Farlin - Tanja Rast - E-Book

Farlin E-Book

Tanja Rast

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Beschreibung

Epische High Fantasy mit Helden, Schlachten, Magie und einer Romanze, die sich wie ein rotes Seidenband durch die Geschichte zieht und weder drohende Niederlagen noch selbst den Tod fürchtet. Der Kaiser ermordet, das Reich von Rebellen in Chaos gestürzt. Auf der Flucht stößt Farlin auf die hochschwangere Tiva. Edel schwingt er sich zu ihrem Beschützer auf, was Tiva nicht davon abhält, ihn als „Blutgeneral“ zu beschimpfen und ihn grauenhafter Verbrechen zu bezichtigen. Doch an nichts davon kann er sich erinnern! Dass sie ihn vor seinen Verfolgern nur beschützt, weil sie ihn nützlich findet, kann Farlin gerade noch ertragen. Doch Tiva erkennt als Erste, wer der wahre Gegner ist, und wie ein Feldherr nimmt sie den Kampf auf. Nur an ihrer Seite hat Farlin die Chance, sich von seiner Vergangenheit reinzuwaschen …

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Veröffentlichungsjahr: 2019

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Farlin

 

 

 

 

Tanja Rast

 

 

 

 

Inhaltswarnungen

 

Kann Spuren von Erdnüssen enthalten!

 

Es gibt Inhalte, die Betroffene triggern können, das heißt, dass womöglich alte Traumata wieder an die Oberfläche geholt werden. Deswegen habe ich für diese Personen eine Liste mit möglichen Inhaltswarnungen für alle meine Romane zusammengestellt:

 

www.tanja-rast.de/inhaltswarnungen

Inhaltsverzeichnis
1 Gefahr aus dem Regen
2 Das Kind
3 Der General und die Wegelagerer
4 Dorf unter Feuer
5 Blutgeneral und Kaisermörderin
6 Rebellen
7 Angriff und Gegenschlag
8 Der Magier von Vellins Hald
9 Dreckige Magie
10 Belagerung
11 Flammennacht
12 Versteinerte Zeit
13 Farlin
14 Der Kaiser
15 Der Köder

 

Die Autorin

1.

Gefahr aus dem Regen

 

Es regnete, als wollte das Wasser aus schiefergrauen Wolken das Tal vor der Höhle in eine Seenlandschaft verwandeln. Schwere, kalte Tropfen prasselten mit solcher Wucht auf den aufgeweichten Boden, dass jeder Einschlag Morast aufspritzen ließ.

Tiva kauerte am Höhleneingang, wo jeder eisige Tropfen wie ein Wespenstich auf ihrer Haut brannte. Sie starrte nach draußen. Doch trotz herabstürzender Wasserfluten konnte sie die reglose Gestalt des Mannes im Regen immer noch ausmachen.

Sie hatte jedes Zeitgefühl verloren, wie lange der Mann da schon lag. Die Welt außerhalb der Höhle war grau, neblig und sehr nass. Eine Stunde? So lange schon? Drei, vier Stunden? So kurz erst?

Sie wusste nicht, ob er tot war. Sie hoffte es. Falls er wirklich der war, für den sie ihn einen schrecklichen Augenblick lang gehalten hatte, konnte sie nur beten, dass er tot war.

Der Regen hatte das Blut von seiner Rüstung und aus seinen Haaren gewaschen.

Vielleicht sollte sie nachsehen, um sicher zu gehen, ob er es wirklich und tatsächlich tot war.

Aber sie umklammerte nur ihr Bündel und drückte sich fest gegen die kalte, raue Wand der Höhle, während wenige Schritte von ihr entfernt Regen auf die Erde donnerte, als wollte er die ganze Welt überschwemmen und in ein ewiges Meer verwandeln.

Die Haare des Mannes schimmerten wie Gold. Verdammt, er war es bestimmt!

