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Hans Peter Creutzer macht sich mit Wonne unbeliebt - bei der Konkurrenz, bei seinen Angestellten (vor allem den weiblichen eines bestimmten Typs), seiner Frau, seiner Exfrau, seinen Kindern... und dann wird er tot aufgefunden. Die allgemeine Trauer hält sich sehr in Grenzen. Das Team um Anne Malzahn und Joe Schönberger ist am Verzweifeln: Jeder hatte ein Motiv (ein Wunder, dass der Mann überhaupt 63 geworden ist!), jeder hat ein Alibi. Dann geschieht ein zweiter, viel unverständlicherer Mord, der die allgemeine Ratlosigkeit nur noch steigert. Zudem sind alle Beteiligten extrem hilfsbereit und redselig; dem davon leicht benommenen Team bleibt nur noch mühsamstes Abgleichen kleinster Details, bis sie über winzige Unstimmigkeiten schließlich herausbekommen, wer Creutzer auf dem Gewissen hat. Für Joe bietet dieser Fall aber auch einen sehr angenehmen Aspekt...
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Seitenzahl: 501
Veröffentlichungsjahr: 2016
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Alles frei erfunden!
Imprint
Ein naheliegendes Opfer. Kriminalroman
Elisa Scheer
published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
Der Tisch war ansprechend gedeckt, sogar Blümchen und Kerzenleuchter standen auf dem blütenweißen Tischtuch.
Allerdings schienen die beiden, die sich in gewissem Abstand gegenüber saßen, wenig Sinn für das gepflegte Ambiente zu haben.
„Iss nicht so viel von dem Brot“, mahnte Hans-Peter Creutzer seine Frau. „Du gehst allmählich aus dem Leim, und die Jüngste bist du ja auch nicht mehr.“
„Immer noch zwanzig Jahre jünger als du“, antwortete Carina Creutzer äußerlich gelassen und innerlich schäumend (wie immer), „und meine Figur ist immer die gleiche, schließlich passen mir alle meine Sachen noch. Achte du mal lieber auf deinen Blutdruck.“
„Mein Blutdruck geht dich gar nichts an.“
„Auch wieder wahr… ist ja dann nicht mein Schlaganfall, nicht? Meine Werte sind erstklassig.“
Creutzer lächelte sie über die Tischdekoration hinweg böse an. „Mach dir mal keine Hoffnungen! Sogar wenn mir etwas passieren sollte, kriegst du keinen Pfennig in die Hände.“
„Cent heißt das, seit über zehn Jahren. Ich glaube nicht, dass das juristisch haltbar ist.“
„Was verstehst du denn schon davon! Juristisch, ph!“
Carina musterte das immer noch gut aussehende, aber harte Gesicht mit den missmutigen Falten und antwortete nicht. Hätte sie nur deutlich früher erkannt, was Hans Peter für ein Dreckskerl war!
Wenn sie mehr Rückgrat hätte, würde sie ihn einfach verlassen – aber mit über vierzig war es nicht so einfach, noch eine vernünftige Stellung zu finden, und Rico verdiente ja auch nur das Notwendigste. Trotzdem, umschauen sollte sie sich vielleicht doch mal. Als Bürokraft war sie eigentlich gut gewesen, und wenn sie sich wieder auf den neuesten Stand bringen ließ…
„Du sagst ja gar nichts – fällt dir nichts mehr ein?“
„Was? Nein, wozu denn noch?“ Sie schob ihren Teller weg. „Mir ist der Appetit vergangen, herzlichen Dank.“
„Ist sowieso besser für dich“, kommentierte ihr Mann gleichmütig und aß weiter.
Carina verließ das Esszimmer und wies draußen das Mädchen Anka an, ihren Teller abzuräumen. „Und wenn Sie mögen, können Sie meine Portion ruhig selbst essen, mir ist der Appetit vergangen.“
„Vielen Dank, gnädige Frau…“ Anka sah ihr nach, wie sie die Treppe nach oben ansteuerte, und seufzte leise. Arme Frau…!
Carina stellte sich oben in ihrem Zimmer vor den Spiegel und musterte sich kritisch. Nein, alles in Ordnung. Sie trug Größe 38 und alles war noch fest und straff. Für dreiundvierzig sah sie wirklich noch gut aus, bestimmt zehn – naja, wenigstens fünf – Jahre jünger. Hans Peter musste gerade reden, er war zwar noch ganz attraktiv, aber die dreiundsechzig Jahre sah man ihm sehr wohl an!
Wie viel Geld besaß sie eigentlich? Vielleicht reichte es ja, um sich davonzumachen… immerhin, wenn sie sich scheiden ließ, bekam sie nichts. Praktisch nichts, der Ehevertrag sah knapp tausend Euro im Monat vor, sonst nichts.
Wieso hatte sie den bloß unterschrieben? Aber damals war Hans Peter wirklich überzeugend gewesen: Er müsse schon seiner Exfrau und den vier Kindern so viel zahlen, weil er da den Ehevertrag leider versäumt habe, und schließlich sei es jetzt ja die große Liebe, da sei die Scheidung doch nur eine rein theoretische Möglichkeit…
Große Liebe, pah!
Ihr Konto sah so schlecht nicht aus. Hans Peter zahlte ihr auch jetzt etwa tausend Euro Taschengeld im Monat – dafür erwartete er natürlich auch ein seiner Position angemessenes Auftreten. Er hatte aber für geänderte und mehrfach verwendete Outfits glücklicherweise keinen Blick, so dass sie durchaus jeden Monat etwas beiseitelegen konnte Toll war das natürlich auch nicht, etwa zwölftausend hatte sie jetzt – auf einem Konto/Depot, das Hans Peter gar nicht kannte.
Gab es Dinge, die sie verkaufen konnte? Sie sah sich um, eigentlich froh darüber, dass Hans Peter vor einigen Jahren auf getrennten Schlafzimmern bestanden hatte – so hatte sie in dieser Riesenhütte wenigstens einen Raum für sich.
Seitdem hatte er sie hier auch nicht mehr besucht – na, egal. Wenn sie Sex wollte, traf sie sich eben mit Rico, der war sowieso der bessere Liebhaber.
Und was gab es hier jetzt? Einen Haufen Taschenbücher zum Thema romantische Liebe – besseres Altpapier. Und von der Romantik war sie ohnehin geheilt. Aber endgültig!
Schmuck? Wenig, das meiste würde Hans Peter im Scheidungsfall behalten wollen, und bei einem Streit konnte er sehr, sehr unangenehm werden…
Ideal wäre es, wenn er morgen auf dem Weg zu seiner blöden Jagdhütte gegen einen Baum knallen würde. Er konnte sie nämlich gar nicht komplett enterbt haben!
Der Tisch war für sechs Personen gedeckt und man hatte hier auf Tischschmuck und sonstige Überflüssigkeiten verzichtet; das Geschirr hatte zwar einen Goldrand, aber der war schon recht verblasst.
Interessehalber drehte Jonathan seinen Teller um und studierte den Boden – nein, kein Markenporzellan. Also, als seine Eltern noch miteinander verheiratet waren, hatte Mama bestimmt deutlich edleres Porzellan besessen!
Na, auch egal. Geschirr war nicht das Problem.
„Schön, dass du schon da bist, mein Junge!“ Seine Mutter kam mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu. Er erwiderte die Umarmung und schnupperte unauffällig: Natürlich, sie hatte sich schon den einen oder anderen Aperitif genehmigt. Mama trank eindeutig ein bisschen zu viel… betrunken war sie nie, aber schon häufig leicht im Tran.
„Du bist der allererste, das freut mich“, fuhr sie fort, während sie zur Sitzgruppe am anderen Ende des Raumes schritt. „Komm, setz dich doch! Einen kleinen Sherry?“
„Nein, Mama, danke schön – und ich glaube, du hattest auch schon einen?“
Sie lächelte fein und klopfte auf das Sofa neben sich. Er setzte sich und erzählte auf ihre Fragen hin bereitwillig von der Arbeit, beteuerte, völlig fit und gesund zu sein, und deutete vage Urlaubspläne an. Zufrieden war seine Mutter damit aber nicht. „Junge, du solltest jetzt aber wirklich allmählich ans Heiraten denken, immerhin wirst du bald dreiunddreißig, findest du nicht, dass es höchste Zeit ist?“
„Ach, Mama, nun lass mir doch Zeit – Julia hat es damit auch nicht so eilig!“
Sie hatte schon den Mund geöffnet, wohl, um weitere mahnende Worte zu äußern, als es wieder klingelte. Erleichtert stand er auf. „Ich geh schon, Mama.“
Vor der Tür standen seine Schwester und sein Schwager. Er umarmte Tatjana vorsichtig, um ihren Achtmonatsbauch nicht zu drücken, und klopfte Paul auf die Schulter. „Alles okay?“
„Klar“, antwortete Tatjana. „Was soll nicht okay sein? Wir haben sogar die Babyecke schon fertig.“
„Babyecke“, wiederholte Jonathan, „dass ihr nicht einmal ein eigenes Kinderzimmer haben könnt?“
„Nun lass doch mal“, schaltete Paul sich ein und schob seine Frau vorsichtig über die Türschwelle. „Wir haben eben nur drei Zimmer, und im dritten wohnt, wie du sicher weißt, Sybilla. Die kann sich doch noch keine eigene Wohnung leisten, im dritten Semester! Und bei Mama wohnen will sie natürlich auch nicht.“
„Voll uncool“, ergänzte Tatjana mit feinem Lächeln.
