“

„Wir sollten erst etwas unternehmen, nachdem wir das Gebäude verlassen haben.“

„Vielleicht werde ich an Händen und Füßen gefesselt sein.“

„Davon ist auszugehen und du wirst von zwei Begleitern in ein Flugmobil gesetzt werden, das dich zum Raumhafen bringen soll, wo du allerdings nicht eintriffst.“

„Das gefällt mir schon besser. Kannst du etwas konkreter werden?“

„Leider nein. Ich arbeite noch daran.“

„Weißt du vielleicht, wann ich das Krankenhaus verlassen werde?“

„Das wurde aus Sicherheitsgründen noch nicht bekannt gegeben. Frühestens in zwei Tagen nehme ich an. Ich habe also noch ausreichend Zeit, am Fluchtplan zu arbeiten.“

„Zwei Tage empfinde ich als unzureichend.“

„Auf die Denkprozesse bezogen entspricht ein Tag in meiner Welt etwa einem Jahr in deiner.“

„Dann gehe ich jetzt schlafen.“

„Einen Augenblick noch. Willst du nicht wissen, was dein Bein kann?“

„Das weiß ich schon, es kann tanzen.“

„Gute Nacht, Fred Astaire.“

„Nun lass dich nicht lange bitten.“

„Du kannst Leute durch eine Fußberührung paralysieren.“

„Mehr nicht?“

„Nein. Auf Kleinigkeiten wie Laserkanonen haben wir wegen der Größe verzichtet.“

Walter lachte und ging zu Bett.

 

Laetitia stand in der Tür. Sie hatte nicht angeklopft.

„Ja, kommen Sie herein und erzählen Sie mir, was es so Wichtiges gibt.“

„Ich habe Ihre Hausaufgabe erledigt.

---ENDE DER LESEPROBE---