DIE REICHE VON ITHOR - Martin Cordemann - E-Book

DIE REICHE VON ITHOR E-Book

Martin Cordemann

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Beschreibung

Kann es wirklich sein? Kann es wahr sein, dass die Götter wahrhaft zurückgekehrt sind? Götter, die man vor Äonen erschlagen hat? Der König schickt seinen besten Mann und Vertrauten, einen Krieger, der Schwert genannt wird, in den hohen Norden, von dem dieses Gerücht ausgeht, doch was er dort findet, übersteigt all ihr Vorstellungsvermögen... Ein Fantasyroman, der aus einem Gemeinschaftsprojekt entstanden ist und uns in eine ferne Vergangenheit entführt, in der Männer noch Schwert hießen und auch damit umzugehen wussten, Götter erschlagen wurden und Drachen ganze Landstriche verwüsten könnten. Der Kampf Gut gegen Böse hat gerade erst begonnen – aber wer davon sind die Götter...? Dieses Buch ist Teil einer Art Reihe. Einige der Geschichten verlaufen parallel und nehmen Bezug aufeinander. Vier Autoren haben eine Welt geschaffen und bewegen sich und ihre Figuren in ihr. Vier Autoren, vier Geschichten, vier Reiche. Bislang... Wer alle Erzählungen aus dieser Welt lesen möchte, findet sie in den folgenden Bänden: "DIE REICHE VON ITHOR" Martin Cordemann: "Kelldor – Die Mörder der Götter" Rainer Junghardt: "Das Inselreich – Hagans Weg" Jörg Schepers: "Nogland – Die Lieder und Gesänge von Herrn Prondergust und König Gnurri" Lucien Deprijck: "Savaan – Die Wiederkehr des Wanderers"

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Martin Cordemann

DIE REICHE VON ITHOR

Kelldor – Die Mörder der Götter

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Epilog

Impressum neobooks

Vorwort

Mit „Zu zweit durch die Zeit“ hat alles angefangen. Es war der erste Versuch, gemeinsam einen Roman zu schreiben, einen „Schachroman“, wie ich es zu nennen beliebe, nicht, weil es darin um Schach geht, sondern weil es zwei Autoren gibt und einer nach dem anderen seinen Zug macht, in diesem Fall in Form eines Kapitels. So setzt sich die Handlung spielerisch fort und man muss auf das eingehen und weiterspinnen, was der andere geschrieben hat. Das macht Spaß und hält die Sache frisch. Nach diesem ersten Buch von Lucien Deprijck und mir folgte mit dem bislang noch unveröffentlichten „Die gefährlichste Waffe des Universums“ ein zweites gemeinsames Werk, doch bereits beim dritten Streich waren wir zunächst zu dritt und wenig später gar zu viert, der Kreis der Autoren erweiterte sich also. Auf diese Weise entstanden zusammen mit Jörg Schepers und Rainer Junghardt zwei weitere Fortsetzungsromane und auch der hier vorliegende Band begann seine Reise zusammen mit den drei Autoren... doch diesmal änderten wir ein wenig das Konzept.

Ging es zuvor stets darum, das Kapitel und damit die Handlung des jeweiligen Vorautors fortzusetzen, beschlossen wir diesmal, parallele Wege zu gehen. Wir schufen eine Welt, jeder schuf dort sein eigenes Land, aus dem inzwischen ein „Reich“ geworden ist, so dass auf diese Weise

Die Reiche von Ithor

entstanden, auch wenn dieser Name erst kurz vor der Veröffentlichung dieses Bandes zustande kam, damit aber allen entstandenen Büchern einen Obertitel, oder, wie es in Nogland vermutlich heißen würde, Übertitel verleiht. Zudem hatten wir ein Ziel, das wir alle gemeinsam erreichen wollten, so dass sich ab einem bestimmten Punkt in der Geschichte alle Einzelwege zusammenführen sollten und man wieder mit einer direkten Fortsetzung des Vorgängers fortfahren wollte. Doch Wege sind oft steinig und unvorhersehbar und in einer Fantasywelt sowieso und so berührten sich manche der Geschichten zwar hier und da, doch das Zusammentreffen fand nie statt... was den Vorteil hat, dass man jedes dieser Bücher und jeden dieser Wege für sich betrachtet sehen und auch lesen kann. Nach und nach erscheinen nun die entstandenen Beiträge.

