Der Reichtagbrandprozess - Walter Brendel - E-Book

Der Reichtagbrandprozess E-Book

Walter Brendel

0,0
5,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

In der Nacht vom 27. auf den 28. Februar 1933 brannte der Reichstag in Berlin. Der Brand beruhte auf Brandstiftung. Am Tatort wurde Marinus van der Lubbe festgenommen. Bis zu seiner Hinrichtung beharrte van der Lubbe darauf, den Reichstag allein in Brand gesetzt zu haben. Seine Alleintäterschaft schien bereits vielen Zeitgenossen unwahrscheinlich und wird weiterhin kontrovers diskutiert. Kritiker der Alleintäterthese vermuten eine unmittelbare Tatbeteiligung der Nationalsozialisten. Auf der grundlage vorhandener Quellen, der polizeilichen Ermittlungsakten, der stenografischen Berichte des Prozesses, Gutachten und der beiden Braunbücher wird versucht, Licht in mysteriösen Umstände zu bringen, denn auch zahlrieche Fälscher sind am Werk. Unbestritten sind die politischen Folgen. Bereits am 28. Februar 1933 wurde die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat (Reichstagsbrandverordnung) erlassen. Damit wurden die Grundrechte der Weimarer Verfassung de facto außer Kraft gesetzt und der Weg freigeräumt für die legalisierte Verfolgung der politischen Gegner der NSDAP durch Polizei und SA. Die Reichstagsbrandverordnung war eine entscheidende Etappe in der Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 342

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Walter Brendel

Der Reichstagbrandprozess

Impressum

Texte:             © Copyright by Walter Brendel

Umschlag:      © Copyright by Gunter Pirntke

Verlag:

Das historische Buch, Dresden / Brokatbookverlag

Gunter Pirntke

Mühlsdorfer Weg 25

01257 Dresden

[email protected]

Inhalt

Impressum

Einleitung

Das Braunbuch

Ermittlungen

Die Rolle des Walter Gempp

Wer sagt die Wahrheit?

Was tat van der Lubbe?

Der Prozess

Märtyrer oder Depp

Geplatzte Nazipropaganda

Zusammenfassung

Anmerkung

Quellen

Einleitung

Die sozialdemokratische Zeitung „Vorwärts“ berichtete am 28. Februar 1933 vom Vortag, dass in den Abendstunden ein Riesenfeuer den Himmel über der City rötete und das die Kuppel des Reichstages in hellen Flammen gestanden hätte. Feuerwehr und Polizei hätten übereinstimmend die Ursache als Brandstiftung bezeichnet, da an verschiedenen Stellen Brandnester gefunden worden waren. Kurz nach 21 Uhr sei im Reichstag Feueralarm gegeben worden. Zunächst wurde ein Feuer im Restaurant gemeldet. Dort konnten die Flammen rasch erstickt werden. Aber kurz danach wurden mehrere weitere Brandherde entdeckt. In kurzer Zeit brannte der Sitzungssaal des Gebäudes lichterloh.

Das Feuer, das an den Abgeordnetensitzen, Pulten und der hölzernen Wandverkleidung überaus reiche Nahrung fand, griff wie rasend um sich. Die Feuerwehr war inzwischen mit 15 Löschzügen vor Ort. Diese nahmen den Kampf gegen den Brand mit zahlreichen Spritzen von verschiedenen Seiten auf. Allerdings war es anfangs wegen der Hitze unmöglich, an das Zentrum des Brandes heranzukommen. Daher beschränkte sich die Feuerwehr darauf, ein Ausbreiten der Flammen zu verhindern. Erst gegen 0 Uhr 25 hatte die Feuerwehr das Feuer weitgehend gelöscht. Im Laufe der Zeit sammelten sich mehrere tausend Schaulustige an. Mehrere Hundertschaften der Schutzpolizei führten Absperrungen durch, da man annahm, unter den Zuschauern Komplizen ausfindig zu machen. Das Blatt berichtete weiter, dass im Polizeipräsidium eine Sonderkommission gebildet worden sei. Diese hat eine Vernehmung des festgenommenen geständigen Täters von der Lubbe durchgeführt. Dieser sei 24 Jahre alt, von Beruf Maurer und stamme aus Leyden. Er blieb auch bei der ersten Vernehmung dabei, allein gehandelt zu haben. Der Vorwärts war allerdings der Meinung, dass der Täter gute Ortskenntnisse gehabt haben müsse und schloss indirekt eine Mittäterschaft der Kommunisten nicht aus.

Der Chef der preußischen politischen Polizei Rudolf Diels, der unmittelbar nach der Meldung an den Tatort geeilt war, berichtete im Rückblick über die Umstände der Festnahme und dem Geständnis von der Lubbes. Kurze Zeit später trafen auch Adolf Hitler, Joseph Goebbels, Hermann Göring, Wilhelm Frick sowie Wolf-Heinrich Graf von Helldorf ein. Göring äußerte dabei: „Das ist der Beginn des kommunistischen Aufstandes, sie werden jetzt losschlagen! Es darf keine Minute versäumt werden!“

Hitler hat dies nach diesem Bericht noch verschärft: „Es gibt jetzt kein Erbarmen; wer sich uns in den Weg stellt, wird niedergemacht. Das deutsche Volk wird für Milde kein Verständnis haben. Jeder kommunistische Funktionär wird erschossen, wo er angetroffen wird. Die kommunistischen Abgeordneten müssen noch in dieser Nacht aufgehängt werden. Alles ist festzusetzen, was mit den Kommunisten im Bunde steht. Auch gegen Sozialdemokraten und Reichsbanner gibt es jetzt keine Schonung mehr.“ Diels äußerte die Überzeugung, dass es sich nach Meinung der Polizei, um einen verrückten Einzeltäter handele, stieß damit bei den führenden Nationalsozialisten auf Ablehnung und diese bestanden auf der Ausrufung des Ausnahmezustandes und der Verhaftung von sozialdemokratischen und kommunistischen Funktionären. Auch ein Tagebucheintrag von Joseph Goebbels vom 9. April 1941 über eine Unterredung mit Hitler, bei der beide rätseln, wer den Brand denn nun gelegt hatte, deutet darauf hin, dass die nationalsozialistische Führung vom Brand überrascht wurde.

Der Reichstagsbrand fiel mitten in den Wahlkampf für die Reichstagswahl die am 5. März 1933 stattfinden sollte. Wie die ersten Äußerungen am Tatort gezeigt haben, war man bis in hohe Kreise der NSDAP von einem Aufstandsversuch der KPD überzeugt.

Andere zeitgenössische Beobachter hielten ihn für eine Aktion der neuen Machthaber, um geplante politische Repressalien zu legitimieren. Karl Jaspers und mit ihm ein Großteil der historischen Forschung argumentiert, dass die Nationalsozialisten – zunächst tatsächlich an den kommunistischen Aufstand glaubend – die Gelegenheit virtuos ausgenutzt und den Verdacht als Tatsache dargestellt.

Wer auch immer den Brand gelegt hat, kam dieses Ereignis für die Nationalsozialisten äußerst gelegen, um gegen ihre politischen Gegner vorzugehen. Der Wahlkampf der NSDAP wurde ohnehin bereits als „Kampf gegen den Marxismus“ geführt. Der Brand gab der Partei nunmehr die Möglichkeit zur Radikalisierung und den Einsatz staatlicher Machtmittel gegen die Linksparteien.

