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Er kommt aus Gran Canaria und ist der Sohn von Dr. Daniel Nordens Cousin Michael und dessen spanischer Frau Sofia. Alexander kennt nur ein Ziel: Er will Arzt werden und in die riesigen Fußstapfen seines berühmten Onkels, des Chefarztes Dr. Daniel Norden, treten. Er will beweisen, welche Talente in ihm schlummern. Dr. Norden ist gern bereit, Alexanders Mentor zu sein, ihm zu helfen, ihn zu fördern. Alexander Norden ist ein charismatischer, unglaublich attraktiver junger Mann. Die Frauenherzen erobert er, manchmal auch unfreiwillig, im Sturm. Seine spannende Studentenzeit wird jede Leserin, jeden Leser begeistern! Gut gelaunt vor sich hin pfeifend, holte Alex sein Motorrad aus dem Schuppen. Der von irgendeinem ominösen Bekannten seines Vermieters eingelagerte Kram war zwar immer noch da, aber nach einigem Hin und Her waren die Sachen wenigstens so weit zur Seite geräumt worden, dass wieder Platz für das Motorrad war. Neugierig geworden, lehnte Alex sein Motorrad gegen einen notdürftig mit staubigen Laken bedeckten Plüschsessel aus den 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts und fing an, die Bücher zu inspizieren. Historische medizinische Fachliteratur war, wie er bereits auf den ersten Blick feststellen konnte, nicht darunter, stattdessen ein antiquiertes Riemann-Musiklexikon. Und jede Menge Romane, samt und sonders edles Leinen-Hardcover mit weißer oder goldgeprägter Aufschrift. »Das Erbe von Björndal«, murmelte Alex einen der Titel vor sich hin, konnte sich aber nichts darunter vorstellen. Mindestens ein Dutzend der wie Zinnsoldaten nebeneinander aufgereihten Bücher waren von einer Schriftstellerin namens Vicki Baum verfasst, und Alex vermutete, dass es sich um Liebesromane handelte. Zumindest trug eines der Bücher den Titel »Liebe und Tod auf Bali«. Unwillkürlich musste Alex schmunzeln. Ob er Sina einmal hierher schicken sollte? Der Schlag einer Kirchturmuhr riss Alex, obwohl er ihm fast wie ein Teil dieser versunkenen Zeit vorkam, aus seinen Träumereien. Beinahe erschrocken legte er die Bücher weg und rieb sich den Staub von den Händen. Wenn er so weitermachte, würde er am Ende noch zu spät zu seiner Praktikumsschicht in der Behnisch-Klinik kommen! Hastig schob Alex sein Motorrad ins Freie, schloss die Tür des Schuppens hinter sich und stürzte sich in den alltäglichen Verkehr der Großstadt. Im Glockenbachviertel ging es zügig voran, aber in der Münchner Innenstadt war wieder einmal Stopp und Go angesagt, und Alex musste sich wohl oder übel in Geduld fassen. Erst als er schon in Richtung Behnisch-Klinik abgebogen war, wurde der Verkehr, obwohl er sehr dicht blieb, wieder flüssiger. Trotzdem warf Alex mehrmals einen nervösen Blick auf seine Armbanduhr. Seine Schicht begann um 14 Uhr, und er wollte nicht zu spät kommen. Sollte er mit dem wendigen Motorrad einfach an der träge dahin fließenden Blechlawine vorbeifahren und irgendwo weiter vorne wieder einscheren?
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Seitenzahl: 135
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Gut gelaunt vor sich hin pfeifend, holte Alex sein Motorrad aus dem Schuppen. Der von irgendeinem ominösen Bekannten seines Vermieters eingelagerte Kram war zwar immer noch da, aber nach einigem Hin und Her waren die Sachen wenigstens so weit zur Seite geräumt worden, dass wieder Platz für das Motorrad war.
