Nele & Robert - Lisi Schuur - E-Book

Nele & Robert E-Book

Lisi Schuur

3,8

Beschreibung

In diesem Roman geht es um die Liebe. Die Liebe zweier Menschen, die bereits ein gutes Stückchen jenseits der 50 sind. Doch jung geblieben. Um nicht zu sagen: große Kindsköpfe. Wir werden zusehen können, wie sie zueinander finden. Und sich weiter finden werden. In Düsseldorf, wo Nele zu Hause ist, begegnen sich die beiden zum ersten Mal, in Hamburg, wo Robert wohnt, wird der größte Teil dieser Geschichte stattfinden, bevor es zum Schluss nach Düsseldorf zurückgeht. Doch damit fängt es eigentlich erst an ...

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Lisi Schuur

Stammt aus Westfalen. Wohnt in Ratingen.

Eike M. Falk

Stammt aus der Pfalz. Wohnt in Hamburg.

Die Ausstellung hatte beiden gefallen. Der Besucherandrang hielt sich zum Glück in Grenzen, und - keine einzige Führung heute.

Nele, Gisela stupste sie an, sieh dir mal diese Vase an. Sie waren im Museumsshop gelandet. Das gehörte sich so, ein bisschen stöbern ist doch schön. Die Vase war bezaubernd, sie schien aus Murano Glas zu sein. Doch da gab es noch etwas viel Schöneres.

Gisa, rief Nele, wir gehen rüber und schauen uns die Hentrich Glassammlung an, was meinst du? Du wirst dich wundern, was es da für schöne Sachen gibt.

Gisa war recht unentschlossen. Sie wollte sich eigentlich auf den Weg machen. Sie fühlte sich ziemlich erschöpft und dachte an die lange Fahrt, die sie noch vor sich hatte. Aber nur kurz, meinte sie, und Nele freute sich. Sie fiel Gisa um den Hals und beide schoben lachend ab.

Fast wären sie die breiten Treppenstufen hinuntergefallen. Das hatte auch ein Mann bemerkt, der die beiden schmunzelnd betrachtete.

Och, dachte Nele, der sieht wirklich nett aus. Es war der, der ihr schon im Gebäude aufgefallen war. Sie standen am Aufzug, und er suchte die Garderobe.

Auf der anderen Seite hinter einem großen Teich mit Springbrunnen, führten wiederum Treppenstufen zur Glassammlung.

Drei andere Besucher waren mit ihnen angelangt. Der Herr von vorhin war auch dabei.

Kurz hatten sie sich angelächelt.

Na, da bin ich gespannt, was mich hier erwartet, hatte er gemeint.

Nele hatte keine Lust ihre Jacke abzugeben, und Gisa sowieso nicht, sie war schon mehr oder weniger auf dem Absprung. Dabei fing es doch schon sehr interessant an.

Gleich am Anfang konnte man sich ein Video ansehen. Es ging darin um eine Glashütte, in der ein Künstler seine Ideen umsetzen ließ. Und umrahmt von Glasskulpturen stand da eine Bank, auf die man sich setzen konnte um sich alles anzusehen.

Nele war schon längere Zeit nicht mehr dort gewesen. Aber wie immer war es auch heute. Da schlich sich so ein Brennen in ihre Brust. So ein Gefühl der Wohligkeit und des Glücks und so ein Ichkönntewahnsinnigwerden. Klar, es gab keine Worte dafür, die anderen konnten so etwas gar nicht nachempfinden. Vor ihr stand ein kleiner Kubus von Gerd Kruft. GLAS, so rein und wunderherrlich. Ist das nicht wunderherrlich, fragte sie laut und neben ihr stand der Mann von vorhin und nickte. Gisa war schon weitergegangen, sie konnte sich nicht so Recht begeistern für diese Kostbarkeit.

Kennen Sie den Künstler, fragte er. Und sie erzählte ihm, dass Gerd Kruft in Essen wohnt und welche wunderschönen Sachen er machte.

Und Sie, fragte er, wo wohnen Sie? Ich wohne in Kaiserswerth, antwortete Nele, bin mit meiner Freundin hier. Sie hat es eilig, sie wohnt in Norden, und will unbedingt noch heute mit dem Auto dorthin fahren. In Norden, fragte er, bei Emden? Ja, ganz schöne Entfernung, nicht? Wohnen sie in Düsseldorf. Nein, sagte er, bin nur beruflich hier unterwegs, ich komme aus Hamburg.

Es war schön gewesen in Düsseldorf, der Besuch bei Sonya und Franz, gastfreundlich und freundschaftlich wie nur je.

Er kannte die beiden von der gemeinsamen Studienzeit, nun, in verschiedenen Fachbereichen, aber damals hatten sie sich kennengelernt und auch damals schon waren die beiden ein Paar gewesen.

Lange Jahre hatten sie gemeinsam in Köln, im Wallraf-Richartz gearbeitet, aber vor zwei Jahren waren sie nach Düsseldorf ans NRW-Forum gewechselt.

Sie hatten immer zusammen gearbeitet, wenn auch in anderen Abteilungen der jeweiligen Museen, Franz in der Verwaltung, Sonya im Ausstellungsbetrieb, aber sie blieben zusammen, wie sie auch als Paar zusammengeblieben waren.

Sein Kontakt zu den beiden war nie abgerissen. In Köln hatte er sie oft besucht, wie auch sie, wenn sie in Hamburg zu tun hatten, zu Gast bei ihm waren.

In Düsseldorf, allerdings, war dies sein erster Besuch gewesen. Die Stadt kannte er gar nicht. Natürlich war er häufig von hier aus geflogen, war umgestiegen, aber die Stadt selbst hatte er niemals besucht.

Wenn er nicht zu diesem Colloquium eingeladen worden wäre, hätte es damit wohl noch länger auf sich warten lassen. Gut, dass es so gekommen war. Denn es war schön gewesen. Er hing einem Gedanken nach, den er festzuhalten suchte.

Am Bahnhof noch hatte er die jüngste Ausgabe der Geo und den Natinal Geographic gekauft, dazu lag eine deutsche Neuübersetzung von Gauguins Noa Noa aufgeschlagen auf seinen Knien. Er hatte das während der Fahrt durcharbeiten wollen.

Daran war nicht zu denken. Der ICE hatte Geschwindigkeit aufgenommen. Draußen flog die Landschaft vorbei. Und da war ein Gesicht im Fenster. Und ein Lachen aus rotem Mund. Ihr Gesicht. Und ihr Lachen. Sie hatte wundervoll Lachen können.

Wunderherrlich. Er versuchte diesen Eindruck zu verdrängen und blätterte mechanisch eine Seite des Buches um. Es war aussichtslos. Seine Gedanken blieben gefangen.

Sonya und Franz, die beiden, gingen immer noch miteinander um wie ein frisch verliebtes Liebespaar. Und da war nichts Gespieltes daran. Das war so. Wie konnte das nur sein?

