Das große Aufräumen - Elisa Scheer - E-Book

Das große Aufräumen E-Book

Elisa Scheer

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Beschreibung

Mühsam arbeitet Maja sich aus ihrem Stimmungstief heraus und bringt ihre mangelhafte Organisation im Beruf genauso in Ordnung wie ihre abscheuliche Wohnung: Vier Zimmer, Eigentum – aber der Geschmack der letzten Mieter? So einfach ist die Reorganisation aber nicht: In der Schule geht ihr eine zunehmend verwirrte und aggressive Kollegin auf die Nerven – nur gut, dass es mit Luise, Hilde und Katja auch nette und unterstützende Kolleginnen gibt! Und zu Hause beobachtet Frau Heusler von nebenan das Ausmisten und Renovieren mit Argusaugen. Darf dieses obskure Fräulein Körner das überhaupt? Hat die denn keinen Mann, der sie kontrolliert? Im Gegenzug fragt sich Maja, wo eigentlich Herr Heusler steckt – und eines Abends klingelt ein netter junger Mann bei ihr, stellt sich als Peter Heusler vor und fragt, ob Maja wisse, wo sein Vater hingeraten sei. Gemeinsam machen sie sich auf die Suche und finden Frau Heusler und ihre arroganten Freundinnen immer verdächtiger. Der Kripo geht es bald genauso…

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Seitenzahl: 511

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Alles frei erfunden! Jede Ähnlichkeit mit real existierenden Personen, Firmen und Einrichtungen ist reiner Zufall.

Imprint Das große Aufräumen. Kriminalroman

Elisa Scheer

Montag, 07.11.2011

Als erstes warf sie ihre Schultasche in die Ecke, dann schleuderte sie die Schuhe von den Füßen, tappte auf Strümpfen ins Wohnzimmer und warf sich aufs Sofa. Heulen hätte sie mögen!

So ein Scheißtag aber auch - alles war schief gegangen.

Die Achte hatte gemault, weil sie die Schulaufgabe noch nicht fertig hatte. Die hatte sie in der Woche vor den Herbstferien schreiben lassen, also waren die zwei Wochen noch lange nicht vorbei. Naja, lange – am Mittwoch war Termin. Das würde sie schon noch schaffen, die erste Aufgabe hatte sie ja schon fast durch.

Der Kurs war dünn besucht und unlustig. Alle sagten, die neue Q 11 sei so ein fleißiger Jahrgang, nett und pflichtbewusst. Ihr war das noch nicht so wirklich aufgefallen. Und – Mist, sie hatte die Absenzen nicht aufgeschrieben. Das hatte sie sich doch extra vorgenommen! Ob die das einkalkulierten? Bei der Körner können wir schwänzen, die schreibt uns nicht auf? Und dann fragten sie immer wieder das Gleiche, weil sie nicht zugehört hatten - waren die bei anderen Kollegen genauso?

Die beiden Geographiekurse waren jedenfalls nicht besser als der Mathekurs. Und das Seminar – das hatte sie sich auch nicht selbst ausgesucht, das hatte sie geerbt. Schon bei der Vorstellung hatte es geheißen: „Die Kollegin, die Megacities angeboten hat, hat leider eine Risikoschwangerschaft. Sie müssten das Seminar übernehmen.“ Sie hatte stumm und wenig begeistert genickt, sie wusste ja nicht einmal, wie man so ein Seminar aufziehen sollte. Das wusste sie jetzt eigentlich immer noch nicht so genau.

Und ihre eigene siebte Klasse war heute mal wieder unausstehlich gewesen. Der ewige Hickhack zwischen Tina und Sophia in der letzten Reihe, Rafael, der dauernd laut rülpste, was die anderen Jungs zu Begeisterungsstürmen hinriss, Lukas und Nini, die dauernd krähten Versteh ich nicht!... furchtbar.

Wie machten das die anderen? Vierundzwanzig Wochenstunden, das war ja nicht zu schaffen!

Hatte sie jetzt schon einen Burnout? Kaum angefangen, schon fix und alle? Wieso wirkten die anderen so munter? Die hatten doch auch nicht weniger zu tun – eher mehr? Die schreckliche Wintrich zum Beispiel, die hatte immerhin zwanzig Stunden und war obendrein Mitarbeiterin in der Schulleitung. Oder die Suttner als Herrin der Oberstufe. Na, wahrscheinlich hatten die einfach schon mehr Übung.

Und bestimmt eine tolle Putzfrau. Missmutig sah Maja sich um.

Scheußlich. Sie wohnte jetzt seit neun Wochen hier, und die Wohnung war einfach entsetzlich. Die Lage ging, ein Stück hinter der Uni, sie konnte sogar zu Fuß zur Schule gehen.

Was hatte sie denn auch erwartet?

Onkel Karl-Heinz hatte die Wohnung neu gekauft, irgendwann in den Achtzigern. Dann war er gestorben, Mama hatte die Bude geerbt und sie vermietet. Immerhin hatten diese superordentlichen Spießer das senffarbene Bad weiß kacheln lassen. Wenigstens etwas.

Leider hatten sie sich nicht an Onkel Karl-Heinz´ grausigen Tapeten gestört. Im Wohnzimmer zum Beispiel senfgelb, geprägt, schimmernd – unglaublich: Wer stellte so etwas her? Dazu passend goldgelber, stark abgenutzter Teppichboden.

Und jetzt musste sie hier vegetieren. Zu allem Unglück das auch noch.

In dieser goldenen Hölle. Fehlten bloß noch goldene Fronten in der Küche – aber die war einfach aus Kiefernholz.

Sie schloss die Augen: am besten ein Schläfchen! Dann riss sie die Augen wieder auf. Nein, für so was hatte sie keine Zeit, sie war schließlich total im Stress.

Die Schulaufgabe!

Der Beitrag für die Fachsitzung!

Die Aufstellung für die Wintrich!

Der Unterricht für morgen!

Klamotten für morgen!

Ihre Haare, ihre Augenbrauen, ihre Haut, ihre Speckröllchen. Ihre Fingernägel. Ihr – überhaupt alles!

Alles war Mist. Und sie war selbst schuld. Eindeutig.

Sie stand auf und streckte sich. Halb sechs… hatte sie so lange in der Schule herumgehangen? Unlustig schlurfte sie ins Arbeitszimmer, wo sich auf dem Schreibtisch (den sie schon hatte, seitdem sie ins Gymnasium gekommen war, und das war jetzt siebzehn Jahre her) Papiere, Ordner, Mappen, Bücher, ihr Notenbüchlein und alles Mögliche andere türmte.

Wie sollte man da denn arbeiten? Musste sie aber. Wo war jetzt die Schulaufgabe der 8 b?

Sie setzte sich, nachdem sie zwei Mappen, eine Formelsammlung, eine leere Bäckertüte und zwei Kugelschreiber vom Schreibtischstuhl entfernt hatte. Gründlich suchen war angesagt!

Sie stapelte alles einigermaßen stabil auf, warf die Bäckertüte (und mehrere weitere, die unter dem Krempel auftauchten) ins Altpapier und fand ganz unten schließlich die Schulaufgabe. Sogar mit Notenliste und halber Musterlösung – offenbar hatte sie mal ganz solide angefangen.

Der Blick auf die Notenliste verriet ihr noch mehr: angefangen ja – aber offenbar schnell wieder aufgehört. Sie hatte gerade bei zehn Leutchen die erste Aufgabe geschafft.

Also, weiter machen!

Was hätten die gleich wieder rechnen sollen? Auf welche Rechenschritte wollte sie Punkte geben? Sie studierte die Musterlösung und begann dann, nach dem Rotstift zu graben. Ah, hier!

Einer der Stapel neigte sich und fiel schließlich vom Tisch.

Maja war schon halb aufgestanden, aber dann beschloss sie, erst einmal ordentlich zu korrigieren.

Fünf weitere schaffte sie, dann machte sich tiefe Lustlosigkeit breit. Sie starrte einige Minuten in die Luft, dann stand sie doch auf und sammelte die heruntergefallenen Zettel wieder auf. Als sie sich, den Stapel in der Hand, wieder aufrichtete, erstarrte sie: Was war das denn – letzte Mahnung? Wieso hatte sie das zwar geöffnet, aber offensichtlich den Inhalt nicht zur Kenntnis genommen? Sollte sie das jetzt nicht schnell bezahlen?

Aber dazu brauchte sie ihr Handy, überlegte sie, wegen der TANs. Und wo das nun wieder steckte… Nein, noch fünfmal Aufgabe eins! Was, schon Viertel nach sechs? Ihr Magen knurrte.

Na, wenigstens zwei.

Nach Nummer siebzehn stellte sie sich auf die Waage. Mit etwas Herumrutschen, stärkerer Belastung links und Luftanhalten kam sie auf 88,6 Kilo. Heftig. Sie benutzte die Toilette und versuchte es noch einmal. Immerhin waren das doch bestimmt, na, zweihundert Gramm Flüssigkeit gewesen? Jetzt wog sie exakt 89 Kilo. So ein Blödsinn aber auch. Und die braune Cordhose saß verdammt stramm. Im Spiegel fand sie sich furchtbar. Aber ihr Magen knurrte trotzdem.

Na gut, noch zwei.

Neunzehn. In der Küche fanden sich eine halbe Tüte Kartoffelchips, die eklige Sorte, die so penetrant nach künstlichem Käsearoma schmeckte, eine steinharte Semmel, die sie vergessen hatte einzufrieren (letzte Woche oder so), ein Joghurt von Mitte Oktober, zwei matschige Bananen, eine Tafel Schokolade, weiß mit Crisp (lecker fettig) und eine Tütensuppe. Spargel mit Croutons. Von 2008! Die musste ja dann schon mit umgezogen sein – und da war sie schon überaltert gewesen. Toll.