Aber vielleicht hatte er noch Gegenstände bei sich, die ihr nützen konnten? Die Soldaten hatten ihn lediglich zu Boden gestreckt, während Tiva sich furchtsam in der Höhle versteckt hatte. Sie hatten ihn nicht durchsucht. Vielleicht trug er Gold bei sich – oder zumindest eine Waffe, die Tiva gebrauchen konnte? Der lange Mantel würde sie wärmen, wenn sie ihn erst getrocknet hatte.

Sie atmete tief durch, legte ihr Bündel zu Boden und stemmte sich mühsam auf die Beine, atmete in raschen, flachen Zügen und trat zögernd vor.

Der Regen schlug sie beinahe nieder. Nach nur zwei Schritten auf durchweichtem Boden war sie bis auf die Haut durchnässt.

So schnell es ihr möglich war, eilte sie zu dem flachen Stein, auf dem der Mann bäuchlings lag – wie auf einem Opferstein, dachte sie benommen.

Sie konnte sich nicht über ihn beugen, um seinen Atemzügen zu lauschen, also lehnte sie sich nur leicht vor und ging ein wenig in die Knie. Dann nahm sie all ihren Mut zusammen, klatschnasse, blonde Haarsträhnen aus seinem Gesicht zu streichen. Dunkle Augenbrauen, schwarze Wimpern, zwischen denen Weiß schimmerte.

Tiva atmete schmerzhaft tief ein. Ihre Hand zuckte zurück, als hätte sie sich an der Schläfe des Mannes verbrannt.

Er war es!

Sie brauchte nicht den feuerroten Bart zu sehen oder in die Augen des Mannes zu blicken.

Farlin, General des toten Kaisers.

Farlin, der ihr noch mit seinem letzten Atem einen Dolch ins Herz rammen würde.

Die dunklen Wimpern flatterten.

Tiva stand für einen Augenblick wie gelähmt neben dem großen Mann, hörte das Hämmern der Regentropfen auf seiner Rüstung, sah Wasser über sein Gesicht laufen und starrte auf die Wimpern. Zwischen denen erschien klares Blau, und Farlin blickte sie direkt an.

Sie presste die Hand auf den Bauch. Ihre Knie drohten, sie neben dem General auf den schlammigen Boden zu befördern. Ganz oben in ihrer Kehle tat etwas weh, drückte ihr die Luft ab, während Tiva am ganzen Körper zitterte.

Der Totgehoffte hob ganz langsam den Kopf, stöhnte, kniff die Augen zusammen. Tiva stemmte sich mühsam hoch, wirbelte herum und eilte keuchend zurück in die Höhle, drückte sich regennass gegen die kalte Wand und rang nach Atem.

Gleich würde er ihr folgen und sie umbringen. Jeden Augenblick würde das ohnehin karge und graue Licht vom Höhleneingang durch Farlins massive Gestalt verdunkelt werden.

Gott! Von allen Menschen dieser Welt musste ausgerechnet Farlin ihren Weg kreuzen!

Warum hatten die Soldaten ihn nicht umgebracht? Warum hatte er das überlebt – ausgerechnet direkt vor ihrem Versteck, in Reichweite?

Sie presste beide Hände auf den Bauch und bekam einfach keine Luft mehr vor lauter Angst und dem lähmenden Gefühl der vollkommenen Hilflosigkeit.

Draußen strömte gleichgültig der Regen herab. Tiva lauschte auf Geräusche, die Farlins Nahen kennzeichnen mussten. Lauteres Platschen im Matsch, seine Atemzüge, Schritte, das Geräusch, wenn er seinen Dolch zog, um Tiva abzustechen.

Jeden Augenblick konnte er hier sein.

Aber der Lichtschein vom Eingang nahm nicht ab, Tiva hörte keine Geräusche und stieß sich nach einer schweißtreibenden kleinen Ewigkeit wieder von der Wand ab, klaubte einen handlichen Stein vom Boden und schlich solcherart bewaffnet mit rasendem Herzen zurück zum Ausgang der Höhle.

Farlin war vom Stein gekrochen oder gefallen. Nun lag er im Regen und rührte sich wieder nicht.