Und natürlich freute es ihn. Und natürlich freute es ihn, sie so zu erleben. Auch wenn er es sich nicht vorstellen konnte. Weil er es nicht erlebt hatte. Es schien ihm wie eine Fata Morgana. Ein Luftgebilde. Wie in einem Märchen aus 1001 Nacht.

Sie hatten ihn zu einer Ausstellung mitgenommen. In den Kunstpalast.

Dort war er ihr begegnet. Er war vor einem kleinen Kubus des Glaskünstlers Gerd Kruft stehen geblieben. Und dann war diese Frau neben ihm aufgetaucht und hatte dieses Gebilde `wunderherrlich` gefunden.

Wie. Kann. Jemand. Etwas. Wunderherrlich. Finden. Er sezierte den Satz. Wunderherrlich. Er hatte das noch nie jemanden sagen hören. Und wenn er jemals jemanden das hätte sagen hören, dann hätte er, da ist er sich ganz sicher, stehenden Fußes kehrt gemacht und wäre davongestürzt, geflohen.

Dieser Ausdruck, das war doch die Quintessenz von Gefühlsduselei, oder?

Und was war geschehen? Er war stehen geblieben. Und nicht einfach so. Wie gebannt.

Zunächst war es die Stimme gewesen. Diese kräftige, sich sehr bewusste Altstimme, die alles andere als kitschig klang. Und der rheinische Tonfall darinnen, den er mochte.

Und dann hatte er sich umgedreht. Und hat in diese lachenden blauen Augen gesehen. Und dann hat er es sich selbst sagen hören: Wunderherrlich … ja, ich denke das trifft es. Hatte er gesagt.

Und sie haben zusammen gelacht. Und sie hatten noch viel zusammen zu lachen an diesem Abend. Der ihm wie ein Tanz erschienen war. So leicht.

Er schaute auf aus seinen Gedanken. Und er sah ihr Gesicht im Fenster.

Cornelia. Aber alle nennen mich Nele. Robert.

Und Nele. Was für ein schöner Name. Cornelia. Nele.

Lachen. Durch die Räume streifen. Ihre rheinische Altstimme. Ihre Schönheit. Sie war von innen wie von außen schön.

Sekt hatten sie getrunken, Moselsekt. Und hin und wieder einen Happen gegessen.

Cornelia hatte ihn Bekannten von sich vorgestellt, aber es war ihm wie ein fernes Raunen vorübergegangen auf ihrer Wanderung, so kam es ihm vor, als ob sie gemeinsam eine neue Welt zu entdecken gingen.

Von sich hatte sie nur wenig erzählt, er von sich auch nicht, das bedauerte er nun und hoffte, dass auch sie es bedaure.

Immerhin hatten sie sich etwas später des Abends auf Facebook befreundet. Ausgesprochen albern war das gewesen. Und Facebook nicht unbedingt sein Metier. Aber er war da vertreten. Sie auch. Und so war es denn dahin gekommen.

Er hätte sie liebend gerne nach ihrer Telefonnummer gefragt. Aber das wäre wohl verfrüht gewesen. Und auch von ihr kamen keine Anreize in dieser Richtung. Nein. Es wäre eindeutig zu früh gewesen. Und doch nicht verkehrt. Und doch hätte er es gerne so gehabt. Andererseits – zu welchem Ziel? Was hätten sie sich am Telefon zu sagen gehabt? Dieser eine Abend, das war nicht genug. Und doch wiederum – ein Anfang. Ein Anfang – wozu?

Ein Anfang im Tanz. Ein Anfang im Traum aus 1001 Nacht. Durch die Räume. Wie beschwingt.

Sonya und Franz hatte er gänzlich aus den Augen verloren. Sie ihn aber nicht. Sie hatten ihn begleitet. In gewisser Weise. Sie würden es ihm unter die Nase reiben. Denn der Abend hatte ein Ende. Es hieß Abschied nehmen.

Cornelia wohnte in Kaiserswerth, das war ein Stadtteil im Norden. Nahe des Flughafens, nahe des Rheins. Sonya und Franz wohnten in Meerbusch, auf der anderen Seite. Abschied. Ein Kuss auf die Wangen. Cornelia würde mit Freunden fahren. Sonya, Franz und er ein Taxi nehmen.

Ein Kuss auf die Wangen…

Und ihr Gesicht im Fenster. Es würde ihn begleiten. Es würde ihn nicht verlassen. Er würde es in jedem Fenster sehen. Er war verliebt.

Und Sonya und Franz hatten es ihm genüsslich unter die Nase gerieben. Gnadenlos. War das so offensichtlich gewesen? Während der Taxifahrt trieben sie ihre Späße. Und er wie im Traum. Aber konnte das sein? Konnte man sich so Hals über Kopf verlieben?

Offenbar schon. Ja. Er war verliebt. Und er war es wie ein kleiner Schuljunge. Staunend. Wie beim ersten Mal. Da gab es kein Vertun. Und er staunte über sich. Und seine Gedanken hingen in der Luft. Wie sollte er wieder zu Boden finden? So ging das nicht. So konnte, so durfte das nicht sein. Und doch – war es so.

Ihr Gesicht im Fenster. Rote Lippen. Blaue Augen. Es war schön.

Es war angenehm sich mit ihr zu unterhalten. Und ich möchte es wieder und wieder tun. Tagelang. Wenn sie das möchte. Wenn ich das möchte. Wenn wir es so wollen.

Wir könnten auch schweigen. Ich bin mir sicher. Wir könnten auch schweigen miteinander. Ja, da bin ich mir ganz sicher. Ganz vortrefflich schweigen könnten wir.

Zweifel. Ja. Zweifel gibt es auch. Ob das ausreichen wird. Reden und Schweigen. Fehlt da noch was?

Robert starrte aus dem Fenster. Sie war weg. Wieso war sie verschwunden? Wohin?

Er würde sie wiederfinden. Es würde sich eine Gelegenheit ergeben. Sie hatten sich verabredet. Recht vage. Doch immerhin. Cornelia würde nach Hamburg kommen. In zwei Wochen bereits. Sie wollte eine Freundin besuchen. Bis dahin…

Robert lehnte seinen Kopf zurück in die Polsterung. Der Gauguin entglitt ihm, fiel zu Boden. Er verharrte einen Moment. Dann hob er das Buch auf.

Bis dahin…

Würde er Qualen leiden. Er wusste es. Wie ein kleiner Junge. Ein Pubertierender. Einer, der von gar nichts eine Ahnung hatte. Es war unglaublich. Es war ungeheuerlich. Facebook. Er würde sich an Facebook festhalten müssen. Eine…eine Strategie entwickeln ihr nahe zu sein. Es war … erniedrigend … wie konnte er nur solche Gedanken verfolgen. Und doch formte sich etwas in seinem Kopf. Ein Schuljunge! Oh Gott!

