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Als Martha Gilroy den Auftrag bekam, eine Werbekampagne für ein aufregendes neues Parfüm zu starten, hatte sie keine Ahnung, worauf sie sich da einließ. Eine Reise nach Cornwall, wo sie einige Werbeaufnahmen machen wollte, geriet zu einem Horrortrip. Martha sah sich plötzlich in eine Kindsentführung verwickelt, in wilde Verfolgungsjagden durch unheimliche Landschaften und eine verzweifelte Suche nach der Formel, für die ein gewalttätiger Mann schon einmal gemordet hatte und bereit war, es wieder zu tun…
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Seitenzahl: 379
Veröffentlichungsjahr: 2021
Joan Aiken
Roman
Aus dem Englischen von Karin Polz
Diogenes
Die erste offizielle Andeutung meiner bevorstehenden Verwicklung in den Fall ›Produkt x‹ erfolgte an einem trüben, garstigen Montag gleich nach Weihnachten, als George Salmon alle Mitarbeiter zusammenrief, um uns von dem neuen Auftrag zu berichten, den die Agentur einem Dutzend hungriger Konkurrenten – das wollte er uns jedenfalls weismachen – weggeschnappt hatte.
Salmon und Bucknell ist keine große Werbeagentur. Von den beiden Partnern lebt nur noch Salmon. Bucknell starb an einer Überdosis Beruhigungstabletten, die ›Schlafgut‹ hießen und später aus dem Handel gezogen wurden; glücklicherweise hatten wir nichts mit dem Produkt zu tun. Unsere Agentur versucht nicht, solchen Riesen wie B&H oder JWT Konkurrenz zu machen – im Gegenteil. Wir streben die persönliche Note an. »Eine einzige glückliche Familie« spottet bei jedem größeren Streit oder in Krisensituationen mit Sicherheit irgend jemand. Und leider scheint es auch immer irgendwie so zu laufen, daß unsere Kunden mehr und mehr zu Familienmitgliedern werden. Ein Geschäftsessen mit George macht den Anfang, als nächstes folgen rustikale Wochenenden in seinem Cottage in Maidenhead, dann begleitet Mimi ihre Ehefrauen zum Einkaufen, ich werde dazu verdonnert, mit ihren Kindern in den Zoo zu gehen, Tom fotografiert sie, und inzwischen leben sie praktisch im Büro, und wir wissen alle Einzelheiten über ihr Asthma, ihren Hausschwamm und ihre Probleme mit der Einkommenssteuer. Und umgekehrt natürlich genauso. Ich bin nicht immer so ganz sicher, ob diese Art der Geschäftsführung sehr effizient ist, doch das ist eben Georges Art: Er kann nicht anders.
Aber im allgemeinen kommen wir alle recht gut miteinander aus, und als es mir ziemlich schlecht ging, war die Agentur ein richtiger Zufluchtsort für mich. Sie ist, wie gesagt, nicht groß, läuft aber ganz ordentlich. Damals hatten wir einige gute, zahlungskräftige Kunden, eine amerikanische Firma, die sich ›Faireweather Foods‹ nannte, den Modemacher Franz Oesmacher, die ›National Peanuts Week‹, Midinette-Waschmaschinen, Funshine-Möbel und Born, das Fleisch & Milch-Getränk, ganz zu schweigen von der Regierung von Turkinistan. Diese bereitete uns so manches Mal Kopfschmerzen, da sie lediglich aus einem Dutzend reaktionär eingestellter Scheichs bestand, die mit ihren Harems und ihren Cadillacs in der Wüste herumfuhren. Je weniger man über sie sagt, desto besser, aber sie gaben einen exotischen Farbtupfer in unserem Jahresbericht ab.
So saßen wir also in George Salmons Zimmer, dem einzigen mit einem Flauschteppich und bequemen Stühlen und tranken Kaffee, den Jimmy O’Riordan zuvorkommenderweise aus der Cafeteria im Erdgeschoß geholt hatte. Unser Büro befand sich in Paris Garden, keine sehr gute Adresse; »südlich der Themse« sagten wir meistens, um Southwark nicht zu erwähnen, aber es lag günstig zum Old Vic und zur Waterloo Station. Die Firma war zu klein, als daß sich eine eigene Kantine gelohnt hätte, aber wir hatten eine Versuchsküche, wo wir Faireweathers Fertig-Kebab auftauen und auf seine Genießbarkeit hin überprüfen konnten.
Ich fühlte mich wohl dort.
Ich nehme an, es gibt Leute, die sich immer wohlfühlen und sich daran gewöhnen, kaum mehr Notiz davon nehmen, ich allerdings habe gelernt, dieses Gefühl sozusagen zu horten, so wie Rheumatiker es genießen, wenn die Schmerzen nachlassen. Weihnachten war Gott sei Dank gut überstanden, und ich trug ein elegantes neues Kostüm – in einem Anfall von Extravaganz war ich Heiligabend in aller Eile losgerannt, um es zu kaufen, passend zur Jadekette, die Tom mir geschenkt hatte –, und ich hatte den lieben alten George Salmon im Flur getroffen, der mir verkündete, daß unsere Fernsehspots für Midinette einen Preis in Monaco gewonnen hätten – ich war also so richtig glücklich.
Ich nickte Susan und Jimmy zu und setzte mich neben Mimi. Sie zeigte mir die riesige, mit Flittergold verzierte Karte, die Seine Exzellenz der Emir von Turkinistan ihr zu Weihnachten geschickt hatte.
Wir kicherten über den Text:
Hätt’ ich einen fliegenden Teppich, o meine Huri,
Würd’ ich fliegen mit dir über den weiten Missouri;
Wir würden uns lieben wohl unter Sternen,
Zwischen Granatäpfeln, Pfirsich und Potpourri!
»Warum ausgerechnet der weite Missouri?« fragte Mimi.
»Offensichtlich ist ihm kein Reim mehr eingefallen …« In diesem Moment betrat George das Zimmer, über das ganze Gesicht strahlend. Ihm folgte Tom Toole, unser Art Director. Ich hatte Tom seit vor Weihnachten nicht mehr gesehen. Er warf mir einen ernsten Blick zu und setzte sich neben mich. Mein Herz machte einen kleinen Hüpfer.
George blieb stehen. Wie immer wirkte er sehr distinguiert – silberweißes Haar und eine Blume im Knopfloch –, doch auch ein klein wenig schäbig. Seine jeweiligen Frauen kümmern sich nie richtig um ihn, und er ist immer so damit beschäftigt, Unterhaltsgelder zu zahlen, daß er keine Zeit für sich selbst findet.
»Nun, meine Freunde«, sagte er, »wie ich sehe, haben wir alle das übliche Weihnachtsfest hinter uns, darum werde ich eure brummenden Schädel und strapazierten Lebern nicht mit zu schwierigen Dingen belasten. Ich habe euch nur zusammengerufen, um euch über unseren neuen Kunden zu berichten, Dunskirk und Sohn.«
Wir spitzten alle die Ohren. Daß sich ein neuer Kunde angekündigt hatte, wußte ich schon, weil George mir im Flur kurz vor der Besprechung einen deutlichen Hinweis gegeben hatte, aber der Name Dunskirk sagte mir nichts. Pharmazeutische Produkte? Müsli? Damenwäsche? Oder was sonst?
George fuhr mit seiner Ansprache fort. »Dunskirk ist eine Firma, die sehr im Kommen ist«, holte er aus in seiner warmherzigen, aufmunternden Art, die einem sofort zu Bewußtsein bringt, daß er das Beste aus ziemlich deprimierenden Umständen zu machen versucht, und die, da bin ich sicher, der Grund dafür ist, daß seine Frauen ihn immer verlassen, obwohl er ein Schatz ist.
