Dr. Stefan Frank 2621 - Stefan Frank - E-Book

Dr. Stefan Frank 2621 E-Book

Stefan Frank

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Beschreibung

Tristans Eltern sind getrennt. Kein Wunder, wie der 17-jährige befindet, lebt seine Mutter als Opernsängerin doch ein ausschweifendes Leben. So exaltiert, wie Lilo ist, so still ist ihr Sohn. Außer Computer- und Klavierspielen hat er keine Hobbys und auch kaum Freunde. Im Gegensatz zu seiner Mutter steht er nicht gerne im Mittelpunkt. Was Lilo nicht weiß und ihr Sohn niemals zugeben würde: Im Grunde genommen ist Tristan sehr einsam und wünscht sich nichts sehnlicher, als beliebt zu sein und eine Freundin zu haben, zumal seine Mutter häufig wegen ihres Berufs unterwegs ist.
Eines Tages wird sein Traum Wirklichkeit: Tristan lernt die hübsche Xenia kennen. Sie scheint das genaue Gegenteil von ihm zu sein. Abenteuerlustig, neugierig, immer für einen Spaß zu haben. Mit ihr geht Tristan auf Partys, und zum ersten Mal in seinem Leben fühlt er sich cool. Als Xenia eine Schachtel mit bunten Pillen herausholt und ihm eine davon anbietet, greift Tristan ohne zu zögern zu. Er will ihr beweisen, dass er dazu gehört ...


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Inhalt

Cover

Sehnsucht nach den kleinen Pillen

Vorschau

Impressum

Sehnsucht nach den kleinen Pillen

Wenn Tabletten die Macht übernehmen

Tristans Eltern sind getrennt. Kein Wunder, findet der 17-jährige, lebt seine Mutter als Opernsängerin doch ein ausschweifendes Leben. So exaltiert, wie Lilo ist, so still ist ihr Sohn. Außer Computer- und Klavierspielen hat er keine Hobbys und auch kaum Freunde. Im Gegensatz zu seiner Mutter steht er nicht gerne im Mittelpunkt. Was Lilo nicht weiß und ihr Sohn niemals zugeben würde: Im Grunde genommen ist Tristan sehr einsam und wünscht sich nichts sehnlicher, als beliebt zu sein und eine Freundin zu haben, zumal seine Mutter häufig wegen ihres Be‍rufs unterwegs ist.

Eines Tages wird sein Traum Wirklichkeit: Tristan lernt die hübsche Xenia kennen. Sie scheint das genaue Gegenteil von ihm zu sein. Abenteuerlustig, neugierig, immer für einen Spaß zu haben. Mit ihr geht Tristan auf Partys, und zum ersten Mal in seinem Leben fühlt er sich cool. Als Xenia eine Schachtel mit bunten Pillen herausholt und ihm eine davon anbietet, greift Tristan ohne zu zögern zu. Er will ihr beweisen, dass er dazu gehört ...

»Nein danke, auf wilde Partys und Knutschorgien habe ich wirklich keine Lust.«

Tristan musste die Stimme heben, um den Lärm auf dem Pausenhof zu übertönen.

Vor jedem Freitagabend herrschte das gleiche Theater. Wie eine Schar aufgeregte Hühner tauschten sich die Mädchen der höheren Klassen über Schminktipps und Pickelprobleme aus. Hinter vorgehaltener Hand diskutierten sie über Aufputschmittel, die süßesten Jungs und die beste Flirttaktik. Am Montag in der Pause ging das Getuschel und Gekicher weiter, denn die Ereignisse des Wochenendes mussten unbedingt besprochen werden.

Tristan machte keinen Hehl daraus, dass ihm dieses Theater ziemlich auf den Wecker ging. Kopfschüttelnd gab er seinem Klassenkameraden den bunt bedruckten Flyer zurück.

»Außerdem habe ich am Freitagabend schon eine Verabredung mit einem Kumpel.«

Felix steckte die Einladung zurück in die Hosentasche. Seine Miene verriet Neugier.

