Die Schleuser AG - Ben Lehman - E-Book

Die Schleuser AG E-Book

Ben Lehman

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Beschreibung

Der eklige Streit mit seiner Freundin Melanie beschäftigt Siegmund Knabe auf seinem gesamten Heimweg. Wahrscheinlich war es das nun gewesen und die Beziehung ist beendet. Als der nicht mehr ganz so junge, doch gut aussehende und elegant gekleidete Theologiestudent seine sündhaft teure Münchner Dachgeschosswohnung betreten will, wundert er sich, dass er nicht abgeschlossen hat. Kurz darauf wird er ermordet. Natürlich vermisst ihn seine Ex-Freundin nicht. Aber auch sonst meldet ihn niemand als vermisst. Erst nach einer Woche geht eine Hausbewohnerin aus der Donnersbergerstraße zur Polizei, um einen süßlich-ekligen Geruch im Haus zu melden, der von Tag zu Tag schlimmer wird und der aus der Wohnung des freundlichen und netten Siegmund Knabe zu kommen scheint. Als Kriminalkommissar Wanninger nach ein paar Wochen, in denen er krankgeschrieben war, endlich wieder in der K3 auftaucht, hat er für sein Team schlechte Neuigkeiten: Er geht in Pension und der K3 wird ein Neuer vor die Nase gesetzt, ein Herr Dr. Kunz. Keiner im Team ist begeistert und Dr. Kunz macht sich auch gleich unbeliebt, indem er von Dr. Dobler bei Amtseintritt angeberisch die „schwierigsten Fälle“ verlangt. Und so darf sich die K3 zusätzlich zu einem vielleicht vorsätzlich herbeigeführten tödlichen Unfall mit Fahrerflucht, der noch immer ungeklärt ist, nun auch noch mit dem Mord an Siegmund Knabe beschäftigen. Doch es bleibt nicht dabei und die K3 hat alle Hände voll zu tun. Ist der Ordner, den die K3 in Knabes Wohnung findet und in dem fünf Personen und deren Zahlungsein- und -ausgänge verzeichnet sind, der Schlüssel zum geheimnisvollen Hintergrund dieser Mordfälle? Oder stecken doch verschiedene Täter mit unterschiedlichen Motiven hinter den Verbrechen? Wie gut, dass Wanninger seiner K3 auch weiterhin zur Seite steht … Ein Münchner Krimi, der mit vielen Details und Hintergrundwissen zu höchst aktuellen Themen aufwartet und den Leser immer wieder überrascht.

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Inhaltsverzeichnis

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

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23.

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25.

26.

27.

Ben Lehmans Krimis aus München:

Ben Lehmans Provinz-Krimis

Impressum:

Texte: © Copyright by Ben Lehman Umschlag: © Copyright by Ben Lehman Verlag: Ben Lehman

Von-der-Tann-Straße 12 82319 [email protected]

Die Schleuser AG

Sechster München-Krimi

Heute ist manches anders

München ist attraktiver denn je. Die ganze Welt zieht es hierher – zu einem Besuch oder für immer. Die städtebaulichen Schönheiten, die unübertroffene Lage im Alpenvorland, Freizeitmöglichkeiten ohne Ende, aber auch Arbeitsplätze in den angesehensten Unternehmen der Welt lassen weder Wünsche noch Möglichkeiten offen.

Leider ist München ein Schmelztiegel der Nationen geworden und die ansteigende Kriminalität will beherrscht werden.

1.

Als Siegmund Knabe, Theologiestudent in fortgeschrittenem Alter, die Tür zu seiner edlen Dachterrassenwohnung in der Donnersbergerstraße in München-Neuhausen aufschloss, war er bereits so gut wie tot, ahnte es allerdings noch nicht.

Er kam gerade von seiner Freundin Melanie Fink zurück, mit der er sich gestritten hatte, bereits zum wiederholten Male. Sie wohnte in der Winzererstraße am Rande Schwabings. Dieses Treffen war besonders heftig verlaufen, möglicherweise war es jetzt zwischen ihnen endgültig aus. Auf dem Rückweg im 33er Bus war er anderen Fahrgästen aufgrund seiner Selbstgespräche aufgefallen, denn er war noch immer äußerst erregt. Noch nie hatte ihm eine Freundin derart die Meinung gepfiffen. Unverschämt! Wer war er denn? Auch ein älterer Herr, der ihm gegenübergesessen hatte, hatte ihn einige Zeit beobachtet und ihn dann mitfühlend gefragt: „Alles in Ordnung?“ Siegmund hatte den Kopf geschüttelt und gemurmelt: „Meine Sache, kümmern Sie sich um Ihren eigenen Scheiß.“

„Tu ich sowieso, Sie unfreundlicher Mensch, Sie …“, hatte der andere ungehalten reagiert und war an der nächsten Haltestelle kopfschüttelnd ausgestiegen. Siegmund hatte diese Antwort wahrscheinlich automatisch gegeben, er war innerlich einfach noch total aufgelöst und fluchte still vor sich hin.

