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Für Flavio, einen jungen Gladiator aus der römischen Provinz, geht ein Traum in Erfüllung, als er von dem Talentsucher Albanus nach Rom geholt wird und sich fortan Tigris nennt. Der Alltag in der neuen Schule besteht vor allem aus Ausdauer- und Schnelligkeitsübungen und unterscheidet sich kaum von dem in der Provinz. Bei seinem ersten Auftritt in der Arena ist Flavio in bestechender Form und begeistert die Zuschauer durch seine Art zu kämpfen. Berauscht vom Sieg besucht er mit Albanus ein Freudenhaus und lernt dort Livia kennen. Zu ihr kehrt er immer wieder zurück. Flavios Sieg in der Arena bleibt nicht ohne Folgen. Ein Patrizier wählt ihn zu einem seiner Leibwächter. Aber auch Antonia, eine wohlhabende Dame, zeigt Interesse an ihm. Doch die Arena ist launisch und Rom ein Hort der Intrigen.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Reimon Nischt
Tigris
Roman
Herausgegeben von:
www.bilderarche.de
© 2024 Reimon Nischt, Moriertstr. 35 a, 23617 Stockelsdorf
Cover © 2024 Andreas Gallas
Es war Brauch, Gefangene auf den Gräbern tapferer Krieger zu opfern; als die Grausamkeit dieser Sitte allen ersichtlich war, beschloss man, Gladiatoren vor den Grabstätten kämpfen zu lassen.
Servius
Die Hitze in der Arena war unerträglich. Ich hatte bereits zwei Stunden geübt und alle meine Muskeln schmerzten. Mir gelang es kaum, mein Schwert zu heben und beim Jupiter, kräftig zuzuschlagen war nur noch ein ferner Wunsch. Die anderen Gladiatoren schleppten sich ebenfalls erschöpft durch die Arena, als wären sie von Herkules gehetzt worden. Endlich hatte Tullius, unser Meister, ein Einsehen und beendete die Schinderei. Tullius war von Übungen zur Verbesserung der Ausdauer besessen und freute sich, wenn wir uns kaum noch auf den Beinen halten konnten. Nur dann, so meinte er, hatte das Üben seinen Zweck erfüllt.
Ich trank einen Schluck Wasser und legte meine Ausrüstung ab. Wir gingen alle zusammen in die Therme, uns zu säubern. Ich war dermaßen erschöpft, dass mir die Lust auf eine Unterhaltung vergangen war. Mir schien es nicht alleine so zu gehen. Nur leises Murmeln verlor sich in den Räumen.
Der heutige Übungstag war der letzte vor dem Wettkampf, der in zwei Tagen ausgetragen werden sollte. Marcus Servilius Caletus war aus Rom zurückgekehrt, um zum Gedenken an seinen vor einem Monat verstorbenen Vater Spiele stattfinden zu lassen.
Ich würde dieses Rom wohl nie zu Gesicht bekommen und als Gladiator in einer unbekannten Arena in der Provinz sterben. Noch war ich jung und hatte die Kraft, meine Widersacher zu bezwingen. Doch war ich nicht blind, was meine Zukunft betraf: Ein jüngerer und kräftigerer Kämpfer würde eines Tages meinen Platz einnehmen und ich läge dann mit einem Schwert in der Brust im Staub der Arena. Doch Rom hätte ich noch zu gerne gesehen. Diese mächtige Stadt, Legenden umwoben und der Mittelpunkt der Welt.
„Träumst du schon wieder von Rom, Flavio?“
„Keineswegs. Ich habe gerade in den Armen einer Frau gelegen, die es an Schönheit mit Venus aufnehmen konnte. Jetzt werde ich nie erfahren, welche Wonnen sie mir bereitet hätte.“
„Frag mich, von der träume ich auch immerzu“, antwortete Severus lachend und schlug mir auf die Schulter. Er war der Kämpfer, mit dem ich eine Zelle teilte.
„Nach den Spielen wird sich bestimmt eine finden, die dir deine Wunden leckt. Jetzt lass uns gehen, sonst bleiben uns nur noch die Reste. Die anderen sind schon längst beim Essen.“
Ich stand auf, legte meine Kleidung an und folgte ihm. Im Speisesaal herrschte eine ausgelassene Stimmung. 24 Gladiatoren plauderten unbeschwert miteinander, als ob sie nie wieder gegeneinander um Leben und Tod kämpfen müssten. Ich setzte mich neben Severus und bereicherte die Unterhaltung mit derben Späßen. Die aufgetragenen Speisen rochen gut. Ich verspürte Appetit und legte mir von den Bohnen auf, die ich mit frischem Brot verschlang.
Nach dem Essen wurde ich müde und ging nach draußen. An der Mauer neben der Übungsarena wuchs ein Baum, der mir ausreichend Schatten bot. Ich lehnte mich an seinen Stamm. Mir stand nicht der Sinn danach, in den Gemeinschaftsraum zu gehen und mein Geld zu verspielen. Ich dachte an Tullius, der einst in Rom als Gladiator gekämpft und sich freigekauft hatte. Er war nach Arello gekommen und hatte mit dem noch verbliebenen Geld eine Gladiatorenschule gegründet. Auf dieses Ziel, eine eigene Schule zu eröffnen, arbeitete ich hin. Noch hatte ich niemandem davon erzählt, aber wenn es so weit wäre, würde ich Tullius um Unterstützung bitten.
„Du bist ein unverbesserlicher Träumer“, rief Severus und trat mir in die Seite, „Komm mit ins Freudenhaus. Wir machen einen drauf.“
„Was gibt es denn zu feiern?“
„Beim Jupiter, natürlich das Ende der Schinderei.“
„Ich feiere in zwei Tagen meinen Sieg in der Arena. Danach werden sich alle Frauen um mich reißen. Vielleicht bin ich großzügig und gebe dir eine ab.“
„Würden Worte den Kampf entscheiden, wärst du unbesiegbar.“
Ich nickte und machte trotzdem keine Anstalten aufzustehen.
„Dir ist einfach nicht zu helfen“, sagte Severus und wandte sich zum Gehen.
„Pass auf dein Schwert auf“, rief ich ihm nach. Severus drehte sich um und grinste. Er hatte recht. Erst das Vergnügen und dann die Arbeit war für einen Gladiator die richtige Reihenfolge. In zwei Tagen konnte ich tot sein und keine Frau im ganzen Land würde mir eine Träne nachweinen.
Der freie Tag zog sich dahin und verlängerte nur die Wartezeit bis zum Auftritt in der Arena. Darüber, dass ich dort den Tod finden konnte, machte ich mir keine Gedanken. Ich hatte mir dieses Leben ausgesucht und kam damit klar. Meine Kampfbilanz konnte sich sehen lassen. Ich hatte bisher 11 Kämpfe bestritten und alle gewonnen. Tullius würde nie zugeben, dass ich sein bester Gladiator war, trotzdem verhielt es sich so.
Damit keiner von uns einen trübsinnigen Abend verbringen musste, gab es ein Festbankett. Alle Gladiatoren speisten in fröhlicher Runde an einer Tafel, von der der Tod ausgeschlossen war. Erst morgen würde er sein Antlitz erheben, uns locken und vielleicht des einen oder anderen habhaft werden. Jetzt kreisten unsere Gespräche um Frauen und Geld und was wir sowohl mit Ersteren als auch mit Letzterem anfangen würden. Wir waren so ernsthaft wie junge Hunde, die ausgelassen herum tollten. Jemand berührte mich an der Schulter.
„Ich muss mit dir reden“, sagte Tullius und ich folgte ihm in seine Kammer.
„Marcus Servilius Caletus hat einen Gast mitgebracht, der auf der Suche nach jungen Talenten für Rom ist.“
„Soll mir das Ansporn sein?“
„Ich weiß doch, dass du dir wünscht, in Rom zu kämpfen. Nutze diese Gelegenheit, wer weiß, ob oder wann sich eine zweite ergibt.“
„Wem hast du noch davon erzählt?“
„Niemandem.“
„Willst du mich loswerden?“
„In der Provinz findest du keine ebenbürtigen Gegner. Nur Rom kann dir die Gelegenheit geben, ein noch größerer Kämpfer zu werden. Gegner, an denen du wachsen wirst, finden sich dort zuhauf.“
„Oder unterliegen und sterben“, gab ich mit einem Lächeln zu bedenken.
„Das ist unser aller Schicksal.“
Mit diesen Worten entließ mich Tullius. Er tat, als ob ihm mein Schicksal am Herzen läge, doch sollte ich morgen besonders gut kämpfen, böte sich ihm eine Gelegenheit, meinen Verkaufspreis in die Höhe zu treiben. Damit, dass ich mir meinen sehnlichsten Wunsch so bald erfüllen konnte, hatte ich nicht gerechnet.
Eine Fanfare kündigte den Einmarsch der Gladiatoren an und wir betraten in voller Rüstung, doch ohne Waffen, das Amphitheater, in dem etwa 4000 Menschen Platz fanden. Ich blickte in die Runde: Jeder Platz schien besetzt zu sein. Unsere ausgelassene Stimmung vom Abend zuvor hatte sich auf die Zuschauer übertragen. Nach der feierlichen Begrüßung wurde dem Verstorbenen und seiner Taten gedacht. Anschließend verließen wir die Arena und versammelten uns in einem Wartebereich, wo wir das weitere Geschehen nicht verfolgen konnten und auf unseren Aufruf warteten.
