Dr. Stefan Frank 2522 - Stefan Frank - E-Book

Dr. Stefan Frank 2522 E-Book

Stefan Frank

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Beschreibung

Ich bleib bei dir, Marie
Eine junge Ärztin kämpft um das Leben ihrer Tochter

Die Klinikärztin Katharina befindet sich gerade im Dienst, als ihr Handy klingelt. Am anderen Ende der Leitung erklingt die aufgelöste Stimme ihrer Tochter Marie. Die Verbindung ist schlecht und reißt bald ganz ab, aber das Wesentliche hat Katharina verstanden: Ihr Kind befindet sich in einer furchtbaren Notlage!
Panisch macht sich die junge Ärztin auf den Weg zu dem alten, stillgelegten Haus, in dem sich die Zwölfjährige offenbar aufhält. Das Gebäude liegt weit abgelegen, die Fahrt dorthin scheint sich endlos zu ziehen.
Als Katharina das verfallene Gemäuer betritt, stockt ihr der Atem. Der Boden ist eingestürzt, vor ihr klafft ein riesiges, dunkles Loch. Und von ganz weit unten dringt die immer schwächer werdende Stimme ihrer Tochter zu ihr hoch ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Ich bleib bei dir, Marie!

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Photographee.eu / shutterstock

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7325-8827-5

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Ich bleib bei dir, Marie!

Eine junge Ärztin kämpft um das Leben ihrer Tochter

Die Klinikärztin Katharina befindet sich gerade im Dienst, als ihr Handy klingelt. Am anderen Ende der Leitung erklingt die aufgelöste Stimme ihrer Tochter Marie. Die Verbindung ist schlecht und reißt bald ganz ab, aber das Wesentliche hat Katharina verstanden: Ihr Kind befindet sich in einer furchtbaren Notlage!

Panisch macht sich die junge Ärztin auf den Weg zu dem alten, stillgelegten Haus, in dem sich die Zwölfjährige offenbar aufhält. Das Gebäude liegt weit abgelegen, die Fahrt dorthin scheint sich endlos zu ziehen.

Als Katharina das verfallene Gemäuer betritt, stockt ihr der Atem. Der Boden ist eingestürzt, vor ihr klafft ein riesiges, dunkles Loch. Und von ganz weit unten dringt die immer schwächer werdende Stimme ihrer Tochter zu ihr hoch …

„Frau Dr. Jell, bitte in die drei! Dr. Jell, bitte!“

Die Durchsage machte einen Strich durch Katharinas Plan, sich nach dem langen Arbeitstag in dem gemütlichen Café an der Ecke mit einem Becher Kaffee und einem dieser unglaublich leckeren Apfel-Zimt-Küchlein einzudecken, die es nur dort zu kaufen gab.

Der dringend benötigte Koffeinschub würde warten müssen, weil sie zurück in die Notaufnahme gerufen wurde. Dort schien mal wieder die Luft zu brennen!

Rasch knöpfte sie ihren Kittel wieder zu und eilte zurück an ihre Arbeit. Streng genommen hatte sie seit einer halben Stunde Feierabend, aber daran war anscheinend noch nicht zu denken. Das feucht-kühle Herbstwetter wirkte sich auch auf das Team der Waldner-Klinik aus: Etliche Kollegen fehlten bereits, und andere hielten sich nur mit Medikamenten aufrecht, hätten aber längst ins Bett gehört.

In der Notaufnahme kam ihr Jost Mosbach mit wehendem Kittel entgegen.

„Entschuldige, dass ich dich zurückpfeifen musste, Kati, aber wir brauchen dich dringend! Der Warteraum ist voll, und Philipp hat sich eben krankgemeldet.“

„Dann bleibe ich noch. Ist doch klar.“

„Danke, dafür hast du was gut bei mir.“

„Oh, wenn ich jedes Mal einen Euro bekäme, wenn ich diesen Satz höre …“ Sie lächelte verschmitzt.

„Dann könntest du dich vermutlich bald zur Ruhe setzen“, vollendete ihr Kollege für sie.