Trotzdem fragte sich Alex mit leisem Kopfschütteln, wie ein einzelner Mensch, selbst wenn er möglicherweise schon hundert oder noch mehr Jahre alt war, es geschafft hatte, so viele Habseligkeiten anzusammeln: uralte Koffer, in denen wahrscheinlich Kleidungsstücke aus dem vorigen Jahrhundert von längst vergangenen Zeiten träumten, eine mit Sicherheit nicht mehr funktionsfähige Kaffeemaschine, ein Handbetrieb-Rasenmäher, ein ausgeleiertes, halb zerfetztes Hundegeschirr und ein zerbissener Ball, ein aufgrund eines abgebrochenen Beins schief stehender Schreibtisch und Bücher, Bücher, Bücher …
Neugierig geworden, lehnte Alex sein Motorrad gegen einen notdürftig mit staubigen Laken bedeckten Plüschsessel aus den 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts und fing an, die Bücher zu inspizieren.
Historische medizinische Fachliteratur war, wie er bereits auf den ersten Blick feststellen konnte, nicht darunter, stattdessen ein antiquiertes Riemann-Musiklexikon. Und jede Menge Romane, samt und sonders edles Leinen-Hardcover mit weißer oder goldgeprägter Aufschrift. »Das Erbe von Björndal«, murmelte Alex einen der Titel vor sich hin, konnte sich aber nichts darunter vorstellen. Mindestens ein Dutzend der wie Zinnsoldaten nebeneinander aufgereihten Bücher waren von einer Schriftstellerin namens Vicki Baum verfasst, und Alex vermutete, dass es sich um Liebesromane handelte. Zumindest trug eines der Bücher den Titel »Liebe und Tod auf Bali«.
Unwillkürlich musste Alex schmunzeln. Ob er Sina einmal hierher schicken sollte? Bei ihrem Faible für romantische Geschichten …
Der Schlag einer Kirchturmuhr riss Alex, obwohl er ihm fast wie ein Teil dieser versunkenen Zeit vorkam, aus seinen Träumereien. Beinahe erschrocken legte er die Bücher weg und rieb sich den Staub von den Händen. Wenn er so weitermachte, würde er am Ende noch zu spät zu seiner Praktikumsschicht in der Behnisch-Klinik kommen!
Hastig schob Alex sein Motorrad ins Freie, schloss die Tür des Schuppens hinter sich und stürzte sich in den alltäglichen Verkehr der Großstadt.
Im Glockenbachviertel ging es zügig voran, aber in der Münchner Innenstadt war wieder einmal Stopp und Go angesagt, und Alex musste sich wohl oder übel in Geduld fassen. Erst als er schon in Richtung Behnisch-Klinik abgebogen war, wurde der Verkehr, obwohl er sehr dicht blieb, wieder flüssiger.
Trotzdem warf Alex mehrmals einen nervösen Blick auf seine Armbanduhr. Seine Schicht begann um 14 Uhr, und er wollte nicht zu spät kommen.
Sollte er mit dem wendigen Motorrad einfach an der träge dahin fließenden Blechlawine vorbeifahren und irgendwo weiter vorne wieder einscheren? Zwar sagte ihm sein Verstand, dass damit nicht allzu viel Zeit zu gewinnen war, doch seine Ungeduld war anderer Meinung.
Kurz entschlossen setzte Alex den Blinker und schwenkte nach links, als weiter vorne plötzlich quietschende Bremsen, das Kreischen von ineinandergeschobenem und zerberstendem Blech und ein entsetzter Aufschrei einer Frau zu hören waren. Alex stieg ebenfalls unsanft auf die Bremse und brachte sein Motorrad zum Stehen. Auch die Fahrzeuge, die vor und hinter ihm gewesen waren, bremsten, wurden aber dennoch ineinandergeschoben. Einen Atemzug lang blieb Alex in Anbetracht der Gefahr, in der er sich befunden hatte, fast das Herz stehen, dann schaute er nach vorn, um zu erspähen, was passiert war. Er konnte nichts erkennen. Nur ein pinkfarbenes Luftballonherz mit dem Bild eines freundlichen weißen Kätzchens und der Aufschrift »Be happy« schwebte auf das Trottoir auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu, taumelte und blieb flatternd an einer Dachrinne hängen.
Für ein paar Augenblicke starrte Alex wie gebannt auf das Luftballonherz, dann kehrten seine Lebensgeister zurück. Er startete sein Motorrad wieder und fuhr an den Autos vorbei nach vorn zu der Unfallstelle.