Murmillo nannte sich eine Gladiatorengattung, die mit Kurzschwert und großem Schild bewaffnet war. Solch einen Kämpfer verkörperte ich in der Arena. Meine Gegner waren der Thraex oder der Hoplomachus. Ersterer kämpfte mit einem Krummschwert und schützte sich durch einen mittelgroßen Schild. Letzterer war mit Stoßlanze und Dolch bewaffnet, wobei ein kleiner Rundschild an dem Stichwaffen führenden Arm angebracht war. Heute würde mir der Hoplomachus in der Arena gegenüberstehen.
Nachdem drei Viertel der Kämpfe beendet waren, wurde mein Name aufgerufen und ich schritt mit meinem Gegner, der aus dem benachbarten Tor kam, zur Mitte der Arena. Wir nahmen einander gegenüber Aufstellung und ließen den Schiedsrichter unsere Rüstungen begutachten und die Waffen inspizieren, ob sie auch scharf genug zum Töten wären.
Der Kampf wurde freigegeben und mein Gegner schwang die Lanze über seinem Kopf, wofür er Beifall von den Rängen erhielt. Ich biederte mich nie beim Publikum an. Mein Ziel bestand darin, den Kampf zu gewinnen und bei diesem Vorhaben konnten mir die Zuschauer im Amphitheater nicht behilflich sein.
Mein Gegner begann um mich herum zu tänzeln und ich wehrte die Lanzenangriffe mit dem Schild ab. Vorsichtig näherte ich mich dem Hoplomachus, achtete ständig auf die Lanze, die immer wieder mit der Gefährlichkeit einer Giftnatter vorstieß und wurde mit dem Schild aktiv. Das Abtasten ging allmählich in den Kampf über. Ich zog die Eröffnung nie unnötig in die Länge, da das die Zuschauer gegen mich aufbringen konnte und sie mir im Falle meiner Niederlage vor lauter Unmut den Tod wünschten. Lieferte ich hingegen einen spannenden Kampf und unterlag trotzdem, durfte ich auf ihre Gnade zählen.
Noch hielt ich mein Schwert zurück und parierte die wie einen Pfeilhagel auf mich niedergehenden Lanzenstöße mit dem Schild. Die Schnelligkeit und Wucht, mit der mein Gegner seine Angriffe führte, würde ihn bald ermüden. Ich testete seine Abwehrreaktionen, indem ich immer wieder fintenreich angriff. Ich versuchte, ihn mit meinem Schild zu Fall zu bringen, wenn wir uns näherkamen und mit dem Schwert zu treffen. Doch er war auf der Hut und wich meinem Schwert geschickt aus.
Jeder Kämpfer macht Fehler. Es ist nur schwierig, sie im Eifer des Gefechtes als solche zu erkennen und sich einen Vorteil zu verschaffen. Nach einem ungenauen Lanzenstoß, der an meinem Schild abrutschte, sprang ich ihm entgegen, drehte mich dabei um die eigene Achse und schlug mit dem Schwert den Lanzenschaft entzwei. Der Gegner versuchte mich mit dem Dolch in seiner Linken an der Schulter zu treffen, doch ich duckte mich und schwang herum, sodass seine Klinge mit einem hässlichen Kratzen nur über den Schild schrammte.
Ich hatte die Umgebung ausgeblendet. Ob die Zuschauer buhten oder applaudierten, nahm ich nicht mehr wahr. Es gab nur mich und den Hoplomachus.
Ich hatte mir ein Waffenübergewicht erkämpft und musste mit einem Gegner rechnen, der alles in die Waagschale warf, um den Sieg zu erringen. Dieser Sieg schien nicht unmöglich, da er noch über Dolch und Schild verfügte. Doch hatte er seine Reichweite verloren.
Ich griff mit Schild und Schwert an, um zu sehen, auf welche Art er sich verteidigte. Der Hoplomachus wich beiden Waffen aus und blieb auf Distanz. Ich bedrängte ihn hart, sodass er schließlich seine Strategie änderte und die Angriffe meines Schwertes mit seinem Schild abwehrte. Darauf hatte ich gelauert und warf mich ihm entgegen. Mein Gegner sprang hoch ab und flog mit dem Dolch voran auf mich zu. Bevor er mich an der Schulter treffen konnte, warf ihn der Schwung meines Schildes zu Boden. Er rollte ab und kam gleich wieder auf die Beine. Ohne zu zögern machte ich einen Ausfallschritt und stieß mein Schwert in seine ungeschützte Seite. Blut spritzte aus der Wunde hervor und hinterließ dunkle Spuren auf dem hellen Sand der Arena. Ehe ich nachsetzen konnte, riss mein Gegner den Arm zum Zeichen der Aufgabe nach oben und brach zusammen. Der Schiedsrichter griff ein und beendete den Kampf.
Marcus Servilius Caletus ließ die Zuschauer über das Schicksal des Verlierers entscheiden. Ich stand bereit, meinem Gegner mit dem Schwert den Todesstoß zu versetzen, sollte die Menge dies verlangen. Doch sie hatten einen guten Kampf und noch dazu Blut gesehen, was sie gnädig stimmte. Für den Hoplomachus wurde eine Trage gebracht und seine Wunde sofort versorgt. Anschließend trug man Severus hinaus. Mein Freund würde wieder genesen. Ich hatte ihm nur eine Fleischwunde zugefügt.
Zum Zeichen des Sieges wurden mir Palmzweig und Münzen überreicht. Ich schwenkte den Zweig und lief mit erhobenem Schwert eine Runde in der Arena, vernahm Beifall und Bekundungen meiner Tapferkeit von den Rängen und genoss diesen Moment.
Anschließend verließ ich die Arena durch das Tor der Sieger und wusste, dass Severus auch lebte, weil ich ihn verwundet hatte. Bevor ich die Therme aufsuchte, schaute ich nach ihm, doch der Arzt schickte mich fort, weil der Verwundete bereits schlief. Nach dem Besuch der Therme ließ ich mich von meinem Masseur durchkneten. Danach war ich bereit, mich den Vergnügungen hinzugeben, die mir die Frauen verhießen.
„Du kannst schon wieder aufstehen?“, rief ich Severus statt einer Begrüßung zu.
„Der Arzt hat mir ein paar Schritte erlaubt. Er sagt, meine Wunde heilt schnell und ich werde bald wieder kämpfen können.“
„Du hast es sicher schon erfahren, ich bin gekommen, mich zu verabschieden.“
„Tullius hat erwähnt, dass du nach Rom gehst.“
„Zu mir hat er gesagt, wenn ich nicht gut kämpfe, werde ich in der Provinz versauern.“
„Tullius versteht es ausgezeichnet, Drohungen in gewöhnliche Worte zu packen und sie schicksalhaft klingen zu lassen. Er hätte dich in der Übungsarena bis aufs Blut gepeinigt.“
„Da bin ich mir sicher. Doch meinen Schwertstoß hat er als meisterliche Kampfeskunst bezeichnet.“
Severus schwieg einen Moment und nickte wie zur Bestätigung.
„Hättest du mich nur zwei Fingerbreit weiter rechts verwundet, würden jetzt Blümchen auf meinem Grab wachsen.“
„Wirst du jetzt zu einem Philosophen? Die Bestimmung deines Lebens liegt darin, in der Arena zu sterben, genau wie die meine. Ich habe dir dieses erhabene Ziel verwehrt, weil ich dich nicht den zarten Händen deiner weiblichen Anhängerschaft entreißen wollte.“
„Du bist mir ein echter Freund.“
„Ich bin mir sicher, du würdest das Gleiche für mich tun.“
„Ja, nur hast du mir nie diese Möglichkeit gegeben.“
Severus klang wehmütig. Vielleicht lag es daran, dass wir uns nie wiedersehen würden.
„Ich habe meine wenigen Habseligkeiten gepackt und bereits auf dem Wagen verstaut. Lass dich nicht unterkriegen.“
„Das wünsche ich dir auch. Noch ein Rat: Auf dem Forum Romanum hast du keine Gnade zu erwarten, ziele also zwei Fingerbreit weiter nach rechts.“
* * *
Während der ersten Tagesreise in einem offenen Wagen, der von einem Maultier gezogen wurde, hatte ich ärgere Schläge abbekommen, als bei einem Kampf in der Arena. Gegen Abend machten wir an einer Herberge an der Via Appia halt und ich hätte am liebsten einen Masseur aufgesucht, der meine Blessuren mit seinen Händen einfach wegzaubern konnte, wie ich es nach einem Kampf gewohnt war. Ich ging ein paar Schritte, um meine eingeschlafenen Körperteile wieder zu beleben.
Albanus lachte mich aus. Er war ein ehemaliger Gladiator und arbeitete für eine Gladiatorenschule in Rom, der er neue Talente zuführte. Wir hatten uns während der eintönigen Reise unterhalten oder viel mehr, ich hatte ihn mit Fragen überschüttet. Zu Rom wollte er sich nicht äußern, denn jeder, der neu in die Stadt kam, musste seine Sprache erst wieder finden. Worte vermochten nicht zu beschreiben, was Rom darstellte. Die Stadt überwältigte jeden, der sie zum ersten Mal sah. Doch von der Gladiatorenschule wusste er nur Gutes zu berichten. Der Ausbilder verlangte seinen Gladiatoren viel ab und der Besitzer war ein gerechter Herr, was in diesen Kreisen nicht allzu oft der Fall war. Albanus hatte über 30 Kämpfe bestritten und nur zwei verloren. Er hatte den Kampf in der Arena genutzt, um sich ein gutes Leben zu schaffen und Glück gehabt. Er war an einem Punkt angekommen, den die wenigsten Gladiatoren erreichten: Er konnte auf ein langes Leben zurückblicken.