Sie hatte ansehen müssen, wie die Soldaten über ihn hergefallen waren. Zwanzig Mann waren notwendig gewesen, um Farlin zu Boden zu ringen. Und vier von denen hatte er abgestochen und weitere sechs oder sieben verwundet. Es war ein Wunder, dass der Kerl noch lebte. Ein böses Wunder direkt aus der Unterwelt.

Kaum dass Tiva im Höhleneingang erschien, hob Farlin den Kopf. Als hätte er nur auf eine Bewegung im Dunkeln gelauert. Doch es sah beschwerlich und nach einer gewaltigen Anstrengung aus, fand sie. Seine Finger krallten sich in den aufgeweichten Boden. Schmutziges Wasser troff an ihm hinab. Kein Vergleich zu dem strahlenden General in Gold schimmernder Rüstung, mit flatterndem Umhang und stolzgeschwellter Brust, den Kopf arrogant erhoben.

Wäre er doch nur tot!

»Bitte hilf mir.«

Sie konnte seine Worte über dem Prasseln des Regens kaum verstehen. Aber der Blick der klaren Augen war eindeutig flehend. Die Soldaten hatten ihn immerhin übel genug zugerichtet, dass er nicht einfach aufstehen und eine Frau niederstechen konnte.

Wie gut mochten seine Schauspielkünste sein? Sie wusste es einfach nicht. Vielleicht war er wirklich so halbtot, wie er gerade sehr glaubhaft den Eindruck erweckte. Es war sogar möglich, dass er sie tatsächlich nicht erkannt hatte. Wie oft waren sie sich begegnet? Waren sie sich überhaupt über den Weg gelaufen? Sie kannte ihn – doch wer im ganzen Reich tat das nicht?

Für einen Augenblick schöpfte sie Hoffnung. Sie stieß sich vom Felsen ab und eilte durch den niederstürzenden Regen zu dem großen Mann, der sich mühsam auf die Ellenbogen stützte.

Sein Atem klang heiß und keuchend.

Sie verstand nicht, was sie dazu trieb, aber sie hatte das drängende Gefühl, dem General helfen zu müssen. Falls er sie wirklich nicht erkannt hatte … Sie klammerte sich an dem Gedanken fest.

»Bitte hab keine Angst vor mir«, brachte er hervor.

Hätte ein Bauernmädchen Angst vor diesem prachtvollen Burschen in seiner schönen Rüstung? Ganz bestimmt! Jede Frau wusste, was im Gefolge marodierender Soldaten aufzog. Selbst das beschränkteste Mädchen erfasste, dass ein Soldat ohne Kommandanten hinter jedem Rock ein Vergnügen sah, ohne Rücksicht auf das Lebewesen, das er damit zerstörte.

Aber obwohl Farlin ihr Feind war, konnte sie darauf hoffen, dass er sich anständiger benahm. Er war kein Fußsoldat, sondern General des Königs. Diese Stellung sollte ihn einiges im Leben gelehrt haben, hoffte Tiva. Vielleicht sogar Anstand und Selbstbeherrschung. Hoffentlich zumindest Selbstbeherrschung. Sie wagte kaum, darauf wirklich zu hoffen.

»Da hinten ist eine Höhle«, sagte sie und schämte sich, dass ihre Stimme so schwach und atemlos klang.

»Wenn ich mich nur ein wenig auf dich stützen darf.«

»Ich versuche, dir zu helfen, Herr.« Sie ärgerte sich über diese Anrede, die ihr da herausgerutscht war. Aber fast im gleichen Augenblick verstand sie, dass ihre Aussicht auf weiteres Nichterkennen genau darauf beruhen konnte, wenn sie nicht die große Dame herauskehrte, die sie für einige Monate gewesen war. Und er sah aus wie ein Herr, das ließ sich nicht leugnen. Ihr war ja obendrein bekannt, dass er adelig war und zur obersten Befehlsebene des Reiches gehört hatte. Jedes Bauernmädchen wäre von Farlins Aufmachung – und wahrscheinlich auch von seinem Äußeren – zutiefst beeindruckt.

»Farlin«, sagte er schlicht, und es klang nicht halb so herablassend, wie er das gewiss gemeint haben musste.