Auf der Fahrbahn lag ein kleiner Junge, der nach Alex‘ Schätzung fünf oder allerhöchstens sechs Jahre alt sein mochte. Vor und neben seinem Kopf war alles voller Blut, aber der Junge war, wie Alex sich mit einem raschen Blick vergewisserte, offenbar nur gestürzt und von dem vordersten Auto, einem dunkelgrünen Cooper Mini, nicht erfasst worden.
Die Fahrerin des Cooper Mini, eine blonde, korpulente Frau in mittleren Jahren, hatte anscheinend, ebenso wie ihr Hintermann, gerade noch rechtzeitig bremsen können.
Wild gestikulierend lief sie nun auf Alex zu, der sich über den Kopf des Jungen beugte, um ihn zu untersuchen. »Er ist mir einfach vors Auto gelaufen. Er hat sich von seiner Mutter losgerissen und ist auf die Fahrbahn gerannt. Wegen des dämlichen Luftballons.« Sie schaute sich um und bedachte den Luftballon, der, als sie ihn entdeckte, immer noch ziellos an der Dachrinne flatterte, mit einem verächtlichen Blick.
»Es tut mir so leid«, trat kurz darauf eine zweite, auffallend dunkelhaarige Frau herzu, die zuvor wie erstarrt am Straßenrand gestanden war, sodass Alex sie zunächst der Gruppe der dort gaffenden Schaulustigen zugeordnet hatte. Ihre Stimme zitterte, und beim Anblick des Jungen hielt sie voller Angst ihre Hände vor ihr tränenüberströmtes Gesicht. »Er … er wollte den Luftballon wiederhaben. Er … wollte einfach nicht auf mich hören. Wie Kinder nun einmal sind. Er dachte nur an seinen Luftballon.«
»Sie hätten besser auf Ihr Kind aufpassen sollen«, fuhr die korpulente Blondine die andere Frau wütend an. »Wenigstens ordentlich festhalten hätten Sie den Jungen sollen, wenn er Ihnen anscheinend schon nicht gehorcht. Ist Ihnen überhaupt klar, was hier hätte passieren können? Wenn ich nicht so schnell reagiert hätte, könnte das Kind jetzt tot sein. Und ich müsste mich mit der Polizei und möglicherweise sogar noch mit der Staatsanwaltschaft herumschlagen. Von der psychischen Belastung, von dem Trauma, ein Kind totgefahren zu haben, einmal ganz zu schweigen. Ihr Glück nur, dass wenigstens mein Auto nicht beschädigt ist. Leute wie Sie …«
Alex gebot der Blondine mit einem Blick Einhalt, in den er, so gut es ging, das Selbstbewusstsein und das bisschen Autorität legte, das ihm zur Verfügung stand.
Zwar war ihm durchaus klar, dass die Frau den soeben ausgestandenen Schrecken noch nicht überwunden hatte und mit Sicherheit nicht meinte, was sie sagte, aber Schimpftiraden und Schuldzuweisungen erschienen ihm im Moment vollkommen sinnlos und wenig zuträglich.
»Sie sind die Mutter?«, wandte er sich schließlich wieder der dunkelhaarigen Frau zu.
Die Frau nickte zaghaft, ohne ihre Hände vom Gesicht zu nehmen. »Ja. Also eigentlich nein. Ja, doch«, stammelte sie, ließ dann endlich ihre Hände sinken und schaute Alex mit einem Ausdruck so abgrundtiefer Verzweiflung an, dass er sie am liebsten umarmt und getröstet hätte.
»Muss … muss Sascha sterben?«, stieß sie mit tränenerstickter Stimme hervor.
Alex, der noch immer neben dem kleinen Jungen kauerte, schüttelte den Kopf. »Nein, mit Sicherheit nicht«, beruhigte er die Frau. »Ihr Sohn hat sich bei dem Sturz eine Platzwunde am Kopf zugezogen. Deshalb das viele Blut. Die Wunde muss desinfiziert und genäht werden.«
»Sind Sie … Arzt?«, fragte die dunkelhaarige Frau, doch Alex kam nicht dazu, ihr zu antworten.
