Ölpiraten - Janwillem van de Wetering - E-Book

Ölpiraten E-Book

Janwillem van de Wetering

0,0
4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Das Detektivbüro G&G in Amsterdam befindet sich buchstäblich in der Flaute. Drei magere Fälle bescherten einen ebensolchen Ertrag. Doch Klient Nummer vier ist der «Regenmacher». Ein zwielichtiger Reeder bietet 100.000 Dollar Vorschuss und eine Million Erfolgshonorar. Der frischgebackene Privatdetektiv Grijpstra traut seinen Ohren nicht, als ihm der Schnösel den Fall erklärt: Auf der Route vom Iran nach Kuba wurde der Supertanker «Sibylle» von Piraten gekapert und das schwarze Gold abgepumpt. Doch bald stellen Grijpstra, de Gier und der Commissaris fest, dass sie in diesem mysteriösen Fall für die falsche Seite arbeiten. «Man verliebt sich einfach in den begnadeten Erfinder Wetering, in seine Figuren.» (Süddeutsche Zeitung)

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 351

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Janwillem van de Wetering

Ölpiraten

Roman

Aus dem Englischen von Hans J. Schütz

Rowohlt E-Book

Inhaltsübersicht

Hinweis des AutorsWidmungEins Auf hoher See von Kugeln durchsiebtZwei Ein bedrohter KlugscheißerDrei Die Lady zieht sich gern ausVier Von Skeletten überfallenFünf Ein alter Mann vor dem AbgangSechs Hurra und HauruckSieben Gewehrfeuer in einem NaturschutzgebietAcht Doppelter PreisNeun Geier kreisen über dem Mount TrashmoreZehn Amerikanische SzenenElf In Porträt eines Partner-VogelsZwölf Seehunde in der LuftDreizehn Heilige musikalische SchreieVierzehn Das tödliche Delirium des AmputiertenFünfzehn Die untere EbeneSechzehn Hölle auf hoher SeeSiebzehn Die fromme Kunst des StrandraubsAchtzehn Eine jüdische GroßmutterNeunzehn Grijpstras furchtbare FreiheitZwanzig Im Treulosen PapageiEinundzwanzig Nackt auf dem FriedhofZweiundzwanzig Ein gerupfter PapageiDreiundzwanzig PrämienjägerVierundzwanzig Lohn eines KriegersFünfundzwanzig Auf der Suche nach Klein AbnerSechsundzwanzig Eine historische UntersuchungSiebenundzwanzig Der Weg ist das ZielAchtundzwanzig Admiral George Brydges Rodney (1718–1792)Neunundzwanzig Es kommt oft anders, als man denkt
[zur Inhaltsübersicht]

Diese Geschichte ist frei erfunden. Wir wissen alle, dass Soldaten sich nur dann danebenbenehmen, wenn sie im Dienst sind. Hubschrauber funktionieren höchstwahrscheinlich bei salziger Luft am besten. Rotterdam in Holland (ich wurde dort geboren) ist eine wunderbare Stadt mit vielen netten Leuten. Aber ist die Amsterdamer Polizei (der ich sieben Jahre diente) wirklich so korrupt?

[zur Inhaltsübersicht]

Für meine

(I Wish I Could Shimmy Like My)

Schwester Toos.

[zur Inhaltsübersicht]

Eins Auf hoher See von Kugeln durchsiebt

«Sie wollen Leichen?», fragte Carl Ambagt mit einschläfernder Stimme, während er aus den Ärmeln seines Kaschmirblazers Leinenmanschetten hervorzupfte. «Hören Sie, Mijnheer Privatdetektiv, wenn Sie Leichen brauchen, bevor Sie in Schwung kommen können, werden Dad und ich Ihnen Leichen liefern. Kein Problem.» Der Besucher machte eine großzügige Handbewegung, als verschenke er kostbare Gegenstände. «Kostenlos, umsonst, sie gehören alle Ihnen. Leichen, jede Menge.»

Privatdetektiv Henk Grijpstra machte sich nichts aus Besuchern. Er blickte über den Kopf seines Gegenübers, das mit einer hohen, durchdringenden Stimme weitersprach. Das offene Fenster erlaubte einen Blick auf knospende Ulmen und knallrote Giebel auf der anderen Seite der Amsterdamer Rechtboomsloot. Er betete. Er betete, ein Ulmenast möge durch das Fenster greifen, den Besucher packen und in die Gracht werfen. Anschließend nichts als quakende Enten. Das Leben geht weiter.

Ein Bursche, vierzig Jahre alt. Ein kurz geratener Bursche. Grijpstra machte sich nichts aus kurzen vierzigjährigen Burschen, und dieser war arrogant, hatte die singende Sprechweise der Rotterdamer, wo jeder Satz mit einem Triller endete. «Richtig?» Die unaufhörliche Rotterdamer Frage.

Den kurzen vierzigjährigen Burschen zu Tode prügeln.

Besucher, Heimsuchung.

Es ärgerte Grijpstra, dass er immer noch in religiösen Begriffen dachte. Was du in der Jugend lernst, kannst du im ganzen Leben brauchen, behauptet ein holländisches Sprichwort.

Was du jung lernst, hast du immer am Hals, dachte Grijpstra. Wenn es Gott gab, würde er das Gebet eines Grijpstra erhören?

Jage diesen Burschen zum Teufel, betete Grijpstra. Herr? Grijpstra unterdrückte sein Wunschdenken. Er stammte aus Amsterdam, der Hauptstadt, dem geistigen Herzen Hollands, dem Mittelpunkt, dem kreativen Kern der Niederlande.

Rotterdam, Hollands zweite Metropole, ist in den Augen der Amsterdamer eine Arbeitsstadt. Aber das ist in Ordnung. Rotterdam wird von Amsterdam geduldet, vorausgesetzt, die emporgekommene Metropole hielt sich zurück. Manche Leute arbeiten, daran ist nichts auszusetzen, Arbeit ist nichts Unrechtes, wenn sie jemand tun muss, das ist vollkommen in Ordnung – viel Glück den Rotterdamern, die arbeiteten. Aber sie sollen zu Hause bleiben und die Nerven derer, die höher stehen, nicht mit unnützen und sich wiederholenden Mitteilungen strapazieren, die mit einem Triller enden. «Richtig?»

Grijpstras Hände, unsichtbar hinter einem Stapel leerer Aktendeckel auf seiner Tischplatte, suchten nach etwas zum Festhalten. Der antike Tisch war ein Geschenk von Grijpstras früherem Chef. Der Commissaris hatte den Tisch als Bollwerk benutzt, von dem aus er seine Privatsphäre verteidigte. Seit seinem Ausscheiden aus dem Dienst mit fünfundsechzig waren die Verteidigungsanlagen des Commissaris demontiert worden. Grijpstra war ebenfalls ausgeschieden, in seinem Fall vorzeitig. Brigadier de Gier quittierte ebenfalls den Dienst, um Grijpstra beim Nichtstun zu helfen, oder wenigstens, um sehr wenig zu tun. Die Partner der Detektei G & G, Inc. hatten es in ihren geräumigen Büros gern ruhig und friedlich.

«Mehrere Leichen, Mijnheer Ambagt?», fragte Grijpstra sotto voce.

