Der Feind aus alten Tagen - Janwillem van de Wetering - E-Book

Der Feind aus alten Tagen E-Book

Janwillem van de Wetering

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Beschreibung

Ein schweres Gewitter tobt über Amsterdam, als Bankdirektor Martin Ijsbreker erschossen wird. Die vier Gestalten, die in sein Haus eindringen, erledigen nur einen Auftrag. Den Lohn erhalten sie später. Später werden drei tote Junkies in einem Hausboot gefunden. Hoofdinspecteur Halba und Adjudant Guldemeester haben die Ermittlungen ebenso schnell abgeschlossen wie die zum Tod von Bankdirektor Ijsbreker. Klarer Fall: drei tote Junkies = Überdosis Heroin. Ein toter Mann mit Pistole in der Hand und Abschiedsbrief auf dem Tisch = Selbstmord. Als der Commissaris von der Badekur zurückkehrt und sein Team ihm Bericht erstattet von den Vorgängen im Präsidium, den Ermittlungen der Kollegen Halba und Guldemeester und ihren eigenen Beobachtungen, da beschließt der Commissaris, den Fall Ijsbreker nicht auf sich beruhen zu lassen, denn der Bankdirektor stand der Bank de Finance vor, die einem gewissen Willem Fernandus gehört. Willem und er kennen sich schon seit dem Kindergarten, sie sind sogar entfernt miteinander verwandt. Aber befreundet sind sie schon lange nicht mehr. Doch ehe de Gier und Grijpstra richtig loslegen können, sind sie in einen Unfall verwickelt und liegen im Krankenhaus, und der Commissaris wird vom Dienst suspendiert, weil die Reichskriminalpolizei aus Den Haag wegen Korruption ermittelt. Doch das ist noch lange kein Grund für den Commissaris, tatenlos abzuwarten, bis Spuren verwischen und Mörder entwischen.

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Janwillem van de Wetering

Der Feind aus alten Tagen

Roman

Aus dem Niederländischen von Hubert Deymann

Rowohlt E-Book

Inhaltsübersicht

Die HauptpersonenDienstgradeEinsZweiDreiVierFünfSechsSiebenAchtNeunZehnElfZwölfDreizehnVierzehnFünfzehnSechzehnSiebzehnAchtzehnNeunzehnZwanzigEinundzwanzigZweiundzwanzigDreiundzwanzigVierundzwanzigFünfundzwanzigSechsundzwanzigSiebenundzwanzigAchtundzwanzigNeunundzwanzigDreißigEinunddreißigZweiunddreißigDreiunddreißigVierunddreißigFünfunddreißig
[zur Inhaltsübersicht]

Die Hauptpersonen

Martin Ijsbreker trickst andere aus, bis er selbst ausgetrickst wird.

Willem Fernandus liebt nur eines: Geld und die Vergnügen, die er damit kaufen kann.

Fleur Fernandus ist nicht so einfältig, wie ihr Exmann glaubt.

Huip Fernandus ist einfältig.

Heul auch.

Bart de la Faille hat nicht nur Anteil an der Bank de Finance.

Ronnie Rijder steht bei der Bank tief in der Kreide.

Mevrouw Jongs findet Unterschlupf und Gerechtigkeit.

Karel ist ein Kkkünstller.

Mevrouw Antoinette findet endlich einen Mann.

Hoofdinspector Halba freut sich zu früh.

Adjudant Guldemeester freut sich zu spät.

Adjudant Grijpstra sucht nach dem passenden Hintergrund.

Brigadier de Gier lernt sein zweites Ich kennen.

Der Commissaris verabschiedet sich von seinem zweiten Ich.

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Dienstgrade

niederländisch

deutsch

Agent

Polizeiwachtmeister

Brigadier

Polizeihauptwachtmeister

Adjudant

Kriminalmeister

Inspecteur

Kriminalkommissar

Hoofdinspecteur

Kriminalhauptkommissar

Commissaris

Kriminalrat

Hoofdcommissaris

Polizeipräsident

 

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Eins

Ein Donnerschlag ging dem hart niederprasselnden Regen voraus und übertönte den Doppelknall, zwei unbedeutende Geräusche, verglichen mit der ausbrechenden göttlichen Himmelswut. Es war, als ob die draußen aufschlagenden Regentropfen Ijsbreker hier drinnen umsprühten. Der Regen fegte durch das offene Fenster ins Zimmer und spritzte von der Fensterbank auf die Gestalt und den Boden. Draußen hämmerten die Tropfen auf das Straßenpflaster, die Hausboote und die Autos, peitschten die zitternden Blätter hochaufgeschossener Ulmen, schnitten in das ruhige Wasser der Gracht, bis Sturmböen unzählige kleine Wellen aufwühlten, die von noch mehr Regen durchstochen wurden.

Die Leiche lag ruhig da, nachdem ein Krampf die langen Beine hatte erzittern und den kahl werdenden Kopf zucken lassen. Der schlaff ausgestreckte Körper wurde von Blitzen beleuchtet. Die Stadt Amsterdam, aufgeschreckt durch die plötzliche Änderung der göttlichen Laune – es war ein heller Frühlingstag gewesen, windstill unter einem schützenden hellen Himmelszelt –, wartete gelassen ab, bis alles wieder ruhig sein würde. Die Bewohner der Binnenkant, in der Bankdirektor Martin Ijsbreker ein luxuriöses, vollständig renoviertes Giebelhaus besaß, waren sicherlich zu Hause, wahrscheinlich schon im Bett, da die Schüsse abends um elf fielen. Beide Kais der Binnenkant, beleuchtet von alten Straßenlaternen, lagen verlassen da. Nur die Ulmenzweige bewegten sich, baten den Regen flehentlich um Vergebung, während sie versuchten, sich aufzurichten, aber roh wieder nach unten gedrückt wurden, als vier undeutliche Schatten die Steinstufen hinaufrannten, die zu der frisch gestrichenen grünen Tür von Ijsbrekers Haus führten. Die Tür öffnete sich, und drei Schatten huschten den Korridor entlang und die dunkle Treppe hinauf. Der vierte folgte unbeholfen, er ruderte mit beiden Armen und schleppte ein Bein nach. Draußen grollte noch der Donner und dröhnte sekundenlang ohrenbetäubend, und aufblitzendes scharfes Licht machte aus den Schatten Dämonen, ausgestoßen aus den Abwässerkanälen der Stadt, bereit, die Welt zu überwältigen und zu beherrschen. Aber Dämonen knurren und brummen einander in ihrer eigenen Höllensprache an, und diese Schattengestalten sprachen ein Gemisch aus Englisch und Niederländisch. Zwei knieten neben der Leiche nieder.

«Tot?», fragte der dritte.

Der vierte stolperte ins Zimmer, verlor das Gleichgewicht und hielt sich an einer Couch fest. «Pass auf!», zischte der dritte. «Fingerabdrücke. Wisch die Lehne ab.»

«Ja», flüsterte eine Frauenstimme. «Gib mir die Pistole.» Sie wartete, bis das Unwetter wieder losbrach, dann schoss sie. Der weibliche Schatten steckte die Waffe in Ijsbrekers schlaffe Hand und stand auf. «Trottel», zischte die dunkelste Gestalt. «Drück sie ihm noch mal in die Hand, aber wisch die Pistole vorher ab. Wir dürfen keine Spuren hinterlassen. Komm. Mach schon.»

«Nein. Tu du es.» Die Frau sprach auch englisch, aber mit niederländischem Akzent.

