Das Haus hinterm Deich - Lisi Schuur - E-Book

Das Haus hinterm Deich E-Book

Lisi Schuur

4,9

Beschreibung

Die Geschichte einer Freundschaft. Pia, die vor kurzem erst ihren Mann verloren hat, nun allein in ihrem Haus hinterm Deich zurückgeblieben ist, und die Möwe Emily gehen gemeinsam durch Dick und Dünn. Bis ans Ende der Zeit ...

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Inhaltsverzeichnis

Allein hinterm Deich

So ist das!

Das Haus hinterm Deich

Eine Bekanntschaft

Emily erklärt sich

Pia spricht

Emily am Strand

Pia am Strand

Seelenschwestern

Möwen lernen

Familienangelegenheiten

Die Sanierer kommen

Miau

Leitungsaustausch

Der Traum vom Fliegen

Scherben

Glücksbringer

Bernstein

Traumbehüterin

Ebbe und Flut

Nichts als Unsinn im Sinn

Es ist kompliziert

Verdammt!

Beim Tierarzt

Autsch!

Puuh…

Der Strandkorb

Ein Gedicht

Der Luftballon

Eine Entschlüsselungsaufgabe

Emily ist schwer beleidigt

Burgenbauen

Muscheln sammeln

Muschelbilder

Eine Liebesbotschaft

Feuer unterm Hintern

Traumland

Emily Zwei

Emily sagt Lebewohl

Allein hinterm Deich

Ich bin gerne allein.

Ich bin gerne bei den Menschen.

Das kommt so ziemlich auf eins hinaus.

Die Menschen beachten uns nur wenn wir viele sind und krakeelen.

Dann schimpfen sie.

Mehr aber auch nicht.

Wir sind sakrosankt.

Das heißt soviel wie heilig.

Die Heiligen des Meeres.

Ha ha! Ausgerechnet.

Aber stimmen tut es irgendwie schon.

Weil, was wäre denn das Meer ohne uns.

Wenn wir uns nicht auf den Wellen schaukelten.

Was wären der Himmel und die Wolken, wenn wir ihnen nicht die entscheidenden

Bewegungstupfer verliehen.

Jeder weiß das.

Auch wenn es nicht jedem gleich in den Sinn kommt.

Darum sei es jetzt ausgesprochen.

Damit es klar ist ein und für alle mal.

Und was mich betrifft, ich bin nicht nur sakrosankt, ich bin auch einsam.

Eine einsame Möwe beachtet sowieso kein Mensch.

Die läuft so nebenher.

Das tu ich.

Weil ich es so will.

Weil ich nicht mehr lange leben werde.

Also habe ich mich von den anderen abgesetzt.

Manchmal fliege ich noch zur Sandbank hinaus.

Manchmal auch zum Hafen. Wenn die Krabbenfischer einlaufen.

Manchmal habe sogar ich noch meinen Spaß am Krakeel.

Aber auf die Dauer ist es zu viel Stress. Und

Stress ist ungesund. Schlecht für die Schilddrüsen…

Was für einen Quatsch ich rede. Wo ich doch sowieso bald sterben werde. Aber egal.

Mit dem Tod vor Augen hinterm Deich. Allein. Und bei den Menschen.

Hier gibt es keinen Stress. Nichtmal mit den Krähen.

Ein Blick.

Und sie wissen genau, dass ich ihnen gehöre.

Ihr kriegt mich aber erst mit den Februarstürmen.

Wenn überhaupt. Ich überleg mir das noch. Und flieg jetzt rüber zum Priel. Ein paar fette Würmer angeln.

Der Wind bläst wie eine Gewitterziege.

So ist das!

So ist das!

Das hat er immer gesagt. Wie oft hat es mich aufgeregt. Einfach dieser Satz von ihm, und mehr nicht.

Und jetzt?

Ich sitze hier am Ende der Welt, und muss sehen wie ich klarkomme.

Bastian, mein geliebter Mann ist gestorben. Ohne große Vorankündigung.

Sein Herz setzte aus.

Es passte zu ihm. Bis zuletzt. Ohne viel Worte zu machen. Einfach so.

Alles hatten wir für unseren Traum getan.

Unser Haus am Niederrhein verkauft.

Ersparnisse waren keine da. Wovon auch? Hatten wir doch alles Verdiente in die Verschönerung des Hauses gesteckt.

Bis wir uns beide klar wurden, dass es uns ans Meer zog. Unbedingt.

Das Meer hatte uns die schönsten Stunden bisher beschert. Es entließ uns immer gutgelaunt.

