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Der Magie verfallen – das ist eine Gay-Fantasy-Reihe um Krieger und Magier, Priester und Diebe. Jeder Roman erzählt die Romanze zweier gegensätzlicher junger Männer – zwischen Gefahren, Abenteuern und großen Gefühlen. Wieder einmal soll der erfahrene Bergführer Noriv Reisende über das Gebirge leiten. Doch zu dieser Gruppe gehört Terez, ein junger Elf. Aufgewachsen bei einem menschlichen Ziehvater lässt Terez keine Spur der Wildheit erkennen, die man seinem Volk nachsagt – stattdessen Charme und atemberaubende Schönheit. Immer wieder muss Noriv sich ins Gedächtnis rufen, dass der reizvolle Elf unter seinem Schutz steht und damit unberührbar ist. Er kann nicht ahnen, dass Terez sich zu seinem Beschützer ebenso hingezogen fühlt wie umgekehrt. Ein Steinschlag bringt beide einander näher. Aber dann überschlagen sich die Ereignisse, und Terez muss beweisen, dass in seiner Brust ein wahres Elfenherz schlägt …
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Veröffentlichungsjahr: 2017
Der Magie verfallen II
Elfenstein
Tanja Rast
Kann Spuren von Erdnüssen enthalten!
Es gibt Inhalte, die Betroffene triggern können, das heißt, dass womöglich alte Traumata wieder an die Oberfläche geholt werden. Deswegen habe ich für diese Personen eine Liste mit möglichen Inhaltswarnungen für alle meine Romane zusammengestellt:
www.tanja-rast.de/inhaltswarnungen
Noriv erwachte schlecht gelaunt, weil es zog. Kalte Luft, die munter zu ihm unter die Decke kroch und über seinen nackten Hintern streichelte.
Er brummte leise, zerrte die Decke über seine Blöße und setzte sich auf, wobei er sich Schlaf aus den Augen rieb.
»Oh, habe ich dich geweckt?« Eleni, die Stimme wie gewohnt bar jeden warmen Gefühls.
Noriv vernahm das eindeutige Klimpern von Münzen, öffnete endlich die Augen und sah Eleni, der sich ohne das geringste Schamgefühl aus Norivs Börse bediente.
»Wieder einmal auf dem Trockenen?«
»Du bist eine wundervolle Wärmflasche in kalten Nächten, Großer. Und es macht durchaus Spaß, sich mit dir in den Laken zu wälzen. Immer spannend, wer oben landet, wenn du verstehst, was ich meine. Aber das sollte dich nicht dazu verleiten, mehr in mir zu sehen, weißt du?«
»Käme nie auf die Idee. Nimm dir die drei Silber.«
»Ich wollte mich mit Kupfer begnügen. Woher kommt die unerwartete Freigiebigkeit?« Elenis hochgezogene Brauen bildeten perfekte Bögen und ließen den fragenden Blick noch hochnäsiger aussehen.
»Ein Auftrag, der mich ein paar Tage von der Stadt fernhalten wird. Und reichlich Silber in meine Börse spült. Will doch nicht, dass du armer Kerl verhungern musst, während ich weg bin.«
»Du bist so gut zu mir. Trotzdem fange ich nicht an, von Liebe zu faseln.«
»Untersteh dich.« Noriv ließ den Blick über Eleni schweifen. Nett gebaut, schamlos und berechnend. Was konnte ein Mann sich mehr erhoffen von einem Gespielen, der in jedem Bett dieser Stadt ein willkommener Gast war?
»Gut, ich nehme die drei Silbermünzen. Was für ein Auftrag ist das?«
»Einen reichen Mann und sein Mündel über das Gebirge schaffen.« Er wälzte sich auf den Rücken und schob einen Arm zusätzlich zum klumpigen Kopfkissen hinter sein Haupt, um Eleni besser im Auge behalten zu können.
