Die Braut des Normannen - Julie Garwood - E-Book

Die Braut des Normannen E-Book

Julie Garwood

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Beschreibung

Historischer Liebesroman aus der Epoche Wilhelms des Eroberers

England, 11. Jahrhundert. Beim Einfall der Normannen wird die schöne und stolze Angelsächsin Nichola gefangen genommen und gezwungen, einen von Wilhelms Kriegern zu heiraten: den grimmigen Normannen Royce. Doch zurück auf ihrer Burg, denkt Nichola nicht im Traum daran, sich seinen Befehlen zu beugen - sehr zu seinem Missfallen. Obwohl seine widerwillige Braut ihn in hitzigen Wortgefechten zur Weißglut treibt, ist Royce gleichzeitig erstaunt über die Empfindungen, die sie in ihm hervorruft, wenn er sie berührt. Doch noch während beide um ihre Gefühle ringen, bedrohen Intrigen und Verrat ihr aufkommendes Liebesglück.

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Seitenzahl: 541

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Cover

Titel der Autorin bei beHEARTBEAT

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

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Titel der Autorin bei beHEARTBEAT

Schottische Hochzeit – Die Braut-Reihe

Die stolze Braut des Highlanders

Die Hochzeit des Highlanders

Die königlichen Spione – Regency Romance

Der Schwur des Marquis

Das Geheimnis des Gentleman

Das Versprechen des Duke

Romane (Einzeltitel)

Geliebter Barbar

Die Braut des Normannen

Melodie der Leidenschaft

Weitere Titel in Planung.

Über dieses Buch

Historischer Liebesroman aus der Epoche Wilhelms des Eroberers

England, 11. Jahrhundert. Beim Einfall der Normannen wird die schöne und stolze Angelsächsin Nichola gefangen genommen und gezwungen, einen von Wilhelms Kriegern zu heiraten: den grimmigen Normannen Royce. Doch zurück auf ihrer Burg, denkt Nichola nicht im Traum daran, sich seinen Befehlen zu beugen – sehr zu seinem Missfallen. Obwohl seine widerwillige Braut ihn in hitzigen Wortgefechten zur Weißglut treibt, ist Royce gleichzeitig erstaunt über die Empfindungen, die sie in ihm hervorruft, wenn er sie berührt. Doch noch während beide um ihre Gefühle ringen, bedrohen Intrigen und Verrat ihr aufkommendes Liebesglück.

eBooks von beHEARTBEAT – Herzklopfen garantiert.

Über die Autorin

Julie Garwood (*1946 in Kansas City, Missouri) gilt als Grande Damen der historischen Liebesromane. Mit einer Gesamtauflage von über 40 Millionen Exemplaren weltweit und mehr als 15 New-York-Times-Bestsellern zählt sie zu den beliebtesten und erfolgreichsten Vertreterinnen ihres Genres.

Dabei kam sie erst nach einer Ausbildung als Krankenschwester zum Schreiben, als ihr jüngstes Kind eingeschult wurde. Seit Erscheinen ihres ersten Romans Mitte der Achtzigerjahre hat sie mehr als 30 Bücher veröffentlicht.

Garwoods Liebesgeschichten zeichnen sich durch sinnliche Leidenschaft aus, gepaart mit einem Augenzwinkern und historischer Detailtreue. Dabei ist sie im mittelalterlichen Schottland ebenso heimisch wie im England der Regentschaftszeit. Ihr Anspruch lautet: »Ich möchte meine Leserinnen zum Lachen und zum Weinen bringen und hoffe, dass sie sich verlieben.«

Die Autorin lebt in Leawood, Kansas. Sie ist verheiratet und hat drei Kinder.

Für weitere Informationen besuchen Sie Julie Garwoods Homepage unter: https://juliegarwood.com/.

Julie Garwood

Die Braut des Normannen

Aus dem amerikanischen Englisch von Ursula Walther

Digitale Erstausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 1991 by Julie Garwood

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »The Prize«

Published by Arrangement with Julie Garwood.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Für diese Ausgabe:

Copyright © 1993/2021 by Bastei Lübbe AG, Köln

Covergestaltung: Guter Punkt, München

unter Verwendung von Motiven © faestock /Adobestock; WangAnQi/Getty Images; NicolasMcComber/Getty Images;

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 978-3-7517-0336-9

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

1

England, 1066

Er wusste nicht, was ihn getroffen hatte.

Eben hatte er sich noch mit seinem Lederärmel den Schweiß von der Stirn gewischt, einen Augenblick später lag er schon flach auf dem Rücken.

Sie hatte ihn im wahrsten Sinne des Wortes umgehauen. Natürlich musste sie warten, bis er seinen Helm abnahm, dann schwang sie den schmalen Lederriemen hoch über ihren Kopf. Der kleine Stein, den sie in die behelfsmäßig geknüpfte Schlinge gelegt hatte, wirbelte immer schneller herum, bis er mit dem bloßen Auge nicht mehr zu erkennen war. Der Lederriemen zischte und schnaubte wie ein wildes Tier, als er durch die Luft sauste, aber ihr Opfer stand zu weit weg, um den Laut zu hören. Sie hatte sich in dem frostigen morgendlichen Schatten auf dem Wehrgang postiert, und ihr Gegner weit unter ihr vor der hölzernen Zugbrücke.

Der riesige Normanne war kaum zu verfehlen, und die Tatsache, dass er der Anführer der Barbaren war, die die Festung ihrer Familie stürmten, steigerte ihre Entschlossenheit nur noch. In ihrer Fantasie war der Hüne zum Goliath geworden.

Und sie war David.

Aber ganz anders als der fromme Held aus der uralten Geschichte hatte sie nicht vor, ihren Gegner zu töten, sonst hätte sie auf seine Schläfe gezielt. Nein, sie wollte ihn nur für eine Weile außer Gefecht setzen, und aus diesem Grund schleuderte sie den Stein auf seine Stirn. Mit Gottes Hilfe würde ihm für den Rest seiner Tage eine Narbe bleiben, eine Erinnerung an die Gräueltaten, die er an diesem finsteren Tag seines Sieges befohlen hatte.

Die Normannen würden diese Schlacht gewinnen, daran bestand kein Zweifel. Es konnte nur noch ein oder zwei Stunden dauern, bis sie die Burg erobert hatten.

Eine Niederlage war unausweichlich, das wusste sie. Ihre angelsächsischen Soldaten waren zahlenmäßig hoffnungslos unterlegen, und ein Rückzug war unvermeidbar. Es war bitter, aber ihnen blieb nichts anderes übrig.

Dieser normannische Riese war schon der vierte Angreifer, den der Bastard William, der Beherrscher der Normandie, in den letzten drei Wochen geschickt hatte, um ihre Festung einzunehmen.

Die ersten drei hatten gekämpft wie kleine Buben, und sie und ihre Brüder hatten die Eindringlinge ohne Schwierigkeiten in die Flucht geschlagen. Aber dieser Mann war anders. Er ließ sich nicht verjagen, und es stellte sich schnell heraus, dass er weit kampferfahrener und viel gerissener war als seine Vorgänger. Die Soldaten, die seinem Befehl unterstanden, waren genauso ungeschickt wie die anderen zuvor, aber dieser neue Anführer achtete streng auf Disziplin und darauf, dass seine Männer ihr Ziel nie aus den Augen verloren.

Am Ende dieses schrecklichen Tages würden die Normannen den Sieg davontragen.

Aber ihrem Befehlshaber sollte dieser Erfolg ein Schwindelgefühl verursachen, dafür würde sie schon sorgen.

Sie lächelte, als sie den Stein schleuderte.

Baron Royce war von seinem Streitross gestiegen, um einen seiner Soldaten aus dem Graben zu ziehen, der die Burg umgab. Der tollpatschige Kerl war ausgerutscht und kopfüber ins tiefe Wasser gefallen. Wegen der schweren Rüstung und der Waffen sank er wie ein Stein. Royce streckte eine Hand ins Wasser, bekam einen Stiefel zu fassen und zerrte den jungen Soldaten aus den schlammigen Tiefen. Mit einer raschen Bewegung warf er seinen Gefolgsmann auf das grasbewachsene Ufer. Der Bursche hustete und prustete, und das verriet Royce, dass er keine weitere Hilfe brauchte – der Junge atmete noch. Royce nahm seinen Helm ab und wischte sich gerade den Schweiß von der Stirn, als der Stein durch die Luft zischte und sein Ziel traf.

Royce wurde nach hinten geworfen und fiel nicht weit von seinem Hengst entfernt zu Boden. Er war nicht lange bewusstlos, aber als er die Augen öffnete, umgab ihn noch immer ein feiner Nebel. Ein paar seiner Soldaten waren ihm sofort zu Hilfe geeilt.

Er wies sie schroff zurück, setzte sich allein auf und schüttelte den Kopf, um den Schmerz und die verwirrende Benommenheit loszuwerden. Für ein paar Minuten konnte er sich nicht einmal daran erinnern, wo er sich überhaupt befand. Blut sickerte aus der Wunde über seinem rechten Auge. Er tastete die Stelle ab und merkte, dass er eine tiefe Fleischwunde davongetragen hatte.

Er hatte immer noch keine Ahnung, was ihn getroffen hatte. Das Ausmaß der Verletzung schloss aus, dass es ein Pfeil gewesen war – aber, verdammt, sein Schädel brannte wie Feuer.

Royce verdrängte den Schmerz und konzentrierte sich darauf, auf die Füße zu kommen. Die Wut verlieh ihm neue Kraft. Bei Gott, er würde den Bastard, der ihm das angetan hatte, ausfindig machen und es ihm mit gleicher Münze heimzahlen.