Aufeinander folgende Blitze hellten das Zimmer auf und ließen weitere Einzelheiten der Szene erkennen. Das Mädchen oder die junge Frau wich von der Leiche zurück. Blonde Haarsträhnen hingen unordentlich aus der Kapuze ihrer Jacke. Der junge Mann, der dem Toten die Pistole wieder in die Hand drückte, war schwarz. Sein Gefährte, ein Mann mit toupiertem Kraushaar, beugte sich über den Bankier. «Schnell jetzt. This is bad shit. Wir müssen hier weg, so schnell wie möglich. Packt das Zeug zusammen.» Der vierte Eindringling saß halb weggedreht auf der Couch und wischte eifrig mit dem Taschentuch die Lehne ab.

«Gut.» Der Schwarze sprach englisch mit einem rollenden R. «Wir wissen, was mitzunehmen ist, die Gemälde, nicht wahr? Die Statuetten auch? Muss der Schrank wirklich mit? Die Treppe ist so steil.»

«Der Schrank auch», sagte das Mädchen. «Echtes Rosenholz. Der Lastwagen kommt gleich. Fangen wir jetzt an?»

«Unten steht noch mehr Gerümpel», sagte der Kraushaarige. «Ich habe eine Liste. Gemälde und Zeug der Inkas. Alles gutes Geld wert.»

«Ich hoffe, dass sie uns gut bezahlen», sagte der Schwarze.

«Kein Geld. Junk for junk.»

«Wenn das Zeug nur gut ist.»

«Vorrat für ein Jahr vom allerbesten Zeug», sagte das Mädchen, «das haben sie versprochen.»

«Das allerbeste Zeug?», schnaubte der Schwarze. «Wo habe ich das schon mal gehört? Verschnitten mit Dreck. Wir sind bekloppt, dass wir dies tun.»

«Los», sagte der Kraushaarige aufgeregt zu dem Mädchen. «Tu was. Greif dir einen Schatz.»

«Alles in Ordnung, Karel?», fragte das Mädchen. «Du brauchst nicht mitzumachen. Du hättest nicht einmal mitzukommen brauchen.»

Der junge Mann erhob sich mit einiger Mühe von der Couch. «Jaha.» Er sah in seinem sauberen gestreiften Hemd und den tadellos gebügelten Jeans besser aus als die anderen. Sein Gesicht hatte fast klassische Gesichtszüge, wenn es sich nicht verzog von der Anstrengung, etwas sagen zu müssen. Sein kurzes Haar stand etwas hoch. Er wedelte wild mit den Armen, als er sich auf eine Wand zu bewegte. «Ich schahaffe ddas schschon.»

«Oh», stöhnte das Mädchen. «Der Brief. Er liegt noch im Boot.»

«Hol ihn.» Der Kraushaarige machte ein böses Gesicht. «Wenn wir nicht genau das tun, was sie gesagt haben, bekommen wir nichts nach all der Arbeit.»

«Mir ist kotzübel, Jimmy.»

Ihr Freund gab ihr einen Schubs. «Geh. Geh!»

Der Schwarze starrte auf den Regen, der durch das Fenster hereinwehte. «Bleib ruhig, Mann, das Wetter hilft uns.»

«Geh!», schrie der Kraushaarige. «Wir schleppen inzwischen alles nach unten. Der Wagen kommt gleich. Wenn wir nicht in einer Stunde fertig sind, kommt vielleicht die Polizei.»

«Ja, weißer Chef», sagte der Schwarze. «Ich bin schon bei der Arbeit.» Das Mädchen kam zurück. «Hier ist der Brief.» Der Kraushaarige legte das Papier auf einen niedrigen Tisch und stellte eine Statuette darauf. Der gut gekleidete junge Mann trug ein Gemälde zum Korridor. Das Mädchen half ihm. «Geh lieber weg, Karel, du solltest wirklich nicht hier sein.»

«Dder Mmmann hat mmich auch gegefragt.»

«Lass nur», sagte der Kraushaarige. «Geh nach unten, nach Haus. Wir werden sagen, dass du dabei gewesen bist. Du bekommst auch deinen Anteil.»

«Ddas ist nnicht nnötig, wweißt du.»

Das Mädchen küsste seine Wange.

«Ich wwarte hier, bbis es ddraußen tttrocken ist.»

«Nein, mein Lieber. Du gehörst nicht in den Knast.»

Ein Lieferwagen fuhr vor. Der Regen hörte so plötzlich auf, wie er begonnen hatte. Der Donner grollte noch immer über der Stadt. Der junge Mann schaute zu, als seine Freunde den Wagen beluden. Der Lieferwagen fuhr davon. Der Kraushaarige rieb mit dem Ärmel über den Türknopf, hob die Hand und ging mit dem Mädchen und dem Schwarzen weg. Der junge Mann ging in die andere Richtung, er wankte über den Fußweg und bemühte sich, nicht über hoch stehende Pflastersteine zu stolpern.

«Pfui», sagte eine gut gekleidete Dame, die sich hinter ihrem zusammengeklappten Regenschirm sicher fühlte und mit der scharfen Spitze den Näherkommenden bedrohte. «Eine Schande.»

«Schahande, Mmevvrouw?»

«Ja, warum sind Sie so betrunken?»

«Nnur spahasmisch, Mmevvrouw.»

«Das tut mir leid», sagte die Frau. «Es tut mir leid. Wirklich.»

Der junge Mann schlurfte weiter, wobei er mit den Schultern zuckte und den Kopf verdrehte.

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Zwei

«Keine niederländische Zeitung, hörst du», sagte die Frau des Commissaris vorwurfsvoll, als sich die Stewardess näherte. «Lass uns die wieder lesen, wenn wir zu Hause sind. Jetzt sind wir noch in Wien.»

«Nur eben die Witzseite anschauen», sagte der Commissaris. Er nahm die Zeitung.

«Seit wann schaust du dir Witze an?», fragte seine Frau. «Hatten wir nicht einen herrlichen Urlaub?» Sie seufzte froh. «Ich fühle mich so schön ausgeruht.»

Der Commissaris brummte, während er die Schlagzeilen las.

«Fühlst du dich nicht erheblich besser, Jan?»

«Ich fühle mich ausgetrocknet», sagte der Commissaris. «All der Dampf hat meine Beine ausgelaugt. Und ich bin dick geworden vom vielen Essen. Die kochen mir da zu fett.»

«Du hast zu viel getrunken», sagte seine Frau. «Dein Bruder und du, ihr seid eine schlechte Kombination. Er bringt das Schlechteste in dir zum Vorschein.»

«Und ich das Beste bei ihm», sagte der Commissaris, «aber selbst sein Bestes ist so langweilig.»

«Ich wollte, du würdest nicht trinken», sagte seine Frau. Sie schaute die Stewardess an. «Nein, danke, für uns nicht.»

«Einen Gin-Tonic, bitte», sagte der Commissaris, ohne von seiner Zeitung aufzublicken. «Martin Ijsbreker? Ist das nicht der Sohn vom alten Peter? Ja, hier steht es, ein Direktor der Bank de Finance. Mein Gott, ich kenne Martin.»

«Ich auch», sagte seine Frau. «Hat er etwas ausgefressen? Bank de Finance? Steht die nicht hinter der Stiftung, die angeblich armen Menschen im Ausland hilft?»

«Danke», sagte der Commissaris zur Stewardess. «Martin hat sich in den Kopf geschossen.»

«Ach», sagte seine Frau. «Er ist seit einigen Jahren geschieden. Es war eine nette Frau.»

«Ein Fall für Halba», sagte der Commissaris und legte die Zeitung zusammen. «Ich bin froh, dass ich nicht da war. Eine widerliche Sache. Auf dein Wohl, Katrien.»

