Bittersweet Secrets - Jona Dreyer - E-Book

Bittersweet Secrets E-Book

Jona Dreyer

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Beschreibung

Eine dunkle Vergangenheit und die Macht der Liebe... Dem jungen Wharton-Absolventen Philip Foster winkt der Arbeitsvertrag seines Lebens. Die Konditionen? Hart. Die Bezahlung? Großzügig. Der Vorgesetzte? Gutaussehend, exzentrisch, dunkel, unberechenbar. Kein Geringerer als der milliardenschwere Investor Mason Starr bietet Philip eine Stelle als sein persönlicher Assistent an. Was Philip, der sich schon in seiner High-School-Zeit geoutet hat, nicht ahnt: Starr, der nach außen hin das perfekte Leben als erfolgreicher Unternehmer und Familienvater führt, steht ebenfalls auf Männer. Im Gegensatz zu Philip geht er jedoch keineswegs offen damit um, sondern führt ein Dasein im Verborgenen, das ihn innerlich zerreißt. Als er Philip begegnet, erwachen seine totgeglaubten Dämonen wieder zum Leben. Aber sind es wirklich Dämonen, die ihn quälen, oder könnte etwas Großartiges daraus erwachsen, wenn er es nur endlich zuließe?

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Bittersweet SecretsGesamtausgabe

Gay Drama von Jona Dreyer

© Urheberrecht 2015 Jona Dreyer

Impressum:Tschoek &Tschoek GbRAlexander-Lincke-Straße 2c08412 Werdau

Text: Jona Dreyer Coverdesign: Jona DreyerBilder: canva.com, Pixabay

Kurzbeschreibung

Dem jungen Wharton-Absolventen Philip Foster winkt der Arbeitsvertrag seines Lebens.

Die Konditionen? Hart. Die Bezahlung? Großzügig. Der Vorgesetzte? Gutaussehend, exzentrisch, dunkel, unberechenbar. Kein Geringerer als der milliardenschwere Investor Mason Starr bietet Philip eine Stelle als sein persönlicher Assistent an. Was Philip, der sich schon in seiner High-School-Zeit geoutet hat, nicht ahnt: Starr, der nach außen hin das perfekte Leben als erfolgreicher Unternehmer und Familienvater führt, steht ebenfalls auf Männer. Im Gegensatz zu Philip geht er jedoch keineswegs offen damit um, sondern führt ein Dasein im Verborgenen, das ihn innerlich zerreißt. Als er Philip begegnet, erwachen seine totgeglaubten Dämonen wieder zum Leben. Aber sind es wirklich Dämonen, die ihn quälen, oder könnte etwas Großartiges daraus erwachsen, wenn er es nur endlich zuließe?

Über die Autorin

»Fantasie ist wie ein Buffet. Man muss sich nicht entscheiden – man kann von allem nehmen, was einem schmeckt.«

Getreu diesem Motto ist Jona Dreyer in vielen Bereichen von Drama über Fantasy bis Humor zu Hause. Alle ihre Geschichten haben jedoch eine Gemeinsamkeit: Die Hauptfiguren sind schwul, bi, pan oder trans. Das macht sie zu einer der vielseitigsten Autorinnen des queeren Genres.

Teil 1: Verwundet

Prolog

Es gibt Momente, in denen ich nicht glauben kann, dass all dies hier geschieht. Ich lasse meine Finger heimlich an meinen Unterarm wandern und kneife mich. Der Schmerz holt mich zurück in die Realität, aber manchmal habe ich das Gefühl, es reicht nicht. Dann erwacht in mir das seltsame Bedürfnis, irgendwo hinunterzuspringen. Nicht, weil ich lebensmüde bin. Sondern weil es der Moment in den Träumen ist, in dem man ganz sicher wieder aufwacht.

Es gibt Träume, aus denen man nicht erwachen will, und dieser hier, in der Schwebe zwischen Wunsch- und Albtraum, gehört eigentlich dazu. Aber manchmal, in Augenblicken wie diesen, möchte ich wissen, ob es echt ist. Ob ich wirklich hier bin, liegend zwischen zwei Armen, deren Muskeln sich wie in Stein gemeißelt abzeichnen. Eingehüllt in einen Geruch nach Erregung, einem Gemisch aus Moschus, Schweiß, herbem Rasierwasser und ... ein wenig Alkohol.

Straffe, heiße Haut berührt mich und ich werde von kurzem, gepflegtem Brusthaar gekitzelt. Seine Männlichkeit ist nicht nur zwischen meinen Beinen zu spüren. Sie quillt aus all seinen Poren. Schnelle, abgehackte Atemzüge streifen mein Ohr, ein tiefes, grollendes Stöhnen mischt sich mit meinem. Meine Finger graben sich in nachtschwarzes, von silbrigen Strähnen durchzogenes Haar und ziehen ein wenig daran. Er gibt einen missmutigen Laut von sich und verstärkt sein Tempo. Ich spüre, wie mein Orgasmus herannaht. Nicht der erste für heute. Und ganz sicher nicht der letzte. Aber ich will noch nicht, nicht jetzt. Ich will den Moment noch länger auskosten. Tage wie heute sind rar. Und irgendwann werden sie zu Ende sein, das weiß ich. Aber wie soll ich meinen Höhepunkt denn zurückhalten bei dem Tempo, das er vorlegt? Am liebsten würde ich um Gnade winseln. Aber es hat keinen Sinn. Dieser Mensch kennt keine Gnade, weder mit den Menschen um sich herum, noch mit sich selbst. Ich lasse mich treiben. Seine Lenden vibrieren verdächtig. Er ist auch gleich so weit, wir schwimmen auf der gleichen Welle. Gott, er riecht so gut. So unglaublich gut. Er –

Sein triumphaler Schrei unterbricht meinen Gedankenfluss, als er in mich schießt. Im gleichen Moment überkommt es mich, nicht wie eine Welle, sondern wie ein Hammerschlag. Ich bäume mich unter ihm auf und lasse meinen Gefühlen – im wahrsten Sinne des Wortes – freien Lauf. Unsere Stimmen vereinigen sich zu einem Crescendo, meine Hände graben sich in seine Schultern, und dann falle ich schlaff in mir zusammen, wie ein Besessener, aus dem gerade eine Armee von Dämonen herausgefahren ist.

Später sitze ich am Bettrand und beobachte ihn. Er steht am Fenster, die Unterarme auf den Sims gestützt, und sieht nachdenklich in den wolkenverhangenen Abendhimmel hinaus, während ich seine nackte Kehrseite betrachte. Die Art, wie er mit seiner Nacktheit umgeht, fasziniert mich immer wieder aufs Neue. Sie ist so selbstverständlich, so selbstsicher, so ohne jede Scham. Nun – es gibt auch wirklich nichts, wofür er sich schämen müsste. Er bewegt sich ohne Kleidung als trüge er einen seiner maßgeschneiderten Anzüge. Nicht zum ersten Mal frage ich mich, wie ein so zerbrochenes Inneres in einer so makellosen Hülle wohnen kann. Makellosigkeit ist etwas, worauf er einen immensen Wert legt. Ein perfektes Erscheinungsbild. Ein perfektes Auftreten. Eine perfekte Biographie. Doch beim Bad im Drachenblut fiel ein Lindenblatt zwischen die Schultern des tapferen Siegfried und hinterließ einen einzigen, kleinen Fleck, an dem er verwundbar blieb. Nun ist dieser Mann nicht Siegfried und dies ist nicht das Lied der Nibelungen. Aber auch dieser Mann hier hat ein Lindenblatt zwischen den Schultern, das ihn verwundbar macht. Und ich, ausgerechnet ich, habe es entdeckt. Unsere Leben könnten so perfekt sein. Wir könnten glücklich sein, glaube ich. Aber das - und das begreife ich gerade - ist nur ein Traum. Das, was zwischen ihm und mir existiert, wird diese vier Wände nie verlassen. Es darf sie nie verlassen. Er hat ein Geheimnis. Eigentlich nichts Besonderes, nicht in unserer heutigen Zeit. Aber es könnte ihn zerstören. Jedenfalls ist er sich darüber so sicher, dass er wie besessen versucht, jeglichen Hinweis darauf aus der Welt zu räumen, wenn nötig mit allen Mitteln.

Sein Geheimnis ist, dass er ein Mann ist. Und dass ich auch einer bin. Ich bin das Lindenblatt zwischen seinen Schultern.

Kapitel 1

Pennsylvania, Ende August 2012

»Jetzt öffne doch endlich einen dieser Briefe!« Die Stimme meiner Schwester Emily ist eine Mischung aus Verzweiflung und Belustigung.

»Ich kann nicht. Ich will nicht. Das sind sowieso alles Absagen.« Ich starre die Briefe an, die vor mir liegen. Es sind drei Stück. Sie sind gestern und heute eingetroffen und bislang habe ich es noch nicht gewagt, einen von ihnen zu öffnen.

Emily lacht auf und versetzt mir einen sanften Stoß. »Süßer, du bist Wharton-Absolvent und hast einen Doktorgrad in Marketing und Psychologie. Du hast Praktika in zwei der namhaftesten Unternehmen der Vereinigten Staaten gemacht. Wenn du mich fragst, sind das hier alles Zusagen.«

Ihr unnachahmlicher Optimismus bringt mich zum Lächeln. »Ich bring’s nicht fertig, Em.«

Theatralisch wirft sie die Arme in die Höhe. »O Philip! Ich verstehe deinen Pessimismus nicht. Aber gut, wenn du die Briefe nicht öffnest, dann mache ich es eben. Welchen zuerst? Berkshire Hathaway?« Sie krallt sich den Umschlag und ich hindere sie nicht daran. Wir waren schon immer so: sie, zwei Minuten älter als ich, sprühend vor Optimismus und Lebenskraft, immer lachend und umringt von vielen Freunden. Ich – nun ja. Ich habe die Dinge schon immer etwas nüchterner betrachtet und bin mit einem Hang zur düsteren Melancholie geboren. Emily nennt das Pessimismus. Ich nenne es Realismus. Ich beobachte, wie ihre Augen, die völlig gegensätzlich zu meinen blauen dunkel wie Kaffee sind, über die Zeilen des Briefes fliegen. Je mehr sie liest, desto mehr runzelt sich ihre Stirn.