»Wo geht ihr hin? Vielleicht schau ich vor der Party noch kurz bei euch vorbei. Dann können wir zusammen vorglühen.«

»Wohl kaum.« Tristan lächelte. »Rico und ich treffen uns nur virtuell. Wir spielen zusammen ein Computerspiel.«

»Echt jetzt?« Felix konnte es kaum glauben. »Du hängst am Freitagabend lieber vor dem Computer ab, als dich ins richtige Leben zu stürzen? Kein Wunder, dass du noch nie was mit einem Mädchen hattest.« Er grinste. »Na ja, als ich gehört habe, dass deine Mutter ein Opernstar ist, dachte ich mir schon so was.«

Äußerlich perlte diese Bemerkung an Tristan ab wie ein Tropfen Wasser auf einem Lotusblatt. Doch hinter der Fassade sah es anders aus. Wieso konnten sich die Leute nicht vorstellen, dass Lilo Loretto ein extrovertiertes Wesen und eine unbändige Lust am Leben besaß wie viele andere Menschen auch? Wenn Lilo einmal einen ganzen Nachmittag Zeit für ihren Sohn hatte – was selten genug vorkam – schlug sie automatisch einen Stadtbummel vor.

»Heute lassen wir zwei Hübschen es mal so richtig krachen, bis die Kreditkarte glüht«, verkündete sie dann immer und verstand nicht, dass Tristan keine Lust auf Champagnerfrühstück in den exklusivsten Restaurants der Stadt und Shoppingtouren hatte.

»Ich bin ein Junge, Mama«, erinnerte er seine Mutter in schönster Regelmäßigkeit an die unabänderlichen Tatsachen. »Keiner meiner Schulkameraden steht auf Shoppen.«

»Papperlapapp«, winkte Lilo nur ab. »Das erzählen sie nur nicht. Die Söhne meiner Freundinnen lieben es jedenfalls, mit ihren Müttern durch die Hauptstädte dieser Welt zu flanieren. Also zier dich nicht so! Ich erfülle dir auch jeden Wunsch.«

Meistens entstanden solche Situationen, wenn Lilo von einem langen Engagement im Ausland zurückkehrte und ein schlechtes Gewissen hatte, ihren Sohn so lange allein gelassen zu haben. Aber neue Klamotten oder teure Restaurantbesuche machten die fehlenden Gespräche, die Zuwendung und die einsamen Abende auch nicht wett, wie Tristan insgeheim befand.

Das war nicht immer so schlimm gewesen. Zugespitzt hatte sich die Situation erst, als Lilo nach der Scheidung von ihrem Mann – Peter war mit einer wesentlich jüngeren Frau ins Ausland verschwunden – vor einem halben Jahr nach München gezogen war. Bis zu diesem Umzug war Tristan Mitglied in einem Jugendorchester gewesen. Er spielte sehr gut Klavier und sehr schlecht Fußball. Statt mit dem Fahrrad zu fahren, ging er zu Fuß zur Schule und rettete unterwegs verirrte Regenwürmer oder brachte gestrandete Bienen und anderes Getier in Sicherheit. Von Zigaretten wurde Tristan genauso schlecht wie von Alkohol. Dafür konnte er, seit er während der Trennung die Ferien bei seiner Tante im Chiemgau verbracht hatte, Holundersirup selbst herstellen.

Außerdem liebte Tristan komplizierte Mathematikaufgaben und konnte sich stundenlang mit Computerproblemen beschäftigten. Über diesen Beschäftigungen war er schließlich sechzehn Jahre alt geworden. In einem Monat feierte er seinen siebzehnten Geburtstag und lehnte es kategorisch ab, eine Party zu feiern, auch wenn Lilo alles versuchte, um ihn vom Gegenteil zu überzeugen.

Tristan stellte sich seinen Geburtstag ganz anders vor als seine Mutter. Er wollte sich mit seinen Online-Freunden verabreden, um bei Holunderschorle und einer Tüte Chips das gemeinsame Lieblingsspiel zu spielen, bis seine Augen tränten.