Für Melanie sollte das wirklich das entscheidende Gespräch gewesen sein. Sie hatte sich vorgenommen, absolut ruhig zu bleiben, leider hatte sie es nicht hinbekommen. Es brodelte zwischen ihnen bereits seit einiger Zeit. Dieses Gespräch sollte jedoch die Wende bringen. Das hatte Melanie bis zuletzt gehofft, doch es war alles schiefgegangen.

„Ich werde nächsten Monat dreißig Jahre alt, Siegmund“, hatte sie begonnen. „Wir sind seit mehr als vier Jahren zusammen und du weichst mir in letzter Zeit nur noch aus. Ich mache das nicht mehr länger mit.“

Siegmund hatte erst gestutzt und dann versöhnlich gekichert. „Reg dich nicht auf, Liebling, ich bin bereits fünfunddreißig. So ist eben das Leben, jedes Jahr kommt wieder eins drauf.“

„Schlimm genug, dass du noch immer nicht rausrücken willst, was aus uns werden soll.“

„Damit brauche ich nicht rauszurücken, du weißt es genau. Ich werde katholischer Pfarrer und du wirst meine Haushälterin und so weiter und so weiter.“ Dabei grinste er genüsslich.

„Nie und nimmer“, ging sie auf. „Du hast versprochen, Wissenschaftler oder wenigstens Religionslehrer zu werden und dass wir beide bald eine Familie gründen. Immer wieder hast du das versprochen!“

„Ja, ja, wenn wir uns im Bett vergnügten und alles gut lief. Gesagt habe ich das nur, weil du mir keine Ruhe gelassen hast. Aber eigentlich war das immer nur dein Wunsch, niemals meine Absicht, Liebes.“

„Liebes?“, war sie explodiert. „Liebes? Du verdammter Mistkerl. Niemals hätte ich mich auf dich einlassen sollen. Mit einem ehrlichen Mann könnte ich längst eine Familie und ein oder zwei Kinder haben und du hältst mich von einer Aussprache zur nächsten hin. Ich weiß nicht einmal genau, ob du wirklich noch studierst, gehst ja kaum mehr hin. Du wirst mir immer fremder.“

Melanie war total in Rage. „… und dauernd schleppst du irgendein anderes Auto an, was machst du eigentlich damit? Ich begreife nicht, was das soll, mal ein schickes, dann wieder eine alte verrostete Karre, angeblich von einem deiner Freunde. Und was für merkwürdige Kerle das sind, deine sogenannten Freunde. Entweder darf ich sie nicht kennenlernen oder sie kommen nur, wenn ich nicht da bin. Wie die schon aussehen. Und jeder kommt allein, oft sogar heimlich, das sind doch keine Freundschaften, was bedeutet das überhaupt? Und woher hast du das viele Geld, auch für die Dachterrassenwohnung? Deine Eltern sind alles andere als reich, ich habe sie schließlich kennengelernt ...“

„Viel Geld soll ich haben?“, hatte Siegmund ihren Ausbruch gestoppt. „Du tickst ja nicht richtig! Schön wär´s. BAföG natürlich, davon lebe ich. Aber viel ist das wirklich nicht. Gerade so viel, dass ich nicht verhungern muss“, fuhr er ironisch, aber inzwischen auch deutlich erregter, fort. „Und meine Freunde gehen dich gar nichts an!“

„BAföG? Lass dich nicht auslachen. Das reicht gerade mal für die Nebenkosten deiner Wohnung, geschweige denn für die Miete und deinen aufwendigen Lebenswandel. Immer hast du einen Haufen Geld in der Tasche. Das glaub ich dir schon lange nicht mehr. Und wo gibt’s denn so was, dass mich deine Freunde nichts angehen. Was für eine Basis haben wir beide überhaupt noch? Ich will endlich die Wahrheit wissen oder wir sehen uns heute zum letzten Mal.“

„Mein Gott noch mal!“ Er zog die Augenbrauen besonders hoch, das konnte er sehr gut und liebte diese eindrucksvolle Geste. „Immer dasselbe Theater. Bitte beruhige dich, liebste Melanie.“

„Liebste Melanie?“, ihre Gesichtsfarbe war inzwischen dunkelrot. „Liebste Melanie? Entweder auf der Stelle absolut reiner Wein oder du haust ab und lässt dich bei mir nie wieder blicken.“

„Bitte lass uns darüber reden, konnten wir doch bisher immer – oder nicht?“ Er versuchte ihre Wange zu tätscheln.

Melanie, seit kurzer Zeit hatte sie den blauen Gürtel in Judo, hatte ihn jedoch am Oberarm gepackt, zur Tür geschoben, rausgeworfen und die Tür zugeknallt. „Das war mein Ernst“, hatte sie noch durch die geschlossene Tür gerufen, war dann heulend in ihr Wohnzimmer gerannt und hatte sich aufs Sofa geworfen.