Er sah aus dem Fenster. In die Landschaft hinaus. Irgendwo kurz vor Bremen.

Der Abend war wirklich schön gewesen. Bei Sekt und Häppchen hatte sie sich nett mit ihm unterhalten. Robert hatte beruflich in Düsseldorf zu tun. Er war in Begleitung eines Ehepaars gekommen. Es waren alte Freunde von ihm, hatte er erzählt. Sie wohnten in Meerbusch und klagten sehr über den zunehmenden Lärm der Flugzeuge. Gisa hatte Wiebke entdeckt, sie war mit ihrer Mutter, einer Ärztin, hier. Nele sah sie heute zum ersten Mal. Wiebke kannte sie von der Schule. Sie war etwas älter und kannte sich schon damals gut mit Kosmetik aus. Vor allem benutzte sie einen Kajal Stift. Nele erinnerte sich daran, wie sie ihn auf der Schultoilette ausprobiert hatte. Und dazu gehörten fast weiße Lippen. Also nahm sie Penaten Creme für den Mund, sie besaß keinen weißen Lippenstift. Sie fand sich damals sehr hübsch damit. Na, ja ......

Jedenfalls waren die drei hellauf begeistert sich wiederzusehen. Sie hatte also die meiste Zeit mit Robert verbracht. Seine Freunde schienen sehr nett zu sein. Sie hatte sich mit allen gut unterhalten. Robert hatte eine angenehme Stimme. Er sprach aber keinen Dialekt. Er lachte viel, und ihr kam es vor, als kenne man sich schon lange. Schade, er wohnte ja in Hamburg, und so würde man sich eher nicht wiedersehen. Sie hatte ihm von ihrer Absicht erzählt, über Ostern eine Freundin in Norderstedt zu besuchen. Er schlug sofort ein Treffen vor. Aber sie waren dann vom Thema abgekommen.

Immerhin hatte sie noch Kontakt zu ihm. Er war bei Facebook und sie hatten sich dort angefreundet. Am Abend noch, wie Kinder, Handy raus und Freundschaftsanfrage beantworten.

Blaue Augen und graumeliertes Haar, und so herzlich und Küsschen links und rechts und er hat mich so angesehen. Quatsch, doch, er hat mir auch die Hand etwas mehr gedrückt und auch anders. Zu blöd, dass Gisa es auch mitbekommen hat. Sie hat wie immer tausend Einwände, dabei hab ich ihr nur gesagt, dass ich ihn nett finde, und dass wir uns in Hamburg wiedersehen. Ja, und, was soll das bringen, typisch Gisa. Ich werde auf jeden Fall bei fb schnögern. Aber Mist, wenn er gebunden ist. Du glaubst auch jedem, du bist viel zu leichtgläubig. Jaaa, mir egal, dann bin ich es eben. Irgendwie ist er doch so nett und geht mir nicht aus dem Kopf. Aber das hat nichts mit Verliebtheit zu tun, oder doch? Gut, dass niemand hört, was ich so denke.

Sie hatte natürlich bei fb nachgesehen. Nur im Auto war die Verbindung so schlecht, und irgendwann hatte sie aufgegeben. Gisa setzte sie vor ihrer Haustür ab und beide verabschiedeten sich im Auto.

Vor dem Zubettgehen natürlich noch bei fb reinschauen. Er hatte Freunde, die weit entfernt wohnten. Ein paar Fotos gab es auch, und sie sicherte sich sein Profilbild.

Lächerlich, es darf ja wohl nicht wahr sein. Aber jedenfalls kann ich ihn mal ansehen, wenn ich möchte. Es weiß ja niemand davon.

Dabei wusste sie sowieso wie er aussah. War sie verliebt? Es war wie früher. So ein Gefühl im Bauch. Und dieses, ich möchte zu ihm. Und dann es sich ausmalen, und dann noch mal überlegen, was er an dem Abend so gesagt hatte, und dann nochmal an die Küsschen denken und an den Händedruck, und überhaupt, mal eben schnell das Bild anschauen, und schnell das Handy wieder aus und träumen...

Und bald war Ostern. Und dann sah sie Marion wieder und ihn - vielleicht.

Die Reise zu Marion stand bevor, Robert hatte nichts mehr von einem Treffen erwähnt…

Sie musste sich die Fahrkarte endlich besorgen. Vorher schaute sie sich im Internet nochmal die Zugverbindungen an. Na, wenn ich schon hier bin, dachte sie, schadet ein kurzer Blick bei fb nicht.

Na bitte, eine Nachricht für mich. Oh, von Robert. Ich schick dir mal meine Telefonnummer. Du wolltest mich doch besuchen, oder? Sag mir, wann du Zeit hast, dann können wir uns verabreden.

So, und nun? Der Alltag hatte sie längst wieder und Tim hatte sich auch schon wochenlang nicht gemeldet. Zwischendurch hatte seine Freundin sie angerufen, und ihr ihr Herz ausgeschüttet. Meine Güte, dachte Nele, was geht mich das an. Dabei, stimmte es ja nicht. Gerade sie ging es was an. Das kommt davon, meinte Marion, als sie ihr davon erzählte, du ziehst dir alles an, typisch Helfersyndrom. Wenn er kommt und wieder Geld will, gib ihm keins. Er nutzt dich nur aus. Seine Freundin wollte ihn aus der Wohnung werfen, hatte sie erzählt. Er sei so unzuverlässig und dauernd in Geldschwierigkeiten.

Aber Marion hatte Recht. Sie musste sich wirklich mal anders benehmen. Sie freute sich auf Marion, ihr konnte sie alles anvertrauen. Sie hatte schon angedeutet, dass sie Robert besuchen wollte, eventuell.

Jetzt schien es ja zu klappen mit dem Treffen.

Ich muss mich aber zwingen etwas distanzierter zu sein. Was soll er von mir denken, wenn ich ihm um den Hals falle. Also, mal hübsch gesittet und vor allem nicht so spontan. Er findet es bestimmt aufdringlich. Und überhaupt hat er es wahrscheinlich aus Höflichkeit gesagt, dass so ein Treffen schön wäre. Ich weiß doch selbst, was man so daherredet. Und ob man sich bei Tageslicht auch nett findet, ist ja noch die Frage. Trotzdem, ich freu mich schon so. Ich hab das Bild im Kopf nicht verloren, und seine Stimme hab ich auch noch genau im Ohr. Boah, diese Musik gerade im Radio, Lucy Jordan, Marianne Faithfull, passt auch gerade gut. Ich ruf ihn gleich an. Nein, ich warte lieber noch, er denkt sonst noch, dass ich nichts anderes zu tun habe, als ihn sofort anzurufen. Ich ruf später an.

Robert war auf Facebook vertreten, weil einige seiner Freunde, Kollegen auch, aus Australien, in der Südsee, auf dieser Plattform aktiv waren und sich von Zeit zu Zeit auf diesem Wege bei ihm meldeten. Er selbst bevorzugte die klassische Form des Mailens und hatte auf Facebook nur sehr selten etwas zum Besten gegeben.

