Der Schmuck der Lady Catherine - Joan Aiken - E-Book

Der Schmuck der Lady Catherine E-Book

Joan Aiken

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Beschreibung

Auf Rosings Park lief immer alles so, wie es sich gehörte, und vor allem so, wie Lady Catherine es wollte. Doch plötzlich bringen ein Kutschenunfall und unerwarteter Besuch den gewohnten Lauf der Dinge durcheinander und die Gefühle aller Beteiligten in Aufruhr...

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Joan Aiken

Der Schmuck der Lady Catherine

Roman

Aus dem Englischen von Renate Orth-Guttmann

Diogenes

1

Die Grafschaft Kent ist berühmt für ihren Reichtum an Obst und Blumen, aber auch für ihre sibirisch kalten Winter und jähen Witterungsumschwünge mit arktischen Temperaturen zu einer Jahreszeit, da man ganz anderes zu erwarten gewöhnt ist.

Von einem dieser unerwarteten Schneestürme wurden ein Herr und eine Dame überrascht, die an einem zunächst milden Apriltag in einer Kutsche über die Mautstraße zwischen Canterbury und Ashford rollten. Die vom peitschenden Schneeregen geblendeten Pferde waren von der Fahrbahn abgekommen und hatten das Fahrzeug in einen Graben gerissen, so daß es kippte und erheblich beschädigt wurde. Zudem hatte die Dame, als ihr Gefährte ausgestiegen war, um ihr aus der Kutsche zu helfen, noch das Pech, beim Herunterspringen in dem vereisten Schlamm auszurutschen.

Sie stieß einen spitzen Schmerzensschrei aus.

»O Himmel! Mein Knöchel!«

Der fluchende und mit seinem Gespann kämpfende Kutscher schien nicht gewillt, ihr Beistand zu leisten, aber als ihr Begleiter sich hilfesuchend umsah, gewahrte er zu seiner Erleichterung durch das Schneegestöber am Ende des sanft ansteigenden Geländes ein offenbar recht stattliches Herrenhaus.

»Am Ende des Weges, der hier auf die Landstraße einmündet, scheint das Pförtnerhaus zu sein«, sagte er. »Glaubst du, daß du dich bis dahin schleppen könntest? Von dort wäre man gewiß bereit, ins Herrenhaus um Hilfe zu schicken.«

Doch während die Dame noch heftig beteuerte, sie könne keinen Schritt, keinen einzigen Schritt tun und würde lieber sterben, als sich auf dieser abscheulichen schneebedeckten Böschung niederzulassen, eilten schon zwei vertrauenerweckend aussehende Männer – Gärtner oder Wildhüter – herbei, um ihre Dienste anzubieten. Ein Tragstuhl war schnell beschafft, und die Verletzte wurde zunächst zum Pförtnerhaus transportiert.

Der Aufenthalt in dieser bescheidenen, durch schreiende Kleine und ihre geplagte Mutter sowie zahlreiche Wäscheleinen mit nassem Kinderzeug recht beengten Behausung erwies sich als nicht viel genußreicher als der Verbleib unter freiem Himmel. Doch sehr bald kehrte ein ins Herrenhaus entsandter dienstbarer Geist mit der Nachricht zurück, man sei bereit, ihnen dort Gastfreundschaft zu gewähren und ärztlichen Rat zukommen zu lassen. Während man die Dame ins Herrenhaus trug, bemühte sich ihr Begleiter, die Überführung seiner Chaise zum nächstgelegenen Hufschmied in die Wege zu leiten.

»Wie heißt der Ort, in dem wir uns befinden?« erkundigte sich die Dame, während sie die von sauber beschnittenen Hecken gesäumte Auffahrt zu einem Haus getragen wurde, das sich als imponierend prachtvoll erwies. Es war ein offenbar erst unlängst errichteter, großzügig mit Fenstern versehener steinerner Bau.

»Unser Dorf heißt Hunsford, Ma’am, und der Landsitz ist Rosings Park«, äußerte einer der Träger so verwundert, als müsse das eigentlich jedem Kind bekannt sein.

»So? Der Name kommt mir in der Tat bekannt vor. Ist das nicht der Landsitz eines – eines gewissen Sir Lawrence de Bourgh?«

»Ganz recht, Ma’am, Sir Lewis de Bourgh, nur ist der schon seit fünfzehn Jahren unter der Erde. Wir bringen Sie zu seiner Gemahlin, Lady Catherine, und ihrer Tochter, Miss Anne. Eine große und wirklich feine Dame, die Lady Catherine, alles was recht ist.«

Der Eindruck, daß Lady Catherine ein großes Haus führte, bestätigte sich vollauf, als die Verletzte durch eine geräumige, elegant möblierte und mit Marmorfiguren ausgeschmückte Eingangshalle und ein großes kreisförmiges Vorzimmer in den prächtigen Salon gebracht wurde, wo sich Lady Catherine höchstselbst mit zwei weiteren Damen, vermutlich ihrer Tochter und der dame de compagnie, niedergelassen hatte.

