Streifzüge - Lisi Schuur - E-Book

Streifzüge E-Book

Lisi Schuur

4,9

Beschreibung

Streifzüge Im Zug des Lebens auf Entdeckungsreise gehen was gibt es noch fragen genauer betrachten was lange her etwas streifen was vielleicht sonst nicht aufgefallen wär eine Taschenlampe reicht wie als Kind mit dem Buch unter der Bettdecke nah und fern erkunden und sich selbst

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Eike:

Streifzüge

Wenn du einen Stein

ins Wasser wirfst

wird er Kreise ziehen

die weiten sich aus

die können

ins Unendliche gehen

Streifzüge

das heißt

sich auszuweiten

den Horizont zu überschreiten

meinen eigenen

den Größeren auch

auch deinen

in meinen Augen

zu finden

gemeinsam

einen weiteren Schritt zu wagen

es könnte

der Entscheidende sein

wir werden sehen

wir werden gehen

wir werden sehen

Lisi:

Streifzüge

Im Zug des Lebens

auf Entdeckungsreise gehen

was gibt es noch

fragen

genauer betrachten

was lange her

etwas streifen

was vielleicht

sonst nicht

aufgefallen wär

eine Taschenlampe reicht

wie als Kind mit dem Buch

unter der Bettdecke

nah und fern

erkunden

und sich selbst

Eike:

Der Welt Fragen stellen.

Es ist früher Morgen. Ich trete aus dem Haus.

Ob es wohl regnen wird?

Ob ich den Bus noch erreiche?

Ich habe mich verspätet. Weil die

Kaffeemaschine rumgesponnen hat.

Aber nein. Das war ich.

Ich habe vergessen sie einzuschalten.

Weil mir zehn Dinge auf einmal durch den

Kopf geschossen sind.

Wie schön der Hahnenfuß blüht.

Was macht eigentlich die Amsel da in der

Regenrinne?

Ach ja, natürlich, Regenwürmer suchen.

Nun wird es aber höchste Zeit.

Sonst fällt mir am Ende gar ein roter Schuh

auf den Kopf.

Und was dann?

Lisi:

Der Welt Fragen stellen.

Tausend Fragen mindestens.

Ob dieses oder jenes richtig ist.

Aus der Politik. Ohne Politik. Lobbys.

Grenzen. Flüchtlinge. Brexit. Trump.

Parteien. EU. Erdteile. Blaue Plakette.

Feinstaub. Monarchie.

Nein. Nichts von alledem.

Ich möchte nur eins wissen.

Descartes, den ich anspreche, kann mir nicht

mehr antworten.

Er jedenfalls hat den berühmten Satz

gesprochen.

Cogito, ergo sum / Ich denke, also bin ich.

Da er nicht mehr lebt, stelle ich die Frage an

den, der sie hören möchte.

Wenn ich nicht denke, bin ich dann auch?

Eike:

Ich kenne mich nicht aus.

Hat Wittgenstein gesagt.

Ich kenne mich manchmal auch nicht aus.

In meinem Stadtteil, meine ich, kenne ich

mich ganz gut aus.

Doch dann hat mich jemand angesprochen

und nach einer bestimmten Straße gefragt.

Und mir war die Straße entfallen. Ihr Name.

Und wo sie lag.

Dabei steht dort ein Ahornbaum.

Und warum man einen Daiquiri aus solch

einem Glas trinkt, und die Bloody Mary aus

jenem, ist mir auch nicht geläufig.

Darüber könnte ich mir Gedanken machen.

Sollte ich vielleicht unbedingt.

Selbstverständlich auch über den roten Schuh.

Denn irgendetwas stimmt daran nicht.

Hatte es sich nicht vielmehr um einen

silbernen Schuh gehandelt?

Und ist nicht alles ganz anders gewesen?

Und wieso stelle ich überhaupt solche

Überlegungen an? Was treibt mich dazu?

Lisi:

Was mache ich eigentlich, wenn ich nicht

denke?

Wahrscheinlich schlafe ich. Oder schaue

jemandem zu.

Ob ich beim Kartoffelschälen auch denke?

Ich bin mir sicher. Ja.

Meine Mutter musste nicht denken beim

Kartoffelschälen. Sie hat das täglich gemacht.

Und automatisch richtig.

Ich mache es ganz selten. Und denke jedesmal

dabei.

Weil ich mir immer sagen muss: schäl nicht so

dick. Es bleibt sonst nichts übrig von der

Kartoffel.

Aber meine Mutter hat nicht gedacht dabei.

Sie war aber doch da.

Aha. Descartes widerlegt.