Zuerst hatte er verdattert vor der zugeknallten Tür gestanden. So etwas war ihm noch nie passiert, einfach rausgeschmissen. Ihn? Siegmund? Er war immerhin ein besonders gutaussehender Mann, 35 Jahre alt, 1,85 groß, 77 kg schwer, edle Gesichtszüge, volles dunkles Haar, moderner Schnitt, immer top und teuer gekleidet. Viele schicke Frauen waren seinem unwiderstehlichen Charme erlegen, wenn immer er es darauf anlegte, zum Beispiel zur Abwechslung, wenn Melanie mal wieder Nachtschicht hatte – und das kam regelmäßig vor. Er konnte allerdings auch anders, das gehörte zu seinem Geschäft. Siegmund war, wenn es notwendig wurde, brutal und rücksichtslos. Zum Glück konnte er mit Melanie seine zwei oder manchmal drei verschiedenen Leben problemlos unter einen Hut bringen, schließlich war er besonders intelligent. Aufgrund der lukrativen Nachtzuschläge konnte sie so ihren Lebensunterhalt leichter bewältigen. Auch das Judotraining kostete viel Zeit, nach zwei oder drei Stunden Sport am Abend fiel sie oft erschöpft ins Bett und wollte sich nicht mehr mit ihm treffen. Das kam natürlich ebenfalls sowohl seinen Interessen als auch seinen Geschäften entgegen. Seine Freunde konnte Melanie nicht leiden, sagte sie immer, das war auch gut so. Zum Glück hatte sie nicht die geringste Ahnung, welche Geschäfte Siegmund mit ihnen immer wieder plante und durchführte.

Melanie bezweifelte offensichtlich seit einiger Zeit sein halbherziges Theologiestudium, heute war es ihr zum ersten Mal ganz deutlich rausgerutscht. Was für ein einfältiges, harmloses, doch meist nettes und williges Mädchen! Eigentlich wusste sie ja, dass er eingeschrieben war. Siegmund schüttelte nachdenklich den Kopf. Er musste aufgrund seiner vielfältigen Aktivitäten irgendeinen dummen Fehler begangen haben, sonst wäre sie noch immer absolut ahnungslos. Das sollte nicht wieder vorkommen.

Nach dem Abitur wollte er eigentlich Informatik studieren, weil das damals so ein angesehener Studiengang war, aber schon zu Beginn des zweiten Semesters war ihm klar, dass er überhaupt nicht mehr verstand, worüber da geredet wurde. Dieses Geschwafel über langweilige Mathe interessierte ihn einfach nicht. Also wechselte er zu Betriebswirtschaftslehre und kämpfte sich dort bis zur Zwischenprüfung durch, die er prompt versaute. Betriebswirtschaft war für ihn schon sehr wichtig, genau genommen seit Jahren, jedoch nicht diese doofe, ermüdende Theorie. Immerhin war Siegmund zu dieser Zeit bereits voll im Geschäft. Was also tun? Philosophie oder Theologie? Er entschloss sich für das Letztere, da hatte er endlich Ruhe und so verging einige Zeit, in der er seine lukrativen Aktivitäten mehr und mehr ausbaute.

Am Rotkreuzplatz war er ausgestiegen und die wenigen Meter zu seinem Wohnhaus in der Donnersbergerstraße geschlendert. Seine Laune hatte sich inzwischen wieder deutlich verbessert. „Dann soll sie meinetwegen der Teufel holen“, entschied er zum Thema Melanie und dachte lächelnd an seine Eroberung vom vorletzten Abend. Die freute sich gewiss auf ein Wiedersehen und ein paar schöne Stunden mit ihm. Seit in diesem altehrwürdigen Jugendstilhaus der kleine Lift eingebaut worden war, ersparte er sich das nervige Treppensteigen in das fünfte Obergeschoss und umging damit auch die neugierigen Blicke aus diversen Türspionen. Er öffnete die Haustür und betrat den Lift. Eine kleine Melodie pfeifend, verließ er oben die Liftkabine und steckte den Schlüssel ins Türschloss. Nanu, hatte er denn vergessen, zuzuschließen, als er zu Melanie gefahren war? Das sollte künftig nicht mehr vorkommen, immerhin wird in Neuhausen immer öfter eingebrochen. Er zog seine Jacke aus, hing sie an den Garderobenhaken und wollte sein Wohnzimmer betreten. Doch da lag ein unbestimmter Geruch in der Luft. Er stutzte. Nach zwei Schritten hätte die Überraschung im Wohnzimmer kaum großer sein können: „Wie kommst denn du in meine Wohnung?“ Siegmunds Lächeln war verschwunden, eine steile Falte über den Augen verriet seine Anspannung, es arbeitete in seinem Kopf unter Hochspannung.

„Hier“, sein Gegenüber hielt einen Schlüssel hoch. „So ein primitives Schloss schafft sogar ein halbseitig Gelähmter.“

„Ich habe dich nicht zu mir gebeten! Dreimal sagte ich bereits, dass ich mit dir nichts mehr am Hut haben will, gar nichts, endgültig, verstanden? Mach, dass du rauskommst, auf der Stelle, sofort, sonst …!“

Siegmund hob arrogant den Kopf.

