Der Schwur des Marquis - Julie Garwood - E-Book
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Der Schwur des Marquis E-Book

Julie Garwood

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Beschreibung

Weil er die Schätze, die er auf dem Meer erbeutet, unter den Armen verteilt, gilt der Pirat Pagan als Volksheld. Doch der Marquis von Cainewood hat ihm Rache geschworen für den Tod seines Bruders. Erst die wunderschöne Jade, die bei ihm auftaucht und verzweifelt um seinen Schutz fleht, lenkt ihn von seinem Vorhaben ab - denn nie hat eine Frau seine Sinne dermaßen verwirrt. Noch ahnt der Marquis nicht, welcher Zusammenhang zwischen der geheimnisvollen Jade und dem verwegenen Piraten besteht ...

"Wieder mal ein wunderschönes Buch von Julie Garwood. Eine uneingeschränkte Leseempfehlung!" Schatten, happy-end-buecher.de

Dieser historische Liebesroman ist in einer früheren Ausgabe unter dem Titel "Die Rache des Marquis" erschienen.

Der nächste Band der Reihe "Die königlichen Spione - Regency Romance": Das Geheimnis des Gentleman.

eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.


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Seitenzahl: 456

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Cover

Titel der Autorin bei beHEARTBEAT

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

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Titel der Autorin bei beHEARTBEAT

Schottische Hochzeit – Die Braut-Reihe

Die stolze Braut des Highlanders

Die Hochzeit des Highlanders

Die königlichen Spione – Regency Romance

Der Schwur des Marquis

Das Geheimnis des Gentleman

Das Versprechen des Duke

Romane (Einzeltitel)

Geliebter Barbar

Die Braut des Normannen

Melodie der Leidenschaft

Weitere Titel in Planung.

Über dieses Buch

Weil er die Schätze, die er auf dem Meer erbeutet, unter den Armen verteilt, gilt der Pirat Pagan als Volksheld. Doch der Marquis von Cainewood hat ihm Rache geschworen für den Tod seines Bruders. Erst die wunderschöne Jade, die bei ihm auftaucht und verzweifelt um seinen Schutz fleht, lenkt ihn von seinem Vorhaben ab – denn nie hat eine Frau seine Sinne dermaßen verwirrt. Noch ahnt der Marquis nicht, welcher Zusammenhang zwischen der geheimnisvollen Jade und dem verwegenen Piraten besteht ...

eBooks von beHEARTBEAT – Herzklopfen garantiert.

Über die Autorin

Julie Garwood (*1946 in Kansas City, Missouri) gilt als Grande Damen der historischen Liebesromane. Mit einer Gesamtauflage von über 40 Millionen Exemplaren weltweit und mehr als 15 New-York-Times-Bestsellern zählt sie zu den beliebtesten und erfolgreichsten Vertreterinnen ihres Genres.

Dabei kam sie erst nach einer Ausbildung als Krankenschwester zum Schreiben, als ihr jüngstes Kind eingeschult wurde. Seit Erscheinen ihres ersten Romans Mitte der Achtzigerjahre hat sie mehr als 30 Bücher veröffentlicht.

Garwoods Liebesgeschichten zeichnen sich durch sinnliche Leidenschaft aus, gepaart mit einem Augenzwinkern und historischer Detailtreue. Dabei ist sie im mittelalterlichen Schottland ebenso heimisch wie im England der Regentschaftszeit. Ihr Anspruch lautet: »Ich möchte meine Leserinnen zum Lachen und zum Weinen bringen und hoffe, dass sie sich verlieben.«

Die Autorin lebt in Leawood, Kansas. Sie ist verheiratet und hat drei Kinder.

Für weitere Informationen besuchen Sie Julie Garwoods Homepage unter: https://juliegarwood.com/.

Julie Garwood

Der Schwur des Marquis

Aus dem amerikanischen Englisch von Eva Malsch

Digitale Erstausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 1990 by Julie Garwood

Titel der amerikanischen Originalausgabe: „Guardian Angel“

Published by Arrangement with Julie Garwood.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Für diese Ausgabe:

Copyright © 1991/2021 by Bastei Lübbe AG, Köln

Titel der deutschsprachigen Erstausgabe: »Die Rache des Marquis«

Covergestaltung: Guter Punkt, München

unter Verwendung von Motiven © Maria Chronis, VJ Dunraven Productions, PeriodImages.com © pjclark/GettyImages © czekma13/GettyImages © ba888/iStock

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 978-3-7517-0332-1

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

1

LONDON, 1815

Geduldig wartete der Jäger auf seine Beute.

Es war ein gefährliches Täuschungsmanöver, auf das sich der Marquis von Cainewood eingelassen hatte. Der berüchtigte Pagan von der Shallow’s Wharf würde gewiss davon erfahren, dass sich ein anderer für ihn ausgab. Das musste ihn aus seinem Versteck locken, denn sein ungeheurer Stolz würde nicht zulassen, dass seine Untaten als Verdienst eines anderen galten. Sicher würde der Pirat versuchen, Rache zu üben. Mit dieser Möglichkeit rechnete Caine. Und er wollte Pagan schnappen, sobald dieser auftauchte. Dann würde die Legende endlich zerstört werden.

Der Marquis hatte keine Wahl. Die Spinne wollte einfach nicht aus ihrem Netz kriechen. Niemand ließ sich bestechen. Nein, es gab keinen Judas unter den Seeleuten. Und das war erstaunlich, denn die meisten Männer von niedrigem Stand hätten ihre Mütter für die Summe verkauft, die er bot. Doch die Seeleute lehnten das Gold ab und blieben der Legende treu, jeder aus seinen eigenen persönlichen Gründen. Caine, von Natur aus ein Zyniker und reich an schlechten Erfahrungen, hielt Angst für das wahre Motiv. Angst und Aberglauben.

Ein Mythos umgab den Piraten wie eine Schutzmauer. Niemand hatte ihn je gesehen. Sein Schiff, die Emerald, wurde oft beobachtet, wie sie über das Wasser flog. Und der Anblick dieser düsteren Schönheit weckte Angst in den Aristokraten mit den prallen Börsen, veranlasste das gemeine Gesindel zu boshaftem Kichern und die Armen zu Dankgebeten, denn Pagan teilte sein Diebesgut stets mit den Menschen, die vom Glück weniger begünstigt wurden.

Wann immer das magische Schiff gesichtet wurde, konnte niemand auch nur ein einziges Besatzungsmitglied an Bord beschreiben. Das gab den Spekulationen und der Bewunderung für den Phantompiraten ständig neue Nahrung.

Seine Raubzüge beschränkten sich nicht auf das Meer. Offenbar liebte er die Abwechslung, und seine Aktivitäten an Land erregten sogar noch größere Empörung. Pagan bestahl nur die vornehme Gesellschaft. Und um zu verhindern, dass seine mitternächtlichen Überfälle auf arglose Leute irgendjemand anderem angedichtet wurden, hinterließ er seine persönliche Visitenkarte in Form einer langstieligen weißen Rose. Wenn sein Opfer morgens erwachte, fand es die Blume neben sich auf dem Kissen. Allein der Anblick dieser Rose genügte manchmal, um erwachsene Männer in Ohnmacht sinken zu lassen.

Natürlich wurde er von den Armen vergöttert und als romantischer Held gefeiert. Auch die Kirche war ihm wohl gesinnt. Häufig stellte er Truhen voll Gold und Juwelen ins Vestibül neben die Kollektenschüssel und legte eine weiße Rose darauf, damit die Priester auch wussten, für wen sie beten sollten. Dem Bischof fiel es sehr schwer, den Piraten zu verdammen. Andererseits hütete er sich, ihn zu lobpreisen, denn dadurch hätte er sich den Zorn einflussreicher Aristokraten zugezogen. Und so nannte er ihn einfach nur »Pagan, den Schlingel«, ein Spitzname, den gewisse Kreise grinsend und augenzwinkernd auszusprechen pflegten.

Das Kriegsministerium hatte keine solche Zurückhaltung geübt und ein Kopfgeld auf den Piraten ausgesetzt – eine Summe, die von Caine verdoppelt worden war. Er jagte den Bastard aus persönlichen Gründen und vertrat den Standpunkt, dass der angestrebte Erfolg alle Mittel rechtfertigen würde. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Er wollte Pagan töten.

Ironischerweise passten die beiden Gegner gut zusammen. Das gewöhnliche Volk fürchtete den Marquis. Mit seiner Arbeit für die Regierung hatte er sich eine eigene finstere Legende eingehandelt. Wären die Umstände anders gewesen, hätte Pagan es nicht gewagt, Caines Zorn herauszufordern, hätte dieser ihn vielleicht weiterhin gewähren lassen. Aber diese Gunst hatte der Pirat mit einer Todsünde verwirkt.

Abend für Abend ging Caine in eine Kneipe namens »Taugenichts« inmitten der Londoner Slums. Das Lokal wurde von berüchtigten Hafenarbeitern frequentiert. Er setzte sich stets an einen Ecksitz, den breiten Rücken durch eine Steinmauer vor heimtückischen Angriffen geschützt, und wartete geduldig auf Pagan.