»Und?«, frage ich vorsichtig, obwohl ich sicher bin, die Antwort zu kennen.

Emily lässt die Hände mit dem Briefbogen in der Hand sinken. »Tut mir leid, Bruderherz.«

Ich nicke. Natürlich bin ich enttäuscht, aber auch nicht so richtig überrascht. Eine Anstellung in einem der Tochterunternehmen von Berkshire Hathaway zu bekommen wäre wie ein Lottogewinn. Und warum sollte gerade ich einen solchen Gewinn machen? Emilys Traurigkeit verwandelt sich augenblicklich in Zorn.

»Warum nehmen die dich nicht? Du hast ein Praktikum bei der BH Media Group gemacht und alle waren voll des Lobes!« Wütend knüllt sie das Schreiben zusammen und pfeffert es in eine Ecke. »Soll Warren Buffett der Blitz beim Scheißen treffen!«

»Em, bitte.« Ich kann mir, trotz aller Enttäuschung, ein Lächeln über ihre schroffe Reaktion kaum verkneifen. Ja, mein Praktikum bei der BH Media Group war erfolgreich – das dachte ich jedenfalls. Offensichtlich nicht erfolgreich genug, um in das Unternehmen einzusteigen. Ich bin nicht so gut, wie Emily denkt. Lange nicht so gut.

»Egal.« Sie würdigt das zerknüllte Papier keines Blickes mehr und wendet sich dem nächsten Brief zu.

Ich sehe das kleine Logo auf dem Umschlag: Drake Network. Der zweite mögliche Jackpot. Diesmal geschieht etwas anderes: ihre Miene hellt sich mit jeder Zeile auf. In meinem Magen wächst ein kribbeliges Gefühl der Aufregung. Sind das etwa gute Nachrichten? Grinsend löst Emily ihren Blick von dem Blatt Papier und sieht mich an.

»Du hast eine Einladung von Drake Network bekommen. Für nächsten Montag. O mein Gott, Phil, sie wollen dich kennenlernen!« Mit einem Jubelschrei fällt meine Schwester mir um den Hals und drückt mir beinahe die Luft ab.

»Em!« Lachend schiebe ich sie von mir. »Zeig doch mal her.«

Freudestrahlend überreicht sie mir den Brief und mit einer Mischung aus Aufregung und Ungläubigkeit überfliege ich die Zeilen:

Sehr geehrter Dr. Foster,

wir bedanken uns hiermit für Ihre Bewerbung und das Interesse an unserem Unternehmen. Wir möchten Sie gern persönlich kennenlernen und laden Sie deshalb herzlich zu einem Vorstellungsgespräch ein.

Das Gespräch findet am 3. September 2012 um 10:30 Uhr im Hauptgebäude des Drake Network in Manhattan statt (genaue Adresse und Lageplan s. Anhang). Stockwerk und Raum erfragen Sie bitte am Tag des Vorstellungsgesprächs an der Information in der Empfangshalle.

Zur Legitimation Ihres Gebäudezutritts führen Sie bitte dieses Einladungsschreiben sowie Ihren Pass mit sich.

Wir freuen uns darauf, Sie kennenzulernen.

Mit freundlichen Grüßen

Stacy Glover (HR Manager)

Wie überfahren lasse ich mich in meinen Stuhl zurücksinken. Ich lese das Schreiben noch einmal. Und noch einmal. In der Zwischenzeit öffnet meine Schwester den dritten Brief. Wieder eine Absage. Es interessiert mich aber nicht mehr. Ich habe eine Einladung von Drake Network bekommen. Eine Einladung ist keine Zusage, aber ein Schritt in die richtige Richtung. Drake Network gehört zu einem der größten Unternehmen dieses Landes: Starr Incorporated, ein Holding-Unternehmen, das sich, ähnlich wie Berkshire Hathaway, in zahlreichen verschiedenen Geschäftsfeldern betätigt. Drake Network ist ein Medienkonzern, der unter anderem einen Nachrichtendienst und eine Reihe von Fernsehsendern unterhält, aber auch Magazine und Zeitschriften. Unternehmensgründer und gleichzeitig größter Aktionär der Holding ist der, wenn ich mich recht entsinne, mit ungefähr Mitte vierzig vergleichsweise junge Unternehmer Mason Starr, der damit eine beachtliche Karriere hingelegt hat und regelmäßig auf der Forbes-Liste auftaucht.

»Ich muss einen Flug besorgen«, murmele ich.

»Was?«

Ich schüttele meinen Kopf, um aus meinem tranceartigen Zustand zu entkommen und blicke zu meiner Schwester, die mich ein wenig verständnislos anlächelt. »Ich sagte, ich muss einen Flug nach New York City buchen. Gott, ich hoffe, es ist nicht schon alles ausgebucht.«

Emily schreitet wie üblich sofort zur Tat, fährt den Laptop hoch und öffnet die Seite einer Flugsuchmaschine.

»Am besten wäre ein Flug am Sonntagabend, dann bin ich auf der sicheren Seite.«

Mit konzentrierter Miene lässt Emily scheinbar endlose Anfragen durch die Suchmaschine laufen. »Ich finde nur noch einen Flug in der Nacht. Oder besser gesagt: am frühen Morgen. Er geht um 3:20 Uhr von Pittsburgh und landet um 4:45 Uhr am JFK in New York. Das ist sehr früh, ich weiß, aber das ist der einzige Flug mit noch verfügbaren Plätzen.«

»Es ist besser als nichts.« Ich nicke. »Buche den für mich. Ich komme lieber morgens um 5 Uhr an, als kurz vor der Angst.«

Emily bucht mir den Flug. Wir stoßen noch auf meinen Teilerfolg an und verbringen einen netten Abend, an dem wir über andere Dinge als meinen potentiellen neuen Job plaudern.

♂♂

Drei Tage später befinde ich mich zu nachtschlafender Zeit am Flughafen – und stehe vor einer mittleren Katastrophe. Hämisch lachen mich die Zeichen auf der Anzeigetafel an: ein großes, leuchtendes DELAYED steht da ausgerechnet hinter meinem Flug. Verspätet auf 5:50 Uhr. Mehr als zwei Stunden. Fieberhaft rechne ich nach: Bei einer Flugzeit von etwa anderthalb Stunden sollte der Flieger gegen 7:30 Uhr auf dem JFK Airport landen. Mein Vorstellungsgespräch ist drei Stunden später. Das sollte noch genug Zeit sein. Verstohlen atme ich auf und blicke auf die Uhr. Es ist 2:35 Uhr morgens. Ich bin hellwach von dem starken Kaffee, den ich vor der Abfahrt getrunken habe. Ich konnte vor lauter Aufregung ohnehin kaum schlafen. Wenn dieses Gespräch bei Drake Network in die Hose geht, dann kann ich meine größeren Karrierepläne vorerst an den Nagel hängen. Ich werde mich mit kleineren Consulting-Kompanien zufriedengeben müssen.

Vielleicht will ich auch einfach zu hoch hinaus. Ich werde in vier Monaten sechsundzwanzig Jahre alt und habe meine Ausbildung an der renommierten Wharton School der University of Pennsylvania gerade erst abgeschlossen. Und ich war nicht gerade einer der schlechtesten Absolventen, auch wenn es zu einer Auszeichnung bedauerlicherweise nicht ganz gereicht hat. Ich musste neben meinem Studium jobben, um mir meinen Lebensunterhalt finanzieren zu können. Ich musste einen Kredit aufnehmen und starte deshalb mit Schulden ins Berufsleben, wie so viele andere auch, die keine gut betuchten Eltern haben. Wenigstens war es nicht nötig gewesen, von zu Hause auszuziehen, so dass ich während der Zeit meines Studiums noch mein altes Kinderzimmer bewohnen konnte, anstatt mich notgedrungen im Studentenwohnheim einmieten zu müssen. Allerdings hätte ich es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren können, meinen Eltern während der gesamten Zeit meines Studiums auf der Tasche zu liegen - und deshalb ging ich arbeiten.

Meine größte Hoffnung ist es, sie später einmal unterstützen zu können. Dad kann nach zwei Herzinfarkten nicht mehr arbeiten, weil jeder Handgriff eine enorme Anstrengung für ihn bedeutet. Er leidet sehr darunter. Er war ein Mensch, der immer geackert und geschuftet hat, um seine Familie zu versorgen und nun fühlt er sich krank und nutzlos. Es nagt an ihm. Man merkt es daran, dass seine Nerven dünn wie Drahtseil sind. Er ist oft aufbrausend, geht wegen Kleinigkeiten in die Luft und lässt alles an Mom aus – die sich ihrerseits wiederum fast tot ackert, um mit ihrer Arbeitskraft alles am Laufen halten zu können. Sie schafft es gerade so, das Haus zu halten und ich habe jeden Tag Angst, dass sie zusammenbricht und nicht mehr kann. Emily hilft den beiden. Aber auch sie hat einen Job und möchte bald ihren Freund Seth heiraten. Sie werden eine Familie gründen und sich um ihre eigenen Dinge kümmern.