»Die Firma existiert seit 1920, als der alte Dunskirk ganz klein mit der Herstellung von Handcremes und Toilettenseifen anfing. Seit dem Zweiten Weltkrieg hat das Unternehmen expandiert, wie ihr wißt, und umfaßt das ganze Angebot an kosmetischen Produkten; den Damen werden die Gay-Gal-Kosmetika natürlich bekannt sein.«
»Gütiger Himmel«, murmelte Mimi leise. »Wie tief sind wir gesunken!«
Ich wagte nicht, sie anzusehen. Als ich zwölf war und mich zum erstenmal in das geheime Abenteuer kosmetischer Verschönerung stürzte, kaufte ich mir, das weiß ich noch, einen Gay-Gal-Lippenstift ›Flammender Flamingo‹ und irgendeinen korallenroten Puder, was für meinen Durchschnitts-Teint wahrscheinlich den ersten Schritt bergab bedeutete. Damals, etwa fünf Jahre nach dem Krieg, waren Gay-Gal-Produkte in Südengland nicht annähernd so weit verbreitet wie heute; der alte Dunskirk, der aus Lancashire stammte, startete sein Unternehmen sehr erfolgreich, indem er sich um die Arbeiterinnen in den Spinnereien und Fabriken in den Midlands und den Industriegebieten des Nordens bemühte. Hauptvorzug der Gay-Gal-Kosmetika waren die niedrigen Preise. Und bald schon wurde das Zeug zu einem vertrauten Anblick in den Schaufenstern – fettige, unförmige Lippenstifte in schwarzrosa gestreiften Hüllen, die schon in den Auslagen angeschlagen und schmutzig wirkten, geronnene Gesichtscremes in Behältern, die wie Puddingformen aussahen. Ein paar Jahre später stieß man überall auf sie – in Kettenläden und Supermärkten, in Kurzwarengeschäften und ländlichen Gemischtwarenhandlungen.
Mimi verzog den Mund, und ich sah ihr an, daß sie wie ich die Gay-Gal-Produkte nicht unbedingt für einen Gewinn der Agentur hielt. George jedoch strahlte immer noch wie eine Katze, die Sahne genascht hat, genau in unsere Richtung, da er ganz offensichtlich unsere Gedanken erriet. Trotz seiner augenscheinlichen Naivität ist der liebe George ein ziemlich pfiffiger Bursche; ich bin schon oft reingefallen, weil ich das nicht einkalkuliert hatte.
»Die neue Linie bei Dunskirk aber sieht ganz anders aus«, fuhr er fort. »Dunskirk führt ein Parfüm ein, das eine höhere Einkommensgruppe anspricht, und von dem sie erhoffen, daß es sie auf das Niveau von Luxus-Kosmetika hebt. Es soll den Anfang machen in einer Reihe von Artikeln für die … Oberschicht. Vielleicht möchten die Damen mal schnuppern?«
Aufmunternd nickten wir ihm zu, und er zog einen unscheinbaren kleinen braunen Musterflacon hervor, den er Mimi reichte. Mit einiger Mühe zog sie den Gummistöpsel raus und schnupperte.
»Das kann doch nicht wahr sein!« sagte sie. »Das ist wirklich gut! Kann ich einen Tropfen zum Versuchen haben, George?«
»Im Augenblick lieber nicht, meine liebe Mimi. Dies ist das einzige Muster, das sie uns vorläufig zur Verfügung gestellt haben. Es gibt nur ganz wenig davon; wie ich gehört habe, befindet es sich gewissermaßen noch im Versuchsstadium. Ich vermute, daß das vielleicht noch nicht der endgültige Duft ist. Du wirst dich also mit Beschreibungen zurückhalten müssen, bis die Versuche abgeschlossen sind.«
»Es ist gar nicht übel so, wie es jetzt ist.« Mimi reichte mir das Fläschchen. Ich schnupperte und stimmte zu. Es hatte einen herben Geruch nach Holz, sehr angenehm und erstaunlich stark. Die meisten Parfüms erinnern einen an den einen oder anderen besonderen Duft; das Merkwürdige an diesem war, daß es nach nichts Vergleichbarem roch und dennoch diese Intensität besaß.
»Wirklich sehr angenehm. Ungewöhnlich.« Ich gab die Flasche, auf der ›Produkt x‹ stand, an Tom weiter, der mich anlächelte und sagte: »Ich werde mein Okay geben, wenn du es gut findest, Martha. Ich kann Chanel No 5 nicht von Lapsang Souchong unterscheiden.«
Plötzlich, als habe eine Wolke die Sonne verdeckt, fühlte ich mich sonderbar trostlos und elend. Ich hörte eine andere Stimme zu mir sagen: »Kauf dir eins, wenn du möchtest, Liebling; für mich riechen sie alle gleich. Ehrlich gesagt, ich mag deinen eigenen Geruch am liebsten.«
Warum lassen sich Erinnerungen nicht abschütteln? Ich holte tief Luft und befahl mir: Vergiß es. Begrabe es, es ist vorbei. Laß doch die Erinnerungen.
Tom sah mich immer noch an; ich lächelte zurück: »Es hat einen … ich denke, man könnte es Holzgeruch nennen. Angenehm herb und dabei kräftig! Hoffentlich fangen sie jetzt nicht an, eine Menge Ambra und Jasmin dazuzuschütten, um es lieblicher zu machen.«
Nun waren Susan und Jimmy an der Reihe, und Susan stieß einen Bewunderungsruf aus über die Intensität des Duftes, obwohl sie für sich selbst, wie sie sagte, einen hübschen lieblichen Duft vorzog. Auch Jimmy war begeistert und meinte, es könnte leicht eines der wirklich großen, klassischen Parfums werden. Tom beobachtete mich noch immer; ich merkte, daß ich nach lieber, alter Gewohnheit meine linke Hand unter meinem großen blauen Notizblock versteckt hatte, und zog sie ungeduldig hervor.
»Nun!« sagte George, nachdem alle ihren Kommentar abgegeben und lange genug geschwatzt hatten. »Das Parfum ist unser neues Baby, Freunde – wir übernehmen natürlich das ganze Sortiment von Gay Gal, aber bei dem Parfum sind wir von Anfang an dabei, darum werde ich ein Planungsmeeting einberufen, wenn jeder dazu gekommen ist, sich etwas einfallen zu lassen. Offiziell wird die Leitung in Marthas bewährten Händen liegen, da Mimi im Augenblick ziemlich beschäftigt ist mit Oesmacher und dem Emir …« (Gelächter), »aber wie gewöhnlich ist jeder, der einen guten Einfall hat, aufgefordert, ihn vorzulegen.«
Das war der Arbeitsstil bei Salmon und Bucknell: Theoretisch schrieben Mimi und ich die Texte, Jimmy kümmerte sich um die Herstellung der Fernsehspots, und Tom war, wie erwähnt, der Art Director, während Susan sich mit den Medien und mit technischen Einzelheiten befaßte, in der Praxis jedoch mischte sich jeder bei jedem ein, und dieses System funktionierte erstaunlich gut, vielleicht, weil wir alle gut miteinander auskamen.