«Nun ja, nur eine, von der ich’s sicher weiß», sagte Ambagt zerknirscht. Aber trotzdem arrogant, dachte Grijpstra, als ob das kleine Arschloch stolz darauf war, dass es ein Arschloch war. Ambagt saß behaglich in dem luxuriösen braunen Ledersessel, der Klienten vorbehalten war. Diesen Klienten schien der riesige Raum unter der hohen Decke, gestützt von handbehauenen Balken, nicht zu beeindrucken. Nicht einmal Grijpstra selbst machte Eindruck auf diesen Eindringling aus niederen Sphären, so beeindruckend der Detektiv auch war: groß, bullig, breitbrüstig, mit stahlgrauem Haar im Bürstenschnitt, kräftigen dicken Augenbrauen: ein Ringer, der sich fein gemacht hatte. Hier trat Mijnheer Grijpstra einer lästigen Welt gegenüber, in einem dreiteiligen Maßanzug inklusive Uhrkette. Der silberfarbene Schlips mit einem Muster kleiner Schildkröten war ein Geschenk von Katrien, der Frau des Commissaris, zum Start seiner neuen Laufbahn, betonte die solide Eleganz. Die vornehme Kleidung hob die Intelligenz blassblauer Augen hervor, in denen sich für Nellie, Grijpstras zweite Frau, «robuster Gleichmut» spiegelte.

«Die vermissten Personen nicht gerechnet», hob Carl Ambagt seine Stimme, froh, das Elend vergrößern zu können. «Alles, was wir fanden, war ein benebelter Kapitän Souza und ein toter Seemann, Michiel. Kapitän Souza und der tote Seemann Michiel. Ansonsten keine Menschenseele.» Ambagt senkte die Stimme, um auf die Tragödie hinzuweisen. «Ich und Dad kamen gerade rechtzeitig, denn der Tanker war kurz davor, auf Felsen aufzulaufen. Richtig?»

«Lief er nun richtig drauf oder nicht?», fragte Grijpstra, verwirrt durch die Rotterdamer Angewohnheit, die Wirklichkeit in Zweifel zu ziehen. «Ja oder nein?»

«Nein. Richtig?»

«Und die verschwundenen Personen?», fragte Grijpstra.

«Lassen Sie mich es bitte erklären, oder?», fragte Carl Ambagt. Carl Ambagt bediente eine imaginäre Maschinenpistole und ahmte einen Hagel tödlicher Kugeln nach.

«Dieser Tanker …», sagte Grijpstra.

«… der Supertanker Sibylle wurde geleert. Seine Ladung wurde geraubt», sagte Ambagt. «Haben Sie eine Ahnung, von wie viel Geld wir reden?»

Grijpstra machte ein uninteressiertes Gesicht. Sein Besucher brauchte nicht zu wissen, dass die Vorstellung von einem unbemannten gigantischen Tanker, der gesetzwidrig seiner wertvollen Ladung beraubt wurde, ihn faszinierte. Während seiner langen Laufbahn im Dezernat für Schwerverbrechen bei der Amsterdamer Stadtpolizei war ihm ein so ungeheures Verbrechen nie begegnet. Er stellte sich den stählernen Rumpf vor, ein stummes Geisterschiff, hoch über tropischen Gewässern aufragend. Ambagt hatte ihm den Tatort genannt: die Karibik. Die Sache hatte sich unweit der zur Hälfte niederländischen Insel Saint Martin (ihre nördliche Hälfte war französisch) abgespielt. Grijpstra kannte keine tropischen Inseln aus eigener Erfahrung, doch jetzt sah er idyllische Bilder, eine Collage von Eindrücken, die er im Fernsehen und in Zeitschriftenreklamen aufgeschnappt hatte: goldene Strände, schwankende Palmwedel und zahlreiche junge Frauen, die schwammen, sich sonnten und Ball spielten. Auch er war dort, die Hände auf dem Rücken, die nachdenklichen Augen vom breiten Rand eines Strohhutes überschattet. «Panama Jack» Grijpstra. Behaglich grunzend betrachtet der Tagträumer braune und schwarze Brüste, Beine und Ärsche. Ob seine neue Frau, Nellie, eifersüchtig sein würde? Keine Spur. Nellie ist gerade in dem Bild aufgetaucht. Da ist sie, auf einem Surfbrett, am ganzen Körper blassrot. Welch ein Klasseweib, dieses Exmodel Nellie, die einmal für die Miss Holland nominiert, aber wegen zu üppiger Brüste nur Zweite geworden war. Doch auch die anderen Strandfeen sind attraktiv, die sich verführerisch im goldenen Sand präsentieren, vom beraubten Supertanker Sibylle fast gerammt. Eine reizende vielfarbige Versammlung. Wirklich komisch, dachte Grijpstra, wenn man erst mal anfängt zu reisen, klappt es mit dem Rassismus nicht mehr so gut. Da draußen ist die Minorität eine Majorität. Objekt wird Subjekt. Die Relativität fegt die Vorurteile vom Tisch. Er war froh, dass er sich nicht als Rassisten betrachtete. Er wusste gar nicht, was diese Einstellung bedeutete.

«Der gecharterte Supertanker Sibylle», sagte der klein geratene Bursche. «Man soll sein Geld nie in solche Seelenverkäufer stecken, sie lecken. Riesige Rostkähne, das ist es, was sie sind. Sie denken jetzt vielleicht an einen Unfall, richtig? Falsch. Der Seemann Michiel war von Kugeln durchlöchert.»

«Was Sie nicht sagen.» Grijpstras Stimme blieb ausdruckslos, vibrierte nur ein wenig mitleidig. Eine blutende Leiche, verschwundene Matrosen. Dieser Klient wurde lästig.

«War ein bisschen windig», sagte Ambagt, «wir hatten ein Problem mit unserem ‹Quirl›. Auf einem schwankenden Deck lässt sich nicht gut landen.»

«Quirl?»

«Hubschrauber», sagte Carl.

«Die angebliche Piraterie eines Supertankers, Mord eingeschlossen, nahe Saint Martin, in den Antillen, in der karibischen See», fasste Grijpstra zusammen.» Sie landeten Ihren Hubschrauber auf dem Schiff und fanden Hinweise auf ein Verbrechen.»

Carl Ambagt starrte an Grijpstras Körper vorbei. «O ja.»

Grijpstra glaubte Anzeichen echter Gefühlsregung zu entdecken, als sein Besucher die qualvollen Augenblicke noch einmal durchlebte.

«Auf der Brücke», sagte Carl Ambagt, «lag Michiels Leiche. Ein reines Unschuldslamm. Gutaussehender Bursche, nebenbei.» Carl Ambagt nahm ein Polaroid aus seiner Brieftasche. Er betrachtete das Bild.

«Michiel, der Matrose, in seinem blauen T-Shirt. Benannt nach unserem berühmten Freibeuter-Admiral, Michiel de Ruyter. Sie kennen ihn doch aus den Geschichtsbüchern? Siebzehntes Jahrhundert. Besiegte immer die verdammten Briten. Verbrannte eine britische Kriegsflotte vor deren Haustür, auf der Themse. Großer Stratege. Dad hat sich mit ihm beschäftigt, wissen Sie. Dad hat eine Schwäche für Strategie, sie hat uns reich und berühmt gemacht.»

«Nie von Ihnen gehört», sagte Grijpstra.

«Jetzt haben Sie’s», sagte Ambagt. «Hier. Schauen Sie sich Michiels Leiche an.»

«Was sind das für Wunden», sagte Grijpstra schaudernd. «Wurde er gefoltert?»

«Möwen», flüsterte Carl Ambagt, «wissen Sie, dass Seemöwen Aas mögen? Sie fressen an Kadavern. Wir sahen es von oben, ich und Dad – rote Fetzen von Michiels Fleisch, in einem Oval von weißen Möwen. Wie ein Auge. Rote Pupille, weißes Oval. Hackende Seemöwen. Das Ganze sah aus wie ein Auge, das uns anstarrte. Das Auge der ausgeraubten Sibylle.»