Doch nun, da er Cornelia dort wusste …

Er besuchte ihre Seite. Es war nicht sehr erhellend. Auch sie schien sich dort nicht allzu sehr auszulassen. Ein Gruß von einem Freund oder einer Freundin. Und von ihr einige Fotos von Kunstausstellungen, die sie besucht hatte, nun, dass sie sich für Kunst interessierte, das war ihm nichts Neues mehr. Doch was hatte er erwartet? Als er in der Bahn saß, auf der Heimfahrt, im ersten Überschwang der Gefühle, das war verflogen, hatte sich gelegt, beruhigt. Doch da war und es blieb dieses Kribbeln im Bauch. Wiedersehen wollte er sie, das war überhaupt keine Frage. Der Termin ihres Hamburgbesuches rückte näher. Sie würde über Ostern in Hamburg sein, Anfang April, von Donnerstag bis Montag. Da würde sich doch etwas finden lassen, da würde sie doch etwas Zeit, einige Stunden für ihn erübrigen können…

Es galt sich ein Herz zu fassen. Er erkundigte sich was es so gab und traf eine Entscheidung. Die er ihr in einer persönlichen Mitteilung über Facebook unterbreitete.

Bei welcher Gelegenheit er ihr seine Telefonnummer mitteilte und sie um die ihre bat. Schließlich, wenn man sich treffen wollte, war es doch sinnvoll Kontakt zu halten. Wenn man sich treffen wollte. Sofern sie sich mit ihm treffen wollte. Doch warum nicht? Ein einfaches Nein. Ein einfaches Ja.

Es war ein Ja geworden. Cornelia hatte seinen Vorschlag angenommen.

Robert war der Leiter der Ozeanienabteilung am Museum für Völkerkunde.

Über die Feiertage waren immer besondere Aktionen geplant.

An diesem Samstag, an dem er sich zum Abend hin mit Cornelia verabredet hatte, würde es, was ihre Abteilung anlangte, schwerpunktmäßig um die Stabkarten der Mikronesier gehen. Er würde einen kleinen Vortrag dazu halten und am Nachmittag hatte er gemeinsam mit den Studentinnen und Studenten, die derzeit ein Museumspraktikum absolvierten, einen Bastelkurs für Kinder vorbereitet.

Eine reichliche Anzahl an Bambusstäbchen verschiedener Längen stand zur Verfügung, Kokosbast, Muscheln und Leim. Die Bambusstäbchen dienten dabei sowohl als Gerüst wie zur Darstellung von Strömungslinien oder fester Landmasse, die Muscheln der Markierung von Inseln. Es waren also Seekarten, worum es hier ging. Die Kinder würden zur Vorlage bereitgestellte Stabkarten nachbauen können, sie konnten ebenso gut ihrer Fantasie freien Lauf lassen oder die Gestaltung der ihnen bekannten Inseln von Nord- und Ostsee in Angriff nehmen.

Solche Aktionen bereiteten allen Beteiligten immer größtes Vergnügen und die Zeit verflog wie im nu.

Um vier Uhr war es dann aber vorbei und die Kinder zogen voller Stolz mit den von ihnen gefertigten Kreationen unterm Arm davon, zurück in die Arme ihrer Eltern.

Robert und seine Studenten räumten noch auf, machten sauber, um fünf Uhr waren sie fertig, es wurde aber auch Zeit, höchste Eisenbahn.

Robert wollte noch duschen und sich umziehen. Er hatte sich extra frische Kleidung mitgebracht, bei solchen Bastelaktionen wusste man nie wie man davonkam, er war unbehelligt davon gekommen, aber sicher war sicher.

Um viertel vor sechs hatten sie sich verabredet.

Cornelias Freundin wohnte in Norderstedt, sie würde also bequem mit der U 2 zur Hallerstraße fahren können, wo er sie am Bahnsteig erwarten wollte.

Gleich auf der anderen Straßenseite gab es ein sehr schönes italienisches Restaurant, wo er einen Tisch für sie beide reserviert hatte.

Und gegen acht würden sie in die Kammerspiele gehen, und auch dieses Theater lag gleich um die Ecke.

Vielmehr – der Logensaal der Kammerspiele war ihr Ziel. Eine kleine Dependance, die im selben Gebäude untergebracht war, im Keller gewissermaßen, früher einmal der Fundus des Theaters, beherbergte es nun eine kleine Bühne. Nicht mehr als fünfzig Besucher fanden dort Platz, wobei die Zuschauer an kleinen runden Tischen Platz nahmen. Urgemütlich war es und trug ganz den Charme eines Pariser Cabarets. Und aus dem Bistro des Theaters konnte man mit Getränken versorgen lassen.

Literarische Lesungen fanden dort statt und musikalische Darbietungen. So, wie an diesem Abend.

Veronique Elling, eine großartige Sängerin, die Robert bereits mehrfach erlebt hatte, würde Lieder und Texte aus dem Leben von Edith Piaf vortragen.

Das war das Programm, das er sich ausgedacht und Cornelia vorgeschlagen hatte.

Und sie hatte spontan zugesagt.

Diese Spontanität gefiel Robert und war ihm auch von jener ersten Begegnung in Düsseldorf in besonderer Weise in Erinnerung geblieben. Und nun freute er sich auf ein Wiedersehen.

Doch wie würde es sein?

Eigentlich, dachte Robert, weiß ich gar nichts von ihr. Über persönliche Dinge haben wir gar nicht gesprochen. Sie konnte ja sehr wohl glücklich verheiratet sein, oder in einer festen Beziehung. Nun, aber auch dann würde es ein netter Abend werden – und ihm einen kleinen Stich ins Herz versetzen.

Aber nein, nein – sie war solo, wie er, er spürte das irgendwie. So, wie sie damals miteinander umgegangen waren, es konnte nicht anders sein.

Und wenn sich dieser Eindruck bestätigen sollte, und wenn sich bestätigen sollte, dass sie einander gut verstehen, dann, ja dann würde er es wagen.

Warum denn nicht? Er hatte den Eindruck, dass sie gut zueinander passten. Sie war ein aufgeschlossener, ein weltoffener Mensch, eine Frau, die sich für vieles interessierte, neugierig war. Und so war er doch auch. Man wurde nicht Ethnologe, wenn man ein verschlossener Mensch war. Nun gut, ja, die Bücherwürmer, die sich in den Bibliotheken vergruben, die gab es auch, und auch er trieb sich oft genug in den Archiven herum, aber das war es ja nicht, dabei handelte es sich um eine berufsbedingte Facette.