»Ist es ein schönes Mündel? Da könnte eine Erbschaft lauern, wenn der reiche Mann nur alt genug ist und du das Interesse des Mündels fest auf dich heftest.«
»Keine Ahnung. Kümmert mich auch nicht. Es ist ein Auftrag, mehr nicht. Würde ich bei jedem Vertrag darüber grübeln, wie ich Erbschaften beschleunige, würde ich meinen Ruf aufs Spiel setzen. Ich bin eine käufliche Klinge, und ich werde gut dafür bezahlt, die Wege von Räubern und Ähnlichem zu säubern.«
Eleni kam zum Bett, beugte sich nieder, um einen Abschiedskuss auf Norivs Stirn zu tupfen. »Ich weiß, Großer. Und irgendwann wirst du wegen deines dummen Rufs ins Gras beißen. Wer bezahlt dann mein Frühstück?«
»Du brauchst meine Münzen nicht, Eleni. Das wissen wir beide.«
»Ich hasse es, durchschaut zu werden. Nun, Großer, sei vorsichtig. Ich würde gerne deine Rückkehr mit dir feiern. Du könntest Wein von der anderen Seite des Gebirges mitbringen. Ich hörte, die Rebstöcke kriegen dort mehr Sonne als hier.«
Noriv erachtete dieses Geplänkel nicht einmal einer Antwort für würdig. Außerdem hatte er noch Vorbereitungen zu treffen, bevor er beim Herrenhaus vorstellig werden musste, in dem der Reiche für die Nacht Quartier bezogen hatte. Eleni verstand das Schweigen richtig und entfernte sich endlich. Noriv wuchtete sich aus dem Bett, reckte und streckte sich, ehe er zum Waschtisch ging, sich kaltes Wasser ins Gesicht spritzte, um die letzte Benommenheit des Schlafs abzuschütteln. Hastig wusch er sich von Kopf bis Fuß, bevor er sich auf die Bettkante setzte und Kleidung und die Lederrüstung anlegte.
Jeder Verschluss, der mit einem befriedigend satten Geräusch einrastete, verwandelte Noriv wieder mehr in den Krieger, der von jedem angeheuert werden konnte. Solange der Auftraggeber über ausreichende Barschaft verfügte und sich den größtmöglichen Schutz für einen Handelszug oder einen privaten Trupp über das Gebirge wünschte.
Noriv warf sich das Gepäckbündel über die Schultern, zog die Riemen straff und überprüfte mit zwei knappen Handgriffen, dass Hauklinge und Streitkolben an ihren Plätzen im Waffengurt auf den Einsatz warteten. Dann blieb nur noch, sich den Helm unter den Arm zu klemmen und die kleine Kammer zu verlassen. Der Flur roch nach der unvermeidlichen Kohlsuppe, die es zum Frühstück geben sollte. Eine Mahlzeit, die Noriv hier niemals einnahm. Er wusste warum, immerhin war dieses Haus der billigste Gasthof der Stadt, den er stets aufsuchte, wenn er hier weilte.
Das Herrenhaus war schon oft der Ausgangspunkt für Reisen gewesen, zu deren Begleitung Noriv angeheuert worden war. Entweder dieses große Anwesen oder der Tempel der Weisen Göttin. Irgendwo stiegen immer ausreichend Betuchte für die letzten Tage vor dem Übertritt des Gebirges ab, streckten Fühler aus oder überließen es sogar ihrem Gastgeber, für Schutztruppen zu sorgen.
Noriv fühlte sich also ausreichend mit dem Hof vertraut, den er betrat. Er musterte die vier Packesel, die geduldig Heuhalme kauten und bereits beladen in der Morgensonne standen. Sie eigneten sich am besten für das unwegsame Gelände, das vor der Reisegruppe lag. Kurzbeinig, mit winzigen Hufen und genügend Kraft, um die Strapazen unbeschadet zu überstehen, die die Kräfte der menschlichen Reisegefährten rasch auslaugten.
Noriv wusste, wie sehr seine eigene Körpergröße es auf den ersten Blick unwahrscheinlich machte, dass er das Gebirge ohne Überanstrengung bewältigen konnte. Der zweite Blick musste aber klarstellen, dass er stark genug für diese Reise war, die er tatsächlich schon viele Male hinter sich gebracht hatte. So störte er sich nicht daran, als ein Mann in teurer Rüstung ihn kritisch von oben bis unten musterte. Wahrscheinlich ein Leibwächter des Reichen, der die Auswahl der bezahlten Klingen in Augenschein nahm. Vier weitere Männer standen nahe den Eseln und hatten diese Musterung wohl schon überstanden. Zwei von ihnen kannte Noriv flüchtig. Es waren immer dieselben, die Händler und andere Reisende begleiteten. Er nickte ihnen zu, bevor er zu dem Kerl am Fuße der Treppe aufschloss.
