Die Geschichte des Veganismus - Thomas Schröter - E-Book

Die Geschichte des Veganismus E-Book

Thomas Schröter

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Beschreibung

Die Geschichte des Veganismus erzählt, wie aus einer alten Idee der Gewaltlosigkeit eine moderne Kulturtechnik wurde. Von Ahimsa in Indien über pythagoreische Mäßigung, mittelalterliche Fastentraditionen, die Reformbewegungen des 19. Jahrhunderts (Henry S. Salt, John Howard Moore) bis zur Namensgebung 1944 durch Donald Watson zeichnet das Buch eine klare Linie: weg von der bloßen Diät, hin zu einer verantwortlichen Lebensweise. Es verbindet Ideengeschichte, Religion, Philosophie, Gesundheit, Landwirtschaft, Klima, Recht und Politik und führt bis in die Gegenwart; mit praxisnahen Kapiteln zu Küche, Beschaffung, öffentlicher Verpflegung, Aktivismus, Just Transition und Technologien (Fermentation, Agroforst, Präzisionsingredienzen). Der Ton bleibt sachlich, menschlich und handwerklich: keine Heilsversprechen, sondern verlässliche Routinen, die Leid verringern, Kosten erklären und Strukturen verbessern. Ein Buch für alle, die fundiert verstehen wollen, warum vegan nicht Identität, sondern Methode ist und wie diese Methode alltagstauglich, gerecht und skalierbar wird.

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Seitenzahl: 137

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1 – Begriff, Idee, Bewegung

Kapitel 2 – Ahimsa: Indien, Jainismus, Buddhismus – Gewaltlosigkeit als Alltag

Kapitel 3 – Antike und Mittelalter: Von Pythagoras bis Fastentraditionen

Kapitel 4 – Frühe Moderne: Sensibilität, Aufklärung und Tierbilder

Kapitel 5 – Henry S. Salt: Tierrechte als soziales Fortschrittsprojekt

Kapitel 6 – John Howard Moore: Die universelle Verwandtschaft

Kapitel 7 – Vereine und Zeitschriften: Die Vegetarierbewegung des 19. Jahrhunderts

Kapitel 8 – 1944 in London: Donald Watson, Vegan News und die Geburt des Begriffs

Kapitel 9 – 1949 bis 1979: Von der Abschaffung der Ausbeutung zur modernen Definition

Kapitel 10 – Von der Insel in die Welt: USA, Deutschland und globale Netzwerke

Kapitel 11 – Philosophie und Debatte: Nutzen, Rechte, Fähigkeiten

Kapitel 12 – Religionen heute: Dialoge, Übersetzungen, gelebte Praxis

Kapitel 13 – Gesundheit und Ernährung: Evidenz, Kontroversen, Praxis

Kapitel 14 – Klima, Ressourcen, Landwirtschaft

Kapitel 15 – Aktivismus, Recht und Politik: Von Kampagnen bis Gerichtssälen

Kapitel 16 – Technologien, Kultur, Alltag: Wie das Morgen bewohnbar wird

Kapitel 17 – Schluss: Epilog

Prolog

London, Spätherbst 1944. Die Stadt lebt im Schatten des Krieges. Sirenen verstummen, Ziegelstaub liegt in den Ritzen der Fenster, und auf einem wackeligen Tisch in einem kleinen Zimmer läuft eine Handpresse an. Auf dünnem, preiswertem Papier erscheint eine unscheinbare Rundschrift mit einem neuen Wort, das zugleich alt klingt und doch noch niemand kannte. Vegan. Ein kurzer Laut, beinahe flüsternd, aber mit Richtung. Donald Watson und einige Mitstreiter geben dieser Richtung einen Namen. Sie meinen damit nicht bloß eine weitere Variante des Vegetarismus, sondern eine Lebensweise, die Ausbeutung von Tieren so weit wie möglich und praktikabel vermeidet. Der Name ist eine kleine Wortformel aus Anfang und Ende von vegetarian. Er enthält eine Absicht. Er sagt: Wir gehen einen Gedanken zu Ende, der schon lange begonnen hat.

