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Eine Geschichte zwischen Orient und Okzident. Im Jahr 1378, als die türkische Armee vorrückt, soll in einem kleinen Dorf Albaniens eine Brücke über die ›Bösen Wasser‹ gebaut werden. Zwischen Gegnern und Befürwortern entbrennt ein erbitterter Kampf, der ein Menschenopfer fordert. Eine alte Frau nennt die Brücke das Rückgrat des Teufels. Eine prophetische Metapher, denn als erstes ziehen die Soldaten des osmanischen Reiches über die Brücke nach Europa ein.
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Seitenzahl: 192
Veröffentlichungsjahr: 2024
Ismail Kadare
Roman
Im Jahr 1378, als die türkische Armee vorrückt, soll in einem kleinen Dorf Albaniens eine Brücke über die "Bösen Wasser" gebaut werden. Eine alte Frau nennt die Brücke das Rückgrat des Teufels. Eine prophetische Metapher, denn als Erstes ziehen die Soldaten des osmanischen Reiches über die Brücke nach Europa ein. Eine Geschichte zwischen Orient und Okzident.
»Ein mittelalterlicher Wirtschaftskrimi, glänzend geschrieben, spannend zu lesen.« Frankfurter Allgemeine Zeitung
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de
Ismail Kadare, Albaniens berühmtester Autor, wurde 1936 im südalbanischen Gjirokastra geboren. Er studierte Literaturwissenschaften in Tirana und Moskau. Seine Werke wurden in vierzig Sprachen übersetzt, er gilt seit Jahren als Anwärter auf den Literaturnobelpreis. 2005 erhielt Kadare den Man Booker International Prize. 2015 wurde er mit dem Jerusalem Prize ausgezeichnet. Er ist Mitglied der französischen Ehrenlegion und lebt heute in Tirana und Paris.
[Motto]
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So wie ich bebe in dem Stein, soll stets auch die Brücke am Beben sein.
Ballade vom Eingemauerten
Ich, Gjon der Mönch, des Gjorg Ukcama Sohn, alldieweil in unser Sprach noch kein Schrifften seyn von der Brucken, so das Bös Wasser überdecket, wiewohl darum allerley unsinnig Gerycht und falsche Mährlein erzelet wern, beschloß nun, da sie fertig dasteht und gar schon zweimal Blut auf sie gespritzt ist, am Fuß und an der höchsten Stelle, alles, was sich begeben hat, für die Nachwelt aufzuschreiben.
Am vergangenen Sonntag, spät in der Nacht, ich war noch einmal hinausgegangen, um auf der Kiesbank am Ufer einen Spaziergang zu machen, sah ich den blöden Gjelosh von den Ukmarkaj über die Brücke gehen. Er kicherte vor sich hin, zog Grimassen und verrenkte die Arme zu den wildesten Gebärden. Die Schatten, die seine Glieder warfen, taumelten über den Rumpf der Brücke und krochen dann die Pfeiler hinab bis auf das Wasser. Ich fragte mich, welche Nachwirkungen die Ereignisse der letzten Zeit wohl in seinem verwirrten Gehirn hinterlassen haben mochten, und es kam mir ganz verfehlt vor, daß die Leute lachten, wenn sie ihn über die Brücke gehen sahen, stammelnd und mit den Händen fuchtelnd, weil er glaubte, auf einem Pferd zu sitzen. Was die Leute über diese Brücke wissen, ist in Wirklichkeit nicht minder konfus als das, was sein kranker Geist sich ausdenkt.
Damit man endlich aufhöre, in den elf Sprachen, die es auf unserer Halbinsel gibt, alle möglichen Märchen und Halbwahrheiten zu verbreiten, will ich mich um Ehrlichkeit bemühen, das heißt, ich werde aufschreiben, was offenkundig Blendwerk war, und auch die Wahrheit, die man nicht erkannte. Von dem, was alltäglich geschah, werde ich berichten, auch wenn es so gewöhnlich war wie die Steine auf dem Feld, und von den Heimsuchungen, von denen es etwa so viele gab, wie die Brücke Bögen hat.