Er war ein Mensch, der auf andere zugehen konnte, wie auch andere sich ihm gerne anvertrauten, das eine bedingte das andere. Er war jemand, der Vertrauen einflößte, er war es so sehr, dass sich häufig wildfremde Menschen, am Flughafen, in Hotellobbys, an allen möglichen Orten und Plätzen, mit einer Frage, einem Anliegen an ihn wandten. Und auch sie schien ihm ein solcher Mensch zu sein. Ja, sie passten zueinander. Und ja – er würde es wagen.

Im schlimmsten Falle würde es eine Abfuhr geben und einen etwas tieferen Stich ins Herz, doch daran mochte er jetzt nicht denken.

Vielleicht würde es ja auch alles ganz anders kommen. Unnütze Gedanken. Er wischte sie beiseite. Es wurde auch Zeit.

Er meldete sich bei ihr über WhatsApp, fragte, ob sie bereits in der Bahn säße. Es kam auch prompt ihre Antwort, ja, sie sei bereits unterwegs.

Und so machte auch er sich auf den Weg, auch wenn die U-Bahn-Station nicht weit entfernt lag.

Er freute sich jetzt nur noch. Auf einen schönen Abend.

Aus dem später wurde ein bald. Sie hatten ein Treffen für den Samstagabend vereinbart. Er hatte ihr ein Essen und einen anschließenden Besuch in den Kammerspielen vorgeschlagen. Eine Sängerin, auf die er große Stücke hielt, würde dort Chansons von Edith Piaf vortragen. Das gefiel ihr gut, und sie sagte zu.

Ich hätte zu allem ja gesagt. Oder? Wie jetzt, ach komm, tu nicht so. Hauptsache, ich seh ihn wieder. Seine Stimme am Telefon, und wenn er so lacht...hoffentlich klappt das mit der U-Bahn. Aber ich hab es mir ja aufgeschrieben. Und ich hab ja meinen Mund dabei, ich kann ja fragen, wenn ich nicht genau weiß ... Auf jeden Fall werd ich nicht viel essen. Und was soll ich anziehen? Die große Handtasche kann ich nicht nehmen, weil wir ja hinterher noch ... Aber in die kleine passt nicht so viel rein. Ich werd gleich mal testen. Ich freu mich total.

Sie hatte sofort Marion angerufen, und ihr alles erzählt. Weißt du was, hatte die gemeint, ich geb dir meinen Haustürschlüssel, und du kannst zurückkommen wann du willst. Gute Idee, dann musste sie nicht so auf die Uhr schauen. Aber wahrscheinlich wurde es nicht sonderlich spät.

Vor allem, fährt die U-Bahn die ganze Nacht hindurch?

Der Abreisetag stand bevor, und Nele überprüfte nochmal alle Klamotten, die sie mitnehmen wollte. Sie hatte einer Nachbarin Bescheid gesagt, dass sie für ein paar Tage verreisen wollte. Ihr lieber Sohn hatte sich gnädigerweise zwischendurch gemeldet, und sie erzählte ihm von ihrem Besuch bei Marion. Von Robert hatte sie nichts gesagt, Tim musste ja nicht alles wissen. Er erzählte ja auch nur was er wollte. Und über Gisa hatte sie sich gestern aufgeregt.

Sie hatte ihr von der bevorstehenden Reise erzählt, und da ging es los. Sag bloß du triffst dich mit ihm? Ja, super, oder? Das ist wieder typisch für dich, hatte Gisa gemeint. Und gib Marion seine genaue Adresse, wenn mal was passiert. Was soll denn passieren, außerdem hab ich die Adresse gar nicht. Na ja, Gisa war sowieso nur frustriert. Beim nächsten Anruf geh ich nicht dran, nahm sich Nele vor.

Die Zugfahrt war abwechslungsreich. Nette Menschen im Abteil, und ein kleines Mädchen hatte ihr ein Bilderbuch gezeigt. Das lasen sie beide zusammen. Herrlich, das Kind hatte zu jedem Bild eine Geschichte parat. Die Eltern amüsierten sich mit, und bald saß Kathi auf ihrem Schoß und drehte an ihrem Jackengürtel.

Marion hatte sie abgeholt, und wie immer war die Wiedersehensfreude riesig.

Robert ging bis zur Mitte des Bahnsteiges, bis dorthin, wo das Tennisfeld auf den Boden gemalt war, und auf den gegenüberliegenden Tunnelwänden jeweils ein Tennisspieler, eine Besonderheit hier, wegen des nahegelegenen Centre Courts.

In drei Minuten würde die Bahn eintreffen. Drei Minuten freudiger Erwartung.

Der Zug fuhr ein, kam zum Stehen. Robert sah sie gleich, sie war etwas weiter vorne zugestiegen, er ging auf sie zu, die sich, suchend umschauend, nun auch ihn entdeckte. Sie lächelte ihm entgegen.

Er trat auf sie zu. Es gab keine Verlegenheiten. Sie nahmen sich in den Arm, gaben sich einen Kuss auf die Wange.

Das ist schön, sagte Robert, schön dass du gut hergefunden hast.

Der Samstag ließ sich gut an. Sie hatten Freitagsabend lange zusammen gesessen und waren irgendwann todmüde ins Bett gefallen. Marion hatte vorgeschlagen nur kurz shoppen zu gehen, damit sie nachmittags noch Zeit zum Ausruhen hatte.

Mit neuen Ohrringen waren sie zurückgekommen. Die legte sie jetzt an, und Marion fand sie sehr passend zum Outfit.

Sie blickte andauernd auf die Uhr, und endlich ging es los. Marion gab ihr die Zweitschlüssel, brachte sie zur Bahn und wünschte ihr viel Spaß.

Sie stellte sich vor, wie er wohl aussehen würde, und was er sagen würde. Und überhaupt...

Sie stieg aus und sah ihn. Und er lachte, und sie lachte zurück. Er sagte, wie schön, und sie, find ich auch. Und beide lachten.

Ja, er ist wirklich so nett, und genau so, wie ich dachte. Und eigentlich könnten wir in einen Park gehen, und uns auf eine Bank setzen. Aber gedrückt hat er mich nicht so sehr. Ja, wie, du bist blöd, hör jetzt auf, und benimm dich! Oder ins Kino könnte man auch gehen ... Also, ehrlich ... Es war nicht weit zum Restaurant. Robert hatte einen Tisch bestellt, und man merkte, dass er öfter dort verkehrte.

Sie gingen die Treppe zur Straße hoch. Robert warf Nele einen freundlichen Blick zu. Gut schaust du aus, sagte er, ich hoffe, deine Freundin ist nicht böse, dass ich dich ihr heute Abend entführe.

Nein, antwortete Nele. Meine Freundin ist mir nicht böse. Ich glaub, wir waren uns noch nie böse. Das ist ja gerade das Schöne an unserer Freundschaft. Wir nehmen uns ernst, auch wenn wir uns manchmal nicht nachvollziehen können. Nele schaute Robert an, hast du auch einen guten Freund?