Gottverdammt, ich brauche diesen Job. Er ist hoch dotiert. Er würde mehr einbringen als ich brauche, um mir meinen Lebensunterhalt zu finanzieren und monatlich einen gewissen Betrag meiner Schulden zu tilgen. Ich könnte meinen Eltern Geld überweisen, damit Mom wenigstens einen ihrer Jobs aufgeben könnte, um mehr Zeit für sich und Dad zu haben. Es muss einfach klappen!

Ich hole mir einen Kaffee aus dem Automaten, setze mich in den Wartebereich und beobachte die Leute um mich herum. Der Uhrzeit zum Trotze ist hier immer noch viel los, alle paar Minuten werden die Leute zum Boarding aufgerufen, die Gesichter auf den Sitzplätzen um mich herum werden durch andere ausgetauscht. Mir gegenüber setzt sich ein junges Paar. Die Frau ist ziemlich müde und der Mann, ein hübscher Kerl mit dunklem Haar, nimmt sie in die Arme und gibt ihr einen flüchtigen Kuss auf die Stirn. Ich seufze. Ein wenig bin ich neidisch. Meine letzte Beziehung ist ... ehrlich gesagt, ich weiß gar nicht mehr, wie lang sie her ist. Jahre. Sie zerbrach kurz nachdem ich mein Studium an der Universität aufnahm. Ich hatte einfach keine Zeit mehr und mein Partner wenig Verständnis. Aber, auch wenn ich keine Zeit für eine Beziehung habe: Ich bin froh, an der vergleichsweise toleranten Ostküste aufgewachsen zu sein und nicht im Bibelgürtel der Südstaaten. So konnte ich mich schon relativ früh outen, ohne mich jahrelang verstecken zu müssen. Meine Familie hat ziemlich locker reagiert, sogar mein brummiger Vater. Nur mein Großvater – Gott hab ihn selig – war etwas irritiert, versuchte aber dennoch nicht, mich zu bevormunden. Darüber bin ich froh und dankbar. Und wenn ich die beiden so sehe, die mir gerade gegenüber sitzen, dann hoffe ich sehr, dass ich eines Tages die Zeit haben werde, in so einen Genuss zu kommen.

Eine Durchsage reißt mich aus meinen Gedanken. Ich höre die Nummer meines Fluges und spitze die Ohren: »… wird sich weiter verspäten. Die voraussichtliche Abflugzeit verschiebt sich auf 7:25 Uhr.«

Was? 7:25 Uhr? Das heißt, ich wäre kurz vor neun Uhr in New York. Anderthalb Stunden um auszuchecken, mich frisch zu machen und mich durch den unsäglichen Verkehr bis zum Drake Network Tower durchzukämpfen. Das reicht nicht! Das schaffe ich niemals! Wie von der Tarantel gestochen springe ich auf und laufe zum Schalter der Fluggesellschaft.

»Wie kann ich Ihnen helfen, Sir?«, fragt die Mitarbeiterin mit erzwungener Freundlichkeit.

»Ich muss – ich brauche einen anderen Flug! Jetzt. Sofort.«

Sie wirkt ein wenig irritiert, fragt aber in der gleichen aufgesetzten Freundlichkeit weiter: »Wohin möchten Sie fliegen, Sir?«

»New York. JFK.«

Sie nickt. »Und wann?«

»Jetzt. So schnell wie möglich.«

Sie hebt eine ihrer zu dünn gezupften Augenbrauen. »Der nächstmögliche Flug geht heute um 16:10 Uhr.«

»Nein!«, brause ich auf. »Hören Sie, ich muss um 10:30 Uhr bei einem Vorstellungsgespräch in New York sein. Es ist enorm wichtig. Es ... mein Flug verspätet sich. Er sollte um 3:20 Uhr gehen, mittlerweile wurde er auf 7:25 Uhr verschoben. Ich werde zu spät kommen. Das geht nicht, das – haben Sie auch keinen Platz in der First Class mehr frei?«

Sie tippt ein paar Daten in ihren Computer ein. »Tut mir leid, Sir. Da ist nichts zu machen. Sie werden auf Ihren Flug warten müssen.«

»Gottverdammte Scheiße!« Die Dame hinterm Schalter wirft mir einen pikierten Blick zu. »Verzeihung«, murmele ich ein wenig peinlich berührt, »es ist nur – ach, vergessen Sie’s.«

Mit hängenden Schultern trolle ich mich zurück in den Wartebereich. Ich werde Wunder vollbringen müssen, wenn ich pünktlich zu meinem Termin erscheinen will. Es wird nicht klappen. Verdammter Mist, ich kann diesen Job an den Nagel hängen. Warum kann ich nicht einmal etwas von Emilys Optimismus haben? Ich sehne mich gerade sehr nach meiner Zwillingsschwester. Ich brauche irgendjemanden, der mich aufbaut, aber hier ist niemand. Nur ich mit mir selbst. Das ist nicht gerade hilfreich. Die Zeit vergeht, während ich Menschen beobachte, meine Ohren stets gespitzt sind und meine Augen immer wieder panisch zur Anzeigetafel wandern, um zu sehen, ob sich mein Flug etwa noch weiter verschiebt und ich in New York gleich absagen kann. Aber es ändert sich nichts mehr. Unzählige Kaffees später wird mein Flug endlich zum Boarding aufgerufen.

Kaum, dass wir in der Luft sind, überrollt mich trotz des ganzen Koffeins in meinem Kreislauf eine bleierne Müdigkeit und ich werde erst wieder wach, als die Stewardess darum bittet, die die Gurte zu schließen und die Sitze in eine aufrechte Position zu bringen. Schlaftrunken blicke ich zum Fenster hinaus, sehe das Wasser in der Nicoll Bay in der Morgensonne funkeln, die Schatten der Wolken, die sich auf dem Atlantik spiegeln, die Gebäude von Arverne, die wie kleine Vierecke unter uns erscheinen. Schließlich kommt die Landebahn in Sicht. Als die Räder des Flugzeuges auf dem Boden aufsetzen, atme ich auf. Das ist für mich immer der schlimmste Moment eines Fluges. Ich habe schon Horrorgeschichten von Flugzeugen gehört, die beim Aufsetzen umgekippt sind und Feuer fingen.

Es ist 8:55 Uhr. Ich verlasse das Flugzeug so schnell wie ich kann und dränge mich rüde an den anderen Passagieren vorbei. Das ist sonst nicht meine Art, aber heute ist eben alles anders. Nach dem Auschecken laufe ich gehetzt auf die Flughafentoilette, putze mir die Zähne und wasche mein Gesicht. Einen Moment gestatte ich mir, innezuhalten und mich im Spiegel anzusehen. Blaue Augen blicken mir entgegen, umrahmt von dunklen Wimpern und seltsam glatten Wangen. Normalerweise trage ich gern einen Dreitagebart, aber da ich befürchte, er könne bei dem Gespräch einen ungepflegten Eindruck machen, habe ich mich glattrasiert. Es lässt mich sehr viel jünger wirken. Mein dunkelbraunes Haar ist viel zu lang und hängt mir in dicken Strähnen über den Brauen. Ich hätte nochmal zum Friseur gehen sollen. Meine Augenringe sehen aus wie die eines Heroinjunkies. Hoffentlich fällt das alles meinem Gegenüber - wer auch immer es sein mag, der dieses Gespräch mit mir führen wird - nicht so sehr auf wie mir selbst. Schnell ziehe ich mich in einer Toilettenkabine um und spurte los. Der riesige Flughafen erscheint mir noch größer als sonst und ich habe das Gefühl, dass bereits eine Ewigkeit vergangen ist, bis ich endlich das Gebäude verlasse. Es ist bereits 9:48 Uhr. Das heißt, ich habe eine knappe Dreiviertelstunde, um mich im Drake Network Tower einzufinden. Ich habe keine Ahnung, ob das zu bewältigen ist. Das nächste freie Taxi ist meins. Ich nenne dem Fahrer mein Ziel und es geht los. Das Flughafengelände verlassen wir relativ zügig, aber dann tauchen wir ein in die Hölle, die sich New Yorker Stadtverkehr nennt.

»Ich muss bis kurz vor halb elf am Tower sein. Schaffen wir das?«, frage ich bang mit Blick auf die Verkehrslage. Ich habe das Gefühl, dass wir uns im Schneckentempo voranbewegen. Der Fahrer hingegen scheint die Ruhe selbst zu sein. Desinteressiert an meinem Schicksal zuckt er mit den Achseln und kaut auf irgendetwas herum. Ich stelle mir vor, wie er gerade mit seiner Zunge Essensreste aus seinen Zahnzwischenräumen puhlt und schüttele mich.

»Vielleicht ja, vielleicht nein. Eher nein.«

Na toll. »Wir müssen das irgendwie hinkriegen«, teile ich ihm mit. »Ich habe ein wichtiges Vorstellungsgespräch und darf auf keinen Fall zu spät kommen. Mein Flieger hatte Verspätung und jetzt wird mir die Zeit knapp.«

Der Taxifahrer dreht sich zu mir um und hebt belustigt eine Braue. »Das hier ist New York, Mister. Wenn Sie schneller ans Ziel kommen wollen, rufen Sie Superman.«

»Na herzlichen Dank.« Ich lehne mich zurück und überlege, dass ich wahrscheinlich sogar mit dem Fahrrad schneller gewesen wäre. Die Zeit vergeht viel rascher als mir lieb ist. Schon ist es kurz vor halb elf und wir sind noch immer nicht am Ziel. »Ist es noch weit?«, frage ich nervös.

Wieder zuckt der Fahrer in seiner entnervenden Ruhe mit den Schultern. »Noch dreihundert Meter.«

Ich verrenke mich am Fenster und versuche, den Drake Network Tower auszumachen, aber es gelingt mir nicht. Zu viel Glas, zu viel Beton, als könne man den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen. Dreihundert Meter. Das ist nicht viel. Aber wir sind gefangen im Verkehr und können nicht vor und nicht zurück. Hier kann man durchaus eine halbe Stunde für dreihundert Meter brauchen. Da kommt mir die naheliegende, rettende Idee. Eine ziemlich unelegante Lösung, aber die einzige Hoffnung.