Karawanen und wandernde Hirten streuen heute überall auf dem weiten Balkan die Mär von dem Menschenopfer aus, das man am Fuß der Brücke angeblich dargebracht hat. Nur wenige wissen, daß damals nicht die Wassergeister durch ein Opfer gnädig gestimmt werden sollten, sondern daß ein schändliches Verbrechen verübt worden ist, das ich wie alles, was sonst noch geschah, vor unserem Jahrtausend bezeugen will. Ich sage Jahrtausend, denn solche Legenden haben gewöhnlich ein Leben, das länger als tausend Jahre währt. Tod ist um ihr Haupt, und Tod klebt an ihrem Schwanz, und man weiß ja, daß Laute oder Worte, die mit der Hefe des Todes vergoren sind, vor diesem nicht mehr erschauern.
In Eile lege ich diese Chronik nieder, denn wir leben in düsteren Zeiten, und mehr denn je liegt die Zukunft im Finstern. Seitdem die Brücke ihnen soviel Schrecken brachte, haben Menschen und Tage sich wieder ein wenig beruhigt, doch am Horizont zieht neues Unheil auf. Es ist das Türkenreich. Schon werfen seine Minarette ihre Schatten auf uns.
Unselig ist dieser Frieden, ärger als jeder Krieg. Seit Jahrhunderten ist uns die uralte Erde der Griechen benachbart, doch über Nacht, es war wie ein böser Traum, grenzten wir ans Osmanenreich.
Rings um uns her dräut schon ein Wald von Minaretten. Ich ahne, daß sich Arberiens Geschicke bald wenden werden, erst recht nach dem, was im Winter geschah, als auf der just fertiggestellten Brücke schon wieder Blut vergossen wurde. Asiatisches diesmal. Doch von alledem werdet ihr aus meiner Chronik erfahren.
An einem Tag Anfang Märzen im Jahr 1377 wurde am rechten Ufer des Bösen Wassers, kaum fünfzig Schritte von den halb in den Boden eingelassenen, mit eisernen Haken versehenen Baumstämmen, an denen man zur Nacht die Flußfähre festmachte, ein in dieser Gegend gänzlich unbekannter Reisender von der Fallsucht heimgesucht. Später wußte der Fährmann, der alles mit angesehen hatte, zu berichten, daß der zerlumpte Unbekannte, von dem er nicht genau sagen konnte, ob er mehr wie ein Heiliger aussah oder mehr wie ein Narr, erst eine Zeitlang am Ufer umhergeirrt und dann zwischen dem Fährsteg und der Furt, an der man im Sommer über den Fluß ging, mit einem erstickten Aufschrei, als säße ihm eine Klinge in der Kehle, unversehens in den Schlamm gestürzt war.
Obwohl an dieser Stelle Menschen und Tiere mit der Fähre über den Fluß gesetzt wurden, war der Flecken doch alles in allem öde und mit solchen Sensationen unvertraut. Gewiß hatte sich hier schon manches zugetragen, wie überall, wo ein Fluß zu bezwingen ist, und erst recht an diesem wichtigen Knotenpunkt, wo die uralte Straße, die von so weit herkommt, daß man ihren Anfang nicht kennt, auf einmal an das Wasser stößt, welches immer das gleiche ist und nie dasselbe. Doch ein Ereignis wie dieses hat man nicht oft zu vermelden. Wenn die Leute sich versammeln, um auf die Überfahrt zu warten, verhalten sie sich stets gleich: sie schweigen. Bei schlechtem Wetter stehen sie in ihren durchnäßten schwarzen Filzumhängen da und starren stumm in die aufgewühlten braunen Fluten. Die Glocken der Pferde, die sie mit sich führen, klingen leise, desgleichen die Stimmen ihrer Kinder, und beim Anblick der sich nahenden Fähre mit dem krummen Fährmann darauf ist ihnen recht beklommen zumute.