„Ich mache doch euch keinen Vorwurf!“ Er nahm seiner Schwester den Mantel ab und hängte ihn auf. „Aber ich finde, Vater könnte euch wirklich ein bisschen unter die Arme greifen. Wieso müsst ihr eigentlich Sybilla durchfüttern, das wäre ja wohl sein Job!“
„Fang doch nicht immer wieder mit den alten Geschichten an! Erstens füttern wir Sybilla ja nicht alleine durch. Sie jobbt, deine Mutter zahlt ihr etwas und du gibst doch auch etwas dazu, na, und Basti hat halt nicht so viel. Den müsste man ja fast selbst noch durchfüttern, den Armen. Und außerdem weißt du doch, wie dein Vater denkt: Wozu Mädchen ernähren, die kann man später sowieso für nichts gebrauchen, die kriegen bloß wieder Kinder und die kosten dann wieder sinnlos Geld.“
„Verklagen sollte man ihn eigentlich“, murmelte Jonathan, „oder mal der Presse ein paar Fakten zukommen lassen.“
„Herzloser Tycoon lässt Kinder hungern?“, fragte Paul amüsiert. „Nachher gibt es noch eine Spendensammlung für uns… lass das bloß bleiben. Erstens kommen wir selbst gut zurecht – eine Babyecke reicht doch erstmal, und dann sehen wir weiter – und zweitens würde er uns bloß ohne Ende schikanieren, wenn wir ihm seinen Ruf versauen.“
„Auch wieder wahr“, musste Jonathan zugeben und schrak zusammen, als direkt neben ihm die Türglocke wieder schrillte.
Dieses Mal kamen Sebastian und Sybilla. „Wir haben uns unten vor der Tür getroffen, so ein Zufall aber auch!“
„Wahnsinnszufall“, relativierte Sebastian, „wir sollten doch alle um sieben hier sein, oder? Und, wie geht´s allen so? Jani, alles okay?“
„Klar. Sie wächst und gedeiht und tritt fleißig um sich.“
Sybilla kicherte, während sie sich aus dem Mantel schälte. „Das wird Vater aber gar nicht freuen – bloß ein Mädchen?“
„So what? Er ärgert sich doch über die Schwangerschaft an sich schon genug – der alte Womanizer wird Opa, da graust es ihm doch. Wenn mir alles so egal wäre…“
„Hast Recht, Schwesterchen. Sagt mal“, fragte Sebastian, während sie das Wohnzimmer ansteuerten, „wer von euch hat unseren Erzeuger in letzter Zeit eigentlich gesehen?“
„Na, ich“, antwortete Jonathan, „ich arbeite bei CE, schon vergessen?“
„Beileid. Ich glaube, ich habe ihm Weihnachten eine Karte geschickt. Ziemlich ohne Text“, antwortete Sebastian.
„Wir haben ihn mal besucht“, erzählte Tatjana, „aber er war knurrig und hat Carina schikaniert, und wir sind schon vor dem Essen wieder gegangen, weil die Stimmung so schlecht war. Gar nicht gut für das Baby.“
Paul zog sie fester an sich.
„Ich kann ihn sowieso nicht leiden“, verkündete Sybilla und sah sich herausfordernd um. „Ich will diesen Unsympathen am liebsten nie mehr sehen.“
„Na, er reißt sich auch nicht gerade darum, also könnte dein Wunsch durchaus in Erfüllung gehen“, meinte Sebastian. „Ich glaube, seine Kinder sind für ihn nur eine Fehlinvestition. Brauchen kann er uns ja alle nicht.“
„Junge, wie kannst du so reden!“ Mama stand in der Tür des großzügigen Wohnzimmers. „Ihr seid alle vier wunderbar gelungen!“
Jonathan fand wieder, dass ihre Aussprache leicht verwischt klang. Noch etwas mehr sogar als vorhin. Sebastian hatte das auch bemerkt, wie ihm ein rascher Blickwechsel verriet.
Alle umarmten ihre Mutter mit einer Mischung aus Liebe, Mitleid und Besorgnis, denn ihr hatte die Ehe mit dem Vater nicht gutgetan – und die Scheidung, auch wenn sie fast zwanzig Jahre zurücklag, auch nicht. Immerhin hatte sie damals auf eigenes Geld zurückgreifen können, denn sie hatte von ihrem Vater Unterstützung unterhalten und von ihm später auch recht nett geerbt, so dass sie nicht mit ihrem Exmann um jeden Pfennig kämpfen musste.
Aber auch die Tatsache, dass sie sich nicht auf einen zermürbenden Kampf – eher wohl eine Schlammschlacht – eingelassen hatte, hatte der Vater wahrscheinlich als Schwäche ausgelegt, überlegte Sebastian, während er seiner Mutter liebevoll auf den zarten Rücken klopfte. Er legte ja alles als Schwäche aus.
Und wenn man sich widersetzte und kämpfte, galt man als unverschämt und wurde fertiggemacht. Man musste subtil gegen ihn ankämpfen – aber wie?
„Kinder, setzt euch doch, ich hole rasch das Essen!“
„Nein, Mama“, widersprach Sybilla und tätschelte ihre Mutter liebevoll, „du setzt dich und wir holen das Essen. Ruh dich nur aus.“
Da sie ganz offensichtlich etwas wacklig auf den Beinen war, gab die Mutter gerne nach und so holten ihre fünf Gäste eine Suppenterrine, eine Schüssel Salat, einen Brotkorb, eine Platte mit kaltem Huhn und eine Sauciere mit Remoulade und verteilten sie auf dem Tisch.
Nach kurzem gutmütigem Gezänk über die Frage, wer hier bei fettiger Remoulade besser etwas aufpassen sollte und wem etwas mehr Salat gar nicht schaden würde, wandte sich das Gespräch allgemeinen Themen zu; im Plenum wurden gehässige Bemerkungen über Creutzer senior vermieden, da ihre Mutter dies nicht so sehr schätzte – obwohl sie selbst auch nicht anders dachte.
Bei Kira Merten gab es Vitello Tonnato und Gurkensalat, dazu selbstgebackenes Brot. „Schätzchen, du machst das wirklich sehr gut“, lobte ihre Mutter und lächelte harmlos in die kleine Runde.
„Ja, wirklich superlecker!“, steuerte Toni rasch bei.
Kira bedankte sich artig. „Das ist aber nicht so schwer. Für etwas Aufwendigeres hatte ich leider keine Zeit, wir haben mehrere Marketingprojekte gleichzeitig am Laufen, und da kann man schon froh sein, wenn man mal einigermaßen rechtzeitig aus dem Laden rauskommt.“
„Aber deine Arbeit macht dir doch noch Freude?“ Ihre Mutter klang besorgt.
„Ja, natürlich, Mama. Und wenn viel los ist, ist es ja auch spannend.“
„Und du verlierst deine Stelle nicht.“
Kira lachte. „Das nun bestimmt nicht! DE geht es prima, und das verdanken sie nicht zuletzt meinem Marketingkonzept. Naja, nicht nur, ich will nicht allzu unbescheiden sein.“
„Stimmt wirklich, Frau Merten“, versicherte Toni. „Kira hat in der Branche einen sehr guten Ruf.“
Kira musterte ihren Kumpel in gespielter Entrüstung: „Sag mal, glaubst du, ich brauche Leumundszeugen, damit Mama mir glaubt? Wie kommst du mir vor?“
Toni lachte. „Muss ein Relikt aus Kindertagen sein. Da hat uns doch nie jemand geglaubt…“
„Ja, dass irgendwas schon kaputt gewesen war… oder dass wir ganz bestimmt um zehn von der Party weg sind…“ Kira grinste nostalgisch.
Ihre Mutter seufzte und lächelte. „Ein anstrengendes Kind warst du ja schon!“
„Das sind aber doch die besten“, versicherte Kira sofort. „Sag bloß, du bist nicht an der Herausforderung gewachsen?“
Da musste auch ihre Mutter lachen. „Also, ganz ehrlich, manchmal war ich wirklich froh, wenn ich mich in die Stille der Unibibliothek flüchten konnte. Hätte ich mir ein Internat leisten können, wer weiß…“
„Huch, ich erschrecke ja noch nachträglich! War ich echt so furchtbar, arme Mama?“
„Nein, nein, mein Schatz“, versicherte Frau Merten eilig, „aber manchmal habe ich mich schon gefragt, ob dir nicht doch der Vater gefehlt hat.“
Kira schnaubte. „Also, so ein Vater schon mal ganz bestimmt nicht! Creutzer ist ein arroganter, egoistischer, machtgeiler… Arsch.“
„Kira!“
„Ist doch wahr!“, murrte Kira und kam sich selbst etwas pubertär vor, aber der Gedanke an ihren missratenen Erzeuger versetzte sie immer in Wut. Außer, wenn sie sich ausmalte, was man ihm alles antun konnte – und (noch besser) wenn man etwas davon in die Tat umsetzte…
„Herr Christen hat jetzt Zeit für Sie“, verkündete die Sekretärin und öffnete die Tür weit für Kira und Toni. Christen kam ihnen mit ausgestreckter Hand entgegen. „Frau Merten, Herr Rupp, schön, dass Sie kommen konnten. Dann können wir die Modalitäten unseres Joint-Ventures heute gleich festmachen, wenn wir uns einig werden.“
Kira lächelte gewinnend. „Da bin ich mir ganz sicher. Eine Zusammenarbeit wird bestimmt für Criscom und für Digital Equipments ausgesprochen nützlich sein.“
„Eine Win-win-Situation sozusagen“, erläuterte Toni, der auch einmal etwas beitragen und nicht nur still die juristischen Formulierungen prüfen wollte.
Christen lächelte. „Ja, den Eindruck habe ich aus ihrem detaillierten Exposé auch gewonnen. Wir hatten ja auch einen Vorschlag zur Zusammenarbeit mit Creutzer Electronics, aber dieser Entwurf war deutlich weniger durchdacht und vor allem deutlich weniger günstig für uns.“
„Das kann ich mir vorstellen“, rutschte es Kira heraus.