»Was bist du nur für ein seltsamer, junger Mann«, seufzte Lilo. »In deinem Alter habe ich nur für Partys gelebt. Da hatte kaum etwas anderes in meinem Kopf Platz, als Spaß zu haben und die Nacht zum Tag zu machen.«

»Tut mir leid«, schnappte Tristen in schönster Regelmäßigkeit zurück, »dass ich kein Mädchen und so wie du geworden bin.«

»Darum geht es doch gar nicht, mein Hase«, lenkte Lilo ein. »Aber wir haben doch diese wunderbare Wohnung, die wie geschaffen ist für eine tolle Party.«

An dieser Stelle hätte Tristan jedes Mal am liebsten die Augen verdreht. Lilo lebte in ihrer Opernwelt, der er auch seinen Vornamen zu verdanken hatte. Sie kannte nur die Feiern ihrer Kolleginnen und Kollegen, wenn der Champagner in Strömen floss, ständig ein anderer Künstler am Klavier saß und sang und Häppchen vom Silbertablett gereicht wurden. In dieser Welt existierten keine Partys, die vollkommen aus dem Ruder liefen. Wenn hochprozentiger Alkohol durch Trichter in die jugendlichen Kehlen floss, Zigaretten auf teurem Parkett ausgetreten wurden und sich wild gewordene Teenager in den umliegenden Gärten erleichterten. Diese Einzelheiten ersparte Tristan seiner Mutter, wurde aber jedes Mal wütend, wenn Lilo wieder einmal von einer tollen Teenie-Party träumte.

Dabei liebte Tristan seine Mutter über alles, auch wenn das Leben mit einer kapriziösen Sängerin nicht immer leicht war. Sie hatte ihn wenigstens nicht zurückgelassen wie sein Vater. Da wog die Einsamkeit, unter der er während ihrer häufigen Engagements auswärts litt, gar nicht mehr so schwer. Immerhin wusste Tristan, dass Lilo immer wieder zu ihm zurückkam. Auch, wenn er keine Party feiern wollte und überhaupt so ganz anders war als die Jungs in seinem Alter.

***

»Kinder, wie die Zeit vergeht«, seufzte Marie-Luise Flanitzer mit einem Blick auf den Kalender, der an der Wand in der Praxis Dr. Frank hing. Das Kalenderblatt zeigte einen See im Wald. Nebelschwaden stiegen von der Wasseroberfläche auf und verwischten das Farbspiel der bunten Blätter. Es war ein romantisches Foto mit einem Hauch Melancholie. »Jetzt ist der Sommer auch schon wieder vorbei.«

»Dieses Jahr bin ick wirklich nicht böse drum. Zwischendurch war die Praxis ja ne richtige Sauna.« Beim Gedanken an die Temperaturkapriolen dieses Sommers wischte sich Martha Giesecke über die Stirn.

Marie-Luise nickte mit versonnenem Blick auf den Ventilator in der Ecke, dessen Dienste inzwischen glücklicherweise nicht mehr gebraucht wurden.

»Ehrlich gesagt freue ich mich auch schon auf den Herbst«, verriet sie. »Wenn es draußen kühler wird und man es sich nach einem Spaziergang durch das Laub drinnen mit heißem Kakao und Sahnetorte richtig gemütlich machen kann.«

»Da geh ick lieber ins Konzert«, erwiderte Schwester Martha mit einem Blick auf ihre rundliche Mitte.

»Apropos Konzert!« Marie-Luise beugte sich über ihren Terminkalender. »Wussten Sie, dass wir gleich hohen Besuch bekommen? Die Opernsängerin Lilo Loretto hat in einer halben Stunde einen Termin beim Chef.«

Martha Giesecke runzelte die Stirn.

»Lilo Loretto, Lilo Loretto«, murmelte sie vor sich hin. »Singt die nicht det Lied, das momentan im Radio rauf und runter gespielt wird?«

»Alle Achtung, Sie kennen sich ja richtig gut aus«, lächelte Marie-Luise und hielt ihrer Kollegin einen Artikel aus dem Feuilleton hin, der an diesem Morgen in der Zeitung erschienen war »Lilo Loretto hat tatsächlich ein Lied mit einem berühmten Rapper aufgenommen. Der Song ist auf Platz eins in den deutschen Charts gelandet.« Sie stimmte die ersten Töne an, als sich Dr. Stefan Frank zu seinen Arzthelferinnen an den Tresen gesellte.