Die Landschaft ringsum ist öd und eintönig: lang zieht sich das flache, teils sandige, teils schlammige, an manchen Stellen mit Schilf bestandene Flußufer hin. Keine Hütte gibt es weit und breit, nicht einmal die Mauern unserer Pfarrei sind von dort aus zu sehen, und zur nächsten Herberge muß man gute tausend Schritte gehen.
An einem der Pfosten, an denen die Fähre nachts angebunden wird, hängt ein eisernes Schild, auf dem in schiefen Lettern geschrieben steht: »Kähne und Fähren«. In den letzten paar Jahren sind diese Tafeln überall aufgetaucht, nicht bloß hier, wo das Wort unseres Großherrn gilt, des Grafen (oder Konti, wie es in unserer Sprache heißt) Stres von Gjika, kurz Stres Gjikondi genannt, sondern auch anderswo, über die Grenzen des Arberreiches hinaus, auf der ganzen Halbinsel. Alles hat im Winter des Jahres 1367 angefangen, vor zehn Jahren demnach, als sämtliche Fähren über Flüsse, Buchten und Seen von einem sonderbaren Menschen aufgekauft wurden, von dem nur Gott weiß, woher er stammt, und dessen Namen keiner kennt, wenn er überhaupt einen anderen Namen besitzt als dieses »Kähne und Fähren«, das inzwischen überall am Wasser wuchert wie eine Pflanze, die auf viel Feuchtigkeit angewiesen ist. Man erzählt sich, daß an dem großen Haus, von dem aus er seine Geschäfte lenkt, ein nämliches Schild angebracht sei, und sogar Urkunden und Eingaben ans Gericht soll er mit diesen Worten unterzeichnen, »Kähne und Fähren«, die ihm gleichsam als Emblem dienen, so wie unser Großherr den weißen Löwen mit der brennenden Fackel im Maul in seinem Wappen führt.
Seit die Fähren sich im Besitz dieses neuen Herrn befinden, stehen auch die Fährleute und Kahnführer in seinem Lohn, von einigen wenigen einmal abgesehen, zu denen der starrsinnige Fährmann vom Stumpfbach gehört, der lieber Hungers gestorben als in den Lohn des verfluchten Hebräers, wie er ihn schalt, getreten wäre. Gleich nach dem Winter des Jahres 1367 tauchte an unserem Ufer ebenfalls ein solches Eisenschild auf, von dem überdies auch noch die Preise für eine Überfahrt abzulesen waren: »Ein Mensch – einen halben Groschen, ein Pferd – einen Groschen.«
In der trockenen Jahreszeit, wenn das Böse Wasser nur noch spärlich floß und seicht wurde, wateten die Leute, um sich die Gebühr zu ersparen, oft zu Fuß auf die andere Seite hinüber, selbst dann, wenn sie schwere Säcke zu tragen hatten. Genarrt vom Fluß, den man nicht ohne Grund das Böse Wasser nennt, gingen freilich nicht wenige von ihnen unter und ertranken. Gedenkkreuze auf beiden Ufern, viele schon dunkel von den Jahren, erinnern an sie. Es heißt, die Herren von »Kähne und Fähren« seien stark darauf bedacht, daß für jeden Ertrunkenen ein Kreuz in die Böschung eingeschlagen wurde, damit die Reisenden stets vor Augen hatten, wozu das Abenteuer führen konnte, den Fluß ohne den Beistand von »Kähne und Fähren« bezwingen zu wollen.
Mit dem Floß hat »Kähne und Fähren« auch den alten Anlegesteg erworben, der uns noch aus römischer Zeit erhalten ist, und durch Schmiede ließ man die verbogenen Eisen soweit richten, daß vor allem im Winter die Taue wieder mühelos daran festgemacht werden können.