Christen grinste. „Ach ja?“
Kira errötete. „Naja, man hört ja so manches in der Branche – ohne dass ich jetzt über CE herziehen möchte… Aber sie scheinen deutlich stärker an ihrem eigenen Vorteil als an einer gleichberechtigten Zusammenarbeit interessiert zu sein.“
Christen nickte. „Den Eindruck hatte ich auch. Gut, dann werden wir dieses Projekt gemeinsam durchziehen. Sie sind zeichnungsberechtigt?“
Kira hatte eine Vollmacht von Dr. Söltl dabei, der heute dringend nach Berlin gemusst hatte. Der Vertrag wurde feierlich unterzeichnet, es gab noch feste Händedrücke und für jeden ein Gläschen Prosecco.
Als sie mit Toni recht vergnügt die Firmenzentrale von Criscom verließ, kam ihnen ein elegant gekleideter junger Mann entgegen und Kira prustete leise, als sie ihn sah. Er dagegen eilte blicklos an ihr vorbei ins Gebäude.
„Was lachst du?“, wollte Toni prompt wissen.
„Das eben war der junge Creutzer, Jonathan. Tja, wer zu spät kommt, den bestraft das Leben… hihi.“
„Klar, die sind die Konkurrenz – aber du kannst die schon gar nicht leiden, oder?“
„Stimmt. Auch wenn ich ihn persönlich gar nicht kenne, der olle Creutzer ist ein Arsch. Allein schon, wie der Mama damals behandelt hat…“
Toni drückte tröstend ihre Schulter. „So ein Erzeuger ist schon blöd… aber es heißt doch immer, die beste Rache ist ein gutes Leben, nicht? Und jetzt haben wir ihm ein fettes Geschäft weggeschnappt.“
„Ganz genau!“
Sie machten High Five und stiegen wieder ins Auto.
„Was soll das heißen?“, fragte Hans Peter Creutzer scharf.
„Genau, was ich gesagt habe“, antwortete Jonathan nicht ohne gereizten Unterton. „Die Idee ist dir verflixt spät gekommen, und DE hat uns bei Criscom ausgestochen. Die waren schneller. Und vielleicht war ihr Angebot auch besser.“
„Bist du verrückt geworden?“ Creutzer starrte seinen Ältesten erbost an, was diesen nur mäßig beeindruckte.
„Nein“, sagte der, „aber weißt du was? Wenn ich nicht ohnehin hier arbeiten würde, würde ich garantiert keine Verträge mit CE abschließen.“
Sein Vater schien einen Moment lang sprachlos, also fuhr Jonathan rasch fort: „Deine Verträge nutzen generell nur dir, und warum sollte sich jemand darauf einlassen?“
Offensichtlich verstand der Senior gar nicht, worauf sein Sohn hinauswollte. „Natürlich nützen unsere Verträge uns! Wozu sollten wir sie sonst abschließen?“
„Ja, aber was hätte die andere Seite davon?“
Creutzer lächelte schlau.
„Du willst also die Gegenseite nur über den Tisch ziehen – und weißt du was? Das hat sich in der Branche mittlerweile herumgesprochen, und deshalb will auch niemand mehr mit uns Verträge abschließen oder sonstwie kooperieren.“
„Unsinn, das liegt doch nur daran, dass du so schlecht verhandelst! Ich bin wirklich schwer enttäuscht von dir.“
„Mir kommen die Tränen“, schnappte Jonathan. „Nein, abgesehen davon, dass du zu spät auf den Zug mit Christen aufgesprungen bist und DE einfach schneller waren, haben die offenbar auch ein Angebot gemacht, das beiden Seiten nützt. Aber das ist dir ja vollkommen fremd.“
„Aus gutem Grund, du Weichei! Was anderen nützt, schadet mir doch! Das Leben ist ein Kampf, schon vergessen? Der Starke frisst den Schwachen, und ich habe nicht vor, der Schwache zu sein, da kannst du ganz sicher sein. Und wenn du nicht so denkst, ist in dieser Firma kein Platz für dich. Du würdet Creutzer Electronics nur an unsere Feinde verschenken!“
Jonathan verdrehte die Augen. „Sag mal, hörst du dir eigentlich mal selbst zu? Feinde? Stark und schwach? Leben als Kampf? Hast du zu viel Nazischeiße gelesen oder woher kommt dieser Schwachsinn?“
Sein Vater lief rot an und brüllte: „Hinaus! Du bist gefeuert!“
Jonathan ging zur Tür, aber dort drehte er sich noch einmal um: „Gefeuert? So einfach ist das nicht, weißt du?“
„Ich ändere mein Testament!“
„Dann musst du aber auch abkratzen, sonst tritt es ja nicht in Kraft. Viel Spaß dabei.“
„Warum bist du denn so nervös?“, wollte ihre Kollegin wissen, und Alina stieß einen tiefen Seufzer aus. „Ich muss nachher zum Chef… was der bloß jetzt wieder will?“
Lilo setzte sich auf die Kante von Alinas Schreibtisch, der daraufhin leise knackte. „Wieso wieder? Musst du denn öfter zu ihm? Warum?“
„Keine Ahnung, aber der Kerl ist mir sowas von unangenehm. Nervt er dich denn nicht?“
Lilo fuhr sich durch die kurzen dunklen Locken. „Nö. Eingestellt hat mich der Personalchef, also, nach dem Einstellungstest, und den Creutzer hab ich vielleicht einmal gesehen – genau, bei dieser allgemeinen Begrüßung, wo er ein paar kalte Worte gesprochen hat - und irgendwas von Lebenskampf. Kam mir ein bisschen braun vor.“
„Wie, braun?“
„Naja, so nazimäßig eben. Die hatten es doch immer so mit Kampf und Krieg.“
Alina riss die blauen Augen weit auf. „Das auch noch! Meinst du echt – aber so alt ist er doch nun auch wieder nicht? Ich meine, die Nazis, das ist doch fast siebzig Jahre her?“
„Gibt immer noch welche.“ Lilo rutschte wieder von der Tischkante und zupfte ihre stramm sitzenden schwarzen Hosen zurecht. Unwillkürlich sah Alina auf ihre eigenen zierlichen Schenkel und strich sich dann übers Haar.
„Und, was will er immer so von dir?“
„Er hat mal was von Nachwuchsförderung gesagt, aber was er sich darunter so genau vorstellt – mir ist der Mann richtig widerlich. Ich glaube fast, der will mir an die Wäsche. Was soll ich da bloß am besten machen?“
„Hm.“ Lilo studierte Alina: mittelgroß, zierlich, blond. Wenn der Senior auf so was stand, dann war sie selbst – dunkelhaarig und eher stämmig gebaut, sehr sportlich und mit einem lauten Mundwerk gesegnet – wohl außer Gefahr. „Hast du schon mal mit der Frauenbeauftragten gesprochen?“
Alina schnaufte. „Die hat doch total Schiss vor dem Creutzer! Ich soll einfach deutlich Nein sagen, hat sie gemeint, mehr fällt ihr auch nicht ein. Weichei.“
„Blöd… und wenn er dich anpackt und du ihm in die Eier trittst, kommt das auch nicht so gut.“
„Toller Tipp. Dann kann ich mir ja gleich einen neuen Ausbildungsbetrieb suchen! Ich hätte es doch damals bei Digital Equipments versuchen sollen, Mist.“
„Wie ist denn das, wenn du zu ihm musst? Macht er dann so eklig die Tür zu und schließt ab und kommt dann immer näher?“
„Nimmst du mich eigentlich nicht ernst? So ein richtig schmutziger alter Mann ist er auch wieder nicht, eher macht er so subtil Druck – ob ich denn nicht weiterkommen möchte. Ob ich keinen Blick dafür habe, wer mir weiterhelfen könnte. Verdammt, ich schlaf mich doch nicht nach oben!“
„Würde wahrscheinlich auch nichts nützen. Oder hast du hier oberhalb einer gewissen Grenze irgendwelche Frauen gesehen? Wahrscheinlich ist es ihm hinterher bloß peinlich – der ist doch verheiratet, oder? – und du wirst nicht übernommen. Dann allerdings könnte man vielleicht vor dem Arbeitsgericht -“
„Quatsch!“, fiel Alina ihr ins Wort. „Haben wir doch bei diesem Arbeitsrechtsseminar in der Berufsschule gelernt: Der findet dann schon eine wasserdichte Begründung. Nee, der kriegt eine Anzeige, wenn es gar nicht mehr anders geht. Okay, um zwölf weiß ich dann mehr. Und wenn ich ihm wirklich irgendwas überbraten muss, dann ist das Notwehr. Du kannst bezeugen, dass ich Angst hatte!“
„Klar. So ein alter Drecksack, was fällt dem eigentlich ein?“
„Was gibt´s denn, Vater?“ Sebastian legte eine genau berechnete Mischung aus Misstrauen, Abneigung und Belästigtsein in seine Stimme, aber wie immer war sein Vater für solche subtilen Nuancen eher unempfänglich.
„Muss es denn immer etwas geben, wenn ich meinen Sohn sehen möchte?“
Hui, Vorsicht – diese seidige Stimme: Vater im Manipulationsmodus… Sebastian legte den Kopf schief. „Du hast mich noch nie sehen wollen, ohne damit eigene Interessen zu verfolgen, also lass das Gesülze.“
„Wie redest du denn mit deinem Vater?“
„Wie es mir passt. Ich kann auch wieder gehen, wenn dir das nicht recht ist, ich bin ja nicht freiwillig hier. Also, was willst du von mir?“
Creutzer setzte sich und bot seinem Sohn mit einer eleganten Handbewegung den Besucherstuhl an. Sebastian blieb stehen.