Sie schüttete die Chips auf einen Teller und kehrte ins Arbeitszimmer zurück.

Wieder zwei.

Moment – hatte sie die Steigung vorhin bepunktet? Ja, hatte sie. Gut, jetzt waren es einundzwanzig. Noch sieben!

Nach jedem Exemplar aß sie eine Handvoll Chips und schüttelte sich. Wieso hatte sie nicht die mit Chili gekauft? Um halb acht war sie mit der ersten Aufgabe fertig - in dem Tempo schaffte sie das Ding bis Mittwoch nie.

Wenn sie gewusst hätte, wie viel Stress so ein Lehrerdasein mit sich brachte… und dabei hieß es, Mathe und Geographie seien noch am harmlosesten!

Mürrisch sah sie sich um. Das Arbeitszimmer war das reinste Chaos. Kunststück, wann hätte sie es denn herrichten sollen? Seit dem ersten Schultag war sie nur am Rödeln wie ein Hamster im Rad!

Na, meistens jedenfalls. In den Ferien hatte sie sich erst einmal ordentlich ausschlafen müssen. Und gegen den Fernsehentzug ankämpfen. Und diese wüsten Krimis lesen, bei denen der Kommissar in jedem Band mit einer anderen Verdächtigen ins Bett stieg… war das nicht eigentlich verboten? Konnte ihr aber auch egal sein.

Aber das Arbeitszimmer war einfach schrecklich. Onkel Karl-Heinz war offensichtlich farbenblind gewesen – beige Struktur mit braunen und grünen Schlieren, als hätte jemand Gemüsepampe an die Wände geschmiert!

Davor stand ihr wackliges Regal aus München, dem der Umzug überhaupt nicht bekommen war. Ja, wenn sie das Stützkreuz wieder gefunden hätte! Die Fächer waren bis obenhin vollgestopft mit Ordnern, dem Krempel aus dem Referendariat, losen Zetteln, Schulbüchern, Stiften, CDs, USB-Sticks, diversen Krimis, die hier eigentlich nichts zu suchen hatten… und alles, was nicht mehr ins Regal gepasst hatte, türmte sich auf den beiden Umzugskisten daneben.

Wahrscheinlich war in den Kisten lauter total wichtiges Zeug, aber wie sollte sie das feststellen? Wenn sie die Kisten auspackte, lag hier noch mehr herum und die Unordnung wurde bloß noch größer. Verdammt, es sah ja überall so aus! Im Kleiderschrank stapelten sich die Klamotten, von denen allerdings ein guter Teil teuflisch eng saß. Eigentlich trug sie immer die gleichen paar Sachen… Hatte die Wintrich sie heute etwas befremdet gemustert? Bloß weil sie dieses Sweatshirt zum dritten Mal getragen hatte? Hätte sie sich ein Schild umhängen sollen „Ich hab aber ein frisches T-Shirt drunter“?

Die Wintrich nervte sowieso. Wie konnte man so perfekt sein? Bei fast einsachtzig wog die bestimmt bloß sechzig Kilo. Immer in Bleistiftröcken oder schmalen Hosen, immer in schicken Blazern, darunter bessere T-Shirts oder Blusen, immer in schönen geputzten Schuhen, immer ordentlich frisiert und dezent geschminkt… und die Schüler beteten sie an und hatten auch ein kleines bisschen Angst vor ihr – beneidenswert. Außerdem war die Frau kaum über dreißig und saß schon in der Schulleitung… ob die was mit dem Chef hatte?

Aber da gab´s ja auch diesen Schönling, der sie freitags abholte und offenbar bei der Konkurrenz in Mönchberg arbeitete… nein. Sie konnte die Wintrich zwar so wenig leiden wie die Suttner oder die Herzberger (diese Bande von Streberinnen!), aber integer war sie bestimmt. Und mit dem Chef hatte keine was, für so etwas hatte sie eigentlich einen ganz guten Blick.

Die Suttner hatte sie heute auch noch angeschnauzt. Bloß weil sie diese Liste nicht fristgerecht abgegeben hatte! Gut, sie hatte auch noch ein paar andere schwach angeredet – aber die hatten daraufhin betreten die Listen zutage gefördert und ihr in die Hand gedrückt – und sie selbst? Sie fand das blöde Ding eben nicht mehr, was sollte man denn da machen!

„Himmel, sag´s halt gleich, dann kriegst du einfach eine neue! Glaubst du, Totstellen hilft? Ich hab auch schon was verloren, dann besorgt man sich das Ding eben nochmal!“ Und dazu ein Blick, als sei Maja noch in der Unterstufe.

Ganz Unrecht hatte sie da leider nicht.

So konnte es nicht weiter gehen.

Die einzige, die genauso hilflos strampelte wie sie, war Claudia Merz, die Neue mit Deutsch und Geschichte. Und über die hatten sich am Freitag die Herzberger und die Suttner in Majas Hörweite unterhalten und gesagt: „Die Frau ist nicht überlastet, die ist einfach miserabel organisiert.“

Traf das auf sie auch zu? Musste sie sich auch besser organisieren?

Wahrscheinlich ja. Verdammt, jetzt war es zehn nach acht – und saß hier und tat sich ziellos leid. So wurde das doch nie was.

Auf zur zweiten Aufgabe! Was hatte sie gewollt? Den Schnittpunkt der beiden Geraden. Ansatz, zwei Rechenschritte, Ergebnis, Punkt in der Skizze markieren – nein, in der Angabe gab es sechs Bewertungseinheiten, also drei Rechenschritte. Gut, dann los. Fünf Stück, danach einen Hauch Aufräumen!

Die fünf gingen so schnell, dass Maja gleich noch zwei anhängte. Prima, das erste Viertel! Und jetzt?

Sie brauchte eine anständige Regalwand, aber nicht heute. Und weiß gestrichene Wände, aber nicht heute. Sie sah sich sinnend um. Die einzige tadellose Stellfläche war das tiefe Fensterbrett aus hellbraunem Travertin. Tief genug, um die Fenster zu kippen und trotzdem Bücher in zwei Reihen davor aufzustapeln.

Also klappte sie die erste Kiste auf und guckte hinein. Ach – weitere Schulbücher? Sie nahm sie heraus und sortierte sie nach „total unwichtig“ und „weniger wichtig“ in zwei Stapel hintereinander. Danach mehrere Ordner – die Protokolle von Schulrecht, Schulpsychologie und Staatsbürgerkunde, zweimal Uni-Vorlesungen, dreimal Uni-Übungen… das war wirklich etwas für die zweite Reihe! Sie stellte die Ordner an der gegenüberliegenden leeren Wand nebeneinander auf, holte alle anderen Ordner aus dem überquellenden Regal und platzierte sie daneben - und faltete schließlich die leere Kiste zusammen und warf sie in den Flur. Sah schon etwas besser aus, fand sie. Sie hatte riesige Lust, jetzt weiter zu machen, aber die Schulaufgabe war dringender.

Okay, die nächsten sieben!

Die dauerten auch nur eine Viertelstunde – jetzt war es neun. Sie öffnete die nächste Kiste und stöhnte auf. Kopien! Die Kopien für die erste und die zweite Zulassungsarbeit! Brauchte sie das denn jemals wieder? Sie hatte gar keine Lust, den Mist durchzusehen, ob davon noch irgendwas verwendbar war.

Bestimmt nicht. Beide Themen hatten mit dem aktuellen Lehrplan eher wenig zu tun – und wenn sie wirklich einmal darüber stolpern würde, dann hatte sie ja immer noch die Arbeiten selbst. Sie fand einen geeigneten Korb, zog die Heftstreifen aus den Kopien und legte alles umgekehrt in den Korb: Schmierpapier bis 2020! Unter den Stapeln förderte sie mehrere Dosen zutage, in denen es klapperte.

Ach nein – Büroklammern, ein abgebrochenes Lineal, Stifte, Kugelschreiberminen, Patronen (aber zu welchem Füller sollten die denn passen?), Buntstifte, die sachte vor sich hin bröselten… Sie kippte fast alles in den Müll und trug die Dosen in die Küche – bei Gelegenheit gehörten sie in die Spülmaschine.

Die leere Kiste kam zur ersten in den Flur.

Halb zehn.

Nummer 15 bis 21 – viertel vor zehn.

Danach reichte es ihr. Sie lief noch einmal alle Zimmer ab – Wohnzimmer: Chaos, Arbeitszimmer: Chaos mit einer winzigen Schneise darin, Schlafzimmer: bäh. Viertes Zimmer: Gerümpel – und keine Ahnung, was das einmal werden sollte. Die Küche sah grausig aus, das Bad war nicht viel besser. Und geputzt hatte sie schon länger nicht mehr, man sah´s.

Sie zog sich aus, kniff sich missmutig in den Hüftspeck und die Bauchfalten, beschloss, sich erst morgen früh zu wiegen, schrubbte sich das Gesicht, putzte die Zähne, cremte sich ein – warum hatte sie eigentlich so viele angebrochene Cremetuben und –töpfchen? – und schlüpfte in ein nicht wirklich frisches Nachthemd. Morgen musste sie dringend auch mal Wäsche waschen. Morgen hatte sie aber bis Viertel nach vier Unterricht, fiel ihr ein, als sie das Licht ausknipste. Da kam sie auch wieder zu nichts. Und was wollte sie morgen im Unterricht machen? Mathe 10, Mathe 7, Geo 12, Seminar Geo. Da hatte sie diesen Basistext über die Charakteristika einer Megacity, damit waren die Teilnehmerinnen beschäftigt. Immerhin – aber eng wurde es morgen bestimmt wieder. Verdammter Mist.

Dienstag, 08.11.2011

Wenigstens war sie einigermaßen rechtzeitig aufgestanden, lobte sie sich selbst am nächsten Morgen. Sie konnte duschen, die zweite Aufgabe fertig korrigieren, zwei Tüten voller Müll stopfen – sie hätte sogar frühstücken können, wenn etwas Verlockendes im Haus gewesen wäre.