Großen Gewinn hat die Fähre nicht nur durch die Beförderung von Mensch und Vieh erbracht, sondern viel mehr noch durch das Übersetzen der Karawanen, die Salz von den reichen Feldern an Arberiens Küste nach Mazedonien bringen, ganz besonders aber der Fuhrwerke, die den byzantinischen Kriegshafen Orikum bei der Stadt Vlora versorgt haben. In einem Vertrag hatte man genau festgelegt, wie die Einnahmen zwischen unserem Großherrn und »Kähne und Fähren« aufzuteilen waren, und tatsächlich hat man deswegen nie auch nur vom kleinsten Streit gehört, was sich auf Gottes schöner Erde wahrhaftig nicht von selbst versteht. Offenkundig hat sich »Kähne und Fähren« stets ordentlich benommen und auf den Groschen genau abgerechnet.
Ein Kreis von Menschen, Fremde und Einheimische, hatte sich um den Fallsüchtigen gebildet. Dieser zuckte und schäumte, man wollte fast meinen, er habe im Sinn, seine Glieder über das Böse Wasser hinüberzuwerfen, den Kopf aber in die entgegengesetzte Richtung. Einer griff nach dem Haupt, um es festzuhalten, wie man üblicherweise verhindert, daß der Hinfällige sich blutig stößt, doch der fast kahle Schädel entglitt ihm immer wieder.
»Dies ist ein Zeichen des Herrn«, sagte einer von denen, die herumstanden, ein schmächtiger Mann, der sich später, als man ihn nach seinem Broterwerb fragte, als herumziehender Wahrsager zu erkennen gab.
»Ein Zeichen für was?« wollte jemand wissen. Des Mannes trüber Blick wanderte zwischen dem zuckenden Unglücklichen und der Wasseroberfläche hin und her.
»Ein Zeichen des Herrn, wahrhaftig«, murmelte er dann. »Im Zittern tauscht er sich aus mit dem Wasser. Gott ist mein Zeuge, sie reden miteinander.«
Die Herumstehenden schauten einander ungläubig an. Drunten auf der Erde schien der vom fallenden Übel Niedergeworfene ein wenig zur Ruhe zu kommen. Jemand hielt ihm nun den Kopf.
»Also, und was soll das Zeichen, deiner Meinung nach, bedeuten?« wurde noch einmal gefragt.
Die glanzlosen Augen des wandernden Wahrsagers waren nun zur Hälfte geschlossen.
»Der Allmächtige will uns durch dieses Zeichen sagen, daß wir hier eine Brücke über das Wasser schlagen sollen.«
»Eine Brücke?«
»Hast du denn nicht gesehen, wie seine Arme sich immer wieder zum Fluß hin krümmten, dieweil sein Leib bebte wie eine Brücke, wenn mehrere Karren zur gleichen Zeit darüberfahren?«
»Brr, wie kalt das heute ist«, stieß jemand hervor.
Der Hinfällige war inzwischen wieder zur Ruhe gekommen. Nur manchmal schnappten seine Glieder nach wie bei einem abgelaufenen Federwerk. Einer hatte sich hinabgebeugt und wischte ihm den Schaum von den Lippen. Sein Blick war hohl und glanzlos.
»Dies ist ein heiliges Leiden«, erklärte der Weissager. »In meiner Gegend nennt man es auch Veitstanz oder Wehtag. Es ist immer ein Zeichen. Manchmal kündet es ein Unglück an, zum Beispiel ein Erdbeben, doch diesmal, Gott sei Dank, hat es Gutes zu bedeuten!«
Eine Brücke … wie sonderbar! Die Leute tuschelten miteinander. Man muß unserem Großherrn Bericht erstatten. Wer ist denn Großherr hierzulande? Graf Stres von Gjika, möge ihm ein langes Leben beschieden sein! Du bist wohl nicht von hier, daß du es nicht weißt. Ja, Bruder, fremd bin ich, wartete auf die Fähre, als dieser Arme hier … Man muß dem Großherrn Bescheid geben. Eine Brücke, hm. Wahrhaftig, das wäre uns nicht eingefallen!
