Im Märchenwald - Lisi Schuur - E-Book

Im Märchenwald E-Book

Lisi Schuur

4,9

Beschreibung

Ein junger Maler zieht hinaus aufs Land. Dorthin, wo nichts ist als Wald und Moor – und ein großer, weiter Himmel. Den möchte er malen. Unvermittelt sieht er sich in eine Märchenwelt versetzt, die ihn tiefer und tiefer in ihren Bann zieht. Dann lernt er Gjóla kennen…

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 79

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,9 (16 Bewertungen)
15
1
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



eine Erzählung

Ach, es ist so groß, so unendlich,das Reich der Liebe,und doch umschließt esdas menschliche Herz.(Bettina von Arnim)

Wie schön es ist in meinem Märchenwald.

Hier bin ich gerne und ohne Angst. Wenn es knackt und rauscht fühl ich mich wohl.

Ein Schatten, der mir folgt. Wie lange schon, weiß ich nicht mehr. Ich musste ihn ja erst einmal wahrnehmen. So ein kleines bisschen Schatten fällt ja nicht auf. Jedenfalls mir nicht. Ich kenne viele kleine bisschen Schatten.

Irgendwann wurde er aber größer. Ihr wisst schon, dieser Schatten von vorhin. Der doch so schnell gewachsen ist.

Er ist da. Ich fühle es genau. Wie oft er mich schon begleitet hat. Was er sich wohl von mir verspricht?

Aber dich, mein lieber alter Baum, dich würde ich gerne fragen, warum deine Wurzeln so bloß liegen. Kann man sich mit solchen Wurzeln eigentlich fortbewegen?

Ich jedenfalls möchte mich fortbewegen.

Ob er mich hören kann?

Wenn ich fest an ihn denke, vielleicht verschiebt sich ein Bild.

Er wird schon nicht so knorrig sein wie du. Wenn er da sitzt und mich prüfend ansieht. So, wie es ein Maler macht. Irgendwie gefällt er mir. Aber mir gefällt so vieles.

Und dann war da der Tag, da hat er gefragt und nicht nur geschaut.

Darf ich sie malen?

Eine Landschaft willst du malen? Dann gehe ins Moor, rieten sie mir, dort soll es ein ganz besonderes Licht geben.

Ob denn schon viele Maler vor mir danach gefragt hätten, wollte ich wissen.

Nur vor Jahren einmal. Da hat sich einer dorthin auf den Weg gemacht. Doch der sei nicht zurückgekehrt.

Nur wenige Menschen, musst du wissen, leben im Moor. Arme Kätnerbauern sind es, die von der wenigen Landwirtschaft, die ihnen das Moor ermögliche, doch in besonderer Weise vom Torfstechen ihr kärgliches Dasein begründeten.

Nur an Markttagen würden sie mit ihren Lastkähnen die Stadt aufsuchen. Ansonsten blieben sie ganz unter sich, denn wer sonst schon wolle sich ins Moor begeben, unwirtlich und schwer zugänglich wie es ist.

Schweigsam und zurückhaltend seien sie, diese Menschen, doch freundlich auch, wenn man ihnen freundlich begegne. Für ein geringes Entgelt würde ich gewiss eine Unterkunft finden. Wenn ich denn also eine große Landschaft malen wolle, nirgendwo sonst sei sie zu finden wie eben da.

Ich bedankte mich, und folgte dem mir gewiesenen Weg entlang des kleinen Flusses, der sich ins Moor hinein verlieren sollte.

Ein strahlender Frühlingstag war es, das ruhig dahin fließende Gewässer, flache Wiesen zur Seite und dunkelblaue Wälder, die sich, den Kulissen einer Theaterbühne ähnelnd, in der Ferne zeigten. Dazu der tiefe und scheinbar ins Unendliche sich erweiternde Himmel, über den die weißen Wolken flogen, im Wasser sich spiegelnd mir zur Gesellschaft.

Die alte Weide

flüstert mit dem Wind

sie steht gebeugt

und tief ins Wasser

biegend lässt sie

ihre Zweige hängen

worinnen sich die

Frösche wiegend

ihr Konzert anstimmen

Wenn du mich so anschaust, du Großer, mit deinem Lamellenhut, dann fällt mir die Geschichte vom Fliegenpilz ein.