»Ich wusste gar nicht, dass Sie so eine schöne Singstimme haben«, stellte er sichtlich überrascht fest. »Wir müssen sehr nett zu unserer Nachtigall sein, Schwester Martha. Nicht, dass sie am Ende noch eine Gesangskarriere anstrebt und uns verlässt.«

»Auf gar keinen Fall«, lehnte Marie-Luise entsetzt ab. »Ich kann mir keinen schöneren Arbeitsplatz vorstellen als diesen hier.«

»Für dieses Lob gebe ich heute Bienenstich für alle aus«, versprach Stefan Frank gut gelaunt, als Schwester Martha mahnend den Zeigefinger in die Höhe reckte.

»Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.« Sie hatte kaum ausgesprochen, als sich auch schon die Praxistür öffnete.

Ein arbeitsreicher Vormittag nahm seinen Anfang. Der Temperaturabfall der vergangenen Tage war nicht ohne Folgen geblieben. Allzu leichtsinnige Zeitgenossen hatten sich verkühlt und klagten über Husten, Halsschmerzen und Heiserkeit.

***

Das war aber nicht der Grund, warum Lilo Loretto die Hilfe von Dr. Stefan Frank suchte.

»Seit mich mein Mann wegen einer wesentlich jüngeren Frau Hals über Kopf verlassen hat, ist mein Lampenfieber wieder zurückgekehrt«, gestand sie offenherzig, als sie vor seinem Schreibtisch saß. »Und jetzt ist es schlimmer als je zuvor.«

Viele Menschen hätten ihr vorgeworfen zu kokettieren, schön und erfolgreich, wie sie war. Doch Dr. Frank besaß Erfahrung genug, um die Worte seiner Patientin ernst zu nehmen. Gerade die Menschen, die besonders selbstbewusst wirkten, litten häufig unter Minderwertigkeitskomplexen und brauchten das Rampenlicht und den Applaus so dringend wie das tägliche Brot. Trotzdem wunderte er sich.

»Wie kann ich Ihnen helfen, dieses Problem in den Griff zu bekommen?«

»Ich dachte, Sie könnten mir dieses Beruhigungsmittel verschreiben.« Lilo kramte einen Zettel aus ihrer Handtasche und schob ihn über den Schreibtisch.

Dr. Frank runzelte die Stirn.

»Ist das Ihr Ernst?«

»Was spricht dagegen?«, fragte Lilo sichtlich überrascht zurück. »Mein Arzt in Berlin hat mir diese Pillen vor Jahren verschrieben und ich war sehr zufrieden damit.«

»Tatsächlich kann Ihnen dieses Medikament vor einem Auftritt die nötige Gelassenheit verschaffen, aber auch rasch zu einer Abhängigkeit führen. Deshalb ist diese Möglichkeit in meinen Augen keine gute Option.«

Lilo Loretto musterte Dr. Frank mit großen Augen.

»Aber wie soll ich denn dann je wieder auftreten?«, fragte sie sichtlich entsetzt. »Wissen Sie, es war so furchtbar, als sich mein Mann von mir getrennt hat. An jenem Tag war ich gerade in London zu einem wichtigen Vorsingen, als Peter mich telefonisch vor vollendete Tatsachen stellte. Ich war so schockiert, dass ich mich ein paar Monate lang aus der Öffentlichkeit zurückzog. Ich spielte sogar mit dem Gedanken, meine Karriere an den Nagel zu hängen und nur noch für meinen Sohn da zu sein. Aber was soll ich sagen.« Lilo zuckte mit den Schultern. »Ich brauche die Bühne wie die Luft zum Atmen. Deshalb habe ich beschlossen, zurückzukehren, auch wenn ich Tristan dann wieder oft allein lassen muss.«

»Tristan ist Ihr Sohn?«

»Er ist fast siebzehn Jahre alt«, versicherte Lilo schnell. »Wenn ich nicht da bin, kümmert sich unsere Haushälterin um ihn. Frau Steiner ist ein echter Schatz.«

»Das freut mich zu hören.« Stefan Frank zog die Computertastatur zu sich heran. »Trotzdem kann ich Ihnen dieses Präparat nicht verschreiben.«

Die Tasten klapperten unter seinen Fingern. Eine Weile herrschte Schweigen im Zimmer. Ab und zu wehte ein Lachen von draußen herein oder die Stimme eines Patienten.