Der Anfang dieses Gedankens liegt nicht in London. Er reicht viel weiter zurück, in religiöse und philosophische Traditionen, in denen Gewaltlosigkeit mehr ist als ein Ideal, nämlich ein Alltag. In Indien trägt diese Haltung den Namen Ahimsa. Sie bedeutet, Leid zu verringern und vermeidbare Verletzung zu vermeiden. Über Jahrhunderte hat man dort Regeln entwickelt, die Rücksicht auf Lebendiges zur Gewohnheit machen. Nicht jede dieser Regeln entspricht unserer heutigen Begrifflichkeit, doch der Grundton ist derselbe. Die Frage lautet seit je: Was schulden wir anderen Wesen, wenn wir wissen, dass sie empfinden, dass sie leben wollen.

Auch Europa kennt frühe Stimmen. In den Schulen des Altertums stand Mäßigung hoch im Kurs, und der Gedanke, dass alles Lebendige verbunden ist, war keine Randnotiz. Pythagoras wurde zum Symbol für eine Richtung, die den Menschen nicht absolut über das Tier stellt, sondern ihn als Teil eines größeren Zusammenhangs begreift. Später, in der christlichen Kultur, prägten Fastenzeiten das Verhältnis zum Essen. Sie setzten dem Konsum Grenzen, ohne die Nutzung von Tieren grundsätzlich zu verwerfen. Erst mit Aufklärung und Moderne werden zwei Bewegungen gleichzeitig deutlich. Die eine weitet den Blick für Leiden, Empfindung und Würde aus. Die andere baut Fabriken, rationalisiert Schlachtung, organisiert Transporte, nutzt Tiere in Laboren und Zirkussen. Aus der Reibung dieser Bewegungen entsteht ein neuer Tonfall der Frage nach dem guten und dem gerechten Leben.

Im neunzehnten Jahrhundert wird dieser Ton zu Programmen. Henry S. Salt schreibt darüber, dass Gerechtigkeit nicht an der Artgrenze enden kann. Er setzt Tierrechte in eine Reihe mit sozialen Reformen seiner Zeit, mit Bildung, Arbeiterrechten, Frauenrechten. Kurz darauf führt John Howard Moore naturwissenschaftliche Einsichten in das Gespräch ein. Wenn die Evolution Verwandtschaft zeigt, so argumentiert er, dann ist Moral kein exklusives Eigentum einer Spezies. Dann ist Verzicht auf die Nutzung anderer Tiere keine Askese, sondern eine folgerichtige Erweiterung des Gerechtigkeitsbegriffs. Diese Gedanken sind bis heute gut lesbar. Sie zeigen, wie eine Idee wächst, wenn Beobachtung und Mitgefühl einander stützen, wenn Ethik nicht in Gegnerschaft zur Empirie steht, sondern aus ihr lernt.

Bis weit in das zwanzigste Jahrhundert hinein blieb die pflanzliche Lebensweise in Europa vor allem eine Reform. Vereine wurden gegründet, Zeitschriften entstanden, Kongresse wurden abgehalten. Man stritt über Gesundheit, über Kochkunst, über Lebensführung. Der Schritt von der Diät zur Definition als umfassender Lebensweise vollzog sich, als die Frage der Ausbeutung in den Mittelpunkt rückte. Nicht bloß was wir essen, sondern wie wir andere Lebewesen und ihre Lebensräume behandeln. Aus einer Speisekarte wurde ein Horizont. 1944 bekam dieser Horizont einen Namen. In den Jahren danach bekam er eine Definition, die bis heute trägt. Veganismus ist demnach eine Lebensweise, die darauf zielt, alle Formen der Ausbeutung und der Grausamkeit gegenüber Tieren zu vermeiden, soweit dies möglich und praktikabel ist. Diese Formulierung ist keine Hintertür. Sie ist die Anerkennung der Wirklichkeit. Sie verlangt Verantwortung ohne Starrheit, sie fordert das Bessere dort, wo das Bessere erreichbar ist.