«Von wegen Wohl. Immer das Saufen. Gin ist viel zu stark. Warum trinkst du kein Bier?»

Der Commissaris nahm einen Schluck. «In einer Flasche Bier ist ebenso viel Alkohol wie in einem Glas Schnaps, wie oft habe ich dir das schon gesagt? Nörgele doch nicht so, Liebe. Ich trinke nie zu viel. Nicht einmal mein Bruder kriegt mich betrunken.»

«Vier Schnäpse gestern Abend, Jan. Zwei, als du glaubtest, ich gucke nicht.»

«Zwei», sagte der Commissaris. «Du hast wirklich nicht geguckt, und wenn du nicht guckst, hast du sie nicht gesehen.»

«Ich habe geschielt», sagte seine Frau. «Es tut mir um Martin leid, obwohl ich ihn kaum kannte. Fleur hatte neulich etwas über ihn erzählt. Ich weiß nicht mehr, was es war. Er soll zu wild gelebt haben.»

«Siehst du die Baronin gelegentlich?» Der Commissaris schaute verstimmt zur Seite.

Seine Frau nickte. «Im Supermarkt. Sie ist sehr dick geworden.»

Der Commissaris trank bedächtig.

«Sie war immer ziemlich mollig», sagte seine Frau, «aber das fandest du damals schön.»

«Das war vor hundert Jahren, Katrien.»

«Du trinkst zu schnell, Jan. Ich weiß sehr wohl, dass ihr etwas miteinander hattet, obwohl du es nicht zugibst.»

«Was soll ich jetzt zugeben?» Er schaute über seine Brille hinweg. «Du warst damals noch mit Fernandus verlobt. Ich konnte tun, was ich wollte.»

«Hätte ich nicht aufgepasst, wärest du jetzt mit Fleur verheiratet.»

«O ja? Und wie kommt es, dass sie dann Willem Fernandus geheiratet hat?»

«Weil ich dich geschnappt habe. Sie fand dich reizender, das hat sie neulich noch gesagt.»

Der Commissaris sinnierte und ließ das Eis im Glas klingeln.

«Und Fernandus hat Fleur sehr unglücklich gemacht. Er wollte nicht zahlen, nachdem sie geschieden waren. Als Huip einundzwanzig wurde, hörte er damit auf. Ich glaube, dass sie jetzt Sozialhilfe bekommt.»

«Aber nein», sagte der Commissaris. «Von Sozialhilfe wird man nicht dick. Fleur hatte auch Anteile in der Bank. Die Bank ist steinreich, sie saugt die ganze Stiftung aus.»

Die Stewardess nahm sein Glas. «Noch einen, Mijnheer?»

«Nein, danke.» Er schaute seine Frau wieder an. «Die Bank taugt keinen Pfifferling. Sie ist in der falschen Gegend. Ich weiß beinahe sicher, dass Fernandus an allem Elend in der Innenstadt verdient.»

«Meinst du, dass Ijsbreker deswegen umgebracht worden ist?»

«Selbstmord.» Der Commissaris tippte auf seine Zeitung. «Das wird hier behauptet, und Hoofdinspecteur Halba hat den Fall bereits abgeschlossen.»

«Halba taugt auch nichts, Jan. Er hat einen so unangenehmen Blick.»

«Sein dienstliches Ansehen ist nicht schlecht, Katrien. Die Versetzung zum Morddezernat bedeutet eine Beförderung.»

«Du bist auch nicht hingerissen von Halba.»

«Nein», sagte der Commissaris, «aber ich kenne ihn noch nicht gut genug. Du hattest recht, ich hätte die Zeitung nicht lesen sollen. Es gibt noch mehr schlechte Nachrichten. Drei tote Junkies in einem Hausboot.» Er schüttelte den Kopf. «Ich weiß, dass wir uns daran so langsam gewöhnen müssen, aber mir gelingt das nicht. Halba befasst sich aus Prinzip nicht mit toten Junkies. Er behauptet, sie seien die Mühe unserer Arbeit nicht wert. Weg damit, sei sauber. Eine üble Art von Vereinfachung. Ich bin damit nicht einverstanden.»

«Du befasst dich mit toten Junkies?»

«Wenn es möglich ist, Katrien. Diese drei sind an einer Überdosis krepiert. Was soll man da noch machen? Sie bringen sich selbst um …»

«Fleur sagt, ihr Sohn Huip stecke auch im Dreck», sagte seine Frau. «Er ist Musiker und arbeitet für die widerwärtige Stiftung. Musiker nehmen oft Stoff.»

«Ich weiß es nicht», sagte der Commissaris. «Ich habe die Statistiken nicht gesehen. Weißt du, ich bin froh, dass Ijsbreker sich erschossen hat, als ich nicht dort war. Wenn ich mich damit befasst hätte, wäre ich Willem Fernandus begegnet, er ist der große Chef der Bank. Halba hat das schön gedeichselt. Er selbst steht auch dick in den Nachrichten. Eine verrückte Geschichte über einen deutschen Terroristen, der in einer Telefonzelle niedergeschossen wurde. Einer von unseren Leuten wurde dabei verwundet.»

«Schlimm?»

«Er liegt im Krankenhaus», sagte der Commissaris, «es scheint wohl gut auszugehen.»

«Oje», sagte seine Frau. «Wenn es nur Brigadier de Gier nicht ist, der ist immer gern besonders tapfer. Steht kein Name in dem Bericht?»

«Nein», sagte der Commissaris. «De Gier stöbert in Friesland herum, wegen der Nachwirkungen des Mordfalls vom vergangenen Jahr. Grijpstra ist mit seiner Freundin zum Camping gefahren, und Cardozo soll in Spanien sein, um im Meer zu baden. Von uns kann niemand getroffen worden sein.»

«Sag mal, Jan», sagte seine Frau, «hatte dein Vater nicht auch Anteile in der Bank de Finance? Haben wir die nicht verkauft?»

Der Commissaris schaute zum Fenster hinaus. «Schwarze Wolken über Holland. Laut Zeitung hat es wieder tüchtige Unwetter gegeben. Die haben wir auch nicht mitbekommen. Nein, Liebe, Vater hat die Anteile selbst verkauft, lange bevor er starb. Damals gab es vier Teilhaber. Das waren der alte Herr Fernandus, Willems Vater, als Generaldirektor, der alte Baron de la Faille, also Fleurs Vater, der alte Ijsbreker, Martins Vater, und mein Vater. Der alte Fernandus war immer ein übler Kerl. Vater wollte aus der Sache aussteigen, er verkaufte mit Verlust.»

«Ich dachte, dein Vater und der von Willem seien so dicke Freunde gewesen.»

«Familienbande.» Der Commissaris runzelte die Stirn. «Meine Mutter ist die Nichte von Willems Mutter.»

«Was?» Sie starrte ihn an. «Dann sind Willem und du Vettern?»

Der Commissaris wischte ihre Bemerkung mit einer Handbewegung weg. «Ganz entfernte Vettern. Kaum wert, es zu erwähnen. Willem spricht auch nie darüber. Wir mögen einander nicht.»

«Und ihr seid in dieselben Schulen gegangen?» Sie kniff ihrem Mann in den Arm. «Ihr habt sogar zusammen studiert.»

«Jura», sagte der Commissaris. «Ich studierte die Paragraphen und Willem die Lücken darin. Er war immer ein Blender. Sogar im Kindergarten spielte er schon falsch. Er war eifersüchtig, weil ich auf Juffrouw Bakkers Schoß sitzen durfte. Willem Fernandus», der Commissaris schaute seine Frau ernst an, «ist der abgefeimteste Teufel, der mir je begegnet ist.»