Und sie hatte daran gedacht, sich im richtigen Moment auf die Waage zu stellen. Das allerdings hatte ihr die Laune gleich wieder verdorben: Achtundachtzig Kilo – bei 1.76! Eindeutig zu viel. Aber das hätte sie sich auch so denken können, wenn sie an ihre kneifenden Klamotten dachte.

Was dürfte sie denn wiegen, überlegte sie, während sie die richtigen Mappen und Bücher in ihre Tasche packte. Halt, Geld und Schulschlüssel auch. Und Handy.

Maximaler BMI 25, mal 1.76 zum Quadrat… 77,44 - auch ganz schön viel. Und mit 20? 61,95. Ja, das hörte sich schon besser an. Puh, Sechsundzwanzig Kilo Übergewicht! Heftig.

Nichts mehr essen. Aber dann gab es den Jo-Jo-Effekt. Diäten klappten ja doch nie. Wie machten das diese perfekten Weiber – Wintrich, Suttner, Herzberger? Die hatten alle Modelmaße, aber magersüchtig sahen sie auch nicht aus. Sie musste mal beobachten, was die so futterten.

Sie schulterte ihre Tasche, packte die beiden Mülltüten und den Schlüssel und verließ die Wohnung. Im Hof entsorgte sie die Tüten und trabte dann zur Schule. Zehn Minuten, das war eigentlich ideal. Nah genug für kurze Wege – aber weit genug entfernt, dass keine Schüler in der Nachbarschaft wohnten. Das lag wohl einfach an der Gegend – typisch für Studenten und vielleicht noch Berufsanfänger, aber wer Kinder bekam und es sich leisten konnte, zog hinaus nach Leiching, Mönchberg oder Zolling, wer sich nichts leisten konnte, versuchte es mit Selling, wo es mehr Grün gab und größere Wohnungen, wenn dort auch eine fast schon beklemmende Fünfziger-Jahre-Atmosphäre herrschte, wie sie gehört hatte. Irgendwann musste sie sich die Gegend dort mal anschauen. Irgendwann, ja.

In den nächsten Sommerferien?

Dann kam sie vielleicht mal zum Verschnaufen.

Jedenfalls war die Maria-del-Pilar-Straße zwar nicht besonders schön, aber ruhig. Die Häuser waren meist brutal sanierte Altbauten mit einteiligen Fenstern, scheußlichen Haustüren und von Stuck befreiten Fassaden, die früher einmal riesigen Hinterhöfe wiesen jetzt meist ein Hinterhaus auf wie das, in dem sie wohnte – in den Achtzigern neu in den Hof gepflanzt. Nachverdichtung nannte man das wohl. Immerhin hatte man in dieser Zeit die meisten Vorderhäuser wenigstens mal frisch gestrichen – quietschbunt. Das Vorderhaus von Nummer 7 war himbeerrosa, das Nebenhaus pistaziengrün. Wie ein Eisbecher.

Zitronengelb, vanillebeige – Straßenkreuzung.

Der Gedanke an Eis ließ ihren Magen knurren und erinnerte sie daran, dass sie noch nicht gefrühstückt hatte. Also betrat sie an der übernächsten Ecke den Bäckerladen und kaufte sich zwei Croissants, eine Käsebreze und ein kleines Cola. Das musste bis vier eben reichen.

Na, und wenn nicht, musste sie halt schauen, was es in der Mensa gab. Wozu hatte sie in der 7. und 8. Stunde denn frei? Sie reihte sich, in der Schule angekommen, in die Schlange vor dem Kopierer ein.

Mist, der Text fürs Seminar hatte einen großen Fettfleck von der Käsebrezentüte – hoffentlich sah man das auf den Kopien nicht so deutlich!

Bevor sie an der Reihe war, kam die Suttner ins Lehrerzimmer, hängte etwas an das Brett für die Oberstufe, erinnerte die Dubois daran, dass sie für den Französisch-Konversationskurs noch eine Lehrplanskizze abgeben musste, und registrierte dann Majas Anwesenheit.

„Ah, guten Morgen, Frau Körner. Alles klar?“

„Ja, danke – warum?“, entgegnete Maja vorsichtig.

„Ich hab einen Anschlag auf Sie vor“, bekannte die Suttner. Maja legte misstrauisch den Kopf schief.

„Heute ist die Geschichte/Sozialkundeklausur für die Q 12. Mir ist für die vierte Stunde eine Aufsicht ausgefallen – könnten Sie? Nur aufpassen, am Ende einsammeln und Geschichte der Frau Herzberger ins Fach legen und Sozialkunde dem Herrn Hemmerle.“

Maja nickte. „Lässt sich wohl nicht vermeiden.“

Die Suttner lächelte. „Vielen Dank! Frau Merz, könnten Sie bitte auch, in der Dritten? Herr Hemmerle hat ja auch selbst einen Kurs in Geschichte und Sozialkunde und ist heute ebenfalls krank.“

„Muss das ausgerechnet ich sein?“, maulte die Merz.

„Ich habe keine große Auswahl“, entgegnete die Suttner nicht ohne Schärfe. „Alle anderen haben entweder Unterricht, sind schon als Vertretungen verplant oder hätten dann sieben Stunden ohne Pause. Das ist eine Zumutung.“

„Ich hab heute auch schon drei Stunden und wollte in der Dritten was besorgen“, murrte die Merz. „Krieg ich das wenigstens bezahlt?“

Maja staunte über diese Frechheit.

„Natürlich nicht. Frau Merz, ich habe die Zustimmung des Vertretungsplaners und Sie waren in diesem Schuljahr noch nie als Vertretung eingesetzt. Also weise ich Sie an, diese Aufsicht wahrzunehmen.“

„Und wenn nicht?“

Die Suttner, die schon gehen wollte, fuhr herum. „Das würde ich Ihnen nicht empfehlen – Sie möchten doch eines Tages auf Lebenszeit verbeamtet werden, oder? Arbeitsverweigerung macht sich da ganz, ganz schlecht.“

Als die Suttner gegangen war, murrte die Merz immer noch herum und ging allen damit auf die Nerven.

„Mein Gott, sei froh, dass du nicht der Hemmerle bist!“, fuhr die Herzberger sie schließlich vom Ende der Schlange her an. „Der hat nachher vier Sätze Klausuren zu korrigieren. Und ich übrigens auch. Scheiß-Sozialkunde. Frau Körner, vielen Dank. Ich räume gleich mein Fach leer, damit Sie nachher mit meinem Packen keine Probleme haben.“

Maja lächelte ihr verlegen zu und klappte den Deckel des Kopierers auf. Der Fettfleck war grausam deutlich zu sehen, und die Herzberger schnupperte amüsiert. „Hm, riecht nahrhaft. Käsebreze vom Bäcker Bemmel, vermute ich.“

„Woher wissen Sie das?“ Maja war verblüfft.

„Der hat die besten. Kleiner Tipp: Brotzeit in eine Plastiktüte packen.“

„Katja, du bist ein Ökoschwein!“, rief jemand von hinten.

„Na, Jute hilft da nichts. Meinetwegen so eine Nylontragetasche aus dem Drogeriemarkt. Noch besser ist eine Brotzeitbox mit was selbst Geschmiertem. Der Bemmel hat zwar leckere Sachen, aber es hieß mal, er nimmt Analogkäse.“

„Iih, echt jetzt?“, war die Merz sofort abgelenkt.

„Keine Ahnung. Ein Gerücht eben.“ Maja kopierte fertig, stellte fest, dass der Fettfleck nur schwach sichtbar war und als Kopierfehler durchgehen konnte, und verzog sich mit ihrem Kram an ihren Platz. Zuerst Mathe 10 und Mathe 7. Die anderen Mappen stapelte sie auf ihrem Platz auf, die brauchte sie ja erst später.

Die Wintrich saß an dem Platz, den sie manchmal okkupierte, obwohl sie ein eigenes Büro nebenan besaß, und schrieb in ihr affiges Zeitplanbuch. Also, wer so etwas schon brauchte… konnte die sich nichts merken?

Die Merz setzte sich neben Maja. „Ich finde es total gemein, dass ich diese Aufsicht machen muss“, fing sie wieder an.

„Wer soll´s denn sonst machen?“, fragte Maja.

„Irgendwer anders halt. Mir doch egal.“

Das fand Maja auch nicht gerade sehr sozial. „Wer anders kann aber offenbar nicht. Hast du doch gehört.“

„Wieso schreiben die überhaupt so lange?“

„Weil es zwei getrennte Klausuren sind, die laut KM aber gleichzeitig stattfinden müssen. So kommen da neunzig Minuten zusammen“, erläuterte die Wintrich quer über die lange Tafel hinweg. „In der vierten Stunde sind im Allgemeinen die Lehrer eingesetzt, denen da der reguläre Q 12-Unterricht entfällt, in der dritten brauchen wir nur Aufsichten, wenn der reguläre Geschichtslehrer flachfällt. Wie eben bei Ihnen, Frau Merz.“

Die brummelte, unüberzeugt. Maja konnte sie einerseits verstehen, denn Claudia war auch so eine Chaotin wie sie selbst – kreatives Chaos, oder? – andererseits fand sie sie aber doof, denn sie hatte ganz offensichtlich das Hauptbestreben, so wenig wie möglich zu arbeiten.

Die Wintrich warf Claudia einen misstrauischen Blick zu – verdächtigte sie sie, dann eben krank zu werden, um die Aufsicht nicht machen zu müssen?

„Ich kenn die doch gar nicht!“, jammerte Claudia jetzt.