Sie verschwieg ihren Namen, und da sie auch gerade nach Atem rang, als der große Kerl sich an ihr auf die Beine zog und sich viel, viel zu schwer auf ihre Schulter stützte, konnte ihr das niemand verübeln, fand sie.

Sein Kopf sank nach vorne, aber immerhin stand der riesige Kerl. Sie spürte das Zittern seiner Muskeln, roch frischen, heißen Schweiß, der dem Mann aus allen Poren brach. Der Duft des triefend nassen Leders seiner Rüstung stieg ihr in die Nase, kalter Geruch nach Eisen, das Aroma des nassen Wollmantels.

Die Hand auf ihrer Schulter war warm und fest, die Finger gruben sich hart in ihr Fleisch, ohne wehzutun.

»Du bist schwanger.«

Ja, das war wohl kaum zu übersehen. Sie war nicht einfach schwanger. Sie sah aus wie eine aufgepumpte Blase, wie ein gestrandeter Wal. Kaum schien es möglich, dass ihre mageren Beine die dicke Kugel tragen konnten.

Sie nickte zu Farlins Feststellung des vollkommen Offensichtlichen.

»Sag, wenn es nicht mehr geht. Du trägst schwer genug daran.«

Oh ja, ein Edelmann, ein rücksichtsvoller Adliger, ein so mitfühlender General. Wer sollte ihm das abnehmen? Tiva tat das nicht einen Herzschlag lang. Sie wusste, wie erbarmungslos er gegen seine Feinde vorging. gegen die des Kaisers und alle, die Farlin dafür hielt. Erst unter seinem Kommando war die Kaiserliche Garde zu mehr als einer Leibwache geworden, zu einer Schattenarmee innerhalb des Heers. Es war gezielt Jagd auf jene gemacht worden, die der Kaiser für Verräter und eine Gefahr für seine gottgleiche Person gehalten hatte. Seine Berater und Magier mochten ihm dazu geraten haben, ihm Namen genannt haben, aber es war Farlin gewesen, der die Jagd eröffnet und betrieben hatte. Es würde Farlin sein, der Tiva in dem Augenblick ermordete, da er verstand, wer sie war. Und was sie getan hatte.

Verdammt, warum war sie so blöd und versuchte, ihn aus dem strömenden Regen in ihre Höhle zu bekommen?

Weil sie entsetzt zugesehen hatte, wie seine eigenen Männer sich gegen ihn wandten und ihn hinterrücks angriffen, obgleich er sich in ihrer Mitte sicher gefühlt hatte?

Tiva verabscheute Verräter. Aus ihrer Sicht der Dinge waren andere die Verräter, während Farlin nicht einen Augenblick davor zurückschrecken würde, sie als Verräterin der Krone zu bezeichnen.

Der Bürgerkrieg war keinesfalls überraschend ausgebrochen. Wer die Augen offengehalten und sich nicht schaudernd angesichts Folter und öffentlicher Hinrichtungen abgewandt hatte, war durchaus fähig gewesen, den Aufstand vorherzusehen. Tiva hatte ihn nicht nur am Horizont auftauchen sehen. Sie hatte darauf gehofft und nach ihren begrenzten Möglichkeiten auch darauf hingearbeitet, den Umsturz herbeizuführen.

Es war seit dem Tod ihres Vaters ihr innigster Wunsch gewesen, den Kopf des Kaisers auf eine Lanze aufgespießt zu sehen – und Farlins Körper niedergestreckt in einer Lache seines eigenen Bluts auf den Marmorfliesen des Palasts.

Stattdessen half sie dem blonden Hünen und wusste selbst nicht, warum sie das tat.

Schnaufend, schwitzend und vollkommen atemlos erreichten sie den Höhleneingang, und Farlin streckte die freie Hand aus, stützte sich an der Felswand ab, nahm einen Teil seines immensen Gewichts von Tivas Schulter und taumelte neben ihr weiter in die vergleichsweise trockene Dunkelheit der Grotte.