In dieser zwielichtigen Umgebung bewegte er sich mit der Selbstverständlichkeit eines Mannes, der auf eine dunkle Vergangenheit zurückblickte. In den Slums hatte ein Adelstitel nichts zu bedeuten. Sein Überleben hing einzig von seiner Größe, seiner Kraft und seinem Kampfgeist ab. Allein schon seine muskulösen Schultern und Schenkel konnten so manchen potenziellen Widersacher abschrecken. Er war dunkelhaarig, hatte eine bronzefarbene Haut, und seine Augen zeigten die Farbe eines Wolkenhimmels. Früher hatten seine Augen die Herzen feiner Damen höherschlagen lassen. Jetzt wich die zarte Weiblichkeit vor seinem kalten, ausdruckslosen Blick zurück. Man munkelte, abgrundtiefer Hass habe den Marquis von Cainewood in Stein verwandelt, und dem stimmte er vorbehaltlos zu.

Nachdem er beschlossen hatte, Pagans Rolle zu spielen, erkannte er, wie schwierig es war, dieses Täuschungsmanöver durchzuführen. Falls die Gerüchte zutrafen, floss adeliges Blut in Pagans Adern, und er hatte sich der Piraterie verschrieben, um seinen aufwendigen Lebensstil zu finanzieren. Diese Klatschgeschichten nutzte Caine zu seinem Vorteil. Als er zum ersten Mal in die Taverne gegangen war, hatte er seinen kostbarsten Anzug getragen und eine kleine weiße Rose am Revers seines Dinnerjackets befestigt – eine prahlerische Geste, die natürlich sofort die gewünschte Aufmerksamkeit erregte.

Um sich den nötigen Respekt zu verschaffen, hatte er seinen scharfen Degen zücken müssen. Wenn er auch wie ein Gentleman gekleidet war, focht er ohne Ehre und Anstand. Bald bewunderten ihn die Männer. In wenigen Minuten hatte er ihre Hochachtung erworben und ihnen Todesängste eingejagt. Ein etwas mutiger Bursche erkundigte sich stotternd, ob das Gerede stimme, dass er tatsächlich Pagan sei. Caine antwortete nicht, aber sein Grinsen verriet, wie gut ihm die Frage gefiel. Und als er dem Tavernenwirt erklärte, dass dieser Seemann verdammt schlau sei, zog man daraus die unvermeidlichen Schlüsse. Bis zum Wochenende breitete sich die Kunde von Pagans allabendlichen Besuchen im »Taugenichts« wie ein Lauffeuer aus.

Monk, der kahlköpfige Ire, der die Kneipe bei einer betrügerischen Kartenpartie gewonnen hatte, saß gegen Ende der Öffnungszeit meistens neben Caine. Als Einziger wusste er über das Täuschungsmanöver Bescheid, und er billigte Caines Plan uneingeschränkt, da ihm bekannt war, welche Gräueltaten Pagan an der Familie des Marquis begangen hatte. Außerdem blühte das Geschäft, weil jeder einen Blick auf den Piraten werfen wollte. Monk, in erster Linie auf seinen Profit bedacht, verlangte ungeheuerliche Preise für sein verwässertes Ale.

Seine Haare hatte er schon vor Jahren verloren, aber orangerote Brauen machten diesen Mangel wett. Buschig und gekräuselt wanden sie sich wie Efeuranken über die sommersprossige Stirn, die er nun in Falten zog, um den Marquis sein Mitgefühl zu zeigen.

Es war fast drei Uhr morgens, die Sperrstunde längst überschritten. Nur zwei andere Gäste saßen noch vor ihren Getränken. Als sie einen verschlafenen Abschiedsgruß gerülpst und das Weite gesucht hatten, wandte sich Monk zu Caine. »Sie sind geduldiger als ein Floh auf einem mageren Hund. Nacht für Nacht sitzen Sie hier. Hoffentlich lassen Sie sich nicht entmutigen«, fügte er hinzu, goss dem Marquis Brandy ein und nahm einen großen Schluck aus der Flasche. »Aber Sie werden ihn kriegen, Caine, daran zweifle ich nicht. So wie ich’s sehe, wird er erst mal ein paar von seinen Männern herschicken, mit dem Befehl, Ihnen aufzulauern. Deshalb rate ich Ihnen, stets auf Ihren Rücken aufzupassen, wenn Sie hier weggehen.« Kichernd fuhr Monk fort: »Pagan legt großen Wert auf seinen Ruf, und Ihre Komödie müsste seine Haare allmählich grau färben. Sicher wird er bald auftauchen. Ich wette, morgen Abend kommt er.«

Caine nickte, obwohl Monk seine allnächtliche Ansprache stets mit dieser Prophezeiung beendete.

»Und dann werden Sie ihn zerquetschen wie eine Wanze, Caine.« Der Marquis nippte an seinem Glas, zum ersten Mal an diesem Abend, und lehnte sich an die Wand. »Ja, ich werde ihn kriegen.«

Die raue Stimme jagte einen Schauer über Monks Rücken. Gerade wollte er Caine beipflichten, als die Tür aufflog. Der Wirt drehte sich halb auf seinem Stuhl um und beabsichtigte, den späten Gast auf die Sperrstunde hinzuweisen. Doch dann konnte er nur noch Luft schnappen. Nach einer Weile fand er seine Sprache wieder und flüsterte: »Heilige Mutter Gottes, hat sich ein Engel zu uns verirrt?«

Der Eingang befand sich in Caines Blickfeld. Obwohl er keine Reaktion erkennen ließ, staunte er ebenso wie Monk und sein Herz begann plötzlich schneller zu schlagen.

Die Frau, die hereingekommen war, sah tatsächlich wie ein Engel aus, und er wagte nicht zu blinzeln, aus Angst, die Vision könne sich in Luft auflösen, wenn er die Lider nur für einen Sekundenbruchteil schließen würde. Die Frau war unglaublich schön. Vor allem ihre Augen fesselten ihn. So grün wie mein heimatliches Tal in einer klaren, mondhellen Nacht, dachte er. Sie starrte ihn an, und er starrte zurück.

Fast eine volle Minute verstrich, während sie einander musterten. Dann kam sie auf den Tisch zu, und die Kapuze ihres schwarzen Umhangs fiel auf die Schultern. Caines Atem stockte, denn im Kerzenschein schimmerte das üppige kupferrote Haar wie Feuer.

Ihre Kleidung befand sich in erbärmlichem Zustand. Die Qualität des Capes deutete zwar auf einen gewissen Wohlstand hin, aber an einer Seite klaffte ein Riss, als wäre es mit einem Messer aufgeschlitzt worden. Ein Teil des grünen Satinfutters hing in Fetzen vom Saum herab. Caines Neugier wuchs. Sein Blick kehrte zum Gesicht der jungen Frau zurück, und er entdeckte leichte Aufschürfungen an der rechten Wange, eine kleine Schnittwunde in der vollen Unterlippe und Schmutzflecken auf der Stirn.

Wenn sie ein Engel ist, muss sie soeben der Hölle einen Besuch abgestattet haben, überlegte er. Aber obwohl sie den Kampf mit dem Satan vermutlich verloren hatte, sah sie immer noch zauberhaft aus – viel zu hübsch für Caines Seelenfrieden. Angespannt wartete er auf eine Erklärung.

Sie blieb vor dem runden Tisch stehen und betrachtete die weiße Rose an Caines Revers. Der Engel war sichtlich verängstigt, die Hände umklammerten einen weißen Beutel, und Caine sah mehrere Narben an den schmalen Fingern.

Was er von dieser Frau halten sollte, wusste er nicht. Aber er wollte keinesfalls, dass sie sich vor ihm fürchtete. Diese Erkenntnis bewog ihn, die Stirn zu runzeln. »Sind Sie allein?«, fragte er brüsk.

»Ja.«

»Um diese Zeit, in diesem Stadtteil?«

»Ja, sind Sie Pagan?« Ihre Stimme war ein heiseres Wispern.

»Sehen Sie mich an, wenn ich mit Ihnen spreche!«

Sie gehorchte und schaute unverwandt auf die Rose.

»Bitte, antworten Sie, Sir, sind Sie Pagan? Ich muss mit dem Piraten reden. Es ist sehr wichtig.«

»Ich bin Pagan.«

»Man sagt, Sie würden alles tun – für einen angemessenen Preis. Stimmt das?«

»Allerdings«, bestätigte Caine. »Was wollen Sie von mir?«

Sie ließ den Beutel auf den Tisch fallen. Das Zugband öffnete sich und Münzen rollten hervor. Monk stieß einen leisen Pfiff aus.

»Dreißig Stück«, verkündete sie, den Blick immer noch gesenkt.