Grijpstra schob das Foto weg. «Sie sprachen von Kapitän Souza. War er Kapitän des Schiffes?»

«Er war da», sagte Carl Ambagt. «Master Guzberto Souza, unten in seiner Kabine.» Ambagts Lächeln war verzerrt. «Besinnungslos betrunken.»

«Nicht tot.»

«So gut wie», nickte Carl Ambagt. «Verbolst und verfockt.»

«Wie?»

«Mit Genever. Unsere berühmten nationalen Markenartikel.» Carl Ambagt buchstabierte die Firmennamen. «Bols. Focking.» Ambagt schüttelte den Kopf. «Das hat unser Kapitän getankt. Das hielt ihn in Gang, während er Pornos guckte. Das war seine andere Macke. Titten und Ärsche auf Video. Die Endlosshow.»

«Der Kapitän informierte Sie über das Verbrechen, das stattgefunden hatte?»

«Kapitän Souza hatte nichts bemerkt.»

«Nicht mal die Schüsse?»

«Delirium», sagte Carl Ambagt. «Was können Sie da erwarten? Ein Schwarzer aus Aruba. Dad heuerte Souza an. Ich sagte: ‹Dad, was machst du, Daaad? Richtig?› Aber es war zu spät. Dad und Guz betranken sich dumm und dämlich.» Carl betrachtete seine manikürten Nägel. «Versuchen Sie mal, in solch einer Situation dazwischenzugehen.»

«Das fand in Saint Martin statt?»

«Aruba.» Carl deutete auf eine unsichtbare Karte. «Mehr nach links und weiter runter nach Westen, vor Venezuela. Aber holländisch, natürlich. Unglaublich. Warum behalten wir diese Inseln, die bloß Geld kosten?»

Grijpstra fragte sich, warum er seine Heimsuchung ermutigte, indem er ihr Fragen stellte. Hatte er vergessen, dass die Detektei G & G eine Fata Morgana war? Eine bloße Fassade? Dass das Namensschild an der Giebelfront nichts bedeutete? Es war nichts anderes als ein Schwindel, um den Mann vom Finanzamt zu täuschen. Schauen Sie sich diesen wunderschönen Giebel an, Mijnheer Finanzamt. Beachten Sie die lackierte Eingangstür, die blanken Ziegel, das vor kurzem neu gestrichene Balkenwerk, die blühenden Geranien in den Übertöpfen an den Fenstern. Werfen Sie mal einen Blick auf die Steintreppe, ausgetreten von den trampelnden Füßen der Klienten. Ja, Mijnheer, hier arbeiten wir und verdienen gutes Geld, unser Wohlstand ist rechtmäßig erworben. Okay, Mijnheer Finanzamt? Jetzt mach, dass du weiterkommst, altes Arschloch.

Doch hinter dem prächtigen Giebel an einer von Amsterdams Vorzeigegrachten, der Rechtboomsloot, wurde nicht gearbeitet. Wie zur Hölle konnte das alles geschehen, schrie Grijpstra, wenn ihn die unheimliche Hand seines schlechten Gewissens in seinen Albträumen packte. Wie konnten er, ein unerschütterlicher Staatsbeamter, und sein getreuer Mitarbeiter, de Gier, gemeinsam in diese teuflische Falle stolpern?

Es war passiert. Vor drei Jahren. Da hatten, eines bösen Tages, Adjudant Grijpstra und Brigadier de Gier von der Stadtpolizei in einer Bruchbude, Bloodstraat, Amsterdam Innenstadt, ihren Job gemacht. De Gier trat eine Tür ein. Ratten huschten um ihre Füße. Sie betraten einen kleinen Raum, angefüllt mit leeren Flaschen und Porno-Postern. Es roch süßlich-eklig nach verfaulenden Lebensmitteln. Die Küche war eine einzige Müllkippe. Im Kellergeschoss bahnte sich de Gier den Weg durch den Abfall. Eine amateurhaft errichtete Ziegelwand erregte Verdacht. De Gier stieß sie mit dem Fuß um. Hinter der Wand, in Plastiksäcken, hatte ein Schatz in kleinen Banknoten den Ratten als Nest gedient. Sie zählten die Beute. Es war ein wenig mehr als eine Million in unversehrten Banknoten.

Was macht man da als ein Mann, der laut polizeilicher Dienstvorschrift «zur korrekten Ausübung seiner Amtspflichten angehalten» ist? Man übergibt den Zaster seinen Vorgesetzten im Hauptquartier an der Elandsgracht. Anständige und bewunderungswürdige Leute, Damen und Herren, in golden und silbern betressten Uniformen. Deine Vorgesetzten richten wohlgesetzte Worte an dich. «Gute Arbeit, Adjutant. Das ist gut, legen Sie es einfach da hin, Brigadier. Das geht alles auf schnellstem Weg in die staatliche Schatzkammer. Nein, das ist schon gut so, diese kleine Arbeit erledigen wir gern selber. In Ihrem Namen, Kollegen. Und nochmals danke, wirklich. Viel Spaß noch heute im Dienst, Adjutant, Brigadier.»

Was wird dir dann klar? Dass Vorgesetzte minderwertig sind. Dass die höheren, von dir in deiner Dummheit respektiert, Urlaub im Pazifik machen, auf den Fidschis, in Polynesien, an abgelegenen Orten, die Normalbürger nie zu sehen bekommen. Auf den reservierten Polizeiparkplätzen tauchen neue Autos auf. Im Vergnügungsviertel um den Leidseplein geht es hoch her. Geheime Treffen finden statt in den königlichen Suiten von Hotel Amstel und l’Europe. Champagnerkorken knallen, und nuschelnde Stimmen machen sich lustig über den abgrundtief widerwärtigen Adjutant und seinen Brigadier, der nicht bis drei zählen kann.

Haha! Hoho!

Und bei wem soll man sich beklagen?

Dein eigener Chef hat schweres Rheuma, das ihn an seine heiße Badewanne fesselt, er wird sowieso bald ausscheiden. Der Polizeipräsident unterzieht sich einer schwierigen Therapie, für den Justizminister ist ein goldener Fallschirm aufgespannt worden, bevor er den Abgang macht.

Doch das Glück ist bei den Glücklichen. Grijpstra grinste schwermütig. Denn es ergibt sich, dass in derselben verkommenen Bruchbude in der Bloodstraat, vom selben Adjutant und demselben Brigadier ein weiterer Schatz gefunden wird. Der zweite Schatz ist um ein Vielfaches größer als der erste. Dieses Mal sind es Hunderte, Tausende Banknoten von hohem Nennwert, in verschlossene Metallbehälter gestopft.

Zögernd öffnen die Polizisten die Deckel. Konnte das wahr sein? Schwedische Fünftausendkronennoten? Amerikanische, säuberlich verschnürt? Sogar ein paar Goldbarren?

«Du meine Güte.» De Gier hatte mit den entsetzlichsten Flüchen um sich werfen wollen. Die Worte, keines davon in der Lage, die Ernsthaftigkeit der Situation wiederzugeben, waren ihm im Hals stecken geblieben.

Grijpstra murmelte: «Lieber Gott.» Niemand erfuhr den Grund für diese Äußerungen. Nun ja, der Commissaris hörte davon, denn er hätte es sowieso rausgekriegt, warum also versuchen, clever zu sein? «Wir haben vor, das Geld zu behalten, Mijnheer», sagte Grijpstra. «Außerdem werden wir unseren Abschied nehmen», sagte de Gier. Der Commissaris antwortete, er sei froh, dass sie solche schwerwiegenden Entscheidungen selber getroffen hätten und er gern behilflich sein wolle, die Beute anzulegen.