»Noriv ist mein Name«, stellte er sich knapp vor und genoss es für einen kurzen Augenblick, wie der Mann den Kopf in den Nacken legen musste, um zu ihm aufzublicken.
»Du bist verdammt groß.«
»Erhöht meine Reichweite.«
Der Mann nickte. »Ich bin des Ratsherrn persönlicher Wächter. Du wirst deine Befehle von mir erhalten. Oder vom Ratsherrn selbst, falls er das wünscht.«
Noriv nickte einfach und wartete gelassen ab, ob da noch mehr kam.
»Hauptmann Hervan für dich, klar? Wir sind komplett, du bist der Letzte auf meiner Liste. Wenigstens bist du pünktlich. Wir begleiten den Ratsherrn und dessen Sohn über das Gebirge. Dazu zwei persönliche Diener des Ratsherrn. Falls du etwas von deinem Gepäck loswerden willst, such dir Platz auf den Eseln.«
Noriv schüttelte knapp den Kopf. Er schleppte nicht schwer an seiner Ausrüstung. Wechselwäsche, Feuerbüchse, Teller, Becher, Besteck, eine Schlafmatte und zwei Mäntel, die nachts als Decke dienen konnten. Außerdem vermutete er, dass die Esel Zelte oder zumindest weitere Decken trugen. Nach Norivs Erfahrungen reisten reiche Leute gerne mit allem möglichen Komfort. Und jammerten während der Tage im Gebirge beständig. Alles war ihnen zu beschwerlich und zu unbequem. Blasen an den Füßen gehörten noch zu den harmloseren Leiden.
Aus dem Augenwinkel bemerkte Noriv, wie die anderen vier Männer nahezu militärisch Haltung annahmen und zur Treppe blickten. Behäbig drehte er sich um und sah ebenfalls zum großen Portal am Kopf der Stufen. Dort stand der Hausherr und verabschiedete sich von einem grauhaarigen, hochgewachsenen Mann. Doch was Noriv die Augen aufreißen ließ, schwebte gerade die Treppe herab.
Ein Elf. Aber keiner der bis an die Zähne bewaffneten Sorte, die Noriv schon einige Male getroffen hatte. Gut geölte Kriegsmaschinen mit Mord im Blick und über Jahrhunderte vererbten Techniken und fiesen Hinterhältigkeiten im Gepäck, von einer Religion befeuert, die nur den im Kampf Gefallenen Einzug in die Götterhallen versprach.
Der junge Mann, der leichtfüßig die Stufen herabkam und sich aus wachen Augen umblickte, war ebenso schlank und klein wie die furchterregenden Krieger, die Noriv kannte und mit denen er zusammen schon das eine oder andere Weinfass geleert hatte. Es schien unmöglich, einen Elfen unter den Tisch zu saufen, doch Noriv war überzeugt, einige Male einem Sieg verdammt nahe gekommen zu sein.
Dieser hier wirkte wie ein Fremdkörper in Lederhosen, Leinenhemd und wärmendem Wams, einen gesteppten Mantel lässig über einer Schulter. Lange Stiefel umschlossen schmeichelnd schlanke Fesseln und wohlgeformte Unterschenkel. Lange Beine, schmale Hüfte und flache Bauchdecke, wie Noriv anerkennend beobachtete. Breitschultrig und doch auf eine eher sehnige Art muskulös.
Schimmerndes Goldhaar war in einem Pferdeschwanz nicht einmal annähernd gebändigt. Etliche Strähnen waren dem Band entkommen und umrahmten im Licht der Morgensonne ein markantes, schmales Gesicht mit arrogant geschwungenen Brauen und einem Mund, dem ein Lächeln verdammt gut stehen würde.
»Das Mündel des Ratsherrn«, merkte Hervan beinahe entschuldigend an.
Noriv stellte erleichtert fest, dass ihm der Mund angesichts dieses Edelsteins von einem Mann nicht offenstand. So viel Geistesgegenwart und Selbstbeherrschung besaß er also doch noch. Er schluckte und bemühte sich um einen unverfänglichen Tonfall, in dem gefälligst kein Hauch von Kritik mitzuschwingen hatte. »Ungewöhnlich, dass jemand einen Elfen an Kindes statt annimmt.«
»Findelkind, und der Ratsherr ist von milder und mitleidsvoller Veranlagung. Ich denke, er nahm das Kind zuerst nur bei sich auf, um auf die Rückkehr der Eltern zu warten. Elfen hüten ihre Brut ja eifersüchtig.«
Noriv dachte wieder an die Elfen, die er kennengelernt hatte. Frauen und Männer, die so durch und durch Krieger waren, dass nichts unwahrscheinlicher schien, als sie mit törichtem Lächeln über eine Wiege gebeugt zu sehen. Aber irgendwo mussten kleine Elfen ja herkommen. Vielleicht hatte jener auf der Treppe sogar verdammt viel Glück gehabt, in einem menschlichen Haushalt aufgewachsen zu sein.