Caine hob die Brauen. »Dreißig Silberstücke?« Schüchtern nickte sie. »Genügt das? Mehr habe ich nicht.«

»Und wen wollen Sie verraten?«

Verwirrt schüttelte sie den Kopf. »O nein, Sir, Sie missverstehen mich. Ich will niemanden verraten. Ein Judas bin ich nicht.«

Die Frage hatte sie anscheinend tief gekränkt. »Mein Irrtum ist wohl verständlich«, verteidigte er sich. Wie ihr Stirnrunzeln bekundete, war sie anderer Meinung, und er gelobte sich, sein Temperament zu zügeln. »Also, was wollen Sie?«

»Dass Sie jemanden töten, bitte.«

»Ah ...«, erwiderte er gedehnt. Seine Enttäuschung war fast schmerzlich. Sie sah so unschuldig aus, so verletzlich. Und trotzdem bat sie ihn in sanftem Ton, einen Mord zu verüben. »Und wer soll das Opfer sein? Vielleicht Ihr Ehegatte?« Der Zynismus in seiner Stimme klang so scharf wie ein Nagel, der über eine Schiefertafel kratzt. Doch das schien sie nicht zu stören.

»Nein.«

»Sie sind also unverheiratet?«

»Spielt das eine Rolle?«

»O ja«, entgegnete er leise.

»Ich bin nicht verheiratet.«

»Und wen soll ich töten? Ihren Vater? Ihren Bruder?« Wieder schüttelte sie den Kopf, und Caine beugte sich langsam vor, beinahe am Ende seiner Geduld. »Ich bin es müde, Ihnen Fragen zu stellen. Erklären Sie endlich, was Sie wünschen.« Er hatte sich gezwungen, sie grob anzuherrschen, um ihr Angst einzujagen und ihr zu entlocken, was sie beabsichtigte. Aber die erhoffte Wirkung seiner harten Stimme blieb aus. Ein rebellischer Ausdruck trat in die grünen Augen. Offenbar besaß das verschüchterte Kätzchen sogar einen gewissen Kampfgeist.

»Ehe ich Ihnen genauere Hinweise gebe, müssten Sie sich bereitfinden, diese Aufgabe zu übernehmen.«

»Aufgabe?«, wiederholte er ungläubig. »Ich soll jemanden umbringen, und das bezeichnen Sie als ›Aufgabe‹?«

»Ja.«

Sie weigerte sich immer noch, ihm in die Augen zu schauen, was ihn immer heftiger irritierte. »Also gut, ich bin einverstanden«, log er. Während sie erleichtert aufatmete, fragte er: »Also, wer ist das Opfer?«

Da hob sie den Kopf, und beim Anblick ihres gequälten Gesichtsausdruckes krampfte sich Caines Herz zusammen. Das Bedürfnis, sie zu umarmen und zu trösten, überwältigte ihn fast. Dann ärgerte er sich über seine Schwäche. Welch ein lächerlicher Wunsch ... Zum Teufel, diese Frau heuerte ihn an, um jemanden ermorden zu lassen. »Nun, wen soll ich töten?«

Sie holte tief Luft. »Mich.«

2

»Heilige Mutter Gottes!«, hauchte Monk. »Das meinen Sie doch nicht ernst, liebe Lady.«

Ohne Caine aus den Augen zu lassen, antwortete sie dem Tavernenwirt: »Ich meine es sogar sehr ernst, guter Mann. Glauben Sie, ich hätte mich mitten in der Nacht hierher gewagt, wenn es anders wäre?«

»Anscheinend haben Sie den Verstand verloren«, bemerkte Caine.

»Keineswegs. Wenn dies zuträfe, wäre alles viel leichter.«

»Ich verstehe.« Mühsam beherrschte er sich, und der Impuls, sie anzubrüllen, bereitete ihm Halsschmerzen. »Und wann soll ich diese – diese ...?«

»Aufgabe?«

Er nickte. »Wann soll ich diese Aufgabe erledigen?«

»Jetzt.«

»Jetzt?«

»Wenn es Ihnen recht ist, Mylord.«

»Wenn es mir recht ist?«

»Oh, tut mir leid«, flüsterte sie. »Ich wollte Sie nicht erzürnen.«

»Warum glauben Sie mich zu erzürnen?«

»Weil Sie so schreien.«

Er musste ihr recht geben und seufzte tief auf. Zum ersten Mal seit langer Zeit war er außer Fassung geraten. Um eine Entschuldigung für diese Schande zu finden, sagte er sich, dass ein solch ungeheuerliches Ansinnen jeden halbwegs vernünftigen Menschen völlig überrumpeln musste. Die Frau sah so aufrichtig aus – und so zerbrechlich. Um Himmels willen, auf der Nase hatte sie auch noch Sommersprossen! Sie sollte um diese Stunde daheim sein, hinter Schloss und Riegel, im Schoß einer liebevollen Familie, statt hier in dieser schäbigen Kneipe zu stehen und seelenruhig ihre eigene Ermordung zu erörtern.

»Ich sehe, in welch eine unangenehme Lage ich Sie gebracht habe, und ich bitte Sie um Verzeihung, Pagan. Haben Sie noch nie eine Frau getötet?« Echtes Mitgefühl schwang in ihrer Stimme mit.

»Nein, ich habe noch nie eine Frau getötet«, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Aber für alles gibt’s ein erstes Mal – oder?«

Diese Worte meinte er ironisch, aber sie wurden ernst genommen. »Das ist genau die richtige Geisteshaltung«, lobte sie, und jetzt lächelte sie wirklich und wahrhaftig. »Sicher wird es nicht allzu schwierig sein. Natürlich helfe ich Ihnen.«

Am liebsten hätte er seine Stirn auf die Tischplatte geschlagen, immer wieder. »Sie helfen mir?«, würgte er hervor.

»Gewiss.«

»Sie sind verrückt.«

»O nein – aber verzweifelt. Es muss so schnell wie möglich geschehen. Glauben Sie, dass Sie sich beeilen und Ihr Glas austrinken könnten?«

»Warum so schnell?«

»Weil sie mich bald suchen werden, vielleicht schon heute Nacht. Mein Tod ist unausweichlich. Entweder sterbe ich von Ihrer Hand, Pagan – oder diese Leute meucheln mich. Und ich möchte mein Ende selbst bestimmen, das verstehen Sie doch?«

»Warum bringen Sie sich nicht selber um?«, platzte Monk heraus. »Wäre das nicht einfacher, als jemanden zu beauftragen?«

»Um Gottes willen, Monk, Sie dürfen sie nicht auch noch ermutigen!«

»Das will ich gar nicht. Ich versuche nur zu begreifen, warum eine so hübsche Lady sterben will.«

»Oh, ich könnte mir niemals das Leben nehmen«, erklärte sie. »Das wäre eine Sünde. Jemand anders muss es tun. Das sehen Sie doch ein?«

Jetzt hatte Caine endgültig die Nase voll. Er sprang hoch, warf seinen Stuhl um und stützte seine großen Hände auf die Tischplatte. »Nein, ich sehe gar nichts ein, aber ehe diese Nacht zu Ende geht, wird mir alles klar sein, das schwöre ich. Fangen wir ganz von vorn an. Am besten nennen Sie erst mal Ihren Namen.«

»Warum?«

»Das gehört zu meinen kleinen Regeln«, fauchte er sie an.

»Ich töte nur Leute, die ich kenne. Also, wie heißen Sie?«

»Das ist eine dumme Regel.«

»Antworten Sie!«

»Jade.«

»Verdammt, ich will Ihren richtigen Namen hören!«, donnerte er.

»Verdammt, das ist mein richtiger Name!«, erwiderte sie ungehalten.

»Und das meinen Sie ernst?«

»Natürlich.« Sie zuckte die Achseln. »Ich heiße nun mal Jade.«

»Ungewöhnlich. Aber es passt zu Ihnen. Sie sind ja auch eine ungewöhnliche Frau.«

»Ihre Meinung über mich ist bedeutungslos, Sir. Ich habe Ihnen einen Auftrag erteilt, das ist alles. Verhören Sie alle Ihre Opfer so intensiv, bevor Sie ihnen den Garaus machen?«

Er ignorierte ihren durchdringenden Blick. »Nennen Sie Ihren Zunamen, ehe ich Sie erdrossele.«

»Sie dürfen mich nicht erdrosseln. Auf diese Art will ich nicht sterben. Und ich bin es, die hier den Preis bezahlt, falls Sie’s vergessen haben.«

»Wie hätten Sie’s denn gern?«, spottete Caine. »Ach, zum Teufel, ich möchte es gar nicht wissen.«

»Aber Sie müssen es wissen«, protestierte sie. »Wie können Sie mich töten, wenn Sie keine Ahnung haben, welche Methode ich bevorzuge?«

»Das werden wir später besprechen, Jade. Eins nach dem anderen. Warten Ihre Eltern zu Hause auf Sie?«

»Das ist unwahrscheinlich.«

»Warum?«

»Sie sind beide tot.«

Er schloss die Augen und zählte bis zehn. »Sie stehen also ganz allein auf der Welt?«

»Nein.«

»Nein?«

Jade seufzte ungeduldig. »Ich habe einen Bruder. Aber mehr werde ich Ihnen nicht verraten, Pagan. Das wäre zu riskant.«

»Warum, Miss?«, fragte Monk.