Der Besucher stand auf, zog die Pistole mit Schalldämpfer hervor, die er unter der Tageszeitung verborgen gehalten hatte. „Sonst was …?“

Siegmund wurde blass: „Blödmann, lass das und hau endlich ab!“

„Du hast uns betrogen! Dachtest du, wir merken das nicht?“

„Waaas?“

Dann schoss der Eindringling ohne weitere Warnung. Einmal, zweimal, dreimal. Der Schalldämpfer verschluckte den todbringenden Knall weitgehend, es entstand nur ein Blubbb.

Siegmund fiel mit einem unendlichen Staunen im Gesicht. Ganz langsam. Erst knickte er ein, dann landete er auf dem Rücken. Seine Lebensgeister verließen ihn wenige Augenblicke später. Die linke Hand fiel kraftlos auf den wertvollen Teppich, auf dem sich schnell eine Blutlache bildete.

Sein Mörder drehte sich einmal im Kreis, als wollte er seinen nächsten Schritt überdenken. Dann stieg er vorsichtig und zufrieden grinsend über den leblos liegenden Körper Siegmunds hinweg und ging zum Ausgang. Er stutzte noch einmal, drehte sich um, zog dünne Gummihandschuhe über und klopfte Siegmunds Taschen ab. Schnell hatte er gefunden, was er suchte. Er zog das Handy aus der Seitentasche und nahm es an sich. Noch ein Blick in den Schrank, er nickte zufrieden, packte den Ordner mit der Aufschrift Bank und steckte ihn in eine Plastiktüte, die er aus der Jackentasche zog. Daraufhin verließ er den Raum und zog leise die Wohnungstür hinter sich zu. Der Lift stand noch immer wartend im fünften OG. Er stieg ein, entledigte sich der Latexhandschuhe, steckte sie ebenfalls in die Plastiktüte und fuhr hinunter. Niemand begegnete ihm im Haus. Draußen kam ihm eine Fußgängerin entgegen, eine ziemlich alte Frau mit einem Hund an der Leine. Ein Rehpinscher? Vielleicht.

Sie blieb stehen und stutzte, beugte sich dann zu dem kleinen Kläffer und ging weiter.

2.

Die ganze Stadt stöhnte und ächzte wie unter einer ungeheuren, unsichtbaren Last. Was für eine Hitze! Einfach schrecklich. August. Die Luft flimmerte so brutal auf die geschundene Netzhaut jener Bedauernswürdigen, die im Freien schuften mussten, dass man hätte meinen können, das Augenlicht drohe allmählich seine Funktion einzustellen. Glücklich konnten sich jene schätzen, die einen klimatisierten Arbeitsplatz hatten. Obwohl alle monatelang von November bis Mai den Hochsommer ersehnten, empfand man ihn nun eher als zu brutal. Die Menschen, die zu Fuß irgendwohin wollten, latschten mit gesenkten Köpfen durch die Straßen, ohne die verlockenden Sonderangebote in allen Schaufenstern auch nur eines einzigen müden Blickes zu würdigen. Wo sollte da der dringend erforderliche Umsatz für weiteres Wachstum herkommen? Und wieso zerrte da einer seinen armen Hund hinter sich her, bei dieser Hitze? Fast 40 Grad im Schatten, in Mallorca waren es angeblich nur 32 Grad, womit hatte München das verdient? Klimawechsel oder einfach nur Gluthitze im August? Damals, als man noch Kind war und während der Sommerferien barfuß ins Ungerer- oder Schyrenbad lief oder radelte, war man vom strahlenden Wetter restlos begeistert. Doch heute? Alles anders.

Man denke nur an die armen Eisbären im Tierpark Hellabrunn! Und erst die Pinguine! Warum reißt man diese armen Viecher aus ihrer natürlichen Umgebung? Doch wozu sich über irgendwelche Tiere Gedanken machen, auch im öffentlichen Nahverkehr war es seit Tagen brütend heiß. Sogar in der U6, wenn die aufgeheizten Züge ab dem Frankfurter Ring in der Röhre verschwanden: kein bisschen Abkühlung bis zur Endstation. Sobald dann einer in den alten Waggons, seit der Olympiade 72 im Dauereinsatz, ein Kippfenster aufzog, ging das Gezeter los: „Fenster zu! Zieht wie Hechtsuppe, verdammt noch mal! … den Tod holen!“ Der oft unerträgliche Körperschweiß mancher Fahrgäste war allerdings auch nicht gerade angenehm.

Wer frei hatte oder frei machte, krank, vielleicht eine erfundene Sommergrippe, eilte an den Wörthsee oder Starnberger See. Stau gleich hinter Fürstenried West, ein Unfall am Starnberger Kreuz. Scheiße. Irgendwann erreichte man die Ausfahrt Percha. Der Parkplatz leider bereits ab morgens neun überfüllt. Also weiter Richtung Münsing, dann gen Seeshaupt. Leider auch diese zweitausend Parkplätze seit Stunden restlos belegt.