„Zumindest ein kleiner Urlaub wäre drin“, bestätigte Katharina. Sie war seit dem frühen Morgen auf den Beinen, aber in der Notaufnahme mussten die Dienstzeiten häufig großzügig ausgelegt werden. Notfälle hielten sich nun mal nicht an Dienstpläne, sondern traten aus heiterem Himmel auf. So war es auch an diesem Nachmittag.

Vor den Fenstern des Krankenhauses nieselte es. Ein bitterkalter Wind fauchte um die Mauern und wirbelte buntes Herbstlaub auf. Im Inneren der Notaufnahme war es trocken und warm. Und es herrschte ein reges Kommen und Gehen.

Katharina arbeitete hier seit vier Jahren als Ärztin. Sie liebte ihren Beruf, auch wenn sie manchmal mit den Schichtdiensten haderte. Es war nicht immer leicht, eine schulpflichtige Tochter und einen Ehemann, der bei der Feuerwehr arbeitete, unter einen Hut zu bekommen. Manchmal hatte sie das Gefühl, mit zwölf Bällen gleichzeitig zu jonglieren.

Ihr Kollege bat sie, sich um eine Familie im Behandlungsraum drei zu kümmern.

Vor dem Zimmer traf sie auf Schwester Mila.

„Gut, dass Sie kommen, Frau Doktor! Die Thalbachs warten schon auf Sie. Ihr Sohn leidet unter Atemnot. Er hört gar nicht mehr auf, zu husten.“

„Ich schaue sofort nach ihm. Sagen Sie, Mila: Haben wir noch irgendwo einen Rest Kaffee herumstehen?“

„Tut mir leid. Den letzten Becher hat sich vorhin Dr. Mosbach gesichert. Wir müssen erst frischen ansetzen.“

„Schade. Na, dann muss es eben so gehen. Oder ich schnupfe das Kaffeepulver rasch aus der Tüte.“

„Die Wirkung wäre sicherlich durchschlagend“, erwiderte die Pflegerin schmunzelnd.

„Das fürchte ich auch.“ Katharina schob den Vorhang zu Behandlungsraum drei zurück und fand sich einem Paar gegenüber, das sich in heller Aufregung befand. Der Mann tigerte angespannt auf und ab und rang die Hände. Seine Frau hielt ein Kind von ungefähr drei Jahren auf dem Arm. Der Kleine hustete aus Leibeskräften und war hochrot im Gesicht.

Katharina stellte sich rasch vor.

„Felix hat vorhin plötzlich angefangen, zu husten“, stieß seine Mutter hervor und sah Katharina bang an. „Er bekommt kaum noch Luft! Bitte, helfen Sie ihm, Frau Doktor!“

„Wann hat der Husten angefangen?“

„Vor fünfzehn Minuten ungefähr. Gerade hatte er noch friedlich gespielt, und auf einmal hustet er und kann nicht aufhören.“

„Was hat er denn gespielt?“

„Er hat gebaut. Mit seinen Legosteinen. Die liebt er sehr.“

Katharina beschlich ein unliebsamer Verdacht.

„Hat Felix Vorerkrankungen?“

„Nein. Er ist hin und wieder erkältet, aber sonst? Nichts.“

„Mach mal deinen Mund schön weit auf, Felix.“ Katharina beugte sich vor und spähte in den Rachen des Kindes. Viel Zeit blieb ihr nicht, aber ein genauer Blick bestätigte ihren Verdacht: Zwischen zwei Hustenattacken konnte sie im Rachenraum etwas Blaues ausmachen, das keinesfalls dorthin gehörte: Ein Legostein!

Felix musste ihn sich in den Mund gesteckt und inhaliert haben. Sein Husten schien nicht auszureichen, um den Fremdkörper abzustoßen. Der Baustein steckte fest!

Katharina bat die Mutter des Jungen, ihn leicht nach vorn zu beugen. Dann versuchte sie es mit behutsamen Schlägen zwischen die Schulterblätter des Kindes.

Nichts. Felix konnte den Baustein nicht abhusten.

