Die andere Lüge (Ein Stella-Fall-Thriller – Band 2) - Ava Strong - E-Book

Die andere Lüge (Ein Stella-Fall-Thriller – Band 2) E-Book

Ava Strong

0,0
3,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.

Mehr erfahren.
Beschreibung

DIE ANDERE LÜGE ist der zweite Band in der neuen psychologischen Krimireihe der Debütautorin Ava Strong, die mit DIE ANDERE FRAU beginnt (Band 1). Stella Fall, die noch immer unter dem Trauma ihres betrügerischen Verlobten und ihrer fehlgeschlagenen Verlobung leidet, beschließt, ihren Träumen nachzugehen, in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten und sich in die Strafverfolgung zu stürzen. Nach ihrem Abschluss von der FBI-Akademie wird sie der FBI-Außenstelle in Connecticut zugeteilt. Es dauert nicht lange, bis sie zufällig den Fall ihres Lebens landet – und in eine Welt katapultiert wird, die sie hoffte, nie wieder sehen zu müssen – eine Welt der Pärchen, Affären und Nobelvororte. Eine frisch verheiratete Frau wird ermordet in ihrem Bett ihres neuen Heims aufgefunden, in der Stadt, in die sie gerade erst mit ihrem Mann gezogen war. Alles in dieser Stadt wirkt auf Stella zu perfekt: die makellosen Häuser, die lächelnden Ehefrauen, der offen gezeigte Wohlstand und die Besessenheit mit dem äußeren Schein. Es dauert nicht lange, bis ihr klar wird, dass nicht alles so ist, wie es scheint. Wer wollte diese beliebte Zuzüglerin tot sehen? Was war das beliebte Kartenspiel, dem sie beiwohnte? Was für Geheimnisse halten all diese Ehefrauen verborgen? Der Fall wird für Stella persönlich, denn die Erinnerungen gehen ihr viel zu sehr unter die Haut. Ihr Trauma aus der Vergangenheit wird wachgerüttelt, und es fällt ihr schwer, durchzuhalten, um den ersten großen Fall ihrer Karriere zu lösen. Es könnte kaum mehr auf dem Spiel stehen. Und der Mörder ist noch immer auf freiem Fuß. Wird die frischgebackene FBI-Spezialagentin Stella Fall in der Lage sein, ihren brillanten Kopf einzusetzen und herauszufinden, was diese Stadt zu verbergen hat? DIE ANDERE LÜGE, ein rasanter psychologischer Krimi mit unvergesslichen Figuren und atemberaubender Spannung, bildet den zweiten Band in einer fesselnden neuen Reihe, die Sie bis spät in die Nacht weiterblättern lassen wird. Band 3 – DAS ANDERE GEHEIMNIS – ist nun ebenfalls erhältlich.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 326

Veröffentlichungsjahr: 2022

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Die andere Lüge

(ein Stella-Fall-Thriller – Buch 2)

Ava Strong

Die Debütautorin Ava Strong ist Autorin der REMI LAURENT-Krimireihe, die aus drei Büchern besteht (weitere folgen), der ILSE BECK-Krimireihe, die aus vier Büchern besteht (weitere folgen) und der STELLA FALL-Psychothriller-Reihe, die aus vier Büchern besteht (weitere folgen).

Als begeisterte Leserin und lebenslange Liebhaberin des Krimi- und Thriller-Genres freut sich Ava darauf, von Ihnen zu hören. Besuchen Sie www.avastrongauthor.com, um mehr zu erfahren und mit Ava Kontakt aufzunehmen.

Copyright © 2021 by Ava Strong. Alle Rechte vorbehalten. Vorbehaltlich der Bestimmungen des U.S. Copyright Act von 1976 darf kein Teil dieser Publikation ohne vorherige Genehmigung des Autors in irgendeiner Form oder mit irgendwelchen Mitteln reproduziert, verteilt oder übertragen oder in einer Datenbank oder einem Abfragesystem gespeichert werden. Dieses eBook ist nur für Ihren persönlichen Gebrauch lizenziert. Dieses eBook darf nicht weiterverkauft oder an andere Personen weitergegeben werden. Wenn Sie dieses Buch mit einer anderen Person teilen möchten, kaufen Sie bitte für jeden Empfänger ein zusätzliches Exemplar. Wenn Sie dieses Buch lesen und Sie es nicht gekauft haben, oder es nicht nur für Ihren Gebrauch gekauft wurde, dann senden Sie es bitte zurück und kaufen Sie Ihre eigene Kopie. Vielen Dank, dass Sie die harte Arbeit dieses Autors respektieren. Dies ist eine erfundene Geschichte. Namen, Charaktere, Unternehmen, Organisationen, Orte, Ereignisse und Vorfälle sind entweder das Ergebnis der Phantasie des Autors oder werden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen, ob lebendig oder tot, ist völlig zufällig.

BÜCHER VON AVA STRONG

EIN STELLA-FALL-THRILLER

DIE ANDERE FRAU (Buch #1)

DIE ANDERE LÜGE (Buch #2)

EIN SPANNUNGSGELADENER REMI LAURENT FBI THRILLER

DER TODESCODE (Buch #1)

DER MORDCODE (Buch #2)

EIN ILSE BECK-FBI-THRILLER

NICHT WIE WIR (Buch #1)

NICHT WIE ER SCHIEN (Buch #2)

INHALT

KAPITEL EINS

KAPITEL ZWEI

KAPITEL DREI

KAPITEL VIER

KAPITEL FÜNF

KAPITEL SECHS

KAPITEL SIEBEN

KAPITEL ACHT

KAPITEL NEUN

KAPITEL ZEHN

KAPITEL ELF

KAPITEL ZWÖLF

KAPITEL DREIZEHN

KAPITEL VIERZEHN

KAPITEL FÜNFZEHN

KAPITEL SECHZEHN

KAPITEL SIEBZEHN

KAPITEL ACHTZEHN

KAPITEL NEUNZEHN

KAPITEL ZWANZIG

KAPITEL EINUNDZWANZIG

KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG

KAPITEL DREIUNDZWANZIG

KAPITEL VIERUNDZWANZIG

KAPITEL FÜNFUNDZWANZIG

KAPITEL SECHSUNDZWANZIG

KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG

KAPITEL ACHTUNDZWANZIG

KAPITEL NEUNUNDZWANZIG

KAPITEL EINS

Stella Falls Hand zitterte, als sie die Waffe hob. Der Griff fühlte sich in ihrer Handfläche ungewohnt an. Die Zielscheibe, der Umriss eines menschlichen Oberkörpers, war gute zehn Meter und damit viel zu weit entfernt, um sie wirklich treffen zu können. Das zumindest dachte sie, während sie konzentriert ihre eisblauen Augen zusammenkniff.