Die Hausherrin sah davon ab, sich zur Begrüßung zu erheben – vielleicht weil sie zunächst in Erfahrung bringen wollte, welcher Art die Aufmerksamkeit war, die dieser unerwartete Besuch beanspruchen konnte.

»Sie sind mit Ihrer Kutsche verunglückt, wie ich höre«, sagte sie. »Ein bedauerliches Mißgeschick – oder womöglich eine Unachtsamkeit des Kutschers? Mietkutscher sind zuweilen unerhört leichtsinnig. Wie sie auf unseren Wegen dahinfegen, ist geradezu schändlich. Ich war schon oft genötigt, ihnen einen Verweis zu erteilen. Ist die Kutsche schwer beschädigt?«

»Wir hoffen, daß es sich schlimmstenfalls um einen Radbruch handelt, Ma’am. Mein Bruder kümmert sich darum. Aber erlauben Sie mir, mich vorzustellen, und verzeihen Sie, daß ich so mir nichts dir nichts vor Ihnen erscheine …« Die beiden Männer hatten den Tragstuhl kurzerhand auf dem Teppich abgestellt und sich dann eiligst aus dem Gesichtskreis ihrer Herrin zurückgezogen. »Ich bin Priscilla Delaval, und in Kürze wird auch mein Bruder Ralph Delaval hier eintreffen, um Ihnen seine Aufwartung zu machen. Wir sind Ihnen über die Maßen dankbar für Ihre Hilfsbereitschaft und bitten für diese Ruhestörung in aller Form um Verzeihung. Ohne meinen verletzten Knöchel hätten wir uns gewiß behelfen können …«

»Delaval? Hm«, bemerkte ihre Ladyschaft, ein wenig milder gestimmt durch die Artigkeiten der jungen Dame und ihre Entschuldigung oder aber durch den Namen. »Handelt es sich um die Delavals aus Somersetshire oder um die Flintshire-Linie?«

»Weder das eine noch das andere, Ma’am. Wir sind aus Wensleydale.«

»So? Da haben Sie ja schon eine weite Reise hinter sich. Und was verschlägt Sie in unsere Gegend?«

»Wir wollten eine kürzlich verwitwete Tante in Salisbury besuchen.«

»Salisbury? Das ist doch eine völlig andere Richtung.« In Lady Catherines Ton schwang neben Mißbilligung auch eine gewisse Genugtuung mit.

Die Herrin von Rosings war eine hochgewachsene, kräftig gebaute Dame weit jenseits der ersten Jugend. Sie war vornehm gekleidet und trug eine Fülle prächtiger Schmuckstücke zur Schau. Daß Mißmut ihre vorherrschende Stimmungslage war, verrieten die tiefen Falten, die von der Nase zum Kinn gingen und sich senkrecht auf der Stirn eingegraben hatten. Lady Catherine hatte die Gewohnheit, die trübbraunen Augen mit den Tränensäcken unter schweren Lidern forschend und sehr direkt auf ihr Gegenüber zu richten, was die betreffende Person meist nicht wenig inkommodierte.

Die derzeitige Besucherin indes ließ sich die gestrenge Musterung ohne jedes Anzeichen von Beunruhigung gefallen. Ihre Kleidung war, wenn auch durch den Unfall durchnäßt, zerknittert und verschmutzt, über jeden Tadel erhaben. Zu einem Reisekostüm aus dunkelolivfarbenem Seidentaft mit gelben Streifen trug sie eine Pelerine und eine Kappe mit Pelzbesatz. Miss Delaval mochte Mitte Zwanzig sein und war keine ausgesprochene Schönheit, hatte aber ein durch seine Lebhaftigkeit sehr einnehmendes Gesicht. Das Haar war, soweit man es unter der Pelzkappe erkennen konnte, dunkel wie ihre Augen.

Unberührt von Lady Catherines brüskem Empfang schenkte Miss Delaval ihrer Gastgeberin ein Lächeln und schloß darin die anderen beiden Damen ein, die sie mit unverhülltem Interesse musterten. Wenn Miss Delaval lächelte, kam ein Grübchen zum Vorschein.

»Ja, sehen Sie, Ma’am, es wäre mir oder vielmehr meinem Bruder gänzlich unmöglich gewesen, die südlichen Grafschaften Englands zu bereisen, ohne dabei ihrem größten und wertvollsten Kleinod, der Stadt Canterbury mit ihrem Dom, einen Besuch abzustatten.«

»Soso. Sie logierten auf Chequers, vermute ich?«

»Nein, Ma’am. Ein früherer Bediensteter meines Vaters, der sich inzwischen zur Ruhe gesetzt hat, stellte uns eine Unterkunft zur Verfügung.«

Lady Catherine ließ bedächtig ihren Turban wippen, als könne sie diese Vorgehensweise – da nicht von ihr selbst vorgeschlagen – zwar nicht gerade billigen, sei aber bereit, sie fürs erste durchgehen zu lassen.