Die Geschichte, die dieses Buch erzählt, ist deshalb keine Linie von Sieg zu Sieg. Sie kennt Brüche, Irrtümer, Einseitigkeiten, blinde Flecken. Sie kennt Personen, die zu früh waren, und Institutionen, die zu spät lernen. Sie kennt den Konflikt zwischen der Ungeduld, die Ungerechtigkeit nicht länger ertragen will, und der Geduld, die mit vielen Menschen sprechen und tragfähige Lösungen bauen muss. Sie kennt Erfolge, deren Ursachen bescheiden sind. Eine Schulmensa, die das Angebot umstellt. Ein Unternehmen, das in der Lieferkette genauer hinschaut. Eine Stadt, die anders einkauft. Ein Hof, der den Betriebszweck ändert. Aus kleinen Bewegungen wird Kultur, wenn sie sich wiederholen und vernetzen.

Zugleich ist Veganismus ein Gedanke, der die Grenzen traditioneller Fächer überschreitet. Er gehört in die Philosophie, weil er vom Wert des Lebens spricht. Er gehört in die Landwirtschaft, weil er die Nutzung von Land, Wasser und Böden neu verteilt. Er gehört in die Klimapolitik, weil er Emissionen, Speicher, Kreisläufe betrifft. Er gehört in die Ernährungswissenschaft, weil er Fragen der Versorgung und der Gesundheit berührt. Er gehört in das Recht, weil er Begriffe wie Person, Sache, Eigentum und Verantwortung berührt. Und er gehört in die Kultur, weil er Gewohnheiten verändert, die älter sind als unsere eigenen Biografien. Dieser Gedanke ist zugleich nüchtern und menschlich. Nüchtern, weil er eine präzise Prüfung von Folgen verlangt. Menschlich, weil er Mitgefühl nicht als Schwäche, sondern als Form der Intelligenz versteht.

Die folgenden Kapitel ordnen diese Themen so, dass Herkunft und Gegenwart zusammenhängend sichtbar werden. Sie beginnen mit religiösen und philosophischen Ursprüngen, führen in die Reformbewegungen des neunzehnten Jahrhunderts, stellen die entscheidenden Autorinnen und Autoren vor und zeichnen den Moment nach, in dem das Wort vegan entsteht. Danach folgt die Entwicklung der Definition, die Organisation der Bewegung, der Weg aus der britischen Insel in die Welt. Es gibt Kapitel, die sich mit Argumenten beschäftigen, sorgfältig und ohne Jargon. Es gibt Kapitel, die Praxis zeigen, vom Kochtopf bis zur Lieferkette, vom Label bis zur Verordnung. Es gibt einen Blick auf Wissenschaft und Kontroversen, auf offene Fragen und auf den Stand des Wissens. Und es gibt am Ende die Frage, wie Veränderung gelingt, ohne zu spalten, und wie sie gerecht verteilt werden kann.

Damit die Darstellung verlässlich bleibt, hält sich dieses Buch an einfache Regeln. Es stützt historische Aussagen auf belastbare Quellen und macht kenntlich, wo Forschungslage oder Begriffe strittig sind. Es zitiert maßvoll und wo immer möglich aus gemeinfreien oder frei zugänglichen Texten. Es paraphrasiert, ordnet ein und unterscheidet sauber zwischen Darstellung und Wertung. Es vermeidet Übertreibungen und persönliche Angriffe. Kritik richtet sich auf Praktiken, Strukturen und Ideen. Wo Zahlen genannt werden, stammen sie aus Quellen, die überprüfbar sind. Wo die Literatur abwägt, wägt der Text mit. Ein Anhang verzeichnet Primärtexte und weiterführende Lektüre. Bildmaterial wird nur verwendet, wenn Rechte eindeutig sind. Zitate werden mit Herkunft belegt, und verkürzte Wiedergaben werden als solche kenntlich gemacht.

