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Werner und Isabel Zobel leben in einer vermeintlich heilen Welt: eine glückliche Ehe, eine erfolgreiche Arztpraxis, eine entzückende fünfjährige Tochter, ein schönes Haus in München, ein netter Freundeskreis, zu dem auch Dr. Holl und seine Frau Julia gehören.
Doch durch diese Idylle verläuft ein tiefer Riss, denn Isabel trinkt. Mittlerweile greift sie schon morgens früh heimlich zur Flasche. Erst als es fast zu einer Katastrophe und Isabel ins Delirium fällt, gehen Werner die Augen und er liefert sie in die Berling-Klinik ein.
Die Ärzte kämpfen um ihr Leben, aber kaum kann Isabel sich wieder einigermaßen auf den Beinen halten kann, verschwindet sie aus der Klinik. Kurz darauf sitzt sie in einer Bar vor einem Cocktail und schließt innerlich mit ihrem Leben ab ...
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Seitenzahl: 114
Veröffentlichungsjahr: 2017
Cover
Impressum
Deine Sucht wird alles zerstören
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: shutterstock/Rido
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-4680-0
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Deine Sucht wird alles zerstören
Wenn die perfekte Fassade zu bröckeln beginnt
Von Katrin Kastell
Werner und Isabel Zobel leben in einer vermeintlich heilen Welt: eine glückliche Ehe, eine erfolgreiche Arztpraxis, eine entzückende fünfjährige Tochter, ein schönes Haus in München, ein netter Freundeskreis, zu dem auch Dr. Holl und seine Frau Julia gehören.
Doch durch diese Idylle verläuft ein tiefer Riss, denn Isabel trinkt. Mittlerweile greift sie schon morgens früh heimlich zur Flasche. Erst als es fast zu einer Katastrophe und Isabel ins Delirium fällt, gehen Werner die Augen und er liefert sie in die Berling-Klinik ein.
Die Ärzte kämpfen um ihr Leben, aber kaum kann Isabel sich wieder einigermaßen auf den Beinen halten kann, verschwindet sie aus der Klinik. Kurz darauf sitzt sie in einer Bar vor einem Cocktail und schließt innerlich mit ihrem Leben ab …
„Sina wird schon fünf Jahre alt. Ist das zu fassen, Stefan?“ Julia Holl schüttelte verwundert den Kopf, während sie die Einladungskarte zum Kindergeburtstag ihres Patenkindes an ihren Mann weiterreichte. „Die Taufe war doch erst! Wo bleibt nur die Zeit?“
Dr. Stefan Holl, der Leiter der Berling-Klinik in München, hatte sich gerade einen Kaffee eingeschenkt und ließ sich zu einem langen, genüsslichen Sonntagsfrühstück am Familientisch nieder. Noch waren seine Frau Julia und er allein. Es war kurz nach acht Uhr. Nach und nach würden ihre vier Kinder dazustoßen.
Die Zwillinge Marc und Dani waren mit zwanzig die ältesten und studierten an der Universität in München. Dann folgte Chris mit fünfzehn, und Juju, das Nesthäkchen, war elf. Saßen erst einmal alle Holls beim Frühstück, war es mit der sonntäglichen Ruhe und Beschaulichkeit vorbei.
Dann ging es hoch her, und manchmal redeten alle Kinder gleichzeitig. Es war der Tag in der Woche, an dem in der Regel alle zusammentrafen und sich austauschten. Was gab es da nicht alles zu erzählen! Jeder wollte unbedingt Gehör finden.
Im Moment genossen Stefan und Julia noch die Stille und unterhielten sich entspannt. Unter der Woche hatten sie zum Reden oft wenig Zeit. Je nachdem, was in der Berling-Klinik los war, kam Stefan spät heim und war müde. Meist erzählte er dann nur noch ein wenig über seinen Arbeitstag, und dann gingen sie ins Bett.
Julia war selbst Ärztin, auch wenn sie ihren Beruf zugunsten ihrer Kinder nicht mehr ausübte. Sie unterstützte ihren Mann und machte ihm so gut wie nie Vorwürfe, wenn er später kam. Wie viele Ehefrauen von Ärzten hatte sie gelernt, ihre Familie weitestgehend alleine zu managen. Stefan tat, was ihm möglich war, aber die Hauptverantwortung für Kinder und Haus hatte immer auf ihr geruht.