Dieser Gedanke hob seine Stimmung beträchtlich.

Sein Knappe hielt die Zügel des Streitrosses. Royce schwang sich in den Sattel und widmete seine Aufmerksamkeit dem Wehrgang auf der Burgmauer. Hatte sein Feind ihn von dort aus ins Visier genommen? Die Entfernung war zu groß, als dass er auch nur den Schatten einer Bedrohung hätte ausmachen können.

Er setzte seinen Helm auf und sah sich um. In den zehn oder fünfzehn Minuten, die seit seinem Sturz vergangen waren, schienen seine Soldaten alles vergessen zu haben, was er ihnen beigebracht hatte.

Ingelram, nach ihm der ranghöchste Mann der Truppe, hatte alle Männer auf der Südseite der Festung zusammengezogen und ließ sie in einer geschlossenen Truppe kämpfen. Feindliche Pfeile regneten auf sie von der Burgmauer herab und machten jeglichen Bodengewinn unmöglich.

Royce war entsetzt über diese Stümperei. Die Soldaten hielten sich die Schilde über die Köpfe, um die Pfeile abzuwehren, und wurden wieder einmal in die Defensive gedrängt wie schon am frühen Morgen, als er zu ihnen gestoßen war mit dem lästigen Auftrag, diesen unfähigen Burschen zum Sieg zu verhelfen.

Royce seufzte tief und übernahm das Kommando. Er änderte sofort die Taktik, damit sie den Boden, den sie gewonnen hatten, nicht wieder verloren. Mit zehn seiner zuverlässigsten Männer ritt er auf die kleine Anhöhe über der Festung. Noch bevor seine Soldaten Zeit hatten, auf die Feinde anzulegen, tötete Royce einen der angelsächsischen Soldaten, die auf der Burgmauer standen, mit seinem Pfeil. Dann gab er den Befehl, die Angelsachsen unter ständigem Beschuss zu halten. In kürzester Zeit schalteten sie die Verteidiger aus, und der Wehrgang war schließlich unbesetzt.

Fünf von Royces Männern kletterten auf die Mauer und durchschnitten die Seile der Zugbrücke, sodass sie sich senkte. Gott helfe ihm, aber er musste doch tatsächlich einen der eifrigen Eroberer daran erinnern, sein Schwert mitzunehmen, um die Burg erfolgreich stürmen zu können.

Royce ritt als Erster über die Holzplanken der Zugbrücke – mit gezogenem Schwert, obwohl offensichtlich dazu keinerlei Notwendigkeit bestand, da sowohl der untere als auch der obere Burghof menschenleer waren.

Die Eroberer durchsuchten die Hütten und Außengebäude, entdeckten aber nicht einen einzigen angelsächsischen Soldaten, und Royce wurde klar, dass die Feinde die Festung durch einen Geheimgang verlassen haben mussten. Er gab der Hälfte seiner Männer den Befehl, die Mauern nach versteckten Öffnungen abzusuchen, die er sofort wirksam verschließen wollte.

Die Normannen besetzten die Festung und hissten Williams Banner am Fahnenmast auf der Burgmauer. Jetzt gehörte diese Festung den Normannen.

Aber Royce hatte erst die Hälfte seiner Pflichten erfüllt, er musste noch die Kriegsbeute aufspüren und nach London bringen. Ja, es wurde Zeit, Lady Nichola gefangen zu nehmen.

Bei einem Streifzug durch die Wohnräume spürten Royces Männer nur eine Handvoll Bedienstete auf, die sogleich rüde auf den Hof gezerrt und umzingelt wurden.

Ingelram, der ebenso hochgewachsen war wie Royce, aber weder so kräftig noch von so vielen Schlachten gezeichnet war, hielt einen der angelsächsischen Diener am Schlafittchen fest. Der Bedienstete war ein älterer Mann mit schütterem grauen Haar und runzliger Haut.

Royce hatte nicht einmal Zeit abzusitzen, ehe Ingelram loslegte: »Das ist der Haushofmeister, Baron. Sein Name lautet Hacon, und er ist der Mann, der Gregory alles über die Familie erzählt hat.«

»Ich habe nie mit irgendeinem Normannen gesprochen«, protestierte Hacon. »Und ich kenne keinen Menschen, der Gregory heißt. Der Blitz soll mich treffen, wenn das nicht die Wahrheit ist«, fügte er trotzig hinzu.

Der »ergebene« Diener log, und er war sogar stolz, dass er unter diesen schrecklichen Umständen so mutig auftrat. Der alte Mann hatte noch keinen Blick auf den Anführer der Normannen geworfen, aber er behielt den eilfertigen blonden Ritter, der unaufhörlich an seiner Jacke zerrte, im Auge.

»Oh, du hast mit Gregory gesprochen«, erwiderte Ingelram entschieden. »Er war der erste Ritter, der diese Festung einnehmen und die Beute einfordern sollte. Du wirst es noch bereuen, wenn du uns anlügst, alter Mann.«

»Der Mann, den man mit einem Pfeil im Hinterteil von hier wegbrachte, hieß also Gregory?«, erkundigte sich Hacon.

Ingelram funkelte den Diener zornig an, weil er es gewagt hatte, Gregorys Schande zu erwähnen, dann zwang er ihn, sich umzudrehen. Hacon stockte der Atem, als er den normannischen Anführer ansah. Er musste den Kopf in den Nacken legen, um den Riesen, der Lederkleidung und ein Kettenhemd trug, ganz ins Auge fassen zu können. Hacon blinzelte, weil ihn die Sonnenstrahlen, die sich in den Waffen des Mannes spiegelten, blendeten. Weder der Krieger noch sein edles schwarzes Streitross rührten sich von der Stelle, und einen flüchtigen Augenblick hatte Hacon den Eindruck, er würde eine in Stein gehauene Statue betrachten. Hacon gelang es, die Fassung zu wahren, bis der Normanne seinen Helm abnahm.

Ihm wurde sterbenselend – dieser Barbar jagte ihm höllische Angst ein. Hacon hätte am liebsten laut geschrien und um Gnade gefleht. Der Blick des Normannen war eiskalt und wirkte so entschlossen, dass Hacon keinen Zweifel hegte, sein Leben verwirkt zu haben. Ja, er wird mich töten, dachte Hacon und betete ein Vaterunser. Aber das würde ein ehrenvoller Tod sein, denn schließlich war Hacon wild entschlossen, seiner geliebten Herrin bis zu seinem letzten Atemzug beizustehen. Gott würde sicherlich für ihn ein Plätzchen im Himmel haben, weil er eine unschuldige, wehrlose Person beschützt hatte.

Royce starrte den zitternden Diener lange an, dann warf er dem Knappen seinen Helm zu, schwang sich aus dem Sattel und drückte einem Soldaten die Zügel in die Hand. Der Hengst bäumte sich auf, aber ein strenger Befehl seines Herrn brachte ihn augenblicklich zur Vernunft.

Hacons Knie wurden weich wie Butter, und er sank zu Boden. Ingelram riss ihn wieder auf die Füße. »Eine der Zwillingsschwestern ist in der Burg, Baron«, verkündete Ingelram. »Sie betet in der Kapelle.«

Hacon holte tief Luft, ehe er sich zu Wort meldete. »Die Kirche wurde bei der letzten Belagerung bis auf die Grundmauern abgebrannt.« Seine Stimme klang nur noch wie ein ersticktes Krächzen. »Gleich, als Schwester Danielle aus dem Kloster zu uns kam, ordnete sie an, den Altar in einem der Turmzimmer aufzustellen.«

»Danielle ist die Nonne«, erklärte Ingelram. »Es ist alles so, wie man es uns berichtet hat. Sie sind Zwillinge – eine ist eine Heilige und entschlossen, dem Wohl der Menschheit zu dienen, die andere ist eine Sünderin, die nichts anderes im Sinn hat, als uns Schwierigkeiten zu machen.«

Royce hatte noch immer kein Wort von sich gegeben und ließ den Diener nicht aus den Augen. Hacon konnte diesem finsteren Blick nicht lange standhalten und starrte zu Boden. Seine Hände verkrampften sich, als er flüsterte: »Schwester Danielle hat nichts mit diesem Krieg zwischen den Angelsachsen und den Normannen zu tun, und sie wünscht sich nichts sehnlicher, als in ihr Kloster zurückzukehren.«

»Ich suche die andere.« Die Stimme des Barons war leise und schneidend. Hacon drehte sich der Magen um.

»Er möchte die andere Zwillingsschwester haben«, brüllte Ingelram. Er wollte noch mehr sagen, aber der strenge Blick des Barons brachte ihn zum Schweigen.

»Die andere Schwester heißt Nichola«, sagte Hacon und schnappte nach Luft, ehe er fortfuhr: »Sie ist weg, Baron.«

Royce zeigte keinerlei Reaktion auf diese Neuigkeit, aber Ingelram konnte seine Enttäuschung nicht verbergen. »Wie konnte sie die Festung verlassen?«, erkundigte er sich lautstark, während er den alten Mann auf die Knie zwang.

»Es gibt viele Geheimgänge in den dicken Burgmauern«, gestand Hacon und richtete sich wieder auf. »Habt Ihr nicht bemerkt, dass kein einziger angelsächsischer Soldat da war, als Ihr die Zugbrücke überquert habt? Lady Nichola ist vor knapp einer Stunde mit den Soldaten ihrer Brüder aus der Festung geflohen.«

Ingelram schrie auf vor Zorn und drückte den alten Mann erneut auf die Knie.