„Ist doch egal“, fand Maja. „Wozu musst du sie kennen? Wenn du einen Spickfratz beim Namen nennen willst, guckst du halt, was er auf sein Blatt geschrieben hat. Oder gehst hin und fragst, ob er sofort abgeben möchte.“

„Wa-as?“

„Stimmt“, sagte die Wintrich. „Ach ja, Frau Körner – haben Sie sich schon Gedanken über den schulinternen Mathetest gemacht? Sie hatten die siebten Klassen übernommen, wenn ich mich recht erinnere?“

Mist.

„Gedanken schon“, log Maja also (hoffentlich einigermaßen überzeugend), „aber ich hab den Schmierzettel zu Hause und jetzt leider gar nichts präsent. Soll ich ihn morgen mal mitbringen?“ Die Wintrich lächelte. So sah sie richtig nett aus, fand Maja plötzlich. „Das wäre toll, danke.“

Ganz klasse, ärgerte sie sich hinterher. Sie musste heute die dämliche Schulaufgabe fertig machen, kam nicht vor halb fünf nach Hause und hatte jetzt noch diesen Test am Bein, über den sie sich dringend „Gedanken machen“ sollte. Wann sollte man in diesem Beruf eigentlich mal schlafen? Oder Wäsche waschen, putzen, sich Regale kaufen, was essen oder Gott behüte einen Krimi lesen? Oder bloß Nachrichten gucken, wie es sich für einen braven Staatsbeamten geziemte?

Harter Abend.

Aber eigentlich hatte sie ja auch noch drei Freistunden – zwei, sieben, acht. Vielleicht ging da ja was. Wenigstens so weit, dass sie den Mist zu Hause bloß noch zu tippen brauchte? Jetzt war aber erst einmal Unterricht angesagt.

Sie betrat das Klassenzimmer so schwungvoll, dass die Schüler sie ganz erschrocken ansahen. „Schreiben wir ein Ex??“

„Was? Nein, wieso?“

„Sie schauen heute so energisch…“

Maja grinste in die Runde. „Tut mir Leid. Aber bestimmt bald mal, versprochen!“

„Och“, machte Tom in der ersten Reihe, „muss eigentlich nicht sein. Machen Sie sich bloß keinen Stress.“

„Für euch tu ich das doch gerne“, gab Maja zurück. „So, und wie sind die Hausaufgaben gelaufen?“

Allgemeines Gejammer und jede Menge blöde Ausreden. Sie notierte sich heute tatsächlich, wer schon wieder nichts gemacht hatte, und besprach dann mit den paar Leuten, die tatsächlich die Nullstellen der Parabeln bestimmt hatten, die Lösungen. Es folgten die Wiederholung von Scheitelform und des Satzes von Viëta. Sie wollte gerade noch auf Funktionen der dritten Potenz eingehen, als es läutete. Also gab sie rasch noch einige Aufgaben zur Scheitelform auf und wünschte einen schönen Tag.

Komisch, dachte sie auf dem Weg ins Lehrerzimmer, heute war es viel besser gelaufen. Warum bloß? War das das Negativbeispiel von Claudia Merz? So ein Jammerlappen wollte sie wirklich nicht sein – überfordert mit drei Stunden!

Vielleicht war´s das wirklich. Das Lächeln der Wintrich konnte ja wohl kaum so eine Wirkung haben, oder?

An ihrem Platz angekommen, schlug sie das Mathebuch der siebten auf und suchte sich die Hauptkapitel aus. Aufgaben dazu waren schnell gefunden, dazu noch ein paar Details zum Grundwissen aus der Sechsten – Prozente und Brüche. Bis es zur kleinen Pause läutete, hatte sie einen ganz praktikablen Entwurf geschafft und war ausgesprochen zufrieden mit sich. Warum war sie nicht immer so effizient?

In der dritten Stunde hatte sie Sprechstunde, aber glücklicherweise kam niemand – sie hatte nämlich die Mappe mit den aktuellen Notenlisten zu Hause vergessen. Das musste auch besser werden!

Immerhin verlief die Klausuraufsicht so reibungslos wie die Stunde im Geo-Kurs der Q 12 – abgesehen davon, dass der Kurs recht geschrumpft wirkte. Maja schrieb sich diejenigen auf, die fehlten: Vermutlich mussten sie sich im Café gegenüber von der G/Sk-Klausur erholen. Ihrem finsteren Blick begegneten die paar Anwesenden mit heiter-ausdruckloser Miene.

So, jetzt wieder zwei Freistunden! Maja wühlte in ihrer Tasche herum, förderte die beiden Croissants zutage, aß sie auf, woraufhin sie ihr wie ein Stein im Magen lagen, und kramte weiter. Ach – ein USB-Stick? Was war denn eigentlich drauf? Nebenan war auch einer der Computerarbeitsplätze frei, also fuhr sie den Rechner hoch und steckte den Stick ein.

Lauter Mist. Und nichts aufgeräumt!

Sie verbrachte eine Viertelstunde damit, einige Ordner einzurichten, die brauchbaren Dateien dahin zu verschieben und den Rest zu löschen, dann tippte sie den Entwurf für den schulinternen Jahrgangsstufentest, las ihn Korrektur, druckte ihn zweimal aus, speicherte ab und loggte sich wieder aus.

Heute war sie richtig gut, fand sie.

Ein Exemplar steckte sie in eine ihrer Mappen (hoffentlich konnte sie sich merken, in welche!), das andere in das Fach der Wintrich. Zu Hause konnte sie ihr das Ding ja auch noch als E-Mail-Anhang schicken. So merkte doch keiner, dass sie überhaupt erst heute damit angefangen hatte?

Jetzt hatte sie immer noch eine Stunde Zeit – was tun? Megacities, fiel ihr ein. Sie lochte die Fettfleckkopien und überlegte dann, was sie noch tun konnte. Vielleicht reichte der Text nicht die ganze Zeit, dann konnten die Seminarleute doch vielleicht im Internet recherchieren. War denn ein Computerraum frei?

Als sie im Hauptraum nachsah, kam ihr Wintrichs Schätzchen entgegen, ein bildschöner Mann, so schön, dass sie ihm mit offenem Mund entgegenstarrte.

„Hallo“, sagte der vergnügt, „ist Luise hier irgendwo?“

„Luise?“, echote Maja dümmlich. „Keine Ahnung, tut mir Leid. Ist sie nicht in ihrem Büro?“

„Ach, ich schau schnell selbst nach, danke.“

Er trat an den großen Stundenplan und Maja ärgerte sich über sich selbst. Wie konnte man so tölpelhaft sein! Ich hab eine Wassermelone getragen, murmelte sie vor sich hin. „Was?“, fragte die Suttner, die neben ihr aufgetaucht war.

„Ach, nichts“, wehrte Maja unwirsch ab.

„Hi, Christoph!“, wandte sich die Suttner sofort wieder ab. „Luise ist beim Chef, aber sie kommt gleich.“

Lächelnd war er womöglich noch entzückender. Maja sah schnell nach, ob der Computerraum in der zehnten Stunde frei war – er war´s – und verschwand dann wieder im Rechnerraum. Die Wintrich hatte vielleicht ein Schwein… Aber sie sah ja auch auf ihre kalte Art gut aus und war ekelerregend perfekt. Dazu passte er auf jeden Fall.

Wintrich, Suttner, Herzberger: Maja hasste sie alle drei – schön, schlank, erfolgreich, gut organisiert – die vergaßen nichts, die konnten alles, denen gehorchte jeder und der Chef fraß ihnen aus der Hand. Wahrscheinlich hatten sie zu Hause auch noch toll aufgeräumt, ihr Auto gewaschen und alle Klamotten gebügelt.

An ihren Kleiderschrank wollte Maja lieber nicht denken – von ihrem zusammengebrochenen sechzehn Jahre alten Polo mal ganz zu schweigen. Der war überhaupt der Grund, warum sie es noch nicht zu neuen Möbeln gebracht hatte, fiel ihr ein. Und bevor sie Möbel oder gar ein Auto kaufen konnte, musste sie erst einmal ihr Konto inspizieren. Und bevor sie das tun konnte, musste sie erst einmal nachsehen, welche PIN sie fürs Online-Banking hatte.

Schade, hier hätte sie prima ihre Bankgeschäfte erledigen können – wenn sie diese blöde PIN gewusst hätte! Sie war eben doch eine Chaotin…

In Ermangelung einer besseren Tätigkeit packte sie ihre Tasche komplett aus, sammelte alle verknüllten Kassenzettel, Büroklammern und Staubflusen ein und kippte alles in den Papierkorb bzw. in den großen Büroklammerntopf auf dem Mitteltisch. Dann sah sie ihre Mappen durch und warf veraltete Kopien weg. Zufrieden packte sie danach die geringfügig schlankeren Mappen wieder ein, schraubte die Kappen auf die Folienstifte, erneuerte die Kreide in der kleinen Blechdose und wischte mit einem Taschentuch das verstaubte schwarze Nylon wieder blank.

So, aufgeräumt war, gegessen hatte sie auch, der Computerraum war reserviert – was nun? Zum ersten Mal, seitdem sie im September diese Stelle angetreten hatte, empfand sie keine Hektik. Merkwürdiges Gefühl. Ob die anderen das auch kannten?

Sie sah sich um. Die Wintrich verabschiedete sich gerade mit einem diskreten Küsschen von ihrem Prachtexemplar, die Suttner entfernte Anschläge vom Oberstufenbrett, die Herzberger trank Kaffee und las etwas – dem feuerrot/schwarzen Umschlag zufolge einen Krimi -, die Merz kämpfte mal wieder mit den Tränen, Liegnitzer eilte mit einigen Zetteln zum Kopierer, drei Referendare saßen an dem Tisch neben dem Rechnerraum und lachten halblaut miteinander und aus dem Rechnerraum selbst hörte man gedämpftes Klappern der Tastaturen. Arbeit ja, aber eigentlich eine recht entspannte Atmosphäre. Vielleicht lag das auch am Nachmittag… da war alles halb leer und eine merkwürdig gedämpfte Ruhe lag über der Schule.