Unter dem Titel

DIE REICHE VON ITHOR

Martin Cordemann: Kelldor – Die Mörder der Götter

Rainer Junghardt: Das Inselreich – Hagans Weg

Jörg Schepers: Nogland – Die Lieder und Gesänge von Herrn Prondergust und König Gnurri

Lucien Deprijck: Savaan – Die Wiederkehr des Wanderers

Und hier nun also ist mein Beitrag...

Kapitel 1

Langsam kam Ron wieder zur Ruhe. Er hatte sieben Minuten lang gelacht und war noch immer damit beschäftigt, sich japsend die Tränen aus den Augen zu reiben. Ein weiterer Versuch, ernst zu werden, scheiterte und er winkte ab, während ihn sein König aufmerksam aber geduldig ansah. Ron schluckte ein paar Mal, dann hatte er sich wieder im Griff und fragte ein weiteres Mal: „Soll das ein Scherz sein?“

Der König schüttelte den Kopf, ebenfalls ein weiteres Mal.

„Das…“ Ron fehlten die Worte. „…erscheint mir ein wenig überraschend.“

„Wir leben in einer Zeit der Überraschungen, mein lieber Ron Schwert.“

Das stimmte nicht ganz, wenn man da mal ehrlich war. Ihre Vorväter, die hatten in Zeiten voller Überraschungen gelebt, voller Angriffe, Kriege und Gemetzel. Doch sie schienen vor solcherlei Dingen eher verschont worden zu sein. Die große Mauer zeugte davon, oder vielmehr ihr mehr als desolater Zustand. Die Gilde der Maurer war nichteinmal mehr bereit, sie als Mauer anzuerkennen, war das Bauwerk doch inzwischen so brüchig und löcherig, dass man ein volles Jahrhundert darauf verwenden könnte, es wieder instand zu setzen – oder, was die Maurergilde in Zeiten vorschlug, in denen die Auftragslage für sie spärlich war, abreißen und neu bauen. Aber für oder gegen wen? Vor gut vierzehn Jahrhunderten, als man dieses Meisterwerk der Baukunst geschaffen hatte, da hatte es die Auseinandersetzungen mit dem Seevolk im Süden gegeben, da hatte man einen Grund gehabt, einen Schutzwall zu errichten, um sich nach allen Seiten abzusichern und sich auf der einen Seite nicht um Gegner kümmern zu müssen, während man auf der anderen Seite des Reichs diejenigen bekämpfte, die über die See kamen. Doch seit zwölf Jahrhunderten bestand auch dieser Konflikt nicht mehr und im Laufe der Zeit hatte man das einst größte Heer von Vant mehr und mehr verkleinert, hatte die Stützpunkte an der Mauer geschlossen und so war sie mehr und mehr verfallen. Dereinst, so sagte man, hätte man sie aus dem Himmel sehen können – eine nicht sehr gewagte Behauptung, da es keinerlei Möglichkeit gab, den Himmel zu erklimmen und dies zu bestätigen. Und sie hatten es versucht, so sagten die Legenden. Eine Leiter zu den Sternen zu bauen, einen Turm, der sie hinauf in die Fluchtstätte der Götter bringen sollte, um deren Vernichtung zu vollenden… doch der Turm war wieder und wieder eingestürzt, selbst die begabtesten Architekten jener Ära hatten es nicht geschafft, die Kluft zu den Sternen zu überbrücken und so hatte man sich wieder bodenständigeren Aufgaben zugewandt. Sagten jedenfalls die Legenden.

„Also“, setzte Ron noch einmal an, „verstehe ich Euch richtig, mein König? Ihr sagt, die Götter seien zurückgekehrt?“

„Es gibt Anzeichen dafür.“

„Und mit Anzeichen meint Ihr…“

„Gerüchte.“

Ron seufzte. Gerüchte waren die besten Freunde des Spions, wie man so schön sagte.

„Verdienen diese Gerüchte wirklich unsere Aufmerksamkeit?“

„Es ist meine Aufgabe, das Volk zu schützen, alter Freund“, meinte König Zweitgeborn und ließ seinen Blick über die Meerenge gleiten. Sie befanden sich in seiner Sommerresidenz, einer kleinen Festung in der südlichsten Region von Kelldor, zwei Tagesritte von der Hauptstadt entfernt und acht von der großen Mauer. Das Klima hier sagte ihm zu. Es war warm und vom Meer her wehte eine salzige Brise. Fast konnte man das Inselreich sehen, doch dafür lag die Festung nicht hoch genug.