Aber im See, da brodelte es geradezu. Schwimmen, planschen, kraulen, tauchen. Stolze Stehpaddler blickten hochnäsig auf die liegenden oder sitzenden Anfänger hinab. Surfen ohne Wind ist ohnehin sinnlos, segeln ebenso, doch in der Seemitte sonnenbaden ist schon super, die jungen Damen ohne BH wurden von allen Seiten kritisch und fachmännisch begutachtet.

Auch bei der Mordkommission München wurde geschwitzt, falls man nicht ein klimatisiertes Zimmer ergattert hatte. Das war leicht zu erkennen. Geschlossene Fenster sprachen für eine Klimatisierung, offene Fenster mit Durchzug zum Flur kennzeichneten die Räume der armen Schwitzenden. Das Büro der Hauptkommissare Thomas Huber und Florian Moser sowie ihrer neuen Kollegin, Kommissarin Martina Mahler, gehörten zur zweiten Kategorie, also transpirieren von früh bis spät. Zuweilen verkrochen sie sich in das Büro ihres Chefs, des leitenden Hauptkommissars Sepp Wanninger, dort konnte man aufatmen. Doch der Referatsleiter Dr. Dobler hatte sie wiederholt verjagt, obwohl Wanninger noch immer im Krankenstand war. „Ihr habt doch angenehmen Durchzug, seid nicht solche Weicheier!“, rief er zuletzt.

Martina wedelte sich mit einer Akte frische Luft ins Gesicht, Thomas und Florian zogen die Köpfe ein, besser keine blöde Bemerkung gegenüber dem Chef machen, in dessen Zimmer es natürlich wunderbar angenehm kühl war.

„Am Montag soll der Sepp wieder aufkreuzen“, murmelte Thomas.

„Ich habe da was läuten gehört“, bemerkte Martina. „Es soll sich bei uns verschiedenes ändern.“

„Ach ja? Was denn? Und woher weißt du …?“

„Alex Gerstenkron hat irgendeinen geheimen Draht und hat es mir gesteckt.“

„Und zwar?“

Thomas hob interessiert den Kopf und zog die Stirn in Falten.

„Was soll der denn wissen?“ Florian schüttelte den Kopf. „Ist doch erst seit kurzer Zeit in der Rechtsmedizin.“

„Sind inzwischen fast zwei Jahre, lieber Florian“, entgegnete Martina. „Angeblich soll der Wanninger jetzt tatsächlich ganz aufhören und der Dobler will unsere K3 völlig umkrempeln.“

„Nein!“, erschrak Thomas, „und wer soll sein Nachfolger werden?“

„Ich glaube …“, grinste sie hinterhältig und machte eine längere Pause, „du nicht, Thomas.“

Thomas verzichtete auf eine Antwort und starrte wieder auf seine Akte mit Todesfall und Fahrerflucht. Ein Porsche Cayenne war nach Mitternacht aus der Elisabethstraße kommend rasant um die Kurve geprescht und hatte in der Kurfürstenstraße einen Mann, der seinen Hund ein letztes Mal Gassi geführt hatte, überfahren. Der jaulende Hund hatte Anwohner geweckt, die im Schlafanzug herunter geeilt waren, um erste Hilfe zu leisten. Leider vergeblich. Die Polizei hatte Lackspuren und ein paar Plastikreste eines Scheinwerfers sichergestellt, eindeutig ein Porsche Cayenne, anthrazitgrau. Leider gab es in München davon genau einhundertzweiundsechzig gemeldete, in den umliegenden Landkreisen noch deutlich mehr Fahrzeuge dieses Typs. Inzwischen hatte Thomas mit allen Porsche-Werkstätten Kontakt aufgenommen und sofortige Benachrichtigung gefordert, sobald ein Fahrzeug mit genau diesen Schäden aufkreuzte. Die Liste mit den einhundertzweiundsechzig Fahrzeugen im Stadtgebiet hatten sie sich geteilt und bereits die ersten siebenundzwanzig Pkws in Augenschein genommen. Bisher leider Fehlanzeige.

„Heute mindestens fünf Fahrzeuge für jeden, verstanden?“, schnauzte Thomas schweißüberströmt, sein Hemd klebte am Körper. „Nehmt euch ein paar weitere Adressen mit, falls die Herrschaften nicht anwesend sind.“

„Das kann dauern, bei dieser Hitze“, regte sich Martina auf. „Den finden wir sowieso nie.“

„Mit so einer Einstellung garantiert nicht, Martina.“

„Eine schöne Freitagsbeschäftigung“, meinte Florian. „Die ganze Woche Gluthitze. Montag besprechen wir den Fall mit dem Sepp. Vielleicht kann der noch ein paar Kollegen aktivieren, damit wir schneller durchkommen.“

Die Ergebnisse waren leider ernüchternd. Von den insgesamt siebzehn Adressen konnten sie fünf Fahrzeughalter antreffen, alle unfallfrei, die übrigen waren entweder bereits ins Wochenende entfleucht oder aus anderen Gründen nicht erreichbar. Es war eine harte und schweißtreibende Woche gewesen. Dafür winkte jetzt ein wunderschönes, erholsames Wochenende.