»Wenn ich von hier aus zu Fuß gehe – wo muss ich entlang?«

Der Fahrer dreht sich um und wirft mir einen Blick zu, als wolle er mir sagen: Na endlich hast du verstanden, wie es hier läuft. »Es ist ganz einfach. Sie laufen von hier aus noch hundert Meter geradeaus weiter, dann nehmen Sie die erste Straße nach rechts. Sie können den Tower nicht verfehlen.«

»Ich danke Ihnen.«

Eilig zahle ich meine Rechnung, lege noch ein großzügiges Trinkgeld drauf und steige aus. Meine Siebensachen habe ich in weiser Voraussicht in meinem Handgepäck verstauen können, so dass mich jetzt kein großer Trolley an meinem Spurt hindert. Ich bin nicht der Einzige auf den Gehwegen, der ein eiliges Tempo vorlegt. Ganz New York scheint es eilig zu haben. Zeit ist Geld. Und Geld ist der Grund, der viele in diese Stadt lockt, um hier ihr Glück zu machen – mich selbst nicht ausgenommen. Kann ich mir vorstellen, in dieser Stadt zu leben? Irgendwie schwer. Aber ich werde es müssen, wenn ich für Drake Network arbeiten will. Jedoch - es hat keinen Sinn, sich darüber überhaupt noch Gedanken zu machen. Ich werde den Job nicht bekommen. Es ist fünf nach halb elf, als ich am Tower eintreffe. Ich bin zu spät, und nichts und niemand kann daran mehr etwas ändern. Eigentlich kann ich gleich umkehren. Andererseits – ach, verdammt, ich muss es wenigstens versuchen!

Völlig außer Atem betrete ich das Foyer. Die finsteren Security-Typen lassen mich ungehindert passieren. Ich mache wohl trotz meines gehetzten Erscheinungsbildes keinen verdächtigen Eindruck. Die Dame an der Information wirft mir ein überraschend freundliches Lächeln zu.

»Kann ich Ihnen behilflich sein, Sir?« Ihre Ausdrucksweise erinnert mich an die Tussi vom Flughafenschalter.

»Mein Name ist Dr. Philip Foster«, erkläre ich schnell, »ich habe um 10:30 Uhr ein Vorstellungsgespräch und soll Stockwerk und Raum hier erfragen.«

Ihr Lächeln gefriert und macht einem unterkühlten Gesichtsausdruck Platz, als sie demonstrativ an die riesige Uhr im Foyer blickt, die die Empfangshalle ein wenig wie einen geschäftigen Bahnhof erscheinen lässt. »Es ist 10:38 Uhr, Dr. Foster. Sie sind zu spät.«

»Ich weiß«, gebe ich zähneknirschend zurück. »Mein Flug aus Pittsburgh hat sich gleich doppelt verspätet, und dann der New Yorker Verkehr ... findet das Gespräch dennoch statt?«

»Können Sie sich ausweisen?«

Ich zeige ihr meinen Pass und das Einladungsschreiben.

Ihr Ausdruck wird etwas milder und sie greift zu einem Hörer. »Ich werde sehen, was sich machen lässt.« Wenige Augenblicke später scheint sich am anderen Ende der Leitung jemand zu melden. »Hallo, hier ist Marnie. Ein gewisser Dr. Philip Foster steht hier vor mir. Er hätte um 10:30 Uhr einen Termin zu einem Vorstellungsgespräch gehabt, aber sein Flug hat sich verspätet und er lässt fragen, ob das Gespräch dennoch stattfinden kann.«

Sekunden vergehen. Nichts passiert. Hat der- oder diejenige am anderen Ende gleich aufgelegt? Marnie scheint meine Verunsicherung zu bemerken, wirft mir ein aufmunterndes Lächeln zu und sagt: »Einen kleinen Moment, ja?« Dann tut sich etwas am anderen Ende der Leitung. »Marnie hier, ich – ja. Ja, in Ordnung, ich schicke ihn hoch. Vielen Dank.« Sie legt auf. »Heute ist Ihr Glückstag«, verkündet sie mir, »das Gespräch findet statt. Nehmen Sie einen der Aufzüge und fahren Sie in den 29. Stock. Dort wird man Sie empfangen. Viel Erfolg.«

»Ich danke Ihnen, Marnie«, entgegne ich überschwänglich, »bitte drücken Sie mir die Daumen.«

Sie nickt mir bemüht und vielleicht auch ein klein wenig genervt zu. »Strengen Sie sich an.«

Erleichtert und gleichzeitig so aufgeregt wie noch nie gehe ich hinüber zu den Aufzügen. Es wäre eine Katastrophe gewesen, wenn ich wegen acht Minuten die Chance meines Lebens verpasst hätte. Nun muss ich mich allerdings doppelt anstrengen, um den schlechten Eindruck durch meine Verspätung wieder wettzumachen. Tief durchatmend betrete ich den ersten Fahrstuhl, der hier unten ankommt. Ein Portier steht darin und als sich die Türen schließen, bin ich mit ihm allein.

»Stockwerk?«, fragt er mich freundlich.

»Neunundzwanzig.«

Er betätigt einen Knopf. Ich nehme das Bedienfeld näher in Augenschein und sehe, dass es insgesamt 31 Stockwerke gibt. Ich fahre also bis fast ganz nach oben. Allein bei dem Gedanken wird mir schon schwindelig. Als ich dem Portier einen flüchtigen Seitenblick zuwerfe, entdecke ich, dass er, dezent unter seiner Livree verborgen, eine Waffe trägt. Mir wird ein wenig mulmig. Ich kenne bewaffnete Security selbstverständlich noch von meinem Praktikum bei Berkshire Hathaway und auch anderen wichtigen Gebäuden, aber ich war noch nie allein mit einem bewaffneten Mann in einer Fahrstuhlkabine. Das kribbelnde Gefühl nimmt zu, als der Aufzug im 27. Stock plötzlich stoppt. Ein weiterer Securitymitarbeiter steigt zu, nicht in Livree, sondern im schwarzen Anzug, und nimmt mich scheinbar beiläufig in Augenschein. Die Türen schließen sich wieder und wir fahren weiter nach oben. Die ganze Zeit über ist niemand zugestiegen, ich bin allein mit den beiden Männern. Irgendwie ist das alles ziemlich seltsam. Traut man mir doch nicht über den Weg? Aber ich habe mich doch ausgewiesen und –

Der Fahrstuhl stoppt. Wir sind im 29. Stockwerk angekommen. Die Türen öffnen sich und gemeinsam mit den beiden Männern betrete ich eine Art Vorraum, der von einem großen Schreibtisch dominiert wird, an dem aber niemand sitzt.

»Nehmen Sie bitte Platz und warten Sie hier«, weist der Portier mich an. »Man wird sich gleich um Sie kümmern.« Damit wendet er sich ab, steigt mit dem anderen Typen zurück in den Aufzug und fährt wieder hinunter.

Etwas verunsichert gehe ich auf den Schreibtisch zu und setze mich auf den Stuhl, der davor steht. Es ist ein alter, wuchtiger Mahagonischreibtisch, fein säuberlich poliert und klassisch schön. Er zeugt von dem guten Geschmack desjenigen, der dieses Büro eingerichtet hat. Ein langes, schmales Fenster reicht links neben mir vom Boden bis zur Decke und gibt ein Schnipsel des atemberaubenden Ausblicks frei, den man von hier oben über die Stadt hat. Meine Fußsohlen kribbeln schmerzhaft. Ich leide unter großer Höhenangst und kann nur hoffen, dass ich, falls ich einen Job hier bekomme, nicht in einem der höheren Stockwerke arbeiten muss. Zumindest nicht, wenn es dort solche Fenster gibt. Hinter diesem Zimmer scheint sich ein weiteres zu befinden, jedenfalls weist die große, kugelsicher ausgestattete Flügeltür darauf hin. So sehr wie die Zeit vorhin gerast ist, so langsam vergeht sie jetzt. Hier gibt es keine große Uhr wie im Foyer, aber ich trage ja selbst eine Armbanduhr. Es ist 10:55 Uhr. Ob die Person, die das Gespräch mit mir führen soll, wohl aus dem anderen Raum kommt, oder eher aus dem Fahrstuhl? Und wer wird es sein? Werden es mehrere Leute sein? Im Stillen gehe ich wieder und wieder die Fragen durch, auf die ich mich schon vorbereitet habe. Fragen, die bei jedem Vorstellungsgespräch gestellt werden: Was sind Ihre Stärken und Schwächen? Was ist es, das gerade unser Unternehmen für Sie interessant macht? Warum sollten gerade Sie für unser Unternehmen interessant sein? Wo liegen Ihre Ziele für die Zukunft? Ich exerziere die Antworten durch: Geduld, Gründlichkeit ... Perfektionismus, ich bin nie mit mir selbst zufrieden, das Unternehmen hat ein großartiges Renommee, verdammte Scheiße nochmal, wann kommt hier endlich jemand? Es ist bereits Viertel nach elf!