Nur noch zwei Schritte, dann blieb Tiva stehen und gab dem General so zu verstehen, dass sie nicht weiter gehen konnte oder wollte. Es war ihr egal, was er dachte. Wenn er dies auf ihre Schwangerschaft schob und Tiva deswegen für schwächer hielt, als diese sich fühlte, dann war ihr dies recht.

Er brach langsam und kontrolliert in die Knie und blieb als elender Haufen Schwäche am Boden kauern, bevor er Tiva freigab. Er hob den Kopf und sah sich um, und sie konnte sicher sein, dass ihm gar nichts entging. Immerhin war er der General, und diese spezielle Sorte Mann lebte nicht lange, wenn sie nicht auf sich aufpasste. Es gab immer Neider und verschwiegene Feinde, heimliche Widersacher, die nicht davor zurückschreckten, eine Dolchklinge in der Brust oder auch im Rücken ihres Rivalen zu versenken. Alles im Stillen und Dunklen. Bei Hofe hatte es in den letzten Monaten mehr solcher Nachfolgemorde gegeben, als Tiva sich vorstellen mochte.

Es waren auch Männer geflohen, als sie verstanden hatten, dass sie auf der Todesliste standen. Dazu brauchte es noch nicht einmal einen Missgünstigen und dessen Dolch oder bezahlten Mörder. Es benötigte weder Gift noch einen Unfall. Es reichte ja schon, jemanden beim Kaiser oder dessen Magiern anzuschwärzen. Dann erledigte sich eine Nachfolge fast von allein.

Tiva hatte inmitten dieses Chaos aus Neid und Angst gelebt. Sie hatte mehr als einen aufrechten, guten Mann zu seiner Hinrichtung gehen sehen. Sie hatte aufgedunsene Leiber der Giftopfer betrachten können, bevor die Toten aus ihren Gemächern geschafft worden waren.

Innerhalb weniger Wochen hatte der Hofstaat sich radikal verkleinert. Wo früher Hunderte von Höflingen Spalier gestanden hatten, bezogen kurz vor Ausbruch des Aufstands nur noch gerüstete Männer, die Magier und natürlich Farlin Stellung, wenn der Kaiser vorbeiging.

Günstlinge und Adlige in Seide, Samt und Spitze waren nach und nach durch Leibwächter, die Kaiserliche Garde und Soldaten verdrängt worden.

Der Kaiser hatte den Aufstand befürchtet – oder seine Berater hatten ihm Angst davor eingeflößt. Egal, was der Wahrheit entsprach, woher die Sorge des Herrschers gekommen war: Sie war mehr als berechtigt gewesen.

Und nun kniete neben Tiva der Mann, der seit Wochen – nein, seit Monaten – für sie das Symbol der Schreckensherrschaft war. Farlin, General des Kaisers, erster Mann, wenn es darum ging, einen anderen zu verhaften, zu verhören und zur Hinrichtung zu schleifen.

Sie hatte sich einzureden versucht, dass er nur ein Werkzeug und nicht so intelligent war, wie es den Anschein hatte. Sie wusste nicht, was stimmte, aber der Blick, den er trotz seiner Erschöpfung rundum fliegen ließ, sprach von einem hellwachen Geist, der überall Gefahren befürchtete. Sie war sich sicher – diesen Kerl würde so schnell nicht wieder jemand überraschen können. Geschweige denn den Versuch wagen, ihn von hinten niederzustechen.

Der hatte seine Lektion gelernt, als seine eigenen Männer auf ihn losgegangen waren!

»Es ist gut gewesen, dass du dich nicht früher bemerkbar gemacht hast«, keuchte er, ließ sich vornüber fallen und rollte sich mühsam auf die Seite.

»Ich hatte Angst«, sagte sie leise und bemühte sich, schüchtern und verängstigt zu klingen.

»Sie sind weg. Sie kommen nicht wieder«, antwortete er.

Sie war sich nicht sicher, wen er damit beruhigen wollte. Eine kleine Bauernmagd, für die er sie hoffentlich hielt – oder sich selbst. In seinem jetzigen Zustand hatte er keine Aussicht auf Überleben, falls erneut ein Trupp von zehn, zwanzig Mann auf ihn losging.