Wie erwartet, saß der leitende Hauptkommissar Sepp Wanninger am Montag bereits ab sieben Uhr in seinem angenehm klimatisierten Büro und grinste seinen Kollegen entgegen, als sie nach und nach aufkreuzten.

„Schön, euch zu sehen“, begrüßte er sie lächelnd.

Martina hechelte zuletzt herein. „Guten Morgen, Sepp, schön, dass du wieder da bist. Hoffentlich hat uns der Alex Gerstenkron einen Bären aufgebunden.“

Wanninger runzelte die Stirn. „Wie meinst du das?“

Martina eierte nicht lange herum, sondern brachte es sofort auf den Punkt. „Er meint zu wissen, dass du dich verdrücken willst. Ist da was dran?“

Wanninger starrte erst einige Zeit zum Fenster.

„Vielleicht doch?“, bohrte Martina weiter.

Schließlich nickte er. „Schon. Da ist was dran. Ich wollte euch heute sowieso informieren. Seit Tagen bin ich mit dem Dobler im Gespräch.“

„Mit dem Dobler? Seit Tagen? Ich dachte, du warst krank.“

Wanninger nickte. „Schon. Dobler möchte es nämlich, weil ich die Altersgrenze bereits überschritten habe, also, eigentlich hat er mich unmissverständlich gebeten aufzuhören, angeblich steht bereits ein Nachfolger in den Startlöchern und er könne ihn nicht länger hinhalten. Er meint, wenn ich einverstanden bin, würde er mich weiterhin ab und zu als Berater zuziehen, wegen meiner langjährigen Erfahrung. Und sowieso volle Pension und noch eine Sonderzulage, leistungsbezogen, versteht sich. Warum soll ich mich gegen so ein gutes Angebot wehren? Seit der Ermordung unserer lieben Lena Paulsen habe ich immer wieder mal mit diesem Gedanken gespielt. Ich hoffe, ihr könnt mich ein wenig verstehen.“

Seine Mitarbeiter starrten ihn sprachlos an.

„Und ab wann?“ Martina runzelte kritisch die Stirn.

„Eigentlich ab sofort.“

Thomas hielt einen Moment die Luft an. „Das kannst du nicht machen, Sepp. Seit Jahren arbeiten wir zusammen, sind Freunde geworden. Und jetzt das? Sag, dass das nicht wahr ist.“

„Entschuldige Thomas, aber ich habe mich erst gestern Abend endgültig entschieden. Ich musste. Ich konnte nicht mehr anders. Dobler war stundenlang bei mir.“

„Und was für ein Nachfolger steht angeblich in den Startlöchern?“ Thomas brannte diese Frage auf den Lippen, immerhin war er nach Wanninger der Dienstälteste.

„Tut mir leid, Thomas. Ich hatte dich vorgeschlagen, aber Dobler will nicht. Er hat irgendeinen Promovierten im Auge, der angeblich mit großer Erfahrung zu uns kommt. Er will auch die K3 personell aufstocken.“

„Na super“, entgegnete Thomas bitter. „Vielleicht muss er noch weiter aufstocken, wenn ich verschwinde.“

„Bitte Thomas, du solltest nicht voreilig etwas in Gang setzen, das dir später vielleicht leidtut. Schaut euch den Mann doch erst einmal an. Später kannst du immer noch eine andere Entscheidung treffen. Um zehn Uhr sollen wir übrigens zu Dobler ins Büro kommen.“

In Dr. Doblers Büro empfing sie, wie nicht anders erwartet, angenehme Kühle. Da sie bereits wussten, was sie erfahren würden, ließen sie die einleitenden, salbungsvollen Worte Doblers ungerührt über sich ergehen. Thomas starrte nachhaltig zur Decke.

Schließlich sagte Dr. Dobler. „So viel zu meinen Plänen mit der K3. Nun möchte ich euch Herrn Wanningers Nachfolger vorstellen. Er wird auch zusätzlich, aber nur vorübergehend, also kommissarisch, die Abteilung K2 leiten.“

Er öffnete die Tür und winkte einen Mann herein, der offensichtlich im Vorzimmer bereits auf seinen Auftritt wartete. Er war mittelgroß, sehr schlank, um nicht zu sagen dünn, hatte mittelblonde Haare, soweit die überwiegende Glatze die Haarfarbe noch erkennen ließ. Auf der Nase trug er eine große, dunkle Hornbrille, die wahrscheinlich Intelligenz ausstrahlen sollte, dachte Thomas. Er trug einen vermutlich maßgeschneiderten hellen Anzug, ein hellblaues Hemd und eine passende dunkelblaue Seidenkrawatte, leicht geöffnet. Ein durch und durch gestylter Typ.