«Nehmen Sie sich so viel, wie Sie momentan brauchen, und bringen Sie mir den Rest. Im Rechnen bin ich gut.»

Der Commissaris brachte das Geld in seinem alten Citroën in das unabhängige Herzogtum Luxemburg und eröffnete im Namen von Grijpstra und de Gier ein Anlagekonto, mit der Befugnis, für diese beiden Begünstigten zu zeichnen – jede Überweisung, jeden Betrag. Der Bankdirektor fand diese Vereinbarung ungewöhnlich, aber sollte er eine so beträchtliche Einzahlung zurückweisen? Es war alles Vertrauenssache, natürlich. Das Vorhersagbare tritt selten ein, das Unerwartete allerdings unweigerlich. De Gier erfuhr diese Wahrheit von einem abgetakelten Mitgiftjäger. Grijpstra vernahm sie von einem braunhäutigen Mann mit magnetischen Augen und einem weißen Spitzbart. «Es kommt immer anders», sagte ihm der Straßenguru.

So war’s. Anstatt im schweren Dienst für den Staat in Ehren zu ergrauen, alterte Grijpstra, plötzlich arbeitslos und wohlhabend, rasch. Magengeschwüre nagten. Das Zahnfleisch faulte. Er bekam Krampfadern. Er gewann seine Gesundheit wieder, nachdem er seine freizügige Freundin Nellie heiratete. Nellie sagte, sie hätte die ganze Zeit gewusst, dass es zu dieser Heirat kommen würde.

«Nutten», sagte Nellie, «brauchen niemandem was vorzumachen, wir leben dicht an der Wahrheit.»

Grijpstra räumte seine Mietwohnung in der Lijnbaansgracht und zog zu Nellie in die Rechtboomsloot.

Nellie gehörte das ganze Haus. Es beherbergte im Kellergeschoss eine kleine Bar, die ONE ON ONE. Das Hotel Nellie umfasste alle vier Stockwerke, und darüber gab es ein vergammeltes Dachgeschoss. Aufgrund der unerwarteten Veränderung verschwand die Bar im Kellergeschoss, in die ersten beiden Etagen zog die Detektei G & G, die nächsten beiden Stockwerke verwandelten sich in eine luxuriöse Wohnung für Mijnheer & Mevrouw Grijpstra, und de Gier, zurück aus Neuguinea und einem Aufenthalt in Maine, USA, räumte das Dachgeschoss aus und polierte es zu einem Hausgarten mitsamt Zeltplatz auf. «Die Dinge ändern sich», sagte der Commissaris bei der Einweihungsparty, die er mit seiner Frau Katrien besuchte. «Mitgiftjäger und Straßengurus sagen die Wahrheit.» Er zitierte auch einen obskuren mittelalterlichen holländischen Dichter, der sich über das Thema ausgelassen hatte, dass die Dinge nicht sind, was sie zu sein scheinen. «Das einzig Beständige ist die Veränderung.»

Abgesehen von den Schatzfindern selbst, wusste nur der Commissaris, woher das ganze Geld stammte. Drei surinamesische Drogendealer wussten es auch, doch die wurden in Paramaribo, ihrer Heimatstadt an der südamerikanischen Küste, tot aufgefunden.

«Aber Henkieluvvie», sagte Nellie. «Wo hast du’s her?»

Grijpstra behauptete, er habe die aufwendige Restaurierung ihres Hauses von seinen Ersparnissen und einem Bankkredit bezahlt, der aus den künftigen Einnahmen der Detektei G & G zurückgezahlt werden würde.

«Alles ganz prima und sauber», sagte Grijpstra. De Gier bestätigte diese Behauptung. Der Commissaris nickte zustimmend. Kein Grund zur Sorge. Nellie brauchte sich ihren schönen blonden Kopf nicht zu zerbrechen.

«Klar», sagte Nellie, der das augenblickliche gewinnbringende Arrangement lieber war, als sich beim Herumalbern mit zahlenden und oft unbeherrschten Kunden blaue Flecken zu holen, Geschäftsleuten vom Rand des Pazifiks, auf die sie sich in letzter Zeit spezialisiert hatte. Ihre Auswahl zahlte besser, war aber oft gewalttätig. Nie mehr das langbeinige Pin-up-Girl sein, dachte Nellie. Nie mehr im Streifenwagen Anweisungen über Funk folgen, wenn man gerade scharf auf ein Sandwich mit Räucheraal und einen Kaffee mit Schlagsahne ist, dachte Grijpstra.

Keine Vorschriften und Drangsalierenden mehr, dachte de Gier.

«Von der Zwangsjacke befreit», sagte der Commissaris und lächelte sein Lächeln. «Und wie werden Sie Ihre Tage verbringen, Henk und Rinus? Ihr braucht nicht mehr ‹Mijnheer› zu mir zu sagen. Ich bin Jan.»

«Mit Nichtstun, Mijnheer», sagte Grijpstra und berief sich auf seine Faulheit. De Gier stimmte zu, berief sich auf seine philosophische Suche nach dem Sinn, die Meditation erfordere. Er erklärte sogar: «Um zu sehen, wohin ich komme, wenn ich mich um nichts kümmere.» Dem Commissaris schien der Plan gut, doch er riet seinen früheren Assistenten, sich eine Beschäftigung zu suchen. Seine Frau stimmte zu. «Leere, mit Reichtum gefüllt, schafft ein Ungeziefer, so groß wie ein Kamel», sagte Katrien, ein altes holländisches Sprichwort zitierend. Sie musste wissen, wovon sie sprach. Da sie Geld geerbt und ihr Mann ihr geholfen hatte, es anzulegen, hatte sie, unter der Last des Reichtums, für den sie keine Verwendung hatte, eine Therapie gebraucht. «Bleiben Sie tätig», sagte Katrien. «Tun Sie etwas, das Sie gern tun.»

«Wenn’s nicht anders geht, dann tut so als ob», sagte der Commissaris. «Fangt ein Geschäft an, macht einen eigenen Laden auf.»

Das war die Geburtsstunde der Detektei G & G.

Sie bekamen ein paar Aufträge. Da war eine Versicherungssache, die ihnen ein früherer Polizeikollege, der kürzlich beförderte Simon Cardozo, übertrug. Da war ein verschwundenes Mädchen, eine Touristin, die sie finden sollten. Auch eine Pension für die Witwe eines Haschischdealers, die mit der Dealer-Vereinigung ausgehandelt werden musste. Drei Fälle in einem Jahr. Minimales Einkommen, maximale Freizeit. Grijpstra malte tote Enten, de Gier zupfte reizvoll aussehende Kräuter zwischen den Pflastersteinen der Innenstadt, pflanzte sie in kunstvolle Töpfe, die er aus Sperrholz zimmerte, das er aus den Grachten fischte. Er pflegte auf Nellies Dachboden seinen Wildblumen- und Kräutergarten. Er betrachtete die Kräuter auf den Abbildungen in einem Buch, das er bei einem Antiquar am Oudernanhuispoort fand. Er lag in seiner Hängematte inmitten einer Plantage von Wasserhelm, Scharlachklee und Sumpfglockenblume, dachte über Zen-Sprüche nach und las Nietzsche auf Deutsch.

«Was tust du da?», fragte Grijpstra manchmal, wenn er, vor Nellies TV geflohen, de Gier, im Schneidersitz auf den Boden starrend oder über Bücher gebeugt, fand.

De Gier antwortete gern mit orientalischem Schweigen oder Nietzsche-Zitaten auf Deutsch.

«Womit beschäftigen sich die Übungen oder Bücher?», fragte Grijpstra einmal. «Mit nichts, ja? Mit dem Nichts, aus dem der Herr Dinge schuf und das noch immer durchscheint?»