Gleich neben der Herberge gab es eine Taverne und ich folge Albanus, der bereits in den dunklen Innenraum eingetaucht war. Der Duft der Speisen weckte meinen Appetit, der mir durch das eintönige Gerüttel des Wagens abhandengekommen war. Am Tresen stand ein älterer Mann, der uns willkommen hieß. Albanus bestellte einen Bohnenbrei mit geräucherter Schweinswurst und ich entschied mich für Erbsen anstelle der Bohnen. Der Wirt legte uns die gewünschten Speisen auf.
„Nehmt ihr meinen Hauswein dazu oder bevorzugt ihr einen aus Rom?“
„Dein Hauswein ist uns gut genug“, sagte Albanus und wir nahmen an einem freien Tisch Platz. Kurz darauf brachte der Wirt einen Krug Wein.
„Auf den Straßen nach Rom wimmelt es in letzter Zeit von Banditen. Hier sind Reisende durchgekommen, die von umgestürzten Wagen berichtet haben.“
„Danke für die Warnung. Hat es auch Tote gegeben?“, fragte Albanus.
„Sie haben sich nicht Zeit genommen, um anzuhalten und nach Opfern zu suchen. Stattdessen gaben sie den Maultieren die Peitsche.“
Wir nickten wissend, weil die meisten so handelten.
„Außer ein paar Sesterzen für Übernachtung und Essen ist bei uns nichts zu holen“, sagte Albanus lächelnd. Der Mann ging wieder hinter seinen Tresen zurück.
„Glaubst du, dass der Wirt uns aushorchen wollte?“, fragte ich.
„Wer weiß, das wäre nicht das erste Mal. Vielleicht erleben wir morgen eine Überraschung.“
„Etwas gegen Langeweile wäre mit tatsächlich willkommen.“
„So sehr vermisst du das Kämpfen?“
„Ich habe einen Tag lang keine Waffe angefasst. Ich bin noch nicht entwöhnt.“
„Vor allem bist du zu jung, um so gut zu sein“, sagte Albanus.
„Ich bin mit 15 von zu Hause weggelaufen und habe mich einer durch die Lande ziehenden Gladiatorentruppe angeschlossen.“
„Ja, sicher und du warst damals schon so gut, dass sie gleich mit dir geübt haben. Schließlich wurdest du in die Schule aufgenommen. Die Geschichte kenne ich, doch damit kannst du eine Hure abspeisen, aber nicht mich.“
„Das ist nun mal meine Geschichte.“
„Mir ist egal, woher du kommst, doch du hast mit dem Schwert zu üben begonnen, da hat man dich gerade der Mutterbrust entwöhnt. Du bist mit der Waffe verwachsen. Das lernt man nur in ganz jungen Jahren und auch nur, wenn der Lehrmeister ein wahrer Könner ist und viel Geduld aufbringt. Doch ohne Talent ist auch das umsonst.“
„Willst du mir aus deinem Leben erzählen? Nur zu, ich bin gespannt.“
„Nein. Es gab bei euch einen ehemaligen Gladiator, der an dir einen Narren gefressen und dich alles gelehrt hat, was er vom Kämpfen verstand. Ich denke, es war einer, der unter Spartacus gedient und allen widrigen Umständen zum Trotz überlebt hat.“
„Ich sage nicht, dass es sich so verhalten hat, doch wenn es so wäre, was ist daran so schlimm?“
„Es gibt Gesetze, die Begünstigung entflohener Sklaven unter Strafe stellen.“
„Komm mir jetzt nicht mit Albanus, dem Gesetzestreuen. Ich meine, was stört dich daran?“
„Wenn so etwas herauskommt, wirft es ein schlechtes Licht auf die Gladiatorenschule, der du bald angehören wirst.“
„Na, dann haben wir nichts zu befürchten. Doch ich habe inzwischen das Gefühl, dass du etwas verschweigst. Du kanntest Spartacus?“
„Nun, den Namen kennt jeder in Rom. Kannst du dir vorstellen, wie groß ihre Angst vor diesem Mann war, einem entflohenen Sklaven? Nein, du warst noch zu jung. Spartacus hat ihre Art zu leben bedroht und so etwas wird dir nie verziehen. Nach Überfällen auf die Villen der Reichen hat er die Beute zu gleichen Teilen unter allen seinen Männern aufgeteilt. Verstehst du, was das bedeutet?“
„Ja, dass ich als Palus Primus so viel Siegesprämie bekomme wie der niedrigste meiner Gladiatorengattung. Das ist wenig motivierend.“
„So denken die meisten. Doch ich wünschte, ich hätte ihn gekannt. Ich wäre ihm bis in den Tod gefolgt.“
„Weil du im Schatten seines Ruhmes stehen wolltest?“
„Vor langer Zeit gab es einen jungen Mann, der vor die Wahl gestellt wurde, in den Krieg zu ziehen, dort jung zu sterben, aber als größter Held für alle Zeit in Erinnerung zu bleiben oder sich vom Krieg fernzuhalten und in Vergessenheit zu geraten. Wie mag sich unser Freund entschieden haben?“
„Er wurde ein Held. Im anderen Fall könntest du mir diese Begebenheit nicht erzählen. Das ist einfache Logik.“
„Stimmt, Achill hat den Ruhm gewählt. Das ist so armselig, dass mir dazu keine Worte einfallen. Wie verblendet muss man sein, um für seine irdischen Taten Ruhm erlangen zu wollen. Was spricht gegen ein einfaches Leben? Mir wurde Ruhm für wenige Momente in der Arena zuteil. Drauf geschissen.“
Albanus sagte alles, ohne seine Stimme zu erheben. Auch sein Gesicht verriet nicht, was in seinem Inneren vorging.
„Ich hoffe, deine Geschichte ist so wahr wie meine.“
„Ja, so soll es sein. Das gefällt mir.“
Wir lachten beide und gingen bald darauf zur Nachtruhe über, da wir früh am Morgen aufbrechen wollten. Bis Rom waren es für uns noch zwei Tagesreisen.
Nach einer wenig erholsamen Nacht auf einem Strohlager setzten wir kurz nach Sonnenaufgang unsere Reise fort. Wir wollten die Zeit nicht mit Frühstücken vertrödeln und verlangten vom Wirt, uns Wegzehrung mitzugeben.
„Machen dir die Überfälle wirklich keine Sorgen?“, wandte ich mich an Albanus.
„Nein. Solange wir auf einer Zufahrtsstraße reisen, sind wir sicherer als in Rom.“
„Arello war immer so ein friedlicher Ort, dass ich diesen Umstand einfach auf Rom übertragen habe.“
„Du bist wirklich die Unschuld vom Lande. Nachts geht in Rom niemand ohne Personenschutz aus dem Haus. Dieser Umstand könnte sich für dich als zusätzliche Einnahmequelle erweisen. Die Herrschaften verlangen extra nach Gladiatoren. Da kommt einiges zusammen.“
„Den dazu gehörigen Ruf muss ich mir doch erst in der Arena erkämpfen. Niemand will von einem Niemand beschützt werden.“
„Nun, ich habe dich erst einmal kämpfen sehen. Jetzt bist du auf dem Weg nach Rom. Deine große Zeit wird kommen. Dafür habe ich ein Auge.“
„Immerhin weiß das schon einer in diesem Land.“
Albanus lachte und wir zuckelten die Straße entlang, die immer weiter geradeaus bis zum Horizont und darüber hinaus zu führen schien. Die Umgebung glich der des gestrigen Tages und ich starrte vor mich hin. Das Reisen zermürbte mich, mir verging sogar die Lust zu plaudern. Am Abend übernachteten wir wieder in einer Herberge. Das Essen schmeckte mir besser, doch der Wein weniger. Auch dieser Wirt warnte uns vor Wegelagerern und berichtete von Überfällen. Mir kam es vor, als ob diese Auslassungen an jeden Reisenden gerichtet wurden. Anstelle von Furcht erzeugte dieses Gerede bei mir nur Langeweile. Doch das Mädchen, das uns das Essen auftischte, brachte mich auf andere Gedanken. Sie schenkte uns ein freundliches Lächeln und als sie davon ging, verfolgte ich sie mit meinen Blicken. Ihre Bewegungen waren beinahe schwerelos und weckten Begehrlichkeiten. Als wir unser Mahl beendet hatten und Albanus beim Wirt bezahlte, sah ich, dass er mit seinen Überlegungen schon weiter war, denn er legte so viele Münzen auf den Tresen, dass es für eine Nacht mit dem Mädchen reichte. Mir blieb nur, von ihr zu träumen.
Nach einer halbwegs erquicklichen Nachtruhe traf ich ihn am nächsten Morgen gut gelaunt an und wir brachen als bald auf. Die Stunden und Tage unserer Reise waren austauschbar, da sich nichts ereignete. Ich stieß Albanus an, als ich meinte, die Silhouette Roms zu erkennen. Er nickte gelangweilt und wies mich auf einen am Straßenrand liegenden Wagen hin.