Lähmende Angst überkam sie bei dem, was zu tun sie im Begriff war. Es war eine verrückte Entscheidung gewesen, sich an der FBI-Akademie für das Programm für angehende Agenten einzuschreiben. Dies war ihr erstes Waffentraining, seit sie vor zwei Tagen in Quantico angekommen war. Das war etwas, das sie weit aus ihrer Komfortzone herausführte, und das würde auch immer so bleiben. Sie mochte keine Schusswaffen, hatte richtiggehend Angst vor ihnen. Sie weckten Erinnerungen in ihr, die sie nicht noch einmal durchleben wollte. Zu allem Übel erklang just in diesem Moment die spöttische Stimme ihrer Mutter in ihrem Kopf.

„Du wirst es nie zu etwas bringen. Du lernst nie. Du bist wie dein Vater, und schau, was aus ihm geworden ist.”

Sie erinnerte sich daran, wie ihr Vater üblicherweise von der Arbeit nach Hause gekommen war, seine Jacke ausgezogen und mit einem müden Seufzer seinen Pistolengürtel abgelegt hatte, um anschließend die Waffe wegzuschließen. Wenn ihre Mutter später in der Nacht dann einen ihrer unvermeidlichen Schreikrämpfe bekommen hatte, war Stella im Bett zusammengekauert dagelegen, hatte ihre Augen zugedrückt und gebetet, dass Rhonda Fall den Schlüssel zu diesem Schrank niemals finden würde.

Hatte ihr Vater seine treue Dienstpistole am Ende gegen sich selbst gerichtet? War er an einen Ort gefahren, von dem er wusste, dass er nie gefunden werden würde, und hatte sich umgebracht? War das der Grund für sein Verschwinden?

Das war Stellas schlimmste Angst, die ihr schreckliche Alpträume bereitete, und deshalb hatte sie sich nie für Waffen interessiert. Wahrscheinlich war das auch der Grund, warum sie sich so sehr für Psychologie interessierte. Hier konnte sie mit Worten Ergebnisse erzielen und musste sich nicht auf einen fliegenden Klumpen Blei verlassen.

Sie spürte Carries Blick auf sich und hörte, wie die hochgewachsene Praktikantin ein spöttisches Lachen ausstieß. Carrie gehörte zum neuen Jahrgang und war zur gleichen Zeit wie Stella an der Akademie angekommen. Als Stella mit ihrem Gepäck den Schlafsaal betreten hatte, war Carrie in dem kleinen Aufenthaltsraum in ein Gespräch mit drei Männern vertieft gewesen.

„Ich schätze, ihr müsst euch damit abfinden, ein Mädchen in eurer Klasse zu haben“, hatte sie mit selbstbewusster Stimme gescherzt, als Stella an der Tür vorbeigegangen war.

Dann hatte Carrie einen Blick zur Seite geworfen, und beim Blick auf Stella hatten sich ihre Augen verengt.

„Oder auch zwei?“, hatte einer der Männer in ebenso scherzhaftem Ton gefragt.

„Abwarten!“, hatte Carrie gerufen und dabei geklungen, als wäre ihr mit einem Schlag jeglicher Humor abhandengekommen.

Sie hatte angenommen, dass sie die einzige Frau in der neuen Aufnahmegruppe sein würde, wie Stella schnell feststellte. Anstatt Stella als Verbündete zu sehen, empfand sie sie als Bedrohung.

Carrie hatte gerade ihre erste Schießübung hinter sich. Sie war mit Waffen vertraut, ebenso wie die vier anderen männlichen Schüler in der kleinen Schießklasse. Stella war jedoch die Einzige, die vorher noch nie eine Waffe in der Hand gehalten hatte, und so hatte sie viel Zeit bei den für sie ungewohnten Aktivitäten wie Laden, Entladen, Holstern und Entholstern verloren. Alle anderen waren fertig und schauten ihr jetzt zu, was den Druck zusätzlich erhöhte.

„Wann immer Sie bereit sind, Fall“, sagte Marc, der Ausbilder, laut und mit deutlicher Ungeduld in der Stimme. „Es kommt nicht auf die Genauigkeit beim ersten Mal an. Erinnern Sie sich einfach an das, was man Ihnen beigebracht hat, und gehen Sie alles Schritt für Schritt durch. Zielgenauigkeit und Muskelgedächtnis werden sich nach und nach entwickeln.“

Trotz der Ohrenschützer hörte sie das Kichern von Carrie und einem der Männer. Sie lachten über sie, nicht mit ihr. Sie hatte nicht gedacht, dass ihre ersten Tage hier so verlaufen würden.

Sie holte tief Luft und sammelte sich mental. Sie löste sich von ihren Ängsten und erinnerte sich stattdessen an die ruhige und pragmatische Einstellung ihres Vaters. Eine Waffe sei nichts Besonderes, hatte er immer gesagt. Sie war einfach eines der Werkzeuge seines Berufs. Niemals die erste Wahl, aber vorzugsweise auch nicht die letzte. Nur etwas, das man notfalls in einer gefährlichen Situation benutzen konnte.

Sie atmete tief aus. Ihre Hände hatten sich beruhigt und wirkten deutlich sicherer. Zu ihrer eigenen Überraschung spürte sie, wie Ruhe und Zuversicht sie erfüllten.

Sie rief sich die einzelnen Schritte in Erinnerung, visierte das Ziel an und drückte dann vorsichtig ab.

Durch ihre Ohrenschützer war der laute Knall gedämpft. Sie visierte an, drückte erneut ab. Ruhig und sicher. Auf die Körpermitte – die Brust. Dann ein Schuss in den Kopf. Dann wieder in die Körpermitte. Dann noch ein Schuss in den Kopf. Und dann alles noch einmal von vorn.

Sie atmete schwer, als sie die Waffe schließlich senkte und eine Strähne ihres langen, dunklen Haares, die sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst hatte, aus dem Gesicht strich.

Sie betrachtete die Zielscheibe genauer und riss überrascht die Augen auf.

Sechs ziemlich genaue Treffer. Nur der erste Kopfschuss war ein paar Zentimeter daneben gegangen. Die anderen hatten alle ins Schwarze getroffen.

„Sind Sie sicher, dass Sie noch nie geschossen haben?“, fragte Marc mit ungläubigem Unterton. Die Überraschung in seiner Stimme erfüllte sie mit Stolz, aber sie erntete verärgerte Blicke von den Männern in der Gruppe, besonders von denen, die in ihrer ersten Runde nicht getroffen hatten.