Als die Sitzung beendet war, gingen Mimi und ich in das Zimmer zurück, in dem wir zusammen arbeiteten. Mimi ließ sich auf ihren Stuhl fallen, legte die Füße auf den Metallpapierkorb, preßte die Finger gegen die Augen und stöhnte: »Mein Gott, habe ich einen Kater! Was ist mit dir, ma vieille, Anfall von Melancholie?«
Mimi ist eine gute Freundin. Mit vollem Namen heißt sie Maria Irina Michailowna Dourakin. Sie sieht nicht so aus, wie ich mir Russinnen vorstelle – groß, mit klassischen Zügen und glattem schwarzem Haar. Mimi sieht eher aus wie ein zierlicher Kobold. Sie ist klein und mager und steckt voller Energie. Ihr Haar ist schwarz, gewiß, aber es steht über ihrer hohen Stirn vom Kopf ab und knistert vor Elektrizität. Sie hat ein hageres Gesicht, große grüne Augen, eine Nase, um die Cäsar sie beneidet hätte, und Kleider, um die sie jeder beneidet. Einige Stücke ihrer Garderobe stammen aus führenden Modehäusern, aber wenn man sie fragt: »Mimi, woher hast du bloß die sagenhafte Jacke?«, gibt sie sehr oft auch die unbestimmte Antwort: »Oh, die habe ich auf einer Art Straßenmarkt in Northampton gefunden, damals, als wir die Funshine-Werke besichtigten, weißt du noch?« Sie verstand sich ausgezeichnet mit dem Emir von Turkinistan, der sie seine Gazelle und seinen Paradiesvogel nannte, wenn er sie nicht gerade mit weniger druckfähigen Kosenamen überhäufte.
Jetzt musterte sie mich mit einem prüfenden Blick aus ihren verkaterten Augen und sagte: »Weihnachten ist jedenfalls vorbei, und das ist etwas, wofür man dankbar sein sollte, wie jedes weibliche Wesen weiß. Du kommst mir so vor wie ein Mädchen, das einen Tropfen Wodka im Kaffee brauchen könnte. Komm, verlassen wir diesen Ort und leisten uns eine kleine Stärkung.«
»Ich weiß nicht, was mit mir ist«, sagte ich. »Als ich heute morgen kam, ging’s mir gut. Eine Vorahnung, vielleicht. Irgendwie kann ich keine große Begeisterung für dieses Produkt x aufbringen.«
»Gay Gal ist ein erbärmliches kleines Unternehmen, da kann man sagen, was man will«, stimmte Mimi mir zu und schlüpfte gewandt in einen militärisch aussehenden Mantel, der aus Rom stammte und erstaunlich überzeugend der Uniform der Schweizergarde des Vatikans nachempfunden war. »Trotzdem – das Zeug roch gut – bemerkenswert gut. Ich hätte nichts gegen ein paar kostenlose Proben. Wie wollen wir es nennen? Laß uns mal nachdenken.«
»›High Society‹«, schlug ich verdrießlich vor und zog meine schlichte schwarze Matrosenjacke an (bei meiner Größe und meinen Farben kann ich es mir nicht leisten, aufsehenerregende Mäntel zu tragen). »Oder einfach ›Oberschicht‹.«
Im Aufzug trafen wir Jimmy, der irisch und etwas durcheinander aussah und erklärte, er fahre rauf und runter, weil seine Sekretärin Grippe habe und er deshalb nicht arbeiten könne. Er kam mit, und wir gingen zu den ›Feathers‹, gleich um die Ecke, einem dieser gemütlichen, altmodischen Pubs, wo man auch guten Kaffee bekommt. Wir saßen in der Bar vor dem knisternden Feuer, alberten herum und amüsierten uns köstlich, indem wir uns extravagante, exotische Namen für unser Produkt ausdachten. Zum Glück war es leer in der Bar; es war noch zu früh für den Ansturm zum Lunch.
»Es sollte einen französischen Namen haben«, schlug Jimmy vor. »Cannebière? Corniche? Bois de Boulogne?«
»Coup de Grâce.«
»Hors de Combat.«
»Nicht schlecht«, sagte ich. »Dann müßten in den Fernsehspots Turnierkämpfe gezeigt werden bis zum bitteren Ende sozusagen, mit gräßlichem Schwertergemetzel, und die Schönheitskönigin würde in der königlichen Loge ihr Taschentuch flattern lassen.«
»Hübsch«, stimmte Mimi zu. »Warum nennen wir es nicht ›A Outrance‹?«
»Das ist nicht auszusprechen, Liebling.«
»Ihr vergeßt«, sagte Mimi, »daß wir uns jetzt auf einem höheren Einkommensniveau befinden, wo alle Kundinnen französische Pensionate besuchen. Aber vielleicht ist etwas dran. Was gehört sonst noch zu Turnieren: Fehdehandschuhe, Helme, Wappen …«
»Streitäxte.«
»Oh, sehr komisch. Kannst du dir vorstellen, wie jemand sagt: ›Eine Flasche Streitaxt, bitte‹?«
»Eine Axt Streitflasche«, schlug Jimmy vor.
George Salmon betrat das Pub, wo er oft schnell vor dem Essen ein Sandwich aß, bevor er für eine Stunde zurück in seine Wohnung eilte, um den Versuch zu machen, irgendeine Ehekrise in den Griff zu bekommen. Wir winkten ihm zu, und er setzte sich zu uns. »Wir haben beschlossen, unser neues Produkt ›Am runden Tisch‹ zu nennen«, erklärte Mimi munter.
»Ein wenig politisch, findest du nicht?« sagte George, nachdem er sich mit einem besorgten Blick vergewissert hatte, daß sie es nicht ernst meinte. »Erinnert mich an die Einigungsversuche von Labour und Arbeitgebern.«
»Auf jeden Fall möchten wir etwas, das ritterlich und nach König Artus klingt«, sagte Mimi streitsüchtig. Sie ist immer kurz davor, sich über George zu ärgern, weil er nicht viel Sinn für Humor hat, aber ihre Gutmütigkeit hält sie jedesmal rechtzeitig davon ab.
»Was haltet ihr von ›Guinevere‹?« fragte Jimmy.
»Kein Mensch würde wissen, wie man das ausspricht«, wandte George ein.
»Wir haben es jetzt mit einem höheren Einkommensniveau zu tun«, riefen wir alle im Chor, und George sah sich besorgt um in der Bar, die sich allmählich füllte.
»Camelot?«
»Das würde man mit dem Musical durcheinanderbringen.«
»Tintagel«, schlug ich vor, während mein Blick an einer Karte auf der Theke hängenblieb, auf der eine Burg mit Türmchen für Round-Tower-Starkbier warb.
»Tintagel? Das klingt nicht schlecht«, sagte George abwägend.
»Oh, ich habe es nicht ernst gemeint.«
»Nein, aber es gefällt mir. Es klingt interessant und vornehm. Genau in die Richtung müssen wir. Ich bin überzeugt, daß dies eines der wirklich großen Parfums werden wird, wie Arpège oder Chanel No 5; wir brauchen einen Namen, der dazu paßt. Danach müssen wir suchen, es muß etwas Ungewöhnliches sein. Nicht nur vulgärer Sex-Appeal, sondern etwas, das einen verfolgt.«
»Mehr verfolgt als Sex?« fragte Jimmy ungläubig, aber George war bei seinem Lieblingsthema und nicht abzulenken. Er ist ein verhinderter Dichter und erinnert uns von Zeit zu Zeit gern daran. Während er in Oxford war, veröffentlichte er zwei schmale Bändchen mit den Titeln Klagen und Orgasmen, deren er sich jetzt ein wenig schämt, aber er gefällt sich in der Vorstellung, daß er viel mehr aus sich hätte machen können, wenn er nur jemals Zeit gehabt hätte.