„Das riecht nach einem Hinterhalt. Der Wagen dient den Banditen bestimmt als Versteck.“
„Ich bin noch nie überfallen worden.“
„Du bist auch noch nie verreist. Gefahr liegt immer in der Veränderung.“
Darauf fiel mir keine Antwort ein. Wir fuhren in gleichem Tempo weiter. Unsere Schwerter, griffbereit an den Wagenseiten verstaut, gaben uns die nötige Zuversicht. Kurz bevor wir den umgestürzten Wagen erreichten, trieb Albanus das Maultier an. Plötzlich sprang ein Mann aus der Deckung hervor und riss die Arme nach oben. Das Maultier scheute und blieben stehen. Obwohl Albanus die Peitsche schwang, lief es nicht weiter.
„Lass gut sein, Alter. Steigt beide ab und überlasst uns den Wagen“, rief der Mann, der inzwischen das Maultier am Geschirr festhielt. Sofort zeigten sich zwei weitere Männer und verliehen den Worten mit gezückten Schwertern Nachdruck. Ich blickte mich um, doch mehr Banditen kamen nicht zum Vorschein.
„Wir lassen euch am Leben, wenn ihr uns passieren lasst“, antwortete Albanus in ruhigem Ton und sah mich an, als wäre das mein Stichwort. Ich griff nach den beiden Schwertern, sprang vom Wagen und ließ sie in meinen Händen kreisen.
„Alle zugleich oder der Reihe nach. Wie es euch beliebt“, rief ich und machte einen Ausfall gegen den Nächststehenden. Er wehrte meinen Angriff ab, doch ich trat ihm in den Unterleib und schlug seinem Kumpan das Schwert aus der Hand. Der folgende Faustschlag streckte auch ihn nieder. Sofort wandte ich mich dem Dritten zu, doch dieser hatte bereits die Flucht ergriffen.
„Was machen wir mit den beiden?“, fragte ich.
„Lass sie einfach liegen. Nimm aber ihre Schwerter mit.“
„Soll ich sie nicht nach Geld durchsuchen?“
„Nicht nötig, sie haben keines dabei. Das lassen sie in ihrem Versteck zurück.“
Ich nahm die Schwerter an mich und wir setzten unsere Reise fort.
„Wo hast du denn den Spruch Alle zugleich oder der Reihe nach her?“
„Den haben wir uns beim Üben zugerufen.“
„In meiner aktiven Zeit hatte ich nicht so viel Spaß.“
„Dafür hast du allen in der Arena das Fürchten gelehrt.“
„Ich hoffe, du hältst das nicht für ein erstrebenswertes Lebensziel. Zu viel Erfolg macht einsam. Außerdem habe ich etliche Männer in der Arena sterben sehen und war auch aktiv daran beteiligt. Das stumpft ab.“
„Du machst auf mich trotzdem keinen unglücklichen Eindruck.“
„Ich habe mein Auskommen und erwarte nicht mehr viel vom Leben. Das hilft, die Dinge realistisch zu sehen.“
„Du hast mir beim Überfall nur zugesehen und ich frage mich, was du mit den Banditen angestellt hättest.“
„Keine Ahnung. Ehe ich einen Finger krumm machen konnte, war die Gefahr vorüber. Du brauchtest meine Hilfe nicht.“
„Hört sich wie eine Ausrede an.“
„Wer weiß?“
Wir näherten uns der Stadt und bald nahm die Kulisse mein gesamtes Gesichtsfeld ein. Ein unaufhörliches Säuseln war zu hören, als befände ich mich in einem Bienenstock. Der Geruch der Stadt entzog sich jeglicher Beschreibung. Hätte ich mich entscheiden müssen, würde ich zu einem Süßlichen, der der Fäulnis nahekam, tendieren. Doch da wir uns mit dem Wagen der Stadt nur langsam näherten, gewöhnte ich mich allmählich an ihre Ausdünstungen. Wäre ich plötzlich in Rom aufgewacht, hätte ich mich wahrscheinlich übergeben müssen.
Seit geraumer Zeit fuhren wir an Grabmälern vorbei, die beiderseits der Straße errichtet worden waren, wobei mir bei einigen Bauten wegen ihrer schieren Größe Zweifel kamen, sodass ich Albanus danach fragte.
„Du kannst davon ausgehen, dass die großen Grabmäler von den angesehensten und reichsten Familien Roms gestiftet wurden. Selbst die Toten vor der Stadt künden bereits den Reichtum ihrer Bewohner an. Jetzt stell dir diese Straße gesäumt von Tausenden gekreuzigter Menschen vor und das auf einer Strecke von über hundert Meilen.“
„Warum sollte ich mir so etwas Furchtbares vorstellen?“
„Weil die Via Appia nach dem Sieg über Spartacus genauso ausgesehen hat. Hier verfaulten die Sklaven, die vergessen hatten, welcher Platz ihnen in Rom gebührt. Macht kennt kein Erbarmen, denk immer daran.“
„Du kommst nicht von Spartacus los.“
„Nein, das liegt an der Stadt. Rom stinkt aus allen Ecken und Winkeln nach Geschichte.“
Wir zuckelten durch das Stadttor. Der Anblick, der sich mir eröffnete, hatte etwas Beängstigendes: Menschen über Menschen wuselten zwischen den Häusern umher und behinderten das Fortkommen der Fuhrwerke. Die Wagenlenker schimpften ohne Unterlass auf alle und jeden. Vor den Toren Roms bestand die Straße aus Pflastersteinen, im Innern der Stadtmauer hingegen nur noch aus Menschen.
Mein erster Instinkt war, von hier zu fliehen. Ich teilte Albanus meine Empfindungen mit. Er lächelte wissend.
„Ja, so ging es mir zuerst auch, doch bald danach kannst du ohne die Stadt nicht mehr leben. Mit dir geschieht etwas. Du wirst zu einem anderen Menschen.“
Ich konnte darauf nichts erwidern, da mir der Anblick der Stadt die Sprache verschlug. Wir fuhren auf der Via Appia bis zur Porta Capena. Dort, im Gewirr der kleinen Gassen, verlor ich die Orientierung. Schließlich hielt Albanus vor einem wenig beeindruckendem Gebäude.
„Wir sind am Ziel. Das ist deine neue Gladiatorenschule.“
Er stieg ab und schlug gegen das Tor, worauf es sich langsam öffnete. Albanus saß wieder auf und wir fuhren in einen großen Innenhof, von wo aus ich die Arena sehen konnte. Ich war drei Tage lang unterwegs gewesen und hatte doch nur eine Gladiatorenschule durch eine andere getauscht.
* * *
Mir wurden die allgemeinen Verhaltensregeln genannt, die sich nicht von meinen bisherigen unterschieden. Der Gemeinschaftsraum sah schäbig aus und meine Zelle war winzig, doch da ich keinen Mitbewohner hatte, störte ich mich nicht daran. Beim Abendessen wurde ich allen vorgestellt und musste den Spott der Alteingesessenen über mich ergehen lassen. Ich hoffte, auf den einen oder anderen in der Arena zu treffen. Ich würde mir meinen Platz unter den Männern erst erkämpfen müssen.
Der Besitzer der Schule hatte mich noch nicht begrüßt, weil er geschäftlich unterwegs war. Dass der Besitzer die Kämpfer nicht ausbildete, war neu für mich. Der Ausbilder war, wie zu erwarten, ein ehemaliger Gladiator gewesen, der seinerzeit eine gewisse Berühmtheit erlangt hatte, da er von 41 Kämpfen nur drei Niederlagen hinnehmen musste. Das war eine Erfolgsquote, die mir Respekt einflößte. So ein Mann ließ es sich natürlich nicht nehmen, mich, den Neuen, besonders ins Auge zu fassen. Nach den Übungen für die Ausdauer kam er zu mir.
„Du scheinst gut in Form zu sein. Dann zeig mal, was du in der Arena kannst.“
„Sofort?“
„Ja. Wir beide werden einen Gang machen.“
Ich war vom Üben ausgelaugt und wünschte mir nichts sehnlicher als eine Ruhepause. Doch konnte ich Oceanus, wie er sich als Gladiator genannt hatte, keine Absage erteilen. Ich ging zum Wasserbottich hinüber, mich zu erfrischen.
„Zur Arena geht es hier entlang“, sagte Oceanus und zeigte in die entsprechende Richtung. Sein Grinsen gefiel mir nicht.
„Ich brauche nur einen Schluck Wasser“, sagte ich und nahm die Schöpfkelle in die Hand.
„Das war keine Bitte, sondern ein Befehl.“
Ich machte kehrt und ging zur Arena hinüber. Dort legte ich mir die Übungsrüstung an und griff zu Holzschwert und Schild.
„Nein, du wirst dich als Hoplomachus bewaffnen. Ich werde den Murmillo geben.“
Endlich hatte ich verstanden: Ich sollte meine erste Lektion erhalten. Severus hätte seine Freude daran gehabt, weil er endlich zu sehen bekäme, ob sich unsere Ausbildung mit vertauschten Rollen in der Praxis bewähren würde.