Seine Frau kicherte.

«Was», fragte der Commissaris, «ist so lustig an wirklicher Schlechtigkeit?»

«Und setzte Willem sich damals auf Juffrouw Bakkers Schoß?»

«Um ihr in die Brust zu kneifen», sagte der Commissaris. Er nahm die Brille ab und putzte die Gläser mit dem Zipfel seiner seidenen Krawatte. «Er tat, als rutsche er von ihrem Knie und hielt sich dann an ihrem hübschen Busen fest. Das war nicht so schlau. Er bekam sofort eine Ohrfeige.»

«Wie alt war Willem damals?»

«Vier Jahre alt. Er durfte auf den Schoß wegen der Mäuse. Wir hatten im Raum ein Terrarium mit weißen Mäusen, die Kunststücke machten. Sie liefen in einem Rad und hingen an Bindfäden, hübsch anzusehen. Wir durften die Mäuse zwei Minuten lang betrachten, brauchten aber dafür vorher die Zustimmung von Juffrouw Bakker. Über dem Terrarium hing eine Uhr, und wir mussten selbst darauf achten, wie lange die zwei Minuten dauerten.» Der Commissaris grinste. «Wenn ich jetzt eine Maus sehe, denke ich immer noch an die Uhr. Erzieherisch war das. Es wird angenommen, dass man dabei etwas lernt, und hängen bleiben nur lächerliche Assoziationen, die zu nichts gut sind.»

«Und ihr beide wart verliebt in Juffrouw Bakker?»

«Eine Göttin», sagte der Commissaris. «Wir hatten ein Schaukelpferd, und wenn ich darauf ritt, war ich der Ritter, der Juffrouw Bakker rettete. Sie wurde von Drachen und anderen Ungetümen verfolgt. Und der Leiter des Kindergartens kniff ihr gelegentlich in die Wange. Den erschlug ich dann, aber er siegte dennoch, denn später haben sie geheiratet.» Der Commissaris setzte die Brille auf. «Meine erste Erfahrung mit einem großen Verlust.»

«Du hattest Juffrouw Bakker auch schon an Willem verloren.»

«Ja», sagte der Commissaris. «Der schmutzige Lügner. Juffrouw Bakker musste mal kurz raus, und ich wollte die Mäuse betrachten. Willem sagte, er habe sie für mich gefragt, und ich dürfe. Als sie zurückkam, verpetzte er mich. Ich durfte nicht auf den Schoß, sondern musste in die Ecke. Zehn Minuten wegen nichts da stehen, eine Zipfelmütze auf dem Kopf.»

«Durftest du nie mehr auf Juffrouw Bakkers Schoß?»

«Nein. Und später trickste er mich wieder aus. Das war in der Grundschule, in der ein Mädchen war, auf das ich Eindruck machen wollte. Ich war damals gut im Turnen. Wir hatten Übungen am Reck, und das Mädchen schaute zu, wie gut ich das konnte, da kniff Willem mich. Ich bin damals sehr schlimm gefallen.»

«Willem kriegte das Mädchen?»

«Ja.» Der Commissaris nickte. «Sie gingen zusammen und lachten mich aus, aber wenn wir eine Klassenarbeit schrieben, dann lieh er sich meine Diktate aus. So ging es weiter, und es wurde immer schlimmer. Als wir studierten, sind wir zusammen in Paris auf Urlaub gewesen. Willem hatte damals schon einen Wagen.»

«Wieder eine Liebesgeschichte?», fragte seine Frau. «Und die lief auch schlecht für dich aus? Du hast doch mich bekommen. Für mich war Willem ein Ekel. Es war reizend, als du mich verführt hast, an dem Tag, als wir mit dem Boot von Willems Bruder Ernst gesegelt sind.»

«Katrien», sagte der Commissaris sanft. «Gib’s doch zu. Du wolltest weder mich noch Willem. Du fielst ja um, wenn Ernst dich nur anschaute. Das ist fünfunddreißig Jahre her, jetzt kannst du doch ehrlich sein. Alle sind jetzt alt, der Streit ist vorbei.»

«Ach, Ernst.» Sie zuckte die Achseln. «Ernst war nicht wirklich. Aber du. Ernst war eher jemand, von dem man hingerissen war, so hin und wieder. Ernst war sofort passé. Es war ein so schöner Tag und Willem wieder entsetzlich langweilig, und du hast mich in der Kajüte geküsst. Dann musste ich mit in dein Zimmer unter dem Vorwand, dass dein Kaffee wunderbar sei. Und der Abend war so schwül, und du sagtest, ich hätte viel zu viel Kleidung an.»

«Ernst war wie Tarzan», sagte der Commissaris, «mit echtem Verstand in seinem Träumerkopf. Seine ersten Gedichte waren damals schon veröffentlicht worden. Und das Fischerboot, auf dem er wohnte, war ein wirklich romantisches Schiff. Bist du darauf nie ausgerutscht?»

«Nein.» Sie ergriff seine Hand. «Fleur schnappte sich Ernst in derselben Nacht. Willem musste allein heimfahren in seinem schönen protzigen Wagen. Willem war wirklich ein bedauernswerter Mann. Und du hast mich gekriegt. Das weißt du selbst am besten. Und ich war auch noch Jungfrau damals. Wie war das nun in Paris?»

«Gut», sagte der Commissaris. «Den Kampf um dich habe ich gewonnen, das stimmt. Und in Paris hat Willem auch verloren, aber das ist eine schmutzige Geschichte und nichts für dich.»

Sie kniff ihn in die Hand. «Erzähle. Wir werden gleich landen, und davor habe ich immer Angst. Lenk mich ab.»

«Wir gingen zum Tanz in ein Lokal auf den Champs-Élysées», sagte der Commissaris, «und lernten dort Jacqueline kennen, ein sehr hübsches Mädchen. Ihr Vater war Kaufmann im vierzehnten Arrondissement. Ich schrieb mir ihre Telefonnummer auf, weil wir am nächsten Tag irgendwo hingehen wollten, in ein Museum oder so. Aber als ich aufwachte im Hotel, war Willem verschwunden samt dem Zettel mit Jacquelines Telefonnummer. Der Heuchler hatte sie angerufen und gesagt, ich sei erkrankt, und sie würden mit seinem Wagen in den Bois de Boulogne fahren. Ein Auto war zu der Zeit eine tolle Sache. Für den Rest der Woche war Willem mit dem Mädchen beschäftigt. Sie war nicht sehr entgegenkommend, und um etwas zu erreichen, besuchte er ihre Eltern und markierte den anständigen Kerl. Als sie dann immer noch nicht wollte, sagte er, dass er sie heiraten werde.»

«Landen wir schon?», fragte seine Frau.

«Noch nicht.»

«Sag mir, wann ich meine Augen wieder öffnen kann.»

«Und Willem schwängerte Jacqueline», sagte der Commissaris. «Das war ein Jahr später. Willem fuhr oft nach Paris. Gelegentlich brachte er sie mit, um mit seiner französischen Freundin zu prahlen. So etwas galt damals als erotisch. Französische Mädchen machten es zarter oder auch leidenschaftlicher, das weiß ich jetzt nicht mehr. In Wirklichkeit ging es Willem nur darum, mich zu ärgern.»

«Landen wir jetzt?»

«Ja», sagte der Commissaris. «Wir sind auf dem Boden. Ich habe dich wieder sicher nach Hause gebracht. Der Rest ist jetzt ganz leicht.»

«Ja. Willem hat also ein französisches Kind?»

«Das hat er umgebracht.»