»Und Sie haben sich den Fuß verletzt?«

»Ja, Ma’am. Der plötzliche Schneesturm … der vereiste Boden … Ich hoffe, daß es sich nur um eine Bagatelle handelt, nur kann ich leider zur Zeit mit dem Fuß nicht auftreten.«

»Lassen Sie unverzüglich nach dem Arzt schicken, Mrs. Jenkinson. Auf der Stelle, wenn ich bitten darf. Und … hm … ja, lassen Sie Zimmer für Miss Delaval und ihren Bruder herrichten.«

»Das ist überaus gütig von Ihnen, Ma’am«, setzte Miss Delaval an, »und wir wissen kaum, womit wir soviel Wohlwollen verdient haben …«

Lady Catherines Gesichtsausdruck ließ erahnen, daß sie geneigt war, sich dieser Meinung anzuschließen, doch zum Glück meldete der Lakai in diesem Moment: »Mr. Ralph Delaval«, und Miss Delavals Reisegefährte trat ein. Seine Erscheinung sprach sogleich zu seinen Gunsten. Auch er war nicht das, was man einen ausgesprochen schönen Mann nennen konnte, aber die ausdrucksvollen Züge und die funkelnden dunklen Augen wirkten sehr einnehmend, und sein Auftreten, seine Haltung und seine Reisekleidung waren unauffällig, aber elegant. Er machte drei gewandte Verbeugungen vor den Damen des Hauses.

»Mylady …, meine Damen …, wir bedauern es unendlich, Sie in dieser unverzeihlichen Weise überfallen zu haben. Erlauben Sie mir, mich vorzustellen – Ralph Delaval, Ihnen zu Diensten – und Ihnen meine untertänigste Entschuldigung zu Füßen zu legen.«

Man merkte, daß Lady Catherine gegen ihren Willen beeindruckt war. Ein frostiges Lächeln ging über ihr Gesicht. Mrs. Jenkinson, die gerade dabei war, aufgeregt zappelnd das Zimmer zu verlassen, um Lady Catherines Weisung gemäß nach dem Arzt zu schicken, blieb einen Moment stehen, um dem jungen Herrn einen schüchtern anerkennenden Blick zuzuwerfen, und die matten Augen von Miss Anne de Bourgh, einer blassen, fad wirkenden Achtzehnjährigen, ruhten während des nachfolgenden Gesprächs so gebannt auf dem jungen Mann, als habe sie selten soviel Charme, Ungezwungenheit und Anstand in einer einzigen Person vereint gesehen.

Mr. Delaval begann sogleich einen anschaulichen Bericht über die Schwierigkeiten und Hemmnisse, auf die er bei der Suche nach einem verläßlichen Stellmacher oder Hufschmied gestoßen war. Doch damit hatte er einen taktischen Fehler begangen, denn Lady Catherine gab ihm alsbald zu verstehen, daß sie eine Herabwürdigung der auf ihren Ländereien vertretenen Fertigkeiten und Talente nicht dulden würde und daß ihm, wäre er in dieser Angelegenheit gleich auf Rosings vorstellig geworden, diese Schwierigkeiten erspart geblieben wären.

Er räumte seinen Irrtum in kläglich-humorvollem Ton ein, und es gelang ihm schließlich, den Unmut der Lady zu beschwichtigen. »Hätten wir nur gewußt, wo wir uns befanden und daß die beiden Gestalten, die ich fälschlicherweise für bärtige Wilde hielt, in Wirklichkeit die führenden Vertreter des Hufschmiede- und Felgenhauerhandwerks in der Grafschaft Kent sind …«

»Bärtige Wilde, wahrhaftig! Josiah Muddle und Wilfred Verity! Hah!« Lady Catherine gab ein Geräusch von sich, das man bei einer weniger hochgestellten Persönlichkeit wohl als ein Schnauben bezeichnet hätte. »Zwei Männer, die dem verblichenen Sir Lewis de Bourgh und schon seinem Vater Sir Matthew treue Dienste geleistet haben, als bärtige Wilde zu apostrophieren … Ich darf doch sehr bitten! Wenn Sie nicht mehr Menschenkenntnis besitzen, junger Mann, rate ich Ihnen dringend, in Ihre Heimat Wensleydale zurückzukehren.«

Mr. Delaval übertraf sich selbst in Protesten und Widerrufen. Sein erstes Urteil sei völlig falsch gewesen … Er habe seinen Irrtum sogleich eingesehen … sei jetzt fest davon überzeugt, daß die beiden in Frage stehenden Männer wahre Meister ihrer Zunft seien und in kürzester Zeit seine Kutsche wieder reisefähig machen würden. Rasch verließ er dieses heikle Thema und wandte sich einem angenehmeren Gegenstand zu. Er habe von Freunden und Bekannten so viel über die Schönheiten von Rosings Park, insonderheit seine so geschmackvoll angelegten Ziergärten, gehört, daß er die demütige Hoffnung hege, Lady Catherine würde, da eine Laune des Schicksals und ein gebrochenes Rad ihn und seine Schwester in greifbarer Nähe all dieser Herrlichkeiten abgesetzt hätten, so gütig sein, ihm zumindest einen kurzen Blick darauf zu gewähren.