Hervan jedenfalls deutete eine knappe Verbeugung an, als der Elf mit einem atemberaubend geschmeidigen Schritt auf das Hofpflaster trat. Noriv beschloss, dass die dunkle Schwester der Weisen Göttin ihn holen durfte, bevor er sich vor irgendjemandem verneigte. Auch wenn dieser jemand dreimal spitze Ohren und ausreichend Kriegererbe in den Adern hatte, um die ganze Stadt in Blut zu baden.
Seine Augen weiteten sich fassungslos, als er Spitzenbesätze an den Ärmeln des Hemdes und am Kragen entdeckte. Vielleicht war dem Elfen das Kriegererbe auch irgendwie abhandengekommen. Der Junge trug nicht einmal einen Dolch am Gürtel. Unter das schwarze Leder geschoben schleppte der Elf nur lange Handschuhe mit sich.
Ob seine leiblichen Eltern bei seinem Anblick in Tränen der Scham ausbrechen würden? Wo auch immer sie waren.
Langsamer folgte der grauhaarige Mann – der Ratsherr, aus dessen Börse Noriv und die anderen vier Soldaten bezahlt wurden. Bart und Haar mochten die Farbe von Gewitterwolken aufweisen, aber der Mann hielt sich aufrecht und wirkte keinesfalls gebrechlich.
Noriv sah zu, wie Ratsherr und Elf auf zwei herbeigeführte Pferde stiegen. Der Alte so mühelos wie ein jüngerer Mann, der Elf mit einer ansehnlichen Grazie, die zum Rest seiner Erscheinung passte. Während ein Knecht noch die Zügel hielt, streifte der junge Mann die Handschuhe über, nickte knapp und übernahm sein Reittier.
Die Gruppe setzte sich auf ein Handzeichen des Ratsherrn hin in Bewegung. Zwei Reiter, ein halbes Dutzend Bewaffnete, zwei Diener und die vier Esel. Noriv fand diese Aufstellung ausreichend und vernünftig. Größere Truppen zogen eher das falsche Interesse auf sich und bedeuteten obendrein langsameres Vorankommen, und abgesehen von ein paar Räubern und Wölfen sollte das Gebirge sicher sein. Immerhin lebte mindestens eine Gruppe Elfen dort. Von der kriegerischen Sorte. Doch wenn ein goldbeladener Trupp mit auffällig vielen Wächtern sich auf den Weg machte, sprach es sich rasch herum, und dann waren es nicht länger kleine Räuberbanden, die sich auf die Lauer legten.
Sein Blick schweifte zur schlanken Gestalt auf dem Pferd. Nun, reizvoll war es auf jeden Fall, mal einen Elfen ohne Kriegsbemalung und etliche Pfund Eisen am Leib zu sehen.
»Aufgeregt?«, fragte Mevene mit seinem so väterlichen, geduldigen Lächeln, aber leise genug, dass keiner der Mietlinge oder Diener hinter den Pferden das Wort aufschnappen konnten.
»Ein wenig«, gab Terez zu, dann lachte er. »Nein, sogar sehr! Hinter dem Gebirge liegt das Meer, nicht wahr? Werde ich es sehen?«
»Natürlich, mein Junge. Wir werden in einer Hafenstadt zumindest einige Tage verweilen, bevor wir weiterreisen. Du wirst das Meer lieben.«
»Und das Gebirge?«
»Das könnten ein paar anstrengende Tage werden. Wir müssen die Pferde leider zurücklassen, sobald wir die ersten Ausläufer erreichen. Eine notwendige Unannehmlichkeit, denn sie wären uns dort nicht nützlich.«
Terez streichelte den schimmernden Hals der temperamentvollen Stute, die der Gastgeber ihm überlassen hatte. Der Gedanke, sich von diesem Tier zu trennen, missfiel ihm ebenso sehr wie die Aussicht, zu Fuß den Überstieg zu bewältigen. Aber wenn Mevene sagte, dass es nicht anders ging, stimmte das natürlich.