«Abgetrieben?»

«Viel schlimmer», sagte der Commissaris. «Er versuchte, die Mutter zu ermorden. Zu der Zeit waren wir Philosophen, und Willem las Nietzsche. Ich war damals eher Anthroposoph. Nietzsche war mir zu germanisch, aber ich bewunderte dennoch einige seiner Ideen. Ich werde dich jetzt nicht mit den Lehren langweilen, aber Willem und ich waren uns einig, dass jede Moral Unsinn sein musste. Die Spielregeln einer jeden Gesellschaft sind bestenfalls Verabredungen, um das Zusammenleben so gedeihlich wie möglich zu gestalten, und aufgeklärte Seelen wie wir brauchten das ganze Geschwätz absolut nicht zu beachten. Nichts war das große Schlüsselwort. Wir konnten uns verhalten wie die Wilden. In der Theorie stimmte ich dem zu, eigentlich auch jetzt noch, aber ich blieb dabei, dass wir andere nicht belästigen durften.»

«Du fällst mir immer zur Last, Jan.»

Er streichelte ihre Schulter. «Ja, aber nicht absichtlich. Ich habe dir nie Rattengift in den Brei getan, weil du von mir schwanger warst.»

«Nein, Jan. Hat Willem das wirklich bei dem armen Mädchen getan?»

«Na und ob.» Der Commissaris blieb im Gang stehen und sprach leise in ihr Ohr. «Und nicht so sehr, weil er Jacqueline loswerden wollte, sondern eher, um ein gutes Argument in die Praxis umzusetzen. Verstehst du, was ich meine?»

«Nein, Jan, aber müssen wir nicht aussteigen? Wir stehen den Leuten im Weg.»

Sie gingen Arm in Arm durch die Ankunftshalle, ein kleiner, alter Mann, ein wenig lahm, und eine große Frau mit hoch gestecktem weißem Haar. «Katrien», sagte der Commissaris, «begreifst du wirklich nicht, worauf ich hinaus will? Willem wollte beweisen, wie erbarmungslos er sein konnte. Und das sollte ich bewundern. Eines Abends spielten wir Billard in der Universitätskneipe, und er sagte mir, dass Jacqueline heute sterben werde und ich es nicht verhindern könne. Diesmal hatte Willem seine Hausarbeiten gut gemacht, ohne meine Aufzeichnungen zu gebrauchen. Ein Medizinstudent hatte ihm erklärt, wie Arsen wirkt. Jacqueline war die einzige in ihrer Familie, die morgens Brei aß. Willem mischte das Pulver mit den Haferflocken, die in der Küche in einem Glas aufbewahrt wurden. Er galt als künftiger Schwiegersohn und wohnte regelmäßig über dem Lebensmittelladen von Jacquelines Vater. Sie vertrauten ihm. Sie wussten noch nicht, dass ihre Tochter schwanger war. Dann wurde Jacqueline krank.»

«Wollte Willem damit das Baby loswerden?»

«Nein, Katrien, auch Jacqueline sollte mit draufgehen.»

«Und starben sie?»

«Nein. Am selben Abend bin ich mit dem Zug nach Paris gefahren und habe sie in einem sehr schlechten Zustand angetroffen. Sie lag eigentlich schon im Sterben. Sie wurde eiligst ins Krankenhaus gebracht, wo sie ihr den Magen auspumpten, nachdem ich dem Arzt gesagt hatte, dass sie an einer Arsenvergiftung leide. Das Embryo konnte nicht gerettet werden, aber Jacqueline erholte sich.»

«Und die Polizei?»

«Ich wurde ausgiebig vernommen», sagte der Commissaris. «Es war nicht gerade angenehm. Sie verdächtigten mich, aber schließlich glaubten sie mir. An Willem ging ein offizieller Brief mit der Aufforderung, sich umgehend bei der französischen Polizei zu melden, was er natürlich nicht tat. Es gab nicht den Hauch eines Beweises. Ein schwacher Fall für die Obrigkeiten.»

Das Gepäck kam auf dem Laufband. Der Commissaris griff nach den Koffern. Sie nahm ihm den schwersten ab. «Da hast du also gewonnen, wie, Jan?»

«Ja», sagte der Commissaris, «und von da an wollte ich Willem nicht mehr sehen. In der Universität grüßte ich ihn nicht mehr. Wir bekamen unsere Abschlusspapiere zur selben Zeit, aber er war für mich Luft.»

Der Commissaris holte einen Gepäckkarren und belud ihn mit Hilfe seiner Frau. «Hat Willem auch cum laude bestanden?»

«Nein», sagte der Commissaris, «aber er war Magister der Jurisprudenz. Er machte sein Notariat auf und war später Nachfolger seines Vaters als Präsident der Bank de Finance. Er hat auch die anrüchige Stiftung gegründet, die Spielklubs ausbeutet, und er ist an der Leitung der Jugendlokale beteiligt.»

«Sind das die Haschischhöhlen, Jan?»

Der Commissaris nickte.

«Bah», sagte sie. «Was ist das für eine Schweinerei. Ich habe vor kurzem noch darüber in einer Zeitschrift gelesen. Einer dieser Spielklubs soll ein Bordell sein. Und der ganze Gewinn bleibt hier. Die armen Schlucker in Indien und Afrika bekommen nichts, und die Stadt trägt einen Teil der Kosten. Warum macht ihr den Laden nicht zu? Dass so etwas überhaupt gestattet ist?»

Ein Taxifahrer nahm das Gepäck. «Ich kann den Laden nicht schließen», sagte der Commissaris. «Willem nutzt eine Lücke im Gesetz. Stiftungen gelten als ideelle Vereinigungen und sind viel zu sehr abgesichert, um sie in den Griff zu bekommen.» Er zuckte die Achseln. «Außerdem ist das nicht mein Gebiet, ich bin zuständig für Gewaltverbrechen. Die Bank de Finance ist, nach allem, was ich höre, auch eine Brutstätte des Bösen.»

«Sitzt Fleurs Halbbruder nicht auch in der Bank?», fragte seine Frau. «Bart de la Faille? Den haben wir mal kennengelernt auf der Geburtstagsparty deines komischen Onkels. Bart dürfte auch Anteile besitzen.»

«Ja», sagte der Commissaris. «Das ist lange her. Der war damals in der Pubertät, ein verwöhnter Rotzlümmel aus höheren Kreisen. Ein Kind der zweiten Frau des alten Barons. Der ist auch schon tot.»

«Es ist offenbar ziemlich ungesund, Anteile an der Bank de Finance zu besitzen», sagte seine Frau. «Fahrer? Würden Sie bitte durch den Amsterdamse Bos fahren? Der Wald ist immer so schön in dieser Jahreszeit.» Sie kuschelte sich in den Arm ihres Mannes. «Schulze wartet auf dich im Garten. Verrückte Schildkröte. Schau dir mal die Pappeln an, Jan, und der Ahorn steht in Blüte.» Der Commissaris antwortete nicht. «Jan? Denk nicht an den langweiligen Willem Fernandus. Das ist vorbei. Du hast es viel weiter gebracht als Willem. Spitzenbeamter, untadeliger Ruf. Alle sind stolz auf dich. Den Kindern geht es gut. Ich mag dich. Genieße jetzt den herrlichen Wald.»

«Ja», sagte der Commissaris. «Hübsch.»

«Du hast Willem besiegt.»

«Ja.» Seine Hand knetete ihre Schulter.

«Dann sei jetzt froh.»

Ein Reiher segelte majestätisch über die Straße hinweg.