Viertel vor drei war es jetzt auch gleich. Sie schulterte ihre Tasche und machte sich auf in ihren Seminarraum.

Immerhin waren sie fast alle da – nur Annika fehlte. Mal wieder! Maja machte sich eine entsprechende Notiz, wobei sie sich sehr effizient und wohl organisiert fühlte, und begann dann mit dem Text über die Megacities.

Die Teilnehmer arbeiteten eifrig, zogen zur festgesetzten Zeit in den Computerraum um und recherchierten in Kleingruppen über diejenigen Megacities, die Maja ihnen empfohlen hatte. Eigentlich lief es doch sehr gut, fand Maja. Warum also etwas ändern? Oder hatte sich jetzt schon etwas geändert?

Lief heute alles besser, nur weil sie diesen Testentwurf rechtzeitig abgegeben hatte? Oder fühlte sie sich heute einfach so etwas besser?

Sie wanderte hinter den arbeitenden Schülern entlang, schaute ihnen über die Schulter, kommentierte gelegentlich, was sie sah, und vereinbarte schließlich, die Ergebnisse in der nächsten Sitzung auszuwerten.

Im Lehrerzimmer herrschte gähnende Leere; Maja packte auch nur ihren Kram zusammen und machte, dass sie nach Hause kam.

Die Unordnung in der Wohnung traf sie dann wieder wie ein Schlag ins Gesicht. Unglaublich, wie es hier aussah! Das passte ja besser zu dieser chaotischen Merz als zu ihr! Aber leider war es ihre Wohnung. Ihre eigene.

Und da es eine Eigentumswohnung war, die ganz alleine ihr selbst gehörte, konnte sie auch absolut gar nichts auf einen böswilligen oder geschmacklosen Vermieter schieben. Und es war wirklich ganz furchtbar hier. Sie drehte sich im Flur einmal um die eigene Achse und schaute in die Zimmer. Immerhin, vier Zimmer. Aber scheußliche Tapeten.

Praktisch keine Möbel.

Haufenweise unausgepackte Kisten.

Staub.

Ungespültes Geschirr.

Bergeweise Schmutzwäsche.

Maja, du bist ein Ferkel, tadelte sie sich selbst.

Dann sah sie auf die Uhr: Kurz vor fünf.

Da konnte sie noch gut etwas Chaos beseitigen – halt, nein, Mist: Die Schulaufgabe war ja noch nicht fertig!

Also ab an den Schreibtisch. Sie hatte aber auch gewaltigen Hunger – von den Croissants und der fettigen Käsebreze war nichts mehr zu spüren, kein Wunder. Was nun?

Am liebsten hätte sie sich aufs Sofa gelegt und die Entscheidung vertagt, so wie sonst auch. Immer noch kurz von fünf. Etwas kürzer allerdings.

Okay, Wäsche, Schulaufgabe, Spülen, Essen.

Oder so.

Sie sortierte eine Ladung helle Wäsche aus dem Haufen und stopfte ihn mit einem Schuss Pulver in die Maschine. 30° Buntwäsche, Start. Den übrigen Haufen im Schlafzimmer kickte sie so in eine Ecke, dass noch Platz für das arg wacklige Wäschegestell blieb, klappte es auf, suchte nach dem Säckchen mit den Wäscheklammern, fand es nicht, gab die Suche wieder auf, schaute noch einmal auf die Uhr – um Viertel vor Sechs sollte die Wäsche fertig sein – und drehte im Bad die monströse Handtuchheizung leicht auf. Zum Wäschetrocknen war sie ja ganz praktisch!

Dann verzog sie sich ins Arbeitszimmer, wo die Schulaufgabe so dalag, wie sie sie gestern verlassen hatte. Auf zur dritten Aufgabe!

Sie kritzelte rasch den Erwartungshorizont hin und verteilte die Punkte, die sie beim Erstellen der Angabe mehr oder weniger Pi mal Daumen zugewiesen hatte. Ja, passte schon, sie hatte es einigermaßen getroffen.

Entschlossen ging sie ans Werk. Die ersten sieben liefen ganz flott. Noch sieben?

Das schaffte sie auch noch. Zehn vor halb. Und wenn sie mal die Spülmaschine einräumte? Dann sah die Küche doch bestimmt gleich nicht mehr so schmierig aus. Okay, zehn Minuten Küchendienst!

Die Spülmaschine musste sie aber leider erst einmal ausräumen. In den zehn Minuten schaffte sie es gerade mal, alles saubere (und schon länger vermisste) Geschirr in den Schränken zu verstauen und von den herumstehenden Tellern die Schalen, Näpfchen, Tütchen und sonstigen Müll zu entfernen.

Nein, zurück an die Schulaufgabe!

Die nächsten sieben… immerhin hatten sich ihre Kleinen hier ganz gut gehalten; nur die äußere Form…

Aber wer war sie, sich darüber aufzuregen, so, wie es hier ausschaute?

Das würde jetzt ja anders, hatte sie beschlossen. Aber wenn man darüber nachdachte, wie oft sie schon Vorsätze gefasst hatte, wie oft sie schon das große Aufräumen gestartet hatte und kläglich gescheitert war… warum sollte es dieses Mal anders enden?

Vielleicht, weil sie keine Lust mehr hatte, von der Suttner, der Wintrich und womöglich noch vom Chef persönlich schräg von der Seite angequatscht zu werden. Die Sache mit dem verschlampten Formblatt und dem beinahe vergessenen Testentwurf reichte ihr eigentlich. Und dass eine Klasse sie vorwurfsvoll musterte, weil sie die Schulaufgabe nicht in der vorgegebenen Zeit herausgab, wollte sie sowieso nicht erleben.

Morgen war Termin, verdammt! Weiter!!

Nach den letzten sieben lehnte sie sich zufrieden zurück. Oh, Viertel vor!

Den Wäschekorb fand sie natürlich nicht, wahrscheinlich war er unter Bergen von Kram begraben.

Also holte sie den nassen Klumpen Wäsche aus der Maschine und balancierte ihn mühsam mit bloßen Händen so auf das Wäschegestell, dass auch kein einzelner Socken herunterplumpste.

Dann sammelte sie dunkelblaue Stücke ein, zwei Paar Jeans, eine Bluse, ein Sweatshirt, Socken, einiges an Wäsche (kneifend), zwei T-Shirts – und stopfte das in die Maschine. Dunkelblau machte ja bekanntlich schlank – aber viel half das auch nicht mehr.

Als das Wasser zischend einlief, machte sie sich daran, den Klumpen vorsichtig zu entwirren, die T-Shirts gerade über die Metallschienen zu hängen, die Baumwollsöckchen, Slips und BHs auf der Handtuchheizung zu arrangieren und die beiden gelben Blusen auf Bügel zu hängen.

Aber das waren leider alles Sachen, die ein bisschen gebügelt viel besser aussahen. Und sie hatte schon gemerkt, dass kaum einer in diesem Kollegium in ungebügelten Klamotten herumlief. Nur der Ederer mit seiner ungeheuren Wampe und den paar Haaren, die er so affig über die Glatze gekämmt trug. Aber der sah obendrein so aus, als röche er schlecht. Ob das stimmte, hatte sie noch nicht erforscht, ihr reichte es, dass er ihr immer so blöde zuzwinkerte, als wollte er sagen Gell, wir zwei fetten Schlamper, wir müssen zusammenhalten!

Müssen wir nicht, murrte Maja halblaut. Nicht mit so einem. Lieber bügelte sie nachher noch schnell über die T-Shirts und Blusen.

So, Aufgabe vier – die ging fix, eine Grundwissensaufgabe zur Bruchrechnung, nur vier BEs. Sie eilte durch die ersten vierzehn, dann sortierte sie einen dritten Haufen aus (Handtücher und dazu passende Bettwäsche, damit wenigstens eine der herumliegenden Garnituren mal wieder in den Schrank kam) und schaute, ob unter den beträchtlichen Resten nicht doch vielleicht der Wäschekorb…

Nein. In der Räuberhöhle vielleicht?

Über die Verwendung des vierten Zimmers hatte sie sich noch gar nicht weiter Gedanken gemacht, hier standen besonders viele Umzugskisten und alles, womit sie im Moment nichts anfangen konnte.

Einen großen Unterschied zu den anderen Räumen konnte man eigentlich nicht ausmachen, stellte sie seufzend fest, aber sie fand zwei Klappkörbe, besser als nichts! In einen packte sie die aussortierte Schmutzwäsche, den anderen stellte sie für nachher vor die Maschine.

Die letzten vierzehn Aufgaben gingen ihr recht flott von der Hand. Sie rechnete mit Bleistift die Noten und den Durchschnitt auf der Klassenliste durch und kam auf 3,4.

Naja.

Ein bisschen besser war sicher noch drin.

Sie schaffte es noch, die Arbeiten nach Qualität zu sortieren, dann gab die Maschine den typischen Seufzer von sich, mit dem sie immer stehen blieb.

Maja hängte auch diese Wäsche auf (die Jeans konnten noch auf die Handtuchheizung) und füllte die Maschine zum dritten Mal.

Dann holte sie sich einen sauberen feuchten Lappen und putzte den Heizkörper in der Räuberhöhle, bevor sie ihn bis zum Anschlag aufdrehte. Sobald sie den Lappen wieder in die Küche gelegt hatte, musterte sie den vierten Raum gründlich: Was sollte sie aus diesem Zimmer machen?

Später!

Sie ging die Arbeiten, die wahrscheinlich Einser und Zweier waren, noch einmal durch, bepunktete die Aufgaben am Rand und schrieb die Noten auf die erste Seite. So, acht Leute ganz fertig!

Und jetzt?