»Die Männer sollen zuverlässig sein, aber ich möchte, dass du ein wenig Abstand zu ihnen hältst, Terez.«
Hastig sah Terez zu seinem Ziehvater und hob fragend eine Braue.
»Männer, die weit unter uns stehen. Käuflich und die feine Lebensart nicht gewohnt.«
»Aber du vertraust auf sie?«
»Sie wurden mir von unserem Gastgeber empfohlen, und Hervan hat sie in Augenschein genommen. Ja, ich erwarte, dass sie uns heil auf die andere Seite des Gebirgszugs bringen, mehr aber auch nicht.«
Terez musste noch nicht gänzlich überzeugt aussehen, obwohl er sich für diese Zweifel schämte. Mevene besaß die gütigste Geduld mit ihm. Selbst seine hin und wieder auftretende Strenge verschleierte nur unzureichend das Band der Zuneigung, das Terez so sehr an den alten Ratsherrn fesselte.
»Der Große ist dir aufgefallen?«
»Wie sollte er das nicht?«, gab Terez so leicht wie möglich zurück.
»Er macht diese Reise laut der Auskunft unseres Gastgebers regelmäßig – öfter als die anderen und hat deshalb die meiste Erfahrung. Ich denke, wenn wir auf Schwierigkeiten stoßen, wird er der richtige Mann sein, uns aus ihnen zu befreien. Angeblich kennt er das Gebirge wie den Inhalt seiner Börse. Kopf hoch, mein Junge, alles wird gut gehen. Das verspreche ich.«
»Daran zweifle ich nicht, Vater. Mir machte nur Sorge, dass du diesen Mietlingen vielleicht nicht ganz traust. Es sind immerhin fünf Fremde.«
»Nun habe ich dich geängstigt, Terez. Das lag nicht in meiner Absicht. Ich möchte dich nur bitten, die nötige Distanz einzuhalten. Immerhin bist du mein Ziehsohn und solltest dir deiner Position bewusst sein. Mehr wünschte ich gar nicht.«
Terez warf einen raschen Blick über die Schulter zu den Bewaffneten, die in einer losen Gruppierung ohne erkennbare Ordnung hinter den Pferden hergingen. Natürlich war der hochgewachsene Mann ihm gleich aufgefallen, als Terez noch die Stufen hinabstieg. Üblicherweise überragten Menschen Terez nicht ganz um einen Kopf. Aber dem dunkelhaarigen Hünen dort reichte er nicht einmal bis zur Schulter. Und doch wirkte der Große nicht grobschlächtig. Die Rüstung verschleierte die Konturen des Körpers ein wenig, betonte aber die breiten Schultern und schmalen Hüften. Der Brustkasten konnte nur gewaltig genannt werden. Der Mann hielt sich aufrecht, und als er Terez‘ Blick bemerkte, erwiderte er ihn direkt. Kein Lächeln auf dem von der Sonne dunkel gebräunten Gesicht, aber ein klares Augenpaar, das ganz gelassen Blickkontakt hielt und keinesfalls unterwürfig auswich.
Verwirrt, noch immer nicht ganz beruhigt und mit leicht beschleunigtem Herzschlag wandte Terez sich wieder um.
Sie waren schon so lange auf der Reise, dass er die ewigen fremden Betten, die wechselnden Wachen, jede Woche eine andere Stadt und verändertes Wetter unendlich leid war. Außerdem hatte er das Gefühl, von Mevene mit noch mehr Fürsorge bewacht zu werden.
Vielleicht lag es auch nur an der erzwungenen Nähe, dass es Terez so vorkam. Er vermisste das alte Haus in Delcost, wo er aufgewachsen war, jetzt eine Stadt gefühlt am anderen Ende der Welt. Dabei waren es wohl nur zweihundert Meilen, die ihn von seiner Heimat und der dort gelebten Freiheit trennten. Spaziergänge, Ausritte mit Freunden – und der eine oder andere Geliebte, von dem Mevene nichts ahnte. Und niemals etwas ahnen durfte. Zu unumstößlich war dessen Überzeugung, Terez wäre zu eigenen Entscheidungen unfähig und könnte ohne väterliche Führung nur an den Falschen geraten und vermeidbares Leid erfahren. Dabei gehörte das doch ebenso dazu wie Spaß und Leidenschaft. Doch Mevene schien Terez von jeglicher neuer Erfahrung abschirmen zu wollen, dank deren sein Schützling endlich der ermüdenden Fürsorge entwachsen konnte. Wahrscheinlich träfe ihn der Schlag, wenn er einige der Männer sehen würde, mit denen Terez schon das Bett und mehr geteilt hatte.