Drei Wochen später wurde ich dringend zum Grafen bestellt. Bis zu seinem großen Haus, das an allen vier Ecken mit Wachtürmen befestigt war, hatte ich nur eine Stunde zu gehen. Als ich anlangte, brachte man mich gleich in den Waffensaal, in dem unser Großherr jene Fürsten und anderen edlen Herren zu empfangen pflegte, die gelegentlich auf der Durchreise vorbeikamen.
Im Saal befanden sich der Graf, einer seiner Schreiber, unser Bischof sowie zwei mir unbekannte Besucher, die enge Röcke trugen, wie sie irgendwo gerade in Mode sein mochten.
Der Graf schien verstimmt. Schlaflosigkeit hatte seine Augen gerötet, und mir fiel ein, daß seine Tochter seit langem krank darniederlag. Wahrscheinlich handelte es sich bei den Unbekannten um Ärzte, die man extra aus dem Ausland herbeigerufen hatte.
»Wir verstehen einander nicht«, sagte der Graf zu mir, als sich die Tür hinter mir geschlossen hatte. »Du verstehst dich, wie ich weiß, auf fremde Sprachen, du kannst uns helfen.«
Die Fremdlinge redeten wahrhaftig ein schreckliches Kauderwelsch. Noch nie war so etwas an mein Ohr gedrungen, alles ging durcheinander wie Kraut und Rüben. Es kostete mich viel Mühe, das Knäuel ein wenig zu entwirren. Die Zahlen waren lateinisch, wie ich bemerkte, ihre Zeitwörter mal griechisch, mal slawisch, Menschen und Dinge benannten sie albanisch und manchmal auch italienisch. Eigenschaftswörter kamen bei ihnen nicht vor.
Allmählich begriff ich, was die beiden wollten. Ihr Herr hatte sie in besonderer Mission zu unserem Großherrn, dem Grafen von Gjika, entsandt. Dort, wo sie herkamen, war ihnen nämlich zu Ohren gekommen, daß der Allmächtige durch ein Zeichen den Bau einer Brücke über das Böse Wasser befohlen hatte, und nun bekundeten sie (oder vielmehr er, ihr Herr) die Bereitschaft, das ganze ins Werk zu setzen, wenn der Herr Graf nur die Güte hatte, ihnen eine entsprechende Genehmigung zu erteilen. In anderen Worten, sie waren willens, innert zweier Jahre eine steinerne Brücke über das Böse Wasser zu schlagen, vorab den Grund zu kaufen, auf dem sie sich erheben sollte, und später aus den für die Nutzung erzielten Einkünften eine jährliche Taxe an unseren Großherrn abzuführen. Wenn der Herr Graf seine Bewilligung erteilt hatte, sollten alle Einzelheiten in einem Vertrag niedergelegt werden (Punkt für Punkt und Wort für Wort, wie sie sich ausdrückten), der dann von beiden Parteien unterzeichnet und zum guten Schluß besiegelt wurde.
Sie unterbrachen ihren Vortrag, um das Siegel vorzuweisen, das einer von den beiden aus der Tasche seines seltsamen Rockes zog.
»Wo der Herr uns ein Zeichen gibt, haben wir ihm zu folgen«, betonten sie stets aufs neue.
Aus seinen müden, rotgeränderten Augen schaute der Graf erst den Bischof, dann seinen Sekretär an. Doch die saßen bloß betreten da.
»Und wer ist Euer Herr?« wollte unser Großherr wissen.
Wieder sonderten sie einen Schwall von Worten ab, noch verwickelter als zuvor, so daß ich die doppelte Zeit brauchte, um einigermaßen hinter den Sinn zu kommen. Sie legten also dar, daß ihr Herr weder Herzog noch Baron, noch ein Fürst sei, wohl aber ein sehr bemittelter Mann, der jüngst die alten, schon in römischer Zeit aufgelassenen Pechgruben erworben habe, dazu den größten Teil der nicht weniger alten Straße, die er nun zu erneuern gedenke. Einen Titel besitzt er also nicht, explizierten sie, aber dafür viel Geld.