Stella schüttelte den Kopf. „Niemals. Aber mein Vater war ein Champion. Er hat bei den lokalen Wettbewerben immer Gold gewonnen, wenn er teilgenommen hat.“

„Diese Fähigkeit haben Sie eindeutig von ihm geerbt. Das ist ein beeindruckender erster Versuch. Ich habe tatsächlich noch nie einen Anfänger so gut schießen sehen. Vielleicht mögen Sie tatsächlich keine Waffen. Das verstehe ich durchaus. Aber wenn Sie eine benutzen müssen, können Ruhe und Genauigkeit Ihr Leben retten.“

„Danke“, sagte Stella und strahlte über das Lob. Sie drehte sich zu Carrie um und lächelte sie an, in der Hoffnung, dass ihre neu gewonnene Kompetenz ihr helfen würde, sich mit der schlanken Brünetten anzufreunden. Carrie jedoch wütend.

Stella erkannte, dass sie Carrie mit ihrem guten Ergebnis vorgeführt hatte. Anstatt ihre Freundschaft zu gewinnen, hatte sie eine echte Feindin gefunden.

 „Lasst uns nach draußen gehen. Es ist Zeit für das Hindernistraining“, sagte Marc.

Sie folgten dem stämmigen, muskulösen Trainer aus der Schießhalle in den sonnigen Nachmittag. Es war Anfang Juni und die Luft war frisch vom letzten Regen, aber auch warm, weil der Sommer vor der Tür stand.

Stella ging am Ende der Gruppe und folgte den anderen über das gepflegte Gras und auf einen Kiesweg, der zu einem Waldgebiet führte. Dort trafen sie auf eine weitere Gruppe, die wohl auf einem der anderen Schießstände zu Ende gegangen war.

Als die Teilnehmer auf der Stelle joggten oder zum Aufwärmen ein paar Liegestütze machten, fiel Stella auf, wie fit und stark sie alle aussahen. Sie wünschte sich, sie hätte mehr Zeit im Fitnessstudio verbracht, um Gewichte zu stemmen. Beim Laufen – ihrem Lieblingssport – konnte sie den anderen hier an Stärke und Ausdauer nicht das Wasser reichen.

Carrie zog ihren blauen Pullover aus, und Stella bemerkte das Muskelspiel an ihren Oberarmen. Alle hatten in Erwartung dieser Einheit trainiert.

Alle außer ihr, denn sie war in letzter Minute zu diesem anspruchsvollen viermonatigen Programm zugelassen worden. Sie hatte keine Zeit gehabt, sich vorzubereiten. 

„Entlang dieses Weges ist ein Hindernisparcours. Es gibt zwanzig Hindernisse auf einer Strecke von etwa einer Meile“, erklärte Marc ihnen. „Die Hindernisse werden eure Kraft, Beweglichkeit, Koordination und Geschwindigkeit testen. Kraft ist der wichtigste Faktor und derjenige, den die meisten neuen Agenten erst entwickeln müssen. Körperliche Verletzungen sind der häufigste Grund dafür, dass ein Auszubildender das Programm nicht beenden kann. Deswegen haben wir vor Ort Fitnessstudios, die Sie jederzeit nutzen können.“

Carrie nickte eifrig. Stella fühlte sich erneut von Zweifeln geplagt, als Marc fortfuhr.

„FBI-Agent zu sein bedeutet, körperlich und geistig fit zu sein. Wir benötigen Ihren Verstand und Ihre besonderen Qualifikationen, Sie alle sind hochintelligente Menschen. Aber Sie müssen auch in der Lage sein, einen gewalttätigen Verdächtigen zu verfolgen und zu überwältigen und sich gegen körperliche Angriffe zu verteidigen. Ihr Verstand hat Sie also hierher gebracht, aber Ihre Kraft und Fitness werden Sie hier halten. Dieses Mal ist dieser Hindernislauf Teil Ihres ersten Tests. Um den Abschluss zu erreichen, müssen Sie mindestens zwei der drei Tests bestehen. Der erste findet jetzt statt, der zweite in der Mitte des Kurses, und der letzte in der letzten Woche deiner Ausbildung.”

Stella schluckte ihre Nervosität hinunter. Wenn sie die Prüfung nicht bestand, stand ihre Zukunft hier bereits auf dem Spiel.

„Wir schicken euch in Paaren los, also stellt euch in einer Reihe auf. Die Hindernisse auf der linken und rechten Seite der Strecke sind identisch, es ist also egal, für welches ihr euch entscheidet.“ Marc kontrollierte seine Stoppuhr.

Stella reihte sich in die Schlange ein und fand sich ganz am Ende wieder. Zum Glück stand Carrie in der gleichen Reihe direkt vor ihr. Stella hatte sie bereits als sehr wettbewerbsorientiert eingeschätzt und befürchtet, dass sie sich als Stellas Partnerin positionieren könnte, um sie bei den Hindernissen zu schlagen und so das Ergebnis nach dem Schießstand auszugleichen.

„Erstes Paar, los!“, rief Marc laut. 

Stella drehte sich um. Der Weg machte eine Linkskurve, sodass das einzige Hindernis, das sie sehen konnte, eine Holzleiter war. Sie sah, wie die ersten Auszubildenden, beide Männer, die hohen Leitern hinaufkletterten, über die Spitze und wieder hinunter. Sie schafften es erstaunlich schnell, und dann verschwanden sie aus dem Blickfeld.

„Nächstes Paar.“

Stella spürte, wie die Schmetterlinge in ihrem Bauch zu flattern begannen, als die Paare heruntergezählt wurden. Vor ihr hüpfte Carrie von einem Fuß auf den anderen und schwang ihre Arme, um sich für die anstehende Herausforderung aufzuwärmen.

 „Nächstes Paar!“ Marcs Rufe durchbrachen die Stille. Diesmal war Carrie an der Reihe. Sie und ihre Partnerin eilten los und ließen Stella als Letzte in ihrer Reihe zurück. Sie sah zu, wie Carrie geschmeidig die Leiter hinaufkletterte, geschickt über die oberste Sprosse sprang und sich wieder hinunter hangelte.

„Das letzte Paar!“

Sie rannte los, sprintete auf die Leiter zu. Die hölzernen Sprossen fühlten sich in ihrem nervösen Griff kalt und glitschig an. Sie kletterte so schnell sie konnte. Zu schnell, um genau zu sein. Ihr Fuß rutschte von der Sprosse ab, und sie suchte nach Halt, weil sie Angst hatte, wieder hinunterzufallen, während Marc ihr zusah.