Was blieb ihm jetzt außer abendlichen Kartenspielen mit dem Ziehvater? Die Mietlinge hatte Mevene soeben deutlich außer Reichweite gerückt. Möglicherweise aus Fürsorge, vielleicht aber auch aus einer gewissen Eifersucht heraus. Immerhin hatte er Terez bei sich aufgenommen und großgezogen. Bedauerte der alte Mann, dass das Küken nun flügge wurde? Und wie gerne wäre Terez mitunter unabhängig gewesen, statt auf dieser Reise an Einsamkeit zugrunde zu gehen.
Gastgeber und natürlich Hauptmann Hervan boten sich sonst noch als Gesprächspartner an. Das waren traurig wenige, und obwohl Hervan seit Jahren in Mevenes Diensten stand und natürlich vollkommen vertrauenswürdig war, fand Terez den Mann zum Sterben langweilig und flüchtete lieber in die Welt seiner Bücher, als sich auf eine längere Konversation mit ihm einzulassen.
Nur noch das Gebirge, hoffte er, während die Stute eifrig über die gepflasterte Straße trottete und den Hals streckte. Begierig auf einen Galopp. Wie ihr Reiter hungrig nach Leben und Abwechslung. Doch befanden sie sich in einem fremden Fürstentum, und Terez brauchte gar nicht erst zu fragen, er wusste, dass Mevene zwar gütig lächeln, einem Vorauspreschen trotzdem eine Absage erteilen würde.
Auf der anderen Seite der Bergkette lag das Meer, und zumindest die Aussicht, dies zu sehen, konnte Terez ein wenig aufmuntern.
»Hast du schlecht geschlafen, mein Junge? Du bist so ungewohnt schweigsam.«
»Ein wenig Heimweh, fürchte ich«, gestand Terez offen ein.
»Das habe ich befürchtet. Wir schaffen uns ein neues Zuhause, Terez, und ganz bestimmt werden wir eines Tages, wenn meine Studien abgeschlossen sind, nach Delcost zurückkehren.«
»Das würde mich freuen.« Und er dachte dabei daran, ob auch nur einer seiner Freunde nach womöglich einem Jahr oder mehr noch in der Stadt weilen würde. Einige hatten militärische Ambitionen gezeigt, zumindest einer hatte Magie studieren wollen – was in Delcost, so reizvoll die Stadt auch schien, natürlich nicht möglich war. Das Königreich, beschloss Terez leicht verbittert, war viel zu groß. Er selbst hatte auf der bisherigen Reise erst einen kleinen Teil davon gesehen, und selbst der reichte ihm schon. Doch natürlich hätte er Mevene niemals alleine auf diese womöglich gefährliche Exkursion gehen lassen dürfen. Was auch immer der alte Mann zu studieren wünschte, Terez stand ihm wenngleich nicht glücklich, so doch als gehorsamer Sohn zur Seite.
Er unterdrückte ein Seufzen, hoffte auf ein sauberes Bett in der Gastwirtschaft am Fuße der Berge, auf genügend Kerzen oder noch besser eine Öllampe, damit er noch ein wenig lesen konnte.
Der Gedanke, Kopfschmerzen vorzutäuschen, um nicht noch einen Abend über Spielbrett oder Karten verbringen zu müssen, tauchte ungebeten auf und wurde als undankbar beiseitegeschoben. Terez unterdrückte den Impuls, sich noch einmal im Sattel umzudrehen, nach den Mietlingen, nach dem großen Kerl zu sehen. Vielleicht – zaghaft flackerte diese Hoffnung auf – verfügte der Gasthof ja nicht über einen separaten Salon für höherstehende Gäste. Möglicherweise konnte Terez eine Stunde in der Schankstube verbringen, die Männer, denen Mevene ihr Leben anvertraute, besser kennenlernen. Und herausfinden, ob der große, dunkle Krieger lächeln konnte.
Sonst blieben nur die Flucht in die Schlafkammer und ein Buch. Das nächste Seufzen zu unterdrücken, gestaltete sich noch viel schwieriger als beim ersten.