»Bist du schwer verletzt, Herr?«, fragte sie, als er sich etliche Augenblicke lang nicht rührte.

Ein eindeutig belustigtes Funkeln stieg in die blauen Augen, und Farlins Lippen verzogen sich zu einem erstaunlich humorvollen Lächeln, das Tiva trotzdem zittern ließ. »Sie haben sich redlich Mühe gegeben, mich abzustechen, Mädchen. Ich dürfte ein paar sehr unschöne Löcher in mir haben. Das meiste hat die Rüstung abgefangen. Lass mich nur ein wenig ausruhen und wieder zu Atem kommen, dann sehe ich mir das an.«

»Bis dahin kannst du verblutet sein«, sagte sie sehr vernünftig.

»Möglich. Aber ich sterbe dann immerhin in angenehmer Gesellschaft.«

Sie spürte, wie Röte ihr aus dem Hemdkragen kroch. War das ein Kompliment gewesen? Wenn ja, dann hatte er es beinahe instinktiv und auf jeden Fall unbewusst geäußert. Jede Gesellschaft musste ihm angenehmer erscheinen als die seiner Männer.

Das mädchenhafte Erröten stieg aber auch in ihr auf, weil sie sich ärgerte. Farlin hielt sie für ein Bauernmädchen, und sofort tat er alles, um sie für sich einzunehmen. Er gab sich, als wäre es nicht sein Name, der wie eine Galionsfigur dem kaiserlichen Terror vorangetragen worden war.

Und sie ärgerte sich, weil der große General Farlin sich herabließ, zu einem einfachen Mädchen nett zu sein.

Schwein! Bastard einer Hündin! Aber ich weiß, wer du bist, was du alles getan hast! Ich war im Palast, als du befohlen hast, die alten Männer des Rats zu verhaften. Keiner von denen wurde jemals wieder gesehen. Ich wünschte, du wärst ein dummes Vieh, Farlin, denn dann könnte ich behaupten, dass du nur ein Werkzeug in der Hand des Kaisers warst. Aber du bist nicht blöd. Du hast genau gewusst, was du tust. Ich verfluche dich. Ich verfluche mich selbst, dass ich dich nicht habe draußen liegen lassen! Wie konnte ich nur so dumm sein?

»Soll ich dir helfen, Herr?«

Er schüttelte den Kopf und stemmte sich mühevoll in eine sitzende Position. »Ich hätte mir von dir nicht helfen lassen dürfen. Wie lange hast du noch Zeit, bis das Kind kommt?«

Sie zuckte die Schultern. Sie wusste es wirklich nicht. Sie sah aus wie der aufgeblähte Kadaver einer Kuh. Vielleicht trug sie mehr als ein Kind unter dem Herzen. Das würde erklären, warum sie so monströs aufgegangen war wie ein sehr gelungener Hefeteig.

»Nicht mehr viel Zeit, so wie du aussiehst. Wohin bist du unterwegs? Zu jemandem, der dir hilft, das Kind zur Welt zu bringen?«

Sie zuckte wieder die Schultern und wandte das Gesicht ab. Sie kannte niemanden, der ihr helfen würde, und mit jedem Tag, den ihr Bauch gewachsen war, hatte sie mehr und mehr Angst vor der Niederkunft bekommen. Ihre Eltern waren tot. Das zumindest konnte sie nicht Farlin anlasten. Sie waren einer Seuche zum Opfer gefallen, die in Tivas Heimatstadt gewütet hatte. Der ältere Bruder ihres Vaters hatte Tiva aufgenommen, und dieser war von Farlins Vorgänger vor vier Jahren enthauptet worden. In ihrem gemeinsamen Haus, wo sie ihrem Onkel den Haushalt geführt hatte. Die Soldaten waren einfach hereingekommen, und der damalige General des Kaisers hatte ihren Onkel ohne jegliche Vorwarnung und ohne die Verlesung einer Anklage aus heiterem Himmel enthauptet.

Sonst hatte Tiva niemanden mehr, und sie wusste nicht, wo und wie sie eine Hebamme oder einen Medikus finden sollte. Sie würde dieses Kind alleine auf die Welt bringen. Tiere schafften das ebenfalls. Es musste zu überleben sein. Für sie, für das Kind.