Das tat sie nicht. Sie kam wieder auf die Beine und erreichte den Gipfel. Es fühlte sich schwindelerregend hoch an, und ihre Arme schmerzten bereits. Ungeschickt kletterte sie über die Spitze und hinunter und betete, dass sie nicht wieder ausrutschen würde.

Als sie um die Ecke bog, stellte sie fest, dass sie bereits hinter dem blonden Mann war, der zur gleichen Zeit, wie sie losgegangen war. Das bedeutete, dass sie als Letzte zurückkehren würde. Na ja, das war besser als die Demütigung, überholt zu werden, dachte Stella, und starrte auf das nächste Hindernis, ein hohes Netz, das zwischen zwei stabilen Holzstangen hing. Es wackelte und schwankte, als sie sich an das grobe Seil klammerte, um sich nach oben zu ziehen und über die erschreckend instabile Konstruktion zu klettern.

So schnell sie konnte, umrundete Stella die nächste Kurve und überquerte ein Trio breiter Gräben, gefolgt von einem verknoteten Seil, das bis zu der roten Fahne hoch oben geklettert werden musste.

Als sie merkte, dass ihre Arme sie fast im Stich ließen, kämpfte sie mit ihren Beinen und stemmte sich mit den Füßen gegen die Knoten, frustriert darüber, dass das Schwingen des Seils ihre Versuche, Halt zu finden, torpedierte. 

Dann, hinter der nächsten Kurve, kam ihr schlimmster Alptraum. Eine Reihe von Ringen hing an einem Balken hoch über dem Boden. Es gab einen zusätzlichen Anreiz, die Strecke erfolgreich zu bewältigen, weil der Balken über einem tiefen, schlammigen Graben lag.

Zähneknirschend sprang Stella nach dem ersten Ring, umklammerte ihn mit beiden Händen. Die Muskeln ihrer Arme brannten vor Anstrengung. Sie schwang hin und her, die Distanz zu verringern, und wagte es dann, mit einer Hand loszulassen und verzweifelt nach dem nächsten Ring zu greifen. 

Und sie schaffte es! Hartnäckig wiederholte Stella den Vorgang. Wieder war sie erfolgreich, und vom dritten Ring kämpfte sie sich zum vierten vor.

Doch als sie sich auf den fünften Ring vorbereitete, wurde ihr etwas Schreckliches klar.

Der sechste Ring – der vorletzte in der Reihe – war nicht erreichbar. Er lag in einer Schlaufe über dem Balken. Und es war schlicht und einfach nicht möglich, von Ring fünf zu sieben zu gelangen, ohne in den Graben zu fallen.

Oh nein, dachte Stella. Was für eine Katastrophe. Wie hatten die anderen das geschafft? Da noch keiner von ihnen zurück war, als sie losgegangen war, konnte sie es nicht wissen. Wahrscheinlich waren sie alle in den Graben gestürzt, aber nicht alle lagen in der Zeit so weit hinten wie Stella. 

Sie vermutete, dass sie schneller als ihr lieb war herausfinden würde, wo der Waschsalon war. Sie bereitete sich mental auf den Sturz vor, ließ los und fiel in den schlammigen Graben. Der Dreck bedeckte ihre Arme und Beine und bespritzte ihr Gesicht. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, die glitschigen Ränder hinaufzuklettern.

Als sie zurückkam, wurde sie von dem verschwitzten und schmutzigen Team, das am Ziel wartete, mit abfälligem Gekicher bedacht.

Stella erwartete, dass auch sie mit Schlamm bedeckt sein würden. Aber das war bei keinem von ihnen der Fall. Sie fragte sich, wie die anderen den Sturz hatten vermeiden können und fühlte sich bloßgestellt.

„Hatten Sie Probleme mit den Ringen?“, fragte Marc. „Ich fürchte, Sie haben die Zeit überzogen. Zehn Sekunden zu langsam. Damit sind Sie durchgefallen. Alle anderen haben bestanden.“

„Ja, es gab ein Problem mit den Ringen“, sagte Stella und wollte die Situation erklären.

„Das ist nicht zu übersehen, Fall“, scherzte Marc, und alle anderen brachen in lautes Gelächter aus.

Stella bemerkte, wie Carrie triumphierend grinste. Sie brüllte vor Lachen und fasste sich an ihren flachen, straffen Bauch. 

Erst dann wurde es ihr klar.

Carrie hatte den Kurs sabotiert. Stella war hinter ihr geklettert, die letzte, die die linke Route absolviert hatte. Carrie musste sich an den letzten Ring gehängt, umgedreht und den vorherigen Ring über die oberste Stange geworfen haben, weil sie wusste, dass Stella das nicht schaffen würde.

Wie konnte jemand so etwas tun? Stella konnte nicht glauben, wie rachsüchtig diese Aktion war. Und die Sabotage war erfolgreicher, als Carrie es sich je erträumt hätte, denn sie hatte sie die wenigen kostbaren Sekunden gekostet, die den Unterschied zwischen bestanden und nicht bestanden ausmachten.

Ihre Zukunft hier war in Gefahr. Noch ein Fehltritt und sie würde aus dem Programm geworfen werden. 

Vielleicht würde sie es am Ende sowieso nicht schaffen. All ihre Ängste kamen wieder hoch. Sie war hoffnungslos, wurde von den anderen gehasst und würde nie gut genug sein. 

Aber obwohl der Mut sie völlig verlassen hatte, entdeckte sie in diesem Moment ein Feuer in sich, eine innere Stärke, von der sie nicht wusste, dass sie sie besaß.

Was machte es schon, dass sie langsam war und sich vor all ihren Mitschülern blamiert hatte? Sie konnte Muskeln aufbauen und mehr Zeit in der Turnhalle verbringen. Ganz egal, wenn die anderen ihr das Leben schwer machen wollten. Sie war nicht hier, um sich Freunde zu machen. Zudem war der beste Weg, eine Freundschaft zu gewinnen, zu zeigen, dass sie Respekt verdiente und den Mut hatte, es noch einmal zu versuchen.

KAPITEL ZWEI

Vier Monate später.

Cara Garcia eilte die Straße entlang. Sie war aus Versehen eine Haltestelle zu früh ausgestiegen, denn das letzte Mal, als sie zu ihrem Vorstellungsgespräch gekommen war, war sie vom Büro der Agentur aus gefahren. Das war in Fairfield gewesen, einer der schönsten Städte, die Cara je gesehen hatte. Sie liebte die charakteristische Architektur Neuenglands, die steilen Dächer und massiven Schornsteine, die die Kolonialgeschichte der Gegend widerspiegelten. Sie schätzte die farbenfrohen Fassaden der Geschäfte und Restaurants und die Sauberkeit der Stadt. Und die wunderschönen Bäume, die in satten Herbstfarben leuchteten.