Ob sie den Störenfried mit der Magill-Zange zu fassen bekam? Dabei bestand die Gefahr, dass der Stein noch tiefer in die Atemwege des Kindes geriet. Trotzdem musste sie es versuchen. Das war immer noch besser als die Alternativen.

„Ich brauche die Fasszange“, wandte sie sich an Schwester Mila, die ihr das Gewünschte sogleich reichte. Dann bat sie Felix‘ Mutter, beruhigend mit ihrem Sohn zu sprechen.

Der kniffligste Teil ihrer Aufgabe bestand darin, den kleinen Jungen dazu zu bringen, eine Weile den Mund offen zu halten. Schwester Mila ging ihr dabei zur Hand.

Behutsam schob Katharina die Zange vor, fasste zu – und wenig später klapperte der Legostein in eine Nierenschale!

Felix hustete noch eine kleine Weile weiter. Dabei kullerten dicke Tränen über seine Wangen, aber endlich beruhigte sich seine Atmung. Er hickste einmal. Danach blickte er sich neugierig um. Er schien jetzt erst wahrzunehmen, wo er war.

Katharina hörte seine Atemwege und Herzgeräusche ab. Alles klang unauffällig. Es gab keinen Hinweis auf einen zweiten Legobaustein. Das war gut.

„Felix‘ Atemwege sind wieder frei. Trotzdem sollten Sie ihn morgen seinem Kinderarzt vorstellen. Es kann sein, dass die Bronchien noch eine Weile gereizt reagieren und dass er weiterhin hustet, deshalb ist eine Nachkontrolle wichtig.“

Die Eltern versprachen es ihr. Beiden stand die Erleichterung ins Gesicht geschrieben, als sie ihren Sohn wieder mit nach Hause nahmen.

Der nächste Notfall ließ nicht lange auf sich warten. Es war eine Seniorin, die über Schmerzen im linken Bein klagte. Ihre Symptome deuteten auf eine Venenthrombose hin.

Katharina untersuchte ihre Patientin sorgfältig. Stimmen und Schritte vor dem Behandlungsraum verrieten, dass weitere Notfälle eintrafen, aber sie ließ sich nicht ablenken. Sie arbeitete konzentriert und notierte jeden Handgriff.

Es wurde bereits dunkel, als es in der Notaufnahme endlich ruhiger wurde und Katharina Feierabend machen konnte.

Ihr Kombi parkte hinter der Klinik. Es war spät geworden. Sie verschob den Abstecher zum Café und fuhr direkt nach Hause.

Ihr Mann und sie hatten vor drei Jahren ein hübsches Haus in Grünwald entdeckt und gekauft. Vier Zimmer und ein kleiner Garten. Groß genug für ihre Familie und umgeben von Wald.

Hier, südlich von München, tickten die Uhren langsamer als in der hektischen Großstadt. Das gefiel Katharina. Außerdem lag das Gymnasium ihrer Tochter nur fünf Minuten Fußweg entfernt. Die idyllische Wohnlage war den längeren Arbeitsweg wert, wie sie fand.

Der Herbst färbte die Blätter im Garten bereits bunt. Vor der Haustür blühten Astern in einer Schale, und am Apfelbaum schwang Maries Schaukel sacht im Wind hin und her.

Katharina leerte den Briefkasten, presste die Post an sich und schloss die Haustür auf. Drinnen begrüßte Lulu sie mit lautem Krächzen. Die Nymphensittichdame war ihrem Mann vor sieben Jahren bei der Arbeit zugeflogen und lebte seitdem bei ihnen. Lulu durfte frei fliegen und saß am liebsten auf der Garderobe im Flur, wo sie alles und jeden im Blick hatte. Ihr Käfig stand im Wohnzimmer, aber dorthin flog sie nur zum Schlafen.

„Hallo? Jemand daheim?“ Katharina legte die Post auf den Telefontisch und schlüpfte aus ihren Schuhen.

Im Haus blieb alles still. Seltsam! Ihr Mann sollte längst vom Dienst zurück sein, und auch Marie müsste daheim sein.