»Das einen verfolgt«, wiederholte er bestimmt. »Nostalgisch, vergänglich, beschwörend – das alles sollte ein Parfum sein. Gefährliche Meere – einsam im Zauberland … in der Art etwa. Ich möchte wirklich, daß wir uns bei dieser Sache ins Zeug legen, mal sehen, ob wir damit nicht in die Geschichte der Werbung eingehen.«
»Die weiche Welle, George?«
»Die weiche Welle macht sich am Ende immer bezahlt«, sagte George, »besonders auf dem Kosmetikmarkt.« Das ist eine andere seiner Lieblingstheorien.
Mimi wird immer zynisch und aufsässig, wenn sie das kreative Glitzern in Georges Augen aufleuchten sieht. Sie erhob sich energisch und nahm ihre Handtasche aus Kalbsleder und ihre eleganten Handschuhe an sich.
»Bettschuhe«, sagte sie mit Nachdruck. »Die muß ich noch kaufen. Ob ihr es glaubt oder nicht, nicht ein einziges Paar Bettschuhe habe ich dieses Jahr zu Weihnachten bekommen, und ich gehe auf die Dreißig zu. Kommst du mit, Martha? Oder willst du lieber bei den Weisen bleiben?«
»Ich komm’ mit«, sagte ich rasch. »Ich brauch’ ein bißchen frische Luft.«
»Denk weiter in Richtung Tintagel«, riet George mir. Dann warf er einen Blick auf seine Uhr, stürzte den Rest seines doppelten Whiskys herunter und murmelte: »O je, o je, Eloise wird sich fragen, wo zum Teufel ich stecke. Es geht ihr im Augenblick gar nicht gut. Entschuldigt mich«, und hastete aus dem Pub.
Es vergingen noch ein paar Monate, bis wir ernsthaft mit der Arbeit an ›Produkt x‹ begannen. Dunskirk und Sohn hatten offensichtlich Probleme bei der Herstellung; aus irgendwelchen Gründen war die zweite Probe des Parfums nicht annähernd so gut ausgefallen wie die erste. Verständlicherweise hielten sie sich bezüglich einer Erklärung dieses Tatbestandes sehr zurück.
Inzwischen hatten wir verschiedene leitende Angestellte der Firma recht gut kennengelernt, und George, Mimi und ich waren durch das Werk geführt worden. Das erste, was der junge Gareth Dunskirk in die Wege geleitet hatte, sobald er alt genug war, um ein Mitspracherecht bei Angelegenheiten der Firma zu haben, war offenbar gewesen, daß er auf dem Umzug der Firma von Lancashire nach London bestand – um fortzukommen aus der Atmosphäre von Holzschuhen, Schals und Kopfsteinpflaster. Damals hatte die Abwanderung der Industrie in den Südosten erst begonnen, und sie hatten das Glück, ein hervorragend geeignetes Trümmergrundstück in Süd-Wimbledon zu erwerben, neben der Eisenbahn und nicht weit entfernt vom Squash- und Badminton-Club von Wimbledon.
»Wir werden ein viel besseres Image haben«, erklärte Gareth seinem Vater immer wieder, der sich eigensinnig zurücksehnte nach den Fabriksirenen, der Blutwurst und den gutmütigen Fabrikarbeiterinnen von Bruddersford.
»Hier unten führen sie sich auf wie die Herzoginnen«, murrte er. »Gib ihnen ’ne Kaffeepause von zwei Stunden und jeder ihr eigenes Klo, und sie sind immer noch nicht zufrieden.«
Die Werkanlage war in der Tat durchaus ansehnlich und modern. Wider Erwarten waren wir beeindruckt, als wir durch die isolierenden Doppeltüren die Parfum-Abteilung betraten; sie war klein, doch offensichtlich gut ausgestattet. Die Arbeitstische hatten Glasplatten, und es gab sorgfältig abgeschirmte Geruchskabinen; Thermostaten kontrollierten die Temperatur im Labor, und in einer Parfum-»Klaviatur« stand auf flachen Regalen eine phantastische Anzahl aromatischer Substanzen und Essenzen. Ein Hauch von Veilchenduft hing in der Luft, aber er hielt sich in erträglichen Grenzen.
»Jedes einzelne Stück hier hat mein Sohn entworfen«, verkündete der alte Dunskirk stolz, offensichtlich entzückt über die Gelegenheit, mit Gareth zu prahlen, für den er eine rührende Bewunderung hegte. Ich persönlich hielt Gareth Dunskirk für ein ausgesprochenes Ekel und war froh, daß er uns auf der Führung durch den Betrieb nicht hatte begleiten können. Er schien sich auf einer Einkaufsreise in Italien zu befinden.
»Was kauft man denn in Italien?« fragte George in der interessierten, warmherzigen Art eines Menschen, der nicht ein einziges Wort der Antwort zur Kenntnis nehmen wird. Er schaute auf seine Uhr.
»Eh, nun, da ist erst mal Bergamottöl, das kommt aus der Nähe von Reggio«, entgegnete der alte Dunskirk in seiner langsamen, präzisen Art. Ich weiß nicht, ob er typisch war für jemanden aus Lancashire, aber er schien sehr nordenglisch zu sein: klein, rundlich, untersetzt und stämmig –, er hatte was von einem nicht ganz durchgebackenen Krapfen –, mit Sommersprossen und beginnender Glatze und einem Flaum sehr kurzer strohblonder Haare am Hinterkopf. Seine kleinen blaßblauen Augen glitzerten gescheit, und er lächelte fast immer, als sehe er das Leben als eine sehr angenehme, leichte, vernünftige Angelegenheit an. Er fuhr fort: »Und dann gibt es Veilchenwurzel, aus der Nähe von Florenz …«
»Klingt das nicht wie bei Shakespeare?« murmelte Mimi. Da sie genug hatte von den bedächtigen Erklärungen des alten Dunskirk und von Georges geheucheltem Interesse, verließ sie uns und betrachtete eine Reihe von Glasröhren, die wie Orgelpfeifen nach oben und durch die Decke führten und durch die Dickflüssiges langsam in Tropfen nach unten sickerte, nachdem man es, wie uns erklärt wurde, durch mehrere hundert Gramm Talkum gefiltert hatte.
Ich schaute in einen Schrank voller fest verschlossener brauner und grüner Glasgefäße und war entzückt von den Namen auf den Schildern: Koriander, Anis, Fenchel, Wacholder, Muskatnuß …
»Wußtest du, daß es Muskat-Süchtige gibt?« murmelte Mimi, die neben mich getreten war und an mir vorbei auch in den Schrank schaute. »Ich wette, Gareth Dunskirk gehört auch dazu.«
»Sei still!«
… Elemi, Galban, Myrrhe, Opopanax, Storax, Kamille, Dill, Estragon, Oregano, Poleiminze, Pfefferminze, Rosmarin, Raute, Rainfarn, Verbene, Wermut.
Neben den Flaschen gab es 25-Kilo-Steinguttöpfe, 250-Kilo-Behälter, große Korbflaschen und dicke Brocken eines geheimnisvollen kristallinischen Stoffes.
»Tatsächlich? Das ist bemerkenswert, außerordentlich bemerkenswert«, sagte George Salmon. »Und erklären Sie mir, aus was genau besteht nun Produkt x?«
Der alte Dunskirk unterbrach seine Sprüche über ihre billigeren Parfums und ihre Probleme mit Äthylacetat mitten im Satz. Er sah etwas verlegen aus.