Schließlich hellte sich Dr. Franks Miene auf.

»Ah, hier habe ich etwas für Sie.« Er drückte eine Taste, der Drucker unter dem Schreibtisch ratterte und spuckte ein Rezept aus. »Dieses Präparat ist rein pflanzlich. Die Wirkung ist zwar nicht ganz so stark wie bei den sogenannten Benzodiazepinen, dafür machen diese Tabletten nicht abhängig. Im Übrigen können Entspannungstechniken dabei helfen, Ihre Ängste zu überwinden. Hier ist die Karte eines Psychologen, den ich Ihnen unbedingt ans Herz legen möchte.« Dr. Frank nahm die Visitenkarte aus der Schreibtischschublade und schob sie zusammen mit dem Rezept über den Tisch.

»Ehrlich gesagt hatte ich ja damit gerechnet, dass Sie meine Probleme nicht ernst nehmen würden«, gestand Lilo sichtlich erleichtert und steckte die Papiere ein. »Aber die vielen positiven Bewertungen haben nicht gelogen. Mein Sohn hat sich nämlich im Internet schlau gemacht und Sie empfohlen. Da macht es sich ausnahmsweise einmal bezahlt, dass er so viel vor dem Computer sitzt.«

Stefan Frank lachte. »Solange er es nicht übertreibt, sehe ich auch darin kein Problem. Computer sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken und es ist hilfreich, sich frühzeitig damit auseinanderzusetzen.«

»Ach, ehrlich gesagt wäre es mir lieber, wenn er mehr Freunde hätte.«

»Das kommt sicher noch«, erwiderte Dr. Frank mit einem Blick in seine Unterlagen. »Schließlich leben Sie noch nicht lange in München. Jungen Menschen in Tristans Alter fällt es besonders schwer, Anschluss zu finden. Die Pubertät ist eine besonders sensible Phase.«

»Da haben Sie recht«, seufzte Lilo. »Abgesehen davon war die Trennung nicht nur für mich, sondern auch für ihn sehr schwierig. Sein Vater hat ihn von heute auf morgen einfach im Stich gelassen.«

»Auch in diesem Fall können Sie den Psychologen zu Rate ziehen, falls Sie oder Ihr Sohn das Bedürfnis haben.«

Lilo strahlte den Arzt an. Schon jetzt war sie sicher, dass dies der Beginn einer vertrauensvollen Beziehung war, wie sie nur noch selten zwischen Arzt und Patient zu finden war.

»Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll«, erklärte sie so überschwänglich, dass Stefan Frank einen Moment lang fürchtete, sie könnte ihm um den Hals fallen. Doch Lilo Loretto hatte etwas anderes vor. Sie griff ein weiteres Mal in die Handtasche und zauberte zwei bunt bedruckte Papierstreifen hervor. »Als Dank für Ihr Verständnis und Ihre Freundlichkeit lade ich Sie zu meinem nächsten Konzert ein.« Sie drückte ihm die Tickets in die Hand. »Ein Mann wie Sie ist bestimmt verheiratet ...«

»Ich habe eine Lebensgefährtin. Aber ...«

»Sagen Sie bloß, Sie mögen keine klassische Musik.«

»Doch, sehr sogar«, gestand Stefan Frank. »Besonders im Herbst, wenn die Tage wieder kürzer werden, lieben wir die Konzerte von Mozart, Brahms und Haydn.«

Dr. Frank musste die Augen noch nicht einmal schließen, um sich gemeinsam mit Alexandra vor dem prasselnden Kaminfeuer zu sehen, die schöne Musik im Ohr und ein Glas Rotwein in der Hand.

»Wunderbar!« Lilos Zwitschern riss ihn aus seinen Träumen. »Dann werden Sie viel Freude an meinem Liederabend am Samstag haben. Ich hoffe, Sie haben Zeit.«

Dr. Frank haderte noch mit sich ob dieses großzügigen Geschenks, wusste aber gleichzeitig, dass er – wollte er Lilo nicht enttäuschen – nicht ablehnen konnte. Und wenn er erst an Alexas strahlende Augen dachte, gab es ohnehin keine Fragen mehr.