»Was ist mit dem Vater?«, bohrte Farlin nach.

War das der gleiche Tonfall, den er in den Kerkern unterhalb der kaiserlichen Residenz verwandt hatte? Ein wenig väterlich, sehr geduldig, aber zielstrebig wie ein Bluthund, der seine Beute hetzt?

»Er ist tot.«

»In den Kämpfen um die Kaiserstadt gefallen?«

Diese Frage besaß Widerhaken und Spitzen, war ausgestattet mit Klammern und einer Sprungfeder. Tiva fühlte, wie gefährlich jede mögliche Antwort war.

Aber sie hatte lange Zeit im Kaiserpalast gelebt, auf seidenen Kissen geschlafen und sich Stück für Stück weiter an ihr Ziel herangearbeitet. Sie wusste, was Farlin hören wollte, welches Ziel er verfolgte – verwundet und am Boden vor einem Mädchen, das er für eine Bauerntochter hielt.

»Willst du mich verantwortlich machen? Bin ich schuld, dass jemand gegen dich kämpfte?«, gab sie ruhig zurück und setzte sich vor Farlin auf den Boden.

Seine dunklen Brauen hoben sich überrascht angesichts dieser Antwort. »Nein, das hatte ich nicht vor. Mädchen, was denkst du von mir?« Er lächelte, und es sah so lange betörend und jungenhaft aus, bis sie bemerkte, dass seine Augen kalt und wachsam blieben.

»Ich denke, dass du ein hochstehender Soldat bist. Ein Kommandant. Herr, warum haben diese Männer da draußen dich angegriffen?«

Solange sie sich hinter der Maske eines kleinen Mädchens versteckte und Farlin nicht wusste, wer sie wirklich war, konnte sie versuchen, mehr zu erfahren. Wie stand der Kampf in der Hauptstadt? Wenn Farlin sich hier und nicht an der Seite des Erben des Kaiserthrons in der Hauptstadt befand, dann musste die Lage für die Kaiserlichen verzweifelt stehen. Oder war er ausgesandt worden, um Leute wie Tiva aufzuspüren und zu töten? Vielleicht nicht nur Leute wie sie, möglicherweise war die Jagd auf sie tatsächlich eröffnet worden.

Er sah sie einen Augenblick lang ruhig an, und das Lächeln verschwand so schlagartig, als hätte ihre Frage es ihm aus dem Gesicht gewischt. »Ich kann dir helfen, das Kind zu bekommen.«

»Wie bitte?« Mit allem hatte sie gerechnet, aber nicht mit einer solchen Äußerung.

»Ich bin Farlin, General des Kaisers – des toten Kaisers. Gerüchte reisen schneller als ein Reiter auf einem guten Pferd. Sag mir nicht, dass du es noch nicht gehört hast.«

Gehört? Mein Dolch war es, der in sein Auge eindrang und sein Gehirn zu Brei verarbeitete. Er hat geblutet wie ein Schwein. Er hat ein schnelles, gnädiges Ende bekommen, das er nicht verdient hat. Sein Befehl war es, dem mein Onkel zum Opfer fiel.

»Ich habe das Gerücht gehört.«

»Dann weißt du, wer ich bin.«

Sie nickte nur. Bitte, du darfst nicht wissen, wer ich bin. Du stichst mich mitsamt dem Kind ab. Aber du hast keine Ahnung, nicht wahr, Farlin? Du weißt nicht, dass die gefeierte, geschminkte Schönheit des Kaiserhofs vor dir auf dem Boden hockt.