Wenn ich in seiner Nähe gewesen wäre, hätte ich George einen Tritt gegeben; offensichtlich war dies die einzige Frage, die nicht hätte gestellt werden dürfen.
»Eh, nun«, sagte der alte Dunskirk schließlich. »Wissen Sie, ein Parfum ist ein sehr komplexes Produkt – es ist eine Mischung aus Hunderten von verschiedenen Substanzen, einige natürlich, einige künstlich. In der guten alten Zeit zog man es vor, Stoffe mit ähnlichen Duftnoten miteinander zu mischen; heutzutage ist es mehr Mode, das, was man Dissonanzen nennen könnte, herzustellen. Es ist tatsächlich ein bißchen wie Musik; man baut es immer weiter aus, so ähnlich wie eine Symphonie. Manchmal braucht man Jahre dazu, die Substanzen so zu mischen, daß das Ergebnis der ursprünglichen Vorstellung des Erfinders entspricht – es muß Substanzen enthalten, die es tragen, wissen Sie, und andere, die ihm Fülle geben, dafür sorgen, daß es nicht zu schnell verfliegt; dafür benutzt man graue Ambra. Man macht ein Pulver daraus und fügt Alkohol hinzu – eine solche Lösung hält Monate, aber allein ist sie zu schwer. Es ist das Verhältnis der verschiedenen Substanzen zueinander, das wichtig ist.«
»Und in Produkt x?«
»Ich bitte wohl lieber meinen Sohn Gareth, Ihnen das zu erklären; dieses Parfum ist sein Geistesprodukt, wie Sie wissen. Ich werd’ ihm sagen, er soll sich mit Ihnen unterhalten, wenn er aus Italien zurückkommt. Am Donnerstag wird er mit seiner neuen Frau wieder zu Hause sein.«
»Neue Frau? Hat er eine neue Frau?« fragte Mimi, indem sie der Taktik folgte, Interesse an den Angelegenheiten des Kunden zu zeigen.
»Ja, er hat gerade ein italienisches Mädchen geheiratet.«
»Wie interessant und romantisch«, warf ich ein, weil ich sah, daß George schon wieder auf die Uhr schaute (armer George: Eloise war im Begriff, ihn zu verlassen). »Kennen Sie sie schon?«
»Nee, noch nicht. Nach allem, was er sagt, ist sie so schön wie ein Engel. Ich hoffe nur«, fügte der alte Dunskirk pessimistisch hinzu, »daß sie solider ist als die letzte. Das war wirklich eine flatterhafte junge Madam, alles, was recht ist.«
Ich nickte verständnisvoll; mir fiel ein, daß Gareths erste Frau mit einem Bandleader aus Blackpool davongelaufen war. Es war eine Teenager-Ehe gewesen, hatte ich gehört, und beide hatten es sehr schnell bereut. Das einzige Produkt dieser Ehe, ein Kind im Vorschulalter, lebte bei seinem Großvater und wurde von einer Haushälterin versorgt. Zum Glück war die Ehe auseinandergegangen, bevor die Dunskirks unsere Kunden geworden waren, so daß wir nicht aufgerufen waren, zu kondolieren und Mitgefühl zu zeigen. Um seines Vaters willen hoffte ich auch, daß Gareth diesmal eine bessere Wahl getroffen hatte; der alte Dunskirk war ein netter alter Bursche und hätte einen besseren Sohn verdient. Aber die Aussichten dafür schienen nicht sehr gut – ich konnte mir vorstellen, daß Gareth auch in Fragen des Geschmacks seiner Natur treu blieb. Er war versessen darauf, teure Dinge zu erwerben – Hi-Fi, Kameras, Transistorradios, Autos, Projektoren, Fernsehgeräte –, die alles eines gemein hatten: Sie waren zum Angeben bestimmt, nicht zum Gebrauch und wurden nach kurzer Zeit links liegengelassen.
»Jedenfalls hat es ihn ganz schön gepackt mit dieser«, fuhr der alte Dunskirk fort. »Hat sie zum erstenmal gesehen, als er im letzten Sommer eine Kreuzfahrt auf Brad Maitlands Jacht mitmachte, fuhr im Oktober nochmal hin, um sie wiederzusehen – ich glaube, daß er ihr da schon einen Antrag gemacht hat, sie aber nicht dazu bringen konnte, ja oder nein zu sagen – und diesmal hat er es mit seiner Hartnäckigkeit wohl endlich geschafft. Liegt wohl an Miss Cara, daß Dunskirk junior so versessen drauf war, im letzten halben Jahr so viel Bergamott- und Zitrusöle zu kaufen.«
»Sie heißt Cara? Wie hübsch.«
»Cara Marcello. Inzwischen Cara Dunskirk«, sagte der Schwiegervater trocken. »Sie haben in Italien geheiratet, damit sie die Flitterwochen auf Brad Maitlands Jacht verbringen konnten.«
»Ich beneide sie«, sagte ich unaufrichtig. »Wir freuen uns jedenfalls darauf, sie kennenzulernen. Und jetzt glaube ich wirklich, Mr. Dunskirk, daß wir genug von Ihrer wertvollen Zeit verschwendet haben …«
»Eh, nun, aber bleiben Sie doch noch auf eine Tasse Tee, Miss Martha und Mr. Salmon und die andere junge Dame …« Mr. Dunskirk hatte einen gewissen Respekt vor Mimi und gab ihr nie einen Klaps auf den Po oder redete sie vertraulich mit ›Mädchen‹ an, wie er es mit mir tat.
»Oh, das ist sehr freundlich, Mr. Dunskirk …«
Offensichtlich wäre er tödlich beleidigt gewesen, wenn wir abgelehnt hätten – er war wirklich ein netter alter Bursche –, so nahmen wir also den Aufzug zu seiner Wohnung im obersten Geschoß, und seine Haushälterin bewirtete uns mit einem üppigen Tee nach Lancashire-Art, praktisch ein Vier-Gänge-Mahl, mit Schinken und Pfefferkuchen und Obstsalat. George schaffte es, sich zu drücken, indem er entschuldigend erklärte, seine Frau habe einen dringenden Termin bei einem Facharzt und habe ihn gebeten, sie zu begleiten. Mimi und ich bewunderten den Blick aus dem Fenster auf die Eisenbahn und aßen uns tapfer durch (wenigstens brauche ich heute abend und morgen nicht zu kochen, dachte ich), während unser Gastgeber uns – was uns eigentlich rührte – erzählte, daß er mit seinen kosmetischen Erzeugnissen immer Glück in das Leben von Frauen hatte bringen wollen, in Erinnerung an seine liebe Frau.
»Können Sie sich das vorstellen: als Mutter – Mrs. Dunskirk mein’ ich –, als Mutter ein junges Mädchen war, waren ihre Leute so streng, daß sie nur ’n bißchen Reispuder auf die Nase legen brauchte, und schon schickte ihr Dad sie raus an die Pumpe, damit sie’s wieder abwusch! Und keine bunten Kleider sonntags, nichts dergleichen. Oh, ich kann mich noch erinnern, als wir miteinander gingen, kam sie einmal in einem weißen Kleid runter, an einem Sonntagnachmittag, und ihr Dad schickte sie sofort wieder rauf, und sie mußte ihr schwarzes anziehen. Darum war sie mächtig froh, als ich mit meinem kleinen Geschäft anfing. ›Ich hab’s gern, wenn ein Mädel ein bißchen Farbe im Gesicht hat‹, sagte sie immer. Sie wär’ stolz, wenn sie wüßte, wie gut das Geschäft geht. Vielleicht weiß sie’s.«
»Ist sie schon lange tot?« fragte ich mitfühlend, als Mr. Dunskirk sich seufzend in Träume verlor.