Veganismus ist kein Abzeichen. Er ist eine Einladung, den Radius der Verantwortung zu prüfen. Wer dieser Einladung folgt, wird nicht vollkommen. Er wird genauer. Genauigkeit zeigt sich in wiederholten, kleinen Entscheidungen. Ein anderes Produkt im Einkauf. Eine Nachfrage im Restaurant. Ein Gespräch, das nicht in Rechthaberei endet, sondern in einer geteilten Einsicht. Eine Schule, die ihren Speiseplan verändert, ohne auszuschließen. Ein Betrieb, der seine Lieferkette neu denkt, ohne zu belehren. Eine Familie, die neue Rezepte ausprobiert, ohne alte Erinnerungen zu entwerten. Aus solchen Schritten entsteht das, was wir Kulturwandel nennen. Zuerst leise, dann hörbar, schließlich sichtbar.

Man kann diese Geschichte als Ideengeschichte lesen, als Politikgeschichte, als Kulturgeschichte. In Wahrheit ist sie ein Geflecht aus allem. Sie lebt von Übersetzungen zwischen Kontinenten und Zeiten, zwischen Religion und Wissenschaft, zwischen Aktivismus und Verwaltung, zwischen Küche und Gesetzblatt. Sie zeigt, wie Menschen mit unterschiedlichen Begründungen zu ähnlichen Praktiken gelangen. Sie zeigt, wie Bewegungen lernen, ihren Ton zu verfeinern, mit Kritik besser umzugehen, Fehler zu korrigieren. Sie zeigt, wie ein Gedanke reisefähig wird, ohne seine Substanz zu verlieren.

Dieses Buch will keine Zugehörigkeit abfragen und keine Absolution versprechen. Es will aufklären. Es will verständlich machen, warum ein Wort, das 1944 auf dünnem Papier stand, heute in vielen Sprachen zu Hause ist. Es will zeigen, dass Ethik nicht im Widerspruch zur Lebensfreude steht, sondern ihr Form gibt. Es will die Mühe nicht verschweigen, die Umstellung kostet, und die Erleichterung nicht kleinreden, die sie schenkt. Es will den Blick weiten, nicht belehren. Wenn am Ende nicht jeder dieselbe Praxis wählt, ist das kein Versagen. Wichtig ist, dass die Wahl bewusst wird und begründet. Wichtig ist, dass wir sehen, was auf dem Spiel steht, und was wir gewinnen, wenn wir Leid verringern.

Aus Einsicht wird Haltung. Aus Haltung wird Gewohnheit. Aus Gewohnheit wird Kultur. Vielleicht beginnt es mit einem Blatt Papier und einem neuen Wort. Vielleicht beginnt es heute mit einer Seite in diesem Buch. Der Weg ist nicht spektakulär. Er ist Schritt für Schritt. Er ist menschlich. Und er ist möglich.

Kapitel 1 – Begriff, Idee, Bewegung

Veganismus ist zunächst ein Wort, doch hinter diesem Wort steckt ein klarer Kompass. Es geht um die Vermeidung von Ausbeutung und Grausamkeit gegenüber Tieren, so weit dies möglich und praktikabel ist. Diese Formulierung ist keine Zierde. Sie ist der Dreh- und Angelpunkt einer Lebensweise, die nicht mit verbissener Reinheit prahlt, sondern Verantwortung zum Maßstab nimmt. Verantwortlich handeln heißt, Folgen zu prüfen, Alternativen zu suchen, Verbesserungsschritte zu gehen und dabei ehrlich zu bleiben, wo Grenzen bestehen. Der Kern ist einfach. Wir wollen Leid verringern, das wir verursachen, wo wir es sehen und vermeiden können.

Veganismus ist mehr als Ernährung. Essen ist der sichtbarste Teil, weil wir täglich entscheiden, was auf den Teller kommt. Die Idee reicht jedoch weiter in Kleidung, Kosmetik, Haushalt, Freizeit, Forschung und Kultur. Sie betrifft Lieferketten und Materialien, Praktiken und Technologien, die mit tierischer Nutzung verbunden sind. Vegan bedeutet nicht automatisch perfekt. Es bedeutet, in all diesen Bereichen Fragen zu stellen und Gewohnheiten zu prüfen. Welche Zutaten enthält ein Produkt. Welche Verfahren wurden eingesetzt. Gibt es eine erreichbare Alternative, die weniger Schaden verursacht. So entsteht aus vielen kleinen Entscheidungen ein verlässlicher Pfad.