Sein Vater seufzte gramgebeugt. „Jonathan hat mich schwer enttäuscht.“
„Ach was! Sag bloß, er hat endlich mal aufgemuckt? Höchste Zeit war´s ja.“
Auf diesen Nebenkriegsschauplatz ließ sich sein Vater nicht locken. „Seine Entscheidungen schaden unserer Firma.“
„Deiner Firma“, verbesserte Sebastian. „Das ist nur deine Firma, nur du hast darin etwas zu entscheiden, alle anderen sind mindere Kreaturen, Befehlsempfänger und Sklaven. Mich wundert es nicht, dass deine besten Leute zur Konkurrenz abwandern.“
„Was? Wer sagt das?“
„Jonathan? Ihr verliert doch regelmäßig die wichtigsten Mitarbeiter, an DE, an XAM!, an alle möglichen Konkurrenzfirmen.“
Creutzer ärgerte sich sichtlich, lächelte dann aber schlau: „Du nimmst ja direkt Anteil an der Firma, das freut mich.“
„Mit einer gewissen hämischen Befriedigung, ja.“
„Ich biete dir Jonathans Position an.“
Sebastian starrte seinen Vater an. „Bist du jetzt endgültig übergeschnappt? Erstens habe ich schon einen Beruf. Zweitens habe ich von Jonathans Aufgaben keine Ahnung. Drittens interessieren sie mich auch nicht. Und viertens könnte ich keinen Tag für dich arbeiten, ohne dich zu erschlagen.“
„Beruf? Was hast du denn schon für einen Beruf? Das bisschen Gekleckse kann man ja wohl nicht ernstnehmen.“ Alles Übrige hatte er wohl wieder ausgeblendet, typisch für ihn, fand Sebastian. Der Alte hörte doch nur, was er hören wollte! War das wohl schon krankhaft?
„Ich nehme es ernst, und was du davon hältst, ist vollkommen irrelevant. Und die Tatsache, dass Jonathan BWL studiert hat, ich aber nicht, ist nicht irrelevant. Hast du langsam ein Problem damit, die Realität wahrzunehmen?“
Creutzer sprang auf. „Bist du wahnsinnig?“
Sein Sohn grinste böse. „Ich nicht… ich glaube, ich gehe jetzt besser, dieses Gespräch ist vollkommen sinnlos.“
„Du willst die Firma also vor die Hunde gehen lassen?“
Sebastian drehte sich an der Tür noch einmal um. „Warum nicht? Was geht sie mich denn an? Die Leute finden schon wieder etwas. Wenn CE eingeht, expandieren ja die anderen. Und so, wie du deinen Laden führst, bist du doch selbst schuld.“
Die Tür schloss sich hinter ihm und Creutzer starrte ihm erbost hinterher. Unverschämtheit!
Kira legte befriedigt den Hörer auf: Wieder eine interessante Information – der stellvertretende Fertigungschef bei CE hatte viel Potential und war unzufrieden, weil sein Vorgesetzter, wie der alte Creutzer ein Mann der alten Schule, ihn nichts selbst entscheiden ließ und ihn wirklich nicht entwickelte. Hm… bei DE konnten sie den Mann leider nicht wirklich brauchen, sie hatten eine perfekt besetzte Fertigung. Aber Chiefs würde schon etwas Passendes für ihn finden, die fanden immer etwas. Und damit hätte Creutzer wieder jemanden verloren, der für die Zukunft der Firma wichtig war. Sie lächelte zufrieden und wandte sich wieder ihren Aufgaben zu.
Eigentlich ging es ihr doch richtig gut: Dr. Söltl verließ sich sehr auf sie – zu Recht, wie sie selbst sagen musste, auch wenn Eigenlob stank -, sie hatte eine hübsche Wohnung, einige gute Freunde und Freundinnen, Mama ging es auch prima (sie hatte sogar einen netten neuen Freund, endlich mal wieder!) und das Wetter war schön. Und am besten: CE ging langsam so richtig vor die Hunde.
Nach dem, was man aber so hörte, schien Creutzer das gar nicht so richtig wahrzunehmen. Selbstbetrug? Realitätsverlust?
Außerdem lag ein schönes langes Wochenende vor ihr, und das würde sie in London verbringen – um fünf ging ihr Flieger, das Hotel war gebucht, Karten für zwei Musicalbesuche waren vorbestellt, und eine Einkaufsliste hatte sie sich auch schon geschrieben. Und heute Abend würde sie mit Britta irgendwo in Soho zu Abend essen und ein bisschen Tratsch austauschen… Britta arbeitete für Chiefs, einen Londoner Headhunter, und wusste immer interessante Einzelheiten zu verschiedenen Wirtschaftsskandalen. Über Britta konnte sie die Leute, die sie CE abspenstig gemacht hatte, sehr oft anderweitig unterbringen. Auslandserfahrung kam schließlich immer gut an. Da würde sie sich gleich nach freien Positionen erkundigen…
Eine Kollegin schaute durch die spaltbreit geöffnete Tür. „Kira? Schönes Wochenende, ich gehe jetzt!“
„Dir auch ein schönes Wochenende, danke! Was machst du?“
„Mei, mit den Kindern wahrscheinlich in den Funpark, die freuen sich seit Wochen darauf. Wenn das Wetter mitspielt… und du?“
Kira grinste breit. „Drei Tage London.“
„Boah, schick! Dann viel Spaß…“
Der Kopf verschwand wieder aus dem Türspalt und Kira schaute auf die Uhr. Zwölf… gut, noch eine Stunde, dann nach Hause, den Koffer holen und ab zum Flughafen. Sie liebte London – die Geschäfte in Regent und Oxford Street, die Parks, die Themse, die Busfahrten (die Underground weniger) – überhaupt alles. Und sehr gutes indisches Essen und herrliches englisches Frühstück…
Es würde mal wieder fantastisch werden!
„Sie wollten mich sprechen, Herr Creutzer?“
Er sah auf; Alina Heckel stand in der Tür.
„Aber kommen Sie doch herein, Fräulein Heckel!“
Sie trat näher und fand, dass sein breites Lächeln die Augen nicht erreichte, die sie etwas abschätzend musterten.
„Frau Heckel“, verbesserte sie automatisch.
Creutzer lachte auf. „Aber Mädchen! Seien Sie doch froh, dass man Sie als jung und ungebunden wahrnimmt und nicht als gesetzt und verheiratet – dann würde sich doch niemand mehr für Sie interessieren!“
„Ich möchte als erwachsener Mensch und nicht als billige Beute wahrgenommen werden – und woher wollen Sie denn wissen, dass ich ungebunden bin?“
„Ich würde Sie doch nie als billig ansehen, Alina? Ich darf doch Alina sagen.“
Dürfen Sie nicht.
Aber das traute sie sich dann doch nicht, also zuckte sie nur bemüht gleichgültig die Achseln.
„Also, Alina“, fuhr Creutzer fort, der für subtile messages offenbar gar keine Antenne hatte, „Sie möchten doch gerne weiterkommen, nicht?“
„Ich bin noch in der Ausbildung“, war die vorsichtige Antwort, „danach sicher gerne.“
„Ihre Ausbildung dauert drei Jahre…“
„Zweieinhalb“, antwortete Alina, „ich habe Abitur, da wird doch die Ausbildung verkürzt.“
„Nun, das hängt natürlich immer vom Ermessen der Ausbilder ab, nicht? Aber ich bin sicher, wir können da eine für beide Seiten befriedigende Lösung finden…“
Sein Lächeln bei befriedigende war eindeutig schmutzig. Er fuhr fort: „Aber das sollten wir nicht hier besprechen. Wissen Sie was? Ich werde das lange Wochenende in meiner Jagdhütte im Latschenwald verbringen, wissen Sie, wo das ist?“
Interessiert mich doch nicht. Brav schüttelte sie den Kopf.
„Nun, dann machen wir es doch so – Sie begleiten mich einfach, und wir unterhalten uns mal so richtig in Ruhe über Ihre Zukunft bei CE. Hier können Sie nämlich eine glänzende Zukunft haben!“
Ja, als dein Betthase, du alter Bock. Und so toll läuft dein Laden auch wieder nicht.
Sie zog sich rasch in Richtung Tür zurück und sagte nur: „Ich habe am Wochenende leider schon etwas vor, tut mir Leid. Gute Erholung in der Hütte!“
Damit öffnete sie die Tür und rannte hinaus.
Widerlich!
Nicht, dass er ihr etwas getan hätte, so blöde war der Drecksack nicht – aber alleine schon dieses anzügliche Gerede! Und auf den Busen geglotzt hatte er ihr auch, obwohl sie sich wirklich fragte, wieso, denn so viel gab´s da gar nicht zu beglotzen. Bei Lilo wäre er da eindeutig besser versorgt. Sie kicherte und merkte, dass das schon leicht hysterisch klang.
„Und?“, fragte Lilo, als sie wieder ins Büro kam.