Hätte Lady Catherine oder ihre Tochter zufällig zu Miss Delaval hinübergesehen, während ihr Bruder diesen Empfindungen Ausdruck verlieh, wäre ihnen auf ihren Zügen womöglich ein rasch unterdrückter Anflug verblüffter Belustigung aufgefallen. Doch niemand achtete auf die junge Dame, die sich rasch wieder faßte und alsbald nicht mehr als ein geziemendes Maß an Anteilnahme zu erkennen gab.

Mr. Delaval hatte derweil treuherzig gestanden, daß er in Gärten geradezu vernarrt sei, und nannte die großen Landsitze – Thorpe, Kenilworth, Chatsworth, Beaumain –, die zu besichtigen er bereits das Vergnügen gehabt hatte. In einigen Fällen, setzte er bescheiden hinzu, sei ihm das große Glück zuteil geworden, Verbesserungsvorschläge machen zu können, die von den adligen Besitzern außerordentlich wohlwollend aufgenommen und sogar in die Tat umgesetzt worden seien.

»Hm«, meinte Lady Catherine. »Sie müssen schon ein rechter Schwärmer sein, wenn Sie die Anlagen von Rosings in diesem Wetter auch nur anzusehen wünschen.«

Verdrießlich sah sie zu den hohen Fenstern hin, durch die man wie in einem Kaleidoskop nur wirbelnde graue Flocken sah. »Und ich bezweifle, ob Ihre Schwester derzeit imstande wäre, sich in Gartenanlagen zu ergehen.«

»Aber was wir erleben, Ma’am, ist nur ein flüchtiger Frühjahrsschauer. Ehe wir es uns versehen, scheint die Sonne wieder, der kleine Spuk ist vorbei und vergessen, und Ihr geschickter Medikus wird mit der Prellung oder Zerrung, die sich meine Schwester zugezogen hat, gewiß schnell fertig werden.«

Wie aufs Stichwort wurde jetzt der Arzt, ein Mr. Willis, gemeldet, und zwei Lakaien brachten Miss Delaval in ein Nebengemach, wo die Untersuchung mit der nötigen Verschwiegenheit und Schicklichkeit vorgenommen werden konnte. Mrs. Jenkinson begleitete sie.

Als die drei in den Salon zurückgekehrt waren, teilte Mr. Willis seiner hohen Gönnerin mit, daß es sich in der Tat um eine recht ernste Zerrung handelte und es sehr töricht von Miss Delaval wäre, vor ihrer Weiterreise nicht zwei oder drei Tage ins Land gehen zu lassen.

Inzwischen war Lady Catherine von dem Esprit, dem Wissen und dem gesunden Menschenverstand von Mr. Delaval so angetan, daß sie durchaus nicht abgeneigt war, die Geschwister derweil in Rosings aufzunehmen.

»Um diese Jahreszeit ist nicht viel Besuch zu erwarten«, sagte sie zu ihrer Tochter. »Seit Darcy diese anmaßende junge Person geheiratet hat, kann uns allenfalls Fitzwilliam bei Laune halten, und bis zu seinem Eintreffen in der kommenden Woche dürfte – besonders bei so ungünstigem Wetter – kaum Besuch von außerhalb den Weg zu uns finden. Möglich, daß wir mit Mr. und Mrs. Collins, den Pfarrersleuten, werden vorliebnehmen müssen.«

Das klang, als sei dies ein durchaus unverdientes Unglück.

»Und da die liebe Mrs. Collins so kurz vor der Niederkunft steht«, ergänzte Mrs. Jenkinson, »ist im Augenblick auch mit ihr kaum zu rechnen.«

Lady Catherine deutete ihrer Gesellschafterin mit einem strafenden Blick an, daß sie dieses Thema in Hörweite ihrer Tochter Anne für unpassend hielt. Dieser war jedoch, weil sie mit einer eingehenden und offenbar kritischen Musterung ihrer Gäste beschäftigt war, Mrs. Jenkinsons Bemerkung entgangen, jetzt aber sah sie zufällig zum Fenster und sagte mit leiser, farbloser Stimme: »Da ist Mr. Collins, Mama. Er scheint sehr in Eile zu sein. Er geht über den Rasen. Sonderbar, daß er nicht die Einfahrt hochkommt …«

»Grundgütiger!« stieß Mrs. Jenkinson erschrocken hervor. »Ich hoffe, die arme liebe Mrs. Collins ist nicht unpäßlich …«

Ohne Lady Catherines mißbilligende Miene zu beachten, lief sie ins Vorzimmer hinaus.