«Ich komme wirklich nicht dahinter», gab de Gier zu.

Sie machten auch gern zusammen Musik, in einem Jazzkeller, Grijpstra am Schlagzeug, de Gier mit seiner Minitrompete. Auf die Ruhige. «Gemächlich» war das Schlüsselwort. Cool. Entspannt. Wir wollen nicht fleißig sein.

Der Grijpstra, der sich, nachdem sie den zweiten Schatz gefunden hatten, mit de Gier einig war, «etwas durch Nichtstun zu tun», war der freie Grijpstra. Gleichwohl gab es andere Grijpstras.

Der beschäftigte Grijpstra, von dem Tanker-Charterer Carl Ambagt aufgestöbert, bemerkte den Widerwillen des freien Grijpstra gegen Carls Vorschlag. Es stellte sich ein Konflikt ein. Die alltägliche Faulenzerei fortsetzen oder sich vielleicht auf einen aufregenden Auftrag einlassen?

Piraterie nahe den Niederländischen Antillen? Dem geschäftigen Grijpstra gefiel das. Der freie Grijpstra verblasste. Der geschäftige Grijpstra gewann die Oberhand. Der geschäftige Grijpstra zog sich auf einen Modus Operandi zurück, den er in gut zwanzig Jahren täglicher Polizeiarbeit gelernt hatte. Dem geschäftigen Grijpstra fiel auf, dass der Klient, obgleich unsympathisch, ein energischer und intelligenter Mann zu sein schien. Carl, wenn auch klein, hatte breite Schultern, und unter den Ärmeln seines Blazers wölbten sich Muskeln. Ein sportlicher Typ? Ein Turner? Vielleicht Gewichtheber. Ambagts Flanellhose war penibel gebügelt, sein Hemd aus gebleichtem Leinen hatte einen Button-down-Kragen. Die silberne Krawatte, bedruckt oder vielleicht sogar handbedruckt – Grijpstra setzte seine Brille auf –, zeigte das Bild eines nackten Mädchens, das unter einer massiven goldenen Nadel leuchtete, die wie ein erigierter Penis geformt war. Ein unsympathischer, intelligenter, energischer, kleiner, aufgeputzter Bursche Anfang vierzig. Als er den Klienten hereinbat, waren Grijpstra Ambagts schweinslederne Halbstiefel aufgefallen, und als er ihm die Hand schüttelte, hatte er ein Platinarmband und eine juwelenbesetzte Uhr bemerkt. Ein reicher kleiner Bursche. Ein mächtiger kleiner Bursche. Der Klient war noch immer bewegt. «Armer Matrose Michiel, von Kugeln durchsiebt.» Ambagt knetete seine kleinen, kindlichen Hände. «Das kommt dabei raus, wenn Arschlöcher mit Waffen rumspielen.» Ambagts Goldfüllungen funkelten. Er sprach ungezwungen, vergaß seinen Rotterdamer Akzent, fügte weniger Fragezeichen an, mäßigte seinen arroganten Tonfall.

«Action-Film. Das ist was für Sie, Mijnheer Privatdetektiv. Als wir das letzte Mal mit Kapitän Souza sprachen, sagte er, die Position des Tankers sei genau südlich von Saba. Danach verloren wir den Kontakt. Da fingen wir an, uns Sorgen zu machen, machten den alten Quirl klar, flogen los und suchten überall herum. Dad und ich in der Mühle. Wir kehrten zweimal zurück, um aufzutanken. Hubschrauber fliegen nicht so weit, wissen Sie. Suchten stundenlang, checkten alle Inseln, fingen mit Saint Martin an, dann bis runter nach Barbuda, dann Antigua; wir hakten die französischen, die britischen, die niederländischen Antillen ab, zuckelten wieder zurück nach Osten, bis rauf nach Anguilla. Endlich sahen wir ihn, den alten Kahn. Trieb vor Saba, eingeklemmt zwischen Nevis und Saint Kitts. In der Gegend muss man aufpassen, gibt da ’ne Menge Riffe und Felsen. Mussten mit unserer Mühle auf dem kleinen Achterdeck runtergehen. Sie hätten mich und Dad sehen sollen, wie wir auf der Sibylle herumflitzten. Wirklich knifflige Sache. Mussten den alten schwerfälligen Tanker von den Riffen wegkriegen, und so einen Koloss zu steuern ist nicht einfach, wissen Sie, auch wenn ich das Kapitänspatent habe. Da gab’s ’ne Strecke, da hatten wir nicht einen halben Faden Wasser unterm Kiel. Zum Glück war der alte Pott leer. Als wir ihn zum letzten Mal sahen, war er kirchturmhoch und lag bis zum Stehkragen im Wasser. Also, wo war die Ladung, verdammte Scheiße?» Ambagt trocknete sich mit einem seidenen Taschentuch, das er wütend entfaltete, die Stirn. «Nichts rührte sich an Bord, bis auf zwei Katzen, die wie verrückt rumrannten. Wir hörten sie kreischen, als wir die Maschine unserer Mühle abstellten.»

Grijpstra war verwirrt. «Sie nahmen die Katzen mit?»

«Fand für sie ein Heim auf Saint Martin», sagte Carl. «War nicht gerade ein Spaß, mit ihnen im Hubschrauber. Dad wollte sie rausschmeißen.»

«Und Sie sind in Saint Martin gewesen?», fragte Grijpstra. «Sie und Ihr Vater flogen zufällig mit dem Hubschrauber herum?»

«Wir irrten umher», verbesserte Ambagt, «und der Hubschrauber gehört zu unserem Schiff. Der Tanker, die Sibylle, kam aus dem Iran.» Ambagt legte einen Finger auf die Lippen. «Ein Geheimnis, ja? War auf dem Weg nach Kuba. Auch das braucht niemand zu wissen, ja?»

«Was ist das für ein Geheimnis?», fragte Grijpstra.

«Uncle Sam hasst diese Route einfach.» Ambagt behielt sein Lächeln bei und zwinkerte zwischen Satzfetzen. «Iran, diese Scheichs, die Kindergärten in die Luft jagen … und Castro ist auch schlecht für die amerikanische Gesundheit … die USA blockieren Kubas Versorgungswege … nur so kleine Lichter wie wir können durchschlüpfen … internationale Gewässer … ich und Dad, wir fühlen uns an nichts gebunden … anonym, wie man sagt … vorher war’s Südafrika und sein Öl-Embargo … Ambagt & Sohn verkauften ihnen früher russisches Öl … dies Südafrika ist jetzt Niggerland, schmutzige arme Nigger, die dich keinen Gulden verdienen lassen …»

«Sie und Ihr Vater schmuggeln Rohöl?»

«Wir sind freie Kaufleute», sagte Ambagt.

«Ihr Schiff mit dem Hubschrauber ist auch ein Tanker?», fragte Grijpstra.

«Nein, nein, nein.» Ambagt machte eine abwehrende Handbewegung. Der Rotterdamer Akzent kehrte zurück. «Unser Admiraal Rodney ist ein Feadship. FEAD wie First Export Association of Dutch Shipbuilders. Jawohl, Mijnheer. Seetüchtiger Superluxus.» Er sah Grijpstra an. «Entworfen für Superkunden wie mich und Dad. Für die Spitzenleute. Für die crème de la crème. Für die obere Schicht der Kruste einer ansonsten unbedeutenden Menschheit, Mijnheer Privatdetektiv. Klar?»

«Aha», sagte Grijpstra.