Die NSDAP sprach unmittelbar danach von einem „Fanal zum blutigen Aufruhr und zum Bürgerkrieg“. Hinter dem Brand sollten angeblich kommunistische Kräfte stecken. Noch in der Brandnacht ordnete Hermann Göring in seiner Funktion als kommissarischer preußischer Innenminister das Verbot der kommunistischen Presse an.

Außerdem wurden die Parteibüros geschlossen und zahlreiche Funktionäre der Partei in die so genannte Schutzhaft genommen. Allein in Berlin wurden 1500 Mitglieder der KPD festgenommen. Darunter war fast die gesamte Reichstagsfraktion. Der Polizei gelang es jedoch nicht die eigentliche Parteiführung zu verhaften, weil sich das Politbüro zu einer geheimen Sitzung getroffen hatte. Der Fraktionsvorsitzende der KPD im Reichstag Ernst Torgler stellte sich kurze Zeit später freiwillig, um so die Behauptung er sei am Brand beteiligt gewesen, als absurde Behauptung erscheinen zu lassen.

Da der am Tatort festgenommene Marinus van der Lubbe angeblich auch Verbindung zur SPD zugegeben hatte, geriet auch diese Partei in den Fokus der Behörden. Die sozialdemokratische Presse aber auch die Wahlplakate der Partei wurden für 14 Tage verboten.

Am 28. Februar noch wurde vom Reichskabinett die Notverordnung „Zum Schutz von Volk und Staat“ verabschiedet. Damit wurden die Grundrechte außer Kraft gesetzt. Der Polizei und ihren Hilfsorganen (namentlich der SA) war es nunmehr möglich Verhaftungen ohne die Nennung von Gründen vorzunehmen und den Betroffenen jeden Rechtsschutz zu verweigern. Weder die Unversehrtheit der Wohnung noch des Eigentums waren mehr gewährleistet. Das Post- und Fernmeldegeheimnis war ebenso aufgehoben wie die Meinungs-, Presse- und Vereinsfreiheit. Gleichzeitig waren darin stärkere Eingriffsmöglichkeiten des Reichs in die Angelegenheiten der Länder verbunden. Für verschiedene Terrordelikte wie auch für Brandstiftung wurde rückwirkend die Todesstrafe eingeführt. Diese Verordnung war gleichbedeutend mit dem Ende des Rechtsstaates in der bisherigen Form. Die Verordnung blieb bis zum Ende des Dritten Reiches in Kraft und war die Grundlage für ein Regime des permanenten Ausnahmezustandes.

Aus taktischen Gründen sah die Regierung noch von einem formellen Verbot der KPD ab. Aber Adolf Hitler machte noch am 28. Februar unmissverständlich deutlich, dass jetzt rücksichtslose Auseinandersetzung mit der KPD dringend geboten sei. Das erklärte Ziel war die völlige Vernichtung der Kommunisten. Daneben konnte die Notverordnung auch auf Sozialdemokraten und letztlich auf alle Gegner des Regimes angewandt werden.

Die Notverordnung schuf die Grundlage zur Verhaftung nicht nur zahlreicher weiterer Funktionäre der Arbeiterparteien, sondern auch zahlreicher kritischer meist linker Intellektueller. Unter diesen waren noch am 28. Februar Carl von Ossietzky, Erich Mühsam, Ludwig Renn, Egon Erwin Kisch, Max Hodann oder Hans Litten. Einige Tage später gelang der Polizei auch die Verhaftung des kommunistischen Parteivorsitzenden Ernst Thälmann.

Der laufende Reichstagswahlkampf konnte von der NSDAP nach dem Brand in offen terroristische Bahnen gelenkt werden. Bis Mitte Mai 1933 wurden allein Preußen über 100.000 politische Gegner, die Mehrzahl Kommunisten, verhaftet und in provisorischen Konzentrationslager und Folterkeller gebracht. Am Wahltag zählte man 69 Tote und hunderte Verletzte allerdings nicht nur auf Seiten der Opposition sondern auch bei SA und NSDAP.

Die nationalsozialistische Führung hätte gerne auf einen ordentlichen Prozess verzichtet. Aber dies war nicht möglich, da der Übergang zur Diktatur noch nicht abgeschlossen war. Hinzu kam der Druck des Auslandes. Dabei spielte die Exil-KPD eine starke Rolle. Allerdings wurde einen Monat nach dem Reichstagsbrand von der Reichsregierung mit einer Lex van der Lubbe das Strafmaß erhöht, so dass für Brandstiftung auch die Todesstrafe verhängt werden konnte.

Die polizeilichen Ermittlungen und gerichtlichen Voruntersuchungen richteten sich neben Marinus van der Lubbe auch gegen den angeblichen Anstifter den deutschen Kommunisten Ernst Torgler und drei bulgarische Kommunisten Georgi Dimitroff, Blagoi Popow und Wassil Tanew. Als Staatsschutzsache war der Fall eine Sache für das Reichsgericht in Leipzig. Insgesamt wurden bei der Voruntersuchung über 500 Zeugen vernommen. Die Ergebnisse aus 32 Aktenbänden wurden in einer umfangreichen Anklageschrift zusammengefasst. In dieser Zeit versuchte die Regierung das Verfahren zu beeinflussen, so wurde der die Untersuchung leitende Richter durch einen Mann des Regimes ersetzt, der konsequent alle Entlastungsanträge der Beschuldigten ablehnte. Der Versuch von Dimitroff einen ausländischen Verteidiger hinzuzuziehen scheiterte, den Angeklagten wurden stattdessen einige Offizialverteidiger zugewiesen.

Am 21. September 1933 wurde der Prozess vor dem IV. Strafsenat des Reichsgerichts eröffnet. Der vorsitzende Richter war Wilhelm Bünger ehemals Mitglied der DVP und Landesminister in Sachsen und kein Anhänger des neuen Regimes. Das Verfahren war in weiten Teilen geprägt von politischen Auseinandersetzungen. Dimitroff hatte sich in der Haft intensiv mit dem deutschen Strafrecht und –prozessordnung vertraut gemacht und lieferte sich als guter Rhetoriker heftige Redeschlachten mit den Vertretern der Anklage, versuchte die Belastungszeugen in Widersprüche zu verwickeln und stellte eine Vielzahl von Beweisanträgen. Durch die zahlreichen in- und ausländischen Pressevertreter konnte er sich seiner medialen Wirkung sicher sein. Die Richter sowohl von der Presse wie auch der Regierung kritisch beobachtet, erwiesen sich gegenüber Dimitroff als hilflos. Ihre einzige Waffe war dessen mehrfacher Ausschluss vom Verfahren. Bemerkenswert ist, dass einige Zeugen die als Inhaftierte in Konzentrationslagern unter Druck gegen die Angeklagten ausgesagt hatten, vor Gericht ihre Aussage widerriefen. Ein Gutachter kam zwar im Verlauf des Prozesses zu dem Urteil, dass van der Lubbe unmöglich der alleinige Täter sein könne. Insbesondere die ausländische Öffentlichkeit blieb aber skeptisch. Die Wende sollte der Auftritt von Joseph Goebbels und Hermann Göring bringen. Göring griff die Kommunisten scharf an, ließ sich aber von Dimitroff aus der Fassung bringen. Geschickter verhielt sich Goebbels aber auch ihm gelang es nicht den Eindruck eines nationalsozialistischen Schauprozesses zu entkräften.