»Die liebe arme Charlotte«, rief sie dabei. »Barmherziger, was kann nur geschehen sein?«

Im Vorzimmer wurden Stimmen laut, denen Lady Catherine gereizt und voller Ungeduld lauschte.

»Laßt hören, was gesagt wird«, rief sie. »Ich bestehe darauf, unverzüglich zu erfahren, was geschehen ist.«

 

Drei Personen betraten in großer Eile den Salon: Mrs. Jenkinson, ein Lakai, der vergeblich versuchte, sich verständlich zu machen, um Mr. Collins angemessen zu melden, und Mr. Collins selbst, ein hochgewachsener, beleibter Geistlicher, naßgeschneit und hochrot vom schnellen Laufen.

Er war noch kaum durch die Tür, als er auch schon lossprudelte: »Verehrteste Lady Catherine, was glauben Sie, was ich Ihnen zu berichten habe! Eine große Neuigkeit! Sie sollen die erste sein, welche die Kunde erfährt, so wie es Ihrer hohen Stellung zukommt, und deshalb bin ich ohngeachtet der Unbilden und Verdrießlichkeiten durch die der Jahreszeit hohnsprechenden klimatischen Bedingungen …«

Unbeeindruckt von seiner blumigen Redeweise fuhr Lady Catherine ihn an: »Was ist, Mann? Heraus mit der Sprache. Kommen Sie zur Sache, wenn ich bitten darf. Befindet Mrs. Collins sich wohl?«

»Mrs. Collins? Ja, danke der Nachfrage, alles ist, wie mir von den weiblichen Bediensteten und den anderen Frauen versichert wird, auf dem besten Wege. Mrs. Collins’ Schwester Maria ist aus Hertfordshire eingetroffen, um Charlotte in ihrer schweren Stunde beizustehen.«

»Was höre ich da?« Mit dem Schwung eines Sperbers, der auf einen jungen Hasen niederstößt, stürzte sich Lady Catherine auf diese Mitteilung. »Und darf ich fragen, warum man mich darüber nicht unterrichtet hat? Ist Miss Lucas ohne Begleitung aus Hertfordshire gekommen? Ich halte nichts von jungen Damen, die solche Entfernungen ohne Eskorte zurücklegen. Das schickt sich nicht. Meiner Tochter, Miss Anne, würde ich nie gestatten, auch nur bis Tunbridge Wells zu reiten, ohne daß sie zwei Diener zur Seite hat. Ich dächte doch, Sir William Lucas könne es sich leisten, seiner Tochter mehr Fürsorge angedeihen zu lassen.«

»Sie irren, Mylady, so verhält es sich nicht. Meine Schwägerin kommt derzeit aus London, wo sie eine Cousine von Sir William, eine Mrs. Jennings, besucht hat, die so gütig war, Maria für die Reise zu uns ihre eigene Kutsche samt zwei Dienern und einer Zofe zur Verfügung zu stellen. Mrs. Jennings verfügt über ein großes Vermögen, und ich darf Ihnen versichern, daß sie derlei gesellschaftliche Pflichten stets aufs gewissenhafteste beachtet.«

»Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?« fragte Lady Catherine ungnädig. »Ich erinnere mich sehr gut an Miss Lucas, sie ist eine wohlerzogene junge Person, die sich artig auszudrücken weiß. Wenn Mrs. Collins ihre Schwester entbehren kann, ist sie auf Rosings jederzeit gern gesehen, um Miss Anne Gesellschaft zu leisten. Wenn ich mich recht entsinne, hat sie eine angenehme Stimme und spielt mit einiger Fertigkeit Klavier, so wie das auch Miss Anne erreicht hätte, wäre meine Tochter gesundheitlich in der Lage gewesen, dieses Instrument zu erlernen. Aber hatten Sie uns nur das zu melden, Mr. Collins? Nur deswegen hätten Sie sich nicht so eilig durch diesen Schnee zu bemühen brauchen.«

»Nein, Mylady, darum handelt es sich gar nicht. Ich komme wegen einer Mitteilung, die vor einer halben Stunde mit der Eilpost eintraf. Mein Vetter, Mr. Bennet, hat ganz plötzlich einen Schlagfluß erlitten und das Zeitliche gesegnet. Wie Sie wissen, Ma’am, fällt sein Gut, Longbourn Manor, als Erbgut an mich, weshalb es unabdingbar ist, daß ich mich stehenden Fußes nach Hertfordshire begebe, um die Vermögenswerte aufzunehmen und juristische Fragen im Hinblick auf Mr. Bennets Ableben zu regeln. Ich komme deshalb, um Ihre gnädige Erlaubnis zu meiner unverzüglichen Abreise zu erbitten.«

Als sie begriffen hatte, warum Mr. Collins so dramatisch und unerwartet aus dem Schneesturm bei ihr aufgetaucht war und daß er um eine zeitweilige Entbindung von seinen Pflichten als Gemeindepfarrer ersuchte, war Lady Catherine alles andere als erbaut.