„Die Zeit verfliegt“, stimmte Stefan ihr zu. Er war Gynäkologe und hatte Sina Zobel auf die Welt geholt. Ihre Eltern, Dr. Werner Zobel und Dr. Isabel Zobel, hatten einige Jahre in der Berling-Klinik gearbeitet. Die Männer waren Freunde geworden, obwohl Stefan Holl mit inzwischen Ende vierzig gut zehn Jahre älter war als sein Kollege, und auch Julia und Isabel verstanden sich sehr gut.
„Kannst du dir vorstellen, dass Isabel und Werner ihre eigene Praxis vor acht Jahren eröffnet haben? Seit acht Jahren arbeiten sie nun schon nicht mehr in der Berling-Klinik. Werner fehlt mir besonders. Ich habe keinen so hervorragenden Orthopäden und Unfallchirurgen wie ihn mehr gefunden.“
„Deine Ansprüche sind auch himmelhoch, mein Lieber. Jammere nicht! Werner und Isabel kommen immer gern und übernehmen die Behandlung von deinen Patienten, wenn du sie nur rufst“, erinnerte ihn Julia trocken, die wusste, dass er auf einem hohen Niveau klagte. Für seine Klinik konnte ihm kein Arzt gut genug sein.
„Der Kindergeburtstag ist nächsten Samstag, und du hast natürlich Wochenenddienst. Wer hat hier jeden Grund zum Jammern?“
„Du, mein Herz. Was bin ich froh, dass du Kindergeburtstage liebst und gerne hingehst – auch ohne mich!“, reagierte er zwinkernd.
„Ja! Was bist du froh!“
Sie lachten.
Mit den Jahren waren die Zobels enge Freunde geworden, und Julia freute sich, Sina und ihre Eltern einmal wiederzusehen. Leider war Zeit in beiden Familien Mangelware, und so traf man sich seltener, als man gerne wollte.
„Vielleicht könnt ihr einen Termin zum gemeinsamen Grillen bei uns im Garten finden. Ich möchte Werner schon gerne einmal wiedersehen und Isabel natürlich auch“, schlug Stefan vor.
Auf die Lautstärke und den Trubel eines Kindergeburtstags verzichtete er allerdings liebend gerne. Ein geselliges Zusammensitzen und Reden waren mehr nach seinem Sinn. Er bedauerte es, so wenig Zeit für Geselligkeit mit Freunden erübrigen zu können.
„Ich sehe, was ich tun kann“, versprach Julia. „Der Sommer fängt schließlich erst an. Da wird sich hoffentlich schon noch ein offener Termin finden lassen.“
Am nächsten Samstag machte sie sich gemeinsam mit Juju auf den Weg zu den Zobels. Juju liebte es, sich mit Kindern zu beschäftigen, und freute sich auf den Nachmittag. Sie träumte davon, bald als Babysitter ein paar Euro zu verdienen, aber ihre Mutter fand, dass sie noch mindestens zwei bis drei Jahre warten sollte.
Julia hatte mit Isabel telefoniert und wusste grob, was auf sie zukam. Sie hatte einen Berg kleiner Muffins gebacken und sie zusammen mit Juju fantasievoll mit Gummibärchen, bunten Leckereien und Lebensmittelfarbe dekoriert. Die Muffins waren auf mehrere Papierteller verteilt, damit man sie an unterschiedlichen Orten aufstellen konnte. Sie waren als süßer Happen für zwischendurch gedacht.
Zehn ausgelassene Kindergartenkinder mussten für ein paar Stunden beschäftigt und gebändigt werden – keine leichte Aufgabe. Zum Glück war es ein warmer Tag Anfang Juni, und die Party konnte, wie geplant, im Garten stattfinden.
Als Julia und Juju ankamen, war die wilde Heerschar eben eingetroffen und komplett. Drei Mütter erbarmten sich und blieben, um zu helfen. Der Garten war liebevoll geschmückt, und überall gab es für die Kleinen etwas Besonderes zu entdecken. Schaukel, Rutschbahn und Trampolin lockten.
Sina war vor Freude noch ganz sprachlos und sah sich nur mit riesigen Augen um, als Julia ihr gratulierte. Wenig später stob sie als der wildeste Troll durch den Garten. Die Kinder rannten und tobten ohne Pause. Es gab Sackhüpfen, Topfklopfen, Fangen und Verstecken und zum krönenden Abschluss vor dem Essen einen Wettbewerb im Seilziehen.