Das Urteil, zudem keine Revision möglich war, erging am 23. Dezember 1933. Danach wurden die Angeklagten Torgler, Dimitroff, Popoff und Taneff freigesprochen. Der Angeklagte Lubbe wurde wegen Hochverrats in Tateinheit mit aufrührerischer Brandstiftung und versuchter einfacher Brandstiftung zum Tod und zum Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt. Der Freispruch der kommunistischen Angeklagten erfolgte dabei aus Mangel an Beweisen. Die These von der kommunistischen Verantwortung wurde allerdings aufrechterhalten. Das Urteil wurde im Ausland mit Erleichterung, von der nationalsozialistischen Presse mit Entrüstung aufgenommen. Marinus van der Lubbe wurde am 10. Januar 1934 durch die Guillotine hingerichtet.

In London wurde 1933 eine „Internationale Untersuchungskommission zur Aufklärung des Reichstagsbrandes“ eingerichtet, als deren Vorsitzender Denis Nowell Pritt fungierte. Außerdem gab es im Ausland einen Gegenprozess.

Wenn die Unabhängigkeit des Gerichts auch bereits deutlich eingeschränkt war, zeigte das Urteil, dass die Kontrolle des Regimes noch nicht vollständig gesichert war. Der Prozess wurde eine Haupttriebkraft zur Schaffung eines außerordentlichen Strafrechts. Dazu gehörte nicht zuletzt die Einrichtung des Volksgerichtshofes.

Es gab insgesamt drei Theorien zu den Hintergründen des Brandes:

1. Die Nationalsozialisten sprachen von einem „kommunistischen Aufstand“, zu dem der Brand des Reichstags das Fanal gewesen sein soll.

2. Kommunisten, aber auch Demokraten vermuteten schon frühzeitig, dass die Nationalsozialisten selbst den Brand gelegt hätten, um einen Vorwand für die Verfolgungen zu haben.

3. Schließlich gibt es die These von der Alleintäterschaft des am Tatort aufgefundenen Marinus van der Lubbe.

Das Braunbuch

Am Abend des 27. Februar 1933, vier Wochen nachdem die Nationalsozialisten die Macht in Deutschland übernommen haben, steigt der holländische Maurer Marinus van der Lubbe in das Berliner Reichstagsgebäude ein und setzt zunächst die Restaurationsräume und dann den Plenarsaal in Brand. Nach seiner Verhaftung erklärt er, aus politischen Motiven gehandelt zu haben, bestreitet aber die Existenz von Mitwissern oder Helfershelfern. Obwohl auch Polizei und Feuerwehr keinerlei Beweise dafür erbringen können, dass außer Lubbe noch weitere Brandstifter im Reichstag gewesen sind, beschuldigen die Nationalsozialisten die KPD, den Reichstag angesteckt zu haben. Sie lassen den KPD-Fraktionschef Torgler und später die drei Bulgaren Dimitroff, Popoff und Taneff verhaften, um sie der Mittäterschaft am Reichstagsbrand anzuklagen. Die Kommunisten wiederum beschuldigen die NS-Führung der Brandstiftung, denn, so argumentieren sie, die Nazis brauchten einen Vorwand, um die KPD verbieten zu können. Die These der Kommunisten fand Eingang in die Geschichtsbücher.

Während Göring und Goebbels sich darauf verließen, dass Polizei und Justiz genügend Beweise für die Schuld der KPD am Reichstagsbrand zusammentragen würden, holten die Kommunisten zum Gegenschlag aus und organisierten einen weltweiten Propagandafeldzug gegen die neuen Herren Deutschlands. Der Drahtzieher dieser Aktion war Willi Münzenberg, Chef der kommunistischen Zentrale für Agitation und Propaganda {"Agitprop") in Paris. Ohne dass sein Name jemals in Erscheinung trat; gab Willi Münzenberg in der französischen Hauptstadt eine Flut von Broschüren und Emigrantenzeitschriften heraus, die von ihm dirigiert und finanziert wurden.

Kernstück seines publizistischen Kampfes gegen Hitler aber waren, die "Braunbücher" I und II, zwei dickleibige, geschickt aufgemachte Bände von 382 und 462 Seiten, die in Auflagen von mehreren hunderttausend Exemplaren in allen Weltsprachen verbreitet wurden. In Deutschland kursierten sie getarnt als Liederbücher oder Reclam-Bände.

Der Titel des ersten Braunbuches lautete: "Braunbuch über den Reichstagsbrand und Hitler-Terror, Vorwort von Lord Marley"; der des zweiten: "Braunbuch II - Dimitroff contra Göring, Enthüllungen über die wahren Brandstifter". Für diese Braunbücher und ähnliche Publikationen hatte Münzenberg in Paris eigens einen Verlag gegründet, die "Editions du Carrefour".

Die beiden Braunbücher können heute noch als Standardbeispiele moderner Propagandakunst gelten. Nahezu alles, was an Argumenten für die Schuld der Nazis am Reichstagsbrand ins Feld geführt wurde - und wird -, stammt aus den Münzenberg-Publikationen. Schon die Wahl des Titels "Braunbuch" war ein gelungener Griff. Er suggerierte unbewusst die Vorstellung von "amtlichen Dokumenten", unanfechtbaren Unterlagen. Genau das hatte man erreichen wollen, und genau das erreichte man: Wochenlang füllten Auszüge, Kommentare und Leitartikel zum Thema Braunbuch die Spalten der Weltpresse.

Über die grandiose Pariser Hexenküche, in der die kommunistischen Agitprop Spezialisten wirkten, hat neben anderen ehemaligen Kommunisten vor allem Arthur Koestler ausführlich berichtet. In seiner "Geheimschrift" 1 und in "Ein Gott, der keiner war" 2 leuchtet er rücksichtslos in den Kreis jener kommunistischen Intellektuellen hinein, die sich in Paris um den "roten Hugenberg" - wie Münzenberg genannt wurde - scharten.

Agitprop-Chef Münzenberg war nach Koestlers Schilderung "eine magnetische Persönlichkeit von einer ungeheuren, mitreißenden Vitalität und einem unsentimentalen, verführerischen Charme". Die Münzenberg-Schwägerin Margarete Buber-Neumann bestätigt das in ihren Erinnerungen: "Wohl kein anderer prominenter deutscher Kommunist war so voller Ideen wie Münzenberg... Fast alle standen unter dem Eindruck seiner kraftvollen Persönlichkeit, bewunderten seine Fähigkeit, alles seinen Zwecken dienstbar zu machen, mochte es sich um die Sammlung von Unterschriften einflussreicher Dichter, Künstler oder Gelehrter handeln oder um den Aufbau einer Hilfsaktion."

Münzenberg war zur Zeit des Reichstagsbrandes noch in Berlin, 43 Jahre alt und einer der jüngsten Abgeordneten des Reichstags. Er war 1914 als Handwerksbursche in die Schweiz gegangen und hatte dort Verbindung mit russischen Emigranten aufgenommen. Er wurde, gut Freund mit Trotzki, Sinowjew und auch mit jenem Wladimir Uljanow, den die Welt später unter dem Namen Lenin kennen lernen sollte.

Als die Schweizer ihn nach dem Ersten Weltkrieg über die Grenze nach Deutschland abschoben, ging Münzenberg nach Berlin, wo er den "Kommunistischen Jugendverband" mitgründete, die "Internationale Arbeiterhilfe" leitete und schließlich Reichstagsabgeordneter wurde.