Vergeblich stellte er ihr vor, daß sein Hilfspfarrer, Mark Lawson, ihn hinlänglich würde vertreten können. Vergeblich wies er darauf hin, daß seine Frau Charlotte in Kürze, voraussichtlich in den nächsten Tagen, ihr drittes Kind zur Welt bringen würde, so daß die Damen auf Rosings ohnehin eine Weile auf ihre muntere Gesellschaft würden verzichten müssen …

»Ich bin sehr verstimmt«, sagte Lady Catherine. »Dies ist eine für mich sehr unerwünschte Wendung. Besonders in diesem unwirtlichen Wetter. Daß Sie sich zu einer Zeit entfernen wollen, Mr. Collins, da wir auch auf die Gesellschaft von Mrs. Collins verzichten müssen, kommt mir sehr ungelegen. Und bedenken Sie die Mißlichkeiten, wenn Sie genötigt wären, über Ostern Ihrer Gemeinde fernzubleiben. Nein, ich kann Ihre Abreise zu diesem Zeitpunkt nicht gutheißen. Sie paßt mir nicht.«

Mr. Collins rang flehend die Hände. »Mr. Lawson ist ein sehr tüchtiger, schätzenswerter junger Mann«, sagte er bittend. »Mylady waren so gütig, sich lobend über zwei Predigten auszusprechen, die er hielt, als meine Frau in meiner Begleitung ihre Eltern in Meryton besuchte …«

»Nein, Mr. Collins. Es paßt mir nicht, und damit basta.«

An dieser Stelle schaltete sich ebenso behutsam wie respektvoll Mr. Delaval ein, der mit seiner Schwester unfreiwilliger Zeuge des Gespräches geworden war.

»Bitte verzeihen Sie, wenn ich mich in eine so private Angelegenheit einmische, Mylady, aber ich konnte nicht umhin, Ihren Wortwechsel mitzuyerfolgen, und frage mich, ob ich es wagen könnte, einen Ausweg aus Ihrer derzeitigen Kalamität aufzuzeigen. Ich bin ebenfalls Geistlicher, allerdings noch ohne eigene Pfarre. Vielleicht könnte ich in dieser Sache behilflich sein. Wäre es denkbar, daß ich diesen Herrn, dem ich noch nicht offiziell vorgestellt wurde, für kurze Zeit verträte?«

Mr. Delaval beglückte alle Anwesenden mit seinem so liebenswert offenen Lächeln.

»Hm.« Lady Catherine musterte ihn nachdenklich und schien schon fast überzeugt.

Mr. Collins hatte Ralph Delavals Vorschlag in heftige Erregung versetzt. »Äh … Guten Tag, Sir«, stotterte er. »Ah … das heißt … mein Name ist Collins, William Collins. Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Mr ….?«

»Ralph Delaval, Ihnen zu Diensten – was ich in diesem Fall wortwörtlich zu nehmen bitte, falls Mylady sich dazu überwinden könnte, einer solchen Regelung zuzustimmen.«

»Hm«, wiederholte Lady Catherine.

Sie unterzog die beiden Herren, die vor ihr standen und die sich wesentlich voneinander unterschieden, einer eingehenden Musterung. Collins, der von Jugend auf ein wenig zur Fülle neigte, war – vielleicht weil er seit drei oder vier Jahren wenigstens zweimal in der Woche ebenso exquisit wie reichlich auf Rosings zu speisen pflegte – ausgesprochen korpulent geworden. In der Aufregung, in die ihn die unerwartete Nachricht von der Erbschaft gestürzt hatte, war er nicht mehr dazu gekommen, sich umzuziehen, wie er es sonst getan hätte, wenn eine Unterredung mit seiner Patronatsherrin anstand, so daß er einen etwas heruntergekommenen und schmuddeligen Anblick bot, zumal ihn seine Frau diesmal nicht wie gewöhnlich noch rasch hatte abputzen und zurechtzupfen können, weil sie just in dem Moment, als er aus dem Haus ging, die ersten Wehen spürte. Mr. Delaval hingegen machte ungeachtet des Unfalls mit der Chaise eine ausgesprochen elegante Figur. Sein tipptopp gebundenes Halstuch und das von Meisterhand geschnittene dunkle Haar hoben sich vorteilhaft von Mr. Collins’ fettiger, ausgefranster Krawatte und den unordentlichen Strähnen ab, die dem Pfarrer in die feuchte Stirn fielen.

»Sind Sie in der Lage, eine ordentliche Predigt zu halten, Mr. Delaval?« erkundigte sich Lady Catherine.

»Nach Ansicht meiner Freunde an der Universität ist das der Fall, Ma’am«, erklärte Mr. Delaval mit einer Verbeugung, »und nie habe ich – das darf ich Ihnen versichern – dazu länger als fünfzehn Minuten gebraucht.«

Bei dieser Bemerkung hätte er sich fast ein Lächeln gestattet, dann aber überwog die Klugheit, und er richtete den Blick so ernst und andachtsvoll auf die Dame des Hauses, als horche er dem Klang ferner Engelsstimmen.