Ein genauer Blick enthüllte: Der Schulranzen ihrer Tochter lehnte an der Garderobe, aber ihre Gummistiefel und die rote Regenjacke fehlten. Offenbar war sie noch draußen unterwegs.

Katharina hängte ihren Mantel auf einen Bügel. Die gerahmte Fotografie neben dem Schlüsselbrett zauberte ein Lächeln auf ihr Gesicht. Auf dem Bild ließen Markus und Marie gerade einen Drachen steigen.

Marie konnte damals nicht älter als sieben oder acht gewesen sein, und sie lachte ihr fröhliches Zahnlückenlächeln. Ihre braunen Zöpfe flogen. Ein Schwall Liebe machte die Brust der Ärztin weit. Gern hätten Markus und sie noch weitere Kinder gehabt, das war immer ihr größter Wunsch gewesen. Aber bei Maries Entbindung wäre sie beinahe gestorben.

Die Blutung war nicht zu stoppen gewesen, sodass sich die Ärzte für eine Entfernung ihrer Gebärmutter entschieden hatten. Das hatte ihr Leben gerettet, aber danach hatte sie ihre Träume von einer großen Familie begraben müssen. Ihr Mann sprach nie darüber, dass er enttäuscht war, aber seitdem arbeitete er von Jahr zu Jahr mehr.

Katharina nahm die Post mit in die Küche, um sie in Ruhe durchzusehen. Sie setzte die Kaffeemaschine in Gang und wollte gerade die Sahne aus dem Kühlschrank holen, als ihr der Zettel entgegenflatterte, der mit einem Magneten an der Tür festgemacht war. Darauf hatte sie morgens notiert:

Wie war dein Dienst, Liebling? Am Dienstag in zwei Wochen ist Elternabend. Kannst du es einrichten, hinzugehen? Ich habe in der Woche leider Spätdienst und werde es nicht schaffen. Jemand von uns sollte hingehen. Maries Klassenlehrer hat extra ausrichten lassen, dass er mit uns reden will. Ich liebe dich. Deine Katharina

Ihr Mann hatte flüchtig daruntergekritzelt:

Bin daheim, musste aber Überstunden schieben. Lass mich bitte schlafen. PS.: Wir brauchen Klopapier und Zahncreme!

Kein Wort über den Elternabend.

Etwas in ihr krampfte sich zusammen. Seit einigen Monaten lief ein Großteil ihrer Kommunikation über Zettel und das Handy. Schön war das nicht, aber etwas Gutes hatte es immerhin: Auf diese Weise war meistens jemand daheim, wenn Marie aus der Schule kam.

Ich gehe morgen einkaufen, schrieb sie unter die Nachricht ihres Mannes. Denkst du bitte an den Elternabend? Übrigens: Wir müssen bald Fotos austauschen, damit wir nicht vergessen, wie wir aussehen. Trägst du deinen Bart noch? Ich finde, er steht dir! :-)

Ratternd arbeitete die Maschine an ihrem Kaffee.

Katharina setzte sich auf die Eckbank, blätterte die Post durch und legte Rechnungen zur Seite. Plötzlich stockte sie. Ein cremefarbenes Kuvert war in einer steil nach rechts geneigten, ein wenig zittrigen Handschrift beschrieben. Der Name des Absenders traf sie wie ein Schwall Regenwasser.

Karl Wiesinger.

Ihre Hände, die selbst bei den blutigsten Notfällen kein bisschen zitterten, bebten plötzlich. Wie war das möglich? Eine Nachricht von ihrem Vater? Nach all der Zeit? Warum schrieb er ihr? Wie lange hatten sie keinen Kontakt gehabt? Fast fünfundzwanzig Jahre! Kein Lebenszeichen. Kein Anruf. Keine Karte. Nichts. Sie hatte nicht einmal gewusst, ob er noch am Leben war. Und jetzt kam plötzlich ein Brief von ihm?

Unsicher drehte sie den Umschlag hin und her. Nein, entschied sie. Nicht jetzt. Ich lese ihn später. Sie legte den Brief ungeöffnet auf das Fensterbrett.