  Diesmal war sie von ihrer Wohnung aus losgefahren, die eine Stunde entfernt und in einer ganz anderen Gegend lag. Die letzten zehn Minuten waren zweifellos der angenehmste Teil der Reise, denn der Spaziergang führte sie entlang einer Straße, die ans Meer grenzte. Mit Blick auf den goldenen Strand und die azurblauen Wellen und der kühlen Brise auf ihrem Gesicht war Cara zuversichtlich, dass ihr neuer Job gut anlaufen würde. 

Fairfield war ein angesehenes Arbeitsgebiet, und ihre neuen Arbeitgeber waren wohlhabende Leute. Dies war ihre Chance, sich mit einem angemessener bezahlten Job zu verbessern, auch wenn die Anfahrt lang war und die Arbeit selbst sehr anstrengend sein würde.

Der Ehemann, Mr. Logan, schien ein freundlicher Mensch zu sein. Sie hatte ihn bei dem kurzen Vorstellungsgespräch letzte Woche sofort gemocht. Er war freundlich und fair gewesen. Aber sie hatte seine Frau noch nicht kennengelernt, und das würde ihre größte Herausforderung sein. Wenn seine Frau mit ihr auskam, würde während ihrer zweiwöchigen Probezeit alles gut gehen. Wenn die Frau sie nicht mochte, würde die Probezeit nicht erfolgreich verlaufen und sie würde vielleicht nicht lange in diesem großen, schönen Haus arbeiten.

Mit einem Anflug von Nervosität hoffte Cara, dass sie mit der Dame des Hauses auskommen würde. Von ihren Freundinnen hatte sie schlimme Geschichten darüber gehört, was passieren konnte, wenn ein neues Hausmädchen mit der Ehefrau aneinandergeriet. Eine Person, die sie kannte, war gleich am ersten Tag gefeuert worden, weil sie einen kleinen Fehler gemacht hatte.

Sie bog auf die kurvenreiche Straße Richtung Landesinnere ein und sah noch einmal auf die Uhr. Sie sollte um halb acht anfangen, und es war bereits zwanzig nach sieben. Cara fing an zu joggen und überprüfte die Karte auf ihrem Telefon, als sie die Ecke vor ihr erreichte.

Hier war das Haus, das Dritte an der Ecke, gegenüber einem Park.

Mr. Logan hatte seine Anweisungen mit einem Lächeln gegeben. „Klopfen Sie an die Tür und stellen Sie sich meiner Frau vor. Sie wird Ihnen zeigen, was Sie zu tun haben und Ihnen einen Schlüssel geben, mit dem Sie sich das nächste Mal selbst einlassen können.“

Atemlos stand Cara vor der Tür und nahm sich einen Moment Zeit, um ihr Haar zu richten und ihre Bluse zurecht zu ziehen. Der erste Eindruck zählte. Sie wollte unbedingt, dass Mrs. Logan sie mochte. Dies war ein unglaublich wichtiger Moment.

Sie hob den Messingklopfer an, klopfte dreimal, wartete und lauschte.

Von innen kam keine Antwort, und Cara spürte, wie sich ihr Magen verkrampfte. Schon jetzt liefen die Dinge nicht wie geplant. Was war los?

Ein Blick auf ihre Uhr zeigte ihr, dass sie fünf Minuten zu früh dran war. Vielleicht war Mrs. Logan noch nicht aus dem Fitnessstudio oder vom Einkaufen zurück. Obwohl sie annahm, dass die Tür verschlossen war, versuchte sie es trotzdem. Zu ihrer Überraschung schwang die Tür sanft auf. Sie sah sich wieder mit dem großen, majestätischen Haus konfrontiert, das leicht nach frischer Farbe roch, dessen Holzböden glänzten und dessen Möbel brandneu und blitzsauber waren.

„Guten Morgen?“, rief sie.

Eine Gänsehaut bildete sich auf ihren Armen. Es war ein seltsames Gefühl an diesem Ort. Die Stille fühlte sich bedrückend an. Warum war die Tür offen gewesen, wenn keine Menschenseele in der Nähe war? Wenn man oben im Schlafzimmer oder im Bad war, würde man doch sicher die Haustür abschließen?

War Mrs. Logan nur schnell hinausgegangen? Vielleicht war sie nach nebenan oder in den Garten gegangen? Sie wartete noch eine Minute, aber die Stille hielt an, und sie wusste nicht, was sie tun sollte. 

Cara war schon öfter in Häusern gewesen, in denen Einbrüche und Verbrechen stattgefunden hatten. Dieses Haus gab ihr das gleiche Kribbeln, obwohl auf den ersten Blick alles in Ordnung schien.

Oder doch nicht?

Ja, da war etwas. Sie konnte es jetzt sehen.

Ihr Blick wurde von einem der Bilder an der Wand am Fuß der Treppe angezogen. Es war verrutscht, als hätte es jemand auf dem Weg nach unten gestreift. Oder vielleicht auf dem Weg nach oben, dachte Cara voll Unbehagen.

Sie sollte überprüfen, ob alles in Ordnung war.

„Mrs. Logan?“, rief sie laut.

Niemand hätte an diesem Bild vorbeigehen können, ohne es wieder gerade aufzuhängen. Niemand! Warum also hing es schief?

Ihr Herz klopfte vor Angst, als Cara eintrat und die Tür hinter sich schloss. Sie stellte ihre Handtasche unter dem Tisch im Flur ab und ging dann zur Treppe. Als sie das Bild erreichte – die gerahmte Strichzeichnung eines Baumes – rückte sie es vorsichtig gerade.

Sie war vorher noch nie auf der Treppe gewesen. Als sie sie also hinaufging, fühlte sich Cara wie ein Eindringling, jemand, der unerlaubt in private Räume eindringt. Oben angekommen, zögerte sie erneut und sah sich um. Links und rechts gab es geschlossene Türen, aber aufgrund ihrer früheren Erfahrungen in einem ähnlichen Haus vermutete sie, dass das Hauptschlafzimmer geradeaus, am Ende des Flurs, liegen würde. Diese Tür stand einen Spalt offen.

Etwas roch hier oben seltsam. Die frischen Aromen, die sie unten wahrgenommen hatte, wurden von etwas anderem überlagert, einer subtilen, aber unangenehmen Färbung in der Luft.