„Na, wie zu erwarten. Ich soll ihn übers Wochenende auf eine Hütte begleiten, um über meine Zukunft zu reden. Ich glaube, er wird mich rausmobben, wenn ich mich weiterhin ziere.“
„Hat er das gesagt??“
„Nö. Muss er auch nicht, das kann ich mir doch denken! Täte ich an seiner Stelle vielleicht auch. Dann stellt sich die nächste nicht so an.“
„Hui, kannst du dich gut in den alten Sack reinversetzen – was verrät mir das über dich?“ Lilo feixte sie an. „Und was, hast du gesagt?“
„Bin schon verabredet.“
„Stimmt das?“
„Klar. Mit zwei Krimis, meiner Katze und meinen Eltern. Saugemütlich. Und vielleicht schaue ich am Samstag mal in die Stadt. Schuhe oder so.“
„Schuhe gehen immer“, gab Lilo ihr Recht. „Wenn du Lust hast, könnten wir auch zusammen… Kennst du „Shoe´s“?“
„Logisch. Und „Step by Step“ am Fuggerplatz?“
„Nein, ist der neu?“
„Ja, ziemlich wenigstens. Okay, am Samstag um zehn am Fuggerplatz, vor dem Haltestellenpavillon?“
„Ich muss dich unbedingt sprechen!“ Helmut Steinmann stand breitbeinig in der offenen Tür, als wollte er seinen Kompagnon daran hindern, das Büro zu verlassen.
Creutzer musterte ihn missgelaunt. „Dann mach´s gefälligst kurz, ich will in die Hütte. Also? Zwei Minuten!“
„Benimm dich nicht so rotzig, du machst dir ja nur noch Feinde!“
„Jetzt sind es nur noch neunzig Sekunden. Hast du auch irgendwas Wesentliches zu sagen?“
„Du arrogantes Arschloch, hältst du dich eigentlich für allmächtig? Mit deiner großkotzigen Einstellung treibst du die Firma in den Ruin, ist dir das denn nicht klar?“
„Das ist schließlich meine Firma!“
„Nicht nur, du vergisst, dass ich dein Teilhaber bin!“
„Ja, aber leider gehören dir nur dreißig Prozent, nicht? Schon blöd… entscheiden tue ich auf jeden Fall alleine, und ich weiß, was ich tue.“
„Du? Du hast ja jeden Bezug zur Realität verloren – bist du eigentlich sicher, dass du noch ganz bei Verstand bist? Vielleicht kündigt sich da eine Demenz an?“
Creutzer stellte seinen Aktenkoffer beiseite, schätzte die Entfernung ab und verpasste seinem Partner in aller Ruhe einen sauber platzierten Kinnhaken. Steinmann fiel hintenüber in den Flur und rutschte auf dem blanken Steinboden einige Meter weit. Creutzer nahm seinen Koffer wieder auf, schloss sein Büro ab, stieg über Steinmann hinweg und betrat den Lift. Steinmann, immer noch auf dem Boden liegend und sich das Kinn reibend, starrte ihm nach, die Augen voller Hass.
Kira hatte sich für diesen witzigen Blazer aus rosaweißem Tweed entschieden, den sie bei Debenham´s gefunden hatte. Dazu die neue Liberty-Bluse, weiß mit winzigen rosa Blümchen und ebenso winzigen silbernen Sternchen. Sie liebte Liberty-Muster und kaufte sich in London jedes Mal mindestens eine Bluse.
Um alles gut zur Geltung zu bringen, hatte sie dazu eine schmale schwarze Hose gewählt. Schwarze Pumps und alles war perfekt.
Und Britta hatte wieder einen großen Hunger an begabten jungen Führungskräften bekundet. Kira hatte ihr da ja schon öfter einige Tipps gegeben, unter anderem vor einem guten Jahr den stellvertretenden Personalchef von CE, der mittlerweile für ein deutlich besseres Gehalt bei einem Softwareentwickler in Sussex arbeitete.
Sie lächelte bei dem Gedanken, wie dumm Creutzer schauen würde, wenn ihm schon wieder jemand davonlief, und schlug die erste Mappe auf ihrem Schreibtisch auf. Ideen zur Vermarktung der neuen Power Banks. Wie etablierte man DE auf diesem Gebiet zur Megamarke? Branding war schon eine spannende Sache…
Sie brauchten ein neues Logo. Mindestens so einprägsam wie der legendäre angebissene Apfel! CE hatte übrigens gar kein Logo. Tja, Pech gehabt.
Merkwürdig übrigens, dass Creutzer noch gar nicht beim Chef aufgeschlagen war, um zu toben, weil sie ihm das Joint-Venture mit Criscom weggeschnappt hatten.
Egal, vielleicht leckte er ja einfach still seine Wunden?
Mittags konnte sie von der Salatbar aus, wo sie gedankenvoll ihren Salat mit Putenstreifen verzehrte, das oberste Stockwerk von CE hinter noch etwas dürftig belaubten Baumwipfeln sehen. Sie grinste kurz in die Richtung und aß dann gemütlich weiter.
„Jetzt ist er völlig übergeschnappt“, kommentierte Jonathan. „Und was bitte heißt „vorübergehend nicht erreichbar“?“
„Keine Ahnung. Wenigstens die Mailbox müsste doch drangehen, oder?“, überlegte Steinmann, der bei ihm im Büro saß und nachdenklich Kaffee trank. Hier war er viel besser als beim Senior, der seine Sekretärin immer nur den billigsten Kaffee kaufen ließ.
„Na, vielleicht schmollt er auch nur“, überlegte Jonathan weiter. „Am Donnerstag hat er sich ja schon recht ärgern müssen, gell? Alle haben ihm widersprochen, die Sache mit Criscom hat nicht geklappt, kein Wunder, sein Angebot war eine Frechheit.“
Steinmann lachte auf. „Wieder mal nach dem Motto Ihr dürft zahlen und wir streichen den Profit ein? Ich kann gar nicht verstehen, wieso Christen da nicht begeistert war.“
„Ganz genau. Mich lässt er ja nicht selbstständig verhandeln! Und bei DE haben die einfach geschicktere Leute. Wir können gute Mitarbeiter ja kaum halten, nicht bei den Gehältern und dem Führungsstil. Und wer widerspricht, gilt als Schwächling, den es auszumerzen gilt. Wer nicht widerspricht, wahrscheinlich auch“, fügte er nachdenklich hinzu. „Ich möchte bloß mal wissen, woher er diesen sozialdarwinistischen Schwachsinn hat.“
„Eigentlich kann er sich doch nicht ernsthaft für den weit und breit Stärksten halten, oder? Das wäre ja eine völlig verzerrte Weltsicht!“ Steinmann verspeiste das Amarettino von der Untertasse und musterte Jonathan fragend.
„Keine Ahnung. Ich wüsste nicht, dass bei uns früher „Mein Kampf“ oder sowas herumgestanden wäre. Sowas haben doch alle fünfundvierzig in die nächste Odelgrube geschmissen, oder? Bevor die Amis sich entrüsten mussten? Außerdem ist er sonst eigentlich kein Nazi, zumindest redet er politisch nicht so daher. Nur dieses stark/schwach-Gewäsch nervt – und dass er nach diesem Prinzip Geschäfte machen will.“ Er seufzte.
„Ja“, stimmte Steinmann zu, „und so ruiniert er über kurz oder lang den Betrieb. Hat die Hütte eigentlich kein Telefon?“
Jonathan überlegte. „Ich war da seit Jahren nicht mehr, wahrscheinlich würde ich nicht mal mehr hinfinden… gibt´s da ein Telefon… nein, ich glaube nicht. Genau, erst wollte er richtig abschalten können (als ob ihn jemand freiwillig anrufen würde!) – und dann hatte er ja sowieso ein Handy. Ich weiß eigentlich nur noch, dass innen alles aus Holz besteht, obwohl es eigentlich ein Steinbau ist, und dass er Hirschgeweihe und Tierfelle zur Dekoration verwendet hat. Und widerliche ausgestopfte Viecher.“ Er schüttelte sich.
„Nicht gerade untypisch für eine Jagdhütte“, bemerkte Steinmann. „Mir hat er mal lange vorgeschwärmt, wie schön es dort ist und wie man hinkommt – und dann hat er mich ganz betont nicht eingeladen… Also, nicht, dass ich mit Ihrem Vater ein Wochenende hätte verbringen wollen, verstehen Sie mich bitte nicht falsch!“
Jonathan lachte. „Schon klar. Ich glaube, er war immer alleine dort draußen. Naja, vielleicht ab und zu mal eine Dame, schmal und blond, sein Typ eben.“
„Treudeutsch und unterlegen“, vermutete Steinmann.
„Leicht übertrieben – aber ein bisschen in die Richtung. Obwohl weder meine Mutter noch die arme Carina sich wohl als deutsches Gretchen sehen dürften… wen er im Moment im Auge hat, weiß ich gar nicht.“
„Oh, deshalb die arme Carina?“
„Ach wo, das dürfte ihr egal sein, sie hat ja wohl selbst einen Tröster. Aber sie hat wohl ziemlich schnell nach der Heirat gemerkt, was sie sich da eingefangen hat – und ganz ehrlich, glauben Sie, er ist ein angenehmer Ehemann?“
Steinmann schauderte kurz, dann lachte er auf. „Ist das überhaupt einer von uns, wenn man unseren Frauen glauben darf? Obwohl, Sie sollten ja erst einmal… wird´s nicht langsam Zeit?“
„Sie könnten sich mit meiner Mutter zusammentun“, grollte Jonathan. „Meinen Sie, wir sollten meinen Vater als vermisst melden?“
Steinmann starrte ihn entsetzt an. „Sind Sie wahnsinnig? Er zieht uns die Haut ab, wenn er wieder da ist!“
Komisch war das ja schon, fand Carina, die etwas unruhig durch das Haus strich. Sonst kam er am Montagmorgen angebraust, erzählte, wie erholsam das Wochenende ohne ihr ewiges Geplapper war, duschte, warf ihr die getragenen Klamotten hin (sie hatte ja sonst nichts zu tun), schlüpfte in Businesskleidung und fuhr in die Firma.
Viertel nach zwölf – und immer noch nichts? Gut, vielleicht hatte er den Anzug ja schon mitgenommen und war gleich in die Firma gefahren.