»Mein Luftballon. Wo ist mein Luftballon?«, begann der Kleine zu jammern und versuchte dann, sich an den Kopf zu fassen. »Es tut ganz schlimm weh. Saschas Kopf tut ganz schlimm weh.«
»Ich rufe jetzt ein Auto, das dich zu einem Onkel Doktor bringt, der dafür sorgt, dass es schon bald nicht mehr weh tut. Und dein Luftballon hängt da oben, schau.«
»Kannst du ihn mir holen?«, fragte der Junge, der beim Anblick des Luftballons offenbar seine Schmerzen völlig vergaß. »Ich will den Ballon wiederhaben. Mein Papa hat ihn mir erst gestern geschenkt.«
Alex warf einen skeptischen Blick auf den Luftballon, dessen Schnur sich, so wie es aussah, mittlerweile ein wenig gelockert hatte. »Ich werde es versuchen. Später«, sagte er. »Aber zuvor musst du ganz brav sein und vom Onkel Doktor deine Wunde am Kopf versorgen lassen. Versprichst du mir das?«
»Wenn du mir den Luftballon holst, verspreche ich es«, erwiderte Sascha.
»Gut, dann rufe ich jetzt erst einmal einen Krankenwagen«, stellte Alex klar.
Noch ehe Alex nach seinem Handy hätte greifen können, hatte die korpulente Blondine ihres bereits in der Hand. »Entschuldigen Sie. Wie dumm war ich eigentlich? Natürlich brauchen wir einen Krankenwagen. Ich hätte ihn längst rufen sollen. Aber ich war so durcheinander, ich …« Sie brach ab, wählte mit konzentrierter Miene die Notrufnummer und gab in zunächst wirren, dann aber immer klarer verständlichen Worten durch, was geschehen war und auch, wo es geschehen war.
»Danke für Ihre Hilfe«, sagte Alex und nickte ihr freundlich zu.
Im nächsten Moment schaute er sich verblüfft um, weil er ein Martinshorn vernahm. Das konnte doch wohl nicht sein! Oder hatte am Ende schon jemand anderer den Notarzt verständigt?
Der Wagen, der eine Sekunde später mit Blaulicht um die Ecke bog, war allerdings kein Krankenwagen, sondern ein Polizeifahrzeug.
Erst jetzt gewahrte Alex die beiden heftig streitenden und schimpfenden Männer, die sich angesichts der Dellen in ihren auf Hochglanz polierten Limousinen allem Anschein nach am liebsten geprügelt hätten. Offenbar waren sie es gewesen, die die Polizei gerufen hatten.
Wenig später kam auch der Krankenwagen.
Der diensthabende Notarzt war zu Alex‘ Enttäuschung nicht Dr. Rudolf, kannte Alex allerdings von der Sanitätsstation. »Ein angehender Kollege«, sagte er mit einer Handbewegung in Alex‘ Richtung zu der Blondine und der dunkelhaarigen Frau, die sofort auf ihn zulief. »Er ist Sanitäter und Medizinstudent.«
Die Dunkelhaarige nickte, schaute von Alex zum Notarzt und wieder zu Alex und begann dann von Neuem haltlos zu weinen.
»Wir nehmen Sie am besten auch gleich mit, liebe Frau«, sagte der Notarzt zu ihr, während Alex den Sanitätern half, Saschas Wunde vorläufig zu versorgen und den Jungen in den Sanitätswagen zu bringen. »Sieht mir fast so aus, als stünden Sie unter Schock. Wie heißen Sie überhaupt?«
»Ich bin Irina Seidel«, antwortete die Frau. »Und der Junge heißt Sascha. Es war alles nur, weil der Luftballon davongeflogen ist und Sascha ihn unbedingt wiederhaben wollte …«
»Schon gut«, meinte der Notarzt und schob Irina Seidel sanft, aber bestimmt zum Rettungswagen.