Ja, aber es ist recht kompliziert und nicht in wenigen Worten zu erklären, eigentlich ist es sogar ein ganzer Roman, sagte Robert und lachte, aber da waren sie schon oben an der Treppe angekommen, schau, sagte er, die Tennisarena am Rothenbaum, wo die German Open stattfinden, das ist gleich dieses hohe Gebäude hinter uns, und dort hinter dem Sportplatz, was da so rötlich schimmert, das ist das Völkerkundemuseum, wo ich arbeite, von der Straße aus kannst du es besser sehen, wir brauchen nur noch über die Ampel dort vorne, auf der anderen Straßenseite ist dann auch gleich das Restaurant.

Und auf dem Weg dorthin, sie hatten noch einen Taxenstand zu queren, begann Robert bereits munter von seinem Tag im Museum zu berichten. Ein wenig wunderlich ob seiner Gesprächigkeit kam er sich schon vor, er schielte seitlich zu Nele hin, die schien es mit Fassung zu tragen, aber da standen sie bereits vor der Ampel, Robert wies noch einmal auf das Museum hin, sie gingen hinüber, da lag auch schon das Restaurant vor ihnen, etwas tiefer als das Straßenniveau gelegen, gewissermaßen im Souterrain des Hauses. Sie gingen einige Stufen hinunter. Und hinein.

Nele tat es leid, dass sie Robert nach seinem Freund gefragt hatte. Solche Fragen stellt man nur Menschen, die man länger kennt. Sie mochte es ja auch nicht, wenn man ihr zu viel Privates entlocken wollte.

Wie sind denn deine Arbeitszeiten, fragte sie ihn. Habt ihr gleitende Arbeitszeit? Das Museum hätte sie sich gerne mal angesehen. Ihr fiel das Neanderthal Museum in Mettmann ein. Dort gab es auch Aktionstage für Kinder. Sie würde ihn später genauer nach seiner Arbeit fragen. So richtig vorstellen konnte sie sich seine Arbeit nicht.

Draußen war es recht frisch. Gut, dass sie den Mantel angezogen hatte.

Das Restaurant war nicht groß, aber gemütlich eingerichtet. Und die Küche ist gut, sagte Robert. Sie wurden auch vom Wirt persönlich begrüßt und zu ihrem Tisch geleitet, er kümmerte sich auch um die Mäntel der beiden, auch Robert hatte einen übergezogen, wenn auch nicht zugeknöpft. Es ist gut, dass auch du einen Mantel mit hast, sagte er zu Nele, auch wenn es jetzt noch ganz freundlich aussieht, abends kann es durchaus bitter kalt werden und im Laufe der Nacht auf den Gefrierpunkt gehen, zumal in den Außenbezirken wie Norderstedt. Und auch ich wohne etwas weiter draußen, in Wellingsbüttel, nicht ganz so weit wie Norderstedt, aber es liegt etwa in derselben Richtung.

Und auf Neles Frage, ob er öfters hierher käme, weil doch der Wirt sie so freundlich empfangen habe, sagte er ja, nicht oft zwar, aber er käme schon manchmal mit Kollegen hier hin, auch mit Studenten, wenn es etwas zu feiern gäbe.

Nele schaute sich um. Sie mochte es, wenn man sich wohl fühlen konnte in einem Restaurant. Und hier war es ihr angenehm. Den Grappa würde sie ablehnen. Die Bilder an den Wänden waren bunt gemischt. Vor allem aber war es angenehm temperiert. Doch zuerst musste sie sich die Hände waschen. Sie fragte Robert nach den Toiletten.

Als sie zurückkam, sah sie Robert im Gespräch mit dem Wirt. Dieser erkundigte sich nach ihrem Getränkewunsch. Sie bestellte ein Mineralwasser.

Es war schön mit Robert hier zu sitzen.

Er passt gut in die Umgebung, er sitzt da so unaufgeregt und nimmt mir jede Verlegenheit.

Die Kerze auf dem Tisch war angezündet. Sie dachte an ihren letzten Restaurantbesuch in Düsseldorf. Dort brannten alle Kerzen auf den Tischen, ob belegt oder nicht. Das sah wunderschön aus. Sie erzählte Robert davon.

Na, meinte Robert, jetzt kommt das Wichtigste, und reichte ihr die Speisekarte.

Robert schaute auf Cornelia und freute sich an ihrem Anblick, wie sie ruhig in der Speisekarte blätterte. Nur, wie sollte er ihr sagen, was ihm dabei durch den Kopf ging ohne mit der Tür ins Haus zu fallen? Er beschloss genau das zu tun.

Weißt du, sagte er, ich finde es total toll, dass du so spontan zugesagt hast, ich bin da manchmal etwas unbedarft, jedenfalls gibt es genug Menschen, die das so empfinden, wenn mir jemand gefällt, dann zeige ich ihm das, dann gehe ich auf ihn zu, dann versuche ich mit ihm ins Gespräch zu kommen, ich bin da schon so manches Mal auf die Nase gefallen damit, früher, und es wird mir wohl weiter so ergehen, aber irgendwann einmal habe ich beschlossen, dass es gut so ist, dass es mir egal ist, wenn es schief geht, denn auf diese Weise habe ich sehr viele nette Menschen kennengelernt und manche zu Freunden gewonnen, und das wiegt alles andere auf. Und als wir uns vor zwei Wochen in Düsseldorf begegneten, weißt du, da wusste ich gleich, da ist ein Mensch, den ich gerne kennenlernen würde ... aber, und er geriet schon wieder ein wenig in Verlegenheit, wir sollten uns nun wohl besser auf die Speisekarte konzentrieren.

Nele schaute Robert an und schmunzelte. Ja, sagte sie, dann ist es ja gut. Ich hab auch keine Probleme auf Menschen zuzugehen. Aber es sind immer die Nahestehenden, sie betonte das letzte Wort, die damit Probleme haben, bei mir jedenfalls. Sie finden mich wahlweise unmöglich, zu gutgläubig, und sehr unvernünftig. Vor allem, wenn ich angesprochen werde, und mich direkt auf den andern einlasse, finden sie das völlig daneben. Über allen und allem verbirgt sich irgendetwas Undurchschaubares für mich, nicht für sie, sie durchschauen alles sofort.

Weißt du schon, was du essen möchtest? Ich dachte mir, ich nehme die Minestrone, andersrum wären Nudeln auch nicht schlecht.

Robert schaute sie so an, und sie blickte schnell wieder auf die Karte.

Meine Güte, also bitte, fang nicht an zu spinnen. Große Reden halten und sich dann wie ein Teenager fühlen.