»Je mehr er über mich weiß, desto schwerer wird ihm seine Aufgabe fallen. Ich glaube, es ist schlimm, jemanden töten zu müssen, den man mag, nicht wahr, Sir?«

»Ich musste noch nie jemanden töten, den ich mag«, gab Monk zu. »Eigentlich habe ich überhaupt noch niemanden getötet. Aber Ihre Theorie erscheint mir sinnvoll.«

Caine musste sich sehr zusammennehmen, um nicht wieder zu brüllen. »Das wird gewiss keine Probleme aufwerfen, Jade. Im Moment kann ich Sie nicht ausstehen.«

Sie wich einen Schritt zurück. »Warum nicht? Ich habe Sie nicht halb so schwer beleidigt wie Sie mich. Oder sind Sie einfach nur von Natur aus griesgrämig, Pagan?«

»Nennen Sie mich nicht Pagan.«

»Wieso nicht?«

»Das ist gefährlich, Miss – falls jemand lauscht«, erklärte Monk hastig, als er sah, wie wütend Caine geworden war. In seinem Kinn zuckte ein Muskel. Er besaß ein wildes Temperament, und in ihrer Unschuld reizte sie ihn unwissentlich bis zur Weißglut. Wenn er die Beherrschung verlor, würde er vermutlich ihren Wunsch erfüllen und sie zu Tode erschrecken.

»Und wie soll ich ihn nennen?«, fragte sie.

»Caine.«

Sie schnaufte undamenhaft. »Caine! Und er findet, dass ich einen ungewöhnlichen Namen habe.«

Caine umfasste ihr Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. »Wie heißt Ihr Bruder?«

»Nathan.«

»Und wo ist er jetzt?«

»Unterwegs – in dringenden geschäftlichen Angelegenheiten.«

»In welchen?«

Sie schlug seine Hand beiseite, ehe sie erwiderte: »Schifffahrtsgeschäfte.«

»Wann kommt er zurück?«

Erbost starrte sie ihn an. »In zwei Wochen. Und nun will ich nichts mehr sagen. Wann werden Sie endlich aufhören, mich zu belästigen, und stattdessen Ihren Auftrag ausführen?«

»Wo wohnen Sie, Jade?«

»Sir, Ihre endlosen Fragen bereiten mir Kopfschmerzen. Ich bin es nicht gewöhnt, mich von Männern anbrüllen zu lassen.«

Caine warf einen Blick auf Monk und verdrehte die Augen. »Diese dumme Frau will, dass ich sie umbringe, und beklagt sich über Kopfweh!«

Plötzlich packte sie ihn am Kinn und drehte sein Gesicht zu sich herum, womit sie absichtlich sein Verhalten von vorhin nachahmte. Ihre Kühnheit verblüffte ihn so sehr, dass er sie gewähren ließ. »Jetzt bin ich dran!«, rief sie und ließ ihn los. »Ich stelle hier die Fragen, und Sie werden antworten. Von mir bekommen Sie nämlich die Silbermünzen. Die erste und wichtigste Frage lautet – werden Sie mich wirklich töten? Ihr Zögern und dieses grässliche Verhör beunruhigen mich.«

»Bevor ich eine Entscheidung treffe, müssen Sie meine Neugier befriedigen.«

»Nein.«

»Dann werde ich Sie nicht töten.«

»Sie Schurke!«, kreischte sie. »Ehe Sie wussten, wer Ihr Opfer sein soll, haben Sie mir ein Versprechen gegeben!«

»Das war gelogen.«

Entrüstet schrie sie auf. »Sie enttäuschen mich zutiefst. Ein Mann von Ehre würde sein Wort nicht so leicht brechen. Schämen Sie sich!«

»Ich habe nie behauptet, ich sei ein Ehrenmann.«

»Nein, Miss, das hat er nicht«, warf Monk ein.

Ihre Augen schienen grüne Flammen zu sprühen, ihre Hände, auf den Tisch gestützt, berührten beinahe Caines Fingerspitzen. »Man sagte mir, Pagan würde stets sein Wort halten.«

»Offensichtlich wurden Sie falsch informiert.«

Ihr Gesicht war dicht vor seinem, und er versuchte sich auf das Gespräch zu konzentrieren. Dabei wurde er von ihrem wunderbaren Duft gestört – so sauber, so frisch, so feminin. Er wollte noch etwas sagen, doch ihm fehlten die Worte. Noch nie hatte ihm eine Frau so energisch Paroli geboten. Die Damen der guten Gesellschaft pflegten die Köpfe einzuziehen, wenn er sein Missvergnügen zeigte. Jade war anders. Ohne mit der Wimper zu zucken, hielt sie seinem Blick stand. Plötzlich verspürte er einen heftigen Lachreiz, wenn er auch nicht die leiseste Ahnung hatte, warum. Jades Wahnsinn musste ansteckend sein.

»Sie müssten am Galgen baumeln, nachdem Sie mich so übel reingelegt haben«, meinte sie. »Dabei sehen Sie gar nicht wie ein Betrüger aus. Ein so abscheuliches Benehmen hätte ich Ihnen nicht zugetraut.«

Jade wollte sich vom Tisch entfernen, aber Caine hielt ihre Hände fest. Er beugte sich noch tiefer hinab, bis seine Lippen beinahe ihre Stirn streiften. »Ich bin ein Pirat, Madam. Und ein Pirat benimmt sich nun mal abscheulich.«

Er wartete auf einen weiteren Wutanfall, doch stattdessen brach sie in Tränen aus. Auf diesen Gefühlsausbruch war er nicht vorbereitet. Während er sein Taschentuch hervorzog, sprang Monk auf, um Jade zu trösten. Ungeschickt tätschelte er ihre Schulter. »Ist ja schon gut. Weinen Sie nicht, Miss.«

»Das ist alles nur seine Schuld«, schluchzte sie. »Ich bat ihn doch nur um einen kleinen Gefallen, der seine kostbare Zeit gewiss nicht übermäßig beansprucht hätte. Aber nein, mit so was darf man ihn nicht behelligen. Und dabei erbot ich mich sogar zu warten, bis er sein Glas leeren würde«, fuhr sie klagend fort. »Und ich war bereit, ihn anständig zu entlohnen.«

Monk starrte den Marquis vorwurfsvoll an. »Jetzt haben Sie die arme Lady aber wirklich sehr betrübt.« Er riss das Taschentuch aus Caines Hand und betupfte linkisch die Tränen auf Jades Wangen. »Alles wird wieder gut, Miss«, gurrte er.

»Nein«, widersprach sie, die Stimme von dem Leinentuch gedämpft, das Monk ihr unter die Nase hielt. »Wissen Sie, dass ich noch nie im Leben irgendwen um etwas gebeten habe? Und jetzt, wo ich’s zum ersten Mal tue, wird mir mein Wunsch abgeschlagen. Heutzutage will niemand mehr auf ehrliche Weise sein Geld verdienen. Nein, da stehlen die Leute lieber. Eine Schande ist das, nicht wahr?«

Caine verschlug es die Sprache. Sollte er sie in die Arme nehmen und ihr Trost spenden – oder Sie bei den Schultern packen und sie schütteln, bis sie zur Vernunft kam? Eins stand jedenfalls fest – wenn Monk ihn noch lange so böse anschaute, würde er ihm das Nasenbein brechen.

»Miss, es ist wohl kaum eine ehrliche Arbeit, Geld von einer Lady zu nehmen und Sie dann umzubringen«, argumentierte der Wirt und streichelte ihren Rücken, um den sanften Tadel noch zu mildern.

»Natürlich ist das ehrliche Arbeit – wenn die Lady den Tod wünscht.«

Monk machte eine kurze Pause, um sich an der Schläfe zu kratzen. »Da hat sie recht, oder?«, fragte er den Marquis.

»Um Himmels willen ... Was tun Sie denn da?«, fragte Caine, als Jade ihre Münzen einzusammeln begann.

»Ich gehe. Verzeihen Sie, dass ich Sie belästigt habe, Pagan oder Caine, oder wie immer Sie heißen.« Sie band den Beutel zu und steckte ihn in die Tasche ihres Umhangs.

Als sie sich zur Tür wandte, rief Caine ihr nach: »Wohin gehen Sie?«

»Das braucht Sie nicht zu interessieren. Aber da ich nicht so unhöflich bin wie Sie, teile ich Ihnen mit, dass ich woanders Hilfe suchen werde. So leicht gebe ich nicht auf. Ehe der Morgen graut, werde ich jemanden finden, der bereit ist, mich zu töten.«

An der Tür holte er sie ein. Er legte ihr die Hände auf die Schultern und drehte sie zu sich herum. Sobald er sie berührte, fing sie wieder zu weinen an. In seiner Verwirrung folgte er einem übermächtigen Impuls und riss sie unsanft in die Arme. Damit öffnete er die Tränenschleusen noch weiter. Das Gesicht an seine starke Brust gedrückt, entschuldigt sie sich für ihr undamenhaftes Benehmen, immer wieder von wildem Schluchzen unterbrochen.

Er wartete, bis sie sich wieder einigermaßen gefasst hatte. Im Augenblick konnte er ohnehin nicht vernünftig mit ihr sprechen. Und da sie so laut weinte, hätte sie vermutlich kein Wort verstanden. Nachdem sie ihn um Vergebung gebeten hatte, schob sie ihm die Schuld an ihrem gegenwärtigen Zustand zu. Noch nie war er einer so entnervenden Frau begegnet.