Mich beschleicht das ungute Gefühl, dass man hier mit mir spielt. Dass man mir eine Lektion erteilen will und am Ende gar kein Gespräch mit mir stattfindet, sondern dies eine Demonstration sein soll: So stellt man sich nicht bei einem Unternehmen wie Drake Network vor. Ja. Ja, ich habe es kapiert, ihr könnt mich gehen lassen, zum Teufel. Aber hier ist kein Mensch. Ich spitze meine Ohren und lausche, ob hinter der Tür irgendwelche Stimmen oder Geräusche zu vernehmen sind. Nichts. Nur gespenstische Stille. Soll ich mal klopfen? Oder einfach in den Aufzug steigen, wieder nach unten fahren und mich kommentarlos verabschieden? Zehn Minuten. Ich gebe mir und Drake Network noch zehn Minuten, dann kapituliere ich. Ich habe meine Lektion gelernt, aber ich will mich nicht unnötig lang demütigen lassen. Diese verdammte Fluggesellschaft, vielleicht sollte ich sie verklagen, ich –

Die Aufzugtür öffnet sich mit dem charakteristischen »Bing«. Hastig stehe ich auf und drehe mich um. Ich versuche, mir meine Erschrockenheit nicht anmerken zu lassen. Eine Silhouette schält sich aus der kalt-weißen Fahrstuhlbeleuchtung. Ich komme mir vor wie in einem billigen Science-Fiction-Film. Ein Mann betritt den Raum. Seine Statur ist groß und athletisch, das Haar dunkel, das Gesicht geziert von einem kurzen, gepflegten Dreitagebart. Der graue Anzug, den er trägt, wirkt edel und wie eben erst frisch angezogen. Ich kann nicht schlucken, ich kann nicht richtig Luft holen. Das hier kann gerade nicht sein. Es kann einfach nicht sein! Ich kenne diesen Mann – aus dem Fernsehen, aus Wirtschaftsmagazinen, sogar aus der einen oder anderen Klatschspalte. Vor mir steht kein anderer als Mason Starr. Und er blickt mich mit kühler, auffordernder Miene an.

Kapitel 2

»Guten Ta – « Meine Stimme versagt. Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass sich der Boden jetzt sofort auftut und mich verschluckt. Warum um alles in der Welt steht Mason Starr vor mir?

»Setzen Sie sich«, befiehlt er mit donnernder Stimme. Wie von unsichtbaren Strängen gelassen falle ich zurück auf meinen Stuhl. Er nimmt mir gegenüber an dem Schreibtisch Platz. »Dr. Philip Foster also, ja?«

»Ja, Mr. Starr.« Meine Stimme klingt seltsam hohl.

»Hm.« Er greift sich einen Hefter mit Unterlagen – meine Unterlagen? - und blättert darin herum, liest aber keine einzige Zeile, da er stattdessen die ganze Zeit mich mit Blicken taxiert. »Mussten Sie lange warten?«

»Ich – nein, das ging schon in Ordnung.« Gott, ich habe das Bedürfnis, mir meine Krawatte vom Hals zu reißen, weil ich das Gefühl habe, sie wird mich gleich erwürgen.

»In Ordnung?« Er macht ein erstauntes Gesicht, aber ich sehe etwas Lauerndes in seinen dunklen Augen. »Dr. Foster – damit ich Sie richtig verstehe: Sie halten es für in Ordnung, jemanden«, er schaut auf die Uhr, »... vierundzwanzig Minuten warten zu lassen?«

Das ist eine Fangfrage. Eine Anspielung auf meine Verspätung. Verdammt, dieser Mann spielt mit mir und ich starre ihn an wie das Kaninchen die Schlange – völlig unfähig, der Situation zu entkommen. Ich räuspere mich. »Ich war mir sicher, dass, wer immer das Gespräch mit mir führen wird, sehr beschäftigt ist, und – «

»Und Sie, Dr. Foster?«, unterbricht Starr mich schneidend. »Sind Sie ein vielbeschäftigter Mann?«

»Zur Zeit nicht«, gebe ich zu. Meine Stimme klingt tonlos und heiser.

Starrs Augen verengen sich zu schmalen Schlitzen. »Also. Ich frage Sie noch einmal: Finden Sie es in Ordnung, jemanden vierundzwanzig Minuten warten zu lassen?«

Ich ahne, worauf er hinauswill. »Eigentlich nicht, ich – «

»Finden Sie es in Ordnung?«, unterbricht er mich wieder. »Kein Herumgeeiere. Klare Antwort, ja oder nein. Jetzt.«

»Nein.«

Ein kleines, boshaftes Lächeln kräuselt sich in seinen Mundwinkeln. »Nein. Das dachte ich mir. Also gut, Dr. Foster. Bitte, Sie müssen mir helfen. Sie sind zur Zeit nicht das, was man einen vielbeschäftigten Mann nennen würde, sagen Sie. Auch finden Sie es nicht in Ordnung, jemanden vierundzwanzig Minuten warten zu lassen. Erklären Sie mir folgenden Widerspruch: Wie kommt es, dass Sie dieses Büro erst um 10:54 Uhr betreten haben, anstatt, wie vereinbart, um 10:30 Uhr? Sie haben sich ganze vierundzwanzig Minuten verspätet. Wissen Sie, wie ich so etwas nenne? Unverzeihlich.« Das letzte Wort kommt wie ein Peitschenhieb.

Resigniert lasse ich meine Schultern hängen. Ich weiß, dass meine schlaffe Körperhaltung gerade kein gutes Bild abgibt, aber das spielt ja ohnehin keine Rolle mehr. Ich werde diesen Job nicht bekommen. Ich habe es verscherzt, indem ich etwas getan habe, was in den Augen von Mason Starr unverzeihlich ist. Scheiß Fluggesellschaft!

»Ihre Erklärung, Dr. Foster.« Unruhig tippt er mit den sauber manikürten Fingerspitzen auf die Schreibtischplatte. »Ich warte.«

Ich ducke mich normalerweise nicht vor anderen Männern, aber dieser Mensch ist einfach nur einschüchternd. »Mein Flug hat sich um mehr als vier Stunden verspätet. Ich konnte nichts dafür. Es tut mir leid. Ich wusste nicht, dass Sie höchstpersönlich das Vorstellungsgespräch mit mir führen würden.«

»Ach, und wenn Sie es gewusst hätten, hätte sich der Flug nicht verspätet?« Er setzt wieder diese gespielt erstaunte Miene auf. Langsam macht er mich damit irgendwie wütend.

»Leider doch, Mr. Starr«, gebe ich mühsam zurück, »das liegt nicht in meiner Macht.«

»Wozu dann dieser überflüssige Kommentar?«

Ich gebe keine Antwort und Starr erwartet offenbar auch keine. Stattdessen steht er auf und stolziert mit hinter dem Rücken verschränkten Armen um den Schreibtisch herum. Ein Hauch seines Eau de Colognes weht zu mir herüber, als er dicht hinter mir vorbeigeht. Chanel Allure Homme? Ich glaube ja. Der Duft passt zu diesem Mann. Als er wieder hinter dem Schreibtisch angekommen ist, stützt er sich mit beiden Händen ab und lehnt sich zu mir nach vorn. Obwohl es in diesem Moment nichts gibt, das ich mir mehr wünsche, als mich in Luft aufzulösen, nur um Starr zu entkommen, kann ich nicht leugnen, dass seine Attraktivität mich umhaut. Alles an ihm sitzt da, wo es sein soll, jede Proportion stimmt. Mein Blick wandert zu seinen Händen. Sie sind schön, mit langgliedrigen Fingern, und jede Vene zeichnet sich darauf ab. Ein kurzer Blick auf seinen Ringfinger gibt mir die Gewissheit: Er ist verheiratet. Natürlich ist er das, er konnte sich aus tausend Frauen vermutlich die Schönste herauspicken. Aber was hat mich sein Familienstand überhaupt zu interessieren? Selbst wenn er Single wäre: Ich bin ein Mann. Und schwul ist dieser Mann garantiert nicht.

»Ich werde Ihnen jetzt etwas erklären, Philip«, kündigt er an und ich zucke fast unmerklich zusammen, als er meinen Vornamen ausspricht. »Wenn Sie in einem Unternehmen wie Starr Inc. erfolgreich sein wollen, dann brauchen Sie immer einen Plan B.«

Tja. Wo er recht hat ...

»Sie jedoch haben nicht vorausschauend gedacht und haben deshalb vierundzwanzig Minuten meiner kostbaren Zeit verschwendet.«

»Es tut mir leid, Mr. Starr, ich – «

»Philip, Herrgott nochmal!« Seine flache Hand knallt auf die Tischplatte. Zu Tode erschrocken rutsche ich mit meinem Stuhl ein Stück zurück. »Ich erkläre Ihnen gerade etwas. Haben Sie gefälligst die Höflichkeit, mich dabei nicht zu unterbrechen, wenn Sie schon nicht pünktlich sein können!« Einen Augenblick lang starrt er mir direkt und unverblümt in die Augen. Sein Blick hält den meinen fest und bohrt sich tief in mich hinein. Ich könnte hier genau so gut nackt sitzen, ich könnte mich nicht verletzlicher fühlen.

»Das Wichtigste ist die absolut zuverlässige Erfüllung Ihrer Aufgaben. Sie müssen lernen, alle Eventualitäten einzukalkulieren und Ausweichmöglichkeiten zu schaffen, bevor es zu spät ist.«

Das leuchtet ein. Und trotzdem regt sich in mir Trotz. »Wie hätte mein Plan B in diesem Fall denn aussehen sollen?«, frage ich. »Ich konnte ja schlecht die Fluggesellschaft bestechen.«

Starr lacht unfroh. »Sagen Sie mir, wie der Plan B hätte aussehen können.«

»Ich sagte doch schon – «

»Denken Sie noch einmal nach. Oh, ich will nicht so sein, ich gebe Ihnen einen Tipp: Wie spät sind Sie am Flughafen eingetroffen? Beginnen Sie an dieser Stelle mit Ihrer Planung.«

Was zum Teufel meint er? Ich bin gegen halb drei morgens am Flughafen eingetroffen. Früh genug, um – Moment. Ich beginne laut zu denken. »Ich habe den Flughafen gegen 2:30 Uhr morgens betreten und dort entdeckt, dass mein Flug verschoben wird. Allerdings zunächst nur auf 5:50 Uhr.« Meine Gedanken spinnen sich weiter, es geht plötzlich wie von selbst. »Ich hätte mich darauf allerdings nicht verlassen dürfen. Ich hatte von da an noch 8 Stunden Zeit bis zu unserem Termin.« Ich blicke auf, direkt in Starrs Gesicht, der interessiert meine Miene studiert. »Ich hätte einen Mietwagen nehmen können. Die Fahrt von Pittsburgh nach New York dauert knappe 6 Stunden. Ich hätte den Wagen an einer Station in den äußeren Stadtbezirken abgeben können und genug Zeit gehabt, mit der U-Bahn bis an mein Ziel zu fahren.« Die Erkenntnis trifft mich selbst wie ein Schlag. »Ich wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit pünktlich gewesen.« Verdammt, und warum fällt mir das jetzt erst ein, wo es mir nichts mehr nützt?