Nein. Irrtum meinerseits.

Descartes hat ja nur gesagt: Ich denke, also

bin ich.

Er schließt ja damit nichts aus.

Ich hab also etwas untersuchen wollen, was

Descartes nie in Zweifel gezogen hat.

Ich hab mich richtig verdacht.

Ich denke, also bin ich.

Ich denke nicht, also bin ich.

Ich existiere, also denke ich oder nicht.

Oder existiere ich gar nicht?

Woher weiß ich, dass ich existiere?

Nicht, dass ich es mir nur einrede...

Ach was. Ich weiß es genau. Ich existiere.

Ohne zu existieren, könnte ich nicht denken.

Ich könnte es mir nichtmal einreden.

Denn um mir etwas einzureden, muss ich da

sein. Also, ich bin erleichtert.

Es gibt mich. Obwohl, da tut sich ja neues

Unheil auf.

Es gibt mich, klar. Aber wer bin ich genau?

Wer denkt da? Wer ist das denkende ich?

Bin ich es ganz? Ist es ein Teil von mir?

Und du, dein roter Schuh, der vielleicht

silbern war.

Was ist, wenn der blau ist, wenn ich ihn sehe?

Eike:

Dann ist er eben blau. Vorstellen kann man

sich vieles.

Und ausdenken.

Ich denke mir den Kugelschreiber.

Und der sagt: 'Ich denke nicht. Also bin ich ein

Kugelschreiber.'

Ganz schön raffiniert.

Weil, indem der Kugelschreiber das

ausspricht, hat er gedacht.

Und ist nicht nur ein denkender

Kugelschreiber, er ist ein Kugelschreiber, der

rückwärts denken kann.

Oder wie war das jetzt?

Egal.

Ich bin. Also denke ich.

Die Katze, der Maulwurf, die Kellerassel.

Sie sind. Und sie denken.

So wie ich.

Und es ist mir egal, ob ich bloß von jemandem

geträumt oder in der Retorte geschwenkt

werde.

Ich bin. Das ist eine unumstößliche Tatsache.

Lisi:

Kann man nur das denken, was man sich

vorstellen kann?

Und wenn es so ist. Wie schade ist das dann.

Man muss also möglichst viel wissen, um sich

viel vorstellen zu können.

Aber dann ist man eigentlich denkverdorben.

Es bleibt immer in den gewussten Bahnen.

Viel schöner wäre es, wenn man wenig weiß.

Aber dafür einen ungeheuren Einfallsreichtum

besitzt.

Ich kenne mich nicht aus. Weiß aber aus der

Not eine Tugend zu machen.

Denn ich besitze Phantasie.

Weiß ich eine Lösung nicht. Ärgere ich mich

nicht. Sondern bezeichne die Aufgabe als

unlösbar.

Und schon bin ich raus aus der Bredouille.

Wenn andere die Aufgabe lösen, ist das prima.

Sie hatten das Vermögen dazu.

Ich hätte sie gar nicht lösen können. Also, kein

Grund zur Aufregung.

Und der Kugelschreiber ist richtig klug. Denn

würde er sich als denkend bezeichnen, hätte er

ein Problem. Denn nur weil er denkt, muss er

ja kein Kugelschreiber sein.

Eike:

Ich denke in Worten.

Meine Worte wissen etwas zu sagen.

Denken ist Lernen.

Ich habe mir die Sprache angeeignet.

Ich habe Wissen erworben.

Denken ist ein beständiges Lernen.

Ich denke weiter.

Ich denke nach.

Lisi:

Für Plato ist Denken das Gespräch der Seele

mit sich selbst. Ich schließe mich Locke und

Hume an. Für sie ist der Stoff des Denkens die

sinnliche Wahrnehmung. Das Denken selbst

ordnet alles ein.

So seh ich es auch. Unsere ganzen

Wahrnehmungen müssen verarbeitet werden.

Das geschieht durch unser Denken.

Das Denken kann auch fehlerbehaftet sein.

Das ist nur natürlich. Man kann sich irren

beim Sortieren.

Das wird auch Wissenden passieren.

Denn niemand ist allwissend.

Außer einem. Der sagt es von sich.

Er ist allmächtig und allwissend.

Nur passt das leider nicht zusammen.

Gott hat sich selbst ins Fettnäpfchen gesetzt.

Wenn er allwissend ist, weiß er bereits wie er

sich entscheidet, und kann deswegen seine

angebliche Allmacht nicht mehr einsetzen.

Jetzt hat mich das Denken also zu Gott

geführt. Und mein Denken hat ihn sofort in

Frage gestellt.