Eigentlich war das nicht ihr Problem, er würde nur wieder behaupten, sie mische sich in Dinge ein, die sie nichts angingen. Und es war ja nun nicht so, als vermisste sie ihn – im Gegenteil, es war himmlisch ruhig im Haus. Sie schüttelte hier und da ein Sofakissen auf, verräumte die Zeitung vom Donnerstag ins Altpapier, goss die Blumen und beschloss dann, einen kleinen Stadtbummel zu unternehmen und sich vielleicht danach mit Rico auf einen Kaffee zu treffen.
Das Telefon läutete. Sie schaute aufs Display – na bitte, die Firma! Wahrscheinlich sollte sie Hans Peter irgendwelchen vergessenen Kram hinterhertragen.
„Carina? Jonathan hier – ist Vater noch zu Hause? Wir vermissen ihn hier allmählich.“
Das entsprach so sehr ihren eigenen Gedanken, dass sie lachen musste. „Ach, tatsächlich? Aber es tut mir leid, hier ist er auch nicht. Ich dachte, er ist vielleicht gleich von der Hütte in die Firma gefahren.“
„Hm… gut, richtig vermissen tue ich ihn auch nicht, aber das hat er wirklich noch nie gemacht. Weißt du eigentlich genau, wo diese dämliche Hütte ist? Ich war so lange nicht mehr dort, dass ich das echt nicht mehr auf die Reihe kriege.“
„Hm… ich war ein paar Mal dabei, als wir noch sozusagen jung verheiratet waren, aber das ist auch schon länger her. Ich glaube, du fährst nach Geresing und dahinter etwa noch zwanzig Kilometer Richtung Süden, dann steht da links so ein kleines Kapellchen und daneben zwei Marterl, dahinter geht ein Feldweg ab, auch nach links, und dann kommst du in den Latschenwald. Und dann… verflixt! Weiter weiß ich auch nicht mehr – kennt denn sonst niemand mehr die Hütte?“
„Hat er eine aktuelle Mieze, weißt du das?“
„Nein, leider. Die letzte, die er mir so richtig reingerieben hat, war diese Wieheißtsiegleich, aber das ist auch schon Jahre her, und die hat er bestimmt nicht dorthin mitgenommen, die hatte nämlich selbst ein Häuschen am Eulenburger See und da war er immer mit ihr. Er hat noch gesagt, sie ist genauso ein Plappermaul wie ich, aber immerhin muss er sie nicht durchfüttern, sie füttert ihn durch. Und so hämisch gelacht, du kennst ihn ja.“
„Weiß Gott! Warum suchen wir ihn eigentlich?“
Carina lachte. „Sehr wahr. Eigentlich kann er doch bleiben, wo der Pfeffer wächst. Weiß deine Mutter nicht vielleicht, wo diese Hütte ist?“
Jonathan seufzte. „Glaube ich nicht, bei ihr muss es doch noch länger her sein… aber ich frage sie mal.“
„Endlich mal nichts zu tun“, seufzte Joe glücklich und lehnte sich zurück, die Hände im Nacken verschränkt und seinen leeren, sauberen Schreibtisch liebevoll betrachtend.
Anne lachte. „Beschrei´s nicht. Wenn man sowas zu laut sagt, klingelt sofort das Telefon und alles geht von vorne los. Hallo, Max!“
Max Kolka wuchtete eine Kiste herein und lud sie auf dem Schreibtisch ab, den Patrick Weber vor zehn Minuten mit einer ähnlichen Kiste unter dem Arm verlassen hatte, um sich für einen Fall dem Team von Andi Reuchlin anzuschließen.
„Fehlt bloß noch Liz, wollte die nicht Frühstück holen?“
„Kaffee kochen könntest du ja schon mal“, fand Anne.
In diesem Moment trat Liz mit einer sehr vielversprechenden Bäckertüte ein und gleichzeitig klingelte Annes Telefon. Sie lauschte eine Zeitlang, machte dann „Bäh“, und fragte schließlich: „Geresing? Hinter Geresing? Sind wir da überhaupt noch zuständig? Ist das nicht schon – äh, keine Ahnung?“
Anscheinend wurde am anderen Ende fröhlich gelacht, denn sie murrte: „Verarschen kann ich mich selber“, dann legte sie etwas unsanft auf und sah die anderen an.
„Jeder schnappt sich eine Breze oder was immer da Leckeres drin ist und dann fahren wir alle zu einer gottverlassenen Hütte in einem gottverlassenen Wald irgendwo hinter Geresing.“
„Du freust dich so richtig auf den neuen Fall, gell?“, konnte Liz sich nicht verkneifen.
„Den ersten Scheißjob, der dabei anfällt, kriegst du“, drohte Anne. „Du fährst mit Joe, und Max kommt mit mir.“
*
Joe und Liz fuhren brav hinter Anne her, die ein gutes Stück hinter Geresing links abbog und einen Feldweg entlangfuhr, der den Stoßdämpfern alles abverlangte. Als sie schon dachten, es gehe ewig so weiter – ein Schlagloch am anderen – sahen sie ein Stückchen Absperrband und bogen noch einmal links ab. Jetzt gab es zwar keine Schlaglöcher mehr, aber Baumwurzeln.
„Das Präsidium sollte für solche Tatorte ein paar Jeeps anschaffen“, murrte Joe, als er hinter Anne anhielt.
„Hier?“ Liz sah sich ungläubig um – nichts als Wald. „Wer zum Henker geht denn hierher, um sich ermorden zu lassen? Am Arsch der Welt ist ja ein Dreck dagegen!“
Anne kam zu ihnen. „Weiter geht´s jetzt nicht, die Zufahrt ist schon voll. Wir laufen die paar Meter.“
„Was soll denn überhaupt passiert sein?“, fragte Joe. „Du hast uns ja nicht mal gesagt, was die am Telefon gesagt haben!“
„Da vorne in der Hütte liegt ein toter Mann. Offensichtlich ermordet. Mehr weiß ich jetzt auch noch nicht.“
Die Hütte kam in Sicht, eigentlich ein massives Haus, kunstvoll holzverschalt. Davor standen zwei Männer, einer um die dreißig, einer wohl um die fünfzig. Der Ältere rauchte hastig und aschte in einen Kaffeebecher. Ja den Tatort nicht kontaminieren, was?, überlegte Joe. Auf den beiden Treppenstufen zogen sie die üblichen Hüllen über die Schuhe und streiften sicherheitshalber Handschuhe über, dann traten sie ein.
„Puh, ganz schön warm hier drin“, fand Max.
„Aus gutem Grund“, sagte der Gerichtsmediziner, während er an der Leiche herumhantierte – einem Mann um die sechzig, der mit Handschellen an das Gitter vor der Heizung gefesselt war. Joe tippte kurz auf die Heizung – heiß.
„Wieso hat eine Hütte hier im Wald überhaupt eine Heizung?“, überlegte Liz. „Da wird´s doch wohl keinen Öltank geben? Darf man das hier?“
„Kein Naturschutzgebiet“, ließ sich eine Kollegin von der Spurensicherung vernehmen, die gerade mit Klebeband allerlei Geheimnisvolles vom Holzboden aufnahm, „aber es gibt einfach eine gewaltige Propangasflasche, die hat hier ordentlich eingeheizt.“
Anne ging neben dem Arzt in die Hocke. „Kannst du schon was sagen?“
„In groben Zügen. Schlag über den Schädel, dann hier festgekettet… er dürfte verdurstet sein.“
„Äh. Das ist ja eine perfide Methode!“
„Ziemlich unangenehm“, stimmte der Arzt zu.
„Weiß jemand, wer der Tote ist?“, erkundigte sich Joe bei niemand Speziellem.
„Creutzer. Hans Peter Creutzer. Besitzer dieser Hütte.“
„Ist das nicht der Chef von Creutzer Electronics?“, überlegte Max, der den Toten eher ungern betrachtete. Man sah Creutzer an, dass er verzweifelt versucht hatte, von dieser Heizung loszukommen, doch die Handschellen waren zwar gefüttert, aber offenbar sehr eng und sehr stabil, jedenfalls waren die Handgelenke ziemlich zerschrammt.
„Wer sind die beiden da draußen?“ fragte Liz.
„Sohn und Geschäftspartner“, war die Antwort eines Uniformierten. „Sie hatten sich Sorgen gemacht, weil er weder zu Hause noch bei der Arbeit aufgetaucht war.“
„Okay, ich geh die beiden mal befragen, okay? Vorläufig wenigstens.“ Sie zückte ihr Notizbuch und verließ den Raum, der gleich etwas weniger beengt wirkte.