»Zwanzig Jahre, Mädchen. Eh, ich wollte, sie könnte Dunskirk junior jetzt sehen. Ich bin mächtig stolz auf dies Parfum, das er erfunden hat. Ich hab’ schon immer gewußt, daß er eines Tages so was hinkriegen würde. Wissen Sie was? Morleys haben irgendwie Wind davon bekommen und uns ein ganz gutes Angebot gemacht. Aber wir verkaufen natürlich nicht – oder besser, Gareth verkauft nicht; ich überlasse Produkt x völlig ihm. Was aus Gareth zu machen, das war für mich immer das Wichtigste im Leben … könnte man sagen, seit Mutter starb. Er war damals noch ein kleines Kind, aber ein hübsches Kerlchen.« Der alte Dunskirk zeigte uns Fotos von Gareth, dick und abstoßend in einem Kinderwagen, mit einem Samtkragen, in einer Boy-Scout-Uniform. Wenigstens dünner war er im Lauf der Jahre geworden.
»Ist es nicht etwas riskant, wenn man sein ganzes Leben auf einen einzigen anderen Menschen einstellt?« fragte ich ihn. »Kinder gehen aus dem Haus – ich weiß, das klingt abgedroschen, aber es stimmt.«
»Na, warten Sie nur, bis Sie eigene haben, Miss Martha«, sagte der alte Dunskirk in dem aufreizenden Ton, den Eltern an sich haben. »Gareth würde es nicht einfallen, mich zu verlassen. Er ist ein schlauer Bursche; er weiß ganz genau, daß er besser fährt als irgendwo sonst, wenn er bei der alten Firma bleibt.«
Da war etwas Wahres dran; Gareth hatte seines Vaters Geschäftstüchtigkeit geerbt, allerdings ohne dessen Großzügigkeit zu besitzen.
»Und wenn er sich umgesehen hat und weiß, wo er hingehört, wird er bald zur Ruhe kommen«, fuhr der stolze Vater fort. »Der Bursche hat ein gutes Gespür, Miss Martha, das können Sie mir glauben. Wird das alte Geschäft regelrecht auf den Kopf stellen, wenn er erst mal anfängt. Sollte mich nicht wundern, wenn er der ganzen Kosmetikindustrie eine Spritze verpassen würde. Wird neue Ideen haben, wissen Sie, das bringt eine Ausbildung im College so mit sich. Das hab’ ich nicht gehabt, darum war ich entschlossen, Gareth aufs College zu schicken, und als die neue Universität in Bruddersford entstand, war es, wie wenn’s das Schicksal selber gewollt hätte!« Er strahlte uns ein wenig wehmütig an. »Gareth hat jetzt geistige Interessen und intellektuelle Freunde; nichts regt einen so an bei der Arbeit wie geistige Interessen.«
»Da haben Sie recht«, stimmte ich ihm ernsthaft zu und hoffte dabei, daß Tigger und Mait, die einzigen Freunde von Gareth, die ich kurz kennengelernt hatte, nicht typisch waren. Mait, der Brad Maitland, dem die Flitterwochen-Jacht gehörte, war älter als Gareth, vielleicht sechs- oder siebenundzwanzig, ein glatter, dunkler, feister Typ. Seine klangvoll-fruchtige Stimme erinnerte einen an Treibhaustomaten, die lecker aussehen, aber nach nichts schmecken. Ich mochte auch seinen Mund nicht; seine Lippen waren zu rot und zu voll. Er schien viel Geld zu haben, ohne daß ersichtlich war, aus welchen Quellen es stammte. Wie die Hummel den Gesetzen der Thermodynamik, so sprach er den Gesetzen des Erwerbslebens hohn. Theoretisch vertrat er Dunskirks und mehrere andere Firmen in Europa, was ihm einen bequemen Vorwand lieferte, häufig Spritztouren zum Kontinent zu unternehmen; in der Praxis, vermute ich, verdiente er sein Cash auf weniger legale Weise. Er redete viel und wie ein Fachmann vom Exportgeschäft, aber man hatte das Gefühl, daß das nur Fassade war; seine eigentliche Leidenschaft schienen schnelle Autos zu sein und ziemlich infantile Zoten, soweit ich das aus eigener Erfahrung beurteilen konnte.
Tigger Shand hatte mit Gareth das College besucht und ebenfalls Chemie studiert. Vielleicht war er ein hervorragender Chemiker; das kann ich nicht beurteilen. Aber in jeder anderen Hinsicht war er in seiner Entwicklung steckengeblieben. Er war mager und unscheinbar und hatte ein scharfgeschnittenes Gesicht mit lehmfarbenen Augen. Er sprach mit einem affektierten amerikanischen Pop-Akzent. Man konnte ihn sich gut in der Schule vorstellen, wie er Wasserbomben auf die Mädchen warf und im Chemiesaal Gestank und Explosionen produzierte. Gareths neue Frau tat mir leid bei dem Gedanken, daß sie mit diesem Bilderbuchpaar von alten Kumpeln ihres Ehemanns zurechtkommen mußte. Anführer der drei schien Mait zu sein, und ihm traute ich am wenigsten über den Weg; ich hatte ihn Witze reißen hören, winzige, bewußt bösartige Sticheleien gegen den alten Dunskirk, hinter dessen Rücken, und Gareth hatte kriecherisch darüber gelacht. Ich war überzeugt, es war Maits Einfluß gewesen, daß Gareth nun die solide, bescheidene kleine Firma verachtete, die für seinen Lebensunterhalt gesorgt hatte und so viele Jahre der Stolz des alten Dunskirk gewesen war.
Das alles ging mir durch den Kopf, als ich sagte: »Ehrlich, Mr. Dunskirk, der Besuch eines Colleges ist nichts im Vergleich zu der Erfahrung und dem Wissen, über das Sie verfügen. Und zu Ihrem Schwung!«
»Ja, aber hat Gareth denn keinen Schwung?« Er strahlte triumphierend. »Sehen Sie sich das große neue Labor an, das er gebaut hat, und jetzt ist Produkt x daraus hervorgegangen! Ich sage Ihnen, Miss Martha, dies ist bloß erst der Anfang von großen Taten!«
»Martha, wir müssen wirklich gehen«, warf Mimi hier ein. »Ich soll mir ein paar rush copies im Wandsworth Astoria ansehen – vorausgesetzt, ich schaffe es jemals, dahinzukommen, mit all dem Tee in mir. Auf Wiedersehen, Mr. Dunskirk, und danke für die reizende Bewirtung.«
Er öffnete eine Tür, die auf eine Feuerleiter führte, und zeigte uns, wie wir direkt nach unten kommen konnten, ohne noch einmal den ganzen Betrieb durchqueren zu müssen. Ich war erleichtert, denn ich fürchtete, daß ich nach einer so schweren Mahlzeit den Anblick großer Töpfe mit emulgierender Gesichtscreme nicht würde ertragen können.
»Ich rufe Sie in etwa einer Woche an, Mr. Dunskirk«, schlug ich vor, »dann machen wir einen Termin aus, wann Sie kommen und sich ansehen können, was wir bis dahin gemacht haben.«
»Darauf freu’ ich mich schon, Mädchen«, sagte er ernsthaft. »Ich kann es gar nicht erwarten, Produkt x auf dem Markt zu sehen.«
Als Gareth Dunskirk aus den Flitterwochen zurückgekehrt war, rief ich ihn an und erhielt von ihm die zurückhaltende Auskunft, daß Produkt x zusammengesetzt sei aus Blattölen, Bergamott- und Zitrusölen, mit einem Hauch von Pfefferminze, etwas Bartgras, einigen Terpenestern und ein paar anderen Komponenten, die er lieber für sich behalten wolle.