Eine Nacht auf einer klumpigen Matratze und unter einer Decke, die unangenehm nach Ziege roch, trieb Terez recht früh wieder auf die Beine. Sein Rücken schmerzte, im Hals kratzte es. Letzteres mochte an der rauchenden Öllampe liegen, in deren mattem Licht er zu lesen versucht hatte.
Er reckte sich ausgiebig, trat an das Fenster und öffnete die Läden, um den Mief der Schlafkammer zu vertreiben. Freie Sicht auf den Hof des Gasthauses, in dessen Mitte ein gemauerter Brunnen, ein großer Viehtrog und ein überaus großer Krieger standen. Gut, auch noch zwei andere Mietlinge, aber nur der Große präsentierte einen nackten Oberkörper, dessen Muskelstränge sich klar konturiert unter sonnengebräunter, von der morgendlichen Wäsche noch feuchter Haut präsentierten. Terez nahm nur das Glitzern unter der ersten Morgensonne wahr, konnte sich aber lebhaft die Bahn vorstellen, die ein Wassertropfen aus den dunklen Haaren den Rücken hinab nehmen musste.
Er biss sich auf die Unterlippe und machte sich ein wenig kleiner, damit nicht jeder Tölpel, der zufällig in die Richtung seines Schlafzimmerfensters sah, ihn sogleich entdecken konnte.
Wahrscheinlich war ohnehin nur die seit Wochen unterdrückte Leidenschaft daran schuld, dass dieser breite Rücken Terez so gut gefiel. Er schluckte hart. Nein, ganz bestimmt nicht.
In Delcost hatte er Freunde gekannt, die sich im Säbelkampf übten. Eine verbotene, weil angeblich zu gefährliche Betätigung für Terez selbst, aber zumindest hatte Mevene ihm gestattet, den Freunden bei ihrer Ausbildung hin und wieder zuzusehen. Keiner der Männer reichte an den Hünen neben dem Brunnen heran. Groß und muskelschwer. Ganz bestimmt ein Mann, den Terez in der Nähe wissen wollte, falls es Schwierigkeiten auf dem Weg durch das Gebirge gab. Jetzt seufzte er doch und zog sich bedauernd zurück, hörte noch Hervans Stimme über den Hof rollen. Befehle für die Mietlinge und Anweisungen, wann die Reise weiterging.
Terez betrachtete die Waschschüssel und den Wasserkrug, die in seinem Zimmer bereitstanden. Seife, fadenscheinige Handtücher. Ein wenig Luxus verglichen mit dem Viehtrog draußen. Er zog sich das Nachthemd über den Kopf, goss abgestandenes Wasser in die Schüssel und rümpfte die Nase, als der leicht ranzige Geruch der Seife aufstieg. Besser als der Viehtrog, sagte Terez sich lautlos vor, und sehr wahrscheinlich besser als jede Waschgelegenheit, die sich im Gebirge bieten würde.
Er wusch den Nachtschweiß von seiner Haut, trocknete sich ab und zog etwas an, bevor er sich auf die Bettkante plumpsen ließ und in die langen Stiefel schlüpfte. Wenn er nur ausreichend an das Meer dachte, war die weitere Reise zu bewältigen, fand Terez, raffte das lange Haar zusammen und knotete nachlässig ein Seidenband um den Zopf. In einem Aufwallen von Trotz zupfte er eine Strähne aus dem Band hervor und gestattete ihr, verwegen in sein Gesicht zu hängen. Besser.
Nur noch seine Sachen in die Packtasche stopfen, das Buch liebevoll in die Falten des Nachthemdes drücken, und schon war Terez bereit für das Frühstück und vor allem den Aufbruch ins Gebirge.
Noriv hatte schon viele gutbetuchte Reisende über das Gebirge geschafft. Bei manchen von ihnen war das wortwörtlich zu nehmen, denn mehr als einen für den Überstieg überhaupt nicht Vorbereiteten hatte er halbwegs auf die andere Seite getragen oder geschleift.
Dadurch war er die üppigen Gepäckberge gewohnt, die nun von den beiden Dienern auf die Esel verteilt wurden. Wenigstens machten sowohl Mevene als auch sein Ziehsohn Terez einen ausreichend gesunden und kräftigen Eindruck. Noriv ließ den Blick zur schlanken Gestalt des Elfen flackern. Zumindest bei Terez hätte er keine allzu großen Einwände, diesen ein Stück des Weges zu tragen oder mittels eines Armes um die Mitte einen Berggrat hinaufzuziehen.