„Guten Morgen“, rief sie in dem fröhlichsten Ton, den sie aufbringen konnte, als sie sich der Tür näherte. Inzwischen schrien alle ihre Instinkte in ihr laut auf, aber sie hoffte immer noch, dass durch ein Wunder alles in Ordnung sein würde, dass Mrs. Logan im Badezimmer gewesen war und sie herzlich begrüßen würde.

Keine Antwort. Nur noch mehr widerhallende Stille. Und als sie die Tür erreichte, war der Geruch stärker – ein dicker, metallischer Geruch lag in der Luft.

Cara, die sich jetzt wirklich Sorgen machte, nahm ihren Mut zusammen und stieß die Tür auf.

Und als sie die blutige Szene vor ihrem entsetzten Blick endlich erfasste, schrie sie im Schock lauthals, immer und immer wieder.

KAPITEL DREI

Auf dem Weg nach draußen zum Hindernisparcours konnte Stella nicht glauben, wie weit sie in kurzer Zeit gekommen war. Vier Monate nach ihrer Ankunft in Quantico als neue Agentin in Ausbildung hatte sie sich verändert, ebenso wie ihre Umgebung. Als sie ankam, war die Landschaft noch frühsommerlich grün gewesen. Jetzt war es Anfang Oktober. Einige Bäume waren rot und golden, andere waren kahl, und der Himmel war wolkenverhangen und grau.

Sie hatte gerade die letzten schriftlichen Prüfungen ihres Lehrplans absolviert, und gestern hatten sie und ihr Team die berüchtigte „Pfefferspray“-Prüfung bestanden. Ihre Augen brannten noch immer von der Erinnerung daran, dass ihr Pfefferspray ins Gesicht gesprüht worden war und sie dann ihre tränenden Augen öffnen und sich gegen den Ausbilder wehren musste, der versuchte, ihre Pistole aus dem Holster zu ziehen.

Jetzt, wo sie die endgültige Strecke überblickte, fühlte Stella nur noch ruhiges Selbstvertrauen. Ihre Arme waren stark, immer noch schlank, aber mit einer drahtigen Kraft, die es ihr erlaubte, zehn saubere Klimmzüge hintereinander zu machen. Auch zwanzig, wenn es sein musste.

Sie war sich sicher, dass sie dieses Mal das Zeitlimit an den hängenden Ringen, den drei hohen Netzen und dem wackeligen Baumstamm schaffen würde. Und den Sprint auf Zeit von einem weiß gestrichenen Ast zu einem hundert Meter entfernten anderen.

Aber war sie wirklich bereit? Gab es nicht vielleicht doch etwas, das schiefgehen konnte?

Einer plötzlichen Eingebung folgend bückte sich Stella und überprüfte ihre Sportschuhe. Mit ihren bequemen, griffigen Sohlen und dem weichen Lederoberteil passten sie ihr wie eine zweite Haut und hatten die ganzen Ausbildungsmonate über gehalten. Bis auf das eine Mal, als sie einen Schuh auf halbem Weg durch die zweite ihrer drei gestaffelten physischen Prüfungen fast verloren hatte. Der Schnürsenkel ihres rechten Stiefels war gerissen, was sie sehr seltsam fand, da sie noch neu und von guter Qualität waren. Trotzdem schaffte sie es, den Test mit wenigen Sekunden Vorsprung zu beenden und eine gute Note zu bekommen.

Plötzlich misstrauisch geworden, untersuchte Stella die Schnürsenkel erneut.

Ihre Augenbrauen schossen in die Höhe, als sie feststellte, dass der Schnürsenkel des linken Stiefels fast ganz durchgeschnitten war. Wenn sie zu rennen begonnen hätte, wäre er zweifellos gerissen.

Das hätte sie ihre gesamte Prüfung und eine gute Gesamtnote kosten können.

Wütend wurde Stella klar, dass dies Carries Werk sein musste. 

Sie war wild entschlossen, die einzige Frau zu sein, die den Jahrgang erfolgreich abschloss. Seit Stellas Auftauchen im Wohnheim Carries Selbstgefälligkeit zerstört hatte, gab sie alles, ihr das Leben zur Hölle zu machen. Stella hatte schnell gemerkt, dass ihr Verhalten von ihrem Ego getrieben war. Frauen waren in dem Programm viel seltener, und Carrie war anfangs davon ausgegangen, dass sie als einzige Frau in ihrer Gruppe eines der schwierigsten Trainingsprogramme für Polizeibeamte absolvieren würde. 

Leider hatte sich Stella während des gesamten Programms nicht nur als die bessere Schützin, sondern auch als die stärkere Akademikerin erwiesen. Obwohl Stella sich in den letzten Monaten mit den anderen Auszubildenden angefreundet hatte, hatte Carrie sich geweigert, nachzugeben. Monat für Monat hatte sie miterlebt, wie Carries Frustration und ihre extrem wettbewerbsorientierte Art in Gemeinheiten und Sabotageakte ausarteten.

Carrie verhöhnte Stella ständig mit abfälligen Kommentaren und Sticheleien. Einmal hatte sie Stella vor einer Strafrechtsprüfung ihre Notizen aus der Tasche gestohlen. Und als sie während einer Banküberfallübung in dem berüchtigten Rollenspielbereich der Akademie, der als Hogan’s Alley bekannt war, zusammenarbeiten mussten, hatte Carrie es versäumt, Stella vor einem sich nähernden Kriminellen hinter ihr zu warnen. Das hatte Stella einen Verweis wegen Unachtsamkeit eingebracht, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt einen anderen Flüchtigen verfolgte und Carrie gebeten hatte, ihr den Rücken zu decken.

Und nun gab es den zweiten Schnürsenkel-Vorfall, der wieder einmal dafür sorgen sollte, dass Stella einen physischen Test, den sie für ihren Abschluss bestehen musste, nicht bestehen würde.

Stella brachte ihre Wut unter Kontrolle und versuchte, ruhig zu bleiben, während sie die Schwere des Problems abschätzte. Sie stellte schnell fest, dass sie den gerissenen Schnürsenkel aufreißen und einen Knoten machen konnte. Das war zwar nicht ideal, aber wenigstens würde sie den Schuh nicht verlieren.

Schnell erledigte sie die Notreparatur.