«Ja», sagte der Commissaris, «ich bin wirklich froh.» Er drückte ihr einen Kuss auf das Haar.

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Drei

«Guten Morgen», sagte Brigadier de Gier, ein großer, schlanker Mann mit breiten Schultern, hingefläzt auf seinem Drehstuhl und über einem verbeulten Metallschreibtisch in der hintersten Ecke des grauen Zimmers. «Hat dir der Urlaub gefallen?» Der schwergebaute Adjudant, dessen Körpermassen durch den dreiteiligen dunkelblauen Nadelstreifenanzug auch nicht attraktiver wurden, ging schweigend weiter. «Hallo?», fragte de Gier. «Weißt du noch? Ich bin der Assistent, der sich in den vergangenen zehn Jahren zusammen mit dir abgerackert hat.»

«Bah», sagte Adjudant Grijpstra. Er drehte sich um, ging zurück zur Tür und verschloss sie. Er ging wieder zu de Giers Schreibtisch und drehte sich auf den Fersen um.

«Tu’s nicht!», sagte de Gier. «Bitte. Beim letzten Mal, als du die Tür kaputtgemacht hast, habe ich die Hälfte der Kosten bezahlt. Tu’s nicht, Adjudant.»

«Ha», rief Adjudant Grijpstra. Seine Hand glitt unter die Jacke und kam blitzschnell wieder hervor. Eine silberne Linie schien seine Hand mit der Tür zu verbinden. Ein Stilett zitterte im dünnen Holz.

«Eines schönen Tages wirst du das noch bedauern», sagte de Gier. «Die Spitze der Klinge ragt zehn Zentimeter aus der Tür. Jemand kann sich ekelhaft daran verletzen.»

Jemand ratterte am Türgriff.

«Moment», rief Grijpstra. Er ging zur Tür und schloss auf.

Ein junger Mann in einem völlig verschlissenen Anzug aus Kordsamt mit kleinem Gesicht, über dem zu viel ungekämmtes Haar wuchs, wankte ins Zimmer, beide Hände an die Brust gedrückt. Er stöhnte und beugte sich hustend vor.

«Siehst du?», sagte de Gier. «Auf Cardozo können wir verzichten, aber du könntest Sjaan treffen, unsere schönste Kollegin, oder Juffrouw Antoinette, die Sekretärin des Commissaris. Es ist mir noch nicht gelungen, sie zu überzeugen.»

«Kümmere dich nicht um jeden Dreck», sagte Grijpstra und ließ sich krachend auf seinen Stuhl sinken. «Ich treffe niemand, weil ich immer etwas daneben werfe.»

«Wovon musst du Juffrouw Antoinette überzeugen?», fragte Cardozo.

«Von meiner Unschuld», sagte de Gier. «Sie glaubt, ich hätte vor, eine langweilige, langjährige Beziehung einzugehen, und ich versuche, ihr klarzumachen, dass sie nur kurz zu sein braucht, ein Stündchen oder so, nur zum Beisammensein.»

«Aber dann musst du sie das Essen bezahlen lassen», sagte Grijpstra. «Das wird nichts, Brigadier.»

«Was wird nichts?», fragte de Gier. «Wenn ich das Essen bezahle, dann schaffe ich Verpflichtungen für Juffrouw Antoinette. Dann denkt sie, dass sie etwas gutmachen muss. Ich stehe darüber, ich bin bereit, in aller Demut um sie herumzukriechen.»

«Es war nichts mit einem schönen Urlaub», sagte Grijpstra. «Danach hast du doch vorhin gefragt, nicht wahr? Ich bin heute etwas langsam. Mit Camping ist es auch nichts. Wir sind auf der sumpfigen Wiese beinahe ertrunken. Nellie hat ihr Zelt verloren. Zuerst wurde es von all dem Wasser flachgedrückt, dann wehte es weg. Was übrigens gut war, denn ich bin nach Hause gegangen und habe mich eine Woche lang ausgeruht.»

«Hast du Nellie mitgenommen?», fragte Cardozo.

«Nein», antwortete Grijpstra. «Na, sag mal.»

«Dussel», sagte de Gier und reckte sich. Als er die Arme hob, war unter seiner maßgeschneiderten Jacke eine große Pistole zu sehen. «Meinst du, Nellie weiß immer noch nicht, dass deine Frau weggelaufen ist? Warum liebst du Nellie nicht ganz einfach?»

«Und wenn meine Frau zurückkommt?», fragte Grijpstra. «Man kann nie wissen. Und wenn ich Nellie mit zu mir nehme, bleibt sie vielleicht auch. Zwei Frauen in meinem schönen, leeren, weißgetünchten Haus? Wozu denn? Meine Frau wohnt bei ihrer Schwester in einer teuren Villa in der Provinz. Ich drängele mich doch auch nicht in deren Glück hinein.» Er runzelte wütend die Stirn. «Und was geht dich das an?»

«Bist du denn nicht geschieden?», fragte Cardozo.

«Warum fühlst du dich bedroht, Adjudant?», fragte de Gier. «Deine Frau ist weggelaufen, weil sie dich nicht mag. Nellie ist eine unabhängige Frau. Alle Frauen sind gegenwärtig unabhängig. Kannst du denn nicht einfach höflich gegenüber einem Mitmenschen sein, unabhängig von seinem Geschlecht. Gegenüber einer einsamen Frau, die soeben ihr Zelt verlor und nur noch eine Woche ihres doppelt und dreifach verdienten Urlaubs übrig hat, bevor sie wieder in ihr proppenvolles Hotel zurückgeht und den ganzen Krimskrams allein erledigen muss?»

Grijpstra kramte in seiner Schreibtischschublade. Er fand eine Zigarre, biss die Spitze ab und spuckte sie in den Papierkorb. «Was gibt es sonst noch? Hattet ihr beiden etwas zu tun? Reden wir jetzt über Fälle oder wird weiter in meinem Privatleben herumgestöbert?»

Cardozo betrachtete das in der Tür steckende Messer. «Du wirst besser, Adjudant, du verfehlst die Tür nicht mehr.»

«Ich treffe, worauf ich ziele», sagte Grijpstra nachdrücklich.

«Und warum willst du uns dann nie vorher sagen, auf was du zielst?»

«Gute Frage», sagte Grijpstra. Sein Stuhl schwang herum. «Brigadier, berichte!»

«Ein toter Bankier», sagte de Gier. «Selbstmord, laut Akte. Ich habe einen Bericht gesehen, den Halba und Adjudant Guldemeester von Amts wegen unterzeichnet haben. Weil ich in Friesland war, hatte ich nichts damit zu tun. Drei tote Junkies, Überdosis reines Heroin auf einem Hausboot an der Binnenkant. Auch darum hat Guldemeester sich gekümmert. Ein deutscher Terrorist hat das Aufsuchen einer Telefonzelle nicht überlebt. Sonst nur viel Geschwafel hier im Präsidium, aber das ist interne Politik. Dafür hast du nichts übrig, oder möchtest du noch einiges erfahren?»

«Nein», sagte Grijpstra. «Hat jemand die Mappe mit den täglichen Berichten?»

De Gier stand auf und gab dem Adjudanten eine durchsichtige Plastikmappe mit einem Stapel an den Ecken umgeknickter Papiere darin. «Bitte, alles vollständig da.»

Grijpstra blätterte. «Der tote Bankier wohnte an der Binnenkant? Die toten Junkies zufällig auch?»

«Ja, das sah ich.» De Gier legte die Füße wieder auf den Schreibtisch. «Das Boot liegt gegenüber dem Haus des Selbstmörders. Ich habe es Guldemeester zwar gesagt, aber der sah keine Verbindung.»