Royce trat einen Schritt vor und warf seinem Gefolgsmann einen bösen Blick zu. »Ihr beweist mir nicht Eure Stärke, wenn Ihr einen wehrlosen alten Mann misshandelt, Ingelram. Im Gegenteil – Ihr zeigt nur, dass Ihr unfähig seid, Euch in Zaum zu halten, wenn Ihr meine Befragung auf diese Weise stört.«

Der Ritter war schwer getroffen nach dieser Rüge und beugte den Kopf vor dem Baron. Dann half er dem Alten auf die Füße.

Royce wartete, bis der junge Soldat sich ein paar Schritte von dem Diener entfernt hatte, bevor er Hacon wieder eingehend musterte. »Wie lange dienst du schon in dieser Familie?«

»Beinah zwanzig Jahre«, antwortete Hacon und fügte mit einem gewissen Stolz hinzu: »Und ich bin immer sehr gut und gerecht behandelt worden, Baron. Sie gaben mir das Gefühl, genauso wichtig zu sein wie einer der ihren.«

»Und nach zwanzig Jahren guter und gerechter Behandlung verrätst du jetzt deine Herrin?« Er schüttelte missbilligend den Kopf. »Mit deiner Loyalität ist es offenbar nicht weit her, Hacon, und ich denke, dass man sich auf dein Wort kaum verlassen kann.«

Royce verschwendete keine Minute mehr an den Diener und schritt entschlossen auf die Burg zu. Er stieß seine eilfertigen Männer beiseite, um die Tür zu öffnen.

Man bedeutete Hacon, sich den anderen Bediensteten, die in einer Gruppe zusammenstanden, anzuschließen, und überließ es ihm, sich über sein künftiges Schicksal Gedanken zu machen, während Ingelram seinem Herrn und Meister nacheilte.

Royce suchte alles systematisch ab. Im Erdgeschoss herrschte ein heilloses Durcheinander – überall lagen Schutt und Steine herum. Der lange Tisch war umgestoßen, und die meisten Stühle waren demoliert.

Die Stiege, die in die oberen Räume führte, war zwar noch so weit intakt, dass man sie benutzen konnte, aber die Stufen waren schlüpfrig von dem Wasser, das von den Mauern tropfte. Es erschien Royce ziemlich gefährlich, da hinaufzuklettern, weil das Geländer teilweise zerbrochen war und sich stark zur Seite neigte. Wenn man hier den Halt verlor, konnte man einen Sturz nicht mehr abfangen.

Der Anblick des ersten Stockwerkes war ebenso erbärmlich wie der des Erdgeschosses. Der Wind fegte durch ein mannshohes Loch in der hinteren Mauer, und es war bitterkalt in dem langen, dunklen Korridor, auf den die Treppe mündete.

Sobald Royce die Stufen hinter sich gebracht hatte, stürmte Ingelram an ihm vorbei und zückte kampflustig sein Schwert. Offenbar wollte er seinen Herrn unter allen Umständen vor Überraschungsangriffen beschützen. Die Bodenbretter waren ebenso glatt wie die Stufen. Ingelram rutschte aus und verlor mit dem Gleichgewicht auch sein Schwert und schlitterte auf das klaffende Loch in der Außenmauer zu.

Royce packte ihn am Genick und riss ihn in die andere Richtung. Ingelram prallte dumpf gegen die Wand und schüttelte sich wie ein nasser Hund, um sein Zittern unter Kontrolle zu bekommen. Dann hob er sein Schwert auf und hetzte seinem Herrn erneut hinterher.

Royce runzelte die Stirn. Er war verärgert über seinen ungeschickten Gefolgsmann und die kümmerlichen Versuche, ihm Deckung zu bieten. Er selbst hielt es nicht für nötig, sein Schwert zu ziehen, als er durch den Flur ging. Die erste Tür, die gegen ungebetene Eindringlinge verriegelt war, brach er ohne große Mühe auf und betrat den Raum.

Es war ein Schlafzimmer, in dem sechs Kerzen brannten. Niemand außer einer Dienerin, die in einer Ecke kauerte, befand sich in dem Raum.

»Wer bewohnt dieses Zimmer?«, wollte Royce wissen.

»Lady Nichola«, lautete die geflüsterte Antwort.

Royce nahm sich Zeit, alles genauestens zu inspizieren. Er war ziemlich überrascht, dass die Einrichtung so karg und alles so ordentlich war, da er sich nicht vorstellen konnte, dass eine Frau in der Lage war, ohne eine Unmenge von Krimskrams auszukommen. Seine Erfahrungen mit Frauen beschränkten sich auf seine drei Schwestern, aber das erschien ihm genug, um solche Schlussfolgerungen zu ziehen. Trotzdem standen in Mistress Nicholas Zimmer keine unnötigen Dinge herum. Die burgunderroten Vorhänge, die das große Bett umgaben, waren zurückgezogen. An der gegenüberliegenden Wand befand sich der Kamin, und eine altmodische Truhe aus edlem rötlichen Holz stand in einer Ecke.

Kein einziges Kleidungsstück hing an den Haken. Royce, der keinerlei Aufschlüsse in diesem Raum erhielt, wandte sich zum Gehen. Aber die Tür wurde von seinem Gefolgsmann blockiert. Ein grimmiger Blick ließ ihn jedoch zur Seite weichen.

Die zweite Tür war ebenfalls von innen verriegelt, und noch während sich Royce bereitmachte, auch diese aufzubrechen, wurde sie von einer jungen Dienerin geöffnet. Ihr sommersprossiges Gesicht war von Angst gezeichnet. Sie versuchte, in einen Knicks zu versinken, hielt aber mitten in der Bewegung inne, als sie das Gesicht des Eindringlings sah. Sie stieß einen schrillen Schrei aus und floh quer durch den großen Raum in einen düsteren Winkel.

Das Zimmer war von Kerzenlicht erhellt. In der Nähe des Kamins stand ein mit einem weißen Tuch bedeckter Altar, vor dem ledergepolsterte Kniebänkchen aufgestellt waren.

Royces Blick fiel sofort auf die Nonne, die dort kniete. Sie hatte den Kopf im Gebet gesenkt und die Hände über dem Kreuz, das sie an einem dünnen Lederriemen um den Hals trug, gefaltet.

Sie war ganz in Weiß gekleidet – von der Haube, die ihr Haar bedeckte, bis zu den Schuhen. Royce blieb auf der Schwelle stehen und wartete, bis sie sein Erscheinen zur Kenntnis nahm. Da kein Abendmahlskelch auf dem Altar stand, beugte Royce nicht die Knie.

Die Dienerin berührte verängstigt die schmale Schulter der Nonne, bückte sich und flüsterte ihr ins Ohr: »Schwester Danielle, der normannische Anführer ist gekommen. Müssen wir uns jetzt ergeben?«

Die Frage wirkte in dieser Situation so lächerlich, dass Royce beinah das Gesicht verzog. Er gab Ingelram ein Zeichen, sein Schwert in die Scheide zu stecken, und ging in die Mitte des Raumes. Zwei Mägde drängten sich vor dem mit Fellen verhängten Fenster aneinander. Eine von ihnen hielt ein Baby in ihren Armen, das emsig an seinem kleinen Fäustchen lutschte.

Royce wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Nonne zu. Von seinem Standort aus konnte er nur ihr Profil sehen. Endlich schlug sie ein Kreuz zum Zeichen, dass ihr Gebet beendet war, und stand anmutig auf. Sobald das Baby sie sah, krähte es lautstark und streckte die Ärmchen nach ihr aus.

Die Nonne nahm das Kind in die Arme und hauchte einen Kuss auf seinen Kopf, ehe sie auf Royce zuging.

Noch immer konnte er ihr Gesicht nicht sehen, weil sie den Kopf gesenkt hielt, aber er war zutiefst beeindruckt von ihrer Sanftmut und dem leisen Flüstern, mit dem sie das Kind beruhigte. Ein weißblonder Flaum, der nach allen Richtungen abstand, bedeckte das kleine Köpfchen – dadurch sah das Kind aus wie ein kleiner Kobold. Das Baby kuschelte sich zufrieden an die Brust der Nonne, saugte schmatzend an seinen Fäusten und gähnte hin und wieder.

Danielle blieb vor Royce stehen. Sie war mehr als einen Kopf kleiner als er und erschien ihm sehr zart und zerbrechlich.

Als sie den Blick hob und ihm in die Augen sah, stockte ihm der Atem.

Sie war wunderschön – weiß Gott, sie hatte das Gesicht eines Engels. Ihre Haut war makellos, und die tiefblauen Augen raubten ihm beinah den Verstand. Royce war fast sicher, dass er vor einer Göttin stand, die nur auf die Erde gekommen war, um ihn zu peinigen. Ihre feinen hellbraunen Augenbrauen wölbten sich in perfekten Bögen über diese seelenvollen Augen, ihre Nase war gerade und hatte genau die richtige Länge, und ihr fein geschwungener Mund schimmerte rosig und verlockend.

Royces Körper reagierte sofort auf diese außergewöhnliche Frau, und er verabscheute sich selbst dafür. Er hörte, wie Ingelram scharf die Luft einsog, und das verriet ihm, dass sein Gefolgsmann von dieser zauberhaften Frau ebenso beeindruckt war wie er selbst. Royce bedachte ihn mit einem finsteren Blick, ehe er sich der Nonne erneut zuwandte.

Danielle hatte ihr Leben der Kirche geweiht und war eine Braut Jesu und keine gewöhnliche Kriegsbeute, die ein Soldat seinem Willen unterwerfen konnte. Wie sein oberster Dienstherr, William der Eroberer, respektierte Royce die Kirche und bot dem Klerus, wann immer es möglich war, Schutz.

Er seufzte. »Zu wem gehört dieses Kind?«, fragte er und bemühte sich gleichzeitig, seine unfrommen Wünsche, die diese Frau geweckt hatte, zu verdrängen.