»Wann, meinst du, können wir einen festen Termin bekommen, um mit den Aufnahmen anzufangen?« fragte ich George, der wieder bei Dunskirk im Labor gewesen war.
Wir hatten eine Werbekampagne geplant: Fernsehspots und Farbanzeigen in den Frauenzeitschriften; ungeduldig wartete ich auf das Okay des Kunden, damit ich an die Arbeit gehen konnte.
»Sie müssen noch eine Woche warten, bis die neue Probe sich geklärt hat und osmologisch eingestellt ist«, berichtete George mit Kennermiene und wirkte sehr zufrieden mit sich.
»Ach ja?« sagte ich skeptisch.
»Offenbar gibt es einige unerwünschte Obertöne.«
»Hört sich an wie eine Unterwanderung des Bach-Chors.« Ich war ziemlich sicher, daß George nicht mehr Ahnung von diesen technischen Ausdrücken hatte als ich.
»Setzen wir doch ein Kunden-Meeting für Freitag in einer Woche an«, schlug er vor.
Trotz der üblichen Verzögerungen und Schwierigkeiten – die osmologische Einstellung ließ auf sich warten, Jimmy bekam eine Gürtelrose, die Drucker streikten einen Tag, und meine Sekretärin hatte einen entzündeten Finger – fand unser Meeting tatsächlich am Freitag statt, und es wurde sogar mehr erreicht, als wir erwartet hatten.
Wir hatten uns endlich entschlossen, das Parfum Avalon zu nennen. Erstaunlicherweise gefiel der Name allen, sogar dem alten Dunskirk, der sagte, er wisse zwar nicht, was das heiße, aber es klinge nach Klasse. Wir schafften es auch, seine Zustimmung für Aufmachung und Werbung zu erlangen: Wir hatten eine schlichte schmale Flasche mit goldenem Stöpsel gewählt, die gleiche Form für alle Größen; und es war uns mit einiger Mühe gelungen, den alten Dunskirk von Behältnissen in Form von Chiantiflaschen aus rosa oder blauem Blasenglas abzubringen. Zur Eröffnung der Kampagne hielt ich eine kleine Ansprache, dann zeigte Jimmy eine Serie von storyboards, um eine Vorstellung von den Fernsehspots zu vermitteln, mit malerisch gekleideten Königinnen in flachen Booten und gotischen Burgen, die aus dem Nebel aufragten. Tom hatte einige wirklich hervorragende Entwürfe für die Farbanzeigen gemacht, und wenn man Jimmy murmeln hörte, das sei alles wie aus einem kitschigen Märchenbuch, so war es nur Neid und die Gürtelrose, die ihn plagte.
Gareth nahm an dem Meeting nicht teil. Es gäbe Schwierigkeiten im Labor, und er sei nicht abkömmlich, erklärte sein Vater. Zwischen den Zeilen meinte ich zu hören, daß Gareth mit der Duftnote nicht so zufrieden war wie sein Vater und im übrigen ohnehin der Ansicht, sein Vater treibe die Dinge zu schnell voran. Das war ziemlich überraschend; denn obwohl Gareth kaum ein Geheimnis aus seiner Verachtung für die Kosmetikindustrie machte, wenn sein Vater außer Hörweite war, verstand er doch eine ganze Menge von Parfums. Ich bin keine Expertin – ich kann allenfalls Blue Grass von Je Reviens unterscheiden und weiß, was mir gefällt –, aber Gareth hatte, was Parfums angeht, offenbar so etwas wie das absolute Gehör, und manchmal sagte sein Vater voller Hoffnung, wenn der Junge erst mal Schluß machte mit der Sauferei und den Glimmstengeln, würde er Weltklasseformat haben. Das war einer der vielen Punkte, die einen so störten an Gareth – er verachtete seine Begabung und bagatellisierte sie; viel lieber wäre er ein hervorragender Bridgespieler gewesen. Jedenfalls war ich froh, daß er an der Besprechung nicht teilnehmen konnte; ohne ihn war es viel gemütlicher.
Der alte Dunskirk war entzückt von allen Vorschlägen, gab seine Zustimmung, ohne zu zögern – wenn nur alle Kunden so wären! –, und fragte, wann wir mit den Aufnahmen für die Fernsehspots beginnen könnten.
»So bald wie möglich«, sagte Jimmy. »Es ist fast April; bis Juni müssen wir mit allem fertig sein. Wir sollten nächste Woche anfangen, spätestens die Woche danach. Es geht nur noch darum, eine geeignete Burg zu finden.«
Er malte Zinnen in die Luft, und der alte Dunskirk sah mich erwartungsvoll an, als würde ich nun nach einem Butler mit einem Tablett voller Burgfriede und Bollwerke läuten.
»Nun, davon gibt es genug«, sagte George gemütlich. »Hast du an eine bestimmte Burg gedacht, liebe Martha, als du die Texte gemacht hast?«
»N … nein, eigentlich nicht.« Das stimmte natürlich nicht ganz, aber an diesem Punkt wich ich innerlich aus. »Sie müßte natürlich an der Küste liegen …«
»Warkworth, Bamborough?« Mimi hatte ihren letzten Urlaub in Northumberland verbracht.
»Ziemlich weit weg, liebe Mimi.«
»Pevensey?« fragte Susan zweifelnd.
»Nicht gerade eine finstere Felsenküste, meine Liebe.«
»Tintagel?«
»Ein bißchen zu bekannt«, sagte George wählerisch. »Und ein so abstoßender Ort.«
»In Wales gibt es eine Menge Burgen«, schlug ich vor. »Cardiff, Caernarvon, Harlech?«
»Bei Wales mach’ ich nicht mit«, verkündete Jimmy. »Es gibt einfach kein Licht da, und es regnet ununterbrochen. Das Kamerateam würde sich Tag für Tag die Beine in den Bauch stehen, zu ruinösen Kosten, wahrscheinlich würden sie sich alle betrinken und die Einheimischen auf völlig unvorhersehbare Weise beleidigen. Nein, Wales kommt nicht in Frage.« Er unterstrich seine Worte mit einer entschiedenen Bewegung des Kinns.
Wir saßen alle stumm da und zermarterten uns das Hirn. Für Ende März war es ungewöhnlich warm. Ich schaute aus dem Fenster und sah, daß es sich bedeckt hatte und nach Gewitter aussah; der Himmel war pechschwarz in der Mitte und etwas heller am Rand.
»Komm, liebe Martha, laß dir was einfallen«, sagte George schließlich. »Dies ist deine Werbekampagne, und es sieht dir gar nicht ähnlich, daß du nicht sofort einen Vorschlag parat hast. Du mußt doch an irgendeine Burg gedacht haben, wenn auch vielleicht nur vage, als du die Texte geschrieben hast?«
»Nun … allerdings …«
»Heraus damit, meine Liebe.«
»Es gibt da eine Burg, an der Küste von Cornwall, ein bißchen weiter als Tintagel«, sagte ich lahm. Sonderbar, wie ungern ich Trevann erwähnte oder auch nur daran dachte, sogar jetzt noch, nach fast acht Jahren. Ich frage mich, ob es allen mit dem Ort, wo sie ihre Flitterwochen verbracht haben, so geht – so als ob er in eine Schachtel gepackt und weggeschlossen werden müßte, als ob man ihn niemals mehr anschauen oder auch nur erwähnen dürfte. Vielleicht ist das der Grund, warum Leute ihre Flitterwochen auf einer Jacht verbringen; der Gedanke an Gareth Dunskirk schoß mir durch den Kopf und an die Kreuzfahrt durch das Mittelmeer mit seiner italienischen Schönheit (die kennenzulernen wir bis jetzt noch nicht aufgefordert worden waren).