„Vor… Göttern?“

„Sie könnten Angst und Schrecken unter meinen Untertanen verbreiten.“

„Ich dachte, wir hätten sie alle getötet.“

„Eben darum“, lächelte der König seinen Vertrauten an. „Nun, mein Freund, wenn sie wirklich zurückgekommen sind, meint Ihr nicht, sie könnten den Drang verspüren, sich an uns für das zu rächen, was wir ihnen angetan haben?“

„Ihr meint…“ Schwert versuchte sich an den genauen Wortlaut zu erinnern. Die Legende der Götter. Die Schlacht der Götter. Die Vertreibung der Götter. Niemand in Kelldor glaubte an Götter. Denn man hatte sich von ihnen getrennt. Auf eindrucksvolle und brutale Weise. So sagte es jedenfalls die Legende. „…weil wir unsere Götter in grauer Vorzeit getötet haben…“

„…aber nicht alle“, korrigierte ihn der König, „einige haben wir umgebracht und den Rest haben wir in den Himmel vertrieben, aus dem sie gekommen waren.“ Sagte jedenfalls die Legende.

„Und nun sollen sie zurückgekehrt sein?“

„Was läge da näher, als sich an uns zu rächen für das, was wir ihnen angetan haben.“ Er deutete Richtung Norden, wo sich, fern außerhalb der Sicht, die große Mauer befand. „Es sind Götter, sie haben Zeit. Sie haben uns beobachtet, haben gesehen, welche Schlachten wir geführt haben, haben uns studiert. Und haben abgewartet. Unsere Kriegskultur ist verfallen, genauso wie unser Schutzwall. Unsere Armee ist nur noch ein Bruchteil dessen, was sie einmal war. Sie haben gewartet, bis wir uns nicht mehr verteidigen können. Und diesen Augenblick nutzen Sie. Würdet Ihr es anders machen, alter Freund?“

Da musste Ron Schwert seinem König zustimmen. Es klang vernünftig. Zumindest innerhalb eines bestimmten Rahmens.

„Und wenn es nicht die Götter sind?“

König Zweitgeborn sah seinen Berater fragend an.

„Wenn jemand nur unsere vergrabene Angst vor der Rückkehr eines rachsüchtigen Gottes ausnutzen möchte? Als eine Art Kriegstaktik? Um uns damit in Angst zu versetzen, um uns geistig zu besiegen, bevor er auch nur einen Pfeil auf uns abgeschossen hat?“

„An wen denkt Ihr dabei?“

„Das Inselreich. Nogland. Das Seevolk. Die Nachrichtenmöwen unserer Spione berichten schon seit einiger Zeit davon, dass hoch im Norden die Ernten ausbleiben. Dass sie einen Bund mit dem Süden geschlossen haben. Und dass das Seevolk eine neue Flotte baut. Vielleicht stecken sie hinter diesen Gerüchten. Vielleicht sind sie der alte Feind, der uns den Krieg erklären will.“

König Zweitgeborn nickte. Er war nicht der erste König von Kelldor, der als zweitgeborener den Thron bestiegen hatte. Vor ihm hatte es bereits König Brudermörder gegeben, doch das war vor dreizehnhundert Jahren in der Zeit der Seevolk-Konflikte gewesen. Niemand erinnerte sich gern daran – und an das, was er den Menschen angetan hatte, Fremden wie Einheimischen. „Ich weiß nicht, was mir mehr Sorgen bereiten würde.“

Ron Schwert, der mit einem Glauben an getötete Götter aufgewachsen war, wusste es. Es war die konkrete Gefahr, die einem echte Sorgen bereiten sollte.

„Ihr müsst nach Norden reisen“, ordnete der König an.

„Um den Gerüchten auf den Grund zu gehen?“

„Um einem bestimmten Gerücht auf den Grund zu gehen“, korrigierte die Hoheit. „Auch wenn unsere Spione sagen, es gehen Worte dieser Geschichte im Inselreich und in Nogland um, so ist da doch ein Hinweis, den ich euch bitten würde, nachzugehen. Hoch oben, im Norden, weit hinter der Baumgrenze, gibt es ein kleines Kloster. Der Abt war der spirituelle Berater meines Vaters.“

Abt Gläubiger, ein ehrenwerter Mann, wie sich Schwert erinnerte.

„Er hat mir eine geheime Nachricht zukommen lassen. Nur ich und Ihr wisst davon. Ein Mann hat sich vor wenigen Monaten durch den Wald geschleppt. Die Mönche fanden ihn an einem Morgen vor den Toren des Klosters vor. Bevor er in einen tiefen Schlaf fiel, aus dem er bei Senden der Nachricht noch nicht wieder erwacht war, hat er von den Göttern gesprochen.“

Also ein Verrückter, seufzte Ron Schwert innerlich. Halb verhungert und halb erfroren im Wald verirrt. Es war wohl kaum eine Aussage, auf die man viel geben konnte – wie er vermutet hatte.