Und diese gute Laune brauchten wir dringend. Es waren soviel Missgeschicke passiert in unserem gemeinsamen Leben.

Es konnte nur besser werden. Wir würden uns beide nur noch wohlfühlen.

Unsere Pläne behielten wir für uns. Kein Wort zu unseren Freunden. Viele waren es ohnehin nicht.

Sebastian legte nie Wert auf Freunde.

'Wenn es drauf ankommt, ist man sowieso allein. Sie kommen nur, wenn sie was wollen. Sobald man Hilfe von ihnen braucht, sind sie verschwunden. Selbst ist der Mann. Immer so gewesen.'

Das waren auch solche Sätze von ihm.

Jedenfalls haben wir das Haus gekauft. Das renovierungsbedürftige,

heruntergekommene Haus hinterm Deich, an der Nordsee, wo sonst.

Und das Unmöglichste haben wir getan. Wir sind hierhergezogen, ohne die Renovierung abzuwarten.

Weil es nicht anders ging. Unser Hausverkauf war schwierig genug. Wir mussten mit dem Preis runtergehen. Der Makler, anfangs noch freundlich, ließ uns immer mehr spüren, dass wir keine Villa zu verkaufen hatten, sondern nur ein Haus ohne Luxusklasse. Kategorie: Einfach.

Und das Einfache brauchte sehr lange, bis es einen zahlungswilligen Käufer fand.

In der Zwischenzeit verhandelten wir mit dem Verkäufer dieses Deichhauses. Er verlor langsam die Geduld.

Als es endlich gelungen war, zogen wir zwar entnervt, doch voller Hoffnung auf das großartigste Leben überhaupt, in diese Einöde. Ein bewohnbares Zimmer genügte uns. Und unsere gesamten Möbel und alle sonstigen Klamotten, brachten wir in dem angebauten Schuppen unter.

Bis die übrigen Räume hergerichtet waren, würde es schon gehen.

Und dann….

Wie schön blau der Himmel ist. Gleich geh ich zum Meer. Zuallererst.

Hier kann ich denken und abschalten gleichzeitig. Nicht wie früher. Aber doch.

Und ich werde nach ihr suchen.

Es ist nämlich so, dass ich jemanden gefunden habe, mit dem ich mich unterhalte.

Menschen sind hier Mangelware. Mein nächster Nachbar wohnt weit entfernt. Eigentlich ja nicht. Sein Haus liegt ein paar Meter von mir entfernt. Nur ist er nie da.

Er benutzt sein Haus als Ferienhaus. Und deshalb seh ich ihn höchst selten. Soviel Ferien hat ja auch niemand.

Trotzdem unterhalte ich mich. Es geht ja nicht immer mit Bastian. Obwohl er mir ja nahe ist. Ich muss nur an ihn denken, dann unterhalten wir uns. Er spricht mit mir. Nicht viel. Aber ist ja klar. Er war zu

Lebzeiten wortkarg. Warum sollte er sich geändert haben?

Es ist eine Möwe, mit der ich mich unterhalte.

Ob das geht?

Und wie!

Das Haus hinterm Deich

Von wegen der Schilddrüsenfunktion…

Alsoooo - damit gibt es ohnehin keine Probleme.

Ob mit oder ohne Stress.

Weil - bei uns schweben die Jod S11-Körnchen sozusagen in der Luft.

Man braucht nur tief durchzuatmen.

Eine anständige Portion Jod könnte sie auch vertragen, finde ich.

Ich meine die Menschenfrau, die vor dem Haus vom alten Hansen steht.

Mir war lange Zeit gar nicht aufgefallen, dass da wieder jemand eingezogen ist.

Das Haus stand seit letztem Jahr leer.

Davor haben polnische Saisonarbeiter drin gewohnt, die zur Kohlernte zu uns kamen.

Das Haus war völlig heruntergekommen.

Oft hab ich da nicht vorbeigeschaut, es gab ja nichts mehr zu holen dort.

Bis ich eines Tages die Frau entdeckte.

Die stand vor dem Haus und raufte sich die Haare.

Ich würde mir auch die Federn rupfen, wenn ich in so einem Haus wohnen müsste, dachte ich, und bin neugierig nähergeflogen.

Sie hat mir zugewunken und allerlei gerufen und erzählt.

Ich hab aber erstmal einen auf Unbeteiligt gemacht. Ist nicht gut einem Menschen gleich so um den Hals zu fallen.