»Es ist Clarises Baby«, erwiderte sie mit einer heiseren Stimme, die ihn noch mehr verwirrte. Danielle deutete auf die dunkelhaarige Dienerin, die sich in den Schatten zurückgezogen hatte. Sofort trat die junge Frau einen Schritt vor. »Clarise war uns jahrelang eine treu ergebene Dienerin. Ihr Sohn trägt den Namen Ulric.«

Sie betrachtete das Kind und sah, dass es an ihrem Kreuz knabberte. Sie nahm es ihm behutsam weg, bevor sie ihren Blick wieder auf Royce richtete.

Sie starrten sich lange schweigend an, während Danielle dem kleinen Ulric besänftigend über den Rücken strich.

Ihre Miene verriet keinerlei Furcht, und sie schenkte der langen sichelförmigen Narbe, die seine Wange zierte, kaum Beachtung. Das brachte Royce ein wenig aus dem Gleichgewicht – er war es gewöhnt, dass Frauen auf die unterschiedlichsten Arten reagierten, wenn sie sein Gesicht zum ersten Mal sahen. Aber die Entstellung schien die Nonne in keinster Weise zu stören, und das gefiel ihm außerordentlich.

»Ulrics Augen haben dieselbe Farbe wie die Euren«, bemerkte Royce.

Das entsprach nicht ganz der Wahrheit, das wusste er selbst. Die Augen des Kindes waren hellblau und hübsch, aber die von Danielle waren betörend und tiefblau wie Bergseen.

»Viele Angelsachsen haben blaue Augen«, entgegnete sie. »Ulric wird in ein paar Tagen sechs Monate alt. Wird er noch so lange am Leben bleiben, Normanne?«

Da sie diese Frage so leise und sanftmütig stellte, nahm Royce keinen Anstoß an ihrer Direktheit. »Wir Normannen töten keine unschuldigen Kinder«, erwiderte er ruhig.

Sie nickte und belohnte ihn mit einem Lächeln, das seinen Herzschlag beträchtlich beschleunigte. Die Grübchen in ihren Wangen waren bezaubernd, und, guter Gott, diese strahlenden Augen verhexten ihn. Sie waren gar nicht blau, sondern so violett wie die zarten Blümchen, die er einmal auf einer Wiese gesehen hatte.

Ich darf meine Gedanken wirklich nicht in diese Richtung schweifen lassen, rief er sich selbst zur Ordnung. Er benahm sich ja wie ein törichter Knappe, der bis über beide Ohren verliebt war – und er kam sich auch ebenso linkisch vor.

Royce war zu alt für solche Schwärmereien. »Wie kommt es, dass Ihr unsere Sprache so gut beherrscht?«, fragte er mit belegter Stimme.

Sie schien seine Verwirrung gar nicht zu bemerken. »Einer meiner Brüder ist vor sechs Jahren unserem König Harold ins Normannenreich gefolgt«, erklärte sie. »Als er zurückkam, bestand er darauf, dass wir alle eure Sprache lernen.«

Ingelram stellte sich dem Baron zur Seite. »Sieht Euch Eure Zwillingsschwester ähnlich?«, platzte er heraus.

Die Nonne betrachtete den jungen Ritter abschätzend und mit unbewegtem Blick. Royce bemerkte, dass Ingelram knallrot anlief und sich verlegen abwandte.

»Nichola und ich, wir gleichen uns äußerlich aufs Haar«, erwiderte sie schließlich. »Die meisten Leute können uns nicht auseinanderhalten, aber im Wesen sind wir sehr unterschiedlich. Während ich von Natur aus eher geduldig bin und mich in mein Schicksal füge, hat sich meine Schwester geschworen, lieber zu sterben, als sich den Invasoren Englands zu ergeben. Nichola glaubt, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis ihr Normannen aufgeben und abziehen müsst. Die Wahrheit ist, dass ich um die Sicherheit meiner Schwester fürchte.«

»Wisst Ihr, wohin sich Lady Nichola gewandt haben könnte?«, fragte Ingelram. »Der Baron muss erfahren, wo sie sich aufhält.«

»Ja«, sagte sie und heftete den Blick auf den Ritter. »Wenn mir der Baron sein Ehrenwort gibt, dass meiner Schwester kein Leid geschieht, nenne ich Euch ihren Zufluchtsort.«

Ingelram schnaubte. »Wir Normannen töten keine Frauen, wir zähmen sie nur.«

Royce hätte seinen Gefolgsmann am liebsten niedergeschlagen, als er diese arrogante Prahlerei hörte. Aber er registrierte, dass die Nonne die Bemerkung so gut wie gar nicht beachtete. Ihre Miene drückte vielleicht für einen flüchtigen Augenblick Widerwillen aus, aber der Zorn war rasch verflogen und wich einer heiteren Gelassenheit.

Plötzlich wurde Royce wachsam, und auch wenn es keinen Grund für Argwohn gab, ahnte er, dass etwas nicht stimmte.

»Eurer Schwester wird kein Haar gekrümmt«, erklärte Royce.

Sie wirkte erleichtert, und er mutmaßte, dass ihr Zorn nur der Angst um ihre Schwester entsprungen war.

»Ja«, mischte sich Ingelram enthusiastisch ein. »Nichola ist die Kriegsbeute des Königs.«

»Die Kriegsbeute des Königs?« Jetzt bereitete es ihr große Mühe, ihre Wut zu verbergen, und ihr Gesicht rötete sich, dennoch fuhr sie in ruhigem Tonfall fort: »Ich verstehe nicht, was Ihr damit meint. König Harold ist tot.«

»Euer Sachsenkönig ist tot«, stimmte Ingelram zu. »Aber William, der König der Normandie, ist in eben diesem Augenblick auf dem Weg nach London und wird bald zum König von England gekrönt. Wir haben den Befehl, Nichola so rasch wie möglich nach London zu bringen.«

»Aber weshalb?«

»Eure Schwester ist eine Art Belohnung. William gedenkt, sie einem edlen Ritter zuzuführen.« Ingelrams Stimme klang sehr stolz, als er hinzufügte: »Das ist eine Ehre.«

Danielle schüttelte den Kopf. »Ihr habt mir immer noch nicht erklärt, weshalb euer König meine Schwester als Kriegsbeute fordert«, flüsterte sie. »Wieso weiß William überhaupt etwas von ihr?«

Royce wollte auf keinen Fall, dass Ingelram die Nonne in alles einweihte – die Wahrheit würde dieses vornehme Geschöpf nur noch mehr aufregen –, und deshalb schob er seinen Gefolgsmann auf den Flur. »Ihr habt mein Wort, dass Eurer Schwester kein Leid geschieht«, beteuerte er. »Bitte nennt mir jetzt ihren Aufenthaltsort. Ihr wisst ja gar nicht, welche Gefahren außerhalb dieser Festung lauern. Es wird nicht lange dauern, bis sie gefangen genommen wird, und unglücklicherweise gibt es ein paar Normannen, die sicher nicht gerade sanft mit ihr umgehen würden.«

Er hatte die Wirklichkeit etwas beschönigt, um diese unschuldige Frau nicht allzu sehr zu erschrecken. Er sah keine Notwendigkeit, all die Abscheulichkeiten, die ihrer Schwester bevorstünden, wenn sie den rüpelhaften Normannen in die Hände fiele, bis ins Kleinste zu schildern. Irgendetwas trieb ihn dazu, die Nonne vor den Grausamkeiten des wahren Lebens zu bewahren und ihre Unschuld nicht durch die Erwähnung weltlicher Sünde zu besudeln, aber wenn sie sich weigerte, die Information preiszugeben, die er brauchte, musste er sie ein wenig härter anfassen.

»Gebt Ihr mir Euer Wort, dass Ihr selbst Euch um Nichola kümmern werdet? Ihr werdet doch diese Aufgabe niemand anderem überlassen, oder?«

»Ist es so wichtig für Euch, dass ich sie persönlich hole?«

Sie nickte.

»Dann gebe ich Euch mein Wort«, sagte er. »Obwohl mir nicht klar ist, weshalb es für Euch eine so große Rolle spielt, dass ich und kein anderer ...«

»Ich glaube, dass Ihr Euch meiner Schwester gegenüber ehrenhaft verhalten werdet«, unterbrach sie ihn. »Ihr habt mir schließlich versprochen, dass Nichola nichts geschehen wird.« Sie lächelte. »Ihr würdet keine so bedeutende Stelle einnehmen, wenn es Eure Gewohnheit wäre, Eure Versprechen zu brechen. Außerdem seid Ihr beträchtlich älter als Eure Gefolgsmänner, zumindest hat mir das einer der Bediensteten verraten. Ich denke, Ihr habt gelernt, geduldig zu sein und beherrscht zu handeln. Beides wird Euch von Nutzen sein, wenn Ihr Nichola unter Eure Obhut nehmen wollt, sie kann nämlich sehr schwierig werden, wenn sie aufgebracht ist. Und sie ist außergewöhnlich klug und einfallsreich.«

Noch ehe Royce etwas darauf erwidern konnte, drehte sich Danielle um und ging zu den beiden Frauen ans Fenster. Sie übergab Clarise das Baby und flüsterte der Dienerin einige Instruktionen zu.