Am Brandabend hatte sich Münzenberg in Frankfurt am Main aufgehalten. Als ihm klar wurde, dass er als einer der von den Nazis bestgehassten Kommunisten mit seiner Verhaftung rechnen musste, flüchtete er zunächst in die Schweiz und siedelte einige Wochen später nach Paris über. Dort organisierte er unverzüglich das Propa-gandahauptquartier der Komintern, mit dem er - nach Koestlers bewundernden Worten - "einen weltweiten, antifaschistischen Kreuzzug begann, der eine einmalige Leistung in der Geschichte der Propaganda darstellt".

"Dieses Hilfskomitee für die Opfer des deutschen Faschismus", so berichtete Koestler weiter, "mit seinem glänzenden Aushängeschild internationaler Berühmtheiten, wurde der Hebel des ganzen Kreuzzuges. Mit großer Vorsicht vermied man, dass Kommunisten - mit Ausnahme einiger Träger international bekannter Namen wie Henri Barbusse und G.B.S. Haldane - öffentlich mit dem Komitee in Verbindung kamen. Das Pariser Sekretariat, welches das Komitee leitete, war jedoch eine ausschließlich kommunistische Fraktion, mit Münzenberg an der Spitze und kontrolliert von der Komintern. Die Büros waren zuerst in der Rue Mondetour und später im Hause Nr. 83 Boulevard Montparnasse. Münzenberg selbst arbeitete in einem großen Zimmer innerhalb der Räumlichkeiten des Komitees, doch kein Außenseiter wusste davon.

Er rief internationale Ausschüsse, Kongresse und Bewegungen ins Leben, wie ein Zauberer Kaninchen aus seinem Hut hervorzieht: das Hilfskomitee für die Opfer des Faschismus, so genannte 'Ausschüsse für Wachsamkeit und demokratische Kontrolle', internationale Jugendkongresse usw. Jede dieser getarnten Parteiorganisationen konnte stolz auf ein Aushängeschild mit einer Liste von hochachtbaren Persönlichkeiten hinweisen - darunter englische Herzoginnen, amerikanische Leitartikler und französische Wissenschaftler, von denen die meisten den Namen Münzenberg nie gehört hatten und die Komintern für einen von Goebbels erfundenen Butzemann hielten.

Ein Pariser Mitarbeiter Münzenbergs, Professor Alfred Kantorowicz, hat im Jahre 1947 - zehn Jahre vor seiner Flucht aus dem kommunistischen Machtbereich - seine Erinnerungen an das Braunbuch veröffentlicht. Er schreibt im "Aufbau" Nr. 2/47: "Das 'Braunbuch über den Reichstagsbrand und Hitler-Terror' hat lückenloses, unwiderlegliches und nun durch die seit Kriegsende aufgefundenen Nazi-Geheimdokumente bestätigtes Beweismaterial über diesen welthistorischen Kriminalfall (des Reichstagsbrandes) zusammengetragen."

"Damals" - so ließ sich Kantorowicz 1947 über das Zustandekommen des Braunbuchs aus - wurden "alle diese dokumentarischen Materialien gesiebt, sorgfältig auf ihre Richtigkeit überprüft, geordnet und zusammengestellt von, einer Gruppe bekannter Schriftsteller und Journalisten, zu denen mit anderen André Simone, Alexander Abusch, Max Schröder, Rudolf Furth und der Verfasser dieses Berichtes (Kantorowicz) gehörten. Das ,Braunbuch' ist kein Pamphlet, sondern eine Dokumentensammlung."

In der "Weltbühne" 1947 werden André Simone und Alexander Abusch als die beiden "damals natürlich anonymen Redakteure", Kantorowicz und Furth als die "engsten Mitarbeiter", Max Schröder als "Lektor" bezeichnet.

Arthur Koestler freilich gibt eine ganz andere Darstellung über das "Sammeln von Dokumenten" durch den Münzenberg -Stab als Kantorowicz: "Wie aber konnten wir den naiven Westen von der Wahrheit einer so phantastischen Geschichte überzeugen? Wir hatten keine unmittelbaren Beweise, keinen Zugang zu den Zeugen und nur unterirdische Verbindungen mit Deutschland. Kurz, wir hatten nicht die leiseste Vorstellung von den konkreten Umständen. Wir mussten uns aufs Raten verlassen, aufs Bluffen und auf unser intuitives Wissen um die Methoden und die Denkart unserer Gegner in der totalitären Verschwörung. 'Wir' bezieht sich in diesem Zusammenhang auf das Propagandahauptquartier der Komintern in Paris, das unter der Flagge des 'Hilfskomitees für die Opfer des deutschen Faschismus' segelte."

Die Verfasser der Braunbücher blieben wohlweislich anonym; das Vorwort des ersten Bandes aber trug die Unterschrift des leibhaftigen Oberhaus-Mitglieds Lord Marley, eines Mannes, der mit den Kommunisten nicht das Geringste zu tun hatte, was ihn nicht daran hinderte, ein glänzendes Honorar dafür zu kassieren, dass er seinen Namen als zugkräftigen Werbeslogan hergab. Das Schreiben des Vorworts hatten ihm Münzenberg und sein Famulus Otto Katz, der sich später, im spanischen Bürgerkrieg, André Simone nannte, großzügig abgenommen.

Der Kernpunkt des Braunbuchs I war die "dokumentarisch belegte Geschichte des Reichstagsbrandes". Schreibt Koestler: "Das Braunbuch enthielt die Geschichte des Reichstagsbrandes, beginnend mit einer ausführlichen Lebensgeschichte van der Lubbes, die der holländische 'Apparat' ausgegraben hatte, mit Berichten über seine Kontakte mit den homosexuellen Kreisen um Hauptmann Röhm, und endend mit einer überzeugenden Schilderung, auf welche Weise die Brandstifter durch den unterirdischen Gang in den Reichstag gelangt waren. Mehrere unmittelbare Teilnehmer an der Tat wurden genannt: Graf Helldorf und die SA-Führer Heines und Schulz ... All' das gründete sich auf Deduktion, Intuition und Pokerbluff. Das einzige, was wir mit Sicherheit wussten, war, dass irgendwelche Nazikreise es irgendwie zustande gebracht hatten, das Gebäude abbrennen zu lassen."

Dieses freimütige Eingeständnis kennzeichnet die damalige Situation der Kommunisten. Ernst Torgler, dem sein Verteidiger Dr. Sack das Braunbuch in seine Zelle im Untersuchungsgefängnis geschickt hatte, schrieb darüber: "Ich muss gestehen, dass ich einigermaßen erschüttert war, als ich es durchlas. So primitiv hatte ich mir die Dinge eigentlich nicht - vorgestellt. Dieser van der Lubbe sollte ein alter Bekannter von Röhm sein und auf seiner 'Liebesliste' stehen? Goebbels sollte den Plan für den Reichstagsbrand entworfen und Göring, gewissermaßen an der Treppe zum unterirdischen Gang stehend, sollte die Brandstiftung geleitet haben?"