„Er trug am Körper eine Verbrennung, wie sie den alten Schriften entspricht. Das Feuermahl der Götter.“ Der König legte den Kopf schief. „Und Ihr wisst, dass Abt Gläubiger mich nicht unterrichtet hätte, wenn er nicht wirklich besorgt wäre.“

Schwert nickte. Vielleicht war doch mehr dran an der Sache.

„Ihr müsst noch heute abreisen. Ich möchte, dass Ihr mit dem Abt sprecht und wenn möglich mit dem Mann.“

„Ich werde mein Bestes versuchen“, nickte Ron und die beiden reichten sich die Hand. Er hatte eine lange Reise vor sich. Erst an der Küste entlang bis nach Sillgur, der Hauptstadt, dann weiter zur großen Mauer und dann durch Nogland bis hinauf in die Kargen Berge. Er würde Wochen unterwegs sein, Monate, bis er wieder hier war. Gerüchte schienen schneller zu reisen als Menschen.

Sie gingen über die Zinnen der Festung, während sie die warme Brise vom Meer genossen.

„Wie geht es Eurer Schwester?“

„Gut, mein König.“ Seine Schwester war, wie er, als Kind eines Mühlers geboren. Er war als Ron Mühlerssn aufgewachsen, doch mit der Entscheidung für seinen Lebensweg war er zu Ron Schwert geworden. Ella Mühlerstotta, seine Schwester, hatte seinen alten Freund aus Kindertagen, Stef Bäckerssn, geheiratet und war nun schon seit vielen Jahren eine ehrbare Ella Bäckerfru. „Sie haben drei Kinder und sind sehr glücklich.“

„Es freut mich, das zu hören.“

Bevor sich Ron Schwert auf seine lange und beschwerliche Reise in den Norden begab, würde er noch in der Hauptstadt bei seiner Schwester einkehren, die ihn bestimmt mit jeder Menge Proviant und guten Wünschen versorgen würde.

„Hat es noch keine Einladung zu einer Zusammenkunft der Botschafter gegeben?“ war das letzte, was er den König vor seiner Abreise gefragt hatte. Dieser hatte nur den Kopf geschüttelt. Was Schwert einmal mehr an der Glaubhaftigkeit dieser Geschichte zweifeln ließ. Wahrscheinlich war es nur ein geschicktes – und brillantes! – Ablenkungsmanöver des Seevolkes, das ihre Aufmerksamkeit auf ein weit entferntes Ziel lenken wollte, während es an anderer Stelle zum Angriff überging. Bevor er davon ritt, setzte er noch die Armeen an der Küste in Alarmbereitschaft – nur für alle Fälle.

Gemächlich ritt das Schwert Seiner Majestät die Küstenstraße entlang. Es würde lange dauern, bis er das warme Klima hier wieder genießen konnte. Er würde es vermissen, soviel stand fest.

Kurz bevor ihn sein Weg landeinwärts führte, bemerkte er etwas am Horizont, undeutlich, in dem vor Sonne spiegelndem Meer. Mochten ein paar Schiffe sein, dachte er bei sich, wahrscheinlich aus dem Inselreich. Wahrscheinlich würden sie die Mull hinauffahren, um in der Hauptstadt ihre Waren feilzubieten. Ohne weiter darüber nachzudenken, setzte er seinen Weg fort. Hätte er noch ein wenig verweilt und den Augenblick genossen, hätte er gemerkt, dass er sich geirrt hatte. Und er hätte etwas sehen können, das in diesen Breiten seit rund 1200 Jahren niemand mehr gesehen hatte: Möwenförmige Segel, das Erkennungszeichen des Seevolkes. Es war ein Anblick, der gleichermaßen beeindruckend wie erschreckend war und der in der kriegerischen alten Zeit viele Feinde in die Flucht geschlagen hatte. Das war, bevor Kelldor in die Kriege verwickelt wurde. Es war lange her, sehr lange.

Schwert gab seinem Pferd die Sporen. Er hatte noch eine lange Reise vor sich.

Kapitel 2

„Bist du sicher, dass du genug zu Essen hast?“ fragte Ella Bäckerfru, Rons Schwester, und musterte ihren Bruder besorgt.