Kurze Zeit später wandte sie sich wieder an Royce. »Ich werde Euch den Aufenthaltsort meiner Schwester nennen, sobald ich mich um Eure Verletzung gekümmert habe«, verkündete sie. »Ihr habt eine üble Wunde an der Stirn, Baron. Ich möchte sie reinigen und verbinden. Setzt Euch, es wird Euch nur ein oder zwei Minuten Zeit kosten.«

Royce war so überrascht über ihre Fürsorge und Freundlichkeit, dass er nicht wusste, wie er sich verhalten sollte. Er schüttelte den Kopf, besann sich dann aber anders und nahm Platz. Ingelram stand auf der Türschwelle und beobachtete die Szene. Die Dienerin stellte eine Schüssel mit Wasser auf die Truhe, und Danielle holte Tücher und Stoffstreifen.

Für den Baron war der Stuhl viel zu niedrig. Er streckte seine langen Beine aus, sodass Danielle gezwungen war, sich zwischen seine Schenkel zu stellen, um ihn verarzten zu können.

Er bemerkte, dass ihre Hand zitterte, als sie das Tuch ins Wasser tauchte. Während sie sich um Royce kümmerte, sprach sie kein einziges Wort, aber nachdem die Wunde ausreichend gesäubert und mit einem Heilbalsam bestrichen war, fragte sie, wobei er sich verletzt habe.

»Wahrscheinlich war es ein Stein«, antwortete er achselzuckend. »Es ist nichts Bedeutendes.«

Sie lächelte freundlich. »Ich vermute, dass es bedeutsam war, als es passierte. Ihr habt bestimmt bei dem Schlag das Bewusstsein verloren.«

Er achtete kaum auf das, was sie sagte. Verdammt, sie roch so gut. Er schien sich auf nichts anderes mehr konzentrieren zu können als auf die wundervolle Frau, die so dicht bei ihm stand. Der feine Rosenduft, den sie ausströmte, war betörend, und das Kreuz zwischen ihren Brüsten nahm seine Aufmerksamkeit gefangen. Er starrte das heilige Symbol an, bis er sich wieder in der Gewalt hatte, und in dem Moment, in dem sie zurücktrat, sprang er rasch auf die Füße.

»Meine Schwester ist auf dem Weg zu Baron Alfreds Festung«, eröffnete sie ihm. »Seine Burg liegt nördlich von hier, drei Stunden entfernt. Alfred hat gelobt, den Normannen Widerstand zu leisten, und Nichola plant, mit den Soldaten unserer Brüder zu ihm zu stoßen und ihm im Kampf beizustehen.«

Ein Schrei unterbrach die Unterhaltung. Einer von Royces Gefolgsmännern forderte ihn auf, mit ihm zu kommen. »Bleibt bei ihr«, befahl Royce Ingelram.

Der Befehlshaber war bereits auf dem Korridor, als er die Antwort seines Untergebenen vernahm. »Ich beschütze sie mit meinem Leben, Baron, Gott sei mein Zeuge. Niemand wird es wagen, sie anzurühren.«

Royce seufzte laut. Gott bewahre mich in Zukunft vor diesen eifrigen Rittern, dachte er. Wenn er nicht von Natur aus mit einer solchen Langmut gesegnet gewesen wäre, hätte er spätestens jetzt Ingelrams hohlen Schädel gegen die Wand geschleudert. In der vergangenen Stunde war er des Öfteren versucht gewesen, genau das zu tun.

Ein anderer jugendlicher Ritter erwartete Royce am Treppenabsatz. »Im Süden der Festung tobt eine Schlacht, Baron. Wir haben vom Wehrgang aus gesehen, dass die angelsächsischen Hunde unsere normannischen Soldaten umzingelt haben. Die Angegriffenen tragen das Banner von Baron Hugh. Sollen wir zu ihnen reiten, um ihnen Beistand zu leisten?«

Royce verließ den Turm und kletterte auf den Wehrgang, um sich selbst ein Bild von der Lage zu machen. Der Soldat, der ihm Meldung gemacht hatte, blieb ihm dicht auf den Fersen. Unglücklicherweise war er mindestens ebenso unerfahren und ebenso diensteifrig wie Ingelram – diese Kombination war äußerst gefährlich.

»Seht Ihr, wie die Angelsachsen unsere Männer bedrohen, Baron?«

Royce schüttelte den Kopf. »Ihr habt zwar die Szene beobachtet, aber nichts gesehen«, murmelte er. »Hughs Männer wenden die gleiche Strategie an wie damals in der Schlacht bei Hastings. Unsere Soldaten treiben die Sachsen in eine Falle.«

»Aber die Angelsachsen sind in der Überzahl, es sind mindestens dreimal so viele ...«

»Es ist vollkommen bedeutungslos, wie viele es sind«, versetzte Royce stöhnend, aber er erinnerte sich rechtzeitig daran, dass er im Grunde seines Herzens ein geduldiger Mensch war, und musterte den dunkelhaarigen jungen Mann an seiner Seite eingehend. »Wie lange seid Ihr schon bei meiner Truppe?«

»Seit knapp acht Wochen.«

Royces Verärgerung verflog augenblicklich. Dieser Junge hatte gar keine Zeit gehabt, ordentlich zu lernen, und war sicherlich nicht ausreichend auf den Einmarsch in England vorbereitet. »Dieser Umstand entschuldigt Eure Unwissenheit«, meinte Royce, bevor er zu der Treppe ging. »Wir werden Hughs Männer unterstützen, aber nur weil wir gern kämpfen, und nicht, weil sie Verstärkung brauchen. Normannische Krieger sind ihren Feinden bei jedem Kampf haushoch überlegen, und Hughs Männer verlassen das Schlachtfeld ganz sicher als Sieger, ob wir ihnen nun helfen oder nicht.«

Der junge Soldat nickte, dann bat er um die Erlaubnis, an der Seite des Barons ins Schlachtgetümmel reiten zu dürfen. Royce gewährte ihm die Bitte. Er ließ zwanzig Männer auf der Festung zurück und ritt mit dem Rest seiner Truppe in den Kampf. Da sich nur Frauen, Diener und Kinder in der Burg befanden, würde Ingelram nicht viel Schaden anrichten können, wenn er das Kommando übernahm, bis er selbst zurückkam.

Der Kampf tobte erbittert, aber nach Royces Ansicht war er viel zu rasch zu Ende. Da er ein zynischer Mann war, kam es ihm reichlich sonderbar vor, dass die Angelsachsen, sobald er und seine Männer ins Geschehen eingriffen, wie Wölfe in die Hügel sprengten, obwohl sie den Normannen weit überlegen waren. War diese Schlacht nur inszeniert worden, um ihn aus der Festung zu locken? In seiner Erschöpfung, die der Schlafmangel der letzten Tage verursacht hatte, kam er zu der Ansicht, dass er die Gefahr, die von den Angelsachsen ausgehen könnte, bei Weitem überschätzte. Er und seine Männer nahmen die Verfolgung der Flüchtigen auf, aber nach ungefähr einer Stunde brach er die wenig sinnvolle Jagd ab.

Royce war erstaunt, dass Hugh, ein Freund, der unter Williams Oberbefehl denselben Rang einnahm wie er selbst, diese Truppe anführte. Royce hatte eigentlich angenommen, dass Hugh an der Seite ihres obersten Dienstherrn in London einreiten würde. Hugh beantwortete seine Frage mit der Erklärung, dass er nach Norden geschickt worden war, um die letzten Aufständischen zu unterwerfen. Als die Angelsachsen ihn angegriffen hatten, war er bereits auf dem Rückweg nach London gewesen.

Hugh war gute zehn Jahre älter als Royce, und neben dem grauhaarigen Mann mit dem verwitterten Gesicht sah Royce beinah gut aus.

»Mir hat man für diesen Marsch fast nur unausgebildete Männer zugeteilt«, gestand Hugh grimmig. »Die kampferprobten sind vorausgeschickt worden, um sich William anzuschließen. Ich sage dir, Royce, ich habe nicht mehr die Geduld, diesen jungen Burschen etwas beizubringen. Wenn wir nicht vorher benachrichtigt worden wären, hätten wahrscheinlich die meisten meiner Soldaten in dieser Schlacht ihr Leben gelassen. Die Warnung vor dem Hinterhalt, die uns ein angelsächsischer Abtrünniger zukommen ließ, erreichte uns gerade noch rechtzeitig, sodass wir das Schlimmste verhindern konnten. Aber meine Soldaten haben überhaupt keine Disziplin.« Hugh beugte sich vor und flüsterte in vertraulichem Ton: »Zwei meiner Männer haben doch tatsächlich ihre Schwerter verlegt, kannst du dir ein solches Vergehen vorstellen? Ich sollte diese Idioten töten lassen, um sicherzugehen, dass so etwas nie wieder vorkommt.« Er seufzte verzweifelt. »Mit deiner Erlaubnis werde ich William bitten, ein paar von den jungen Burschen zu deiner Truppe zu versetzen, damit du sie mal ordentlich rannehmen kannst.«

Die beiden Barone zogen sich an der Spitze ihrer Soldaten zur Festung zurück.

»Wer ist dieser Abtrünnige, den du vorhin erwähnt hast?«, wollte Royce wissen. »Und wieso vertraust du einem Angelsachsen?«

»Der Name des Mannes lautet James, und ich habe nie behauptet, dass ich ihm vertraue«, erwiderte Hugh. »Bis jetzt hat er sich als zuverlässiger Informant erwiesen, das ist alles. Er erzählte mir, dass er sich bei den Angelsachsen unbeliebt gemacht hat, weil er früher Steuereintreiber war. James ist mit allen Familien in dieser Gegend bekannt – er ist hier aufgewachsen –, und er kennt so gut wie jeden Schlupfwinkel ... Der Wind hat ziemlich aufgefrischt in der letzten Stunde, findest du nicht auch, Royce?«, fragte Hugh in dem Bestreben, das Thema zu wechseln, und zog den schweren Mantel fester um seine Schultern. »Ich fühle den Winter in meinen Knochen.«

Royce spürte die Kälte kaum. Ein leichtes Schneegestöber umwirbelte sie, aber es reichte nicht aus, um den Boden mit einer weißen Schicht zu bedecken. »Deine Knochen sind alt, Hugh, deshalb spürst du die Kälte.« Er verzog die Lippen zu einem Grinsen, um die Beleidigung ein wenig abzuschwächen.