»Nun denn, es sei«, erklärte Lady Catherine nach längerer Überlegung. »In Anbetracht des hochwillkommenen und großherzigen Angebots, das dieser Herr gemacht hat, freue ich mich, Ihnen eine Woche Urlaub zu gewähren, Mr. Collins. Eine Woche, nicht länger. Das dürfte reichlich genug sein, um Ihnen die Inbesitznahme von Gut Longbourn und die erforderlichen juristischen Schritte zu ermöglichen. – Eines Anwesens übrigens, das, wenn ich es von meinem ersten und einzigen Besuch recht in Erinnerung habe, ziemlich unbedeutend und von geringem Wert ist. Ein sehr kleiner Park, die Räumlichkeiten nicht mehr als tolerabel, und der Salon unbehaglich und nach Westen gelegen, was ich verabscheue. Sir Lewis hat noch nie viel auf den Fideikommiß gegeben. Bei den de Bourghs und Sherbrines hielt man die Unveräußerlichkeit des Familienbesitzes nie für erforderlich. Reisen Sie nach Hertfordshire, wenn es sein muß, Mr. Collins. Aber wohlgemerkt, nur eine Woche, nicht länger.«

Mrs. Jenkinson näherte sich auf Zehenspitzen ihrer Herrin und flüsterte ihr etwas ins Ohr.

»Was sagen Sie? Was soll das? Sprechen Sie so, daß man Sie verstehen kann, meine Gute.«

Mrs. Jenkinson flüsterte ein wenig lauter.

»Seine Frau? Was ist mit ihr? Im Wochenbett? Nun ja, sie wird sehen müssen, wie sie zurechtkommt. Schließlich hat sie ja ihre Schwester. Billigen kann ich dieses Verhalten allerdings nicht. All das ist ungemein ärgerlich. Ich bin äußerst verstimmt.«

Mr. Collins entfernte sich unter weiteren Dankesbezeugungen und so zahlreichen Bücklingen, daß Miss Delaval bei sich dachte, er müsse davon bestimmt Kopfweh bekommen.

Lady Catherine zog sich, erschöpft und zermürbt von den sich überstürzenden Ereignissen, sehr bald auf ihre Gemächer zurück, und Mrs. Jenkinson wies in ihrem üblichen halblauten Gemurmel einen Lakaien an, die beiden unerwarteten Gäste auf ihre Zimmer zu führen, die man inzwischen für sie gerichtet hatte. In einer Stunde, raunte sie, würde ein Imbiß mit kaltem Aufschnitt und Obst bereitstehen.

Zwei Lakaien sollten Miss Delaval nach oben tragen, doch da ließ sich unerwartet Anne de Bourgh vernehmen.

»Es muß einen Rollstuhl geben«, sagte sie, »der für meinen Vater angefertigt wurde, nachdem er erkrankt war. Sorgt dafür, daß er ausfindig gemacht und der Dame zur Verfügung gestellt wird.«

»Meine liebe Miss Anne! Was für ein gescheiter Gedanke!« Mrs. Jenkinson warf vor lauter Verwunderung die Hände hoch, denn Miss de Bourgh raffte sich zugunsten ihrer Mitmenschen selten zu besonderen Anstrengungen auf.

»Meine Schwester und ich sind Ihnen sehr verbunden, Miss de Bourgh«, sagte Delaval mit einer seiner gekonnten Verbeugungen. »Ein sehr glücklicher Vorschlag, wenn ich das sagen darf. Ich werde mir ein Vergnügen daraus machen, Priscilla zu fahren, solange es nötig ist, was, wie ich von Herzen hoffe, nicht lange der Fall sein wird.«

Auch Miss Delaval wandte sich jetzt an Anne de Bourgh und beglückte sie mit ihrem reizenden Lächeln. »Ein Rollstuhl verleiht einem soviel Würde. Man kommt sich doch recht lächerlich vor, wenn man wie ein Paket herumgetragen wird.«

Wenig später war der Rollstuhl da, und man fuhr Miss Delaval auf ihr Zimmer.

Als Ralph Delaval Anstalten machte, ihr zu folgen, sagte Miss Anne: »Wenn der Schnee geschmolzen ist, zeige ich Ihnen und Ihrer Schwester den Weg zu den Ziergärten.«

Mrs. Jenkinson sah die Tochter ihrer Dienstherrin in sprachloser Verblüffung an. Es war, soweit sie wußte, seit sechs Monaten das erste Mal, daß Anne de Bourgh innerhalb so kurzer Zeit zwei ganze Sätze gesprochen hatte – und das auch noch im Beisein eines wildfremden jungen Mannes.