Trotzdem wurde das Braunbuch ein riesiger Erfolg. Es war eben raffiniert gemixt aus echten und gefälschten Dokumenten und spekulierte auf den üblen Ruf, den die Nazis sich verschafft hatten. Und so blieb ihm der Erfolg denn auch nicht versagt. Den meisten Lesern des Braunbuchs erschien es durchaus einleuchtend, dass so übel beleumdete Funktionäre wie "die Fememörder" Heines und Schulz auch Brandstifter waren. Dass Oberleutnant Schulz als ehemaliger- Adjutant Gregor Strassers bei der NS-Partei längst in Ungnade gefallen war - Wer konnte das in England und Frankreich schon wissen. Und so druckten denn auch angesehene Blätter die Münzenberg-Märchen nach.

Nach dem erstaunlichen Erfolg seines ersteh Braunbuches kam Willi Münzenberg eine neue, noch wirksamere Idee. Er erinnerte sich der "Geheimgerichte" russischer Revolutionäre aus der Zarenzeit und setzte zusammen mit Otto Katz etwas Ähnliches in Szene: den so genannten Reichstagsbrand-Gegenprozess - jene öffentlichen Untersuchungen in Paris und London, die die Aufmerksamkeit des Auslands auf die Vorgänge im Dritten Reich lenkten.

Das "Weltkomitee für die Opfer "des Hitler-Faschismus" gebar einen "Untersu-chungsausschuss zur Aufklärung des Reichstagsbrandes". In der Praxis ging das so vor sich, dass Münzenberg sich von Vertrauensleuten eine Anzahl international renommierter Anwälte liberaler Prägung nennen ließ, die dann ein sehr sachliches Schreiben mit der schmeichelhaften Aufforderung erhielten, sich für die Verteidigung der unschuldigen Opfer der Hitler-Barbarei und für die Aufrechterhaltung des Rechts zur Verfügung zu stellen.

Aus der großen Zahl der ausländischen Anwälte, an die das Pariser Sekretariat des "Weltkomitees" herangetreten war, kristallisierte sich schließlich folgende "Internationale Juristenkommission" heraus: Frau Dr. Betsy Bakker-Nort (Holland); Gaston Bergery (Frankreich); Georg Branting (Schweden); Arthur Garfield Hays (USA); Vald Huidt (Dänemark); Vincent de Moro-Giafferi (Frankreich); Denis Nowell Pritt (England); Pierre Vermeylen (Belgien).

Keines der Mitglieder gehörte offiziell einer kommunistischen Partei an. Alle waren höchst respektable Angehörige des Bürgertums, die ihren guten Namen, ihre Hilfsbereitschaft und ihr Geltungsbedürfnis von Münzenberg für die Zwecke der Kommunisten einspannen ließen. Zum Vorsitzenden der Juristen-Kommission wurde der damals 45jährige Königliche Rat Denis Nowell Pritt aus London gewählt. Noch im Jahre 1957 erhielt Pritt von den dankbaren Kommunisten die Ehrenbürgerschaft der Stadt Leipzig. Und vor einigen Wochen wurde seine Schrift "Der Reichstagsbrand" vom Ostberliner Kongress-Verlag neu herausgebracht.

Die Kommission hatte sofort große Resonanz in aller Welt. Fast täglich erschienen Berichte über gefundene Dokumente, über sensationelle Zeugenaussagen, über "unwiderlegbare Beweise" für die Schuld der Nazis. Um im Interesse seines Mandanten unter keinen Umständen etwas Wichtiges zu versäumen, flog Dr. Sack, Torglers Verteidiger, am 8. September 1933 nach Paris.

Dr. Alfons Sack, einer der prominentesten Anwälte Berlins, hatte die Verteidigung Torglers übernommen, nachdem der einstige KPD-Fraktionschef den vom Reichsgericht beigeordneten Offizial-Verteidiger Dr. Huber abgelehnt hatte. Sack war Mitglied der NSDAP, hat sich aber dennoch bemüht, die Wahrheit zu finden. Vor Gericht verteidigte er zwar nicht die Kommunistische Partei, wohl aber den "Menschen Torgler". Er widerlegte zahlreiche von den Nazis oder auch von den Sachverständigen vorgebrachte Beweise" für die Schuld der KPD und machte sich dadurch bei den NS-Führern unbeliebt. Auch darf sein Buch über den Reichstagsbrand als die bisher detaillierteste Darstellung zu diesem Thema gelten.

An der fünfstündigen Besprechung mit Dr. Sack im Hotel "Bourgogne et Montana" nahmen neben dem schwedischen Mitglied der "Internationalen Juristenkommission", Advokat Branting, der amerikanische Anwalt Leo Gallagher und "ein angeblicher österreichischer Journalist" teil, der sich Breda nannte. In Wirklichkeit verbarg sich dahinter Otto Katz, Münzenbergs bester Mann.

Als Dr. Sack das Entlastungsmaterial für Torgler zu sehen begehrte, bekam er zur Antwort: "Man sei nicht berechtigt, die Adressen der Notare zu nennen, bei denen das Material hinterlegt sei."

Es war verständlich, dass man dem "Nazi -Gericht" die Original-Dokumente nicht zur Verfügung stellen wollte; aber welchen Sinn sollte es haben, sie auch dem Verteidiger Torglers vorzuenthalten? Noch überraschter war Sack, als er bemerkte, dass die angeblich so dokumententrächtige Kommission sich nicht scheute, ihn ungeniert auszufragen. Er gelangte daher sehr bald zu der Einsicht, dass man auch hier nur bluffte: Es gab keine Beweisdokumente für die Schuld der Nationalsozialisten.

Mit leeren Händen flog er am 9. September 1933 wieder nach Berlin zurück, immerhin stark beeindruckt von der Münzenbergschen Propaganda-Kampagne. Plakate forderten zu Massenkundgebungen auf; und am 11. September 1933 kam es sogar zu einer vom "Büro M" (= Münzenberg) organisierten Riesendemonstration mit 10 000 Teilnehmern in der Pariser "Salle Wagram".

Der französische Advokat und frühere Deputierte Vincent de Moro-Giafferi, der auch heute noch in Publikationen als "Doyen der französischen Strafverteidiger" bezeichnet wird, hielt das angekündigte "Plädoyer über den deutschen Reichstagsbrand". Er berief sich auf sein "eingehendes Studium der Akten" und riss die Massen durch theatralische Ausrufe wie diese hin: "Bei meiner Seele und meinem Gewissen erkläre ich: Göring hat es getan. Der Mörder, der Brandstifter, der Urheber des Verbrechens der Reichstagsbrandstiftung, das bist du, Göring!"

Maitre Moro-Giafferi hatte zwar die Akten des Kriminalfalls Reichstagsbrand bestimmt nicht gelesen; trotzdem hielt er es für richtig, "bei seiner Seele" ein Urteil zu fällen, so wie es andererseits Hermann Göring nicht genierte, unter Vorwegnahme dies Urteils am 4. November 1933 ebenfalls bei seinem Gewissen zu erklären: "Ich weiß geradezu hellseherisch, dass die Kommunisten den Brand entzündet haben."

Am 14. September 1933 fand im Saal der renommierten englischen "Juristen-Gesellschaft" (Law Society) in der Londoner Carey Street die erste öffentliche Sitzung der Kommission statt. Sir Stafford Cripps, später Botschafter in Moskau und Minister im Kabinett Attlee, hielt die Eröffnungsansprache. Unter den Zuhörern sah man viele prominente Männer, darunter den Schriftsteller H.G. Wells. Auch Bernard Shaw war eingeladen worden, hatte eine Teilnahme jedoch abgelehnt und die ganze Aktion mit der Begründung abgetan, ihm sei kein Fall bekannt, in dem eine Einmischung des Auslands in politische Prozesse den Angeklagten zum Vorteil gereicht hätte. Shaw: "Wenn ein Gefangener als Knüppel benutzt werden soll, um eine Regierung damit zu schlagen, so besiegelt man damit sein Schicksal."