«Sie sollten beeindruckt sein», sagte Carl Ambagt. «Wer hat sonst noch ein Feadship? Der Sultan von Borneo, reichster Mann der Welt. Und ein paar Filmmagnaten, einer oder zwei Fusionsbillionäre. Freddie Heineken vielleicht. Der Chief Samurai von Mitsutomo. Wissen Sie, wer kein Feadship hat? Die holländische Königin. Sie kann sich keines leisten.»

Wie schrecklich, dachte Grijpstra, wirklich reich zu sein, wie er selbst zum Beispiel. Glücklicherweise brauchte er es keinem zu erzählen. Ambagt tat’s, warum sonst blinzelte er fortwährend und hob sein dünnes Stimmchen? Grijpstra spürte zunehmenden Schüttelfrost.

«Ja, Mijnheer Ambagt, Sie wohnen also auf einem Hausboot.»

«Motorisierter Luxusdampfer.»

«Steuerfrei?», fragte Grijpstra.

Ambagt schlug sich auf den Schenkel. «Nicht ein Gulden für das holländische Finanzamt. Unsere Yacht fährt unter liberianischer Flagge. Mal von Liberia gehört, wohin amerikanische Sklaven transportiert und befreit wurden, damit sie selber Sklaven halten konnten?»

«Und Ihr Segelboot kam an Saint Martin vorbei und …»

«Motoryacht», sagte Ambagt. «Dreißig Millionen Dollar wert. Inneneinrichtung Gold und Marmor, sehr leise Maschinen. Heißes und kaltes Wasser. Riesige Mikrowelle. TV-Parabolantenne mit zig Kanälen. Zimmerservice rund um die Uhr.»

«Liebe Güte», sagte Grijpstra.

«Kann man wohl sagen», sagte Ambagt. «Wir besuchten Saint Martin. Machen wir oft. Das ist eine Insel, um Spaß zu erleben. Die Beamten kommen gern an Bord auf einen Drink, bevor sie uns an ihren Freuden an Land teilhaben lassen. Ich und Dad sprachen von unserer Eigner-Suite auf der Rodney mit der Sibylle, bevor wir die Verbindung verloren. Der Tanker war zu diesem Zeitpunkt südlich von Saint Eustatius, im Begriff, rüber nach Kuba zu dampfen.»

«Gerade eben sagten Sie, er sei südlich von Saba gewesen.»

«Egal», erwiderte Ambagt. «Saba, Saint Eustatius, Saint Martin, drei Pickel auf demselben Arsch. Also Dad und ich schlürften Piña Colada und futterten Kaviar auf Toast, und Dad rief übers Zimmertelefon die Sibylle an, das macht er zweimal jeden Tag, und nichts tut sich, nur das Gequatsche von der Blechstimme.»

«Anrufbeantworter?»

«Satellit», sagte Ambagt. «Also geht Dad auf die Brücke der Rodney und versucht’s über Funk, und immer noch nichts. Unser gesamtes Geschäftskapital schwimmt auf diesem stummen Tanker. Nicht versichert. Sehen wir mal nach, sagte Dad. Wir konnten nicht gleich starten, denn die Mühle hatte ein Problem, Feuchtigkeit im Motor, Seeluft hat sie nie vertragen. Und die Rodney selbst war knapp an Sprit.»

«Und weil Sie keine Verbindung bekamen, fürchteten Sie, auf Ihrem gecharterten Tanker könnte was Schlimmes passiert sein?»

«Ja», sagte Carl wütend. «Jajaja. Ja doch.»

«Fliegen Sie den Hubschrauber selber?»

«Wer sonst?», fragte Ambagt. «Dad trinkt. Er reagiert langsam. Kommt mit den Armaturen nicht klar. Außerdem ist Dad ein PC-Muffel.»

Grijpstra blickte überrascht.

«Computer?», fragte Ambagt. Er blickte sich im Raum um. «He, sind Sie auch so einer? Wie ist das möglich? Wo ist Ihr PC?»

«Oben», antwortete Grijpstra. Ein hübscher großer, dachte Grijpstra, mit Lautsprechern. Nellie konnte ihn bedienen, hantierte mit dem Modem der geheimnisvollen Maschine, ihren Roms und Rams, zauberte Farbbilder auf den Monitor, druckte die Fotos auch in Farbe, benutzte das Ding für Videoclips. Spielte Spiele. Beherrschte ihn perfekt.

«Wäre nützlicher hier», sagte Ambagt. «Wir brauchen vielleicht Ihre Datenbank böser Jungs. Ihre Akte über Richter, die auf Sex mit Kids scharf sind. Ihre Liste von Staatsanwälten, die Tunten sind. Ihre Aufzeichnungen über das Privatleben von Kollegen vom letzten Jahr, als Sie noch im öffentlichen Dienst schufteten.» Er ließ langsam ein Augenlid heruntersinken. «Ha ha, Mijnheer Privatdetektiv. Sie wissen, wie der Hase läuft, und darum haben Dad und ich nichts dagegen, Ihnen ein paar große Scheine rüberzuschieben.» Er machte eine weit ausholende Geste. «Ich weiß, was Sie vorhaben, Dickerchen. Ich biete Ihnen genau das, was Sie brauchen. Mit diesem Fall können Sie dem Finanzamt ein paar wirkliche Einnahmen vorweisen.» Carl lächelte. «Stimmt’s?»

Grijpstra knurrte.

Ambagt sah erschrocken aus. «Ist alles in Ordnung?»

«Augenblick mal», sagte Grijpstra.» Bloß einen verdammten Augenblick, bevor wir diese Unterhaltung fortsetzen, Freundchen. Wie haben Sie mich gefunden, sagen Sie’s mir auf der Stelle.»

Grijpstra erhob sich drohend.

«He», rief Ambagt. «Wir wollen doch nett bleiben, oder? Auch Sie und Ihr Partner sind freie Menschen, hab ich recht?» Er gestikulierte wild. «Kapiert? Warum ich herkam? Ja? Sartre, Sie kennen ihn? Condamné à la liberté? Zur Freiheit verdammt? Sind Sie das nicht auch? Sie und Brigadier de Gier, der Held? Seit Sie Ihren Schatz gefunden haben, scheren Sie sich doch einen Dreck um irgendwas anderes, oder? Wie ich und Dad? Schwimmen frei in der gesetzlosen Leere. Gottlos?»

Grijpstra setzte sich wieder. Da war Er wieder, der Gott, oder war es der Nicht-Gott, oder gab es da einen Unterschied? Denselben Unterschied? Und da war auch wieder Sein Nicht-Gesetz, oder war es Sein Auch-Nicht-Gesetz? Verwirrt von zu vielen Verneinungen, tappte er im Dunkeln.

«Also was ist mit diesem Sartre?», fragte Grijpstra unsicher. Carl beeilte sich mit der Erklärung. «Er sagte, dass wir, aufgrund der beweisbaren Abwesenheit eines Schöpfers, den nur interessiert, ob wir richtig oder falsch leben, dazu verdammt sind, frei zu sein. Leider.» Carl grinste hilfsbereit. «Leider? Vielleicht. Womöglich ist es überhaupt nicht so ein Unglück, allein gelassen zu sein? Unter Umständen können wir unsere gerade gewonnene Freiheit ja sinnvoll nutzen. Ich und Dad genießen unsere neue Freiheit auf unserer Yacht, okay? Sie und Ihr früherer Brigadier machen dasselbe in diesem Gebäude, richtig? Sind wir nicht Leute vom gleichen Schlag? Frei wie Vögel mit prächtigem Gefieder?»

Grijpstra langte nach dem Telefon. «Rinus, könntest du mal ’ne Sekunde runterkommen? Zieh deine Handschuhe an. Ich habe hier einen Klugscheißer, der eine Abreibung braucht.»