2

Maria saß, den Blick besorgt auf ihre Schwester Charlotte gerichtet, in einem Ledersessel in Charlottes Schlafzimmer, während diese energisch ausschreitend im Zimmer auf und ab marschierte, denn das war, wie sie inzwischen aus eigener Erfahrung wußte, das Beste, was eine Frau in ihrer Lage tun konnte, solange ihr dazu noch genug Kraft und Entschlossenheit zu Gebote standen. Maria beobachtete sie bewundernd und ängstlich zugleich. Für sie, eine unverheiratete junge Frau, war eine allzu große Vertrautheit mit den einzelnen Phasen der Geburt eigentlich nicht schicklich, aber sie hatte Charlotte schon zweimal in ihrer schweren Stunde zur Seite gestanden und kannte sich hinreichend mit den Vorgängen aus, die im Zusammenhang mit der Niederkunft zu erwarten waren, um zu wissen, wann es an der Zeit war, Mrs. Denny, die Haushälterin, und Mrs. Hurst, die Hebamme, zu rufen, die vorerst noch unten zusammensaßen und Tee und Schlehenschnaps tranken.

»Das Haus kommt mir ohne William bemerkenswert ruhig vor«, stellte Charlotte fest. »Es war ein glücklicher Umstand, daß es noch rechtzeitig getaut hat, so daß er den Weg zum Haltepunkt der Postkutsche ohne Mühe bewältigen konnte.«

»Glaubst du wirklich, daß er sein Geschäft in Longbourn binnen einer Woche abwickeln kann?«

»Nie im Leben«, erwiderte Charlotte trocken. »Er wird an Lady Catherine schreiben und um eine Verlängerung seines Urlaubs bitten müssen. So schnell lassen sich Erbschaftsangelegenheiten nicht erledigen. Aber da Longbourn nun ihm gehört, dürfte Lady Catherine eine etwas bessere Meinung von ihm bekommen. Wenn er ein Hochwohlgeboren hinter seinen Namen setzen kann, wird sie ihm ein wenig mehr Achtung entgegenbringen. Ich rechne damit, daß er mindestens zweieinhalb Wochen ausbleibt.«

Die Aussicht, ihren Gatten längere Zeit nicht an ihrer Seite zu haben, schien sie nicht übermäßig zu bedrücken. »Aber wie du sagst«, fuhr sie fort, »hat ja Mr. Bennet in der letzten Zeit allein auf Longbourn gelebt, demnach ist kein großer Haushalt aufzulösen.«

»Ganz recht. Seit Mrs. Bennets Tod und nachdem auch Kitty aus dem Haus war, hat er sich immer seltener in Hertfordshire aufgehalten. Meist war er in Derbyshire bei Elizabeth und Jane.«

»Und was ist aus Mary geworden?«

»Sie ist zu Kitty nach London gezogen. Du erinnerst dich vielleicht, daß Kitty vor zwei Jahren einen Geschäftsfreund ihres Onkels, Mr. Gardner, geheiratet hat. Was meinst du, Charlotte, ob Mr. Collins seine Pfarre hier aufgeben und nach Longbourn ziehen wird? Das Haus dort ist viel größer und komfortabler.«

»Das glaube ich kaum«, erwiderte Charlotte entschieden. »Er ist so abhängig von Lady Catherines Gunst und Wohlwollen, daß er sich bestimmt nicht von Rosings trennen könnte. Ich denke mir, daß er versuchen wird, einen Pächter für Longbourn zu finden und so unser Einkommen aufzubessern, was im Hinblick auf den Familienzuwachs hochwillkommen wäre. Mr. Willis sagt, daß ich diesmal mit Zwillingen zu rechnen habe.«

»Arme Charlotte!«

»Es hat auch sein Gutes«, sagte Mrs. Collins gelassen. »Dann können die beiden sich gegenseitig unterhalten. Und sobald sie abgestillt sind, will ich anfangen, Lucy und Sam zu unterrichten.«

»Sind die beiden dafür nicht noch ein bißchen jung?«

»Lucy ist dann vier und Sam drei. Ich finde, Kinder können nicht früh genug mit dem Lernen anfangen. Im übrigen werde ich die beiden zu Hause behalten. Ich bin dagegen, Kinder bis zum sechsten oder siebenten Lebensjahr in eine der Dorfkaten in Kost zu geben, wie unsere Mutter es gemacht hat. Dadurch entwickeln sie sich nur zu entsetzlich verwöhnten Bälgern, schnappen alle möglichen unpassenden Ausdrücke auf und holen sich am Ende noch eine womöglich lebensgefährliche Krankheit.«

»Guter Himmel, Charlotte!« Maria erschrak geradezu über diese ketzerischen Äußerungen, die so gar nicht im Einklang mit Lady Lucas’ bekannten Lehrsätzen zur Kindererziehung standen.

»Sag selbst: Haben sich nicht zwei unserer Brüder bei den Dorfkindern mit den Blattern angesteckt und sind daran gestorben?«

»Ja, da stimmt. Aber warum hast du dann Lucy und Sam ausquartiert?«

»Nur auf eine Woche, bis ich wieder auf den Beinen bin.