Wer über Begriffe spricht, sollte sauber unterscheiden. Pflanzlich essen beschreibt eine Ernährungsform, die auf Lebensmitteln aus Pflanzen basiert. Vegan leben beschreibt eine Haltung, die tierische Nutzung in allen erreichbaren Bereichen meidet. Beide Felder überschneiden sich, doch sie sind nicht deckungsgleich. Jemand kann sich pflanzlich ernähren und trotzdem Lederschuhe tragen. Jemand kann aus ethischen Gründen auf Leder, Wolle und Honig verzichten, aber aus gesundheitlichen Gründen Medikamente einnehmen, die tierische Hilfsstoffe enthalten. Die Haltung bleibt intakt, weil der Maßstab nicht Reinheit, sondern Verantwortlichkeit ist. Der Grundsatz so weit wie möglich und praktikabel ist keine weiche Ausrede, sondern die Brücke zwischen Ideal und Realität.

Ein Blick auf die Entwicklung des Begriffs zeigt, wie sich aus einer Diät eine Bewegung bildete. Das neue Wort aus dem Jahr 1944 stellte nicht nur eine sprachliche Neuerung dar. Es sammelte Menschen, die schon länger das Gefühl hatten, dass der klassische Vegetarismus eine entscheidende Frage offen ließ. Wenn es um die Vermeidung von Leid geht, warum sollte sie beim Verzicht auf Fleisch enden. Milch, Eier und Honig sind in vielen Produktionsformen mit Eingriffen verbunden, die empfindungsfähigen Tieren Schmerzen zufügen oder ihr Leben verkürzen. Veganismus verschiebt daher den Fokus von einzelnen Produkten auf die Struktur der Nutzung. Entscheidend ist nicht, ob ein Produkt sichtbar tierische Bestandteile enthält. Entscheidend ist, ob seine Herstellung auf Ausbeutung beruht und ob es praktische Alternativen gibt.

Rechtliche und alltagspraktische Klarheit entsteht, wenn wir festhalten, was Veganismus nicht ist. Veganismus ist kein Gesundheitsversprechen. Viele Menschen erleben gesundheitliche Vorteile, andere benötigen ärztliche Begleitung, damit Versorgung gesichert bleibt. Das Buch gibt keine medizinischen Anweisungen. Es beschreibt Zusammenhänge und verweist für Entscheidungen zur persönlichen Gesundheit an qualifizierte Fachleute. Veganismus ist auch keine Garantie für klimatische Perfektion. Jede Form von Landwirtschaft beansprucht Land, Wasser und Energie. Die Frage lautet, welche Systeme im Vergleich die geringeren negativen Folgen haben, und wie sich Vermeidung, Effizienz und Ersatz in der Praxis kombinieren lassen. Drittens ist Veganismus kein moralischer Adelstitel. Er ist ein Angebot, die eigene Wirkungskette zu prüfen und Schritt für Schritt zu verbessern.

Damit die Idee tragfähig wird, braucht sie eine faire Auslegung. Ein Beispiel ist die Verwendung von Medikamenten. Wer ein Medikament benötigt, soll es einnehmen. Die Pflicht zur Selbstfürsorge endet nicht, weil ein Hilfsstoff tierischen Ursprungs sein kann. Die richtige Antwort besteht darin, die Notwendigkeit des Mittels anzuerkennen, zugleich aber daran zu arbeiten, dass Forschung und Produktion künftig ohne tierische Anteile auskommen. Ähnlich verhält es sich mit beruflichen Zwängen oder sozialen Situationen, in denen keine zumutbare Alternative vorhanden ist. Niemand kann sich aus dem gesellschaftlichen Kontext herauslösen. Auch hier gilt, dass Verbesserungen dort beginnen, wo wir sie erreichen. Ein Betrieb kann in der Beschaffung beginnen. Eine Schule kann ihren Speiseplan anpassen. Eine Stadt kann Kriterien für öffentliche Kantinen formulieren. Verantwortung wird stärker, wenn sie geteilt wird.