Oceanus und ich standen uns gegenüber, doch keiner machte Anstalten anzugreifen. Da der Ausbilder von uns beiden der Ausgeruhtere war, mochte er den Kampf beginnen. Ich hielt mich zurück und beobachtete ihn genau. Sein Angriff kam aus dem Nichts. Oceanus schnellte mit einem Ausfallschritt vor und stieß mit dem Schwert zu. Ich sprang zur Seite und antwortete mit einem Lanzenstoß gegen seine Schwerthand. Im letzten Moment riss er seinen Arm zurück. Ich ließ von einem Gegenangriff ab, wusste aber bereits, wie schnell mein Gegner agieren konnte. Doch auch er hatte eine Vorstellung von meiner Schnelligkeit bekommen. Wir waren noch in der Phase des Abtastens. Oceanus rückte mit dem Schild vor. Er suchte eine Möglichkeit, nah an mich heranzukommen, doch ich wich immer wieder aus oder hielt ihn mit der Lanze auf Abstand. Ich verteidigte mich nur und wäre in einem Amphitheater vom Publikum schon längst ausgebuht worden, doch das zählte jetzt nicht. Hier waren die Ränge leer. Wer jetzt von den Gladiatoren zuschaute, tat es unbemerkt. Sie kannten ihren Ausbilder gut genug, um sich bei ihm nicht unbeliebt zu machen.
Plötzlich kam er mit einem Riesensprung auf mich zugeflogen. Ich hechtete zur Seite, rollte dann nach vorn ab und stand hinter ihm. Meine Lanze traf ihn am rechten Schulterblatt, sodass er vor Schmerz das Schwert fallen ließ.
„Vorbei“, rief ich. Er wandte sich abrupt um und schleuderte den Schild in meine Richtung. Mir war seine Ausholbewegung nicht entgangen. Ich riss meinen Schild herum und wehrte den Angriff ab.
„Wenn du jetzt mit deinem Lendenschurz nach mir wirfst, gebe ich auf.“
Oceanus lachte aus vollem Hals, machte das Zeichen der Aufgabe und nahm den Helm ab.
„Nein, wir haben genug Unfug getrieben. Lass dich ordentlich massieren und ruh dich aus.“
„Danke“, sagte ich und schleppte mich zum Wasserbottich. Meine Beine waren bleischwer und der Rücken verspannt. Ich war glücklich.
„Ich dachte, du bist ein Murmillo“, sagte Scylax, „Palus Secundus in meiner Kampfgattung.“
„So ist es auch.“
„Dein Hoplomachus kann sich aber auch sehen lassen.“
„Ich hatte nur Glück“, gab ich zurück.
„Das braucht man bestimmt, wenn man gegen den Alten gewinnen will, doch das allein reicht nicht aus.“
„Ich habe die Rolle mit meinem Partner getauscht, wenn uns der Sinn nach mehr Abwechslung stand.“
„Der Freiraum wird dir hier bei der Ausbildung nicht gewährt. Das kann ich dir versichern.“
„Das ist für mich kein Problem. Mein Murmillo ist nicht so gut, dass er nicht noch besser werden könnte.“
Der erste Neider stand bereits in der Tür. Egal, wie der Einstand verlaufen war, einer fühlte sich von dem Neuling immer bedroht und fürchtete um seinen hart erkämpften Platz. Das war mir nicht zum ersten Mal passiert. Vielleicht irrte ich mich in Bezug auf Scylax, doch meistens konnte ich mich auf meinen Instinkt verlassen.
Ich begab mich zu Oceanus, der mit mir reden wollte. Sein Zimmer war spartanisch eingerichtet und ich konnte darin nichts Persönliches entdecken.
„Du hast deinen ersten Übungstag überstanden. Lass mich raten, Scylax, unser bester Murmillo, hat seinen Argwohn durchblicken lassen.“
„So könnte man es auch nennen.“
„Ich habe dich als Hoplomachus antreten lassen, um mir und den anderen einen Spaß zu gönnen. Ja, ich weiß, dass alle heimlich zusehen. Jeder Neuling kämpft hier in der Rolle seines Gegenparts und verliert! Was fange ich jetzt mit dir an?“
„Stelle es als taktische Übung dar, die zum Ziel hat, sich besser auf den Gegner einzustellen, da man aus eigener Erfahrung weiß, wie er kämpft.“
„Willst du jetzt auch noch meine Arbeit übernehmen?“
„Nein, ich möchte der beste Murmillo in der Arena werden.“
„Ich dachte mir schon, dass du ehrgeizig bist. Und was noch?“
„Ich möchte mich freikaufen und mir eine eigene Gladiatorenschule aufbauen.“
„Also gut, ich werde dich schinden, bis du Blut schwitzt und dir all das beibringen, was ich einst konnte.“
„Das ist mehr, als ich erwartet habe.“
„Aber?“
„Wie bist du auf die Idee gekommen, die Neulinge in der Rolle ihres Gegenparts antreten zu lassen?“
Oceanus lächelte verträumt. Plötzlich erschien er mir um etliche Jahre verjüngt.
„Nun gut, dir kann ich es anvertrauen. Als ich vor vielen Jahren an eine Gladiatorenschule verkauft wurde, habe ich meinen Ausbilder auch besiegt. Damals wollte ich der beste Murmillo werden und so hat es sich später auch gefügt. Nachdem ich mich freigekauft hatte und selber zum Ausbilder wurde, habe ich dieses Einstandsritual von ihm übernommen. Beim Jupiter, du bist der erste Gladiator, der mich besiegt hat, seitdem ich als Ausbilder tätig bin.“
Ich bedankte mich für seine Offenheit und wollte schon gehen, als er mich zurückhielt.
„Du brauchst einen Namen für die Arena. Ich habe mit Albanus darüber gesprochen und er hat Tigris vorgeschlagen. Er meinte, dein Angriff sei so überraschend wie der Sprung eines Tigers und genauso tödlich. Was sagst du dazu?“
„Tigris gefällt mir.“
„Das habe ich mir gedacht.“
Die Aussage von Oceanus, das er mich schinden würde, machte mein Dasein nicht eben leichter. Jeder der anderen Gladiatoren sah, dass ich härter und länger üben musste als sie. Früher oder später würde das zu Auseinandersetzungen führen. Ich war auf dem Weg zum Speisesaal, als Scylax sich mir entgegenstellte.
„Sei gegrüßt, Flavio. Mir ist aufgefallen, dass du mehr üben musst als alle anderen.“
„Wenn du daran etwas auszusetzen hast, beschwere dich bei Oceanus. Er legt meinen Übungsplan fest, den aller anderen übrigens auch.“
„Oceanus meinte, du hast einen Ausbildungsrückstand, den du aufholen musst.“
„Wenn du mit ihm gesprochen hast, verstehe ich nicht, was du von mir willst.“
„Versucht ihr beide mir meinen ersten Rang als Murmillo streitig zu machen, wirst du dich nicht allzu lange daran erfreuen können.“
„Ich dachte, wir gehören einer Familie an und helfen uns gegenseitig. Ist das in Rom nicht üblich?“
„Das ist nur Geschwätz. Musstest du noch nie gegen einen Kameraden antreten?“
„Schon, doch ich habe keinen von ihnen getötet, obwohl ich die Möglichkeit hatte.“
„Wie nobel.“
„In fünf Tagen beginnen die Spiele. Es sind meine ersten in Rom und ich konzentriere mich voll darauf. Danach kannst du mir deinen Vers noch einmal vortragen und ich werde dir eine passende Antwort geben. Doch vielleicht ist mir Fortuna gewogen und dein Gegner tötet dich in der Arena.“
Ich ließ Scylax stehen und setzte meinen Weg fort. Der Mann war dreist und ich musste ihm mit Dreistigkeit begegnen. Noch nie hatte ich einem Kameraden den Tod gewünscht, allerdings war ich auch noch nie von einem bedroht worden.
Am Tag vor den angesetzten Spielen blieb unsere Übungsarena in der Schule leer. Alle Gladiatoren sollten sich ausruhen, damit sie ihre Bestleistung zeigen konnten. Die Kampfpaarungen waren zusammengestellt worden und hingen an der Spielstätte auf dem Forum Romanum aus. Mir würde in der Arena ein erfahrener Gegner einer anderen Schule gegenüber stehen. Jemand, der auf mich setzte, bekam für 10 Sesterzen 15 ausbezahlt, falls ich gewänne. Dass meine Quote für einen Neuling recht niedrig angesetzt wurde, lag daran, dass man mich beim Üben in unserer Arena beobachtet hatte. Da das Zusehen nichts kostete, diente diese Möglichkeit dazu, sich von der Kampfstärke jedes einzelnen Gladiators zu überzeugen und als Neuling hatten mich viele im Visier.
Bevor das Festessen, das am Abend der Kämpfe für die Gladiatoren gegeben wurde, stattfand, rief mich der Ausbilder zu sich. Auf sein Herein betrat ich die Kammer. Er kam ohne Umschweife zur Sache.
„Für dich ist es von Vorteil, einen erfahrenen Kämpfer zum Gegner zu haben. Im Falle eines Sieges gewinnst du deutlich an Ansehen und im Falle einer Niederlage, sofern du gut gekämpft hast, wird dir Milde zu Teil werden. Die Römer sind nicht blutrünstig.“
„Das ist tröstlich, doch bin ich nicht hier, um zu verlieren.“
Er lächelte und wurde plötzlich ernst.
„Es geht um das anstehende Festessen.“
Ich sah ihn an und wartete auf mehr.