Welchen Denkfehler hab ich begangen?

Eike:

Also, mich darfst du das nicht fragen.

Ich bin da ganz bei den Katzen, Maulwürfen

und Kellerasseln. Obwohl die Kellerasseln

vielleicht den Durchblick haben.

Über Gott denke ich niemals nach. Es sei

denn, was sehr selten geschieht, dass mich

jemand fragt, ob ich an ihn glaube. Dann sage

ich: 'Nein, aber ...', und deute an den Himmel

oder an die Zimmerdecke, als ob sich dort eine

Antwort finden ließe.

Dass das Denken unsere Wahrnehmungen

verarbeitet ist eine Selbstverständlichkeit.

Viel interessanter erscheint mir die Frage,

inwiefern sich das Denken seine eigene

Wahrnehmung schafft, und ob das Denken

nicht überhaupt erst aus der Wahrnehmung

entstanden ist als ein Mechanismus, der von

außen eindringende Reize verarbeitet.

Und im Laufe der Evolution hat es sich zu dem

entwickelt, was es heute für uns Menschen ist.

Und wenn wir weit in die Zukunft

vorausblicken, und sofern wir als Gattung

lange genug durchhalten, werden wir uns zu

wahren Denkmaschinen umgestaltet haben.

Lisi:

Gibt es ein gerechtes Urteil?

Eike:

Ein Urteil.

Au weia!

Ich denke daran ein Urteil zu fällen.

Und fühle mich unbehaglich.

Und dann soll es auch noch ein gerechtes

Urteil sein.

Eine Unmöglichkeit.

Wie auch immer.

Nimm die Justiz.

Dort wird bekanntlich Recht gesprochen.

Mit Gerechtigkeit hat sie nichts am Hut.

Wir sind keinen Deut besser.

Wir alle nicht.

Und doch urteilen wir jeden Tag.

Dutzendfach.

Wir sind wandelnde Urteilsfabrikanten.

Urteilen hier. Urteilen da.

Die Wurst taugt nichts.

Der Lehrer taugt erst recht nichts.

Wir sind mit unseren Urteilen schnell bei der

Hand.

Unbedacht, unreflektiert.

Und dabei soll dann auch noch Gerechtigkeit

walten?

Ein Unding.

Das gerechte Urteil ist ebensowenig unsere

Sache wie die Gerechtigkeit.

Obwohl wir letztere so gerne beschwören.

Die Gerechtigkeit ist eine Utopie.

Lisi:

Ein Urteil zu fällen ist die schwierigste Sache

überhaupt.

Ich verstehe nicht, warum man oft so

oberflächlich damit umgeht. Ein gerechtes

Urteil kann es meiner Meinung nach nicht

geben. Dazu fehlt das Hintergrundwissen.

Und selbst wenn man behauptet genügend

davon zu haben, ist es subjektiv eingefärbt.

Weil schon Objektivität eine Utopie ist. Und

die Gerechtigkeit, da schließe ich mich dir an,

ist eine weitere Utopie.

Ein Urteil muss gültig sein. Es muss alle

weiteren Möglichkeiten ausschließen.

Allerdings möchte ich einen Unterschied

machen.

Wenn es darum geht, Dinge zu beurteilen,

wird oft ein gerechtes Urteil möglich sein.

Wenn Fachwissen vorhanden ist, sollte es

funktionieren.

Aber selbst dann, wird es Urteile geben, die

falsch sind. Weil jeder auf etwas anderes Wert

legt, und dadurch sein Urteil doch wieder

subjektiv wird.

Ich kann mir nicht vorstellen Richter zu sein.

Weil man Menschen verurteilen muss.

Obwohl auch der Richter weiß, dass er

daneben liegen kann. Ich könnte nicht damit

leben, einen Menschen zu verurteilen, wenn

ich genau weiß, dass ich mich irren kann.

Andererseits, wie oft beurteile ich, und nehme

es ohne nachzudenken auf mich, voll daneben

zu liegen.

Ich kann den anderen zwar nicht zu

Gefängnisstrafen verurteilen, aber ich kann

ihm sehr wehe tun.

Deswegen habe ich mich verändert im Laufe

der Zeit.

Zögerlich bin ich. Entscheidungsschwach, sagt

ein anderer vielleicht dazu.

Ich selber nenne es nachdenklich. Abwägend.

Langsamer zu einem Schluss zu kommen. Zu

einem Entschluss. Weil ich so viel bedenken

muss, wird es immer schwieriger.

Und oft laufe ich Gefahr, über zu viel

Verständnis für den Täter, das Opfer zu

vergessen.