Der klopfte beruhigend auf seine prall gefüllten Satteltaschen. „Du musst dir keine Sorgen machen.“ Er umarmte sie noch einmal, dann nahm er sein Pferd am Zügel. Es war ein schönes Wiedersehen gewesen, aber er hatte eine lange Reise vor sich und war deshalb nicht Herr seiner Zeit.

„Bis bald, Onkel Ron!“ riefen die Kinder und winkten, während er langsam sein Pferd die Straße hinunter führte. Die Hufeisen klapperten auf dem Kopfsteinpflaster und das Geräusch wurde von den Wänden der Gasse zurückgeworfen.

Er hatte seine Zeit in der Hauptstadt wohl genutzt. Im Regierungspalast hatte man ihn mit den nötigen Papieren und Karten ausgestattet, die ihm eine unbehelligte Reise sichern sollten. Es war lange her, dass er das letzte Mal so weit im Norden gewesen war. Die Mauer, ja, die besuchte er einmal pro Jahr, um dem König über ihren desolaten Zustand berichten zu können, aber darüber hinaus war er in letzter Zeit selten gekommen. Die Mauer… manchmal fragte er sich, wofür man sie überhaupt errichtet hatte. Das Volk der Nogländer war merkwürdig, um es höflich zu formulieren. Er wusste nicht, woran sie glaubten, aber Straßen und gepflasterte Wege schienen nicht dazu zu gehören. Man konnte einen Einheimischen nach einem Weg fragen, aber auch das hatte er inzwischen aufgegeben, weil die Antworten mit schwer verständlich noch euphorisch umschrieben waren. Es war kein böses Volk, nur… merkwürdig. Er bezweifelte sehr, dass vor mehr als tausend Jahren von ihm eine Gefahr ausgegangen war, die den Bau eines solchen Walls gerechtfertigt hätte, aber vielleicht hatten sie sich auch nur im Laufe der Jahrhunderte verändert, so, wie sich die Kelldorianer verändert hatten. Oder hieß es Kelldoraner? Kelldorer? Er hatte einmal ein Gespräch mit acht Philosophen zu diesem Thema geführt – und hatte 19 Antworten erhalten. Da hatte er sich gefragt, ob Philosophen vielleicht Nachkommen von Nogländern waren… und vielleicht hatte man die Mauer nur errichtet, um sich davor zu schützen, dass ihre Merkwürdigkeit auf die eigene Bevölkerung über ging?

Mit Einsetzen der Morgensonne erreichte er die Mull. Folgte man ihr nach Süden Richtung Meer, würde man nach Hafenstadt kommen, die direkt am Großen Ozean lag, doch er musste in die andere Richtung. In den hohen Norden. Er konnte der Mull bis zur Baumgrenze folgen. Sie floss nicht nur durch ganz Kelldor, sondern auch durch ganz Nogland, auch wenn er nicht wusste, wie die Nogländer sie nannten oder ob sie sich überhaupt die Mühe gemacht hatten, sie zu benennen. Er konnte ihr folgen und in ihrer Nähe gab es immer so etwas wie einen Pfad, auf dem er reiten konnte. Ron blickte noch einmal der aufgehenden Sonne entgegen, dann ritt er gemächlich Flussaufwärts.

„Mein König?“ Sigbert Pferdbote (geb. Schmiedssn, dann Sigbert Beobachter, Sigbert Laufbursche, Sigbert Laufbote, der erst kürzlich zum Pferdbote aufgestiegen war) trat aufgeregt von einem Bein auf das andere.

„Ja?“ fragte dieser. Er wusste, dass etwas geschehen sein musste, aber er wusste nicht, was. Noch nicht.

„Beunruhigende Neuigkeiten“, berichtete der Bote und man konnte in seiner Stimme hören, dass er so beunruhigt war, wie das die Neuigkeiten verlangten. „Der Kommandant Beobachter hatte am Horizont Segel ausgemacht.“

„Das Inselreich?“

„Nein“, schüttelte der junge Pferdbote den Kopf. „Es waren Schiffe des Seevolks.“

Das musste, dachte der König bei sich, ein Name sein, der dem jungen Mann wie der einer Sagenfigur vorkommen musste. Allzulange war es her, dass man Schiffe dieses Volkes in ihren Breiten gesehen hatte. Niemand, der lebte, hatte sie gesehen, nicht hier, direkt vor Kelldor. Über lange Zeiten war man sich nicht sicher, ob das Seevolk überhaupt noch existierte oder ob ihre Insel im Süden nicht vielleicht von einer hohen Flutwelle hinweggespült worden wäre, über den Rand der Welt, oder ob es sich nicht vielleicht mit einem anderen Volk in eine Auseinandersetzung verwickelt hatte, das nicht so vergebend war wie das der Kelldor. Das Seevolk mochte ausgestorben sein, nur noch in Sagen und Geschichten existieren, nur noch in der Erinnerung leben. Vielleicht waren all die Nachrichtenmöwen auch nur von Sagengeschichten erfüllt, die ein einsamer Spion in einem menschenleeren Land schrieb, um nicht der Langeweile anheim zu fallen und von ihr hinweggerafft zu werden, so, wie irgendetwas das Seevolk hinweggerafft hatte.