„Kameraden, die dir wenig gewogen sind, könnten die Gelegenheit nutzen, dein Essen zu vergiften, sodass du morgen in schlechter Verfassung bist. Ich betone, dass ich nicht weiß, ob jemand Besagtes zu tun beabsichtigt, doch in meiner aktiven Zeit habe ich dergleichen erlebt. Es ist schändlich, doch wir Gladiatoren gehören nicht zu den Bürgern Roms. Wir sind nur beliebt, wenn wir tapfer um unser Leben kämpfen oder heldenhaft sterben. Niemand außer mir interessiert sich wirklich für dich und dein Schicksal. Bist du mutig, empfinden sie deinen Mut als den ihren, hast du Angst, sehen sie sich beleidigt und verlangen nach deinem Tod. Wir Gladiatoren nennen uns zwar eine Familie, doch sind wir in Wirklichkeit ein zusammen gewürfelter Haufen. Scylax ist ein Sklave, Athicus ein Kriegsgefangener und du bist ein Freiwilliger. Einige von uns sind Abschaum. Nimm es also nicht persönlich, wenn jemand deinen Tod wünscht. Iss nur aus einer Schüssel, woraus sich mehrere bedienen, lass dir nicht den Teller reichen und lege dir selber auf. Achte immer darauf!“
Oceanus hatte mich mit seinen Worten überrumpelt. Ich stand da wie betäubt.
„Danke für deine Warnung. Ich weiß wirklich nicht, wie ich das gutmachen kann.“
„Ich schon. Zeige in der Arena dein Bestes und mach mich stolz.“
„Das werde ich“, sagte ich und wandte mich zum Gehen.
„Halt, halt, eine Kleinigkeit habe ich noch für dich“, er reichte mir ein Fläschchen mit einer grünlichen Flüssigkeit. „Sollte dir trotzdem vom Essen übel werden, nimm einen Schluck davon und du wirst dich erbrechen.“
Er entließ mich und ich bekam ein flaues Gefühl im Magen. Die Lust auf das Bankett war mir vergangen. Mit so viel Hinterlist hatte ich nicht gerechnet. Natürlich ließ ich mich auf der Feier blicken und schloss mich dem ausgelassenen Treiben an. Wenn morgen in der Arena deine letzte Stunde naht, sollte man den Vorabend fröhlich verleben. Das war die Haltung aller Gladiatoren, doch ich wahrte heute nur den Schein. Ich achtete auf all das, was Oceanus mir gesagt hatte, füllte mir immer selbst auf und gab meinen Teller nicht aus der Hand. Ich bediente die anderen und merkte dabei, dass mir vereinzelt argwöhnische Blicke zugeworfen wurden. Ich zügelte meine Dienstwilligkeit und setzte mich zum Essen an das Ende des Tisches, wo es am ruhigsten zuging.
„Du siehst aus, als ob dir der Gott der Unterwelt in einer dunklen Ecke begegnet wäre“, sagte Athicus, der als erfahrener Thraex galt.
„Einerseits freue ich mich auf die Spiele, doch andererseits beeindruckt mich deren enorme Größe. Das ist mein erster Auftritt in Rom und ich bin etwas verunsichert“, antwortete ich ausweichend.
„Das legt sich in der Arena, wenn dein Gegner auf dich zugestürmt kommt und versucht, dir sein Schwert in die Eingeweide zu bohren. Da schwindet deine Unsicherheit wie das falsche Lächeln einer Dirne, die gerade bezahlt wurde“, gab er mir frohgemut zurück.
„Du hast recht, so war es immer. Scaurus, mein morgiger Gegner, ist dir bestimmt schon einige Male über den Weg gelaufen. Ist er so gut wie Oceanus behauptet?“
„Er mag so alt sein wie ich, was allein schon besagt, dass er gut ist. Seine Erfahrung wird gegen deine Schnelligkeit stehen. Beobachte ihn eine Weile und führe Scheinangriffe gegen ihn. Reize ihn, ohne dass du dich wirklich in Gefahr begibst. Nutze deinen längeren Atem.“
„Danke für deinen Rat.“
„Ich habe dich gegen Oceanus kämpfen sehen. Du bist die ganze Zeit vorsichtig vorgegangen und hast bei einem Gegenangriff alles in die Waagschale geworfen und gewonnen. Das wird dir morgen in der Arena nur schwer gelingen. Oder du bist der kaltblütigste Kämpfer, den ich je gesehen habe.“
„Ich nutze nur die Schwäche des Gegners aus.“
„Ich habe einige gekannt, die dies von sich behauptet haben. Jetzt streifen sie ziellos durch die Unterwelt und verfluchen ihre Dummheit.“
Ich fürchtete nicht die Stärke des Gegners, sondern nur den richtigen Moment für einen Angriff zu verpassen. Erfolgte er wegen meines Zögerns zu spät, kostete er mich unnötig viel Kraft. Hatte ich mich durch solch ungeschicktes Tun zu sehr verausgabt und meine Schnelligkeit eingebüßt, brachte mich dies einer Niederlage näher.
„Ja und morgen wird die Anzahl der Fluchenden noch etwas größer werden“, sagte ich und Athicus lachte, als wäre das der Spaß an der Sache.
* * *
Am nächsten Morgen hielt unser Besitzer eine Ansprache. Die Rede war so überflüssig wie eine Läuseplage, doch hatte sie den Vorteil, kurz zu sein. Dann legten alle Gladiatoren, die an den Spielen teilnahmen, ihre Rüstungen an. Auf dem Weg zum Amphitheater war uns verboten, scharfe Waffen zu tragen, sodass wir Holzschwerter mitführten. Wir gingen zum Circus Maximus und schlossen uns dort dem Umzug an, der Richtung Forum Romanum unterwegs war.
Hier in Rom herrschte ein Gedränge auf den Straßen, wie ich es nie zuvor erlebt hatte. Rufe und Schreie hallten von den Mauern der Gebäude wider und vermischten sich mit dem Getrappel Tausender Füße, dass ich meinte, auf einem Kriegszug zu sein. Die Spiele machten jeden vor Erregung trunken. Alle Bürger und Sklaven strebten dem Amphitheater zu und wollten gute Plätze ergattern. Das war der Vorteil eines Gladiators: Seinen Platz in der Arena hatte er sicher. Ich fühlte mich gut und war zu Scherzen aufgelegt.
Das Amphitheater war für mich ein noch nie gesehenes Kunstwerk aus Holz. Schon von weitem hörten wir das Gejohle der Leute, die sich an den Tierkämpfen erfreuten, die dort bereits stattgefunden hatten. So wild schrien 30000 ausgelassene Römer, die sich an blutrünstigen Zurschaustellungen ergötzten.
Athicus stieß mich an und zeigte in Richtung des Amphitheaters: „Hast du solch einen Trubel schon mal erlebt?“
Ich schüttelte wahrheitsgemäß den Kopf.
„Für unseren Einmarsch wird gerade frischer Sand ausgestreut. Wenn wir die Arena betreten, geht es erst richtig los.“
Athicus strahlte bei den Worten über das ganze Gesicht. Ich fragte mich, ob er scherzte, denn wilder konnte es kaum noch zugehen.
Plötzlich ertönte das Signal und die Tore zur Arena öffneten sich. Die Zuschauer spielten schier verrückt, als sie der über zweihundert Gladiatoren ansichtig wurden. So viel konnte ich ohne zu übertreiben sagen. Athicus zeigte mir meinen Gegner und ich betrachtete einen Mann, der sich durch den Tumult der Menge nicht im Geringsten aus der Ruhe bringen ließ. Wie ein Fels in der Brandung stand er da und empfing diesen Lärm als seine eigene Gunstbezeigung. Um den Brocken aus der Ruhe zu bringen, musste ich mir etwas Besonderes einfallen lassen.
Nach einem weiteren Signal verließen alle Helfer die Arena, sodass die Vorkämpfe begannen, die mit Übungswaffen ausgetragen wurden.
Athicus hatte mir gesagt, dass diese Kämpfe die Begeisterung des Publikums weiter anfachen sollten, aber ich wusste nicht, ob das noch möglich war.
Ich führte einige Finten vor und wehrte die Angriffe meines Gegners mit dem Schild ab. Es war eine gute Übung, um mich zu lockern und in den Bewegungsablauf zu finden.
Wieder ertönte ein Signal, worauf alle Gladiatoren die Arena verließen und ihre Unterkünfte, die sich unter den Rängen befanden, aufsuchten.
Die Männer, die zuerst gegeneinander antraten, waren mir alle unbekannt. Trotzdem spähte ich durch einen Sehschlitz in die Arena, um ihre Kämpfe zu verfolgen. Wie ein Zuschauer auf den Rängen wollte ich zusehen und ertappte mich dabei, wie ich gedanklich ins Kampfgeschehen eingriff. Ich nahm Partei für den Murmillo, weil ich ebenfalls als solcher antrat. Aber unsere Methoden unterschieden sich derart, dass ich mich vom Sehschlitz abwandte und keinen Kampf mehr verfolgte. Ich fühlte mich erschöpft, da mir die gezeigte Kampfweise innerlich widerstrebte. Allmählich gewann ich meine innere Ruhe zurück. Ich gehörte nicht zu den Zuschauern, die ihr Idol in der Arena anfeuerten und sich dabei die Kehle aus dem Leib schrien. Meine Rolle war eine andere. Ich suchte mir eine dunkle Ecke und setzte mich ins Stroh. Aus der Dunkelheit heraus wurde ich angesprochen.
„Du kannst es also auch nicht“, sagte Athicus.