Ambagt stand langsam auf.

Der langgeriffelte Lauf von Grijpstras Waffe, rasch aus der oberen Schreibtischschublade gezogen, zeigte auf Ambagts Stirn. Ambagt setzte sich langsam.

[zur Inhaltsübersicht]

Zwei Ein bedrohter Klugscheißer

Exbrigadier de Gier betrat das Geschäftszimmer der Detektei G & G Inc. Sportlich, natürlich, dachte Grijpstra ungehalten. De Gier konnte sich einfach nicht normal aufführen. Immer dieses Tänzeln, immer die breit schwingenden Schultern, das stolz gereckte kantige Kinn, die Habichtsnase, die großen, aufmerksamen Augen, der heroische Schnurrbart, das penibel gekämmte lockige Haar. Grijpstra machte Henker und Opfer miteinander bekannt.

«Mein Partner, Detektiv Rinus de Gier. Carl Ambagt, gibt vor, Opfer einer Piraterie zu sein, Bürger von Rotterdam, wohnt steuerfrei auf einem internationalen Hausboot.»

«Der nichts als die Wahrheit sagt», sagte Ambagt. «Ich und Dad wohnen auf der Rodney. Eine Luxusyacht, in diesem Land gebaut. König Saud von Arabien besitzt ein Feadschiff. Wir auch.»

De Gier hielt ein Paar Lederhandschuhe hoch. «Und warum, guter Mann, soll ich Sie schlagen?»

«Der werte Mijnheer beschuldigt uns, einen illegal erworbenen Schatz zu besitzen», sagte Grijpstra.

«Der werte Mijnheer beschuldigt niemanden irgendeines Vergehens», sagte Carl Ambagt.

Grijpstra runzelte wütend die Stirn.» Sie sind von der Steuerfahndung, Sie Fiesling?»

De Gier runzelte ebenfalls die Stirn. «Fallenstellen ist in Ihrer Branche nicht legal, Fiesling.» Er spielte mit den Muskeln. «Ich bin gut in Judo.»

Ambagt sagte, er sei kein schlechter Boxer.

«Sollen wir?» De Gier machte graziöse Bewegungen mit seinen behandschuhten Händen.

Sie sollten nicht, sagte Ambagt, weil de Gier im Judo sicherlich besser sei als er selbst im Boxen. Er bat um Erlaubnis, nach seiner Brieftasche greifen zu dürfen, ohne geschlagen zu werden. Nur ein paar Papiere vorlegen, die seine Identität bewiesen.

«Her mit der Brieftasche», sagte Grijpstra.

Grijpstra leerte die Brieftasche aus Schlangenleder. Er studierte die Kreditkarten, den Pass, einen amerikanischen Führerschein, ein Foto eines Marineoffiziers in Uniform mit Koteletten und einer großen, purpurroten Nase («Dad», sagte Carl Ambagt), ein Bündel Hundertdollarscheine, verschiedene holländische Banknoten, eine spielkartengroße Zeichnung eines Skeletts mit einem Frauenkleid auf einem Pferd. «Mexikanischer Zauber», sagte Ambagt. «Die Darstellung des Todes als Frau soll Glück bringen. Jemals in Mexiko gewesen? Noch nicht? Ich und Dad fahren dauernd hin, meistens nach Yucatan, Halbinsel gegenüber Kuba, richtig? Jemals von einem Steuerinspektor der holländischen Regierung gehört, der sich auf der Halbinsel Yucatan auskannte, he?»

«Beweis?», fragte de Gier.

«Wie beweise ich, dass ich Yucatan kenne?», fragte Ambagt. «Mexikaner sprechen spanisch», sagte Grijpstra. «Sprechen Sie spanisch, lieber Mann.»

De Gier tanzte durch den Raum und fintierte Schläge auf Ambagts Kopf.

«A traves de los siglos», sagte Carl Ambagt, «por la nada del mundo, yo, sin sueno, buscandote, el paraíso perdido.»

De Gier setzte sich in den zweiten Besuchersessel. «Das ist das, was die meisten von uns sowieso tun.»

«Was tun die meisten von uns?», fragte Grijpstra.

«Seit Jahrhunderten», sagte de Gier, «schlagen sie sich damit herum, dass die Welt keine Wirklichkeit hat …»

«Por la nada del mundo», sagte Carl Ambagt träumerisch, «hübsch gesagt, nicht wahr? Nada bedeutet nicht einfach ‹Unwirklichkeit›, wissen Sie, sondern bezeichnet eine Illusion, eine Erscheinung von irdischer Scheiße, die wir uns dauernd schaffen und darauf beharren, sie wäre Realität …»

«… und ich», übersetzte de Gier weiter, «suche ruhelos nach …»

«… ‹dem verlorenen Paradies›», sagte Ambagt, «was in diesem Fall heißt: nach der schönen Quintessenz des Seins, die für immer a traves de los siglos, außerhalb unserer Reichweite, ist.»

«Ein Finanzbeamten-Gedicht», sagte Grijpstra. «Nur ein Finanzbeamter kann sich so ein endloses Elend ausdenken, lieber Mann. Nimm ihn auseinander, Rinus, er ist nicht sauber.»

«Ein Gedicht, in der Tat», sagte Ambagt. «Später begegnet der Dichter einem Bukett von Schatten, un boquete de sombras, und stummen Leuten, die aus ihren Gräbern aufstehen, und einem Schwarm trauriger Vögel, avis tristes, die mit ausgedörrten Stimmen zu singen versuchen … ein Kunstwerk von Alberti», seufzte Ambagt.

«Kein mexikanischer, sondern ein spanischer Dichter. Ich stieß in einem Buchladen in Puerto Juarez auf sein Werk, auf der Halbinsel Yucatan, dem magischen Land der Mayas.» Er wandte sich an Grijpstra. «Ist nicht Spanisch die schönste Sprache überhaupt?» Er wandte sich an de Gier. «Wo haben Sie die Fremdsprache gelernt, he?»

De Gier blickte an Ambagts Kopf vorbei.

«Auf seinem mit Kräutern bepflanzten Dachboden», sagte Grijpstra barsch. «In diesem Haus. De Gier saugt fremde Sprachen auf, zwischen Niesholz und purpurn gefransten Orchideen. Und Sie, Sie Tausendsassa?»

«Ich fing auf der Erasmus-Universität an, Spanisch zu lernen, ich vervollkommnete meine Studien in den Betten mexikanischer Edelhuren.» Carl Ambagt lachte. «Ein ideales Programm.»

«Die Erasmus-Universität ist ein exklusiver Laden», sagte Grijpstra. «Kommen Sie nicht aus bescheidenen Verhältnissen?»

Ambagt errötete. «Sie haben es bemerkt?»

«Beantworten Sie die Frage?», rief Grijpstra.

«Ich bekam ein Stipendium», sagte Ambagt. «Ich bin ein Genie, wie Sie bemerkt haben müssen.» Er klopfte sich auf die Schulter.

«Nummer eins bei der Aufnahmeprüfung. Als ich erst drin war, machte ich mich gut, aber im Spanischen war ich echt spitze. Aber was soll’s, die Uni langweilte mich. Ich brach das Studium ab. Dad hatte mittlerweile das Autogeschäft angefangen, und ich musste bei der Inventur helfen. Die Lehrer waren froh, als ich ging.» Er lächelte. «War ’ne Menge Neid dabei, wissen Sie. Nicht nur, dass ich ihnen intellektuell überlegen war, sondern weil ich einen Jaguar fuhr und in den besseren Puffs verkehrte.»

«Rausgeschmissen aus Hollands anspruchsvollster Handels-Universität», nickte Grijpstra, «nahm ein böses Ende. Wie zu erwarten.»