Abwechselnd errechneten sie auf einem Blatt Papier die Summen, welche sie als Kaufpreis für das Grundstück anzubieten hatten, ferner die jährliche Taxe auf die Einkünfte aus der Nutzung der Brücke.
»Das Allerwichtigste ist jedoch«, sagte einer von ihnen, »dafür zu sorgen, daß der Allmächtige sein Zeichen nicht umsonst gegeben hat.«
Die Summen, die auf dem Papier standen, waren märchenhaft, und wir alle wußten, daß die Einnahmen unseres Großherrn in letzter Zeit erheblich zurückgegangen waren. Außerdem lag seine Tochter nun schon den zweiten Monat krank darnieder, ohne daß die hiesigen Ärzte Rat gewußt hätten.
Unser Großherr wechselte einen Blick mit dem Bischof. Dem Grafen war anzusehen, daß er nacheinander an seine leeren Geldladen und das kranke Kind dachte, und in beiderlei Hinsicht bot nur die Brücke, die zu errichten die Fremden ihm anboten, Hoffnung auf leidlich schnelle Abhilfe.
Letztere begannen erneut auf der himmlischen Weisung herumzureiten, die durch den hinfälligen Wanderer überbracht worden war. Bei ihnen spreche man, wenn man das Leiden des unglücklichen Gesellen meine, von der »Mondkrankheit«, erklärte der eine, bei uns dagegen, wenn er dies recht verstanden habe, von der »fallenden Sucht« oder der »Erdbrest«. Dies sei freilich kein großer Unterschied. Eine jede der Bezeichnungen mache deutlich, daß man das Gebrechen als eines von höherer, gewissermaßen göttlicher Qualität betrachte.
Unser Großherr dachte nicht allzulange nach, bevor er der Abmachung seinen Segen gab und den Schreiber anwies, sie in albanischer und lateinischer Sprache zu Papier zu bringen. Danach lud er uns alle zum Mittagsmahl an die Tafel. Ein bittereres Brot habe ich nie gegessen, und daran waren nur die Fremden schuld, deren Worte sich mehr und mehr verknäuelten, so daß es mich endlose Mühe kostete, das ganze zu entknoten.
Nach dem Essen mußte ich leider die beiden Fremden bis zum Bösen Wasser begleiten. Ein wenig Trost fand ich nur darin, daß ich den Mischmasch, der aus ihren Mündern kam, nicht auch noch übersetzen mußte … Diese Straß viel schlecht weil non Pflege, ganz stolpern. Wasser glatt, Straße no, percorso brauchen arbeiten, wir nicht hat Geschwätz, hat ordine, wir schnell Geld, gibst du, nimmst du. Wasser, o Wasser molto andere, Kahn rutschen viel leicht, graciosus, aber plitsch platsch untergeht, addio, sto diabolos. Funebrum, he, he, Straße no, Straße buono molto, bloß brauchen gute Haltung.
Glücklicherweise schwiegen sie auch manchmal, um einer Drossel nachzuschauen. Dann, als sie die Getreidespeicher sahen, wollten sie wissen, welches und wieviel Getreide und Vieh bei uns zum Markt gebracht wurden, und auf welchem Weg.
Mir fiel auf, daß der Eifer, mit dem sie redeten, merklich zurückging, je näher wir dem Ufer kamen, ja, man konnte sogar sagen, daß die alte Lebhaftigkeit sie ganz verließ. Als sie dann auf den Fährmann warteten, der sie auf die andere Seite bringen sollte, blieb nicht verborgen, daß sie das Wasser erschreckte. Sie mußten nichts sagen, es stand ihnen ins Gesicht geschrieben.