Die Maschine lief immer noch, also konnte sie noch nicht die Spülmaschine starten. Das war irgendwie ökologisch saumäßig – warum, wusste Maja nicht so genau. Oder haute es dann die Sicherungen raus?

Na gut, die Dreier auch noch!

Danach hatte sie siebzehn Arbeiten geschafft. Nicht schlecht, fand sie.

Und wenn sie die Räuberhöhle mal strich? Obwohl – die gelbweißen Streifen und der schokoladenbraune Teppichboden sahen so schlecht auch nicht aus. Streichen und Bodenverlegen war anderswo weiß Gott nötiger.

Am besten sollte das Zimmer wohl ein Gästezimmer sein – aber Gäste kamen eigentlich selten. Kunststück, im Moment konnte sie ja auch niemanden reinlassen, die Bude war wirklich zu peinlich!

Und wer sollte auch kommen? Lucia und Florian? Die waren doch bloß froh, dass ihre unfähige kleine Schwester weit weg war. Am Anfang hatten sie ja noch genervt, sie sollte wieder zurückkommen, sie könnte ja auch mit im Haus wohnen, aber Maja war eigentlich ganz froh gewesen, nach Leisenberg verschwinden zu können. Immer diese Besserwissereien!

Außerdem war das Haus in Harlaching (direkt am Perlacher Forst, weit und breit kein Laden, keine Haltestelle, kein gar nichts!) wunderbar in zwei große Wohnungen aufzuteilen – nicht in drei. Wozu auch, Maja hatte ja schließlich die Bude von Onkel Karl Heinz gekriegt. Lucia und Florian hatten, als sie das gehört hatten, breit gegrinst, aber nichts gesagt. Und Maja, die die Wohnung noch nie bewusst gesehen hatte, hatte sich noch ganz arglos gefreut…

Schöne Pleite, wenn sie sich hier so umsah!

Na, weitermachen, leidtun konnte sie sich später auch noch.

Neun Vierer waren es jetzt – zwei mehr als nach dem ersten Durchgang. Damit waren die beiden plus Fünf verschwunden. Okay, dann fehlten noch zwei. Aber die Fünfer waren bombenfest. Und die konnte sie jetzt auch noch wegputzen.

Zufrieden stapelte sie alles auf, füllte den Umschlag aus, rechnete den Durchschnitt neu aus – 3, 18 – und packte den Stapel in ihre Tasche. Super!

Das hätte sie eigentlich früher haben können, ärgerte sie sich sofort danach. Wenn sie am ersten Ferienwochenende… na, auch egal. Jetzt war das Ding ja weg. Beim nächsten Mal musste sie das eben besser machen.

Und jetzt?

Fast acht Uhr – Himmel, die Wäsche! Die Maschine war schon seit längerem verstummt, also hängte sie diese Wäsche auch noch auf – das Gestell ächzte bedenklich – und kontrollierte die andere, ob schon etwas trocken war.

Natürlich nicht, aber immerhin nur noch bügelfeucht. Also baute sie Bügelbrett und Bügeleisen auf und nahm sich die beiden Blusen und die T-Shirts vor.

Diese Abstellkammer war eigentlich gar nicht so schlecht, überlegte sie. Nur wie alles eben fürchterlich zugemüllt. Sie war etwa eineinhalb mal zwei Meter groß und auf einer Seite mit einem stabilen eingebauten weißen Metallregal versehen, dessen Bretter man herausnehmen konnte. Das hatten offenbar diese Mieter hinterlassen – Onkel Karl-Heinz hätte ein solches Regal bestimmt in schlammgrün oder senfgelb gestrichen!

Leider waren die Regalbretter eingestaubt und schmierig und bedeckt mit unglaublichem Gerümpel – dabei wohnte sie doch erst seit wenigen Wochen hier. So konnte das nicht bleiben – und warum sollte sie nicht hier anfangen?

Aber vorher musste sie doch noch überlegen, ob sie für morgen gerüstet war. Was hatte sie morgen alles? Mathe 7, Geographie 7, Mathe 8, Mathe 10. Und schon um kurz vor drei aus!

Sie setzte sich an ihren Schreibtisch und sichtete die Mappen. Was da für ein überholter Mist drin war!

Und was war das hier? Oh Scheiße! Sie ließ den Kopf auf die Schreibtischplatte sinken. Morgen war Geographie-Fachsitzung. Als Frischling musste sie das Protokoll schreiben. Und die Sitzung dauerte bestimmt zwei Stunden. Dann war es glücklich fünf… mit Einkaufen sechs, bis sie zu Hause war. Wieder keine Zeit für den großen Aufräum-Marathon. Und in der 7 c sollte sie bald mal wieder ein Mathe-Ex schreiben, sonst tanzten ihr die süßen Kleinen noch auf der Nase herum. Und so wie sie mitzuschreiben pflegte, sollte sie das Protokoll auch bald machen, bevor sie aus ihrem Gekritzel nicht mehr schlau wurde.

Wie spät war es jetzt? Halb neun. Auf die Schule war gepfiffen, jetzt kam die Abstellkammer dran! Wenigstens für eine Stunde…

Sie räumte das Regal Stück für Stück leer und baute alles im Flur auf, dann hob sie die Bretter aus ihrer Halterung und trug sie in die Küche.

Als nächstes schrubbte sie die Halterungen gründlich ab und trocknete sie, danach räumte sie aus, was auf dem Boden herumstand, auch die Mengen an leeren Flaschen und Trägern.

Kurz vor neun… da konnte man noch Staub saugen! Der Teppichboden in der Kammer hatte ein recht dankbares Pfeffer-und-Salz-Muster – hatte Onkel Karl-Heinz die Bude eigentlich mit Teppichresten ausgelegt? Jeder Raum war anders!

Jedenfalls wurde der Boden beim Saugen geringfügig heller, und so leer sah die Kammer richtig groß und übersichtlich aus. Kunststück, der ganze Mist stand ja draußen!

Maja verzog sich in die Küche, legte die ersten beiden Bretter nebeneinander und rieb sie dick mit Putzmittel ein. Weichen lassen!

Währenddessen startete sie die Spülmaschine und räumte, was hier noch so herumstand, etwas beiseite. So passten die anderen beiden Regalbretter auch noch auf die Arbeitsplatten und konnten ebenfalls mit Putzmittel eingerieben werden.

Und was stand jetzt im Flur?

Die Friteuse mit ihrem Karton. Okay, Küchengeräte ein Regalbrett.

Eine Pappschachtel mit dem Fonduetopf – daneben.

Eine Plastiktüte mit vergammeltem Grillbesteck. Sie hatte weder Grill noch Garten noch Freunde – weg damit.

Eine Tüte mit Stoffresten. Woher kamen die denn? Sie hatte sich seit Jahren nichts mehr genäht, konnte es auch gar nicht und besaß selbst keine Maschine. Weg mit den Fetzen! Und das angefangene Strickzeug genauso, graues Mohair ging ja gar nicht – was hatte sie sich vor bestimmt zehn Jahren nur dabei gedacht? Aber die Nadeln konnte sie aufheben.

Zwei Bücher, die hier gar nichts zu suchen hatten.

Eine Pappschachtel mit leeren Blechdöschen. Sie suchte sich drei hübsche aus, brachte sie in die Küche und stellte den Rest zum Müll.

Ein Paar verflixt alte Skistiefel. Weg.

Eine Garnitur Bettwäsche, ungebügelt und mit einem eher gruseligen Muster: Kringel in orange, braun und rosa. Stammte das aus der schlimmsten Zeit der Siebziger? Auf jeden Fall: Altkleidersammlung! Sie schnaufte durch und beschloss, erst einmal die bisherige Ausbeute in der Mülltonne zu versenken.

Glücklicherweise waren die Tonnen halbwegs leer, so konnte sie eine Menge loswerden. Die Blechdöschen allerdings stellte sie im Mülltonnenverschlag auf das Brett des „Fensterchens“ – vielleicht fanden sie ja noch Liebhaber?

Auf dem Weg zurück nahm sie die Post mit und studierte sie, oben angekommen, flüchtig. Rechnung, Rechnung, Werbung, Werbung, Werbung, eine Postkarte von Saskia aus dem Referendariat – ui: Studienfahrt nach London? Schick… Maja hatte mal wieder keiner gefragt, ob sie irgendwo mitfahren wollte! Noch eine Rechnung, ein ungefragt zugesandter Klamottenkatalog – später durchblättern. Ein Flyer vom Pizzaservice, bei dessen Anblick ihr sofort der Magen knurrte.

Kein Wunder, fiel ihr ein. Es war Viertel nach neun und sie hatte seit der Schule nichts mehr gegessen. Gesund war das nicht!

So eine herrliche fettige Pizza, mit Salami, Anchovis und Peperoni… Fettig, genau. Sie war ja wohl fett genug! Aber Hunger hatte sie doch. Peperoni… da musste doch noch ein Glas im Kühlschrank sein?

Tatsächlich. Und etwas nicht mehr allzu knuspriges Knäckebrot gab es auch noch. Also zwei Scheiben Knäcke und alle Peperoni. Ballaststoffreich.

Na, ein bisschen wenigstens.

Alles Übrige im Kühlschrank war abgelaufen. Schon lange abgelaufen, nicht so, dass die Ministerin einen streng anschauen konnte, wenn man es wegwarf. Maja fühlte auch damit eine Mülltüte und trug sie mitsamt den alten Zeitschriften, die auch noch in der Kammer gelegen hatten, nach unten. Die Werbung aus dem Briefkasten packte sie gleich noch dazu, wobei sie sich extrem effizient vorkam.

Etwas töricht vor sich hin grinsend stieg sie die Treppe wieder hinauf, nicht ohne asthmatisch zu schnaufen. Fit war sie ja nicht gerade – Sport hatte sie auch seit dem Sommer nicht mehr gemacht.