Die Sitzung der Kommission fand im Stil einer Gerichtsverhandlung statt. Auf der Schmalseite des Raumes saß das "Gericht", die internationale Juristen-Kommission.

Als Dr. Sack, der am Nachmittag des 14. September 1933 nach Schluss der ersten Sitzung in London eintraf, am folgenden Tage die Szene beobachtete, sah er zu seiner Überraschung den Maitre Moro-Giafferi unter den Richtern. Schreibt Sack: "Vier Tage vorher hatte dieser französische Anwalt des Rechts in Paris erklärt, dass für ihn Ministerpräsident Göring als der Schuldige am Reichstagsbrand erwiesen sei. Jetzt saß er, den jedes Gericht der Welt als befangen abgelehnt hätte, als 'Richter' am Tisch."

Das amerikanische Kommissions-Mitglied Hays berichtet über Moro-Giafferi die folgende Episode: "Am dritten Tage der Vernehmungen beobachtete ich meinen Kollegen Moro-Giafferi, der augenscheinlich in tiefes Nachdenken versunken war. Er kritzelte eine Notiz und schob sie Bergery zu, der zu meiner Rechten saß. Ich fragte mich, was mir entgangen, diesem hervorragenden Advokaten aber aufgefallen sein mochte. Ich warf daher einen Blick auf den Zettel und las: 'Es ist nicht ein einziges passables Frauenzimmer im Saal!'"

Nicht nur die passablen Frauenzimmer blieben weg; auch das Interesse der Journalisten ließ schnell nach. Denn die Zeugen, die das Sekretariat bestellt hatte, wussten über die Angaben im Braunbuch hinaus natürlich nichts Neues zu berichten.

Theodor Plieviers ehemaliger Sekretär Harry Schulze-Wilde berichtete nach 1945, dass der KPD-Funktionär Albert Norden - später "Professor für neueste Geschichte" in der DDR - als "aus Deutschland stammender SA-Führer" mit verhülltem Kopf zur Zeugenaussage gekommen sei. Das geschah angeblich, weil ihm sonst Gefahr für Leib und Leben gedroht hätte, sobald er nach Deutschland zurückginge. Er sei jedoch weniger wegen seiner angeblichen SA-Zugehörigkeit maskiert gewesen, sondern wegen seines "prononciert nichtarischen Aussehens", denn sonst wäre der Schwindel sogleich erkannt worden.

Es wurden auch Zeugen geheim vernommen, weil sie auf "Todeslisten Londoner Naziklubs" standen. Die angebliche Liquidierungsliste eines solchen "Londoner Naziklubs" wurde vorgezeigt; sie war mit dem Schlusswort versehen: "Wenn Du einen von ihnen triffst, dann bringe ihn um; und wenn es ein Jude ist, dann brich ihm jeden Knochen im Leibe!" Der sonst recht findigen Londoner Polizei gelang es freilich nicht, auch nur einen der gefährlichen Naziklubs ausfindig zu machen.

Ein Zeuge besonderer Art war der Holländer "W.S.". Er bekundete, dass ihm ein Zutreiber des SA-Stabschefs Röhm namens Bell Anfang 1932 eine Liste von 30 Männern, bekannten Homosexuellen, gezeigt habe, die er, wie er sagte, Röhm "zugeführt" habe. "Auf dieser Liste stand auch der Name Marinus van der Subbe oder Marinus van der Lubbe und darunter die Bemerkung 'Holland'", so bekundete der Zeuge.

Andere Zeugen sagten ähnlich aus. So der holländische Schriftsteller Freek van Leuven, der wider besseres Wissen behauptete, van der Lubbe sei homosexuell. Heute bedauert van Leuven, dass er sich damals dazu hergab, "im Parteiinteresse" eine wissentlich falsche Aussage zu machen.

Zusammen mit weiteren derartigen Zeugenaussagen ergab dann das Urteil der Kommission über Lubbe genau das, was im Braunbuch längst mit dem Schlagwort "Werkzeug der Nazis" umschrieben worden war. Die Kommission stellte fest: "Er (Lubbe) lebte von 1927 bis 1933 in einem Milieu von mehr oder minder anarchistischen Elementen, von Homosexuellen, zu denen er selbst gehörte."

Am Abend des fünften Verhandlungstags versammelte sich die Kommission in einem Hotel-Appartement. Das amerikanische Kommissions-Mitglied Hays schildert, wie der schwerfällige und würdevolle Pritt im Badezimmer saß und auf der Schreibmaschine hämmerte, während Dr. Kurt Rosenfeld, Torglers früherer Rechtsbeistand (der zuvor als Zeuge vor der Kommission aufgetreten war), zusammen mit anderen Komiteemitgliedern die einzelnen Teile des "Spruches" redigierte. Zahlreiche Leute saßen oder standen rauchend und schwatzend herum. Das Bett war mit Papieren bedeckt. Der todmüde Hays legte sich schließlich erschöpft in irgendeiner Ecke auf den Fußboden und schlief ein.

Der "Spruch von London", dessen Formulierung von Gaston Bergery stammt und der gezielt am 20. September, also einen Tag vor Beginn des deutschen Reichstagsbrandprozesses verkündet wurde, lautete:

Die Kommission ist zu folgenden Schlussfolgerungen ihrer Untersuchung gekommen.

1. Dass von der Lubbe nicht Mitglied, sondern ein Gegner der kommunistischen Partei war, dass keine Spur einer wie immer georteten Verbindung zwischen der KPD und dem Reichstagsbrand besteht, dass die Angeklagten Torgler, Dimitroff, Popoff und Taneff nicht nur unschuldig sind an dem Verbrechen, dessen sie beschuldigt werden, sondern dass sie auch in keiner Weise - weder direkt noch indirekt - mit dem Verbrechen in Verbindung bzw. in Beziehung standen.

Diese Feststellung entsprach den Tatsachen.

2. Dass die Dokumente und mündlichen Aussagen sowie das übrige Material, das die Kommission in Händen hat, geeignet sind, festzustellen, dass van der Lubbe das Verbrechen nicht allein begangen haben kann.

Das war zugleich auch die These der Nazis und der deutschen Untersuchungsbehörden.

3. Dass die Prüfung aller Möglichkeiten von Ein- und Ausgang vom und zum Reichstag es höchst wahrscheinlich macht, dass die Brandstifter den unterirdischen Gang benutzt haben, der vom, Reichstagspräsidentenpalais zum Reichstag führt.

Das wiederum entsprach genau der Auffassung Görings.

4. Dass ein solcher Brand zu der in Frage kommenden Zelt von großem Vorteil für die nationalsozialistische Partei war; dass aus diesem und anderen Gründen ... schwerwiegende Anhaltspunkte für den Verdacht gegeben sind, dass der Reichstag von führenden Persönlichkeiten der nationalsozialistischen Partei oder in deren Auftrag in Brand gesetzt wurde.

Die Londoner Kommission und viele andere Juristen in aller Welt haben dem deutschen Oberreichsanwalt zu Recht vorgeworfen, dass er unter Verzicht auf jede Beweisführung gegen die Beschuldigten Torgler, Dimitroff, Taneff und Popoff Anklage erhob und sich dabei der Erklärung bediente, es sei "unerheblich, in welcher Weise die Angeklagten im Einzelnen an der Tat selbst beteiligt" gewesen seien.