»Du meinst nicht Boscastle?«
»Weiter rauf. Die Burg heißt Trevann.«
»Wem gehört sie? Dem National Trust? Dem Arbeitsministerium?«
»Nein, sie ist in Privatbesitz – oder war es vor acht Jahren. Sie liegt auf einer Insel, nur einen Katzensprung vom Festland entfernt. Besteht nur noch aus Ruinen, wird nicht bewohnt, aber sehr hübsch. Sehr reizvoll.«
»Glaubst du, daß wir dort Aufnahmen machen dürfen?« fragte George.
Das wußte ich nicht. »Hängt vom Besitzer ab.«
»Oh, meistens sind die Leute nur zu gern bereit. Und es ist alles viel leichter, wenn es Privatbesitz ist«, sagte Jimmy, der jetzt etwas fröhlicher aussah. »Dann laufen uns nicht haufenweise Verrückte über den Weg, während wir Aufnahmen machen, kommen ins Bild, stolpern über die Kabel und stellen dämliche Fragen.«
»Gut, das wäre also abgemacht.« George wurde plötzlich sehr schnell und geschäftsmäßig. »Susan, Liebes, du besorgst uns die Erlaubnis, die Burg für Aufnahmen zu benutzen. Jimmy, du hast das Kamerateam angeheuert – welches übrigens?«
»Mid-Century. Harry Kodor. Er ist sehr gut, du erinnerst dich an die Bergfilme für Faireweather, und er macht auch die Picknicksuppen für sie. Wenn wir Glück haben, können wir zwei Dinge miteinander verbinden.«
»Ja, ja. Ausgezeichnet. Jetzt die Besetzung.«
Jimmy machte ein störrisches Gesicht. Die Wahl der Besetzung betrachtete er als sein ureigenstes Gebiet; er konnte Georges Amateurstandpunkt, wie er es nannte, nicht ausstehen.
»Es ist schon ziemlich spät«, sagte ich hastig. (Allerdings war es ziemlich spät; und es war auch so dunkel, als fliege eine Riesenkrähe über uns.) »Vielleicht machen wir für heute besser Schluß.«
George öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber die Stimme des alten Dunskirk kam ihm zuvor.
»Eh, vielleicht sollte ich erwähnen, daß Mr. Salmon so freundlich war, meiner Schwiegertochter die Hauptrolle in den Werbefilmen zu geben.«
Jimmy riß den Mund auf. Ausnahmsweise einmal verschlug es ihm die Sprache – wie auch uns übrigen, die wir, in verschiedenen Abstufungen, wie vom Donner gerührt nur mühsam unser Entsetzen verbargen. Wie großartig die Landschaft auch sein mochte, wie romantisch und geschichtsträchtig der szenische Hintergrund, den wir uns für die Filme gedacht hatten – die ganze Wirkung wäre zum Teufel, wenn die Darstellerin ungeeignet wäre, und welche Chance gab es, daß Gareths Frau geeignet war?
Überhaupt keine.
George hatte uns die Tour vermasselt, und unsere wunderschöne Kampagne, die eigentlich in der Werbung Geschichte hatte machen sollen, war abgeschossen, bevor wir sie überhaupt gestartet hatten.
»Cara hat als Mannequin für Modehäuser in Savona gearbeitet, darum erwarte ich keine Schwierigkeiten«, fuhr der alte Dunskirk mit heiterer Gelassenheit fort.
»Hat wahrscheinlich einen Schönheitswettbewerb in Klein-Solferino am Po gewonnen«, hörte ich Jimmy vor sich hinmurmeln.
»Ich bin ganz sicher, daß Sie alle mehr als zufrieden mit ihr sein werden. Übrigens sitzt sie jetzt in der Empfangshalle, sie will nämlich nach dieser Besprechung eine Kleinigkeit mit Mr. Salmon und mir essen, darum bin ich so frei und rufe sie herein und stelle sie Ihnen allen vor.«
Die folgenden drei Minuten gehören zu den unangenehmsten, die ich jemals durchlebt habe. Niemand wagte ein Wort zu sagen. George blätterte geistesabwesend in Layouts, Jimmy pfiff durch die Zähne, Mimi wirkte amüsiert und Susan machte sich Notizen. Ich schaute mißmutig hinaus auf den Paris Garden (wo es gerade in dünnen Fäden auf die Platanen zu regnen begann) und wünschte, ich wäre jemand anders, woanders, weit weg.
Immer wenn ich mit der Planung einer Werbekampagne fertig bin, habe ich mich so hineingesteigert, daß es unerträglich für mich ist, wenn das Ergebnis sich auch nur im geringsten von meinem ursprünglichen Konzept entfernt. Und ich hätte tausend zu eins wetten können, daß Gareths Wahl nicht meinem Ideal einer würdigen Königin aus der Zeit König Artus’ entsprechen würde.
Was vermutlich zeigt, was für ein Snob ich bin.
Tom warf mir einen Blick zu und lächelte mich brüderlich beruhigend an. Danach fühlte ich mich besser und konnte sein Lächeln erwidern.
In diesem Moment öffnete sich die Tür, und Cara Dunskirk betrat das Zimmer. Ich hörte, wie Jimmy mit einem leisen Zischen tief Luft holte, während der alte Dunskirk zufrieden in sich hineinkicherte.
»Meine Damen und Herren, dies ist meine Schwiegertochter«, sagte er, und dann führte er sie herum und stellte sie uns einem nach dem andern einzeln in aller Form vor.
Inzwischen war es ziemlich dunkel geworden, und Tom hatte sämtliche Lampen eingeschaltet. In dem staubigen, blaßrötlichen Neonlicht sah ihre weiße Haut wirklich wie Alabaster aus. Sie hatte einen langen, einen unwahrscheinlich langen Hals, eine Fülle feinen schwarzen Haars – tiefschwarz, nicht blauschwarz –, ein rundes Kinn, wie die Gestalten von Rossetti. Ihre Augen waren groß und dunkel mit einem traurig-flehenden Ausdruck. Sie sah aus wie Circe, während sie langsam die Runde machte. Als sie zu Tom kam, der neben mir stand, lächelte sie ihn wehmütig an.
»Gareth hat mir von Ihnen erzählt; ich freue mich so, Sie kennenzulernen«, sagte sie leise.
Tom antwortete mit einer konventionellen höflichen Bemerkung.
Ich fragte mich, wo Cara ihr Englisch gelernt hatte; sie sprach zögernd, mit einem leichten Akzent, aber was man am deutlichsten heraushörte und was etwas komisch klang, war eine Art Mayfair-Tonfall – gedehnt und ein wenig gelangweilt, wie es in den vornehmen Kreisen Mode war. Dann kamen sie zu mir, und der alte Dunskirk ergriff meine Hand.
»Dies ist Miss Gilroy«, sagte er herzlich. »Ich habe dir alles über sie erzählt, meine Liebe. Miss Martha ist die gescheite junge Dame, die die Werbetexte schreibt, und wenn du mich fragst: sie sind mindestens so gut wie alles, was Tennyson je geschrieben hat. Ich hoffe nur, daß ihr gute Freundinnen werdet.«