Doch nun schien sich die Situation verändert zu haben. Das Seevolk war zurückgekehrt. Hierher, nach Kelldor, möglicherweise nach ganz Vant. Vielleicht hatten sie ihre Flotte auch ins Inselreich geschickt und nach Nogland. Möglicherweise sogar nach Savaan. Doch war es eine Angriffsflotte? Eine Vorhut? War man hier, um sich mit Kelldor gegen die anderen zu verbünden? Hatte man sich mit den anderen gegen Kelldor verbündet? Er seufzte und sah den jungen Pferdboten aufmerksam an. Wenn sich bereits eine Delegation des Seevolkes auf dem Weg zu ihm befand, hätte er die Diplomatieglocke gehört, wäre es eine Invasionsstreitmacht, wäre es die Alarmglocke oder gar die Kriegsglocke gewesen. Doch er hatte keinen Glockenschlag vernommen.

„Der Kapitän der Küstenwache ist mit drei Schiffen hinausgefahren. Er hat mit seinen Mannen alle der fremden Schiffe betreten.“

„Und?“ fragte der König gespannt.

Der junge Pferdbote schluckte. „Es war niemand an Bord. Alle Schiffe waren menschenleer.“

Der König erschrak. Leere Schiffe, die mit gesetzten Segeln vor ihrer Küste auftauchten. Was mochte das bedeuten? Er wünschte sich, Ron Schwert wäre jetzt hier, doch sein vertrauter Freund befand sich viele Meilen entfernt. Wieder schüttelte König Zweitgeborn den Kopf. Was mochte all das nur bedeuten?

Ron verpasste die Nachrichtenmöwe, die der König ihm nachgeschickt hatte, nur ganz knapp. Es war bei Abenddämmerung, als er endlich die große Mauer erreichte. Sie zog sich durch ganz Vant, von der Westküste über den gesamten Kontinent bis zur Ostküste. Als Kind hatte er sich einmal ausgemalt, wie es wäre, auf ihr von einer Seite Kelldors bis zur anderen zu laufen, doch er hatte es nie getan.

Dort, wo die Mull aus dem Nogland kam, gab es einen kleinen, besetzten Grenzposten. Und einen kleinen Anleger, an dem die kleinen Schiffe und Kähne von „Jenseits des Noglands“ festmachten, bevor sie sich wieder auf ihre anstrengende Fahrt flussaufwärts begaben. Die Rückreise aus dem Norden war oft schneller und einfacher als die Hinreise, denn weit hinter dem Nogland, an den Ausläufern der Kahlen Berge und noch vor der Baumgrenze hatte man schon vor Jahrhunderten einen kleinen Stützpunkt errichtet, den Ort, zu dem Ron jetzt unterwegs war. Dieser Außenposten lag am Fluss und von dort konnte man mit einem der Kähne schnell auf dem Fluss mit der Strömung gen Heimat reisen, was ihm auf der Rückreise Tage sparen würde. Doch erstmal musste er dort hinkommen, und da war das Reiten am Fluss entlang der schnellere Weg als die mühsam bergauf trottenden Kähne. Er hatte ein gutes Pferd, das wenig Schlaf brauchte und auch bei Nacht ritt und so zog Schwert es vor, das Nogland zu durchqueren, ohne dort oft zu halten oder gar in einem der Gasthöfe einzukehren.

Die Sonne stand kurz vorm Untergang, als die Möwe an der Grenzstation eintraf. Die Soldaten dort würden sie am kommenden Tag weiterschicken und so würde Schwert die Nachricht erst zu sehen bekommen, wenn er in etwa einer Woche den Außenposten erreichte.