Ambagt hob die Hände. «Wie immer Sie es nennen wollen, richtig, Dicker? Also was soll’s?»

«Deshalb glaube ich Ihnen nicht, Sie Arschloch», rief Grijpstra und schlug auf die Tischplatte. «Sie gehen also gern in Puffs, ja? Darum kennen Sie auch dieses Haus. Sie sind wegen Nellie gekommen. Die ONE ON ONE-Bar. Sie bemerkten das neue Schild. Sie beschlossen, sich über das neue Angebot zu informieren.»

«Gestehen Sie», sagte de Gier freundlich. «Wenn Sie’s tun, schlage ich Sie vielleicht nicht.»

Ambagt sah verblüfft aus. «Dieses Haus ist eine Absteige?» Er blickte sich um, sah Mahagonitäfelung, ein Porträt in Öl, das einen vollbärtigen Polizeihauptmann mit litzenbesetztem Kragen über einer Samtjacke zeigte, auf dem breiten Fensterbrett Orchideen in einer chinesischen Vase, eine ledergebundene Enzyklopädie in vierundzwanzig Bänden, eine mittelalterliche Armbrust, die eine weiße Gipswand schmückte. «Kann man sich kaum vorstellen.» Er zeigte auf einen freien Raum an der Wand. «Warum hängt ihr da nicht eine Radierung von Rembrandt hin? Ihr Burschen seid doch stinkreich.»

Der böse Detektiv de Gier wedelte mit seinen behandschuhten Händen.

Der gute Detektiv lächelte freundlich. «Also, Freundchen. Wer hat uns empfohlen? Raus damit.»

Ambagt ging nicht darauf ein. Er war geschäftlich hier. Er bot eine Million, hunderttausend im Voraus, um die Unkosten zu decken, wenn die Detektei G & G, wie immer sie das anstellte, eine Ladung unversichertes Rohöl wiederbeschaffte, die aufgrund einer Piraterie der Sibylle verlorengegangen war.

Grijpstras Egos bekämpften sich. Der geschäftige Grijpstra unterlag.

«Nein», sagte der freie Grijpstra.

«Das ist nicht Ihr Ernst», sagte Ambagt.

«Doch», antwortete der freie Grijpstra.

«Ich und Dad», sagte Carl, «wir sprechen von Dollars.» Er blickte de Gier an. «Das sind dieselben grünen Dinger, die man im Kino sieht. Franklin persönlich lächelt euch zu, zehntausendmal. Zehntausendmal auf Hundertdollarnoten. Was sagen Sie? Sie machen es, richtig?»

«Nicht richtig», sagte de Gier.

Carl fauchte. «Jetzt hören Sie mal zu.» Er zeigte de Gier seine kleinen Fäuste. «Was ist, wenn ich in den nächsten Tagen Mijnheer Finanzamt besuche? Ich kann das machen, ohne dass ich mir selber schade. Ich und Dad sind in diesem blöden Land nicht gemeldet. Mijnheer Finanzamt kann mich und Dad nicht überführen, aber Sie wird er mit tödlicher Sicherheit erwischen. Woher stammt Ihr Einkommen, wird er fragen. Und was werden Sie sagen? Einnahmen, welche Einnahmen? Und Sie wohnen hier. Sie haben dieses Haus. Mijnheer Finanzamt liebt ganz einfach hübsch restaurierte Häuser. Beschlagnahmt. Versteigert. Sie und der Dicke wandern für einige Zeit in den Knast, und ich werde euch keine Plätzchen schicken.»

Es war still in dem riesigen Raum.

«Alles klar?», fragte Ambagt. «Eine Million? Und einhunderttausend im Voraus für die Unkosten?»

«Besuchen Sie Mijnheer Finanzamt», sagte Grijpstra.

De Gier rieb behutsam seine behandschuhten Hände. «Tun Sie das, Freundchen.»

[zur Inhaltsübersicht]

Drei Die Lady zieht sich gern aus

In einem Billiardcafé, «Nur für Männer», Runstraat, Innenstadt von Amsterdam, zwischen Herengracht und Prinsengracht, trafen sich Grijpstra und de Gier am selben Abend mit zwei Kollegen aus der guten alten Zeit.

Die Agenten Karate und Ketchup, beide von kleiner Statur, beide in Leder gekleidet, in engen Hosen und Springerstiefeln, Ketchup langhaarig mit Bart und Schnurrbart, Karate kahl geschoren, leicht gepudert und zurückhaltend geschminkt.

Grijpstra war ruhig zwischen dem trockenen Klicken, mit dem sein Queue die Elfenbeinkugeln traf. Er legte eine hübsche Serie hin, zu hübsch für de Gier, um nachzuziehen. Grijpstras Erfolg ärgerte de Gier, der längst aufgehört hatte, sein Queue beifallspendend auf den Boden zu stoßen.

Auch de Gier war ruhig. Er hatte, nachdem er seine Gäste kalt angelächelt hatte, Ketchup und Karate beschuldigt, ihre Finger im Spiel zu haben. «Ihr wisst, dass wir nicht mehr im Dienst sind. Also warum schickt ihr uns diesen schrägen Typ?»

«Welchen Typ, Brigadier?»

«Den kleinen Gernegroß aus Saint Martin», sagte de Gier. «Ihr zwei korrupten Bullen unterhaltet ein Ferienhaus in der Karibik. Ihr habt dieses verachtungswürdige Großmaul Carl Ambagt in irgendeiner Bar getroffen. Blabla und quasselquassel, und schon taucht er haargenau in unserem Büro auf. Unterbreitet uns einen Vorschlag, den wir nicht ablehnen können.»

«Vierzig Jahre alter Typ», sagte Grijpstra. «Redet Scheiße. Titten und Arsch auf dem Schlips. Polierte Nägel. Betucht. Spricht prima Spanisch. Hat das Geschäftemachen auf der Erasmus-Universität gelernt, obendrein aus Rotterdam. Wie zum Teufel könnt ihr zwei es wagen …»

«Wer?», fragte Ketchup.

«Was?», fragte Karate.

Das war, als sie anfingen, Billard zu spielen. Karate, der noch kleiner war als Ketchup, hatte den ersten Stoß und traf mit seiner weißen Kugel drei Banden, dann nichts mehr. Auch Ketchups Stoß erwies sich als mies. De Gier, inspiriert durch eine Improvisation über Miles Davis’ So What, die ein schwarzer Pianist im Hintergrund auf einem Miniflügel spielte, glitt elegant um den Billardtisch. Die Kugeln klickten leise, er übernahm sich, und der Stoß misslang. Inzwischen war Grijpstra am Stoß, und das Klicken ging weiter. Noch ein Punkt. Noch einer. Der Pianist machte Pause. Es war Mitternacht, Zeit heimzugehen, doch das Café füllte sich mit schweigsamen Männern. Sie verbeugten sich in Richtung Theke, bevor sie sich setzten. Eine Lady hinter der Bar, statuenhaft, prall geformt, polierte Gläser. Sie trug ein rotes Samtkleid, das bis zum Nabel offen stand. Louis Armstrong blies Basin Street Blues aus einer CD-Jukebox, letztes Modell, die der Pianist in Gang gesetzt hatte. Farbige Lichter blitzten auf, während Louis Armstrong komplizierte, aber flüssige Phrasen spielte.

«Ihr», sagte Karate, «wollt wissen, ob wir einen Burschen kennen. Wir kennen alle möglichen Burschen. Dieser Bursche ähnelt wohl nicht zufällig der Comicfigur Tin Tin?»

«Jetzt, wo du es sagst», sagte de Gier. «Genau. Tin Tin.»