Aber wie warm und weich sie sich anfühlte ... Normalerweise verabscheute er weinende Frauen. Aber diese da wollte er nicht mehr loslassen.

Beim Abklingen ihrer emotionalen Erregung bekam sie einen Schluckauf wie ein Betrunkener. Es war höchste Zeit für ein paar klärende Worte. »Jade, so schlimm, wie Sie glauben, kann es doch gar nicht sein. Morgen werden Sie mir danken, weil ich Ihr Ansinnen abgelehnt habe.«

»Morgen bin ich tot.«

»Nein«, erwiderte er und drückte sie an sich. »Das werde ich verhindern.«

»Meinen Bruder dürfte es ziemlich enttäuschen, wenn ich sterbe.«

»Das kann ich mir vorstellen«, bemerkte Caine trocken.

»Aber ich bin zu schwach, um diese Leute zu bekämpfen. Das sind ganz gemeine Männer, und ich fürchte, sie werden mich missbrauchen, bevor sie mich ermorden. Und einen solchen Tod will ich nicht erleiden. Das wäre würdelos.«

»Sie möchten also in Würde sterben? Wie ein Soldat auf dem Schlachtfeld?«

»Man soll mich nicht als Feigling in Erinnerung behalten.«

»Könnte Ihr Bruder Ihre Probleme lösen, wenn er zurückkäme?«

»O ja.« Sie lehnte wieder ihre Wange an Caines Brust. »Nathan würde mich beschützen. Seit Papas Tod sorgt er für mich. Und er ist ein sehr starker Mann.«

»Dann werde ich bis zur Heimkehr Ihres Bruders auf Sie aufpassen. Ich gebe Ihnen mein Wort.«

Es dauerte eine ganze Weile, bis Jade auf seinen Vorschlag reagiert. Er glaubte, sie würde mühsam nach Worten suchen, von tiefer Dankbarkeit überwältigt. Aber dann befreite sie sich aus seinen Armen und schaute zu ihm auf – keineswegs dankbar, sondern ärgerlich.

»Ihr Wort zählt nicht viel, Sir. Vorhin haben Sie’s gebrochen. Erst wollten Sie mich töten, dann besannen Sie sich anders.«

»Das kann man nicht vergleichen.«

»Sie meinen es also ernst?«

»Natürlich, wie Sie erklärt haben, wird Ihr Bruder in zwei Wochen zurückkehren und Ihre Sicherheit gewährleisten. In zwei Wochen – das stimmt doch?«

»Vielleicht kommt er noch früher. Aber Sie sind ein Pirat. Sie können es nicht riskieren, mich zwei Wochen lang zu beschützen. Auf Ihren Kopf ist ein Preis ausgesetzt. Wenn Sie getötet werden, möchte ich nicht die Verantwortung übernehmen.«

»Sie scheinen nicht viel von meinen Fähigkeiten zu halten.«

»Warum sollte ich? Sie haben doch bewiesen, dass man den Gerüchten nicht glauben darf, die über Sie kursieren. Wahrscheinlich stimmt es auch nicht, dass Sie weiße Rosen auf die Kissen Ihrer Opfer legen.«

Caine seufzte. »Tun Sie nicht so, als hätte ich Sie maßlos enttäuscht.«

»Genau das haben Sie aber! Sie sind kein Ehrenmann. Außerdem bezweifle ich, dass Sie stark genug sind, um es mit meinen Feinden aufzunehmen. Und mit Ihren breiten Schultern würden Sie eine großartige Zielscheibe abgeben. Nein, tut mir leid. Für eine solche Aufgabe eignen Sie sich einfach nicht.«

Am liebsten hätte er sie erwürgt. Sie wandte sich wieder ab, und in seiner Verblüffung über ihr Verhalten ließ er sie beinahe gehen. Diesmal holte er sie erst ein, als sie den Gehsteig vor der Tür erreicht hatte. Energisch zog er sie in die Taverne zurück. »Monk, Sie werden niemandem erzählen, was hier vorgefallen ist. Geben Sie mir Ihr Wort?«

»Warum sollte er, wenn Sie Ihr Wort so sorglos brechen?«, fragte Jade. »Ein Gentleman stellt keine Forderungen, die er selbst nicht erfüllen kann. Hat Ihre Mama Ihnen keine Manieren beigebracht?«

Caine strich mit einer Fingerspitze über ihre Wange.

»Ich bin kein Gentleman, sondern ein Pirat, und das macht einen gewaltigen Unterschied.«

Sobald er sie anfasste, schien sie zu versteinern. Das verstand er nicht. Als er die Hand sinken ließ, erwachte Jade sofort aus ihrer Erstarrung. »Ja, da besteht allerdings ein Unterschied«, gab sie zu. »Sagen Sie, Caine – könnte ich Sie so in Wut bringen, dass Sie mich töten würden?«

»Dieser Gedanke hat einen gewissen Reiz.« Er streckte wieder eine Hand nach ihr aus, und sie wich rasch zurück.

»Fassen Sie mich nicht an! Das dürfen Sie nicht!«

»Wieso nicht?«

»Ich hasse es, berührt zu werden.«

»Und wie soll ich Sie dann töten?«

Offenbar erkannte sie nicht, dass er scherzte. »Mit einer Pistole.« Misstrauisch musterte sie ihn. »Sie haben doch eine?«

»Gewiss. Und wohin soll ich ...?«

»Hier hin. Ein gezielter Schuss ins Herz ... Natürlich müssen Sie ganz genau treffen. Eine Verzögerung würde mir missfallen.«

»Klar, so was käme nie infrage.« Seine Mundwinkel zuckten.

»Wie können Sie das komisch finden?«, zischte Jade. »Zufällig sprechen wir über meinen Tod!«

»Ich amüsiere mich ja gar nicht, ich versuche nur, richtig wütend zu werden. Darf ich Sie vorher vergewaltigen?«

Sie holte tief Atem, bevor sie antwortete. »Nein.«

»Schade«, meinte er und ignorierte ihre erboste Miene.

»Sir, sind Ihre Eltern vielleicht Vetter und Cousine ersten Grades? Sie führen sich auf wie ein Schwachsinniger. Und wenn Sie an keiner geistigen Störung leiden, scheinen Sie der kaltblütigste Mann zu sein, der mir je untergekommen ist. Sie benehmen sich einfach schändlich!«

Ihre Augen blitzten in so einem intensiven Grün, wie Caine es noch nie gesehen hatte. Es funkelte, als hätten tausend Smaragde zu Jades Gunsten auf ihre Farbenpracht verzichtet.

»Ich bezweifle, dass Sie in ernsthafter Gefahr schweben«, bemerkte er. »Die Feinde, die Ihnen nach dem Leben trachten, könnten ja auch Ihrer übererregbaren Fantasie entsprungen sein.«

»Oh, ich verachte Sie, Caine«, flüsterte sie. »Und was Ihre alberne Vermutung betrifft ...«

»Heben wir uns diese Diskussion für später auf, jetzt bin ich nicht in der richtigen Stimmung dafür. Ich will kein Wort mehr über Ihren angeblich unentrinnbaren Tod hören. Und wenn Sie mich noch lange mit Ihren großen Augen anstarren, werde ich Sie küssen, um Sie von Ihren dummen Sorgen abzulenken.«

»Mich küssen?« Sie blinzelte erstaunt. »Wieso, um alles in der Welt, sollten Sie den Wunsch verspüren, mich zu küssen?«

»Ich habe nicht die leiseste Ahnung«, gestand er.

»Sie würden jemanden küssen, den Sie nicht ausstehen können?«

»Ich denke schon«, erwiderte er grinsend.

»Sie arroganter, anmaßender ...«

Seelenruhig unterbrach er Jade und wandte sich wieder an den Wirt, ohne sie aus den Augen zu lassen. »Nun, habe ich Ihr Wort, Monk?«

»Klar, ich erzähle niemandem, was heute Nacht geschehen ist, Caine. Aber wie wir beide wissen, wird Ihr Freund Lyon, ehe die Sonne sinkt, irgendwas wittern und die Wahrheit aus mir rausquetschen. Deshalb will ich Sie lieber schon mal warnen.«

Caine nickte. Der Marquis von Lyonwood war tatsächlich ein guter Freund, dem er rückhaltlos vertraute. Bei verschiedenen Regierungsaufträgen hatten sie zusammengearbeitet. »Ja, er wird was merken. Aber seine junge Ehefrau und sein Sohn müssten ihn erst mal zur Genüge beschäftigen. Außerdem – wenn er hört, in welche Situation ich geraten bin, wird er schweigen. Falls er Fragen stellt, können Sie offen mit ihm sprechen. Aber ansonsten mit niemandem – nicht einmal mit Rhone«, mahnte er und nannte den Namen von Lyons engstem Freund.