Immerhin ging sie zu Fuß zur Schule, lobte sie sich selbst, als sie sich in der Küche hinsetzte und labbriges Knäckebrot mit verschrumpelten Peperonischoten verspeiste. Aber zweimal zehn Minuten langsam durch die Straßen schlurfen – viel Sport war das nun auch nicht gerade… Ab jetzt würde sie spazieren gehen! Täglich! Eine Stunde!

Na, eine halbe, sie hatte ihre Zeit ja nun auch nicht gestohlen. Sie wischte den Kühlschrank gründlich aus und trocknete ihn, danach war die Spülmaschine auch endlich fertig und sie öffnete die Tür, damit der Dampf abziehen konnte. So, weiter im Text.

Fast halb zehn. Sie schrubbte die Regalbretter ab und wischte den Putzmittelschaum herunter, trocknete sie mit Küchenkrepp und stellte sie zum Nachtrocknen in den Flur.

Was hatte sie noch im Kammerl gefunden? Die leeren Limoträger, genau, Und haufenweise leere Flaschen. Sie füllte eine Riesentüte mit so vielen Flaschen wie möglich und platzierte sie neben der Haustür – vielleicht konnte sie den Mist morgen gegen neue Peperoni eintauschen. Oder so ähnlich. Einkaufen musste sie auf jeden Fall mal, aber Pizza oder Chips kamen überhaupt nicht in Frage, eher Obst und Gemüse. Ob es schon Mandarinen gab? Vielleicht konnte sie morgen ja auch schon einen der Träger wegschleppen. Leer waren die nicht so schwer. Und zu trinken gab es bloß noch Light-Getränke! Mit der Zuckerpampe war jetzt Schluss – mal sehen, ob sich das auf der Waage günstig auswirkte. Für mehr war im Moment wirklich keine Zeit.

Verflixt, schon bald zehn!

Die Bretter waren einigermaßen trocken, und Maja hängte sie wieder in das Regal ein, nachdem sie das Gestell auch noch einmal feucht abgewischt hatte. Die Abstellkammer sah jetzt eigentlich sehr gut aus, fand sie. Richtig wesentlich. Leider lag das eben nur daran, dass sie total leer war.

Was musste denn wieder hinein? Fonduetopf und Friteuse. Sie hübschte die zerfledderten Pappschachteln mit reichlich Tesafilm etwas auf und packte sie dann aufs oberste Brett – so bald brauchte sie den Kram bestimmt nicht. Und Pommes waren sowieso ein no go.

Was sollte sie auf die anderen Fächer stellen? Was lag denn überhaupt noch draußen im Flur?

Gar nicht mehr so viel, einige lose Handschuhe, die rosa Fleecemütze, zwei Schals… dafür brauchte sie eine Kiste, „Wintersachen“ oder so. Gut, erst einmal ein Häufchen im zweiten Fach. Die Shopper und ihre zwei Handtaschen passten noch daneben.

Mehr lag gar nicht mehr herum. Sollte sie ihre Schuhe auch noch hier unterbringen? Aber einen Schuhschrank – wenn sie es denn mal schaffte, sich einen zu kaufen – konnte sie eigentlich auch in den Flur stellen, der war groß genug. Erstmal alles aufräumen und dann weiter sehen! Für heute reichte es ihr wirklich, außerdem war es jetzt schon fast halb elf.

Mittwoch, 09.11.2011

So schlecht hatte der Mittwoch gar nicht angefangen, zog Maja beim Betreten des Lehrerzimmers ein erstes Resümee; sie hatte nicht verschlafen, immerhin. Zwar hatte sie schon wieder nichts gefrühstückt (was denn auch?), aber beim Bäcker zwei Brezen ohne Käse und eine Vollkornsemmel geholt. Die Sache mit dem Analogkäse fand sie ja doch etwas eklig. Außerdem war die Käsebreze so fettig gewesen, dass man die Kalorien darauf förmlich herumspringen sehen konnte. Nein, nicht mehr für sie!

Und wenn sie heute Abend nach Hause kam, konnte ihr Blick wenigstens wohlgefällig auf der Tür zur Abstellkammer ruhen! Vielleicht gab es im Baumarkt ja geeignete Pappkisten. Einkaufen musste sie auch noch…

Die Schlange vor dem Kopierer war endlos; Maja beschloss, zu warten, bis der Unterricht anfing, sie hatte ja die erste Stunde frei. Danach konnte sie in Ruhe die Schulaufgabenlösung kopieren. Bis dahin… Sie fand eine unnütze Kopie und schrieb auf:

- Pappkisten – für Mützen usw.

- Einkaufen: Vollkornbrot, Tomaten, Quark, Salat, Nudeln, Gemüsemischung, Salatsauce

Vielleicht fiel ihr später ja noch mehr für die Einkaufsliste ein.

- Schlafzimmerschrank anfangen

- Protokoll GEO anfangen

- Arbeitsblatt für 7 c entwerfen (Mathe)

Das konnte sie doch eigentlich gleich versuchen? Ein bisschen ausklammern, ein bisschen kürzen, ein bisschen Gleichungen auflösen… jaja, die Äquivalenzumformungen!

Sie bastelte eine Handvoll Aufgaben, die glatt aufgingen (noch hatten die Kleinen ja keinen Taschenrechner),  fand sich mal wieder ganz toll und lehnte sich aufatmend zurück, sobald sie wieder am Platz saß. Was kostete die Welt?

Katja lief vorbei und nickte ihr flüchtig zu. Wieder so eine Edelschnepfe! Mit dickem Filofax und dünnen Oberschenkeln. Mit wem die es hier wohl hatte? Luise war ja mit diesem Schwarz verbandelt, das hatte sie gestern wieder gesehen, und der gehörte nicht zum Kollegium. Die Suttner – Hilde – (warum hatten die beiden eigentlich so wahnsinnig spießige Vornamen?) tuschelte ab und an mit diesem Liegnitzer, aber ob da was lief…?  

Ansonsten gab es hier nicht viel Gescheites. Naja, den Trattner vielleicht. Der war auch noch ziemlich neu, gab Sport und Englisch und pflegte die Aura eines umschwärmten Skilehrers, bronzebraun und hakennasig. Und dann hieß er auch noch Luis! Wie der olle Luis Trenker!

Aber niedlich war er.

Als hätten ihre Gedanken ihn herbeigezaubert, kam er ins Lehrerzimmer. Schicker silbergrauer Anorak. Irgendwie hatte man das Gefühl, er habe seine Ski draußen an die Wand gelehnt.

„So verfroren?“, fragte Katja und grinste.

„Wieso?“, fragte er zurück und wirkte leicht ratlos.

„Na, im November schon im Anorak? Was ziehst du denn dann an, wenn es mal kalt wird?“

„Ich habe noch einen wärmeren. Fährst du eigentlich Ski?“ Das klang recht sehnsüchtig, fand Maja.

„Nee, wirklich nicht“, antwortete Katja, „ich könnte ja sagen, das ist schlecht für die Natur in den Alpen. Stimmt ja auch. Aber in Wahrheit hab ich einfach keine Lust.“

„Aber – so ganz früh am Morgen aus der Hütte kommen, den Sonnenaufgang beobachten und dann im Pulverschnee abfahren – das ist doch das Höchste! Da musst du unbedingt mal mitkommen!“

„Schifoan is des Leiwandste?“, fragte Maja.

Katja grinste ihr zu, Trattner ignorierte den Einwurf und sah Katja weiter erwartungsvoll an. Die schüttelte nur den Kopf. „Meins ist das nicht, tut mir Leid.“

„Aber du musst doch am Wochenende mal raus, an die frische Luft!“

„Deshalb muss ich ja wohl nicht in die Berge, oder? Wir gehen einfach spazieren oder zum Tanzen. Und manchmal spielen wir Squash. Das reicht ja wohl.“

„Wir?“ Das klang geknickt.

„Ja, mein Freund und ich. Wenn er Zeit hat, heißt das. Er ist nämlich bei der Kripo.“ Sie grinste Trattner noch einmal an, griff nach ihrer Tasche, rief „Frohes Schaffen“ in die Runde und verschwand.

Armer Trattner. Anscheinend hatte er sich in Katja verguckt – und die wollte ihn nicht. Maja schielte zur Seite und sah eine braun gebrannte geballte Faust. Sie hob den Kopf und lächelte ihm mitfühlend zu, aber er sah durch sie hindurch, drehte sich grußlos um und verließ das Lehrerzimmer.

Für Maja wurde es langsam auch Zeit.

Die Siebte war munter wie immer, an Mathematik und Geographie allerdings nur mäßig interessiert. Maja schlichtete einen Zickenkrieg, beendete die Diskussion über die Frage, ob sich der Lorenz aus der letzten Reihe mal waschen müsste, konfiszierte zwei Handys und ließ zwei allzu lebhafte Kerlchen an der Tafel verhungern: einmal Fünf, einmal Sechs.

In der Freistunde danach räumte Maja weiter ihre Mappen auf, ärgerte sich über verlorene Kopien, sortierte zwei Exen durch (bei jeder fehlten immer noch einige Exemplare, so ein Mist aber auch!), inspizierte den Vertretungsplan und wich der schon wieder am Boden zerstörten Claudia Merz aus. Was hatte die jetzt wieder zu heulen?

Die achte Klasse grinste ihr entgegen: „Kriegen wir die Schulaufgabe?“

„Klar“, antwortete Maja so lässig, wie sie sich fühlte, nachdem sie zum ersten Mal etwas pünktlich fertig hatte. Das Grinsen verging manchen Schülern allerdings, als sie ihre Noten sahen, und ein eifriges Punktezusammenzählen und Feilschen hob an. „Jetzt lasst den Quatsch“, mahnte Maja schließlich, „ich hab alles überprüft. Wir besprechen, was ihr hättet machen sollen, und dann könnt ihr Fragen stellen. Bitte immer nur zur aktuellen Aufgabe und nicht mehrfach die gleiche Frage!“

Mühsames Geschäft, jeder nahm nur seine eigene Frage wahr, und am Ende wusste Maja gar nicht mehr, wie oft sie zurückgefragt hatte: „Sind wir denn schon bei Nummer drei?“

Es läutete, kaum dass sie die Verbesserung abgeschlossen hatte – und sie wollte doch noch den neuen Stoff anfangen! Na, dann eben am Freitag.