«Erzähl mal etwas von der internen Politik», sagte Cardozo. «Ich bin nämlich neugierig.»

De Gier lehnte sich so weit zurück, wie es der quietschende Stuhl zuließ. «Ein Behälter voller Waffen ist aus der Waffenkammer verschwunden. Unsere beiden Pathologen haben sich wieder miteinander gestritten. Eine nicht sehr geheime Untersuchung sagt aus, dass fast alle Putzfrauen bei uns Ausländerinnen sind, die keine Aufenthaltserlaubnis haben. Aus den Kaffeeautomaten sind Münzen geklaut worden. Es ist zur Gewohnheit geworden, schöne weibliche Gefangene höheren Dienstgraden zur Verfügung zu stellen, vor allem nachts.»

«Halba?», fragte Grijpstra. «Das wussten wir bereits.»

«Wir wussten jedoch nicht», sagte de Gier, «dass Reformen beabsichtigt sind.» De Giers große braune Augen glänzten. «Das sagen Besserwisser, die nichts wissen dürften. Journalisten stecken ihre Nase hier rein und schreiben, was ihnen so einfällt. Redakteure fragen, warum Verbrechen nicht aufgeklärt werden und die Spesenrechnungen der höheren Dienstgrade weiterhin steigen. Und der neue Hoofdcommissaris greift noch immer nicht ein.»

«Der Hoofdcommissaris sitzt herum», sagte Grijpstra, «und Hoofdinspecteur Halba schleicht herum. Adjudant Guldemeester schleicht schon seit Monaten mit.»

«Und vier Leichen.» Grijpstra schob die Papiere wieder in die Mappe und schüttelte sie. «Alle in und an der Binnenkant. Hast du die andere Anzeige von der Binnenkant gesehen?»

«Die von der hilflosen alten Frau?», fragte de Gier. «Die sich immer wieder über Musiker beklagt, die sie aus ihrem Haus trommeln wollen? Die Anzeige ist bekannt, die habe ich früher schon mal gesehen. Mevrouw Jongs, in Nummer 20, zwei Treppen hoch.»

Grijpstra stemmte sich von seinem Stuhl hoch und ging zur Wand gegenüber seinem Schreibtisch. Mit seinem stumpfen Finger drückte er auf den Stadtplan. «Nummer 20 muss direkt hinter dem Hausboot sein, auf dem die drei Junkies gestorben sind. Alte Frauen schlafen nicht gut und sitzen dann vor ihrem Fenster und schauen in die leere Nacht hinein. In der Nacht, in der der Bankier starb, hat es stark geregnet. Wenn die alte Frau doch nur nach draußen geschaut hätte. In dem Bericht heißt es, dass sie oben wohnt und die Musiker unten Krach machten. Mevrouw Jongs hätte bestimmt etwas Interessantes gesehen. Der Bankier wurde direkt hinter einem Vorderfenster gefunden.»

«Das offen war», sagte de Gier. «Der depressive Bankier hat sich vielleicht auch das Unwetter angeschaut. Das Donnern ließ ihn an Tod und Verdammnis denken. Er griff nach seiner Pistole.»

«Nach seiner Walther PPK», sagte Cardozo. «Sehr teuer. Eine passende Waffe für einen einflussreichen Mann.»

«Eine illegale Waffe», sagte Grijpstra. «Was wollte Mijnheer Ijsbreker damit?» Er ging an seinen Schreibtisch zurück, nahm die Mappe und wedelte anklagend damit in de Giers Richtung. «Und in eben dieser Nacht starben die drei Junkies auf dem Boot an der gegenüberliegenden Seite?»

«Weißt du, Adjudant», sagte de Gier, «der Fall ist abgeschlossen. Den gibt es schon nicht mehr.»

Grijpstra ließ die Mappe fallen und schlug sanft darauf. «Der Bericht ist viel zu allgemein. Ist der Commissaris schon zurück?»

«Du glaubst doch nicht etwa», sagte de Gier, «dass zwei Fälle, die von geschätzten Kollegen für gut befunden und abgelegt wurden, von uns wieder aufgenommen werden sollten?»

Cardozo nahm die Mappe und schaute auf einen Notizblock. «Das Junkieboot mit den Leichen ist interessant. Wisst ihr, dass mich hier ein Junkie besucht hat? Ein Amerikaner, der sagte, er sei auf einem Hausboot an der Binnenkant untergekommen? Der Süchtige hieß Jimmy. Einer der toten Junkies heißt James T. Floyd. Ist Jimmy nicht eine andere Form von James?»

«Frag das de Gier», sagte Grijpstra. «Unser intellektueller Mitarbeiter weiß alles. Er liest französische Literatur.»

«Brigadier?», fragte Cardozo.

De Gier nickte.

Cardozo las in seinen Notizen. «Jimmy hat mich vor genau einem Monat aufgesucht. Schade, dass Guldemeester keine Beschreibung der Leichen gegeben hat.» Er griff zum Telefon und wählte. «Mijnheer Jacobs? Geht’s gut? Nein? Das tut mir leid. Oh, Sie wollen nicht, dass es gut geht? Na, dann macht es nichts. Hören Sie, eine Frage, Mijnheer Jacobs. Sie haben dort einen toten jungen Mann, den Amerikaner James T. Floyd aus Berkeley, Kalifornien. Schauen Sie doch bitte mal auf das Etikett an seinen Zehen. Ja, ich warte.» Cardozo legte die Hand auf den Hörer. «Jesus, ich kann das Knarren der Schublade des Eisschranks hören.» Er ließ die Hand fallen. «Groß? Blondes Kraushaar? Die Schneidezähne fehlen? Ich danke Ihnen, Mijnheer Jacobs, das wollte ich gern erfahren.» Er legte den Hörer auf.

«Du kennst den Toten», sagte Grijpstra. «Sieh mal einer an.»

Cardozo lächelte dankbar. «Ja. Jimmy schwafelte etwas von Mord. Das finde ich so gut an unserer Spezialisierung. Wir sind die Mordkommission, und wenn jemand hereinkommt und ‹Mord› sagt, wird er zu uns geschickt. Schade, dass ich ihm damals nicht glaubte.»

Grijpstra schlug kräftig auf seinen Schreibtisch. «Tote Junkies auf einem Boot. Toter Bankier im Haus gegenüber dem Boot. Ein damals noch lebender Junkie kommt her und quengelt von Mord. Adjudant Guldemeester sagt, beides habe nichts miteinander zu tun. Hoofdinspecteur Halba bezeichnet das eine als Selbstmord und das andere als Überdosis. Bah!»

«Cardozo», sagte de Gier, «wie kommt es, dass wir, deine unmittelbaren Vorgesetzten, nichts von dem Mord schreienden Jimmy zu hören bekommen?»

Cardozo wischte Staub von seinem Ärmel. «Habe ich ihm denn geglaubt? Jimmy konnte mir viel erzählen, um dafür Heroin zu bekommen. Mein Gewährsmann war krank. Eine Vogelscheuche mit schlappen Beinen. Als ich ihn befragte, fiel er von seinem Stuhl. Ihr habt Glück, dass ich mich überhaupt noch an den Besuch erinnere. Hier kommen so viele Schwätzer her, die faseln.»

«Aber dein Jimmy sprach von Mord. Wovon sprach er sonst noch, oder ging er gleich zu Boden?»

Cardozo wischte noch mehr Staub weg vom Ärmel. «Von einem künftigen Mord. Weiter kamen wir nicht, weil ihm schlecht wurde. Ich habe ihn rausgebracht und sanft die Straße entlang geschoben, den Standardanweisungen gemäß. Kranke Junkies dürfen nicht ins Krankenhaus gebracht werden, weil dort niemand etwas von ihnen wissen will.»