Es wurde schon dunkel, als sie endlich losfuhren. Eine Weile lang sah ich ihnen vom Ufer aus nach. Sie redeten aufgeregt miteinander, wedelten mit den Armen und zeigten den Fluß einmal hinauf, einmal hinunter. Es war bitter kalt. In der Dämmerung, die rasch herniedersank, sahen sie von weitem wie zwei dünne schwarze Stecken aus, die von der Fähre aufragten, unbegreiflich und absonderlich wie der fremde Wahn, von dem sie getrieben wurden. Als ich ihnen so nachschaute, kroch wie ein schwarzer Mistkäfer auf einmal ein Verdacht durch meinen Kopf: womöglich standen der Fallsüchtige am Flußufer, der herumstreifende Wahrsager und die beiden Unterhändler in ihren engen Röcken alle beim gleichen Herrn in Lohn und Brot …
Wie zu erwarten gewesen war, verbreitete sich die Neuigkeit, daß eine Brücke über das Böse Wasser geschlagen werden sollte, wie ein Lauffeuer. Schon immer hatte man Brücken gebaut, aber keiner konnte sich erinnern, daß je ein solches Aufhebens darum gemacht worden war. Man war stets still und leise zu Werke gegangen, schnell hatte sich das Ohr an den Klang der Arbeitsinstrumente gewöhnt, den man bald kaum noch vom Quaken der Frösche im Schilf unterschied. Wenn sie dann fertig waren, hatte man sie wieder ohne großes Aufsehen in Dienst genommen und benutzt, bis sie eines Tages ein heftiges Hochwasser wegriß oder ein Blitzschlag in Brand setzte, oder, noch schlimmer, sie durch mangelnde Besorgnis in einen solch schlechten Zustand kamen, daß ein Reisender nur zögernd den ersten Schritt auf die mürben Bohlen tat, dann stehenblieb und sich gründlich besann, ob er noch einen zweiten Schritt tun sollte, und schließlich umkehrte, um in der Nähe eine Furt oder Fähre zu suchen, die ihn heil auf die andere Seite brachte. Das lag daran, daß die Brücken bisher aus Holz gewesen waren, wogegen man nun eine richtige Brücke zu bauen gedachte, mit festen Pfeilern und Bögen aus Stein, womöglich die erste dieser Art im ganzen Arberland.
Die Leute nahmen die Nachricht mit gemischten Gefühlen auf. Sie waren froh, bald nicht mehr auf die dreisten Fährleute angewiesen zu sein, die sich stets auf der anderen Seite befanden, wenn man sie auf dieser Seite brauchte, und manchmal gar nicht anzutreffen waren oder, noch schlimmer, sturzbetrunken. Eine Ausnahme war allerdings der letzte, der krumme Fährmann, denn er stellte weder den Weibern nach, noch zechte er übermäßig, aber dafür lief er mit einem derart finsteren Gesicht herum, daß man, wenn man sich ihm anvertrauen mußte, stets mit dem sicheren Ertrinken rechnete. Die Fähren waren schmutzig und glitschig, und sie schaukelten so heftig, daß einem schnell übel werden konnte, wogegen eine Brücke einfach da war und zu jeder Stunde, bei Tag und bei Nacht, den Füßen bereitwillig ihren breiten Rücken aus Stein darbot, ohne Schaukeln und ohne Flausen. Man mußte sich nicht mehr den Kopf über das Wasser zerbrechen, das manchmal so stark anschwoll, daß einem angst und bange wurde, und kurz darauf so dünn wie ein Faden floß, daß man meinen mochte, der Fluß werde gleich den Geist aufgeben. Die Menschen empfanden Genugtuung, weil dem Bösen Wasser, das sie so übel gepeinigt hatte, endlich eine steinerne Fessel angelegt wurde. Aber genau dies machte ihnen, bei aller Freude, auch angst. Einem störrischen Maulesel ließ sich nicht einfach ein Sattel auflegen, und dem Bösen Wasser erst recht nicht. Ach, warten wir ab, sagten sie, wir werden schon noch erleben, was passiert.