»Trotz all seiner Verdienste – Rhone redet zu viel.«

»Gut, er soll nichts erfahren. Aber ich flehe Sie an, Caine – halten Sie mich über die Sache mit der kleinen Lady auf dem Laufenden.«

»Monk?« Jade zog die Aufmerksamkeit der beiden Männer wieder auf sich. »Sie besitzen nicht zufällig eine Pistole?«

Ihre Stimme klang viel zu eifrig, sodass Caine sofort wusste, was sie plante. Die Gedanken eines Engels waren so leicht zu lesen wie ein lateinischer Text. »Er hat keine, und er wird’s auch nicht tun«, verkündete er.

»Was werde ich nicht tun?«, fragte Monk.

»Sie werden Jade nicht erschießen – oder?«

»Natürlich nicht«, beteuerte der Wirt hastig und riss seinen Blick mühsam von der schönen Frau los.

»Werden Sie von Ihrer Kutsche abgeholt, Jade?«, fragte Caine.

»Nein«, erwiderte sie ungeduldig. »Ich habe eine Droschke gemietet. Wie Sie sich denken können, lag es nicht in meiner Absicht, heute Nacht nach Hause zurückzukehren.«

»Dann nehmen wir meinen Wagen.« Er packte ihren Arm und führte sie vor das Haus, gefolgt von Monk. Draußen befreite sie sich aus Caines Griff und hob einen großen grauen Ranzen vom Gehsteig auf. »Da ist alles drin, was ich besitze«, erklärte sie. »Ich komme direkt vom Land.«

»Sie lassen Ihre Sachen auf der Straße liegen – damit jeder sie stehlen kann?«

»Ich wollte bestohlen werden.« Jade sprach in dem Ton einer Lehrerin, die einem begriffsstutzigen Schüler Binsenweisheiten einzutrichtern versucht. »Sicher wären meine Kleider irgendeiner armen Seele willkommen gewesen. Ich hätte sie ja nicht mehr gebraucht, wenn Sie ...«

»Genug!«, fuhr er sie an. »Sie werden nie mehr von dieser idiotischen Idee reden, sich umbringen zu lassen – verstanden?« Als sie nicht schnell genug antwortete, packte er sie an den Haaren. Sie stieß einen schrillen Schrei aus, und Caine entdeckte eine große Beule über ihrem Ohr. »Großer Gott, Jade, wo haben Sie die her?«

»Rühren Sie’s nicht an!«, rief sie, als er die Beule betasten wollte. »Es tut immer noch weh.«

»Kein Wunder.« Caines Hand sank hinab. »Was ist geschehen?«

»Ich bin im Haus meines Bruders an einer Teppichkante hängen geblieben und die Treppe hinuntergefallen. Und dabei habe ich mir den Kopf an einem Pfosten gestoßen. Das hat mir beinahe den Wind aus den Segeln genommen.«

Den Wind aus den Segeln? Caine fand diese Ausdrucksweise ziemlich seltsam, nahm sich aber nicht die Zeit, darüber nachzudenken. »Sie hätten sterben können. Sind Sie immer so ungeschickt?«

»Ich bin niemals ungeschickt«, entgegnete sie. »Normalerweise benehme ich mich sehr damenhaft. O Gott, sind Sie rüde ...«

»Und was ist passiert, nachdem Sie gestürzt sind?«, wollte Monk wissen.

Jade zuckte die Achseln. »Ich bin spazieren gegangen, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Und da sind sie natürlich hinter mir hergekommen.«

»Natürlich?«, fragte Monk, und Caine murmelte gleichzeitig: »Wer – sie?«

Jade runzelte die Stirn. »Die Männer, die ich beobachtet habe, als sie den elegant gekleideten Gentleman umbrachten. Um Himmels willen, passen Sie doch auf! Das habe ich sicher schon einmal erwähnt.«

»Bestimmt nicht.« Monk schüttelte den Kopf. »Daran würde ich mich erinnern.«

»Sie wurden Zeugin eines Mordes?«, erkundigte sich Caine. »Nein, Jade, davon haben Sie nichts erzählt.«

»Ich wollte es aber.« Ärgerlich verschränkte sie die Arme vor der Brust. »Alles hätte ich erklärt, wenn Sie nicht mit mir gestritten und mich abgelenkt hätten. Es ist also Ihre Schuld, dass ich es vergessen habe.«

»Haben Sie den Mord gesehen, bevor Sie sich den Kopf anstießen, oder nachher?«, fragte Caine.

Monk wandte sich zu ihm. »Meinen Sie, es war ein adeliger Gentleman, der da umgebracht wurde?«

»Vorher ...«, erwiderte Jade. »Nein, nachher. Zumindest glaube ich, dass ich erst nachher hinuntergefallen bin ... Oh, ich entsinne mich nicht mehr. Es pocht so heftig in meinen Schläfen. Verschonen Sie mich endlich mit Ihren Fragen, Sir.«

»Nun beginne ich alles zu verstehen«, sagte Caine zu Monk, dann sah er wieder Jade an. »Trugen Sie zum Zeitpunkt des Missgeschicks diesen Umhang?«

»Ja«, bestätigte sie verwirrt, »aber was ...?«

»Bei dem Sturz zerriss er, und Sie verletzten Ihr Gesicht, nicht wahr?«

Seine Stimme klang etwas zu herablassend für Jades Geschmack. »Würden Sie mir verraten, was Sie angeblich zu verstehen beginnen?«

»Ganz einfach, Sie haben ein Trauma erlitten, Jade. Deshalb können Sie nicht mehr logisch denken – wenn ich auch betonen muss, dass das die wenigsten Frauen können, nicht einmal im Normalzustand. Wenn Sie sich ein paar Tage lang Ruhe gönnen, werden Sie erkennen, dass Ihre Fantasie Ihnen einen Streich gespielt hat, und Sie werden sich nur noch den Kopf darüber zerbrechen, welch ein Kleid Sie auf Ihrem nächsten Ball tragen sollen.«

»Meine Fantasie spielt mir keinen Streich!«

»Sie sind doch ganz verwirrt, Jade.«

»Bin ich nicht!«

»Hören Sie auf zu schreien!«, befahl Caine. »Wenn Sie mal überlegen ...« Seufzend unterbrach er sich. »Aber jetzt sind Sie zu konfus, um nachzudenken. Wir warten, bis Sie sich besser fühlen.«

»Er hat recht, Miss«, murmelte Monk. »Hätten Sie den Mord an einem adeligen Gentleman beobachtet, wäre die Neuigkeit sofort in diesen Stadtteil gedrungen. Die Täter hätten mit ihrer Schlauheit geprahlt. Hören Sie jetzt auf Caine. Er weiß, was am besten ist.«

»Aber wenn er glaubt, ich würde mir nur einbilden, ich wäre in Gefahr, braucht er mich nicht zu beschützen.«

»Oh, doch!«, widersprach Caine. »Wenigstens weiß ich jetzt, wovor ich Sie schützen muss.« Ehe Jade weitere Einwände erheben konnte, fuhr er fort: »Ob’s Ihnen gefällt oder nicht – Sie stellen eine Gefahr dar, bis Sie sich wieder erholt haben. Es wäre unvereinbar mit meinem Gewissen, wenn ich Sie jetzt Ihrem Schicksal überließe.« Er lächelte sanft. »Ich schütze Sie sozusagen vor sich selbst. Geben Sie mir Ihren Ranzen.«

Sie versuchte ihr Gepäck an sich zu nehmen, ehe Caine danach greifen konnte, und es kam zu einer Art Tauziehen, das er gewann. »Um Gottes willen, was steckt denn da drin?«, rief er. »Dieses Ding muss mehr wiegen als Sie.«

»Es enthält mein gesamtes Eigentum. Wenn’s Ihnen zu schwer ist, trage ich’s selbst.«

Caine schüttelte den Kopf und umfasste ihre Hand. »Kommen Sie. Meine Kutsche wartet zwei Häuserblocks weiter vorn. Sie müssen endlich ins Bett. Gute Nacht, Monk.«

»Auf bald, Caine«, verabschiedete sich der Wirt.

Abrupt blieb sie stehen. »In wessen Bett?«

Er seufzte laut genug, um die Betrunkenen zu wecken, die am Straßenrand lagen. »In Ihrem eigenen Interesse. Für Ihre Tugend besteht keine Gefahr. Ich gehe nie mit Jungfrauen ins Bett, und mit Ihnen schon gar nicht.«

Caine glaubte, dieses Versprechen würde sie beschwichtigen. Natürlich war es eine halbe Lüge. Er wollte sie küssen – wenn auch nur, um für ein paar Minuten segensreiches Schweigen zu erwirken.

»Gehört das zu Ihren kleinen Regeln?«, fragte sie. »Niemals mit einer Jungfrau zu schlafen?«

Beleidigt starrte sie ihn an, und er wusste nicht, was er davon halten sollte. »Genau. Ebenso wenig gehe ich mit dummen Frauen ins Bett, die ich nicht sonderlich mag. Also sind Sie in meiner Obhut völlig sicher.« Zu allem Überfluss grinste er.