Für die Zehnte hatte sie sich nichts Besonderes überlegt, aber üben konnte man schließlich immer – Funktionstypen waren ein Dauerbrenner.

Als sie sich dem Klassenzimmer näherte, eilte Dr. Eisler federnden Schrittes heran, eine blaue Mappe in der Hand. Maja sank das Herz – er würde doch nicht?

„Frau Körner? Ich würde mir heute gerne mal Ihren Unterricht ansehen.“

„Gerne“, antwortete Maja mit tauben Lippen. Ausgerechnet heute! Sie hatte aber auch ein Pech!

Dr. Eisler folgte ihr ins Klassenzimmer, in dem die Zehnte in munteren Grüppchen zusammen saß und nicht wirklich bei Majas Eintreten diensteifrig aufsprang.

„Herr Doktor, Herr Doktor!“

Die Rufe kamen rasch näher und wurden immer dringlicher. Dr. Eisler wandte sich notgedrungen dem Flur zu. Die Sekretärin tauchte schließlich atemlos in der Klassenzimmertür auf. „Herr Doktor! Das Ministerium!!“

Dr. Eisler legte den Kopf schief. „Sagen Sie, ich rufe nachher zurück. Jetzt bin ich im Unterrichtsbesuch.“

„Aber – aber – der Herr Minister persönlich! Und es ist dringend…“

Der Chef seufzte entnervt. „Ja, dann – tut mir sehr leid, Frau Körner… aber wir holen das bald nach, ja?“

„Gerne“, antwortete Maja wieder, dieses Mal aber schon sehr viel lebhafter. Als sich die Tür hinter dem Schulleiter schloss, entfuhr ihr ein erleichterter Seufzer, und die Klasse, die den Vorgang nun doch nicht ohne Interesse beobachtet hatte, kicherte.

„Naja“, entschuldigte Maja sich, „wir müssen noch kräftig üben – und so eine Supershow wäre das nicht geworden.“

„Sie meinen, wir an der Tafel – das ist eine schwache Vorstellung?“

„Das hast du gesagt“, gab Maja zurück. „Aber wie wär´s denn gleich, Tommy? Sagen wir, f von x ist x Quadrat minus sieben x plus zehn… Nullstellen und Scheitel, außerdem eine gepflegte Skizze?“

Tommy seufzte ergeben, entwirrte seine langen Beine, zog die Nase geräuschvoll und seine Hängehose lautlos hoch und schlurfte zur Tafel, wo er mit etwas Hilfe die Funktionsgleichung anschrieb.

Mit längeren Denkpausen ermittelte er die Nullstellen und wirkte danach so erschöpft, dass Maja das Mitleid packte und sie ihn auf seinen Platz zurückschickte. Kathrin, seine Nachbarin, berechnete mühselig den Scheitel, und für die Skizze brauchten sie gleich zwei Künstler. „Und wenn ich jetzt zum Beispiel morgen ein Ex schreiben würde? Dann sähet ihr aber verflixt alt aus!“

„Das ist aber auch so sauschwer“, beschwerte sich Susi aus der ersten Reihe.

„Das ist wie bei Fisherman´s Friends – sind sie zu stark, bist du zu schwach. Leute, ihr müsst in Mathe Abitur machen, und dass man mit so einfachen Funktionen umgehen kann, ist eine Grundvoraussetzung! Auf jetzt, die nächste!“

„Was sind Sie denn plötzlich so energisch?“, jammerte Susis Nachbarin Bea.

„Das ist die natürliche Reaktion auf die allgemeine Unfähigkeit. Schätzelchen, ihr seid nicht doof, das kann man alles lernen. Man muss nur üben!“

Sie schrieb schnell drei weitere quadratische Gleichungen an und verordnete Stillarbeit. Ruhe kehrte ein, sie wanderte durch die Reihen und beobachtete das langsame Arbeiten. Kurz vor dem Ende der Stunde waren schließlich alle fertig und die Ergebnisse wurden rasch verglichen.

„Immerhin“, lobte Maja. „Bitte bis zum nächsten Mal die Skizzen anfertigen.“

„Männo! Wir schreiben doch Englisch!“

„Irgendwas ist immer. Drei Skizzen.“

Allgemeines Geseufze. Maja schrieb voller Selbstzufriedenheit ins Klassenbuch Quadratische Funktionsgleichungen und zeichnete ab (bisher hatte sie das meistens vergessen); beim Verlassen des Klassenzimmers hörte sie noch, wie Bea murrte: „Die ist bald genauso schlimm wie die Suttner und die Wintrich!“

Aus irgendeinem Grund freute sie sich darüber.

Im Lehrerzimmer herrschte zunächst gähnende Leere. Maja verzog sich auf ihren Platz und plante die nächsten paar Stunden flüchtig durch – Dr. Eisler kam bestimmt bald wieder, und immer war auf den Herrn Minister persönlich auch kein Verlass.

Quadratische Gleichungen noch einmal vertiefen, dann wirklich ein geschmeidiges Ex, bei dem sich die Spreu vom Weizen schied, und dann die Funktionen dritten Grades. Polynomdivision, Funktionsverlauf… das reichte erst einmal. Sie verzehrte langsam eine der Brezen und las sich das nächste Kapitel im Mathebuch durch, bis sie von Katja gestört wurde: „Aha, kein Analogkäse mehr?“ Maja musste grinsen. „Jedenfalls keine Fettflecken mehr!“

Katja setzte sich zu ihr. „Und, wie geht´s so? Hast du dich hier schon etwas eingelebt?“ Maja zuckte die Schultern. „Geht schon. Es ist ganz nett hier.“ Wenn ich mal was auf die Reihe kriegen würde, ergänzte sie sich im Stillen.

„Nicht? Das finde ich auch. Hier gibt´s echt gute Leute. Und es geht was voran, der Chef mauert nicht so wie an manchen anderen Schulen. Hier freut er sich wirklich über Anregungen.“

„Bei mir hätte er heute fast einen Unterrichtsbesuch gemacht.“

„Hui, Glück gehabt – was ist denn passiert?“

Maja erzählte von dem hochwichtigen Anruf und Katja feixte. „So ein Pech aber auch, das bringt jetzt seinen ganzen Zeitplan durcheinander. Na, denk dir nichts, wenn er´s bald wieder versucht. Er beurteilt eigentlich recht fair. Nur die echten Luschen nimmt er schon hart ran. Was er mit der da macht“ – sie wies mit dem Kinn auf die Merz, die trübsinnig das Anschlagbrett der Oberstufe musterte und dann etwas hinhängte – „möchte ich ja nicht wissen. Und was pinnt die da an?“

Sie ging sich die Sache näher betrachten, und Maja folgte ihr – sie hatte ja sonst auch gerade nichts zu tun. „Ferienwohnung zu vermieten“, las Katja vor. „Spinnt die? Was hat das denn hier zu suchen?“

Sie ging die Merz suchen und Maja hörte alsbald deren weinerliche Stimme: „Warum denn nicht? Wir können uns die Wohnung nicht leisten, wenn wir sie nicht vermieten, und sonst treffe ich doch nie jemanden, wenn ich dauernd hier angebunden bin!“

„Mir kommen die Tränen. Aber darum geht es auch gar nicht“, entgegnete Katja. „Sie können Ihre Wohnung meinetwegen das ganze Jahr über vermieten -“

„Zu gütig! Wir sollen wohl gar keine Ferien mehr haben? Nicht jeder ist so ein Workaholic wie gewisse Damen hier!“

„Sie meinen, wie die Damen, die ihre Arbeit machen, ohne in Tränen auszubrechen und sich nach Kräften zu drücken? Ein Tipp zur Güte: Hängen Sie Ihre Mietersuche bitte an das Brett im Vorraum. Am Oberstufenbrett wird Frau Suttner es entfernen und entsorgen, und so kriegen Sie nie einen Mieter.“

„Das darf sie gar nicht!“

Katja seufzte. „Doch, das darf sie. Das ist das Oberstufenbrett, und dort hängen nur die Oberstufenbetreuer etwas auf. Und im Moment ist das eben nur Frau Suttner. Am Brett im Vorraum wird Ihr Anschlag deutlich länger überleben.“

„Sie mögen mich eben nicht!“, stieß die Merz entrüstet hervor.

„Was hat das jetzt mit ihrem Zettel zu tun?“, entgegnete Katja ungeduldig.

Die Merz schnaubte und verließ im Laufschritt das Zimmer. Kopfschüttelnd wandte Katja sich Maja zu. „Die muss wohl noch einiges lernen.“

„Hattest du auch schon einen Unterrichtsbesuch?“, fragte Maja sie.

„Nein, dieses Mal noch nicht. Er fängt mit den Neuen an, wegen der Probezeitbeurteilungen. Bis er ganz durch ist, sind locker zwei bis drei Jahre um, und dann steht auch bei dir ja die Lebenszeitverbeamtung an.“

„Woher weißt du das alles?“

„Das hat er doch erzählt, in dieser Sitzung am zweiten Schultag. Warst du da nicht?“ Maja schüttelte verlegen den Kopf. Den Termin hatte sie gleich als ersten verschusselt.

Katja ging taktvollerweise darauf nicht weiter ein. Maja musterte ihr Outfit und überlegte verzweifelt, was sie jetzt sagen sollte, aber es fiel ihr nichts Besseres ein als „Schöner Blazer“.