Hugh erwiderte das Lächeln. »Alt, sagst du? Du wirst deine Meinung ändern, wenn du von meinen triumphalen Siegen über die Angelsachsen gehört hast.«

Der stolze Krieger begann mit ausschweifenden Berichten über die Eroberungen, die er in Williams Namen auf angelsächsischem Gebiet gemacht hatte, und hörte nicht auf, sich mit seinen Heldentaten zu brüsten, bis sie den Burghof erreicht hatten.

Ingelram stand nicht bereit, um seinen Herrn und Meister willkommen zu heißen, und Royce vermutete, dass sich sein tölpelhafter Gefolgsmann noch immer im Turm befand und die Nonne mit offenem Mund anstarrte.

Die Erinnerung an die so unschuldige Angelsächsin bereitete ihm Unbehagen – irgendetwas an ihr brachte Royce durcheinander, aber er hätte nicht sagen können, was dieses ungute Gefühl ausgelöst hatte.

Vielleicht, überlegte er, lag das nur daran, dass sie so anziehend wirkte. Es war eine Schande – das war seine Meinung –, dass so eine wunderschöne Frau der Kirche gehörte, sie sollte einen Mann glücklich machen. Er schrieb diese sündigen Gedanken seiner Müdigkeit zu und betrat an Hughs Seite die Burg. Die beiden Freunde hatten schon auf dem Weg hierher abgemacht, dass Hugh und seine Männer die Nacht in der Festung verbringen sollten, da bereits die Abenddämmerung einsetzte.

Hugh wirkte abgekämpft und durchgefroren. Royce ordnete an, dass ein Feuer im Kamin angefacht werden sollte, damit sich sein Freund aufwärmen konnte, und verlangte, den angelsächsischen Abtrünnigen, der Hugh so nützliche Informationen zugeführt hatte, zu sehen. »Ich möchte ihm einige Fragen bezüglich dieses Hauses stellen«, erklärte er.

Einer der Soldaten lief los, um den Spion zu holen. Gleich darauf hastete Ingelram geschäftig in die Halle und kam schlitternd vor seinem Herrn zum Stehen. Er beugte zur Begrüßung seinen blonden Kopf und machte sich bereit, Bericht zu erstatten.

Doch Royce schnitt ihm sogleich das Wort ab und befahl: »Bringt die Nonne zu mir, ich habe vor, sie eingehend zu verhören.«

Ingelram sah den Baron erschrocken an und wurde blass. Gerade als Royce seinen Gefolgsmann davonscheuchen und zwingen wollte, seinen Befehl auszuführen, betrat ein Soldat mit dem Spion die Halle. Der angelsächsische Judas war ärmlich gekleidet – ein Zeichen dafür, dass er bei seinen eigenen Leuten in Ungnade gefallen war. Der braune Mantel schleifte auf dem Boden und war mit Schlamm und Dreck verschmiert. Der Mann erinnerte Royce an eine Eule mit seinen hängenden Schultern und den dicken, faltigen Tränensäcken. Schön, er mochte vielleicht wie eine Eule aussehen, aber er hatte das Herz eines Geiers, der seine eigenen Landsleute verriet, dachte Royce angewidert.

»Tretet vor, James«, forderte Royce ihn auf.

Der Angelsachse tat, wie ihm geheißen, und als er vor den normannischen Baronen ankam, verbeugte er sich tief. »Euer ergebenster Diener, Mylords.«

Royce hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt. Neben ihm stand Hugh vor dem Kamin und zog den Mantel enger um sich, in dem Bestreben, die Kälte aus seinem erschöpften Körper zu vertreiben. Royce bemerkte die Blässe im Gesicht seines Freundes und den fiebrigen Glanz in seinen braunen Augen und gab den Befehl, einen Sessel vor den Kamin zu stellen.

»Bringt eurem Baron einen Krug Bier«, rief er einem von Hughs Soldaten zu, der am Eingang Posten bezogen hatte. »Ein Angelsachse soll den ersten Schluck aus dem Krug nehmen. Wenn er am Leben bleibt, können wir sicher sein, dass das Bier nicht vergiftet ist.«

Hugh murrte. »Ich bin genauso gut in Form wie du«, protestierte er, »und kann ganz gut für mich allein sorgen.«

»Ja, du bist gut in Form«, stimmte Royce zu. »Du hast jedoch in den letzten Wochen doppelt so viele Schlachten wie ich geschlagen.« Das entsprach nicht ganz der Wahrheit, aber Royce wollte den Stolz seines Freundes nicht verletzen. »Ich wäre todmüde, wenn ich nur die Hälfte deiner Siege errungen hätte.«

Hugh murmelte zustimmend. »Das ist wahr, du wärst sicher todmüde.«

Royce lächelte, dann widmete er seine Aufmerksamkeit wieder dem Informanten und fragte ihn in angelsächsischer Sprache: »Erzählt mir, was Ihr über die Familie, die in dieser Burg wohnt, wisst. Fangen wir bei den Eltern an. Stimmt es, dass beide Elternteile tot sind?«

Der Angelsachse machte den Soldaten, die einen Lehnstuhl herbeischleppten, Platz und wartete mit seiner Antwort, bis sich Hugh niedergelassen hatte. »Ganz recht, Mylord. Beide sind tot. Sie liegen in der Familiengruft auf dem Hügel im Norden.«

James’ Nacken tat höllisch weh, weil er den Kopf so weit nach hinten legen musste, um dem riesigen Normannen ins Gesicht zu sehen. Als der Schmerz übermächtig wurde, senkte er den Blick und schaute zu Boden. Das war wesentlich besser, und auch die Beklommenheit in seiner Brust löste sich ein wenig, da ihm der angsteinflößende Anblick so erspart blieb. Die Augen des Ritters waren ebenso erschreckend wie die entstellende Narbe, die sich über seine rechte Wange zog, aber dieser Blick war das Allerschlimmste ...

»Erzählt mir von den anderen Familienmitgliedern«, forderte Royce.

James erwiderte dienstbeflissen: »Es gibt zwei Brüder. Thurston ist der ältere. Man erzählt sich, dass er bei einer Schlacht im Norden gefallen ist, aber das hat bis jetzt noch niemand bestätigt.«

»Und der andere Bruder?«

»Sein Name ist Justin. Er ist der jüngere in der Familie und wurde in derselben Schlacht verwundet. Er wurde ins Kloster gebracht, und die Nonnen pflegen ihn. Seine Verletzungen sind ziemlich ernst, und es ist fraglich, ob er durchkommt.«

Ingelram hatte sich immer noch nicht von der Seite seines Herrn gerührt, und Royce blaffte ihn plötzlich an: »Habe ich Euch nicht den Befehl gegeben, die Nonne zu mir zu bringen?«

»Ich wusste nicht, dass Ihr sie verhören wollt, Baron«, stammelte Ingelram verdattert.

»Es gehört auch nicht zu Euren Pflichten zu wissen, was ich vorhabe. Ihr habt zu gehorchen, ohne Fragen zu stellen.«

Ingelram holte tief Luft. »Sie ist nicht hier«, platzte er heraus.

Royce widerstand nur mit Mühe dem Drang, seinen Gefolgsmann auf der Stelle zu erdrosseln. »Ich verlange sofort eine Erklärung«, donnerte er.

Ingelram nahm all seinen Mut zusammen und hielt dem bitterbösen Blick seines Herrn stand. »Schwester Danielle bat um eine Eskorte, die sie zum Kloster begleitet. Sie hat der Äbtissin ihr Wort gegeben, vor Einbruch der Nacht zurück zu sein, außerdem war sie sehr besorgt um ihren Bruder. Sie fühlt sich für ihn verantwortlich, weil er das Nesthäkchen der Familie ist.«

Während Ingelrams stockend hervorgebrachter Erklärung hatte Royce keine Miene verzogen, und der junge Ritter hatte keine Ahnung, was seinem Herrn durch den Kopf ging. Er war so verunsichert, dass seine Stimme immer schriller wurde, während er fortfuhr: »Die Verletzungen ihres Bruders sind lebensbedrohlich, Baron, und sie möchte während der Nacht an seiner Seite sitzen. Sie hat mir versprochen, am Morgen wieder herzukommen. Sicherlich ist sie dann bereit, all Eure Fragen zu beantworten.«

Royce atmete tief durch, um sich zu beruhigen, ehe er das Wort ergriff. »Und wenn sie morgen nicht zurückkommt?«, fragte er leise und gelassen.

Ingelram, der offensichtlich an eine solche Möglichkeit überhaupt nicht gedacht hatte, starrte ihn mit offenem Mund an. »Sie hat mir ihr Ehrenwort gegeben, Baron – sie würde mich doch nicht hintergehen. Das könnte sie gar nicht. Sie hat ihr Leben der Kirche geweiht und würde eine Todsünde begehen, wenn sie jemanden betrügt. Falls sie aus irgendeinem Grund nicht kommen kann, würde ich mich glücklich schätzen, ins Kloster zu gehen und sie zu holen.«

Royce hatte jahrelange Übung darin, seine Beherrschung nicht zu verlieren, und das kam ihm jetzt zugute, obwohl er den Tölpel am liebsten angebrüllt hätte. Der Umstand, dass sich der angelsächsische Spion in der Halle aufhielt, zügelte sein Temperament ein wenig. Royce würde nie einen seiner Männer in Gegenwart eines Fremden abkanzeln, das wäre eine zu große Demütigung. Er behandelte seine Männer immer so, wie er selbst behandelt werden wollte – Respekt musste man sich verdienen, man konnte ihn nicht fordern, aber würdevolles Benehmen konnte man jungen Leuten beibringen, indem man ein gutes Beispiel abgab.