Einen Moment lang starrt Starr mich noch mit undurchdringlicher Miene an. Dann lächelt er anerkennend und klatscht ein paar mal in die Hände, während er wieder gemessenen Schrittes den Schreibtisch umrundet. »Gut gemacht, Philip. Wirklich gut. Sie haben mit Ihrer Unpünktlichkeit keinen sonderlich guten ersten Eindruck bei mir hinterlassen – ich hasse Unpünktlichkeit! - aber ich sehe, dass Sie durchaus in der Lage sind, Fehler zu reflektieren und Problemlösungen zu finden. Sie können dazulernen. Das gefällt mir.«

Moment mal, habe ich mich da gerade verhört? Habe ich schon Wahnvorstellungen? Ich sitze hier wie ein umgefallener Sack Reis, ich habe den Boss eines der erfolgreichsten Unternehmen Amerikas fast eine halbe Stunde auf mich warten lassen und nun spricht er mir ein Lob aus? Das ist fast ein wenig zu viel für mich. Aber nur fast. Ich richte mich auf, setze mich gerade hin und straffe meine Schultern. Ich werde kämpfen. Scheiße, ja, das werde ich! Vielleicht ist doch noch nicht alles verloren, sagt die eine innere Stimme zu mir, die nach Emily klingt. Aber vielleicht spielt er nur mit dir, um dich dann hinauszuwerfen, sagt die andere, die leider sehr viel mehr nach mir klingt.

Starr blättert wieder in den Unterlagen. »Sie haben eine Zeit lang für Berkshire Hathaway gearbeitet?«, fragt er. »In welchem Bereich?«

»Medien.«

»Genauer?«

»Business Wire.«

»Ah.« Er nickt. »Und weshalb haben Sie sich nicht dort beworben?«

»Das habe ich«, gestehe ich kleinlaut.

»Aber man hat Sie nicht genommen«, schlussfolgert Starr richtigerweise. »Woran lag das?«

»Ich weiß es ehrlich gesagt nicht, Mr. Starr. Man hat die Absage nicht begründet.«

»Und was denken Sie, Philip?«

»Ich denke – « Ich komme ins Stocken. Ich weiß nicht, warum man mich nicht genommen hat. Wahrscheinlich bin ich einfach zu schlecht. Aber das kann ich hier so nicht sagen. Wie um alles in der Welt soll ich das formulieren, ohne am Ende wie ein Versager dazustehen?

Aber Starr erlöst mich, indem er einfach weiterspricht: »Ich soll also die Krumen aufpicken, die Warren Buffetts Wasserträger vom Tisch fallen lassen. Denken Sie, ich habe das nötig, Philip?«

Wie konnte ich nur glauben, es sei noch nicht alles verloren? Wie konnte ich nur jemals denken, ich hätte noch eine Chance? Spätestens als Mason Starr persönlich aus dem Aufzug gestiegen ist, hätte ich wissen müssen, dass alles verloren ist. Mein Gefühl war richtig: Er spielt mit mir. Er macht sich über mich lustig, um mich dann in den Dreck zu treten. So ein Mensch ist er. »Nein«, krächze ich resigniert. »Das haben Sie selbstverständlich nicht nötig.«

Starr schnalzt mit der Zunge. »Hören Sie auf, so ein Arschkriecher zu sein, Philip. Ich hasse sowas. Ich sage Ihnen etwas: Wenn Buffetts Leute alle Bewerber mit Potential vom Markt nehmen würden, dann wäre mein Unternehmen nicht so erfolgreich. Ich profitiere von Potentialen, die andere verkennen. Wissen Sie was, Philip? Selbst ich war einst ein verkanntes Potential. Und wenn mich mein Gefühl nicht trügt – und das tut es selten - könnten Sie auch eines sein.«

Mir wird schwindelig von dieser Achterbahnfahrt. Wenn Starr eines hervorragend beherrscht, dann ist es, Menschen mit seiner bloßen Gegenwart zu manipulieren. In einem Moment hält er mich über den Abgrund, im anderen steckt er mir plötzlich ein Zuckerstück zu. Ich habe keine Ahnung mehr, wo das noch hinführen soll.

»Was halten Sie davon?«

»Ich – ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mein Potential erkennen«, antworte ich ausweichend. Ich bewege mich auf sehr dünnem Eis, das ist mir vollkommen klar.

»Hm.« Starr lässt sich auf seinem Stuhl nieder, verschränkt die Arme und mustert mich. »Wollen Sie den Grund wissen, warum ich dieses Gespräch mit Ihnen führe und nicht einer meiner zahlreichen Mitarbeiter?«

Ich versuche mich zu entspannen. »Ja, Mr. Starr, das würde mich in der Tat sehr interessieren.«

»Der Grund ist, dass ich einen Job für Sie habe, Philip. Nicht Drake Network, sondern ich.« Er lächelt, als er meinen irritierten Blick bemerkt. »Meine bisherige Assistentin, Eve – ein Goldstück von einer Frau, das sage ich Ihnen – hat bedauerlicherweise ihren Dienst bei mir quittiert. Nicht, weil sie unzufrieden war. Ich habe sie gut bezahlt und ihre wirklich gute Arbeit auch gern zusätzlich honoriert, aber sie hat es vorgezogen, sich von ihrem Ehemann schwängern zu lassen und nun die glückliche Hausfrau und Mutter zu geben, anstatt weiter für mich zu arbeiten.« Sein Lächeln wird breiter. »So sind die Frauen. Es ist wirklich sehr schwer, Eve zu ersetzen, aber ich brauche dringend jemanden. Jedoch wünsche ich mir diesmal einen männlichen Assistenten. Soll ich Ihnen verraten, warum?«

Ich nicke.

»Weil die weiblichen Bewerberinnen samt und sonders den Eindruck erweckt haben, sich vor allem deshalb für die Stelle zu interessieren, um mit mir zu schlafen ... und daraus den einen oder anderen Vorteil mitzunehmen.«

»Oh.« Wenn du wüsstest, Starr. Wenn du wüsstest, dass es auch Männer gibt, die sofort mit dir schlafen würden, du – o Gott, was denke ich da gerade? Ich muss vollkommen verrückt sein.

»Ja. Oh. Das nervt. Sie können sich das vorstellen, Philip? Haben Sie eine Freundin?«

Ich schüttele den Kopf. »Nein. Zur Zeit nicht.« Und auch in Zukunft nie. Aber das geht dich überhaupt nichts an.

»Gut. Sehr gut. Das lenkt nur ab von den wesentlichen Dingen. Also, Philip, ich brauche einen persönlichen Assistenten. Und ich möchte Ihnen diese Stelle offerieren.«

»Ihr Assistent? Aber Mr. Starr, verstehen Sie mich nicht falsch – ich habe einen Doktorgrad in Marketing und Psychologie und ich habe mich, mit Verlaub, auf eine völlig andere Stelle beworben. Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Erwartungen an einen persönlichen Assistenten erfüllen kann.«

»Das ist mir alles bekannt, Philip«, entgegnet Starr unwirsch und macht eine wegwerfende Handbewegung. »Aber ich habe keinen anderen Job für Sie. Die Stelle, auf die Sie sich ursprünglich beworben haben, wird definitiv jemand anderes bekommen – eine junge Frau, die ihr Vorstellungsgespräch zwei Stunden vor Ihnen hatte. Schlagen Sie sich das also aus dem Kopf. Die einzige Stelle, die ich Ihnen bei Starr Inc. anbieten kann, ist die als mein persönlicher Assistent. Wenn Sie diesen Job allerdings gut machen, bis Eve hoffentlich bald wieder an ihren Platz zurückkehrt, dann stehen Ihnen in meinem Unternehmen Karrieremöglichkeiten offen, von denen Sie hinter einem Schreibtisch bei Drake Network nur hätten träumen können.«

Wie vor den Kopf gestoßen lehne ich mich zurück. Meint er das wirklich ernst? Macht er sich über mich lustig?

»Was sagen Sie, Philip?«

»Das trifft mich alles vollkommen unvorbereitet.«

Starr lächelt und senkt den Kopf. »Deshalb sagte ich Ihnen, dass Sie immer einen Plan B brauchen. Sie müssen lernen, immer vorbereitet zu sein.«

Ich schlucke. »Wäre eine Bedenkzeit möglich? Vielleicht bis Donnerstag?« Ich muss darüber nachdenken. Kann ich mir wirklich vorstellen, für einen nicht näher definierten Zeitraum der Lakai dieses Mannes zu werden? Ihn vielleicht andauernd um mich zu haben mit seinen Launen, seinen Spielchen, und ... seiner unglaublichen Sexyness? Ich habe das Gefühl, meine Schaltkreise müssten gleich durchschmoren. Das ist zu viel.