Nein, es war keiner, wie man ihn kennt. Er hatte außer seinen weißen Tupfen drei schwarze. Ich beschreibe euch wo sie waren. Wenn man den Hut in Viertel aufteilte, saßen im oberen linken Viertel diese unpassenden Tupfen. Diese Beschreibung wird euch nichts nützen. Ihr wisst ja nicht, von welcher Seite ich den Pilz betrachtet habe. Aber sei's drum. Märchen passen in meinen Wald. In euren auch?

Ich malte mir schlimme Dinge aus. Mit dem Fliegenpilz war ich mächtig. Ich könnte jeden töten, wenn ich es wollte. Ja, gemein wie ich war (oder bin ich es), hätte ich dem zu Tötenden nur die schwarzen Punkte gezeigt. Die weißen hätte ich sorgfältig mit meinen Händen abgeschirmt.

Dann hätte ich mich töricht gestellt.

Ob man diesen Pilz wohl essen kann? Er hat schwarze Punkte. Und der Unwissende hätte geantwortet.

Wenn er keine weißen Punkte hat, dann auf jeden Fall.

Und mein Gesicht hätte so töricht es ging dreingeschaut. Aber gleichzeitig auch liebreizend. Mir fällt so etwas gar nicht schwer.

Probiert es doch auch mal aus.

Würdest du mir zuliebe ein Stückchen davon probieren? Damit ich sicher sein kann. Ach, bitte, es wäre sehr nett.

Und mein Liebreiz hätte ihn zum Kosten verführt.

Oh, wie spannend zu sehen, wie er die Augen verdreht.

Na ja, zum Glück kam mir kein Feind entgegen. Und wie sich die zarten Blumen an dich schmiegen, du schöner Pilz hier neben mir.

Meist waren es Birken, die das Ufer bestanden.

Die Wiesen wurden weniger, vermischten sich mit Sumpfgräsern, bis sie zur Gänze sich in Moorlandschaft aufgelöst hatten. Krüppelige Bäumchen, wie Streichhölzer so dünn, standen darin, Tümpel, kleine Seen blitzten dazwischen auf.

Was wohl mit mir geschehen würde, wenn ich vom Weg abwiche, überlegte ich mir. Es war ein abgrundtiefes Versinken, dessen schien ich mir gewiss.

Doch der Weg, glücklicherweise, verlief weiterhin in beruhigender Breite zur Seite des Flüsschens. Nur von einer menschlichen Behausung war nichts zu erblicken.

Die Dämmerung nahte, und ich hegte bereits die Befürchtung mein Nachtlager unter einem der das Ufer säumenden Bäume aufschlagen zu müssen, als ich in einiger Entfernung Rauch aufsteigen sah.

Ich strebte darauf zu, und richtig, es handelte sich um eine jener flachen reetgedeckten Katen, die, wie ich bald feststellen sollte, so typisch für die hiesige Landschaft waren.

Diese Häuser machten von außen bereits einen heimeligen Eindruck, in ihrem Inneren waren sie es noch mehr, und sie waren oft von erstaunlicher Größe, was mich zunächst verwunderte, da man mir die Bewohner doch als dermaßen arm geschildert hatte.

Doch es bestand Platz zur Genüge, wenn man es dem Moor abzugewinnen verstand, auch an Baumaterialien fehlte es nicht, und die Menschen hier verwendeten viel Zeit darauf ihre Behausungen so schön und angenehm als es eben möglich war zu gestalten.

Die Kate, der ich mich nun näherte, gehörte zu den Geringeren ihrer Art.

Zögerlich klopfte ich an, und eine freundliche Frauenstimme hieß mich einzutreten.

Mann und Frau nebst fünf Kindern drängten sich in der kleinen doch wohligen Stube. Sie alle waren blond und groß gewachsen und wirkten überraschend stolz inmitten der armen Umgebung. Kaum dass ich um Obdach zu fragen wagte, wurde ich bereits dazu eingeladen, auch solle ich gleich am Tisch mit Platz nehmen, es würde bald aufgetragen.