Die Reise durch Nogland verlief ohne Schwierigkeiten oder Begegnungen. Manchmal fragte er sich, ob er bedauern sollte, dass er die Nogländer, oder „das Volk hinter der Mauer“, wie die Menschen, die in der Nähe der Mauer lebten, sie nannten, nie näher kennengelernt hatte. Aber im Moment gab es keine Gelegenheit dazu. Er hatte einen Auftrag und den wollte er so schnell wie möglich hinter sich bringen. Dieser Wunsch wurde sogar noch größer, als man ihm im Außenposten die Nachricht des Königs übergab. Schiffe des Seevolkes, mit gesetzten Segeln, aber mit niemandem an Bord. Ein weiteres Ablenkungsmanöver, dachte er sofort. Irgendjemand spielte ein merkwürdiges Spiel. Der König hatte der Flotte befohlen, vor der Küste zu kreuzen, aber bislang waren offenbar keine weiteren Schiffe aufgetaucht.

Ron seufzte. Wäre er nicht hier oben im Norden, er hätte den König überredet, ihm ein paar Schiffe zur Verfügung zu stellen und wäre mit ihnen zur Insel des Seevolkes gesegelt. Kurz überlegte er, ob er nicht die sofortige Rückkehr antreten sollte, doch er entschied sich dagegen. Er war so weit gekommen, es wäre unverzeihlich gewesen, jetzt umzukehren.

Am Abend, bevor er sich in die Berge begab, studierte er noch einmal die Karte. Er hatte eine grobe Vorstellung, wo sich das Kloster befand. Es würde noch ein paar Tage dauern, bis er dort ankam, aber dann endlich würde er Antworten auf seine Fragen bekommen. Er wollte diesen Mann sprechen, der sich durch den Wald geschleppt hatte und vor den Toren des Klosters aufgetaucht war.

„Der Wald“, schoss es ihm plötzlich durch den Kopf und er zog die Karte zu Rate. Ja, der Wald befand sich Meilen entfernt vom Kloster. Das hatte man vor Jahrtausenden in den Bergen gebaut, aus dem festesten Stein, den man dort finden konnte. Nach den Bergen kamen die Eisfelder und was auch immer dort noch weiter im Norden liegen mochte – und wer auch immer dort in dieser trostlosen Einöde leben mochte. Es gab dort Dörfer, Fischer vielleicht, die in den Seen unter dem Eis fischten? Von Städten hatte er noch nie gehört, aber das musste nicht heißen, dass es keine gab. Jedenfalls gab es dort Völker, oder hatte es mal gegeben. Und vielleicht war dieser Mann…

Ein wahnwitziger Gedanke kam Ron. Konnte wirklich ein Volk von dort oben mit dem Seevolk Verbindung aufgenommen und sich mit ihm verbündet haben? Oder… steckte vielleicht eins der anderen Völker dahinter? Oder gar alle zusammen? Das Inselreich kannte sich mit der Seefahrt gut aus. Vielleicht hatten sie Schiffe gebaut und Segel genäht, die auf den ersten Blick wie die des Seevolks aussahen? Und vielleicht hatten die Savaan auf der Ostseite von Vant, wo die See nicht komplett zugefroren sein mochte, jemanden in den Norden geschickt, der die Mönche in dem Kloster mit seiner phantastischen Geschichte verwirrt hatte, in dem guten Wissen, dass diese Geschichte bis in die Breiten des Königs getragen werden würden? Er wollte mit diesem Mann sprechen, der angeblich in einen tiefen Schlaf gefallen war, er würde ihn wecken und aus ihm herausholen, welcher teuflische Plan hinter seiner abenteuerlichen Geschichte steckte.

Doch Ron Schwert wurde enttäuscht – und erschrocken gleichermaßen. Als er Tage später das Kloster in den Kargen Bergen erreichte, verschlug es ihm den Atem. Das war… das konnte nicht… das war völlig unmöglich!

Von dem Kloster war nicht mehr viel übrig. Nur verkohlter Stein zeugte davon, dass sich hier einmal ein Bauwerk befunden hatte.

„Unmöglich“, hauchte er. Das Kloster hatte aus massivem Stein bestanden, doch der war fast vollkommen zerstört. So etwas hatte er nur einmal gesehen. Auf der Insel des Spuckenden Feuers. Sie befand sich südwestlich vom Kap des Verderbens, der südlichsten Spitze von Vant. Dort hatte man dereinst einen kleinen Außenposten errichtet, eine Stadt, die für den Handel da sein sollte. Doch die Insel war nie zur Ruhe gekommen, mit ihren feuerspeienden Bergen. Die Luft war immer voll Rauch und die Lava zerstörte manchmal Häuser, die erst vor wenigen Tagen gebaut worden waren. Von Kapstadt aus konnte man die Rauchfahne sehen, die fast täglich über der Insel schwebte. Nur Feuer, das so heiß war, wie das, das aus dem Innern der Berge kam, hatte die Macht, Stein das anzutun, was man dem Kloster angetan hatte. Doch hier gab es keine Vulkane. Ron musste schlucken und sich eingestehen, dass ihn gerade ein Anflug von Furcht ergriffen hatte. Was war hier passiert?