Hugh räusperte sich, um Royces Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Der alte Krieger bedachte seinen Freund mit einem mitfühlenden Blick und drehte sich dann Ingelram zu. »Mein Junge, Ihr könnt nicht in die geheiligten Mauern eines Klosters eindringen. Gott würde uns alle dafür bestrafen, wenn wir es wagen würden, das heiligste seiner Gesetze zu brechen.« »Das heilige Gesetz?«, stammelte Ingelram verständnislos.

Hugh verdrehte die Augen zum Himmel. »Sie steht unter dem Schutz der Kirche. Mein Junge, Ihr habt es ihr möglich gemacht, dort Zuflucht zu suchen.«

Allmählich dämmerte es Ingelram, welche Folgen seine Tat haben konnte, und er war über sich selbst und über seine Unfähigkeit, Verantwortung zu übernehmen, entsetzt. In seiner Verzweiflung suchte er fieberhaft nach einer Möglichkeit, seine unbedachte Entscheidung wiedergutzumachen und sich seinem Herrn als zuverlässigen Stellvertreter zu präsentieren. »Aber sie hat mir doch versprochen ...«

»Schweigt!«

Royce hatte nicht einmal die Stimme erhoben, aber der angelsächsische Spion wich erschrocken ein paar Schritte zurück, als er einen kurzen Blick in die zornfunkelnden grauen Augen des normannischen Kriegers riskierte. Auf keinen Fall wollte er in Reichweite dieses Riesen bleiben, wenn er die Beherrschung verlor.

Royce grinste über den feigen Rückzug des Verräters. Der kleine Mann zitterte wie Espenlaub. »Ihr habt die beiden Brüder erwähnt, James«, nahm Royce die Unterhaltung mit ihm wieder auf. »Jetzt möchte ich mehr über die Zwillingsschwestern erfahren. Man hat uns schon berichtet, dass die eine Nonne ist und die andere ...«

Er verstummte, als der Angelsachse den Kopf schüttelte. »In dieser Familie gibt es keine Nonne«, brachte James mühsam hervor. »Da ist Lady Nichola«, fügte er eilig hinzu, als er sah, wie sehr diese Eröffnung den Normannen aufregte. Die gezackte Narbe im Gesicht des Ritters war schneeweiß geworden. »Lady Nichola ist ...«

»Wir wissen einiges über Lady Nichola«, fiel Royce ihm ins Wort. »Sie ist diejenige, die diese Burg gegen unsere Angriffe verteidigt hat, stimmt das?«

»Ja, Mylord«, erwiderte James. »Das stimmt.«

»Ich möchte sofort alles, was Ihr über die andere Zwillingsschwester wisst, hören. Wenn sie keine Nonne ist, dann muss ...«

Der Angelsachse brachte so viel Mut auf, erneut vehement den Kopf zu schütteln, und machte jetzt einen eher verwirrten als ängstlichen Eindruck. »Aber Mylord«, flüsterte er niedergeschlagen. »Es gibt nur eine Tochter. Lady Nichola hat gar keine Zwillingsschwester.«

2

»Royces Reaktion auf diese Sensation kam rasch und völlig unerwartet. Er warf den Kopf in den Nacken und lachte schallend, bis ihm die Tränen in die Augen traten. Lady Nicholas schlaue List, durch die ihr die Flucht gelungen war, versetzte ihn in Erstaunen. Diese Frau hatte sich als äußerst erfinderisch erwiesen, und das war ein Charakterzug, den er schon immer sehr geschätzt hatte.

Nichola war keine Nonne – diese Neuigkeit verschaffte ihm außerdem eine merkwürdige Erleichterung, die er selbst nicht ganz verstand, und deshalb verdrängte er die verwirrende Empfindung, so rasch er konnte. Er brach erneut in donnerndes Gelächter aus. Guter Gott, es war gar keine Nonne gewesen, die seine Begierden geweckt hatte!

Ingelram war konsterniert über das sonderbare Verhalten seines Herrn. In der kurzen Zeit, die er dem Kommando des Barons unterstand, hatte er ihn nicht ein einziges Mal lächeln gesehen, und plötzlich wurde dem jungen Mann bewusst, dass er auch nie erlebt hatte, dass sein Befehlshaber einen Rückschlag ohne Gegenwehr hingenommen hätte.

»Versteht Ihr nicht, was das bedeutet, Baron?«, sprudelte er hervor. »Ihr seid erniedrigt worden, und das nur meinetwegen. Ich habe ihre Lüge für bare Münze genommen und ihr sogar eine Eskorte zur Verfügung gestellt, damit sie unbeschadet das Kloster erreicht.«

Ingelram trat tapfer vor, bis er seinem Lord von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand und flüsterte gequält: »Ich allein trage die Schuld.«

Royce hob eine Augenbraue, als er diese dramatische Selbstanklage vernahm. »Darüber sprechen wir später«, versetzte Royce mit einem bedeutungsvollen Blick auf den Angelsachsen.

Ingelram machte einen tiefen Bückling, und Royce wandte sich wieder an den ehemaligen Steuereintreiber: »Was wisst Ihr sonst noch über Nichola?«, erkundigte er sich.

James hob hilflos die Schultern. »Ich wurde vor zweieinhalb Jahren aus dieser Gegend verjagt, Mylord, und ein anderer hat das Amt des Steuereintreibers übernommen. Ich weiß nur, dass Nichola einen Hünen von einem Mann, der den Namen Rudolf trägt und große Ländereien im Süden besitzt, heiraten sollte. Sie war ihm seit ihrer Kindheit versprochen, und wenn die Hochzeit wie geplant stattgefunden hat, dann war sie zwei Jahre mit ihm verheiratet, ehe er in der Schlacht bei Hastings ums Leben kam. Sonst weiß ich gar nichts über Nichola, Mylord.«

Royce gab keinen Kommentar zu diesem Bericht ab und entließ James. Er wartete, bis der Angelsachse gegangen war, dann drehte er sich zu Ingelram um. »In Zukunft werdet Ihr Euch in Gegenwart Fremder nicht mehr auf diese Weise mit Euren Vergehen brüsten. Habt Ihr verstanden?«

Ingelram nickte betreten.

Royce seufzte. »Wenn Ihr als mein Stellvertreter Entscheidungen fällt, sind Eure Fehler auch die meinen. Vielleicht stellt sich ja auch heraus, dass die Unannehmlichkeiten, die Ihr mir bereitet, auch ein Gutes haben.«

Ingelram war erstaunt und wusste nicht, was er auf diese Bemerkung antworten sollte.

»Lady Nichola hat bewiesen, dass sie sehr gerissen ist, meinst du nicht, Royce?«, mischte sich Hugh ein. »Sie ist dir entwischt ... fürs Erste zumindest«, fügte er mit einer Kopfbewegung in Ingelrams Richtung hinzu.

»Ja«, bestätigte Royce höhnisch. »Fürs Erste.«

»Die Wahrheit ist, dass ich ein Opfer ihrer Lügen geworden bin«, stammelte Ingelram.

»Nein«, widersprach Royce. »Ihr habt Euch von ihrer Schönheit betören lassen. Macht Euch die Ursache Eures Fehlers klar, dann werdet Ihr ihn auch nicht wiederholen.«

Der junge Ritter nickte nachdenklich. Er holte tief Luft, als er sein Schwert aus der Scheide zog. Seine Hand zitterte, während er Royce die juwelenbesetzte Waffe, die er von seinem Vater geschenkt bekommen hatte, darbot. »Ich habe versagt, Baron, und Schande über Euch gebracht.«

Ingelram schloss in Erwartung eines Schlages die Augen. Eine lange quälende Minute verstrich, bevor er sie wieder öffnete. Weshalb zögerte sein Herr und Meister? »Wünscht Ihr nicht, Genugtuung von mir zu fordern, Baron?«, fragte er, ohne seine Verwirrung zu verbergen.

Royce funkelte seinen Gefolgsmann böse an, ehe er sich zu Hugh umdrehte. Sein Freund lächelte, und beinah hätte Royce dieses Lächeln erwidert. »Was ich wünsche und was ich tatsächlich tun werde, sind zwei völlig verschiedene Dinge, Ingelram«, sagte er. »Das werdet Ihr später vielleicht verstehen. Warum bietet Ihr mir Euer Schwert an?«

Diese Frage traf Ingelram gänzlich unerwartet – der Baron hatte in einem so milden Tonfall gesprochen, dass er sich ernsthaft fragte, ob er wegen seines sträflichen Vergehens möglicherweise doch nicht in Ungnade gefallen war. »Ich biete Euch mein Schwert an, damit Ihr es nach Belieben gegen mich verwenden könnt, Baron. Ich begreife nicht, warum Ihr ... Ich habe Euch Schande bereitet, oder nicht?«

Royce ignorierte die Frage und stellte seinerseits eine. »Wessen Befehl habt Ihr unterstanden, bevor Ihr zu mir geschickt wurdet?« »Ich war zwei Jahre Baron Guys Knappe«, erwiderte Ingelram.