»Ich glaube, allmählich beginne ich Sie zu hassen«, murmelte sie. »Bei mir sind Sie auch sicher, Caine. Niemals würde ich Ihnen gestatten, mich anzufassen.«

»Gut.«

»Ja, sehr gut«, bestätigte sie, um das letzte Wort zu haben. »Und wenn Sie nicht aufhören, mich mit sich zu zerren, schreie ich Ihren Namen laut in die Welt hinaus, Pagan – bis die Polizei Sie schnappt!«

»Ich bin nicht Pagan.«

»Was?«

Sie stolperte, stürzte beinahe, und er hielt sie fest. »Ich sagte – ich bin nicht Pagan.«

»Wer zum Teufel sind Sie denn dann?«

Sie hatten die Kutsche erreicht. Aber Jade weigerte sich einzusteigen, ehe er nicht die Frage beantwortet hatte, und schlug seine hilfreichen Hände beiseite. Schließlich gab er nach, warf ihren Ranzen dem Fahrer zu und verkündete: »Ich heiße wirklich Caine, und ich bin der Marquis von Cainewood. Würden Sie sich jetzt in den Wagen begeben? Dies ist weder die richtige Zeit noch der passende Ort für eine längere Diskussion. Unterwegs werde ich Ihnen alles erklären.«

»Versprechen Sie’s?«

»Ja!«, fauchte er.

Offenbar glaubte sie ihm nicht. Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Schande über Sie, Caine! Wie konnten Sie so tun, als wären Sie dieser edle Pirat!«

»Der Bastard mag alles Mögliche sein, Jade, aber er ist ganz gewiss nicht edel.«

»Wieso sagen Sie das? Wahrscheinlich kennen Sie ihn gar nicht. Ist Ihr eigenes Leben so unglücklich, dass Sie vorgeben müssen ...?«

Er unterbrach sie, indem er unsanft ihren Arm umklammerte. Mit der anderen Hand riss er die Blume von seinem Revers und schleuderte sie zu Boden. Dann hob er Jade hoch und stieß sie in die Kutsche.

Sobald sich das Fahrzeug in Bewegung setzte, wurde es im Innern dunkel, und Jade konnte Caines gerunzelte Stirn nicht mehr sehen, was sie als höchst angenehm empfand. Und er sah ihr Lächeln ebenso wenig.

Eine Zeit lang schwiegen sie, und Jade nutzte diese Atempause, um sich zu fassen, während Caine seine Nerven beruhigte. Schließlich fragte sie: »Warum spielen Sie den Piraten?«

»Um ihn aus seinem Versteck zu locken und dann zur Strecke zu bringen.«

»Wieso?«

»Das erzähle ich Ihnen später.« Er glaubte, sein schroffer Tonfall würde sie von weiteren Fragen abhalten. Aber er irrte sich.

»Sie sind mir böse, weil ich Sie bei dieser Jagd gestört habe, nicht wahr?«

Caine seufzte ungeduldig. »Sie haben mich nicht gestört. Bis jetzt war ich erfolglos. Aber wenn Ihr Problem gelöst ist, will ich meine Jagd fortsetzen. Keine Sorge, Jade. Letzten Endes werde ich mein Ziel erreichen.«

Sie machte sich keine Sorgen, aber das konnte sie ihm natürlich nicht sagen. Caine hatte gar nicht versagt. Er war in die Taverne gegangen, um Pagan aus der Reserve zu locken. Und genau das hatte er getan.

Erfreut über ihre Leistung, lehnte sie sich zurück. Auch ihr Bruder würde sich hochzufrieden zeigen.

3

Die Tränen waren eine hübsche Zugabe gewesen. Der spontane Gefühlsausbruch hatte Jade selbst genauso überrascht wie Caine. Eigentlich hatte sie nicht geplant, typisch weibliche Schwäche zu mimen, um ihn aus der Kneipe zu lotsen. Aber als sie sah, wie sehr es ihn bestürzte, eine Frau in diesem beklagenswerten Zustand zu sehen, weinte sie natürlich umso heftiger, woraufhin Caine völlig hilflos wirkte. Sie hatte gar nicht gewusst, dass sie so wundervolle schauspielerische Talente besaß. Es erforderte eine gewisse Konzentration, auf Befehl zu weinen, aber dieses Problem hatte sie bravourös gelöst. Wenn sie sich ernsthaft bemühte, konnte sie wahrscheinlich schneller in Tränen ausbrechen, als ein Gentleman seinen Hut fallen ließ.

Sie schämte sich kein bisschen für ihr Verhalten. Verzweifelte Situationen verlangten verzweifelte Maßnahmen. Das pflegte Black Harry wenigstens zu behaupten. Wie hätte ihr Adoptivonkel angesichts jener Szene gelacht ... In all den gemeinsamen Jahren hatte er sie niemals weinen sehen, nicht einmal, als die Peitsche seines Feindes McKindry auf ihren Rücken geklatscht war. Es hatte wie Feuer gebrannt, aber kein einziger Schmerzenslaut war über Jades Lippen gekommen. McKindry konnte nur ein einziges Mal zuschlagen, ehe Harry ihn über die Reling warf. Ihr Onkel war so wütend, dass er sogar selber über Bord sprang, um den Schurken zu erledigen. Aber McKindry konnte besser schwimmen. Kraftvoll hatte er die Wellen durchpflügt, um die französische Küste anzusteuern.

Natürlich würde Black Harry einen weiteren Wutanfall bekommen, wenn er ahnen würde, was Jade jetzt beabsichtigte. Die Haut würde er ihr abziehen. Aber es war ihr unmöglich gewesen, ihm den Plan zu erklären. Ihr hatte einfach die Zeit gefehlt, um zur Insel zu segeln und ihn einzuweihen. Und es kam auf jede Minute an. Caines Leben stand auf dem Spiel.

Jade wusste alles über den Marquis von Cainewood. Ein widersprüchlicher Mensch – derb und urwüchsig, aber auch ein Ehrenmann. Vom ersten bis zum letzten Wort hatte sie den Bericht über ihn gelesen und sich jede Einzelheit gemerkt. Sie besaß die geradezu unheimliche Gabe, alles automatisch auswendig zu lernen, was sie las. Eine äußerst nützliche Fähigkeit ...

Es war schwierig gewesen, den eindrucksvollen Bericht aus dem Kriegsministerium zu holen, aber nicht unmöglich. Selbstverständlich hatten sich die Informationen unter Verschluss befunden. Dass sie jedes Schloss öffnen konnte, erfüllte Jade mit ganz besonderem Stolz. Beim dritten Versuch hatte sie die Akte Caine in ihren Besitz gebracht.

Leider wurde nirgends in diesem Bericht erwähnt, welch ein hübscher Teufel Caine war. Der Ausdruck »skrupellos« kam bei der Schilderung seiner Aktivitäten häufig vor, aber die Wörter »gewinnend« oder »faszinierend« fehlten. Die Akte enthielt auch keinen Hinweis auf seine imposante Körpergröße.

Jade erinnerte sich an ihr Unbehagen, als sie festgestellt hatte, wie seine Vorgesetzten ihn nannten – »Jäger«. Aber bei ihrer weiteren Lektüre verstand sie, wieso man ihn so getauft hatte. Caine gab niemals auf. Einmal hatte er sich trotz äußerst schlechter Chancen mit der Geduld und Ausdauer eines Kriegers aus grauer Vorzeit an seine Gegner herangepirscht und letzten Endes den Sieg davongetragen.

An dem Tag, an dem er über den Tod seines Bruders Colin informiert worden war, hatte er den Dienst quittiert. Der letzten Eintragung seines Beraters zufolge, eines gewissen Sirs Michael Richards, billigte Caines Vater diese Entscheidung vorbehaltlos. Der Herzog von Williamshire hatte soeben einen Sohn ans Vaterland verloren und wollte nicht auch noch den zweiten betrauern. Richards vermerkte auch, Caine habe bis zu jenem Tag nicht geahnt, dass auch sein jüngerer Bruder für die Regierung tätig gewesen war.

Colin und Caine stammten aus einer großen Familie. Außer den beiden Söhnen gab es noch vier Töchter. Die Kinder taten ihr Bestes, um füreinander und die Eltern zu sorgen. Wie in der Akte mehrmals betont wurde, war vor allem Caine der geborene Beschützer. Ob er diese Eigenschaft als Tugend oder Makel betrachtete, interessierte Jade nicht. Sie wollte einfach nur ihren Vorteil daraus ziehen.

Natürlich hatte sie beabsichtigt, Caine zu mögen. Immerhin war er der Bruder Colins, den sie sehr schätzte, seit sie ihn aus dem Meer gefischt und er sie gebeten hatte, zuerst ihren Bruder zu retten. Ja, sie war darauf vorbereitet gewesen, Caine zu mögen – aber nicht auf die körperliche Anziehungskraft, die er auf sie ausübte. So etwas hatte sie nie zuvor erlebt, und es beunruhigte sie, denn er würde sie vermutlich überwältigen, wenn sie ihm eine Gelegenheit dazu geben würde.