Zur Idee gehört die Sprache. Begriffe formen Wahrnehmung. Wer von Tierrechten spricht, setzt einen normativen Rahmen. Rechte bezeichnen legitime Ansprüche, die nicht bloß aus Mitleid gewährt werden, sondern aus Gerechtigkeit folgen. Wer von Tierschutz spricht, richtet den Blick auf Leidminderung innerhalb eines Systems, das Nutzung als gegeben annimmt. Veganismus steht beiden Diskursen nahe, hat aber einen eigenen Schwerpunkt. Er zielt auf die Beendigung von Ausbeutung, nicht nur auf ihre Milderung. Daraus folgt, dass einzelne Schutzmaßnahmen zwar begrüßt werden, die Richtung jedoch auf Ersatz von Praktiken zielt, die auf Nutzung beruhen. Diese Richtung macht den Ton manchmal hart, doch sie ist in der Sache konsistent. Wer Ausbeutung beenden will, muss Alternativen schaffen, erklären, erproben und verfügbar machen.

Die Bewegung lebt von zwei Kräften. Von Empathie und von Aufklärung. Empathie weitet den Kreis der Rücksichtnahme.

Aufklärung prüft Tatsachen, trennt Schein von Sein, liefert Begriffe, mit denen wir streiten können, ohne uns zu beschimpfen. Diese beiden Kräfte sind keine Gegensätze. Sie stützen einander. Empathie ohne Aufklärung verflacht und verfehlt oft die Struktur eines Problems. Aufklärung ohne Empathie wird kalt und verliert den Sinn, warum Wissen praktisch werden soll. In gelungenen Momenten begegnen sie sich. Eine Dokumentation über die Bedingungen in einer Lieferkette, eine sachliche Analyse über Emissionen, ein präziser Blick auf Nährstoffe, ein Gespräch mit Produzierenden, ein Besuch in einer Schulküche. So entstehen Einsichten, die nicht schon am nächsten Tag verfliegen.

Missverständnisse begleiten jede Bewegung. Ein verbreitetes Missverständnis lautet, Veganismus sei lebensfremd. Wer so denkt, unterschätzt, wie viele Bereiche bereits selbstverständlich ohne tierische Anteile funktionieren. Pflanzliche Küche ist Teil fast aller Weltküchen. Kunstleder ist in vielen Anwendungen robust. Kosmetiklinien arbeiten mit pflanzlichen Wachsen und synthetischen Alternativen. Neue Verfahren der Fermentation erzeugen Aromen und Proteine, die früher nur tierisch zu haben waren. Ein zweites Missverständnis lautet, vegane Praxis sei teuer. Wie so oft liegen die Dinge gemischt. Frische Grundzutaten aus Pflanzen sind häufig preiswert. Spezialprodukte können teurer sein. Hier zeigen sich soziale Fragen. Daher gehört zum verantwortlichen Veganismus immer auch die Sorge um Zugänglichkeit. Wer Veränderung will, sollte sie nicht allein dem individuellen Geldbeutel aufladen, sondern Strukturen so ändern, dass gute Entscheidungen leicht werden.

Ein drittes Missverständnis betrifft den Ton der Debatte. Manche erleben Veganismus als moralische Anklage, andere als private Präferenz. Beides greift zu kurz. Der Ansatz ist ethisch, aber er richtet sich nicht gegen Menschen. Er richtet sich gegen Praktiken, die vermeidbar schaden. Deshalb gehört zur Bewegung die Fähigkeit, zu erklären ohne zu verurteilen. Gesprächsfähigkeit ist keine Schwäche. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass aus der Einsicht einer Minderheit eine Kultur der Mehrheit wird. Die Bewegung hat aus eigenen Fehlern gelernt. Belehrung erzeugt Abwehr. Einladung öffnet Türen. Beispiele überzeugen mehr als Urteile. Wer vegan lebt, erzählt die eigene Praxis und schafft Gelegenheiten, damit andere sie ausprobieren können.