»Und habt Ihr in dieser Zeit je erlebt, dass Guy das Schwert gegen einen seiner Männer geführt hat?«

Eigentlich erwartete Royce eine rasche Verneinung. Er kannte Guy zwar und wusste, dass er seine jungen, noch unerfahrenen Männer manchmal einschüchterte – eine Taktik, die Royce nicht unbedingt guthieß. Man tuschelte sogar, dass Guy brutal sein konnte, aber Royce gab nicht viel auf dieses Gerede – er war sicher, dass diese Gerüchte von unzufriedenen Männern, denen Guys Ausbildungsmethoden zu hart und strapaziös waren, in die Welt gesetzt worden waren.

Er konnte seine Überraschung kaum verbergen, als Ingelram seine Frage mit einem Nicken beantwortete. »Ich selbst war Zeuge von solchen Maßnahmen. Baron Guy hat zwar nie einen seiner Gefolgsmänner getötet, aber einige unglückliche Soldaten starben später an den Folgen der Bestrafungen, die er über sie verhängt hatte. Ihre Wunden wurden brandig.«

»Das erklärt Euer absonderliches Verhalten, Ingelram«, schaltete sich Hugh ein. »Der Junge sagt die Wahrheit, Royce. Guy bestraft seine Männer tatsächlich durch körperliche Züchtigung, um sie zum Gehorsam und zur Loyalität zu zwingen. Sagt, Ingelram«, fuhr Hugh mit einem Blick auf den jungen Ritter fort. »Sind diese beiden Hurensöhne, Henry und Morgan, noch immer Guys Vertraute?«

Ingelram nickte wieder. »Sie sind seine engsten Berater. Wenn Baron Guy mit anderen, wichtigeren Angelegenheiten beschäftigt ist, übernehmen Henry und Morgan die Ausbildung der Männer.«

»Und auch die Bestrafung der Ungehorsamen?«, hakte Hugh nach.

»Ja, auch die Bestrafung.«

»Morgan ist schlimmer als Henry«, erklärte Hugh. »Ich habe ihn im Kampf gesehen und gehofft, dass er während der Eroberung Englands getötet wird, aber die Angelsachsen haben mir diesen Gefallen nicht getan. Ich vermute, dass er mit dem Teufel im Bunde steht, weil er bis jetzt überlebt hat.«

Ingelram kam mutig einen Schritt näher. »Darf ich ganz offen sprechen, Baron?«

»Habt Ihr denn das bis jetzt noch nicht getan?«

Ingelram wurde knallrot. Plötzlich fühlte sich Royce uralt – der Altersunterschied zwischen ihm und seinem Gefolgsmann betrug zwölf Jahre, aber ihre Handlungsweise war so unterschiedlich, dass es genauso gut zwanzig Jahre hätten sein können. »Was wollt Ihr uns denn noch mitteilen, Ingelram?«

»Die meisten Soldaten leisten Guy Gehorsam, aber sie sind ihm, wie Baron Hugh vermutet, nicht ergeben. Sie fürchten ihn und führen nur deshalb seine Befehle aus. In seiner Truppe gibt es keine Loyalität – nur unserem Herrscher William gegenüber.«

Royces Gesichtsausdruck blieb bei diesem Geständnis undurchdringlich. Er lehnte sich an das Kaminsims und verschränkte die Arme vor der Brust. Er machte einen sehr entspannten Eindruck, aber innerlich kochte er vor Wut. Ein Mann, der wie Guy eine hohe Stellung einnahm, sollte seine Leute beschützen und innere Stärke beweisen, das war seine Überzeugung. Aber so, wie es aussah, führte sich Guy eher wie ein Wüstling auf.

»Habt Ihr darum gebeten, in Royces Einheit versetzt zu werden, Ingelram?«, erkundigte sich Hugh mit schwacher Stimme. Er hustete heftig, ließ sich matt auf seinem Sessel zurücksinken und rieb sich die stoppligen Wangen, während er auf eine Antwort wartete.

»Ich habe um die Versetzung ersucht«, entgegnete Ingelram. »Um die Wahrheit zu sagen, ich hatte wenig Hoffnung, dass meinem Antrag stattgegeben wird. Die Liste der Soldaten, die in Baron Royces Heer eintreten wollen, ist endlos lang. Aber mein Vater brachte es fertig, William auf mich aufmerksam zu machen, und mein Name wurde ganz oben auf diese Liste gesetzt. Ich hatte großes Glück.«

Hugh schüttelte den Kopf. »Ich begreife trotzdem nicht, wie Ihr das geschafft habt – mit oder ohne Williams Unterstützung. Zuerst musstet Ihr doch von Guy Erlaubnis einholen, um überhaupt den Antrag auf Versetzung stellen zu können. Und Guy ist dafür bekannt, dass er nicht gerade begeistert über solche Anfragen ist, besonders dann nicht, wenn dadurch Royce in ein gutes Licht gerückt wird. Guy wetteifert mit Royce, seit der Zeit, als sie beide Knappen waren.« Hugh kicherte. »Mir tut Guy beinah leid. Er ist immer nur der Zweitbeste. Ich glaube, das macht ihn verrückt.«

Royce ließ Ingelram, dessen Gesicht noch immer gerötet war, nicht aus den Augen. Sobald Ingelram den Blick seines Herrn bemerkte, sprudelten die Worte aus ihm heraus. »Baron Guy ist nicht Euer Freund. Er ist voller Neid, weil Ihr ihn in allem übertrefft.«

»Aber weshalb hat er dann Eure Versetzung befürwortet?«, bohrte Hugh weiter, in dem Bestreben, dem Rätsel auf den Grund zu kommen.

Ingelram senkte den Kopf und starrte verlegen auf seine Stiefelspitzen. »Er hat meine Versetzung nicht als Vorteil für Baron Royce angesehen – ganz im Gegenteil. Henry und Morgan haben sich beinah totgelacht über die kluge Entscheidung ihres Herrn. Sie sind alle überzeugt, dass ich niemals ein tauglicher Ritter werde.«

»Wieso hält Euch Guy für unfähig?«, wollte Royce wissen.

Ingelram lief noch röter an, und Royce befürchtete schon, er würde im nächsten Augenblick in Flammen aufgehen.

»Ich bin ein Hasenfuß«, gestand Ingelram. »Baron Guy meint, dass ich nicht willensstark und tapfer genug für seine Einheit bin. Jetzt kennt Ihr die Wahrheit, und Baron Guy hat recht behalten. Durch meine Schwäche habt Ihr eine Niederlage erlitten.«

Royce hätte am liebsten losgepoltert, aber er behielt die Fassung und erwiderte scharf: »Wir haben keine Niederlage erlitten. Um Himmels willen, steckt Euer Schwert weg. Ihr habt noch nicht einmal richtig mit der Ausbildung begonnen, und genau aus diesem Grund gebe ich Euch nicht die Schuld an unserer Lage. Wenn Ihr allerdings nach sechs Monaten unter meinem Kommando einen ähnlichen Fehler begeht, drücke ich Euch eigenhändig die Kehle zu und versuche, Euch ein wenig Verstand einzubläuen. Verstanden?«

Ingelram nickte eifrig. »Wenn ich erneut versage, werde ich Euch freiwillig meine Kehle hinhalten«, beteuerte er leidenschaftlich. »Keine weitere Niederlage ...«

»Du liebe Güte, wollt Ihr wohl endlich aufhören, diese geringfügige Unannehmlichkeit als Niederlage zu bezeichnen?«, versetzte Royce. »Lady Nicholas Flucht bedeutet nur eine kleine Verzögerung für mich – sie ist mir nicht für immer entkommen. Sobald wir abmarschbereit sind und nach London aufbrechen können, gehe ich zu diesem Kloster. Ich werde es nicht einmal betreten müssen – sie wird zu mir herauskommen.« Er trat einen bedrohlichen Schritt auf seinen Gefolgsmann zu. »Oder zweifelt Ihr etwa an mir?«

»Nein, Mylord.«

Royce nickte. Er gab keine Erklärung ab, wie er diese Heldentat vollbringen wollte, und Ingelram hätte sich lieber die Zunge abgebissen, als ihn nach seinen Plänen zu fragen. Dieses Thema stand nicht mehr zur Diskussion.

Trotzdem wurde Royce bald gezwungen, sich zuerst um andere Dinge als um Nicholas Gefangennahme zu kümmern. Hugh war weit kränker, als er geahnt hatte, und am nächsten Morgen glühte der alte Krieger vor Fieber.

Royce wachte drei Tage und drei Nächte am Bett seines Freundes. Er hatte nicht vor, einen seiner eigenen, noch unerfahrenen Leute oder die angelsächsischen Diener in die Nähe des Kranken kommen zu lassen. Sie würden ihn bei der erstbesten Gelegenheit vergiften, das zumindest nahm Royce an. Die Pflicht, seinen Freund zu pflegen, fiel ihm allein zu, aber unglückseligerweise war er für solche Dienste nicht gerade geeignet.

Royce ließ den ehemaligen Steuereintreiber noch einmal zu sich kommen und fragte ihn erneut nach Nicholas Familie aus. Im Geist hatte er schon einen Plan geschmiedet, wie er die junge Frau aus ihrem Zufluchtsort locken konnte, aber er wollte sichergehen, dass er alles bedacht hatte.

Hughs Zustand verschlechterte sich zusehends, und am Ende der Woche wurde Royce bewusst, dass sein Freund sterben würde, wenn er keine fachkundige Hilfe erhielt und richtig behandelt würde. In seiner Verzweiflung brachte Royce den Kranken zum Kloster. Ingelram und Hughs Knappe Charles eskortierten die Kutsche, in der Hugh lag.

Den vier Männern wurde der Zutritt in das Kloster verwehrt, solange sie ihre Waffen bei sich trugen. Royce wehrte sich nicht gegen die Forderung, und als sie ihre Schwerter abgelegt hatten, öffnete sich das eiserne Tor.