Sie folgte ihm zunächst willen- und widerstandslos, drehte sich aber, als der Notarzt ihr beim Einsteigen behilflich sein wollte, plötzlich noch einmal um. »Kommen Sie auch mit uns?«, wandte sie sich an Alex. »Ich glaube, das würde Sascha helfen. Wenn Sascha mit mir und den Ärzten allein ist … Ich … Es scheint mir, als hätte Sascha spontan Vertrauen zu Ihnen gefasst.«
Der Notarzt zog die Augenbrauen hoch und bedachte Alex mit einem breiten Grinsen. »Sieh mal einer an! Schon wieder jemand, der dich für den lieben Gott hält, bester Alex«, spöttelte er. »Es handelt sich zwar diesmal nur um einen kleinen Jungen, aber immerhin. Wenn du erst ein richtiger Arzt bist, werden dir die Patientenherzen nur so zufliegen.«
Alex wurde rot und zuckte mit den Schultern. »Sascha … Ich habe ihm versprochen, ihm seinen Luftballon zurückzubringen«, versuchte er sich an einer Erklärung.
Der Notarzt lachte auf. »Dann viel Glück«, sagte er und wies auf den herzförmigen Ballon, der sich soeben von der Dachrinne gelöst hatte und befreit in den Himmel stieg.
*
Seinen Motorradhelm unter den Arm geklemmt, hastete Alex vom Personalparkplatz der Behnisch-Klinik zum Haupteingang, um rasch den Helm in seinem Spind zu deponieren, seinen Pflegerkittel überzuziehen und sich bei der Oberschwester zu seinem Dienst zu melden.
Er konnte bereits ihr skeptisches Gesicht vor sich sehen, mit dem sie seinen Bericht von dem Unfall aufnehmen würde, bei dem es sich in ihren Augen natürlich wieder einmal lediglich um eine fantasievoll erfundene Ausrede handelte. Zwar gab es, da Sascha und Irina Seidel mit Sicherheit noch in der Notaufnahme der Behnisch-Klinik versorgt wurden, einen lebenden und aussagekräftigen Beweis für die Wahrheit der diesmaligen »Ausrede«, aber dieser Beweis würde die gestrenge Oberschwester aller Wahrscheinlichkeit nach nicht die Bohne interessieren.
Als Alex an der Cafeteria vorbeilief, schlugen ihm Kaffeeduft und Essensgerüche entgegen, aber für beides war jetzt zu seinem Bedauern keine Zeit.
Gesenkten Kopfes raste er mit Riesenschritten weiter und sah sich plötzlich durch zwei kräftige, gegen seine Brust gestemmte Arme aufgehalten.
»Bist du wahnsinnig, Alex?«, kam es von Chris, dem Krankenpfleger. »Stell dir mal vor, hier wäre ein Patient auf wackligen Beinen mit einem Infusionsständer unterwegs! Oder ein an der Hüfte oder am Knie operierter Patient mit einer Gehhilfe! Du kannst doch in einer Klinik nicht ohne Rücksicht auf Verluste durch die Gegend preschen wie ein Tornado.«
Alex machte zuerst ein betretenes Gesicht, dann hob er abwehrend die Hände. »Den Patienten mit der Gehhilfe hätte ich sehr wohl gesehen«, verteidigte er sich. »Schließlich bin ich nicht blind. Zumal dieser Patient mir im Gegensatz zu deiner Wenigkeit bestimmt nicht absichtlich in den Weg gelaufen wäre, um mich zu rammen. Und jetzt lass mich bitte vorbei. Du siehst doch, dass ich es eilig habe.«
Energisch schob Alex Chris‘ Arme weg und wollte an ihm vorbeilaufen, doch Chris vertrat ihm den Weg. »Du hast ohnehin schon fast eine Stunde Verspätung, mein Lieber«, erklärte er. »Da kommt es auf eine Minute mehr oder weniger auch nicht mehr an.« Er grinste. »Du hättest den Mittagsquickie mit Sina eben doch besser ausfallen lassen. Oder warum bist du diesmal unpünktlich?«
»Mittagsquickie«, knurrte Alex. »Von wegen Mittagsquickie. Ich bin in einen Verkehrsunfall geraten. Und hatte noch Glück, mit meinem Motorrad nicht zwischen zwei riesigen Autos zerquetscht zu werden.«