„Herr Creutzer?“
Der Jüngere fuhr herum: „Ja? Was ist denn hier eigentlich passiert?“
„Dazu können wir noch nicht viel sagen“, wehrte Liz routinemäßig ab. „Er ist aber ganz offensichtlich einem Tötungsdelikt zum Opfer gefallen. Hatte er denn Feinde?“
Der Sohn lachte auf. „Bestimmt reichlich!“
„Ach ja, Herr - ?“
„Jonathan Creutzer. Ich bin sein ältester Sohn. Einer Ihrer Beamten hat, glaube ich, meine Daten schon aufgenommen.“
Liz nickte. „Warum? Ich meine, warum glauben Sie, dass er reichlich Feinde hatte?“
„Weil es so war? Schauen Sie, mein Vater war möglichweise ein verdienstvoller Mann, aber er hatte auch so seine Eigenheiten, und er ist mit Frauen und mit Geschäftspartnern nicht immer zimperlich umgesprungen. Da könnte schon jemand zu viel gekriegt haben.“
„Interessant. Fangen wir mit den Frauen an. Wen können Sie uns dort nennen?“
„Also, so arg bin ich da auch nicht auf dem Laufenden. Er hat sich von meiner Mutter scheiden lassen und sich immer ums Zahlen gedrückt (glücklicherweise war sie darauf auch nicht angewiesen), seine zweite Frau, Carina, dürfte mit ihm auch schon nicht mehr ganz glücklich sein – aber wen er momentan im Auge hat – keine Ahnung. Sein Beuteschema sind blonde, blauäugige und eher grazile Frauen, auf jeden Fall jung und nachgiebig.“ Er dachte einen Moment nach. „Ob ihm jeweils bewusst geworden ist, wie alt er mittlerweile schon war?“
„Mehr Frauen fallen Ihnen nicht ein?“
Jonathan Creutzer schüttelte den Kopf. „Ich weiß bloß noch von der, die ein Kind von ihm gekriegt hat, gleichzeitig mit meiner Mutter. Das Kind ist genauso alt wie meine Schwester Tatjana. Geschmacklos, was? Aber wie die heißt…? Meine Mutter müsste das wissen. Und das ist dann ja nun auch schon gut dreißig Jahre her – Tatjana kriegt ja bald selbst ein Kind!“
„Hat er diese Frau wenigstens unterstützt?“
„Glaube ich nicht. Er denkt wohl, wenn eine Frau Kinder kriegt, ist das ihr Problem.“ Er lachte auf. „Zu solchen Ansichten neigt – neigte – er etwas: Die Vorteile alle für ihn, die Nachteile für die anderen.“
Der ältere Mann trat näher. „Steinmann. Ich bin der Teilhaber. Jonathan hat Recht – leider hat Hans Peter in letzter Zeit auch nach diesem Prinzip Geschäfte gemacht.“
Jonathan grinste spöttisch. „Na, sagen wir – versucht. Die Gegenseite wirkte naturgemäß wenig interessiert. Denken Sie nur an das Joint-Venture mit Criscom!“
„Dem Hersteller von CD-Laufwerken und Brennern?“, fragte Liz.
„Genau, Na, unter anderem“, übernahm Steinmann wieder. „Der Vertrag war so einseitig angelegt, dass Criscom lieber mit der Konkurrenz abgeschlossen hat. Konnte man ihm wirklich nicht übelnehmen – aber gut fürs Geschäft war das natürlich nicht.“
„Und das hat er öfter gemacht?“
„Ja – beziehungsweise eben versucht“, erklärte Jonathan. „Er hatte so eine merkwürdige Stark-schwach-Ansicht, dass der Starke den Schwachen besiegt und so. Natürlich dachte er, er ist der Stärkste und die anderen sind schwach, also kann er sie übertölpeln. Ein bisschen Sozialdarwinismus, wenn ich mich richtig an meine Schulzeit erinnere. Völliger Blödsinn, natürlich.“
Liz nickte, ohne zu wissen, wie sie dies alles in einen vernünftigen Zusammenhang bringen sollte. Sie ließ sich noch die Adressen all derer geben, die er erwähnt hatte, und wandte sich dann Steinmann zu, der nicht mehr viel Neues beizutragen hatte. Er betonte vor allem, dass man Creutzers Geschäftsgebaren nur unverantwortlich nennen konnte und dass Jonathan als Juniorchef manchmal schier verzweifelt war.
Jonathan bestätigte das. „Ich glaube, wenn es noch ärger geworden wäre, hätten wir am Ende seine Geschäftsfähigkeit anzweifeln müssen. Aber sind Sie ganz sicher, dass es kein Unfall war? Ich meine, diese Hütte hat doch keine Zentralheizung, oder? Er muss den Kamin angefeuert haben – oder mit einer Gasflasche… vielleicht ist er erstickt?“
Liz schüttelte den Kopf. „Es war ganz anders, aber Sie müssen verstehen, dass wir das aus ermittlungstechnischen Gründen noch für uns behandeln müssen. Sie bleiben bitte noch ein bisschen hier – wir würden die anderen“ – sie klopfte auf ihre Adressenliste – „gerne selbst informieren. Das kann recht aufschlussreich sein.“
Creutzer jr. und Steinmann nickten schicksalsergeben. Liz winkte einen der Uniformierten herbei, damit er etwas auf sie aufpasste, und kehrte in die Hütte zurück, wo die sterblichen Überreste von Hans Peter Creutzer gerade in einen grauen Sarg gelegt wurden. Anne kam auf sie zu, und Liz setzte sie im Flüsterton kurz in Kenntnis.
„Gut gemacht. Dann nimm du mit Joe die erste Frau – und ich nehme mir mit Max die aktuelle Gattin vor. Vielleicht weiß die ja noch etwas mehr über ihre derzeitige Rivalin.“
Liz winkte Joe zu sich. „Komm, wir sollen uns die erste Frau Creutzer vorknöpfen, sagt Anne.“
Sie ließ Joe nach Leiching fahren, damit er sich nicht ganz von Frauenpower erdrückt fühlte. Kastanienallee 4, ein hübsches, wenn auch nicht allzu großes Haus, noch relativ neu. Und Parkplätze gab es hier reichlich – Leichings einziger Vorteil, fand sie.
„Und wo wohnte der Creutzer mit seiner Neuen?“
„Waldstetten.“
„Aha, schön weit weg. Er wollte wohl nicht, dass die beiden Frauen miteinander Kontakt aufnehmen?“
„Das können wir ja gleich fragen“, antwortete Liz und klingelte.
Die Frau, die ihnen öffnete, war vielleicht Mitte vierzig – eindeutig zu jung, um die Mutter des etwas verbitterten Juniorchefs vor der Hütte zu sein.
Joe betete das Sprüchlein her, sie zeigten beide ihre Ausweise und baten darum, Frau Creutzer sprechen zu können. Die Frau lächelte. „Das bin ich. Aber kommen Sie doch herein!“
Das Haus wirkte von innen sehr gemütlich – nicht sehr groß, aber geschickt eingerichtet.
„Hier haben Sie nach der Scheidung mit den Kindern gewohnt?“, fragte Liz.
„Ja. Ich habe kurz, nachdem die Scheidung rechtskräftig wurde, eine recht hübsche Summe von meinem Vater geerbt und davon das Haus gekauft. Es war nicht so, dass Hans Peter uns bereitwillig unterstützt hätte – aber sagen Sie, jetzt realisiere ich das erst richtig – Kripo? Lieber Himmel, etwas mit den Kindern? Was ist denn passiert?“
„Ihren Kindern geht es gut“, beruhigte Joe sofort. „Jedenfalls wissen wir nichts Gegenteiliges. Nein, es geht um ihren Ex-Mann.“
„Ist ihm etwas zugestoßen?“
„Er wurde in seiner Jagdhütte tot aufgefunden und die Todesursache ist noch unklar“, erklärte Liz.
Frau Creutzer machte „Oh!“, dann seufzte sie. „Nun ja… Feinde hatte er wohl nicht zu knapp. Sie gehen doch wohl davon aus, dass er ermordet wurde?“
„Das ist durchaus denkbar, aber sicher wissen wir es erst, wenn -“
Frau Creutzer winkte ab. „Lassen Sie nur, man kennt diese Sätze. Aus dem Fernsehen, ich liebe Krimiserien. Ganz ehrlich, wenn man sich bei jemandem vorstellen kann, dass er ermordet wird, dann bei ihm.“ Sie kicherte damenhaft. „Früher habe ich auch manchmal daran gedacht – und ich bin sicher, Carina tut das auch. Oh – ich wollte jetzt nicht damit sagen, dass – Carina würde das natürlich nie – man malt sich so etwas manchmal aus, und das erleichtert dann schon hinreichend, wenn man sich geärgert hat… Naja…“
„Sie haben also Kontakt zu Ihrer – hm – Nachfolgerin?“
Marie Louise Creutzer lächelte. „Natürlich. Spätestens beim ersten Ärger über ihren Frischangetrauten hat sie sich an mich gewandt. Es war ihr beim ersten Mal ein bisschen peinlich, aber der Gedankenaustausch hat uns beiden gut getan. Man erkennt so doch viel besser, dass man nicht selbst schuld daran war, dass es nicht geklappt hatte.“
Liz und Joe wechselten einen ratlosen Blick.
„Obwohl“, fuhr die erste Frau Creutzer fort, „Carina ist nicht viel anders als ich, nur jünger. Ein frischeres Modell, sozusagen. Er hat eigentlich immer den gleichen Typ Frau. Ich glaube nur, Carina redet nicht so viel wie ich…“
„Och“, machte Liz, „uns ist das durchaus recht. Je mehr wir erfahren, desto schneller kriegen wir ja heraus, wer für diese Tat verantwortlich ist. Sagen Sie, Ihr Sohn hat angedeutet, dass Ihr Mann – Exmann – eine außereheliche Tochter hat? Wissen Sie da vielleicht Näheres?“
Ihr Gegenüber lächelte wieder, sanft, aber ganz Herrin der Lage. Wehe dem Mann, der sich mit der anlegt, dachte Joe, egal, wie mädchenhaft sie auftritt.
„Natürlich. Übrigens ist Christine der gleiche Typus. Ihre Tochter – zwei Tage jünger als meine ältere Tochter Tatjana – heißt Kira. Kira Merten. Viel mehr weiß ich eigentlich nicht über sie.“
„Und hat Ihr Exmann zur Zeit vielleicht ein neues – hm – Interesse?“, erkundigte sich Joe vorsichtig.
„Vermutlich. Aber da weiß ich leider gar nichts. Ich erinnere mich, die Sache mit Christine hat er mir selbst gesagt, so richtig unter die Nase gerieben.“ Sie überlegte einen Moment. „Vielleicht hat er sich an seiner Zeugungskraft berauscht… kennen Sie noch diesen Song „Dschingis Khan“?“
Liz und Joe schüttelten den Kopf.