Also ich, sagte Robert, und blätterte noch einmal hin und her, ich fände ja Coda di rospo ganz interessant, zumindest hört es sich spannend an, wenn ich nur wüsste, was das ist, ich müsste mal fragen, ich bin nicht so der große Italiener, ach nein, hier steht es ja auch auf Deutsch: Seeteufel, na bitte, na also, warum nicht. Weißt du, ich mag Fisch. Wenn man es mit der Südsee zu tun hat und öfters dort zu Besuch ist, tut man gut daran Fisch zu mögen. Robert lachte. Was magst du denn zu deiner Minestrone trinken? Was mich betrifft, ich nehme ein Viertel von dem Vernaccio di San Gimignano, das ist ein schöner trockener Weißwein, den trinke ich gerne mal, wenn es sich ergibt, auch aus nostalgischen Gründen, ich bin dort nämlich mal gewesen.

Nele konnte sich einen Weißwein zur Minestrone gut vorstellen. Da schließe ich mich an, sagte sie. Er schien ja ein richtiger Weinkenner zu sein. Oh weh, ich hab nicht viel Ahnung von Wein, hörte sie sich sagen, er muss mir einfach nur schmecken.

Sie lachte und nestelte an der Serviette herum. Und, wie oft bist du so unterwegs, in der Südsee? Ich kenne sie gar nicht.

Die Bedienung kam und fragte nach ihren Wünschen. Robert hatte sich für den Seeteufel entschieden und griff zum Weißbrot, das vor ihnen stand. Backen sie es selber, fragte Nele. Nein, ich glaube nicht, meinte Robert, aber es passt sehr gut zum Dip.

Sie griff auch zum Brot und sah ihn an. Ich freu mich schon auf nachher, meinte sie. Ja, ich mich auch, aber zunächst werden wir hoffentlich etwas Leckeres zu essen bekommen.

Doch, du siehst so aus, wie ich dich in Erinnerung hatte, meinte Nele. Und prompt kam von ihm, na ja, es ist ja auch erst zwei Wochen her. Es wär ja schlimm, wenn die Erinnerung schon nach so kurzer Zeit trügen würde.

Doch eigentlich - hatte Robert das so gar nicht sagen wollen, er bekam schon wieder so ein komisches Gefühl. Zum Glück erschien in diesem Moment die Bedienung um nach ihren Wünschen zu fragen. Sie bestellten sich beide noch ein Wasser zum Wein.

Die Südsee, sinnierte Robert, ja, ich fahre eigentlich jedes Jahr dort hin, aber es gehört schließlich zu meinem Beruf. Im letzten Jahr zum Beispiel bin ich auf Samoa gewesen und habe beobachtet und dokumentiert wie ein bestimmter Haustyp nach klassischem Muster gebaut wurde. Mit angepackt habe ich auch dabei, du siehst, es hat durchaus etwas mit praktischer Arbeit zu tun, nicht, dass man ständig in Südseeromantik baden würde, aber natürlich - schön ist es dort, und wie ...

Doch da kam bereits die Bedienung zurück und brachte das Wasser, den Wein, es wurde eingeschenkt. Robert hob sein Glas. Auf einen schönen Abend, sagte er.

Ja, sagte Nele, und schaute Robert an, auf einen schönen Abend. Sie hob ihr Glas und lachte. Schade, wir sind ja schon per du, sonst hätten wir glatt auf Bruderschaft trinken können. Gute Idee, meinte Robert, wir können es ja nun offiziell nachholen.

Komm, sagte Robert und stand auf, gib mir mal einen Tüscher, wie man hier in Hamburg sagt, und du bekommst auch einen, so, wunderbar, also, äh, ich bin der Robert ...

Nele lachte. Einen Tüscher, das hatte sie ja noch nie gehört. Na gut, sie gab ihm den Tüscher, stellte sich vor und beide setzten sich wieder. Sie besah ganz interessiert die Tischdecke. Schön, meinte sie, wenn die Tische alle gleich eingedeckt sind. Ihr fiel nichts anderes ein, denn innerlich war sie enttäuscht. Was hatte sie sich eigentlich vorgestellt? Das war ja wohl eindeutig von ihm. Er wollte einen netten Abend mit ihr verbringen, und sonst nichts. Ihre psychologisch bewanderten Freundinnen, wie Gisa z.B., hatten es ihr ja auch schon erklärt. Was du immer in alles hineinlegst, typisch für dich, Nele. Dabei wollte sie doch nichts hineinlegen. Es war doch nur, sie fand ihn so nett, und sie war verliebt, und hätte ihn gerne richtig geküsst, oder noch schöner, er hätte begonnen sie zu küssen. Eben kein Tüscher, sondern richtig.

Meine Güte, kitschiger ging es wirklich nicht. Und auf keinen Fall würde sie sich jetzt was anmerken lassen. Oh, rief sie, und schaute ihn nicht an, da kommt das Essen.

Ja, und das Essen kam und es sah richtig lecker aus. Und Robert, seinen Seeteufel betrachtend, sagte, na, auf diese Weise zubereitet sieht er doch recht manierlich aus. Und Nele lachte. Höflich? Zustimmend? Robert wusste es nicht so genau. Weißt du, sagte er, Raubfische schmecken immer gut, aber, sich etwas zurücknehmend, nun lass uns mal essen. Guten Appetit! Und: Guten Appetit! sagte Nele.

Doch dann, während des Essens, fing Robert zu erzählen an. Eine Unsitte. Aber so war er nun mal. War nichts mit zügeln.

Weißt du, sagte er, und schaute versonnen auf sein Glas, wegen San Gimignano, das war so, ich bin da mal mit meiner Frau gewesen, meiner geschiedenen Frau, aber auch das ist schon eine Ewigkeit her, mit der Scheidung, meine ich, aber damals waren wir glaube ich noch gar nicht verheiratet, und geheiratet haben wir, da waren wir beide noch ganz jung, sie 20, ich 21, da hatten wir gerade erst angefangen zu studieren, und geheiratet haben wir nur, weil ein Kind unterwegs war, und wir haben es beide haben wollen, unbedingt, das war die Sannah, und zwei Jahre später ist die Janne noch dazu gekommen. Und die Simone, also meine geschiedene Frau, die litt an einer Krankheit von der ich gar nicht mehr weiß wie sie genannt wird, und die machte, dass sie zuzeiten wie apathisch war und sich dadurch in allem überfordert fühlte, und das wurde immer schlimmer und trat immer häufiger auf, und sie kriegte überhaupt nichts mehr auf die Reihe obwohl ich ihr in allem geholfen habe, mit dem Haushalt und den Kindern, und eigentlich habe ich von einem gewissen Zeitpunkt an alles alleine machen müssen, und das Studium noch nebenbei, also, wir haben uns nur noch gestritten, und eines Tages war sie fort. Mit den Kindern.

Nele wusste nicht was sie sagen sollte. Das war bestimmt keine leichte Zeit für ihn gewesen. Sie dachte an ihre geschiedene Ehe. Du, sagte sie, ich hab mit 19 Jahren Alexander geheiratet und war bereits im vierten Monat schwanger. Als Tim, mein Sohn, 15 war, haben wir uns scheiden lassen. Er hat mich mit einer Arbeitskollegin betrogen, und ich brauchte lange bis ich dahinterkam. Tim wollte bei mir bleiben. Sein Vater hatte aber viel Kontakt zu ihm, jedenfalls früher. Hast du denn deine Töchter immer sehen können? Oder hat deine Ex was dagegen gehabt?