„Stimmt, hier im Stroh gefällt es mir besser.“
„Es gibt einige unter uns, die sich durch das Beobachten der Kämpfe aufputschen, um Energie geladen in die Arena zu stürmen. Bei mir hat das eine gegenteilige Wirkung.“
„Bei mir auch. Nachher bin ich so unkonzentriert, dass ich mein Schwert fallen lasse.“
Athicus lachte leise.
„Sieh dir nur unseren Scylax an, der kann gar nicht genug von den Kämpfen bekommen.“
„Ja, er wirkt gierig. Musstest du schon gegen ihn antreten?“
„Sicher. Zweimal unentschieden und es ging bis zur totalen Erschöpfung. Die Zuschauer haben getobt, habe ich mir sagen lassen, denn dafür hatte ich während des Kampfes keine Ohren. Beim nächsten Aufeinandertreffen werde ich gegen ihn verlieren.“
„Vielleicht besiegst du ihn und stirbst. Oceanus hat mir von einem solchen Kampfausgang berichtet.“
„Ich weiß nicht, ob es je solch einen Kampf gegeben hat, doch Oceanus wollte vielleicht auf diese Art abtreten. Schließlich ist es anders gekommen und er wurde Ausbilder.“
„Warum sagst du das in so traurigem Ton?“
„Ein Gladiator sollte in der Arena sterben. Dafür ist er gemacht.“
„Sicher, das ist kein schlechtes Los, doch wenn ich genug Geld beisammen habe, werde ich mich freikaufen und eine Gladiatorenschule eröffnen.“
Athicus lächelte verträumt und schwieg. Ich hielt meine Frage zurück. Er hatte womöglich auch diesem Traum nachgehangen und ihn nicht zu realisieren vermocht. Jetzt wartete er auf den Tod in der Arena. Gegen jemanden mit dieser Einstellung zu kämpfen, konnte sich als verhängnisvoll erweisen, da es bei ihm um alles oder nichts ginge. Kein Abwägen, kein Zögern, kein Innehalten und vor allem kein Aufgeben. Dieser Mann wäre der Tiger in der Arena. Unberechenbar und tödlich.
Jeder Murmillo war durch seinen großen Schild geschützt, den Schild der Legionäre und dieser Schild war meine stärkste Waffe. An ihm prallten die Angriffe meiner Gegner ab. Ich war die Festung und der Schild die Mauer, fiel er, fiel auch die Festung. Das Schwert war nur der Vollstrecker, der Schild leistete die Hauptarbeit. Ein Abweichen von dieser Strategie konnte einen schnellen Tod oder Sieg bedeuten. Im Kampf war es nicht ratsam herum zu probieren, dafür war das tägliche Üben da. Ich täuschte an und führte Finten aus, die ich alle im Schlaf beherrschte, um mich auf den Gegner einzustellen. Letztlich entschied ich intuitiv. Ich war mir dessen bewusst und das war der großartigste Moment im Kampf, denn er verlieh mir die Kraft, mehr zu vollbringen, als mir möglich erschien. Ich hatte noch nie einen anderen Gladiator gefragt, wie es ihm in der Arena erging und ich würde es auch nicht tun. In der Arena gab es nur mich. Ich musste nicht wissen, wie sie ein anderer Kämpfer empfand, da es mich ablenken konnte und somit eine Gefahr darstellte.
„Hoch mit dir, du bist aufgerufen worden.“
Athicus riss mich aus meinen Gedanken. Ich schenkte ihm ein Lächeln und ging zum Ausgang, Schild und Schwert zu empfangen. Die Fanfare erklang für mich und meinen Gegner. In der Mitte der Arena standen die beiden Schiedsrichter und ich ging gemessenen Schrittes zu ihnen. Für die Zuschauer hatte ich keine Blicke übrig. Mein Gegner stellte sich mir gegenüber und unsere Waffen wurden geprüft. Das Schwert in meiner Hand war so gut geschliffen, dass ich die Gewänder der Schiedsrichter von ihren Körpern hätte trennen können, ohne sie zu verletzen.
Wir nahmen unsere Aufstellung ein und der Kampf wurde freigegeben. Mein Gegenüber wirkte für einen Thraex etwas behäbig. Er schien auf meinen Angriff zu warten, doch als Murmillo stand ich wie ein Berg in der Arena. Ich fixierte meinen Gegner über den Rand des Schildes genau. Er veränderte seine Position und ich korrigierte meine. Ein Ausfallschritt und ein Hieb mit seinem Krummschwert folgten. Ich hatte den Angriff kommen sehen und mit dem Schild abgeblockt. Nun ging ich langsam auf ihn zu. Immer mit dem linken Bein voran, da dieses mit einer Schiene versehen war, die unterhalb des Schildes Schutz bot. Der Thraex trug nur einen halb so großen Schild wie ich, weshalb beide Beine von oben bis unten geschützt waren. Er wich zurück und machte einige Ausfälle, die ich ignorierte, indem ich weiter auf ihn zuging. Mein stures Vorgehen musste auf ihn bedrohlich wirken, denn er änderte sein Verhalten und begann herumzutänzeln. Einmal kurz zur linken Seite, dann flink zur rechten wechselnd und zum Abschluss ein schneller Hieb mit dem Krummschwert, um meine Deckung zu überwinden. Ich blockte den Schlag ab und setzte zum ersten Mal das Schwert ein. Ein schneller Vorstoß und gleich wieder hinter die Deckung zurück. Die ersten Blutstropfen sprenkelten den Sand der Arena. Ich hatte ihn am Unterarm verletzt, den er nach seinem Angriff nicht schnell genug zurückziehen konnte. Wieder näherte ich mich ihm langsam. Blitzschnell stieß er zu. Ich neigte meinen Schild, sprang ihm entgegen und bevor er erneut zustechen konnte, prallten wir aufeinander. Ich traf ihn mit dem Schwert an der Schulter und zog mich sofort zurück. Dieses Mal wartete ich auf seine Antwort. Es tat mir gut, mich nach solch einem Sprung einen Moment zu verschnaufen. Wieder stand ich unbewegt da und beobachtete ihn über den Rand des Schildes hinweg. Mein Gegner wählte meine Schwertseite und hoffte, ich würde den Angriff erneut mit dem Schild abblocken, doch ich wehrte ihn mit dem Schwert ab und wuchtete ihm meinen Schild entgegen, um ihn zu rammen. Er witterte eine Gelegenheit, mir über meine Deckung hinweg in den Nacken zu stoßen, doch bevor sein Schwert mich erreichen konnte, traf ihn mein Schild an der Schulter. Die Wucht des Aufpralls ließ ihn taumeln. Er ruderte mit dem Schwertarm zurück und versuchte, sein Gleichgewicht wiederzufinden. In diesem kurzen Augenblick vernachlässigte er seine Deckung. Ich setzte mit einem Ausfallschritt nach und stieß ihm mein Schwert in den Körper. Ich traf ihn in die Seite oberhalb des Gürtels und obwohl ich in diesem Moment nicht an den Rat von Severus gedacht hatte, den Gegner zwei Fingerbreit weiter rechts zu treffen, befolgte ich ihn dennoch. Der Thraex betrachtete das in seinem Bauch steckende Schwert, als würde er ein Wunder bestaunen. Ich riss es mit Schwung heraus. Mein Gegner ließ das Krummschwert fallen und bedeckte die Wunde mit beiden Händen. Doch es war nur eine hoffnungslose Geste, die den Blutschwall nicht aufhalten konnte. Der Mann sank auf die Knie und bevor sein Körper auf den Boden der Arena fiel, beendeten die Schiedsrichter den Kampf. Der verletzte Gladiator wurde auf eine Trage gelegt und schnell zu einem Arzt gebracht. Doch die Mühe konnten sie sich sparen. Mein Stoß war tödlich gewesen.
Jetzt erst ließ ich meinen Schild fallen, riss mir den Helm vom Kopf, warf ihn in die Luft und streckte das Schwert dem Himmel entgegen. Beifall rollte auf mich nieder, wie ich es noch nie erlebt hatte. Ich empfing meine Siegprämie und lief den Palmzweig schwenkend, eine Runde in der Arena. Ich konnte es immer noch nicht fassen, dass ich meinen ersten Kampf in Rom siegreich bestritten hatte. Vom Beifall betäubt, schritt ich durch das Tor der Sieger. Der Rausch verflog allmählich und hinterließ in mir ein Gefühl der Erschöpfung.
Ich sah mich um. Oceanus und Albanus diskutierten miteinander und da ich die beiden nicht unterbrechen wollte, ging ich an ihnen vorbei.
„Halt, junger Gladiator, nicht so schnell“, rief mir Oceanus nach. Ich wandte mich um und gesellte mich zu ihnen.
„Ich habe auf dich gewettet. Es war leicht verdientes Geld“, begrüßte mich Albanus.
„So ist es, wenn man dem Kampf nur als Zuschauer beiwohnt. Steht man in der Arena, sieht man die Dinge mit anderen Augen. Die Hälfte deines Gewinns gehört mir“, erwiderte ich lächelnd, die Hand zum Gruß hebend.
„Kaum in Rom angekommen, ist er schon gierig geworden. Diese Stadt verdirbt auch jeden“, antwortete Albanus.
„Du musst es wissen, solange wie du bereits hier lebst“, bemerkte ich.
„Ich hatte mit einer langen und zähen Auseinandersetzung gerechnet, als der Kampf so behutsam begann und dann beim Jupiter greifst du mit dem Schild an. Das war für jeden im Amphitheater eine Überraschung“, sagte Oceanus unsere Flachserei beendend.