Starr runzelt die Stirn. Seine Laune scheint zu kippen. »Ich mag keine Menschen, die nicht den Hintern in der Hose haben, Entscheidungen zu treffen und stattdessen ewig herum eiern.« Seine geschwungenen, schwarzen Brauen heben sich. »Aber da einige Entscheidungen dennoch gut überlegt sein wollen, bekommen Sie eine Bedenkzeit, Philip.«

Ich atme auf.

»Vierundzwanzig Minuten.«

»Was?«, fahre ich auf, bevor ich groß darüber nachdenken kann. »Ich meine ... wie soll ich das in einer knappen halben Stunde abwägen? Ich kenne nicht einmal die Bedingungen, zu denen ich arbeiten würde.«

Starr nickt und schiebt mir einen dünnen Stapel Papier herüber. »Die Bedingungen finden Sie hier. Lesen Sie sich alles gründlich durch, und wenn Sie einverstanden sind, unterschreiben Sie. Ich werde Sie jetzt für vierundzwanzig Minuten verlassen und in dieser Zeit eine Telefonkonferenz nach Kalifornien abhalten. In genau vierundzwanzig Minuten – ab jetzt – komme ich wieder und werde Ihre Entscheidung entgegennehmen. Ich hoffe für Sie, dass Sie die richtige Entscheidung treffen.«

Ohne ein weiteres Wort wendet er sich ab und verschwindet in den Raum hinter der großen Flügeltür. Einzig sein Duft verharrt noch etwas länger.

Kapitel 3

Die nächsten Minuten sitze ich da wie paralysiert. Ich bin nicht fähig, auch nur meine Hand zu heben. Eine knappe halbe Stunde gibt er mir Zeit. Das ist zu wenig! Und mindestens zwei Minuten habe ich schon damit verplempert, wie vom Donner gerührt vor mich hin zu starren. Ich sollte vielleicht mal den Vertrag lesen. Zögerlich nehme ich die Blätter zur Hand. Ich habe das Gefühl, dass das, was in diesem Vertrag steht, mein Leben verändern könnte.

ARBEITSVERTRAG

Zwischen Mason Starr – nachfolgend »Arbeitgeber« genannt

und Dr. Philip Foster, wohnhaft in ________________ - nachfolgend »Arbeitnehmer« genannt,

wird folgender Arbeitsvertrag geschlossen:

Schon bei diesen ersten Zeilen komme ich ins Stutzen. Mein Name wurde handschriftlich eingetragen, die Adresszeile freigelassen. Als Arbeitgeber sind weder Drake Network, noch Starr Inc. genannt, sondern tatsächlich Mason Starr persönlich. Was soll das bedeuten? Dass ich auch außerhalb der Firma in privaten Angelegenheiten für ihn arbeiten soll? Ich lese weiter:

§1 Beginn des Arbeitsverhältnisses

Das Arbeitsverhältnis beginnt am 10.09.2012.

Das ist nächsten Montag. Kurzfristig, aber damit habe ich schon fast gerechnet.

§2 Probezeit

Entfällt

Keine Probezeit? Das ist ungewöhnlich. Starr weiß doch gar nicht, wie ich arbeite. Ist er sich seiner Sache etwa so sicher? Soll ich mich geschmeichelt fühlen oder ihn eher für verrückt erklären?

§3 Tätigkeiten

Der Arbeitnehmer wird als persönlicher Assistent des Arbeitgebers eingestellt. Seine Hauptaufgaben liegen darin, den Arbeitgeber in seinem Tages- und Wochenmanagement zu unterstützen. Dies schließt u.a. ein: Bearbeitung des Posteingangs, Entgegennahme von Telefonaten, Koordination und Vereinbarungen von Terminen im geschäftlichen sowie privaten Bereich, Begleitung auf geschäftlichen Reisen und Terminen.

Der Arbeitnehmer verpflichtet sich darüber hinaus, auch andere zumutbare Tätigkeiten auszuführen, insoweit sie seinen Kenntnissen und Fähigkeiten entsprechen.

Kaffee kochen? Schuhe putzen? Ah, ich muss mich selbst dazu ermahnen, nicht so hochnäsig zu sein. Ja, die Beschreibung der Tätigkeiten bedeutet im Grunde nichts anderes, als dass ich Starrs persönlicher Diener sein soll. Andererseits steht da auch, ich solle ihn auf Termine und Reisen begleiten. Das könnte ungeahnte Möglichkeiten auftun, hinter die Kulissen zu schauen und gegebenenfalls Kontakte zu knüpfen. Dafür ein paar Monate eine Kaffeemaschine zu bedienen ist kein hoher Preis.

§4 Vergütung

Der Arbeitnehmer erhält ein Jahresbruttogehalt von $150’000. Zusätzliche Bonuszahlungen durch den Arbeitgeber sind optional.

Ich lehne mich zurück und starre mit offenem Mund auf den Vertrag. Heiliger Bimbam. Einhundertfünfzigtausend Dollar im Jahr dafür, dass ich Starrs Termine manage und ihn zu Meetings begleite? Entweder ist dieser Job die Hölle auf Erden, dass man mich mit so viel Geld ködern will, oder Starr ist der großzügigste Arbeitgeber, der mir je untergekommen ist. Vielleicht auch eine Mischung aus beidem, denn die wenigen Minuten, in denen ich ihn bisher erlebt habe, lassen vermuten, dass er nicht der einfachste Mensch im Umgang mit anderen ist. Ist das der Haken? Oder kommt noch einer?

§5 Arbeitszeit

Der Arbeitnehmer steht dem Arbeitgeber an 6 Tagen pro Woche für insgesamt 72 Stunden zu jeder Tageszeit zur Verfügung. Die individuelle Einteilung der Arbeitszeit obliegt dem Arbeitgeber, ist jedoch mit dem Arbeitnehmer abzusprechen.

… und da ist der Haken auch schon. Sechs Tage pro Woche, zweiundsiebzig Stunden, das sind im Schnitt zwölf Stunden täglich, aber wenn Starr es für angebracht hält, kann er mich auch vierundzwanzig Stunden am Stück in Anspruch nehmen. Oder länger. Mit solchen Arbeitszeiten wird es mir unmöglich, auch nur ansatzweise so etwas wie einem geregelten Leben nachzugehen. Diese Klausel würde vor keinem Gericht Bestand haben. Will ich mir das wirklich antun? Das Gehalt ist gut, ja. Es ist sogar sehr gut. Aber machen wir uns nichts vor: ich wäre Starrs persönlicher Sklave mit dem Palmwedel und wann ich mich ausruhen darf, entscheiden seine Launen. Und bei solchen Verträgen wundert sich die Gesellschaft noch, wenn so viele Leute an einem Burnout erkranken? Ich – ich sollte weiterlesen.

§6 Urlaubsanspruch

Der Arbeitgeber gewährt dem Arbeitnehmer 25 Arbeitstage Urlaub pro Kalenderjahr. Der erste Urlaub darf frühestens 6 Monate nach Vertragsbeginn in Anspruch genommen werden.

Weihnachtsferien für dieses Jahr ade, hieße das. Nun ja, irgendwo muss man Abstriche machen. Wie würde Weihnachten mit Mason Starr wohl aussehen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass er überhaupt feiert. Es folgen die weiteren, üblichen Klauseln zu Krankheit – ich würde bei einer länger als 14 Tage andauernden Krankheit fristlos gekündigt, welch eine Überraschung – sowie Verschwiegenheitspflicht, Nebentätigkeit, Vertragsstrafen und so weiter. Schließlich finde ich den Paragraphen, nach dem ich gesucht habe:

§11 Kündigung

Die Kündigungsfrist für beide Vertragspartner beträgt jeweils eine Woche.

Auch das überrascht mich nicht wirklich. Mich wundert eher, dass Starr mich nicht unterschreiben lassen will, dass er mich sofort hinauswerfen kann, wenn es ihm in den Kram passt. Gott im Himmel, dieser Vertrag, der ja wirklich nett begonnen hat, grenzt mittlerweile an Versklavung. Ich soll Starr zu jeder Tages- und Nachtzeit zur Verfügung stehen, das bedeutet, er könnte mich auch nachts aus dem Bett klingeln, wenn es ihm gefällt – oder mich gar nicht erst ins Bett gehen lassen. Ich habe einen einzigen freien Tag in der Woche und den leisen Verdacht, dass ich diesen ausschließlich zum Schlafen nutzen würde. Soll ich mich wirklich darauf einlassen? Mich mit Mitte zwanzig in einen sicheren Burnout manövrieren? Auf der anderen Seite stehen die atemberaubenden Möglichkeiten, die dieser Vertrag mir bietet. Starr hat mir versprochen, dass ich einen rasanten Aufstieg hinlegen könnte, wenn ich seine ausgeschiedene Assistentin würdig vertrete. Ich käme einem der erfolgreichsten Geschäftsmänner Amerikas näher als die meisten anderen. Ich könnte hinter die Vorhänge blicken, wichtige Leute kennenlernen. Was soll ich nur tun? Ich wünschte, Emily und Dad wären hier. Ich versuche, mir vorzustellen, was sie mir jetzt wohl raten würden.

Scheiß auf das Geld, du warst nicht an der Wharton School, um einem eingebildeten Unternehmer nachts Kaffee zu kochen, höre ich Ems Stimme und muss unwillkürlich lachen. Meine Schwester hätte diesen Vertrag vermutlich nach dem Lesen von §5 in der Luft zerrissen und wäre erhobenen Hauptes aus dem Gebäude gestapft.

Und Dad? Er würde wohl sagen: Sei dir nicht zu fein. Du hättest einen Fuß in der Tür. Kaum, dass ich den Gedanken zu Ende gedacht habe, öffnet sich die Tür und Starr tritt ein. Meine Handflächen werden augenblicklich feucht. Sind die vierundzwanzig Minuten etwa schon vorbei?