Kapitel 3

Fassungslos lief Ron durch die Trümmer des Klosters. Geschmolzener Stein. Er sah hinauf zu den Schneespitzen. Und stutzte. Er sah sich um. Ging langsam um die Reste der Bergfestung herum. Wenn die Berge doch Vulkane wären… aber dann müsste mehr von ihrem Lavafluss in Mitleidenschaft gezogen worden sein. Wenn man das Kloster irrtümlich auf einem Vulkan erbaut hatte und er ausgebrochen war, warum war dann nur das Kloster selbst zerstört?

Doch je länger er suchte, umso weniger fand er. Nichts war vom Kloster selbst den Abhang hinab geflossen. Und, was umso merkwürdiger war, wenn sich der Vulkanausbruch am Massiv über dem Kloster ereignet hatte, dann war auch nichts von seiner Lava die steilen Bergspitzen oberhalb dessen, was er von Zeichnungen her als einen Turm mit Glocken kannte, entlanggeflossen. Es war… es war einfach unmöglich.

Er verbrachte Stunden damit, die Berge, die die Ruine umgaben, zu erklimmen. Doch da war nichts. Kein Krater, keine Reste von Lava, keinerlei Anzeichen eines Vulkans. Mehr noch, der Schnee und das Eis, welche das ehemalige Bauwerk umgaben, schienen nur an wenigen Stellen geschmolzen zu sein. Lediglich in unmittelbarer Umgebung der Trümmer hatte sich eine dünne Schneedecke über den durch Hitze freigelegten Fels gelegt, doch auch die Schneedecke war schon wenige Fuß von den Mauerresten wieder so, als wäre hier nichts passiert.

Ron fluchte laut vor sich hin. Er war allein in dieser Einöde, und er wusste nicht, wie er auf die Situation, die er vorgefunden hatte, reagieren sollte. Wer zerstörte ein Kloster? Nein, wie zerstörte man ein Kloster? Nein! Die Fragen waren: Was zerstörte ein Kloster? Und, wenn es ein Wer war, warum tat er das?

„Die Götter“, murmelte er. Das war… die Erklärung, die ihm am wenigsten genehm war. Sollte an den Gerüchten wirklich etwas dran sein? „Nein“, sagte er bei sich. Er weigerte sich, das zu glauben. Auch wenn es ganz so schien, als wäre dies die Handschrift der Götter. Rachsüchtiger Götter, die sich für ihre Vertreibung revanchieren wollten. Es passte alles ins Bild…

„Nein“, widersprach er sich. Nicht alles passte ins Bild. Da waren noch die Schiffe ohne Besatzung. Wie sollten die in Zusammenhang mit den Göttern stehen? Ron schluckte. Bis er keinen handfesten Beweis vorfand, d.h. bis ihm keiner der Götter persönlich über den Weg lief und ihn von seiner Göttlichkeit überzeugte, würde er nach einer weltlichen Lösung suchen und diese übernatürliche ausschließen.

Wieder kam ihm der Gedanke eines Ablenkungsmanövers. Einer Finte. Jeder kannte die Vergangenheit, die das Volk der Kelldor mit den Göttern verband. Jedenfalls nahm er das an. Jedenfalls hatten sie nie ein Hehl daraus gemacht. Im Gegenteil, in Schlachten hatten sie darauf aufmerksam gemacht, dass man bereits die Götter erschlagen hatte, also wie viel Angst sollten sie nun vor menschlichen Feinden haben? Ein Gegner, ein schlauer Gegner, könnte ihre Historie mit den Göttern ausnutzen und so versuchen, Ängste zu schüren, die möglicherweise tief verborgen in ihnen lagen. Oder er wollte sie verwirren, bevor er an einem Ort zuschlug, mit dem niemand rechnete. Oder er…

Ron sah die Trümmer an. Sie waren inzwischen erkaltet, aber er konnte sich vorstellen, wie heiß sie gewesen sein mussten.

…er wollte eine neue Waffe ausprobieren. Eine tödliche Waffe, die alles vernichten konnte.

Es war eine Vorstellung, die Ron ebenfalls erschreckte. Wenn jemand eine solche Waffe besaß, dann…

Er sah sich um.