„Nun, eine Zeile dort heißt Er zeugte sieben Kinder in einer Nacht, und so sieht sich – hat sich Hans Peter wohl selbst auch gesehen. Der starke Mann…“
Teilnahmsvolles Nicken.
„Was ich eigentlich meine, ist: Was aktuelle Affären betrifft, müssten Sie Carina fragen. Jetzt müsste er so etwas ja ihr hinreiben. Damit Carina sich fragt, was die Neue hat, was sie nicht hat. Wahrscheinlich bloß weniger Jahre auf dem Buckel, Carina müsste jetzt etwa so alt sein wie ich bei der Scheidung war, wenn ich es mir recht überlege. Zeit für etwas Neues… andererseits ist – war Hans Peter jetzt auch schon dreiundsechzig, kann man da denn noch eine junge Frau anlocken?“
„Och…“, antwortete Joe, „so als Sugardaddy?“
Frau Creutzer freute sich sichtlich. „Sugardaddy – das ist gut! Sehr gut sogar! Man merkt, dass Sie noch recht wenig über Hans Peter wissen.“
„Am Anfang einer Ermittlung ist das der Normalzustand“, entgegnete Joe nicht ohne Schärfe. „Klären Sie uns eben auf!“
„Hans Peter ist – war – obendrein ausgesprochen geizig. Er will zwar nicht, dass seine Frauen arbeiten, denn das würde sie ja unabhängig machen, aber er legt auch Wert auf einen wasserdichten Ehevertrag, der im Scheidungsfall bestenfalls das Existenzminimum sichert. Als seine Ehefrau bekommt man ein bescheidenes Taschengeld. Extras nur, wenn sie Repräsentationszwecken dienen. Ich möchte wetten, dass er Christine gar nichts gezahlt hat…“
„Das wäre dann doch aber illegal?“
„Na und? Er hat die besseren Anwälte, behauptet – behauptete – er wenigstens. Und wenn man darauf beharren sollte, ihm Ärger zu machen, könnte man so richtig Probleme kriegen. Sagt er.“
„Das klingt ja schon ein bisschen mafiös“, fand Liz.
„Ein bisschen? Ich glaube, solche Strukturen hätten ihm gefallen – nein, nichts Illegales, er war schon gesetzestreu, wenigstens solange ich mit ihm verheiratet war, also bis 1996 – auch schon wieder länger her… Aber die Mafia als ein System der Machtstrukturen – das hätte ihn schon gereizt.“
Liz und Joe wechselten wieder einen Blick – schon wieder so ein unsympathisches Mordopfer, wie sollte man sich denn da motivieren, gründlich zu ermitteln?
„Ja“, sagte Joe dann, leicht benommen von der Faktenfülle, „vielen Dank erstmal, Frau Creutzer. Ganz ehrlich, wir müssen das alles erst einmal sortieren. Und es natürlich mit anderen Aussagen abgleichen und verbinden.“ Dies garnierte er mit seinem berühmten zutraulichen Lächeln, das noch fast jeden Zeugen weichgekocht hatte.
Carina Creutzer hatte Anne und Max sehr freundlich empfangen und sofort gefragt: „Ist Hans Peter etwas zugestoßen?“
„Wie kommen Sie darauf?“, gab Anne vorsichtig zurück.
„Nun, ich habe heute Mittag schon mit Jonathan telefoniert – also, er hatte mich angerufen, weil sein Vater nicht im Büro aufgetaucht ist, aber ich hatte ihn seit Donnerstagnachmittag ja auch nicht mehr gesehen. Wir haben hin und her überlegt, aber dann haben wir uns natürlich beide gefragt, ob wir ihn überhaupt vermissen. Ob „vermissen“ eigentlich das richtige Wort ist. Wir haben uns dann allerdings doch überlegt, dass jemand in der Hütte mal nachsehen müsste, nur wussten wir beide nicht so genau, wo diese vermaledeite Hütte überhaupt ist. Er ist ja immer alleine dorthin gefahren!"
„Und wer wusste dann, wo diese Hütte ist? Leicht zu finden war sie ja wirklich nicht!“, wollte Anne wissen. Max beschränkte sich auf atemloses Zuhören – mit Befragungen hatte er noch wenig Erfahrung, aber er hoffte, hier viel zu lernen. Anne Malzahn war da legendär, wenn sie ihm auch ziemlich Angst machte.
„Marie Louise konnte sich erinnern. Anscheinend war er ganz früher noch nicht so strikt – von wegen Plappernde Weiber stören nur den himmlischen Waldfrieden – und hat sie ab und an mal mitgenommen. Ich war nur einmal dort, und da sind wir im Dunkeln hingefahren und ich hatte damals nicht wirklich auf den Weg geachtet. Jonathan und seine Geschwister waren offenbar nie dort. Ich glaube, Hans Peter mochte seine Kinder nicht so besonders.“
„Aus einem bestimmten Grund?“
Carina Creutzer zuckte mit den Schultern. „Schwer zu sagen. Mit Jonathan gab es in der Firma häufiger Ärger, kein Wunder. Sebastian ist Kunstmaler geworden und hat auf Kleinelektronik gepfiffen, Tatjana und Sybilla sind bloß Mädchen. Und generell, glaube ich, kann er mit Kindern nicht so viel anfangen. Ich habe ihn nur ein paar Mal mit seinen Kindern erlebt, aber da herrschte so ein – wie soll ich sagen? – gezwungener Ton, als kennten sie sich gar nicht richtig. Als – ja, als hätte er sie erst als Erwachsene überhaupt erst kennengelernt. Sie müssten die Kinder fragen – aber als wir geheiratet haben, das war 1996, da waren die Kinder vierzehn, zwölf, zehn und eins. Mein Gott, eins? Das hatte er mir damals natürlich nicht so genau gesagt… also, ganz ehrlich, er war schon ein ziemlicher Arsch, wenn man es recht bedenkt.“
Anne zwinkerte. „Wird das ein Geständnis?“
„Tut mir leid – ich war´s nicht, auch wenn es mich ab und zu in den Fingern gejuckt hat. Und nicht nur mich, da bin ich sicher. Fragen Sie mal Marie Louise, seine erste Frau. Die war zwar sicher auch sauer auf mich, aber bestimmt noch mehr auf den Göttergatten.“
Max nickte und wollte auch etwas fragen: „Wissen Sie, wie Ihr Mann seinen Besitz hinterlassen hat?“
„Da fragen Sie mich was… ich denke, die Firma kriegt wohl Jonathan, der interessiert sich wenigstens dafür. Sein Geld… vielleicht verteilt er es unter die Kinder? Wäre ja wohl auch das Übliche. Ich denke, ich kriege nur ein bisschen was – er hat erst vor ein paar Tagen gesagt, im Falle seines Todes müsste ich mir keine großen Hoffnungen machen.“
„Ist ja reizend“, fand Max.
Carina lachte spöttisch. „Wir hatten uns gestritten und ich habe wahrscheinlich recht mordlüstern dreingeschaut. Vielleicht ist es wenigstens etwas mehr als bei einer Scheidung – oops, rede ich mich gerade um Kopf und Kragen?“
„Wir wissen das schon einzuordnen“, beruhigte Anne sie. „Und Ihre Vorgängerin bekommt nichts?“
„Ich weiß es nicht. Vielleicht eine Kleinigkeit. Eigentlich hat er sie bei der Scheidung schon über den Tisch gezogen, da könnte er ihr doch wenigstens jetzt… naja, zu spät.“
Anne nickte und kam zu einem delikateren Thema: „Herr Creutzer war ja nun offenbar nicht jemand, der die eheliche Treue erfunden hat… kann es sein, dass er zurzeit wieder einmal ein außereheliches – äh – Interesse hatte?“
Carina lächelte. „Haben Sie hübsch gesagt. Ja, ich denke, das hatte er. Er hat mich vor einigen Tagen so angeschaut und gemeint, ich würde auch nicht jünger. Der Arsch!“, fügte sie finster hinzu.
„Und was haben Sie geantwortet?“, wollte Max wissen.
Jetzt kicherte sie regelrecht. Eher ungewöhnlich für eine frisch gebackene Witwe, fand Anne. Aber vielleicht hatte der bewundernde Blick von Max ja damit etwas zu tun – soo alt war Carina Creutzer ja wirklich noch nicht, dreiundvierzig, wenn die Daten stimmten.
„Ich hab ihn gefragt, ob er keinen Spiegel hat. Und er hat gemeint, er könne sich das leisten, er habe schließlich andere Qualitäten. Dazu ist mir nichts mehr eingefallen, ich hätte bestenfalls hysterisch kreischen können. Hab ich keine anderen Qualitäten? Und was soll das bei ihm überhaupt gewesen sein? Charmant war er nicht, großzügig war er nicht – vielleicht hat er gedacht, Macht macht sexy, aber CE ist nun nicht gerade ein Weltkonzern, oder?“
Max gab ihr eilfertig Recht, was ihr durchaus zu schmeicheln schien. Anne hatte jetzt allerdings das Gefühl, aus Carina Creutzer alles herausgeholt zu haben, deshalb leitete sie den Abschied ein. Beim Hinausgehen sahen sie noch, wie die trauernde Witwe sich über das Sofa streckte und nach ihrem Handy angelte.
Weißt du schon das Neueste? Jemand hat meinen Alten umgelegt…
Am frühen Abend saßen sie wieder alle im Präsidium und trugen die Ergebnisse zusammen.
„Der Creutzer war ein Arsch“, verkündete Liz.