So war es auch, und zu neunt umsaßen wir den grobgeschnitzten, doch geräumigen Tisch, denn auch ein altes Großmütterchen gesellte sich hinzu, die ich zunächst nicht wahrgenommen hatte, da sie im Schaukelstuhl hinter dem Ofen gesessen.

Es gab Kartoffelsuppe und Brot zum stippen, auch eine Schwarte Speck fehlte nicht, von der sich jeder nach Belieben abschneiden durfte. Hölzerne Becher standen bereit, die von der Hausfrau mit Buttermilch befüllt wurden.

Ob der Maler sich auskennt hier im Moor? Einmal hab ich ihn gefragt, ob die Stadt keine schönen Motive hat. Er schien wie geistesabwesend, schüttelte den Kopf, und bat mich mein Haar zu öffnen.

Er meinte so in etwa, dass das Moor lange, offene Haare vertrüge.

Dabei schaute er nur die Birken an, als ich begann mein Haar zu entflechten. Nicht ganz allerdings. Ich habe einen Blick von ihm aufgefangen.

Und als ich lächelte, nickte er mir kurz zu. Mir war, als würde er durch mich hindurch sehen.

Und weil ich ihn in der Nähe weiß, hab ich mich heute besonders schön gemacht. Ich trage heute ein blaues Kleid.

Nicht, dass ihr jetzt etwas Falsches denkt. Aber ich hab ihn beobachtet, als er sich am Himmel versuchte.

Ja, das hört sich schön an, oder nicht? Sich am Himmel versuchen.

Aber es war tatsächlich so. Ihm schien das Blau nicht zu gefallen. Das ist ja klar. Wer hat denn die Farben hergestellt? Bestimmt war derjenige noch nie im Moor. Der Himmel dort ist anders. Ihr müsst ihn euch unbedingt ansehen. Ich lade euch ein.

Wie ich eben einen Schluck Buttermilch probierte sah ich aus dem Dunkel der Stube einen Graureiher mit langen staksigen Beinen gravitätisch auf mich zu stolzieren und wie selbstverständlich neben mir Platz nehmen.

Neugierig beäugte er mich durch die Gläser einer großen Nickelbrille hindurch.

Verzeihung, sagte er, wenn ich aufdringlich erscheine, aber es kommen nicht allzu häufig Fremde zu uns ins Moor, darf ich vielleicht nach dem Grund ihres Besuches fragen?

Aber gerne, erwiderte ich, ich bin ein Maler, und mir ist nach einer weiten, freien Landschaft mit einem großen Himmel darüber im Sinn, die ich in all ihrer Schönheit und Vielgestaltigkeit auf Papier und Leinwand zu bannen gedenke.

Nun freilich, entgegnete der Reiher, da seid ihr hier nun am rechten Ort, nur frage ich euch, habt ihr denn jemals einen roten Mond gemalt?

Einen roten Mond? fragte ich verständnislos dagegen.

Durch meine Augen betrachtet, erklärte der Reiher, und schob sich seine Brille zurecht, ist der Mond rot.

Wenn ihr es gerne so hättet, meinte ich, wäre ich jederzeit bereit euch einen roten Mond zu malen. Und einen Fisch? fragte er hastig hinterher und sah mir recht eindringlich in die Augen dabei.

Aber gewiss, entgegnete ich, ein ganzes Fuder könnte ich euch malen…

Da – schwanden mir die Sinne, es wurde schwarz mir vor Augen, bis eine monotone Stimme, die mich ob ihres hohen Fisteltones mit größtem Unbehagen erfüllte, mir leise ins Ohr flüsterte:

Blasius, Flasius

Pendulum drehen

Magst uns sehen?

Magst uns sehen?

Aus Neun wird Zehn

Die Zehn vergeh´n

Zum sehen verhelf

Da naht schon die Elf

Die neigt sich zur Zwölf

Und mit einem Male brach ein ungeheures Getöse, Geschrei und Gekreische auf.

Geisterstunde! Geisterstunde!