„Ich darf Ihnen Herrn Dr. Kunz vorstellen.“

Dr. Kunz begrüßte jeden Anwesenden per Handschlag. „Schön, Sie kennenzulernen, Herr Wanninger. Habe sehr viel von Ihnen gehört. Herr Dr. Dobler meint, dass gerade Sie uns noch äußerst wichtige Unterstützung leisten können. Wie ich mich darauf freue, ja wirklich.“ Sein Gesichtsausdruck strafte seine Worte Lügen.

„Hallo, Herr Huber.“ Er reichte Thomas eine Hand, die kräftig zulangte, jedoch ebenso kühl war wie sein Gesichtsausdruck. Wieso wusste er, dass er Thomas war? Er war wirklich sehr gut vorbereitet. „Mit Ihrer Erfahrung wird uns kein Fall auch nur die geringsten Probleme verursachen. Habe schon gehört, was Sie draufhaben. Und verheiratet sind Sie auch inzwischen, wunderbar, solche Mitarbeiter haben eine große Zukunft bei der Kripo.“

„Was für eine sympathische Dame“, begrüßte er Martina, die nicht weniger überrascht war, dies aber zu verbergen versuchte. „Auf eine Zusammenarbeit mit Ihnen freue ich mich ganz besonders, Frau Mahler. Ich weiß inzwischen, dass Sie in der Abteilung K2 bereits große Erfolge erzielen konnten.“

Martina fluchte innerlich über diese Unwahrheit, sagte jedoch nichts, was sollte sie auch sagen?

„Gerne begrüße ich auch Sie, Herr Moser. Wir alle werden wirklich ein starkes Team werden …“

„… sind wir schon lange“, murmelte Thomas vor sich hin, er konnte bei diesem Gesülze einfach nicht anders.

„Weiß ich doch, lieber Herr Huber, ist doch klar“, lächelte Dr. Kunz ein Lächeln, das ein wenig bedrohlich wirkte. „Und dann erwarten wir auch noch Frau Boese und Herrn Grundmann. Herr Dr. Dobler, jetzt einfach her mit den schwierigsten Fällen. Wir sind darauf ganz versessen.“

Alle blickten beim Nennen des Namens Boese überrascht hoch. Martina sagte: „Boese? Heißt die Dame vielleicht Simone?“

„Ja, wie denn sonst?“ Kunz grinste überlegen, „natürlich kennen Sie sie. Die junge Dame hat ihre Ausbildung schon vor mehr als zwei Jahren beendet und möchte nur zur K3, nirgendwohin sonst. Stimmt`s, Herr Dobler?“

„So ist es.“

Dr. Kunz nickte Dobler auffordernd zu. Der hatte verstanden und erklärte umgehend: „Tja, dann wäre alles besprochen. Herr Wanninger, bitte versuchen Sie im Laufe des Tages Ihr Büro zu räumen, morgen rücken dann unsere Maler an. Wir gönnen das unserem lieben Herrn Kunz.“

Zurück an ihrem Arbeitsplatz wollten sie es einfach nicht fassen. Wanninger stand ziemlich hilflos in seinem Büro und blickte unentschlossen herum.

„Na los, Sepp, aufräumen und abhauen. Das gönnen wir doch unserem lieben Herrn Kunz“, pfiff ihn Thomas an.

„Thomas, bitte“, entgegnete Wanninger. „Du hast es gerade gehört, ich muss aufhören. Wärst du in meiner Situation, du würdest nicht anders entscheiden.“

„Ja, ja, vielleicht“, knurrte Thomas.

Martina fragte: „Wusstest du, dass Simone Boese wieder zu uns kommen wird?“

„Nicht nur das“, Wanninger grinste verhalten. „Ich weiß noch mehr.“ Sein Grinsen verstärkte sich, für die Kollegen überraschend.

„Ach!“, entfuhr es Florian. „Dann raus mit der Sprache.“

„Ihr wisst doch, dass ich einen Sohn habe, den Stefan.“

„Ja. Und was hat der mit Simone zu tun?“, wunderte sich Thomas.

„Viel“, lachte Wanninger, „wartet kurz, ich muss erst zu Ende lachen.“

„Aber hallo“, rief Martina, „was kommt denn jetzt?“

„Also, der Stefan ist letzte Woche fünfunddreißig Jahre alt geworden. Vielleicht erinnert ihr euch, dass er bei der Polizei ist und seit drei Jahren die Inspektion Neuhausen leitet. Bei einem Polizeifest hat er Simone zufällig kennengelernt, die ist übrigens auch schon siebenundzwanzig.“

„Aha, zufällig kennengelernt“, nickte Thomas vielsagend, „es hat gefunkt, oder?“

„Ja“, bestätigte Wanninger. „Ich finde zwar, dass acht Jahre Altersunterschied nicht wenig ist, aber wo eben die Liebe hinfällt. Da sag ich euch bestimmt nichts Neues. Beide behaupten übrigens, dass sie glücklich sind.“

„Ja, besonders Stefan“, murmelte Martina. Florian grinste hinterhältig.