»Was du nicht sagst.« Chris fing an zu lachen und hörte erst wieder auf, als ihm die Luft wegblieb. »Der war echt gut, Mann. Deine Fantasie steigert sich von Tag zu Tag. Du solltest, anstatt Medizin zu studieren, einer von diesen Journalisten in den Neuen Medien werden. Das wäre der ideale Job für dich. Du würdest es garantiert weit bringen.«
»Vollpfosten«, ärgerte sich Alex und gab Chris einen leichten Stoß mit dem Ellbogen. »Da war tatsächlich ein Unfall, verdammt noch mal. Ich möchte echt wissen, warum mir keiner glaubt. Jeder denkt, dass ich lüge. Obwohl ich immer die Wahrheit sage.«
»Immer? Gut, lassen wir das. Ich glaub dir ja. Ausnahmsweise. Also reg dich gefälligst wieder ab«, konterte Chris. »Was ist denn überhaupt passiert?«
»Eine Menge Autos sind ineinander geknallt. Sie mussten plötzlich bremsen, weil ein Kind sich von der Mutter losgerissen hat und auf die Straße gelaufen ist. Wegen eines Luftballons. Beide sind jetzt in der Notaufnahme.«
»Wer? Die Mutter und der Luftballon?«
»Jetzt hör doch endlich auf mit deinem Quatsch.« Allmählich wurde Alex ärgerlich.
»Okay, okay«, beschwichtigte Chris. »Zumindest hast du mit der Mutter eine Zeugin, und die Oberschwester kann dir somit nichts anhaben. Wie wäre es unter diesen Umständen mit einem Becher Kaffee?«
»Sag mal, gehts noch? Hast du mich nicht verstanden? Ich muss …«
»Du musst dich von dem Schrecken, beinahe zwischen zwei Autos zerquetscht worden zu sein, auf alle Fälle erst einmal ein paar Minuten erholen. Und du solltest ein belebendes Getränk zu dir nehmen«, erklärte Chris. »Das dürfte dir als angehendem Arzt sehr wohl bekannt sein. Genauso wie mir als Krankenpfleger.«
Alex schielte in Richtung Cafeteria, und der Kaffeeduft schien ihm plötzlich noch um einiges intensiver und betörender geworden zu sein. Doch er kämpfte tapfer gegen die Versuchung an.
»Chris, ein andermal trinke ich gerne einen Becher Kaffee mit dir«, versicherte er. »Aber jetzt muss ich mich wirklich im Dienstzimmer bei der Oberschwester melden. Damit ich es endlich hinter mir habe. Und dann muss ich als Erstes nach dem kleinen Jungen sehen, der dem Luftballon hinterhergerannt ist. Er hat sich beim Sturz auf die Fahrbahn eine Platzwunde am Kopf zugezogen, und seine Mutter wollte eigentlich, dass ich im Rettungswagen mitfahre, damit der Kleine weniger Angst hat. Sie … hatte das Gefühl, das Kind vertraut mir.«
»Hmm«, meinte Chris. »Ist sie alleinerziehend? Ist sie jung? Ist sie hübsch?«
»Keine Ahnung, ob sie alleinerziehend ist. Und was das andere betrifft - so genau habe ich sie mir nun auch wieder nicht angesehen. Sie hat, glaube ich, irgendwie Probleme mit dem Kind. So hat es für mich jedenfalls ausgesehen.«
»Kinder machen immer irgendwie Probleme«, wusste Chris. »Und außerdem ist die Platzwunde bestimmt längst genäht. Auch ohne dass du Händchen gehalten hast. Im Moment verfrachten sie den kleinen Jungen wahrscheinlich ein Stockwerk höher und stecken ihn in die Röhre, um zu sehen, ob er noch irgendwelche anderen Verletzungen davongetragen hat. Dabei bist du nur im Weg, und die Dr. Greenhorns sind die Ersten, die dich Praktikantenzwerg mit dem größten Vergnügen wegschicken.«
»Die Dr. Was?«
»Die Assistenzärzte. Der Spitzname stammt übrigens nicht von mir. Den hat sich Arunotai, unsere kleine thailändische Lernschwester, einfallen lassen. Damit hat sie bewiesen, wie gut sie sich bereits in unser Team eingearbeitet hat.«