Die Londoner Gegenseite freilich war ebenso voreingenommen, denn auch in London musste man auf jede Beweisführung verzichten, weil man keine Beweise, sondern allenfalls Verdachtsmomente geltend machen konnte. Weder der Leipziger Oberreichsanwalt noch die Londoner Kommission begnügten sich mit dem tatsächlich vorliegenden Beweismaterial, denn sonst hätte man in London wie in Leipzig zu dem Ergebnis kommen müssen, dass weder die Nazis noch die Kommunisten mit dem Reichstagsbrand etwas zu tun gehabt hatten.

An die Möglichkeit, dass van der Lubbe allein gehandelt hatte, glaubte zum Zeitpunkt des Prozesses ohnehin niemand mehr. Der ungeschlachte Holländer, der die meiste Zeit apathisch, zusammengesunken und leichenblass vor seinen Richtern saß, sollte den Riesenbrand ohne jede Hilfe entfacht haben? Er sollte seine Tat vor der Polizei in allen Einzelheiten und in einwandfreiem Deutsch gestanden haben, sollte in langen, lebhaften Diskussionen seine Argumente dargelegt, sollte hervorragend gezeichnet, ja sogar die Protokolle geändert haben?

Was aber stand denn in diesen Protokollen? Gab es sie überhaupt? Wer hatte sie je gesehen? Münzenbergs Männer in Paris waren mit der Antwort schnell bei der Hand: Die Nazis hatten das erste Polizei-Protokoll verschwinden lassen, weil darin für sie gefährliche Dinge standen. Heißt es im Braunbuch I:

"Es wurde vor Gericht nie festgestellt, was in diesem ersten Protokoll stand. Das Verschwinden dieses ersten Protokolls ist eine der großen 'Merkwürdigkeiten' des Reichstagsbrandprozesses."

Münzenberg und seine Redakteure wussten recht gut, dass dieses Protokoll keineswegs verschwunden war, zumal aus den Verhandlungsniederschriften des Reichsgerichts in Leipzig hervorging, dass es in der Gerichtsverhandlung häufig zitiert wurde. Also zogen sie sich auf die Tatsache zurück, dass man das Protokoll vor Gericht nie "verlesen" hatte. Dies war ihnen Beweis genug, dass für die Nazis unangenehme Dinge in diesem Protokoll stehen mussten.

Die Braunbuch-Kommunisten hatten jedoch offensichtlich keine Ahnung von der deutschen Strafprozessordnung. Denn nach dem Mündlichkeits- und Unmittelbarkeitsprinzip bestand für das Gericht normalerweise gar keine Möglichkeit, die von der Polizei aufgenommenen Vernehmungsprotokolle in der Hauptverhandlung verlesen zu lassen. Nur das, was von Zeugen unmittelbar bekundet wird, darf Verwendung finden, damit sich das Gericht vom Zeugen und seinen Aussagen ein eigenes Bild machen kann.

Die von den Braunbuch-Autoren aufgebrachte Legende, die Nazis hätten das Protokoll der Kriminalpolizei verschwinden lassen, geistert seither durch nahezu alle Berichte über den Reichstagsbrand, die nach dem Krieg erschienen sind. Auch Dr. Richard Wolff, der Anfang dieses Jahres verstorbene Verfasser jenes offiziösen Forschungsberichts über den Reichstagsbrand, der heute in der Bundesrepublik in Hunderttausenden von Exemplaren existiert und als Unterrichtsmaterial verwendet wird, hat die Legende kritiklos übernommen.

Dr. Wolff, der 1938 emigrierte, sich in Nairobi niederließ und britischer Staatsbürger wurde, erhielt 1955 von der Bonner Bundeszentrale für Heimatdienst einen gutdotierten Forschungsauftrag. Mit Unterstützung westdeutscher Behörden sollte er versuchen, das Geheimnis des Reichstagsbrandes endlich zu klären. Der Forschungsbericht, den Wolff schließlich vorlegte, steckt nicht nur voller zum Teil leicht nachweisbarer Fehler und Ungenauigkeiten, er gehört auch zu dem Naivsten, was je über den Reichstagsbrand geschrieben wurde.

Dr. Wolff beklagt, dass es ihm nicht gelungen sei, ein Exemplar der sieben Kopien des Polizeiprotokolls aufzutreiben. Sie seien von den Nazis "systematisch vernichtet" worden. Überhaupt wundert er sich über den "erstaunlichen Quellenmangel", der ihm viel zu schaffen gemacht habe: "Es ist mir nicht gelungen, ein amtliches Stenogramm der Anklage des Oberreichsanwalts und der Reichsgerichtsverhandlung aufzutreiben oder auch nur festzustellen, wer von den maßgebenden Juristen des Prozesses noch am Leben ist."

Forschungsbeauftragter Dr. Wolff kann nicht sehr eingehend geforscht haben; denn es existieren nicht nur die Protokolle der Kriminalpolizei, auch Anklageschrift und Urteil liegen im vollständigen Text vor. Zudem leben noch viele der am Verfahren beteiligten Kriminalbeamten und Juristen. Zwar zeigen sich zumal die ehemaligen Reichsgerichtsräte, die das Grauen der russischen Internierungshaft überlebt haben, nicht allzu begierig, über den Reichstagsbrand zu sprechen; ihre Anschriften sind aber durch die Justizverwaltung der Bundesrepublik ohne Schwierigkeit zu beschaffen.

Obwohl Dr. Wolff also an die entscheidenden Quellen gar nicht herangekommen ist, betrachtete er es "als erwiesen", dass van der Lubbe nur ein harmloser Strohmann war und dass in Wahrheit die SA mit Zustimmung Hitlers den Reichstag angesteckt habe.

Dr. Wolffs mit Bundesgeldern erstellter Forschungsbericht wurde bald zur wichtigsten Unterlage zahlreicher "Dokumentarberichte", die in den letzten Jahren in der deutschen und ausländischen Presse erschienen. Da auch die Autoren dieser Berichte nicht an die Originaldokumente herankamen, übernahmen sie nur zu gern neben anderen Legenden auch die These von den verschwundenen Polizeiprotokollen. Schrieben die Gemeinschaftsautoren Heydecker/Leeb in der "Münchner Illustrierten" Nr. 51/1957: "Alle acht Exemplare dieses inhaltsschweren Dokuments sind aber auf mysteriöse Weise verschwunden und nie wieder zum Vorschein gekommen."

Der Journalist Peter Brandes - auch bekannt unter dem Namen Curt Rieß - ging sogar noch einen Schritt weiter. In der Überzeugung, dass keine der Protokollkopien mehr existiert, erweckte er den Anschein, das Stenogramm der ersten Abhörung zu kennen, und phantasierte munter drauflos. Nach seinem "atemberaubenden Tatsachenbericht" im "Stern" vom 23. November 1957 soll van der Lubbe in der Brandnacht erklärt haben: "Als ich in den, großen Saal kam ... den Saal mit den vielen Stühlen und Bänken ..., mit der Holzverkleidung... Der Saal brannte schon, als ich hereinkam...

"Den habe ich nicht angezündet! Den nicht! Er brannte schon, als ich hereinkam." Brandes fügt hinzu: "Und davon wird sich van der Lubbe niemals abbringen lassen ...