„Ich hatte mich gut auf meinen Kontrahenten eingestellt und auf den richtigen Moment gewartet.“
„Diesen Moment kenne ich auch“, entgegnete Albanus, „so fühlt es sich an, wenn ich bei einer Frau liege“.
„Ich wusste nicht, dass du schon so viel Wein getrunken hast. Geh und such diesen Moment einzufangen“, riet ihm Oceanus.
„Ja, eine Dirne käme mir gerade recht“, sinnierte Albanus, verabschiedete sich und verließ das Amphitheater.
„Nach dem Kampf hat mir Albanus gesagt, dass das dein Stil zu sein scheint. Aus einer Situation heraus, wo jeder mit einem Rückzug rechnet, den Sieg zu erzielen. Hat er recht?“
„Ich habe keine Ahnung, wovon du redest. Mir hat sich eine Möglichkeit eröffnet und die habe ich genutzt. Mehr weiß ich nicht.“
„Dann hast du offensichtlich nicht bemerkt, wie 30000 lärmende Römer ganz plötzlich die Luft angehalten haben, dass ich meinte, ich wäre allein auf den Rängen. Diesen Moment werde ich nie vergessen.“
„Ich achte nicht auf die Zuschauer.“
„Dann sag ich dir jetzt etwas: Als du den Angriff des Gegners mit einem Schildvorstoß begegnetest und dieser das Krummschwert ungehindert in deinen Körper stoßen konnte, hatte jeder im Amphitheater deinen Tod vor Augen, mich mit eingeschlossen. Ich habe noch nie erlebt, dass alle Zuschauer das Gleiche empfunden haben. Beim Jupiter, dein Tod schien von den Göttern bestimmt zu sein und du hast ihnen getrotzt.“
„Diesen Ratschluss haben die Götter vor mir verborgen. Ich sah nur eine Möglichkeit zu gewinnen und die habe ich genutzt.“
„Ja, das hast du, daran besteht kein Zweifel. Geh jetzt und lass dich versorgen.“
* * *
Nach dem Kampf war ich Albanus in einer Taverne in der Nähe des Amphitheaters begegnet. Als er mich erblickte, ließ er vom Würfelspiel ab und kam direkt auf mich zu. Ich war froh, ihn zu sehen, denn als Unkundiger nachts allein in Rom unterwegs zu sein, war keine Freude.
„Du siehst abenteuerlustig aus“, rief er mir zu.
„Ein Besuch in einem Freudenhaus käme mir gerade recht“, entgegnete ich.
„Das lässt sich machen. Eines für gehobene Ansprüche befindet sich nur wenige Straßen von hier entfernt.“
Wir verließen die Taverne und gingen Richtung Forum davon. Danach bogen wir in kleine Gassen ein, die so dunkel wie Gewölbe waren und die ich selbst bei Tage Mühe hätte zu finden. Plötzlich standen wir vor einem hell erleuchteten Eingang. Romola las ich im Fackelschein.
„Ist mir die Überraschung gelungen?“, fragte Albanus.
„Das sage ich dir, nachdem ich die Schönheiten des Hauses erblickt habe.“
„Erschrick nicht vor Romola. Sie ist die Besitzerin und könnte es mit einem wilden Eber aufnehmen.“
Wir gingen hinein. Die Besitzerin begrüßte uns und fragte nach unseren Wünschen. Ich ließ Albanus den Vortritt, der sogleich nach einer Thrakerin verlangte und bald darauf mit einer jungen Frau verschwand, deren wohlgestaltete Formen durch ihre Kleidung auf wundersame Weise zu erahnen waren.
„Dich habe ich hier noch nie gesehen. Nenne mir deine Vorlieben und wir werden die Richtige für dich finden.“
„Davon bin ich überzeugt. Ich suche nach einer erfahrenen Frau, die weiß, wie sie mit einem unerfahrenen Mann aus der Provinz umzugehen hat und die sich ebenso auf andere Arten der Unterhaltung versteht.“
„Du bist reizend. So viel Bescheidenheit ist mir bei einem jungen Mann noch nie vorgekommen.“
Sie hieß mich warten und kam mit drei Frauen zurück, die sich nebeneinander aufstellten. Ehe ich etwas sagen konnte, ergriff eine der Schönheiten das Wort.
„Du bist der Gladiator, der dem sicheren Tod durch ein göttliches Wunder entgangen ist.“
„Ich habe nur mir dem Schwert zugestoßen.“
„Das ist genau die Art, mit der wir hier umzugehen verstehen“, sagte Romola. „Mir wurde von deinem Kampf in der Arena berichtet und ich freue mich, dich bei uns willkommen zu heißen.“
Ich verneigte mich leicht.
„Ich bin von der Schönheit deiner Frauen überwältigt und wähle die in der Mitte.“
Die Frau trat vor und sagte: „Ich heiße Livia, bitte folge mir.“
Ich tat wie geheißen und wir gelangten in ein kleines Zimmer, dass von einer Öllampe nur wenig erhellt wurde.
„Wieso ist deine Wahl auf mich gefallen?“
„Du hast keine Mine verzogen, als ich als siegreicher Gladiator erkannt wurde.“
„Was glaubst du, hat dir das über mich verraten?“
„Ich denke, dass meine Taten in der Arena nichts mit denen hier zu tun haben sollten. Ich möchte nur ein gewöhnlicher Kunde sein und dachte, du siehst es ähnlich.“
„Das ist jetzt nicht mehr möglich, da ich über dich Bescheid weiß.“
„Doch du hast mich nicht in der Arena kämpfen sehen.“
„Wieder daneben. Ich habe dich gesehen und als alle anderen die Luft anhielten, habe ich leise Oh gerufen.“
„Gefällt mir, wie wir uns kennenlernen.“
„Ja, es macht mir auch Spaß.“
„Darf ich dich berühren?“
„Was für eine Frage“, antwortete sie und führte meine Hand über ihren Körper. Vorsichtig tastend spürte ich dessen Wärme durch den dünnen Stoff des Gewandes. In manchen Momenten bemerkte ich, wie ein leichtes Schaudern über ihre Haut zog. Dann ließ sie meine Finger etwas länger an dem Ort verweilen und drückte sie fester gegen ihren Körper. Schließlich führte sie meine Hand zu ihrem Mund und berührte die Fingerkuppen einzeln mit den Lippen. Danach strich sie mit der Zunge darüber, was bei mir ein Kribbeln verursachte, das sich verstärkte, als sie meinen Daumen in den Mund nahm. Ein anderer Körperteil reagierte darauf in ekstatischer Weise, was ich so nicht erwartet hatte.
Ich erlebte diese Reise meiner Hand als etwas wunderbar Erregendes, sodass ich mich fühlte, als hätte ich noch nie eine Nacht mit einer Frau zusammen verbracht. Keinen Augenblick lang ließ sie mich meine Wahl bereuen. Auch war ich meinen Ausbildern für ihre Ausdauerübungen dankbar.
„Wirst du wiederkommen?“, wollte sie am nächsten Morgen wissen.
„Was für eine Frage“, antwortete ich und ging Richtung Ausgang. Noch bevor ich die Tür erreicht hatte, wurde Livia von den anderen Schönen bestürmt. Ich trat schnell ins Freie, weil ich nicht neugierig erscheinen wollte. Außerdem wusste ich bereits alles, was ich wissen wollte.
Ich fragte mich zur Gladiatorenschule durch. Der Weg bestand auch bei Tageslicht aus einem Wirrwarr von Gassen. In der Schule roch es nach Essen und schon verspürte ich Hunger. Athicus hob grüßend die Hand und ich setzte mich zu ihm.
„Hast du deinen Sieg ausgiebig gefeiert?“, fragte er mich.
„Sicher“, sagte ich lächelnd, „wie ist dein Kampf gelaufen?“
„Ich hatte es mit einem harten Brocken zu tun. Mit meinem letzten Hieb habe ich ihn umgeworfen, bin selber aus dem Gleichgewicht geraten und gefallen. Ich wollte aufstehen, doch war einfach zu erschöpft. So etwas ist mir noch nie passiert. Ich dachte, gleich steht mein Gegner vor mir und sticht mich nieder. Als das nicht geschah, habe ich zu ihm hinüber gesehen. Er lag am Boden und hatte die Hand zur Aufgabe gehoben. Beim Jupiter, das war der schönste Moment in meinem Leben und ich hob meine ebenfalls. Ich weiß, wann ein Kampf vorüber ist.“
„Du hättest nur aufstehen müssen und wärst zum Sieger ernannt worden.“
„Ja, mag sein. Doch mir hat das Unentschieden gefallen.“
„Ob er sich daran erinnert, wenn ihr das nächste Mal aufeinandertrefft?“
„Ich sorge immer dafür, dass ich meinen Gegnern im Gedächtnis bleibe. Im Guten wie im Bösen.“
„Wie hat sich Scylax geschlagen?“
„Das ist eine seltsame Geschichte. Du kannst dich bestimmt noch daran erinnern, wie gierig er alle Kämpfe verfolgt hat. Dann kamst du an die Reihe. Dich kämpfen zu sehen, war ihm besonders wichtig. Das hat er mir gesagt. Nach deinem Kampf hat er sich vom Sehschlitz abgewandt und ins Stroh gesetzt. Bald darauf wurde er aufgerufen, doch da ich mir keine Kämpfe ansehe, habe ich erst von Oceanus erfahren, das ihm Gnade gewährt wurde.“