»Nun, Philip?« Er lehnt sich mit verschränkten Armen an die Schreibtischkante und macht den Eindruck, als habe er nicht viel Zeit. »Haben Sie sich entschieden?«

Unbehaglich räuspere ich mich. »Noch nicht, um ehrlich zu sein. Ich – «

»Das ist bedauerlich. Die Bedenkzeit ist um.«

Ich räuspere mich noch einmal, denn meine Stimme ist nicht mehr als ein peinliches Krächzen. Könnte ich wirklich dauerhaft mit einem Menschen zusammenarbeiten, der mich so einschüchtert? Oder würde sich das irgendwann legen? »Mr. Starr, es gibt da ein Problem mit den Arbeitszeiten.«

Fragend zieht er eine Braue in die Höhe. »Und welches?«

Ist das sein Ernst? Er muss doch selber wissen, dass diese Konditionen irrsinnig sind und an Sklaverei grenzen!

»Nun ja«, wage ich mich vor, »verstehe ich richtig, dass ich mich sechs Tage die Woche praktisch Tag und Nacht in Bereitschaft befände? Und dass Sie mich, rein theoretisch, auch mal einen Tag überhaupt nicht nach Hause lassen könnten?«

Er senkt seinen Kopf und lächelt in sich hinein. »Das verstehen Sie vollkommen richtig, ja.«

»Und Sie wissen, dass eine solche Klausel eigentlich rechtswidrig ist?«

»Ist das so?« Seine Miene ist nicht zu deuten.

»Ja, ich schätze das ist so, Mr. Starr.«

»Nun, Philip, dann ist das wohl so. Ich werte das als ein Nein. Bedauerlich, dass Sie diese Chance vertun. So eine bekommen Sie nie wieder, das kann ich Ihnen garantieren.« Er macht Anstalten, den Vertrag wegzunehmen, doch aus einem Impuls heraus lasse ich meine Hand auf das Papier sausen und ziehe es zu mir zurück.

»Wenn ich für Sie arbeiten soll, müssen wir da Klarheit schaffen.« Ich weiß nicht, ob es Mut oder Wahnsinn ist, der mich gerade reitet. Es kann keine gute Idee sein, mit einem Mann wie Mason Starr wie mit einem Teppichhändler um die Vertragsbedingungen zu feilschen. Aber nun ist die Kuh auf dem Eis und es bleibt mir nichts anderes übrig, als vorzupreschen.

Starr wirkt zu meiner Überraschung eher amüsiert. »So so, müssen wir das. Und wie würde diese Klarheit für Sie aussehen, Philip?«

Sein unerwartetes Entgegenkommen nimmt mir gerade ein wenig den Wind aus den Segeln. Ich habe noch gar nicht darüber nachgedacht, wie ein Kompromiss aussehen könnte und Starr macht nicht den Eindruck, als wolle er mir noch eine halbe Stunde zum Überlegen gönnen. Also antworte ich, was mir gerade am sinnigsten erscheint: »Gewähren Sie mir die Garantie auf acht zusammenhängende, freie Stunden innerhalb von vierundzwanzig Stunden. Damit ich schlafen kann. Sonst werde ich bald einen Burnout haben und Sie müssen sich schon wieder einen neuen Assistenten suchen.«

Starr wirkt überrascht. »Sie möchten acht Stunden am Tag schlafen, Philip?« Er stößt sich von der Tischkante ab, umrundet mich einmal und kommt schließlich hinter dem Schreibtisch zum Stehen. »Wissen Sie, wie viele Stunden ich am Tag – oder in der Nacht – ich im Durchschnitt schlafe?« Er beugt sich zu mir nach vorn und starrt mir mit seinen unglaublich dunklen Augen ins Gesicht. »Vier.«

Ich schlucke. Er hält mich für ein Weichei. Nicht hart genug für seinen Job. Ich frage mich, ob diese Eve wohl auch zu solchen Bedingungen gearbeitet hat. Ich kann es mir beim besten Willen nicht vorstellen – nicht, wenn sie es nebenbei geschafft hat, einen Partner zu finden, zu heiraten und sogar eine Familie zu gründen. Starr will ihren Abgang einfach nur dazu nutzen, einen Idioten zu finden, der zu solchen irrwitzigen Konditionen für ihn ackert. Wahrscheinlich sucht er auch deswegen nach einem Mann, denn ich kann mir keine Frau vorstellen, die sich zu so etwas bereiterklären würde.

»Philip«, dringt Starrs Stimme in meine Gedanken, »ich bin Unternehmer. Die Größe meines Unternehmens kennen Sie selbst. Mein Tag endet nicht um 5 Uhr nachmittags, auch nicht um 7 Uhr und manchmal nicht einmal um Mitternacht. Ich suche einen verlässlichen Assistenten, der meine Termine koordiniert und mir all diese täglich anfallenden Dinge, die einfach nur zeitraubend sind, vom Halse hält. Deshalb muss ich mich darauf verlassen können, dass mein Mitarbeiter nicht am frühen Abend beginnt, herumzujammern, dass er nach Hause muss, weil er seinen Sohn vom Baseballtraining abholen soll. Ich suche einen jungen, motivierten, ungebundenen Mann, der für einen begrenzten Zeitraum bereit ist, sich ganz seiner Arbeit zu widmen. Ich dachte, Philip, Sie könnten so einer sein. Was ich gerade stattdessen vor mir sehe, ist eine blasse Kellerassel, die Angst um ihren Schönheitsschlaf hat.«

»Ich – «

»Nein, Sie hören mir jetzt zu. Ich werde Sie nicht tagelang am Stück ackern lassen, bis Sie tot umfallen. Wofür halten Sie mich eigentlich? Aber ich erkenne Ihren Mut an. Sie sind zumindest kein Arschkriecher, so viel ist klar. Sie werden Ihren Schlaf bekommen. Können wir uns auf garantierte sechs zusammenhängende Stunden einigen?« Er verdreht die Augen und schüttelt kaum merklich den Kopf, als würde er sich gerade über seine eigene Großzügigkeit ärgern.

»Sieben?« Gott, Philip, Junge, du musst wahnsinnig sein.

Starrs Augen verengen sich gefährlich. »Treiben Sie es nicht zu weit.« Seine Kiefermuskeln sind angespannt. Dann lässt er sich unvermittelt auf seinen Stuhl fallen, zieht den Arbeitsvertrag unter meiner noch immer darauf liegenden Hand hervor und beginnt handschriftlich eine Änderung an §5 vorzunehmen. »Sieben Stunden, Philip. Mehr kann und werde ich Ihnen nicht entgegenkommen.«

Ich nicke wie in Trance. Ich habe nie und nimmer damit gerechnet, dass Starr sich darauf einlässt. Aber scheinbar sucht er wirklich sehr dringend einen Assistenten. Warum will er gerade mich? Weder habe ich mich auf diese spezielle Stelle beworben, noch habe ich die passende Qualifikation dafür! Müssten ihm die Bewerber nicht eigentlich die Bude einrennen? Oder ist dieser Job so berüchtigt, dass keiner ihn will? Verdammt, ich weiß immer noch nicht, ob ich mich darauf einlassen soll. Es wird mir gerade alles zu viel.

»Wo werde ich wohnen?«, frage ich, um Zeit zu gewinnen. »Ich meine, wissen Sie zufällig, wo ich in der Nähe ein Apartment anmieten könnte?«

Starr runzelt die Stirn. »Haben Sie §12 nicht gelesen?«

»Nein, ich bin dazu ehrlich gesagt nicht mehr gekommen.«

»Dann lesen Sie ihn jetzt.«

Meine Augen suchen das Papier ab.

§12 Unterkunft

Dem Arbeitnehmer steht für die Dauer des Arbeitsverhältnisses ein privates Apartment in einer Immobilie der Starr Inc. zur Verfügung. Das Wohnverhältnis ist miet- und nebenkostenfrei.

»Wow. Das ist sehr großzügig.«

In Starrs Mundwinkeln zuckt ein schelmisches Lächeln. »Ich bin wohl doch kein solcher Sklaventreiber, wie Sie dachten.«

»Ich habe nicht – «

»Hören Sie auf damit. Unterschreiben Sie endlich oder lassen Sie es sein, Philip, aber ich verschwende hier schon viel zu viel Zeit mit Ihnen. Ich habe weiß Gott Wichtigeres zu tun.«

Ich nehme den Kugelschreiber zur Hand. Einen Moment verharrt er noch schwebend über der Linie, die für meine Unterschrift freigehalten wurde. Soll ich das wirklich tun? Kann ich über Monate, vielleicht sogar Jahre, mein komplettes Leben meiner Arbeit – oder besser gesagt, Mason Starr widmen? Es könnte der Startschuss für meine Karriere sein. Und wenn es gar nicht geht, kann ich ja immer noch kündigen. Mit zittriger Hand unterschreibe ich. Philip Foster.

Starr nickt zufrieden und nimmt den Vertrag an sich. »Sehr schön. Fahren Sie bitte zum Starr Inc. Tower und begeben Sie sich dort in die Personalabteilung. Man wird ein weiteres Vertragsexemplar für Sie ausfertigen und Ihnen die Schlüssel für Ihr Apartment übergeben. Am kommenden Montag wird ein Fahrer um Punkt 6:50 Uhr vor Ihrer Tür stehen und Sie zu Ihrem Arbeitsplatz bringen.«

Ich erhebe mich und Starr reicht mir die Hand.

»Willkommen an Bord von Starr Inc., Philip Foster. Machen Sie Ihren Job gut und Sie werden es nicht bereuen.« Damit lässt er mich allein und verschwindet wieder in das angrenzende Büro.

♂♂