Am Anfang, sagte Robert, und nahm noch einen Bissen von seinem Seeteufel, denn das Essen vergaß er über seinem Erzählen nicht, er konnte das ganz gut miteinander vereinbaren, und ein wenig war es wohl auch seiner Beziehung zur Südsee geschuldet, denn dort machte man das ebenso - beim Essen erzählen - am Anfang war ich es, der sich dem verweigerte, ich war so erbittert ... und mit meiner Doktorarbeit beschäftigt, zwei Jahre ging das so, später habe ich mir bittere Vorwürfe gemacht, und es dann eben doch in die richtigen Bahnen gelenkt. Mit meinen Töchtern habe ich seitdem einen sehr engen Kontakt, und auch jetzt, wo sie erwachsen sind, immer noch. Nur zu Simone nicht. Obwohl ich ihr nie einen Vorwurf machte. Es war eben ihre Krankheit. Sie hat auch noch einmal geheiratet und es ist wieder schief gegangen. Furchtbar traurig.

Nele löffelte ihre Suppe weiter. Zu Alexander habe ich auch keinen Kontakt mehr, er hat seine Tusse von damals geheiratet. Tim besucht ihn zwei bis dreimal im Jahr. Sie hörte auf zu reden, fast hätte sie zu viel von Tim erzählt. Aber ihren Sohn würde sie zunächst mal raushalten, nahm sie sich vor. Und wenn das Thema drauf kommt, werd ich nur oberflächlich antworten. Sie sah Robert an, ja, so ist das im Leben. Es hat alles seine Vor- und Nachteile. Jedenfalls sitzen wir heute hier und essen lecker. Der Wein schmeckt mir übrigens auch, sie lachte, zumindest zur Suppe passt er hervorragend.

Da stimme ich dir zu, sagte Robert. Wir wollen lieber an das Heute denken - und erst einmal aufessen. Und das taten sie. Und dann lehnte Robert sich zufrieden zurück. Du, sagte er, wir haben noch reichlich Zeit. Das Theater liegt gleich um die nächste Ecke. Wie wärs, wollen wir noch einen Nachtisch bestellen, einen Kaffee, oder beides? Und ich erzähle dir, was uns dann erwartet.

Nele entschied sich für den Nachtisch. Und auf jeden Fall Tiramisu muss es sein. Mich zwingt immer jemand zum Tiramisu, obwohl es ja soo kalorienhaltig ist.

Sie sah sich ein wenig um. Die meisten Tische waren mittlerweile besetzt. Für den Nachbartisch hatte sich ein älteres Paar entschieden. Beide wirkten sehr korrekt. Als die Speisekarte gebracht wurde, hörte sie den Mann sagen, du weißt ja, was ich will. Sie darauf, du kannst doch trotzdem noch mal nachsehen, was es so gibt. Warum, meinte er, du machst das schon. Die Dame grummelte nicht lange, und als die Bedienung kam, gab sie die Bestellung für beide auf.

Und auch zu ihnen kam die Bedienung um abzuräumen. Und die obligate Frage, ob es geschmeckt habe. Und Robert sah Nele fragend an. Hat es das? Oh ja, sagte Nele, es war lecker. Dem, ergänzte Robert fröhlich, schließe ich mich unumwunden an. Das freue sie, sagte die Bedienung, und ob es noch Wünsche gäbe, fragte sie. Und Nele äußerte ihr Begehren nach dem Tiramisu. Und auch da war Robert ganz ihrer Meinung, ein Tiramisu käme auch ihm durchaus gelegen, und einen Espresso hätte er gerne noch dazu. Die Bedienung ging und Robert sah Nele an und lächelte, und sie lächelte zurück, auf eine Weise, die Roberts Herz schmelzen ließ, wie kitschig das auch klingen mochte, sagte er sich, aber das gibt es, ohne jeden Zweifel, und wie auch nicht, ich erlebe es doch in diesem Augenblick. Und er freute sich. Und er räusperte sich. Von den Kammerspielen möchte ich dir ein wenig erzählen, wenn es dir recht ist ...

Sicher war es Nele recht. Sie fühlte sich etwas befreiter. Sie hätte nicht sagen können, warum. Es war nur so ein Gefühl. Doch auch das andere Gefühl meldete sich wieder, und sie musste aufpassen auf sich. Cool musste sie wirken, nahm sie sich vor. Er sollte nichts von ihren Gefühlen merken, sie musste einen bleibenden Eindruck hinterlassen, und nahm sich vor, sehr viel Gescheites von sich zu geben. Ach Quatsch, schalt sie sich. Ich mach das nicht. Ich bleib wie ich bin. Ist mir doch gleich, was er von mir denkt. Genau, das war die Lösung. Das Tiramisu wurde gebracht.

Und mit Lust verzehrt. Und Robert schlürfte seinen Espresso. Und fühlte sich wohl, und irgendwie beschwingt, und überhaupt ... lehnte er sich wieder zurück in seinen Stuhl.

So. Also von den Kammerspielen wollte ich dir noch was erzählen. Die wurden kurz nach dem Krieg von Ida Ehre wiedereröffnet. Und dann auch noch mit Wolfgang Borcherts 'Draußen vor der Tür'. Dadurch ist das Haus berühmt geworden.

Mittlerweile ist alles runderneuert, schick und modern eingerichtet, du wirst es ja gleich sehen. Es gibt ein Restaurant, das übrigens auch sehr gut ist, und eine Bar. Und im Logensaal ist es richtig behaglich. Obwohl es heute bestimmt rappelvoll sein wird. Ist ja klar - Edith Piaf. Und die Veronique Elling ist richtig gut. Ich hab uns aber Karten vorbestellt, und der Peter, das ist der künstlerische Leiter, der wird uns schon ein schönes Plätzchen frei halten. Ich bin da nämlich fast so etwas wie ein Stammgast geworden. Denn auch unter der Woche gibt es Veranstaltungen, literarische Lesungen, aber auch die oft mit musikalischer Begleitung, da ist es dann natürlich viel leerer, und auch gemütlicher, in gewisser Weise, und ich gehe da manchmal ganz gerne auch nach Feierabend hin, es ist ja um die Ecke, und ich habe schon viele interessante Entdeckungen gemacht, aber, ach, nun habe ich dir so viel von mir erzählt, ich glaube fast, dass ich dich gar nicht richtig zu Wort kommen lasse, das tut mir leid. Von deinem Sohn weiß ich ja nun, na ja, und Robert lachte fröhlich, zumindest dass es ihn gibt. Aber was machst du denn so, beruflich, meine ich, aber, und er besann sich ein wenig, du musst natürlich nicht, wenn du nicht magst, nicht, dass du dich jetzt von mir überfahren fühlst ...