„So, jetzt wisst ihr das auch. Simone wird also bald meine Schwiegertochter, falls die beiden zusammenbleiben.“

„Dann wissen wir immer, wie es dir geht“, bemerkte Martina. „Ihr seht euch doch öfter, oder?“

Wanninger nickte. „Außerdem soll ich euch doch unterstützen, sagen Dobler und Kurz.“

„Das würde ich erst einmal abwarten“, zweifelte Thomas.

3.

Eine gewisse Frau Weber erschien bei der Polizeiinspektion Neuhausen.

„Was können wir für Sie tun, Frau Weber“, fragte Wachtmeister Klein.

„Ja, Weber ist mein Name“, stellte sie sich zum zweiten Mal vor. „Ich wohne in der Donnersbergerstraße im vierten Obergeschoss, ein schönes, altes Jugendstilhaus.“

Klein klopfte nervös mit dem Kugelschreiber auf die Tischplatte.

„Über mir, in der Dachterrassenwohnung, lebt ein sehr netter junger Mann, der Herr Knabe. Ja, so heißt er“, nickte sie. „Er ist immer so freundlich zu allen Nachbarn. Wissen Sie, er studiert Theologie. Pfarrer, jawohl, Pfarrer wird er mal werden. Bestimmt werden sich später mal die Damen um ihn reißen …, ich meine natürlich um zu beichten, ha, ha. Weil er so gut aussieht, Sie verstehen?“

Wachtmeister Klein nickte. „Das freut mich Frau Weber. Ist sonst noch was?“

„Ja, natürlich, deswegen bin ich ja hier. Ich habe ihn seit Tagen nicht mehr gesehen. Seine nette Freundin ebenfalls nicht. Ist das nicht merkwürdig?“

„Eigentlich nicht, Frau Weber.“ Klein rutschte nervös hin und her und klopfte inzwischen einen bestimmten Rhythmus auf die Tischplatte. „Er wird verreist sein. Wahrscheinlich mit seiner Freundin. War´s das?“

„Nein, wirklich nicht. Wenn er verreist wäre, wüsste ich das. Er hatte mich immer informiert, wenn er mehrere Tage abwesend war, dieses Mal nicht. So ein netter junger Mann. Aber seit fast einer Woche ist so ein merkwürdiger Geruch im Treppenhaus. Vielleicht, weil es zurzeit so schrecklich heiß ist. Das gab´s bei uns noch nie.“

Klein wurde hellhörig. „Wollen Sie ausdrücken, dass der Geruch aus der Wohnung des Herrn …, äääh, Knabe kommt?“

„Sagte ich doch. Natürlich. Was könnte das denn bedeuten, Herr Wachtmeister?“

„Keine Ahnung“, entgegnete Klein. „Hat einer der Nachbarn im Haus einen Schlüssel?“

Frau Weber schüttelte den Kopf. „Ich glaube, nicht einmal seine Freundin, weil sie manchmal unten im Café oder oben vor seiner Tür auf ihn wartet, wenn er noch unterwegs ist. Mit seinem Wohnungsschlüssel ist der Herr Knabe sehr eigen.“

„Können Sie den Geruch beschreiben?“

„Ja, sicher. Was soll ich sagen. Sehr unangenehm, irgendwie süßlich, könnte man vielleicht sagen. Ich habe heute Morgen an seiner Tür gerochen. Ich glaube schon, dass da der Geruch herkommt. Ich dachte, ich muss mal zur Polizei gehen und das melden, damit Sie vielleicht nachschauen.“

„Seit wann, sagten Sie?“

„Der Geruch ist immer stärker geworden. Zum ersten Mal habe ich mir schon vor ein paar Tagen gedacht, dass das in unserem Haus sehr ungewöhnlich ist. Unser Haus wird nämlich sehr ordentlich gepflegt. Das macht die Frau …, ääähm …“

„Ja, dann vielen Dank, Frau Weber. Wir werden uns darum kümmern. Auf Wiedersehen.“

Wachtmeister Klein berichtete seinem Chef, Stefan Wanninger, von Frau Webers Feststellung.

Stefan zuckte die Schultern. „Okay, dann fahrt hin und schnuppert mal an der Tür. Nimm die Claudia mit, dann könnt ihr zu zweit schnuppern.“

Keine Stunde später waren die beiden zurück. „Eindeutig Leichengeruch“, war die Feststellung der beiden Wachtmeister. „Ich habe bereits den Schlüsseldienst verständigt.“

„Okay.“

Als später die Tür geöffnet war, kam ihnen ein unausstehlicher Gestank entgegen. Nur mit vorgehaltenen Taschentüchern konnten sie die Wohnung betreten. Im Wohnzimmer lag er auf einem Teppich in einer kleineren Blutlache. Die Einschusslöcher waren nicht zu übersehen. Wachtmeister Klein winkte seinen Kollegen, sie verließen eilig die Wohnung.

Draußen atmeten sie tief durch.

„So ein bestialischer Gestank! Ich warte hier vor der Tür“, sagte Klein, „verständige Mordkommission, Spurensicherung und Rechtsmedizin. Sie sollen Masken mitbringen, damit keiner ohnmächtig wird.

---ENDE DER LESEPROBE---