„Sind die Schuhe in Ordnung?“, fragte Brian, ihr Partner, neckisch, und Stella lächelte zurück, denn sie fühlte sich besser, nachdem das erledigt war. Der blonde Mann, der zur gleichen Zeit wie sie beim ersten Hindernislauf gestartet war und ebenfalls mit seiner eigenen körperlichen Fitness zu kämpfen hatte, war nach seinem anfänglichen Misstrauen ihr gegenüber zu einem Freund geworden. Sie respektierte ihn, und sie hoffte, dass dies auf Gegenseitigkeit beruhte. 

„Jetzt ist alles gut, ja“, sagte sie.

Und dann hörte sie eine spöttische Stimme hinter sich. „Wirklich? Ich glaube nicht, dass du gut bist. Du siehst überhaupt nicht gut vorbereitet aus.“

Stella drehte sich um und ihre Wut flammte erneut auf, als sie Carrie sah, die sie hochmütig anlächelte. „Du wirst durchfallen“, fügte Carrie hinzu.

Brian drehte sich ebenfalls um und wirkte verärgert über Carries Worte. Ein paar andere murmelten überrascht über die Bemerkung. Stella spürte einen Anflug von Wut. 

„Was meinst du damit?“, fragte sie höflich. Es war noch eine Woche bis zur Abschlussfeier! Warum konnte Carrie es nicht dabei belassen? Warum musste sie ständig mit Beleidigungen um sich werfen?

Ihre kleine Gruppe war nun die einzige, die noch übrig war, und Stella konnte es kaum erwarten, dass ihre Runden auf Zeit begannen. Hoffentlich konnte sie bald loslaufen, sich auf den Lauf  konzentrieren und dem endlosen Spott entkommen.

„Nun, dein erstes Mal auf dem Hindernisparcours ist nicht besonders gut gelaufen. Es hat sogar gezeigt, dass du die Schlechteste in der Klasse bist“, sagte Carrie und breitete ihre Hände aus, als wolle sie sagen: ‚Ach, was soll’s‘. „Ich habe das Gefühl, dass es dir heute genauso ergehen wird und du vielleicht nicht mal eine gute Note bekommst. Nenn es Instinkt.“

Wut loderte in Stella auf. Genug war genug. Sie sollten ein Team sein. Beim FBI ging es um Teamarbeit. Nicht darum, Spaltungen zu verursachen und zu versuchen, die Runden anderer zu ruinieren. Sie war nicht bereit, das noch länger hinzunehmen. Nicht für einen weiteren Moment.

„Leider hast du Pech gehabt. Ich habe nämlich bemerkt, dass du meinen Schnürsenkel fast ganz durchgeschnitten hast, und ich habe ihn repariert. Schade, dass ich ihn beim letzten Mal nicht überprüft habe, aber wenigstens habe ich es dieses Mal getan.“

Nun war es Carrie, die wütend wirkte. Stella ließ ihren ganzen Unmut heraus und fuhr fort. „Und was unseren ersten Test angeht, wäre ich vielleicht nicht letzte geworden, wenn die Person, die vor mir dran war, den Kurs nicht absichtlich sabotiert hätte. Und sie hat es nie zugegeben. Das entspricht nicht gerade den Grundsätzen des FBI für Offenheit und Integrität“, schoss Stella zurück.

„Was?“ Carrie sah sie empört an. „Beschuldigst du mich etwa, das getan zu haben? Du nennst mich also eine Lügnerin?“

„Ich nenne dich gar nichts“, sagte Stella ruhig. „Deine Taten sprechen für sich, nicht wahr?“

Knurrend vor Wut ballte Carrie ihre Hände zu Fäusten.

Entsetzt stellte Stella fest, dass sie tatsächlich im Begriff war, eine körperliche Auseinandersetzung zu beginnen. Das war an der Akademie verboten, und das zu Recht. Was Carrie vorhatte, konnte dazu führen, dass sie beide von der Schule verwiesen wurden.

Es gab nur einen Ausweg aus dieser Situation. Stella musste zuerst handeln. Genau wie sie es in ihrer Ausbildung gelernt hatte, musste sie sich aktiv verteidigen und die Bedrohung neutralisieren.

Sie handelte so schnell sie konnte und tat das, was sie schon seit ihrem Eintritt in die Akademie tun wollte, bevor sie das Muskelgedächtnis oder das Wissen hatte, es effektiv zu tun.

Sie zog ihre rechte Hand zurück und schlug Carrie so fest sie konnte in den Solarplexus.

Carrie stockte der Atem.

Als sie nach Luft schnappte, packte Stella sie an der Schulter und trat ihr die Beine weg, sodass sie mit dem Rücken auf dem schlammigen Boden lag.

„Neutralisiert, denke ich“, sagte Stella und klang zufrieden.

Carrie öffnete und schloss ihren Mund wie ein Fisch auf dem Trockenen, unfähig, etwas zu sagen. Wie erfrischend, dachte Stella und gönnte sich einen Moment, um die Rache zu genießen, die sie endlich hatte nehmen können.

Dann lief sie nach vorne, um ihren Platz am Startpunkt einzunehmen.

„Nächstes Paar!“ Marcs Stimme war laut und durchbrach die Spannung des Augenblicks. Stella sprintete davon. Ihre Hand pochte von der Wucht des Schlags, aber der Sieg beflügelte sie. Carrie hatte bekommen, was sie verdient hatte, worauf sie es mit ihrer Zickigkeit angelegt hatte. Und jetzt würde Stella es auf dem Kurs allen zeigen.

Erst als sie losgerannt war, wurde ihr die wahre Idiotie ihres Handelns bewusst. Carrie hatte ihr eine Falle gestellt, und Stella war in einem hitzigen Moment direkt hineingelaufen. 

Sie hatte in Selbstverteidigung gehandelt, bevor Carrie überhaupt ihre Arme erhoben hatte, und das bedeutete, dass Carrie behaupten konnte, Stella habe sie angegriffen. Ein vorsätzlicher Angriff auf eine Mitschülerin war ein noch schwerwiegenderes Vergehen als eine körperliche Auseinandersetzung und konnte zweifellos dazu führen, dass sie von der Akademie fliegen würde. 

KAPITEL VIER

Atemlos und erschöpft nutzte Stella die letzte verbleibende Kraft in ihren Beinen, um die Ziellinie zu überqueren, bevor sie zu einem Baum taumelte. Sie lehnte sich mit zitternden Armen dagegen und schnappte nach Luft. 

In einer weiteren Minute würde Carrie das Ziel überschreiten. Wenn sie das tat, beschloss Stella, direkt zu ihr hinüberzugehen und sich zu entschuldigen. Obwohl sie von der großen Brünetten in die Falle gelockt worden war, war der Schlag inakzeptabel gewesen. Ihre Vorgesetzten würden glauben, dass es sich um einen Kontrollverlust handelte, obwohl sie sich völlig unter Kontrolle gefühlt hatte und es ihrer Ansicht nach die einzig vernünftige Maßnahme war, um einen möglichen Angriff zu entschärfen.