Mit hochroten Gesichtern und glänzenden Augen setzten sich die Kinder an den Tisch, als die knusprigen Hähnchennuggets und Pommes Frites von einem Partyservice gebracht worden waren. Mit Begeisterung verspeisten sie wahre Berge, und bis auf kleinere Unfälle und ein paar Tränen, die schnell getrocknet werden konnten, lief die Party wie am Schnürchen.
Nach drei Stunden spürte Julia jeden Knochen und beäugte unauffällig die deutlich jüngeren Mütter. Das Ergebnis war beruhigend für sie. Isabel und die drei Frauen waren genauso erledigt. Juju dagegen wirbelte zwischen den Kindern umher und leistete Großartiges. Sie war offensichtlich in ihrem Element.
Mit Freude sah Julia, wie leicht es ihrer Kleinen fiel, auf die Fünfjährigen einzugehen und sie zu motivieren. Juju hatte ein Händchen für Kinder. Ob sich das irgendwann in ihrer Berufswahl niederschlagen würde? Julia war Kinderärztin geworden, weil sie über dasselbe Talent verfügte. Es war ein schönes Gefühl zu sehen, dass sie es an ihre Kleine weitergegeben hatte.
Am späten Nachmittag stieß Werner Zobel zu ihnen und wurde nicht nur von Sina jubelnd empfangen. Die Kinder hingen wie eine Traube um ihn, und Julia fragte sich, ob sie wohl jemals müde wurden. Werner wirbelte sie abwechselnd herum und jagte sie fröhlich durch den Garten.
„Hallo, Julia! Ist das schön, dich wieder einmal hier zu haben!“, begrüßte er die Freundin herzlich im Vorüberrennen. „Der Rechner in der Praxis hat gestern Abend pünktlich den Geist aufgegeben. Ich hatte mich so auf Sinas Geburtstagsparty gefreut, und jetzt habe ich sie mit einem mürrischen IT-Techniker, der auch lieber zu Hause bei Frau und Kindern gewesen wäre, in der Praxis verbracht. Das Leben kann gemein sein!“
„Dafür bist du jetzt frisch und unverbraucht, mein Guter, und wir Damen können einmal für zehn Minuten die Füße hochlegen“, neckte sie ihn schmunzelnd. „Die Schichtablösung kommt genau rechtzeitig.“
„Na dann! Es hat immer alles sein Gutes“, meinte er lachend, und schon wollte der nächste kleine Junge herumgewirbelt werden.
„Duuuu!“ Ein kleines Mädchen stand plötzlich vor Julia und sah sie vertrauensvoll an. „Duuuu!“
„Ja?“
„Ich muss aufs Klo.“
„Dann komm am besten gleich mit!“ Julia nahm das Kind an die Hand und führte es zu dem WC im Untergeschoss des Hauses, das vom Garten aus leicht zugänglich war. Zufällig stand die Tür des Vorratsraumes daneben offen, weil Isabel gerade draußen frische, kühle Getränke nachfüllte.
Arglos warf Julia einen Blick hinein. Da standen mindestens zwölf Kisten zu je sechs Flaschen eines handelsüblichen Sektes. Ein relativ großer Leergutkorb daneben war gut mit Sektflaschen gefüllt. Julia dachte sich nicht wirklich etwas dabei. Sicher hatten Isabel und Werner ein größeres Fest gefeiert und zu viel eingekauft. Das passierte Stefan und ihr auch immer wieder.
Gegen achtzehn Uhr kamen die Mütter angefahren und holten ihre Kinder ab. Im Garten schien es plötzlich fast betäubend still, bis Sina zu weinen begann. Sie war überreizt und müde. Als ihre Mutter sie ins Badezimmer bringen wollte, um sie fürs Bett zu richten, protestierte sie tränenreich.
„Tante Julia soll das machen! Tante Julia!“
„Soll ich dich heute einmal baden und ins Bett bringen?“, fragte Julia lächelnd.
Das Kind nickte entschieden, und so nahm Julia es auf den Arm und trug es nach oben, während die anderen sich daran machten, das Chaos im Garten zu beseitigen.
***
Julia las Sina eine Gutenachtgeschichte vor und sang drei Schlaflieder für sie. Wieder einmal fragte sie sich, wo denn nur die Zeit geblieben war. Eben hatte sie das noch für Marc und Dani getan, und nun studierten sie, und auch Chris und Juju begannen, sich allmählich abzunabeln. Bald würde sie für sich herausfinden müssen, was sie mit der wiedergewonnenen Zeit anfangen wollte.