«Er hat bestimmt noch etwas gesagt.»

Cardozo las von seinem Notizblock vor: «Der Besucher behauptet, an der Universität von Kalifornien in Berkeley chinesische Literatur zu studieren. Er habe ein Jahr ausgesetzt, um das magische Amsterdam kennenzulernen.»

De Gier gestikulierte begeistert. «Da fragen wir nach. Wir haben genug Einzelheiten. Ich schicke Fernschreiben an alle Revierwachen. Der eine oder andere Bulle wird ihn bestimmt kennen. Junkies sind auch Dealer. Das Rauschgiftdezernat wird wach werden oder die Kollegen von der Ausländerpolizei. Glaubst du, dass der Kerl wirklich chinesische Literatur studierte?»

«Das ist sehr gut möglich», sagte Cardozo. «Er sprach ganz ordentlich Niederländisch, und wer das in einem Jahr schafft, ist nicht allzu dumm. Der Sohn reicher Eltern, denke ich, aber völlig verlottert.»

«Fehlende Schneidezähne?», fragte de Gier. «Ein Raufbold?»

«Das kommt vom Heroin», sagte Cardozo und steckte den Notizblock wieder ein. «Davon fallen einem die Zähne aus. Schade, dass ich ihn mir nicht angeschaut habe.»

«Auf jeden Fall hättest du deine Erkenntnisse an die zuständige Stelle weitergeben müssen», sagte de Gier. «Das war schwach von dir.»

«Wem denn?», fragte Cardozo. «Halba war damals noch im Rauschgiftdezernat. Und er lässt sowieso alles lieber laufen. Der einzige gute Offizier neben dem Commissaris ist Hoofdinspecteur Rood, und der war nicht da.»

Grijpstra seufzte. «Es ist alles wie immer. Wie herrlich ist es, wieder arbeiten zu dürfen. Brigadier, du darfst Kaffee holen, oder nein, wir gehen Brötchen essen, und du bezahlst. Du bezahlst überhaupt nicht mehr, es ist also höchste Zeit. Ist der Commissaris schon zurück? Wer erkundigt sich?»

De Gier telefonierte. «Juffrouw Antoinette? Ich bin’s, der, der um Ihre Gunst wirbt. Ist der Chef schon zurück oder immer noch beim Einweichen in seinem Schwefelbad? Nein? Das ist schade. Aber dann haben Sie nichts zu tun. Kann ich Ihnen vielleicht mit irgendetwas dienen? Zufällig habe ich auch frei, genauso lange, wie es dauern würde.» Das Telefon klickte. De Gier machte ein betrübtes Gesicht.

«Sie wird sich beschweren», sagte Cardozo. «Das hörte ich am Klicken. Man beschwert sich sowieso schon fürchterlich über dich.»

«Der Commissaris kommt heute Nachmittag zurück», sagte de Gier. «Die Beschwerden kenne ich. Halba hat eine ganze Liste davon. Verantwortungsloses Fahren, Gehorsamsverweigerung, beansprucht Sjaan allein für sich. Täglich schreibt er etwas dazu. Adjudant, hast du gelesen, was in der Mappe über den deutschen Terroristen steht? Da ist noch eine ganze Menge, um dir die gute Laune zu verderben.»

«Haben sie den nicht total durchsiebt? Ich las es in der Zeitung am Strand. Halba leitete das Schlachtfest.»

«Nein, eigentlich war Rood der Chef», sagte de Gier. «Hoofdinspecteur Rood war schon seit Wochen hinter unserem östlichen Nachbarn her. Er wusste, wo der wohnte, und ließ ihn immerzu überwachen. Halba ist bekloppt. Er zog den Fall an sich, ohne Rood zu unterrichten. Die Festnahme ging schief. Halba hatte überall Beamte postiert, auch hinter der Zelle. Als der Verdächtige anfing zu schießen, schossen unsere Männer natürlich zurück, und weil sie im Kreis standen, wurde einer getroffen.»

Grijpstra brummte.

«Seht ihr, was passiert, wenn wir mal nicht hier sind?», fragte Cardozo. «Ich hörte vorhin unten in der Kantine einigen Tratsch. Ein paar Beamte hätten in Nachtclubs hineingeschaut und Halba und Guldemeester beim Glücksspiel erwischt. Sie wurden natürlich nicht festgenommen. Soviel Mumm hatten die Beamten nun auch nicht.»

«Das habe ich auch gehört», sagte de Gier. «Das geht schon eine ganze Weile so. Halba ist sehr gut im Geldverlieren.»

«Und der Hoofdcommissaris hat eine Freundin», sagte Cardozo. «Ein bildschönes Fotomodell, mit dem er in einem neuen Porsche herumfährt.»

«Ich mag schon keine Brötchen mehr», sagte Grijpstra, stampfte zur Tür, zog sein Messer heraus, steckte es unter seine Jacke und schloss die Tür mit einem Knall hinter sich.

«Noch mehr Probleme?», fragte Cardozo.

«Der Adjudant hält nichts von Urlaub», sagte de Gier. «Wenn er fort ist und es rätselhafte Leichen gibt, dann nimmt er es persönlich.» De Gier nahm Trommelstöcke von Grijpstras Schreibtisch und schlug ein Becken an, den Teil eines kompletten Schlagzeugs, das zwischen einem Schrank und dem Fenster stand. «Was denkst du, Kollege? Ist das mit dem toten Bankier nach deinem Gefühl koscher?»

Cardozo fuhr sich durch das Haar. «Ich traue dir nie, wenn du mit ‹Kollege› anfängst.»

De Gier schlug einen leisen Wirbel auf der großen Trommel. «Sei so höflich und antworte.»

«Selbstmord ist leicht zu beweisen», sagte Cardozo.

«Und ein Selbstmord, der nicht ganz stimmt, springt einem entgegen», sagte de Gier. Er beschleunigte den Rhythmus. «Es ist schade, dass Grijpstra in letzter Zeit nicht viel getrommelt hat. Der gutmütige Mensch ärgert sich wieder zu viel. Das ganze Getue mit der Korruption bedrückt ihn. Völlig unnötig.»

«Du hast auch nicht gespielt», sagte Cardozo. «Und wenn ich dann daran denke, dass ich mich zum Morddezernat beworben habe, um euer Musizieren hören zu können. Variationen eines Themas von Bach für Trommel und Flöte. Wenn ihr damit beschäftigt seid, komme ich auf schöne Gedanken.»

De Gier schlug auf die Seite der Trommel und spielte mit dem anderen Stock weiter auf dem Fell. Er pfiff eine Kombination hoher Noten. «War dies das Thema, das du meintest?»

«Ja», sagte Cardozo. «Später wird es traurig. Zuerst baust du ein gutes, starkes Grundthema auf und flötest dann plötzlich all die gefühlvollen Weisen.»

«Ich weiß es nicht mehr», sagte de Gier. «Falls Grijpstra jemals wiederkommt, versuchen wir es noch einmal.» Er legte die Stöcke weg. «Allein stelle ich wenig dar, leider. Komm mit, Kollege.» Er öffnete die Tür.

«Wohin?»

«Wir sind wieder einmal ohne Aufpasser», sagte de Gier. «Im Gebäude ist kein Offizier. Führe mich in ein gutes Imbisslokal. Du bist mit dem Bezahlen an der Reihe. Ich tue nichts mehr, bis der Commissaris wieder hier ist und Anordnungen gibt. Eigeninitiative wird bestraft.»

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Vier