Stella holte tief Luft und wollte sich gerade entschuldigen, als ihr auf die Schulter getippt wurde.

Sie richtete sich auf, löste ihren Griff um die raue Rinde und fühlte ein schlechtes Gewissen, weil Marc gesehen hatte, was passiert war. 

Es war aber nicht Marc. Die Person, die dort stand und sie mit einem strengen Blick ansah, war Thom, einer der ranghöchsten Ausbilder der Akademie.

Stellas Herz sank. 

„Sir“, begrüßte sie ihn, wobei sie versuchte, weder atemlos noch besorgt zu klingen. Ihr war bewusst, dass ihr wahrscheinlich beides nicht gelang.

„Ms. Fall. Sie werden im Büro des Direktors erwartet. Und zwar sofort.“

Das war es. Jemand hatte gesehen, was sie getan hatte, und sie angezeigt. Sie hatte großen Mist gebaut und würde nun die Konsequenzen für ihr dummes, rücksichtsloses Handeln tragen.

Voller Panik überlegte Stella, ob sie auf der Stelle eine Entschuldigung stammeln sollte, entschied sich aber dagegen. So arbeitete das FBI nicht. Es gab keine Ausreden in letzter Minute und keine zweiten Chancen für schwere Fehlentscheidungen. Sie hatte ihre Entscheidung getroffen, und jetzt würde sie die Konsequenzen tragen müssen, was auch immer auf sie zukommen würde.

Sie stellte fest, wie schlammverschmiert und verschwitzt sie aussah und erschrak.

„Meinen Sie sofort, Sir?“, fragte sie. „Oder darf ich mich erst umziehen?“

„Sie müssen sich umziehen, aber schnell“, mahnte Thom.

Das war mehr als schlimm. Mit ihrer Idiotie hatte sie alles aufs Spiel gesetzt. All die Monate der Ausbildung waren umsonst gewesen. 

Sie eilte zurück zu den Schlafsälen, die zu dieser Tageszeit alle leer waren. Schnell und nervös duschte sie, bürstete ihr Haar und zog sich eine frische Hose und ein sauberes T-Shirt an. Sie schnappte sich auch ihre schicke FBI-Jacke. Wenn man ihr sagte, sie solle sich umziehen, konnte es sein, dass man sie sofort feuern würde. Wenigstens hatte sie so etwas Warmes zum Anziehen.

Als sie das Gebäude betrat und dem Weg zu den Büros des Direktors folgte, bereitete sie in Gedanken sich darauf vor, ihre Strafe auf sich zu nehmen. Sie wusste, dass dies vielleicht das letzte Mal war, dass sie diesen gläsernen Korridor entlangging.

Auf bleiernen Füßen ging sie auf die Holztür zu.

Die Tür stand einen Spalt offen. Stella klopfte, wartete, stieß sie auf und betrat den kleinen Empfangsraum. Die Möbel waren auf Hochglanz poliert, und an den Wänden hingen gerahmte Fotos und Erinnerungsstücke sowie einige offizielle Aushänge.

Der Raum war leer, was sie nicht erwartet hatte. Hier arbeitete normalerweise der Assistent des Direktors, aber er saß nicht hinter dem Schreibtisch. Stattdessen hörte sie Stimmen aus dem Hauptbüro dahinter.

Sie waren wohl dort versammelt und besprachen gerade ihr Schicksal.

Sollte sie warten oder an der inneren Bürotür klopfen? Die Praktikanten durften normalerweise nicht diese heiligen Hallen betreten, sondern wurden im Empfangsraum abgefertigt. Sie zögerte, spürte, wie die Nervosität in ihr wuchs, weil sie nicht wusste, welche Entscheidung die richtige war. 

Während sie noch zögerte, wurden die Stimmen hinter der anderen Tür lauter und dann öffnete sie sich.

„Danke! Bis bald“, rief eine fröhliche Stimme.

Stella hatte erwartet, dass die Assistentin ihr entgegenkommen würde, aber zu ihrem Schock sah sie jemanden, mit dem sie nicht gerechnet hatte, hier zu sein. Clem drehte sich zu ihr um und sein Gesicht verzog sich zu einem Grinsen, als er sie sah.

Ihr blieb vor Überraschung der Mund offen stehen. Was in aller Welt machte er hier?

Clem war Stellas Mentor während ihres Studiums an der Universität von Chicago gewesen und ein inzwischen ein enger Freund geworden. Der große, schlaksige, grauhaarige Mann, der vor zehn Jahren nach einer brillanten Karriere als FBI-Spezialagent und Profiler in den Ruhestand gegangen war, hatte ein gutes Wort für sie eingelegt, ihre Masterarbeit über die Mentalität von Serienmördern betreut und dafür gesorgt, dass sie an der Akademie angenommen wurde.

Hatte er sie rufen lassen? Stellas Kopf drehte sich vor Verwirrung.

Clem schritt auf sie zu und ergriff ihre Hand zu einem festen Gruß. 

„Stella. Schön, dich zu sehen. Ich habe gehört, du hast dich gut geschlagen. Akademisch gehörst du zu den besten fünf Prozent, körperlich zu den besten fünfundzwanzig Prozent. Deine Schießkünste sind außergewöhnlich. Ich gratuliere dir.“

Stella blinzelte. „Danke“, sagte sie und fand nach einer verblüfften Pause auch ihre Manieren wieder. Clem war nicht nur hierhergekommen, um sie für ihre Noten zu loben. Worum ging es hier, und warum wurde sie nicht direkt zu einer Disziplinaranhörung eingeladen?

„Komm mit mir.“

„Mit dir mitkommen? Wohin?“

So verwirrt sie auch war, es hörte sich nicht so an, als würde sie gleich von der Schule verwiesen werden. Es muss also etwas anderes im Gange sein.

„Ich brauche deine Hilfe“, sagte er und klang dabei so ernst, wie sie ihn noch nie gehört hatte. 

„Ja, sicher. Wie kann ich helfen?“, fragte Stella, die nicht wusste, was sie sonst sagen sollte.

„Folge mir. Wir verlassen den Campus.“

Clem drehte sich um und ging zügig zur Ausgangstür des Gebäudes, ging aber nicht, wie sie erwartet hatte, in Richtung des Parkplatzes. Stattdessen nahm er den Weg, der zum Hubschrauberlandeplatz führte.