Aber wie sie mir zugewunken hat… ich hab es kaum fassen können. Man winkt einer Möwe nicht zu, man winkt ihr hinterher. Kleine weiße Möwe…

Ich werde es ihr bei Gelegenheit mal erklären.

Vielleicht wäre jetzt, wo ich vom Priel zurückkomme, die passende Gelegenheit.

Sie steht da vor der Tür und sieht ziemlich zerknittert aus. Wahrscheinlich ist sie eben erst aufgestanden.

Darum das Jod.

Tieeeeef durchatmen… Ja. Genau so.

Gut macht sie das.

Und schön strecken.

Alsooo - für eine Menschenfrau sieht sie ganz passabel aus.

So etwa in meinem Alter, würde ich mal sagen. Im übertragenen Sinne. Umgerechnet, meine ich.

Bei den Menschen muss man das Doppelte von meinem Alter draufpacken. Eher noch etwas mehr.

Na schön - ganz so alt wie ich ist sie vielleicht doch noch nicht.

Sie wird die Februarstürme ganz bestimmt überleben.

Wobei - festgelegt hab ich mich ja noch nicht. Nööööö, durchaus nicht.

Ich bin 30 Jahre alt. Das weiß ich, weil, als ich ein Küken war, alle ein Riesengeschrei wegen Tschernobyl veranstaltet haben.

Mit 'alle' meine ich natürlich die Menschen. Dass man dies nicht essen sollte, und das nicht. Also haben sie es weggeworfen, und wir haben uns den Wanst gefüllt.

Wahrscheinlich hab ich deshalb so spät erst fliegen gelernt. Weil ich so fett war. Ich hab gedacht, ich könnte, und bin gesprungen. War aber nicht. Zumindest hab ich eine weiche Landung im Gras hinbekommen.

Unsere Kolonie war auf dem Flachdach eines Hotels gelegen. Sehr praktisch. Auch für mich. Weil, als ich einmal unten war und nicht mehr hochkonnte, haben mich die Küchenleute aufgepäppelt. Darum meine besondere Beziehung zu den Menschenwesen. Will sagen - sie sind mir nicht unsympathisch.

Die Frau schon gleich gar nicht. Offen gestanden - sie interessiert mich schon sehr. Sie scheint fremd hier zu sein und kennt sich nicht aus. Sie hat mir schon wieder zugewunken.

Einen Mann scheint sie auch nicht zu haben. Eine Witwe vielleicht. So wie ich eine bin. Der Meinige hat schon vor Jahren das Zeitige gesegnet. Ja, so ist das mit den Kerlen.

Ich flieg mal zu ihr hin.

Eine Bekanntschaft

Da ist sie ja. Was sie wohl schon alles gesehen hat. Auf jeden Fall mehr als ich. Sie hat es ja einfach.

Sitzt da. Langweilt sich. Überlegt kurz. Und schon steigt sie auf.

Das kann ich ja nicht. Und ich weiß gar nicht, wie alt Möwen werden können. Ich nehme an, dass sie noch jung ist. So alte Möwen sehen ganz anders aus. Irgendwie abgeklärter. Grübeliger.

Sie aber ist nicht abgeklärt. Sie grübelt auch wahrscheinlich nicht.

Sie weiß nicht mal, was das ist.

Sie schreit herum, und lacht, und hat viele Freunde. Klare Zeichen für Jungsein.

Im Moment ist mir nicht danach. Ich bin ja sowieso nicht mehr jung. Ab einem gewissen Alter kann man machen was man will.

Man denkt sich in sich zurecht. Altersgerecht. Denk ich jedenfalls.

Bastian hat mich immer nur angesehen, wenn ich sowas in der Richtung von mir gegeben habe.

'Du kannst es immer besagen', meinte er nur, und schüttelte den Kopf.

Besagen, auch so ein Wort von ihm.

Mist, mir ist so richtig nach Heulen. Nein, stimmt gar nicht. Ich muss weinen. Das ist etwas anderes.

Hier hört mich keiner, wenn ich die Nase hochziehen muss, die Tränen sind schuld daran.

Und die Möwe stört sich nicht daran. Sie heißt Emily. Ich nenne sie so. Innerlich. Nach außen hab ich mich noch nicht getraut. Ich kann doch nicht Emily rufen. Oder doch? Wie albern das ist.

Du kannst ganz schön albern sein. Hat Bastian zu mir gesagt. Er war nie albern. Er hätte niemals eine Möwe Emily genannt.

Ich finde es nicht albern. Es ist doch schön.

Wenn die Möwe Emily ist. Dann kann ich persönlicher mit ihr sein. Praktisch kann ich mit ihr menscheln.