Um sich dagegen zu wappnen, legte sie ein Verhalten an den Tag, das ihn ihrer Meinung nach abschrecken musste. Wenn sie nicht wie ein Kind heulte, jammerte sie. Die meisten Männer hassten undisziplinierte Frauen, nicht wahr? Jedenfalls hoffte sie das. Die Umstände zwangen sie dazu, die nächsten zwei Wochen bei Caine zu verbringen. Dann würde es vorbei sein. Sie würde in ihr gewohntes Leben zurückkehren – und er würde wieder wie gewohnt den Damen nachstellen.

Es war sehr wichtig, ihn glauben zu machen, dass er sie beschützte. Nur so vermochte sie für seine Sicherheit zu sorgen. Seine Überzeugung von der Unterlegenheit aller Frauen, vermutlich aus der Existenz vier kleiner Schwestern gewonnen, erleichterte Jades Plan. Außerdem baute sie auf ihre Männer, die sie bei Caines Landsitz erwarteten. Sie versteckten sich im Wald ringsum und würden Caine ohne sein Wissen Rückendeckung geben.

Die Briefe standen im Mittelpunkt des Manövers, und jetzt wünschte Jade inständig, sie hätte sie nie gefunden. Aber was geschehen war, ließ sich nicht ändern. Und es erschien ihr sinnlos, Reue zu empfinden. Damit würde sie nur Gedanken und Gefühle verschwenden. Und es lag ihr fern, irgendetwas zu vergeuden. Sie musste ihren Weg gehen. Als sie ihrem Bruder Nathan die Briefe des Vaters gezeigt hatte, war der Stein ins Rollen gekommen. Sie hatte sich diese Suppe eingebrockt und würde sie auch auslöffeln.

Jetzt verdrängte Jade ihre Sorgen. Unwillkürlich hatte sie Caine Zeit zum Nachdenken gegeben. Und das Schweigen konnte ihr Feind werden. Sie musste Caine daran hindern, irgendwelche Schlüsse zu ziehen, und musste ihn beschäftigen. »Was ...?«, begann sie.

»Still, meine Süße«, befahl er. »Hören Sie das?«

»Dieses seltsame Quietschen? Ich wollte es gerade erwähnen.«

»Es ist eher ein hartnäckiges Knirschen ... Miller!«, rief er durch das Fenster. »Halten Sie an!«

Ruckartig blieb der Wagen stehen, als das linke Hinterrad zerbrach. Jade wäre zu Boden gefallen, hätte Caine sie nicht umarmt. Einige Sekunden lang drückte er sie an sich, dann flüsterte er: »Ein schlecht gewählter Zeitpunkt, nicht wahr?

»Oder ein erfolgloser Trick.«

Diese Bemerkung würdigte er keiner Antwort. »Warten Sie im Wagen, ich werde sehen, was ich tun kann.«

»Seien Sie vorsichtig!«, warnte sie. »Vielleicht lauert Ihnen irgendwer auf.«

Seufzend öffnete er die Tür. »Gut, ich werde aufpassen.«

Sobald er die Tür hinter sich geschlossen hatte, stieß Jade sie wieder auf und kletterte hinaus. Der Kutscher stand neben seinem Arbeitgeber. »Ich begreife das nicht, Mylord. Vor jeder Fahrt überprüfe ich die Räder.«

»Es ist nicht Ihre Schuld, Miller«, entgegnete Caine. »Der Wagen steht weit genug am Straßenrand, sodass wir ihn über Nacht hierlassen können. Schirren Sie das Pferd los. Ich ...« Er unterbrach sich, als er Jade und den Dolch in ihrer Hand entdeckte. Beinahe hätte er gelacht. »Stecken Sie das Ding wieder weg, Mädchen. Sie werden sich womöglich verletzen.«

Sie schob die Waffe in ihre Kleidertasche. »Caine, wir geben prächtige Zielscheiben ab.«

»Dann setzen Sie sich wieder in die Kutsche«, schlug er vor.

Sie tat so, als hätte sie nichts gehört. »Miller, hat sich jemand an diesem Rad zu schaffen gemacht?«

Der Fahrer hockte sich neben die Achse. »Das nehme ich an. Schauen Sie, Mylord – die Einschnitte am Radkreuz ...«

Jade wandte sich zu Caine. »Was tun wir jetzt?

»Wir reiten auf dem Pferd.«

»Und der arme Miller? Wenn wir ihn hier allein lassen, werden diese Schurken über ihn herfallen.«

»Das ist schon in Ordnung, Miss«, warf der Kutscher ein. »Meine Brandyflasche wird mich warm halten. Ich setze mich in den Wagen und warte, bis Broley mich holt.«

»Wer ist Broley?«

»Einer von den Tigern.«

Jade wusste nicht, wovon Miller redete. »Sie sind mit einem Tiger befreundet?«

Caine grinste. »Broley arbeitete für mich. Das erkläre ich Ihnen später.«

»Wir sollten eine Droschke mieten«, meinte sie. »Dann könnten wir alle zusammen fahren und müssten uns nicht um Miller sorgen.«

»Um diese Zeit finden wir bestimmt keine Droschke.«

»Und was ist mit Monks gemütlicher Taverne? Warum warten wir nicht dort, bis es hell wird?«

»Nein. Monk hat die Kneipe sicher schon zugesperrt und ist heimgegangen.«

»Außerdem sind wir schon ziemlich weit weg vom ›Taugenichts‹, Mylady«, warf Miller ein.

Während er das Pferd losmachte, griff Jade nach Caines Hand und trat näher zu ihm. »Ich glaube, ich weiß, was mit dem Rad geschehen ist. Es müssen dieselben Männer gewesen sein, die ...«

»Still, alles wird wieder gut.«

»Wie können Sie das wissen?«

Ihre Stimme klang verängstigt, und er versuchte sie zu beruhigen. »Das verraten mir meine Instinkte«, prahlte er. »Meine Süße, Ihre Fantasie geht wieder mal mit Ihnen durch ...«

»Zu spät«, konterte Jade. »O Gott! Meine Fantasie!«

Der Pistolenschuss krachte im selben Moment, in dem sie sich gegen Caine warf und ihn aus dem Gleichgewicht brachte. Er hörte die Kugel pfeifen, die dicht an seinem Ohr vorbeistrich. Jade hatte ihm das Leben gerettet – wenn er auch bezweifelte, dass dies mit Absicht geschehen war.

Er umklammerte ihre Hand noch fester und sprang hinter sie, während er Miller mit einem durchdringenden Schrei warnte. Dann begann er zu laufen und schob Jade vor sich her, um sie mit seinem breiten Rücken abzuschirmen.

Mehrere Schüsse knallten, und Jade vernahm die donnernden Schritte der Verfolger. Es klang so, als versuchte eine Herde wilder Pferde die Flüchtlinge niederzutrampeln. Sie verlor die Orientierung, aber Caine schien sich in dieser Gegend gut auszukennen. Er zerrte sie durch ein Gassengewirr, bis sie Seitenstechen bekam und kaum noch atmen konnte. Als sie taumelnd gegen ihn sank, hob er sie auf die Arme, ohne sein Tempo zu drosseln.

Noch lange, nachdem die Geräusche der Feinde verhallt waren, stürmte er weiter. Auf einer alten Themsebrücke blieb er endlich stehen. Er lehnte sich an das wackelige Geländer und drückte Jade an sich. »Das war knapp. Verdammt, meine Instinkte haben mich im Stich gelassen. Ich war völlig ahnungslos.«

Bei dieser Bemerkung keuchte er kein bisschen, und sie staunte über sein Durchhaltevermögen. Ihr eigenes Herz pochte immer noch heftig von der Anstrengung. »Laufen Sie oft durch solche Gassen, Caine?«

Diese Frage kam ihm ziemlich seltsam vor. »Nein – warum?«

»Sie müssen gar nicht nach Atem ringen. Und wir sind kein einziges Mal in eine Sackgasse geraten. Sie kennen diese Stadt sehr gut, nicht wahr?«

»Ich denke schon«, antwortete er mit einem Schulterzucken, das Jade beinahe über das Geländer warf. Erschrocken umklammerte sie seinen Hals und merkte erst in diesem Augenblick, dass er sie immer noch auf den Armen trug.

»Sie können mich jetzt runterlassen. Wir haben die Verfolger abgeschüttelt.«

»Da bin ich mir nicht so sicher.«

»Ich habe Ihnen doch schon erklärt, dass ich mich nicht gern anfassen lasse. Stellen Sie mich auf die Füße.« Prüfend starrte sie in sein Gesicht. »Sie geben mir doch nicht die Schuld an Ihren mangelhaften Instinkten?«

»Nein. Was für verrückte Fragen Ihnen einfallen, Jade!«

»Nun, ich bin nicht in der Stimmung, mit Ihnen zu streiten. Entschuldigen Sie sich, und ich werde Ihnen verzeihen.«

»Ich soll mich entschuldigen?« Ungläubig hob er die Brauen. »Wofür?«

»Sie sagten doch, ich wäre völlig verwirrt und hätte eine zu lebhafte Fantasie. Und Sie haben mir noch andere Beleidigungen zugemutet.«

Caine entschuldigte sich nicht, aber er lächelte. Sie bemerkte ein Grübchen in seiner linken Wange, und ihre Herzschläge beschleunigten sich schon wieder.