"Mit vor Müdigkeit zitternder Hand unterschreibt er (Lubbe). Um allen Irrtümern vor-zubeugen: Er unterschreibt nichts, was er nicht gesagt hat. Das von der Berliner Polizei verfasste Protokoll ist vollkommen in Ordnung..."

Die Legende des Illustriertenschreibers Rieß wird nicht nur durch das Polizeiprotokoll selbst entlarvt, das Rieß nie zu Gesicht bekommen hat; sie ist bereits durch die Ver-handlungsprotokolle des Leipziger Reichsgerichts widerlegt. Vor Gericht haben nämlich die Kriminalkommissare Heisig und Dr. Zirpins wiederholt unter Eid versichert, weder die Vernehmung van der Lubbes noch die Ermittlungen im Reichstagsgebäude hätten irgendwelche Anzeichen dafür erbracht, dass außer van der Lubbe noch andere Mittäter an der Brandstiftung beteiligt gewesen seien. Und beide Kriminalisten haben ihre Angaben nach dem Krieg wiederholt bestätigt.

Das Polizeiprotokoll der Vernehmung van der Lubbes, das nachstehend - zum ersten Mal - auszugsweise veröffentlicht wird, widerlegt zudem die Behauptung der Pariser Braunbuch-Autoren, die Nazis hätten allen Grund gehabt, dieses Dokument zu fürchten.

STRAFSACHE VAN DER LUBBE BAND: HAUPTAKTEN I.

Berlin, am 28. 2. 33

"Vorgeführt erscheint Marinus van der Lubbe und sagt aus:

Zur Person: Ich bin in 's Hertogenbosch und dann in Leiden in die Volksschule gegangen, und dann habe ich Maurer gelernt. 1928 bin ich Geselle geworden. Seitdem habe ich mit kurzen Unterbrechungen keine Stellung gehabt. 1929 erlitt ich einen Unfall und beziehe seit dieser Zeit eine Unfallrente von 7 Gulden 44 Cents pro Woche . . .

Im März 1931 bin ich nach Berlin gelaufen von Leiden aus und hier in Berlin etwa 1

Woche geblieben. Ich wohnte damals im Männerheim Alexandrinenstraße. Dann ging ich wieder zu Fuß nach Holland zurück; für den Hin- und Rückweg brauchte ich

je etwa 6 Wochen . . . Im September 1931 ging ich wieder von Leiden los: Bayern,

Österreich, Jugoslawien und über Ungarn fuhr ich mit dem Zuge nach Hause . . .

Im Januar 1932 bin ich zum zweiten Mal nach Budapest gelaufen, das hat wieder einen Monat gedauert. Ich ging wieder über Bayern nach Österreich. Auf dem Rückwege habe ich Tschechien durchquert...

1933 blieb ich im Januar zuhause und ging erst in den letzten Tagen wieder auf Wanderschaft. Ich ging von Leiden nach Cleve, Düsseldorf, Essen, Bochum, Dortmund, Braunschweig, Magdeburg bis Berlin. Ich bin hier an einem Sonnabend angekommen.

Es war dies der 18. Februar 1933. Ich kam in den Nachmittagsstunden über Potsdam und konnte kurz vor Berlin ein Lastauto benutzen, mit welchem ich bis Schöneberg fuhr. Der Weg von Leiden bis Berlin betrug etwa 800 km. Die erste Nacht von Sonnabend zu Sonntag schlief ich in der Alexandrinenstraße. Die Adresse ist mir von früher her bekannt gewesen ...

Am Sonntag war ich vormittags auf einem SPD-Konzert auf dem Bülowplatz, das aber von der Polizei aufgelöst worden ist. Dann ging ich mittags in den Lustgarten. Hier sah ich den Aufmarsch des Reichsbanners.

Abends ging ich in das Asyl in der Fröbelstraße schlafen.

Am Montag musste ich früh für das Asyl Schnee schippen. Ich war gegen 13 Uhr fertig und schrieb dann Briefe nach Holland. Nachdem ich noch etwas spazieren gegangen war, ging ich zeitig schlafen, und zwar wieder in der Fröbelstraße.

Am Mittwoch bin ich etwa gegen 11 Uhr vom Asyl weggegangen und habe mich nach der Gleimstraße begeben, wo ich in der Volksküche vom Wohlfahrtsamt Essen bekam.

Ich ging dann noch einige Zeit im Wedding spazieren und ging dann nach der Alexandrinenstraße im Männerheim schlafen.

Ich will jetzt den Dienstag nachtragen: Bis 12 Uhr war ich im Wohlfahrtsamt, wo ich

eine Esskarte für Mittwoch bekam. Dort habe ich lange warten müssen, weil da sehr

viel Leute waren, so dass die Sache sehr lange dauerte. Nachmittags ging ich in der

Gegend des Alexanderplatzes spazieren und um drei Uhr in ein Kino, wo ich den Film 'Der Rebell' sah. Ab 17 Uhr bin ich noch etwas gelaufen und dann ins Fröbel-

Asyl zurückgegangen.

Am Donnerstag bin ich um 9 Uhr früh losgegangen und habe mich nach Neukölln

gewandt. Vor dem Wohlfahrtsamt habe ich mich mit den Erwerbslosen unterhalten

und auch eine Erwerbslosenzeitung gekauft. Abends ging ich, dann in das Männerheim Alexandrinenstraße zurück.

Meinen Unterhalt habe ich teils von eignem Gelde bestritten, das mir mein Freund

Jacobus Vink, Leiden, Heringsgracht hierher postlagernd beim Postamt in der Königstraße gesandt hat. Es waren zweimal 5,- RM, die am Dienstag und am Freitag kamen.

Im Übrigen habe ich im Asyl kostenlos gewohnt und auch das Essen sonst frei gehabt.

Am Freitag bin ich den ganzen Tag unterwegs gewesen, und zwar habe ich besucht:

Das Zentrum, Alexanderplatz, Schönhauser-Allee, Gleimstraße und zurück in der Gegend von Alexanderplatz bis zur Alexandrinenstraße, Diesmal habe ich kein Mittag gegessen, dafür bekam ich Abendbrot in dem Männerheim.

Zur Tat: Am Sonnabend ging ich um 10 Uhr aus dem Männerheim fort und wandte

mich dem Zentrum zu, wo ich auch das Schloss gesehen habe. Vom Alexanderplatz

ging ich direkt nach Süden und kam auf den Hermannplatz. Hier war ich etwa gegen

17 Uhr. Auf dem Wege zum Hermannplatz kam mir der Gedanke, das Wohlfahrtsamt

anzuzünden. Ich kaufte zu diesem Zweck für 30 Pfg. 4 Pakete Kohlenanzünder. Das

Wohlfahrtsamt liegt am Mittelweg. Ich habe eine Hecke überklettern müssen und bin

hinten herum gegangen, bis ich etwa in Kopfhöhe ein Eckfenster sah, in das ich dann ein brennendes Paket hineinwarf. Ob das Paket einen Brand entfacht hat, weiß ich nicht, da ich sofort auf demselben Wege, wie ich hingekommen war, geflüchtet bin ...

Mit der Untergrundbahn bin ich von der nächsten Haltestelle aus bis zum Alexanderplatz gefahren. Die Tat im Wohlfahrtsamt habe ich um 18.30 Uhr begangen. Vom Alexanderplatz aus ging ich die Königstraße lang und kam um 19.15 Uhr vor das Rathaus.