Aber er sah keine Chance, an den Jungen auch nur heranzukommen. Hervan schien entschieden etwas dagegen zu haben und schirmte seinen Herrn und dessen Sohn regelrecht von den Wächtern ab.
Sie verließen den Hof des Gasthauses, bahnten sich ihren Weg durch enge Gassen, und schon bald übernahm Noriv aus reiner Gewohnheit die Führung. So konnte er wenigstens dafür sorgen, dass die Reisegruppe nicht in einer Menschentraube zwischen Marktständen und Dungkarren stecken blieb. Und dem Elfen auf den Hintern zu glotzen, brachte ihn ja auch nicht weiter. Er sagte sich, dass er auf der anderen Seite des Gebirges mehrere Leute wie Eleni kannte, die nicht unerreichbar wie das blonde Mündel des Ratsherrn waren. Alles andere war fruchtloses Schmachten, und dafür hatte Noriv noch nie etwas übriggehabt.
Nach kurzer Zeit schloss sich ihm Vigin an, mit dem Noriv schon einige Reisegruppen durch das Gebirge gelotst hatte. Klein, drahtig und mit unstetem Blick kaute der Mann ständig irgendwelche Wurzeln, die unangenehm süßlich rochen. Aber in einem Handgemenge war Vigin ein nicht zu verachtender Haudegen, der gemein genug kämpfen konnte.
»Na, was hältst du von unserer Herrschaft?«, fragte Vigin auch prompt, bevor sie noch das Tor in der Umfriedungsmauer der kleinen Siedlung passierten.
»Mevene zahlt gut.«
»Oh, das meinte ich nicht.«
»Nicht?«, gab Noriv mit gehobenen Augenbrauen zurück.
»Nein, wirklich nicht. Ich meinte den Elfen. Kaum zu glauben, dass es einer ist. Ich kenne die Kerle nur mit Federn in den Haaren, Kriegsbemalung im Gesicht und viel zu vielen Waffen. Der Bengel ist doch eine Zierpuppe!«
»Vielleicht wärst sogar du ein großer Krieger, wenn du von Elfen aufgezogen worden wärst?«, antwortete Noriv geschmeidig.
»Das war ein harter Hieb, Noriv! Rein zufällig halte ich mich für einen großen Krieger! Zumindest bin ich größer als der Elf.« Er starrte grübelnd geradeaus. »Wie auch immer. Irgendwie bezweifle ich, dass er den Überstieg schafft. Ein Wunder, dass er schon ohne Kindermädchen vor die Tür darf.«
Noriv verschluckte die Anmerkung, dass Hervan diese Rolle offenbar gerne übernahm. Er wollte gar nicht so viel über die Auftraggeber nachdenken. Nicht nur, weil Terez ihm gefiel und wahrscheinlich die gerade Nase rümpfen würde, wenn er das wüsste. Sondern weil Mevene auf Distanz achtete.
Von früheren Aufträgen war Noriv trotz des Arbeitsverhältnisses als bezahlte Klinge ein wenig mehr Vertrauen gewohnt, was er nur als vernünftig ansah. So gut ein Soldat auch entlohnt wurde, brachte ein wenig menschliche Bindung doch mehr als jede Münze, wenn es hart auf hart ging. Aber Mevene bezahlte nicht nur gut, sondern sehr gut und schien zu meinen, damit ausreichend Treue eingekauft zu haben.
Das konnten noch sehr unterhaltsame Abende am gemeinsamen Lagerfeuer werden. Sollten Mevene und Hervan meinen, zwei Lager aufschlagen zu müssen, würde Noriv ihnen diesen Plan schnell genug ausreden. Je dichter die Gruppe beisammensaß, desto besser schützte sie jeden Einzelnen.
Das Gebirge war nicht grundsätzlich gefährlich. Der Überstieg strengte Ungeübte an, das stimmte. Manchmal hatten Erdrutsche einen Weg, den Noriv in- und auswendig kannte, unpassierbar gemacht. Hin und wieder kam es zu Steinschlägen, und einige Passagen waren schwierig zu meistern. Die Elfen, von denen mindestens ein Stamm im Gebirgszug lebte, jagte und sich betrank, hielten sich meistens von Reisenden fern.