Dabei bemerkte sie die anbrechende Dämmerung und spürte jäh einen Knoten im Magen. Ihre Tochter sollte längst daheim sein und ihre Hausaufgaben machen. Es war ausgemacht, dass sie immer nach Hause kam, sobald es dunkel wurde.

Wo blieb sie nur?

***

Betreten verboten!

Die rechte untere Ecke des Hinweisschildes war abgebrochen und fehlte. Die Schrift war bereits verblasst. Eine Schnecke saß auf Hüfthöhe an dem grauen Pfahl, als wäre ihr auf halbem Weg die Puste ausgegangen.

Unsicher kämpfte sich Marie durch das wilde Gestrüpp der Brombeersträucher. Die Dornen zerrten an ihrer Hose und ritzten ihre Haut. Das Grün wucherte so üppig, dass es kaum ein Durchkommen gab. Allerdings befand sich nur dieses eine Loch im Zaun. Sie mussten hier durch, wenn sie auf das verlassene Gelände wollten.

Aber wollte sie das wirklich?

Maries Herz wummerte so heftig gegen ihre Rippen, dass es beinahe wehtat. Ihr Blick heftete sich auf das Schild, als würde er magnetisch davon angezogen.

Eltern haften für ihre Kinder

„Vielleicht sollten wir lieber nicht da reingehen?“

„Willst du etwa kneifen? Nein, das gilt nicht.“ Olly schüttelte so energisch den Kopf, dass ihr blonder Zopf von einer Seite zur anderen flog. Sie hieß eigentlich Olivia, aber so nannte nur ihre Mutter sie – und das auch nur, wenn sie etwas angestellt hatte.

Olly hatte daheim vier Brüder und war es gewohnt, sich durchzusetzen, wenn sie gehört werden wollte. Sie sagte immer die Wahrheit, auch wenn es unbequem war. Und sie war eine liebe Freundin.

„Wir waren uns doch einig, heute herzukommen, oder?“, sagte sie, wobei ihre Zahnspange silbern hervorblitzte.

„Schon, aber da wusste ich noch nicht, dass das Betreten verboten ist“, wandte Marie ein. „Meine Eltern wären sauer, wenn sie wüssten, dass wir uns hier herumtreiben.“

„Machen wir ja auch nicht. Wir erforschen nur ein altes Gelände. Komm schon. Die Jungs sind längst drin.“

„Aber es wird schon dunkel.“

„Umso spannender ist es!“

Das fand Marie nun ganz und gar nicht, aber sie mochte nicht als Drückeberger dastehen. Also biss sie die Zähne aufeinander und kroch hinter ihrer Freundin durch den Spalt. Ihre gelben Gummistiefel quietschten auf den feuchten Blättern.

Sie waren zu viert unterwegs: Marie mit Olly, dazu Nils und Linus. Nils war ein schüchterner Junge, der oft vor sich hin träumte und wenig sprach, aber nie einen Freund hängen ließ. Linus konnte reden wie ein Wasserfall, war ein Ass in der Schule, langweilte sich jedoch rasch und war zu jedem Streich bereit. Und er liebte Gruselgeschichten.

Linus war es auch gewesen, der ihnen von der verlassenen Klinik am Rand ihrer Heimatstadt erzählt hatte. Früher war hier eine Frauenklinik untergebracht gewesen. Vor zwanzig Jahren war sie geschlossen worden. Seitdem verwilderte das Gelände. Die Natur holte es sich nach und nach zurück.

Moos und Grün brachen den Asphalt der Wege auf und wucherten in den Ritzen. Scheiben gingen zu Bruch. Das Dach des Hauptgebäudes hing schief durch, als wäre sein Rücken gebeugt von der Last der Jahre. Hinter einigen Fenstern sprossen Birken. Allerlei Tiere hatten hier ein neues Zuhause gefunden: Mäuse, Eidechsen und viele Vögel.

„Menschen leben hier schon lange keine mehr“, berichtete Linus mit gesenkter Stimme, als die Mädchen aufschlossen. „Es heißt, es ist hier nicht geheuer. Unruhige Seelen gehen um!“