Eike:

Wir haben es mit zwei Begriffen zu tun, die

wir sorgsam auseinander halten sollten.

So sehe ich das.

Die Gerechtigkeit ist eine

menschengeschaffene Vorstellung.

Darum haben wir sie wohl beide gleich als

utopisches Gebilde ausgemacht.

Das war eine erste spontane Einschätzung.

Ein Unbehagen hat sich eingeschlichen.

Zurecht, wie ich finde.

Denn was bedeutet Gerechtigkeit?

Einen Zustand zu erreichen, der allen gerecht

wird.

Nein, wie soll das denn gehen?

Einer träumt von der gerechten Welt.

Ein anderer davon, dass ihm endlich

Gerechtigkeit widerfährt.

Und jeder wird es mit guten Argumenten zu

begründen wissen.

Und sofort wird jedem der beiden ein

Gegenspieler aus dem Boden wachsen.

Der ganz anderer Meinung ist.

Mit ebensoguten Gründen.

Und schon hat es sich erledigt.

Es gibt die persönliche Vorstellung von dem,

was Gerechtigkeit ist.

Eine für alle gültige Gerechtigkeit gibt es nicht

und wird es niemals geben.

Lisi:

Wenn wir etwas behaupten, urteilen wir auch.

Vielleicht habe ich immer nur grünes Gras

gesehen. Also ist für mich klar, das Gras ist

immer grün. Ein anderer kennt auch

verwelktes Gras. Er hat also schon mindestens

zwei Farben im Kopf.

Das Urteil hängt also vom Wissen ab. Je mehr

ich weiß, umso besser kann ich urteilen.

Es hängt aber auch von der Art zu denken ab.

Bin ich tolerant, akzeptiere ich den

tätowierten Menschen. Ein anderer sieht in

ihm ein asoziales Wesen, das sich mit

heruntergekommenen Personen einlässt, die

so sind wie der Tätowierte.

Die Beurteilung fällt also sehr unterschiedlich

aus. Und jeder findet eine Begründung, die

ihm zu Hilfe kommt.

Gäbe es nur Menschen, die zögerten mit ihrer

Beurteilung, wäre das auch nicht

erstrebenswert.

Es kann ja nur dann ein Ergebnis geben, wenn

etwas zur Debatte steht.

Dann können sich die Geister scheiden. Dann

wird etwas mehr Licht ins Dunkel gebracht.

Obwohl, das Letzte ist so nicht richtig. Man

muss ja nicht sofort urteilen.

Man kann auch etwas 'zu bedenken' geben. Es

zur Diskussion stellen, und sich abschließend

ein Urteil bilden.

Eike:

Sich ein Urteil bilden.

Eine Meinung vertreten.

Die Meinung des anderen akzeptieren.

Einen offenen Austausch führen.

Eine Idealvorstellung.

Die schwer zu erreichen ist.

Denn irgendwo wird man immer beharren.

Auf seiner Meinung, seiner Wahrheit

bestehen.

Die schließlich hart erkämpft ist.

Nicht wahr?

Davon werde ich doch nicht abweichen!

'Objektiv betrachtet ...'

Erst kürzlich hat mir jemand erzählt, dass er

den Zauberberg unerträglich findet.

Wegen dem ganzen vielen Gesabbel.

Ich war nicht nur empört, ich war schwer

beleidigt.

Weil ich den Zauberberg über alles liebe.

Nicht zuletzt wegen des Gesabbels, ich würde

es geistreiche Plauderei nennen.

So kann es gehen.

Und bitteschön, jeder bildet sich sein eigenes

Urteil.

Aber akzeptieren tu ich das doch nicht.

Nie im Leben :-)

Lisi:

Zu einer geistreichen Plauderei gehören

mindestens zwei.

Und was nützt es, wenn der eine von ihnen

geistreiche Höhenflüge unternimmt, denen

der andere nicht folgen kann.

Also, selbst der Geist ist nicht unabhängig,

wenn er wahrgenommen werden möchte.

Und man kann durchaus bei seiner Meinung

bleiben. Selbst wenn sie falsch ist. Immer

schön mit dem Kopf durch die Wand. Na und,

muss dich ja nicht stören, ist ja mein Kopf ...

Wenn ich überzeugt bin, dass die Meinung des

anderen falsch ist, obwohl 'ich ihn mit der

meinen erleuchtet habe', hat mich das früher

echauffiert. Heute gehe ich meistens mit

einem Lächeln darüber hinweg.

Wohlwissend, dass der andere sich darüber

wiederum aufregt.

Aber, doch, es ist schon so, dass ich meine