Sie hatte den Lebensabschnitt mit ihren vier Kindern geliebt, als sie noch klein gewesen waren. Was für wunderschöne Dinge hatte sie mit jedem von ihnen erlebt! Es war herrlich gewesen. Natürlich war es auch schön, sie älter und reifer werden zu sehen, aber das war etwas anderes.
Es machte sie als Mutter froh zu sehen, dass Marc und Dani für ihr Alter schon recht stabil auf ihren eigenen Beinen standen und wussten, was sie wollten. Noch immer war sie für ihre Großen die eine Vertraute, der man so ziemlich alles erzählte, und auch das machte sie dankbar.
Und trotz allem trauerte Julia ein wenig den Jahren nach, die viel zu schnell verstrichen waren. Bald würden Stefan und sie wieder alleine sein. Bei allem Bedauern freute sie sich andererseits sehr darauf. Sie liebte ihren Mann. Bald wieder all die Dinge mit ihm teilen zu können, zu denen sie seit sie Kinder hatten, kaum noch kamen, war eine schöne Aussicht.
Julia musste über sich selbst schmunzeln. Das Leben konnte es ihr nicht recht machen. Vermutlich war es gut, dass sie kein Mitspracherecht hatte und dass die Lebensabschnitte unwiederbringlich ineinander übergingen. Vielleicht würde sie in einigen Jahren Großmutter werden, und dann schloss sich der Kreis.
Um neunzehn Uhr schlief Sina tief und selig. Julia deckte sie noch einmal vorsichtig zu und ließ das Nachtlicht für sie an, dann ging sie wieder hinunter zu den anderen.
Werner und Juju räumten immer noch auf und unterhielten sich dabei. Es drang immer wieder Gelächter von ihnen herüber.
Isabel saß am Terrassentisch, hatte die Beine hochgelegt und nippte genüsslich an einem Sektkelch. Die Flasche vor ihr war fast leer.
„Julia, lass uns anstoßen! Wir haben den Einbruch der wilden Horden siegreich überstanden. Juju und du, ihr seid spitze! Nächstes Jahr seid ihr wieder dabei!“, rief sie heiter und winkte Julia zu sich.
Julia trank eigentlich nie, wenn sie noch fahren musste, aber mit einem Schluck anzustoßen, das konnte sie nicht abschlagen. Isabel schenkte sich den letzten Rest der ersten Flasche selbst ein, holte eine zweite und ließ den Korken knallen. Sie reichte Julia ein Glas und war strahlender Laune.
„Auf die Freundschaft und den Zauber einer glücklichen Kindheit!“, prostete sie ihr zu. „Mögen unsere Kinder diesen Zauber mitnehmen und an ihre Kinder weiterreichen!“
„Möge das Rad der Zeit die Leichtigkeit und Freude von Generation zu Generation bewahren!“, stimmte Julia lächelnd zu und musste unwillkürlich an ihre eigene Kindheit denken.
Ihr Vater, Dr. Walter Berling, hatte die Berling-Klinik damals gegründet. Wie Stefan hatte auch er viel gearbeitet und war nicht so oft zu Hause gewesen, aber Julia hatte sich immer geliebt von ihm gefühlt. Ihre Eltern hatten ihr Geborgenheit geschenkt und sie gefördert. Im Grunde gab sie an ihre Kinder weiter, was sie selbst erfahren hatte.
Die Frauen entspannten sich und genossen die laue Abendluft. Für ein paar Minuten war es still zwischen ihnen, und jede hing ihren Gedanken nach.
Auch Isabel dachte an ihre Kindheit, und das war etwas, was sie nur tat, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Sie leerte ihr Glas auf einen Zug und schenkte sich nach.
„Kommst du inzwischen mit eurer Vertretungsärztin besser klar?“, sprach Julia ein kritisches Thema an, über das sie sich vor einigen Monaten länger am Telefon unterhalten hatten.
Nach Sinas Geburt hatte Isabel ihre Stelle in der Praxis für drei Jahre einer Vertretungsärztin überlassen. Sobald Sina in den Kindergarten gekommen war, hatte sie wieder angefangen, stundenweise an den Vormittagen zu praktizieren. Die Vertretungsärztin übernahm aber noch immer fünfundsiebzig Prozent der Stelle. Erst wenn Sina alt genug war, wollte ihre Mutter wieder voll in ihren Beruf einsteigen.