»Ich habe meine Karriere im Heer des Kaisers in den Stallungen begonnen, Mädchen. Dort stehen Pferde, die mehr wert sind als du oder ich. Ich habe den Stuten geholfen, wenn ihre Zeit kam. Lach nicht und fühle dich nicht beleidigt. Im Gegensatz zu den meisten Menschen, die wir jetzt vielleicht erreichen können, weiß ich, wie eine Geburt verläuft. Ich kann die Nabelschnur durchtrennen und weiß, was eine Nachgeburt ist. Ich kann dir helfen.«

Sie zitterte vor Ekel, als er dieses vertrauliche wir benutzte. Aber ihre Stimme klang ganz ruhig, als sie nachfragte: »Und was ist der Preis?«

»Vergiss, wer ich bin und was ich unter der Herrschaft des Kaisers war.«

»Weil du gejagt wirst.«

»Du bist ein kluges Mädchen. Du verstehst wirklich viel. Ich will nicht wissen, auf wessen Seite der Vater deines Kindes gekämpft hat. Das liegt hinter mir, weil es keinen Kaiser mehr gibt. Ich bin auf der Flucht, richtig. Aber ich kann dir helfen, dieses Kind zu bekommen. Du musst nicht alleine in einer Höhle hocken. Du wirst nicht aufreißen oder verbluten. Ich wäre getötet worden, wenn eine der Stuten gestorben oder unbrauchbar geworden wäre. Ich kann dir helfen, und ich möchte dir helfen. Was sagst du?«

»Falls jemand dich erkennt …«

»Ist es nicht dein Problem. Du wirst sagen können, dass du ahnungslos warst, ich dich getäuscht habe. Meine Verletzungen werden heilen, ich werde mich verteidigen können. Ich will nur nicht, dass du dem ersten Soldaten, den wir treffen, ins Gesicht schreist, wer ich bin.«

»Viel Vertrauen zu einem einfachen Mädchen.«

»Du bist alles, Kleine, aber nicht einfach.«

Tiva hatte keine Zeit, erschrocken einzuatmen, sich zu verraten.

»Aber ich will nicht wissen, wer du bist. Du brauchst Hilfe, und ich würde mich über ein wenig Verschwiegenheit freuen. Was sagst du?«

Sie biss sich auf die Unterlippe, war sich Farlins hellwachen Blickes allzu sehr bewusst, sah das Drängen in seinen klarblauen Augen, die selbst im Dämmerlicht der Höhle zu leuchten schienen.

»Ich bin dir ausgeliefert.«

»Weil du im Augenblick nicht wirklich schnell rennen kannst, Mädchen. Ja, in gewisser Weise bist du mir ausgeliefert. Aber auch mein Leben liegt in deinen Händen.«

Das Kind regte sich in ihrem Bauch – oder die Kinder. Sie gab sich einen Ruck und nickte.

Jetzt und in dieser Lage konnte sie Farlin keine andere Antwort geben. Sie hatte seinen Kaiser abgestochen und war somit schuld daran, dass der General in einer vermeintlichen Magd seine einzig mögliche Verbündete sehen musste. Oh, er würde toben, falls er das wüsste!

Wenn er wirklich in den Stallungen als Geburtshelfer gearbeitet hatte, dann konnte er ihr beistehen. Seine Worte über den Wert der kaiserlichen Zuchtstuten waren nicht nur dahingesagt gewesen. Mit einem Mal besaß sie die Gewissheit, dass sie die Niederkunft überleben würde, wenn Farlin nur lange genug am Leben blieb.

Als hätte er ihr genau diesen Gedankengang an der Nasenspitze abgelesen, begann der große General, die Verschlüsse seiner Rüstung zu öffnen. Langsam, aber mit geübten, sicheren Bewegungen zog er Riemen durch Schnallen und legte nach einiger Zeit den geschmückten Brustpanzer ab, bevor er die Lederbänder löste, die Panzerplatten an seinen Armen befestigt hielten.

Das Regenwasser hatte alles Blut von seinem Körper gewaschen, das gesteppte Lederhemd mit der dicken Füllung troff schwarz vor Nässe. Tiva suchte nach Anzeichen einer Blutung. Farlin war immerhin zu Boden gegangen. Das hatte er bestimmt nicht aus Furcht oder Schwäche getan. Er musste verwundet worden sein.

Er warf ihr einen raschen Blick zu und lächelte. Dieses Mal erreichte der freundlichere Gesichtsausdruck auch seine Augen. »Ich vermute, dass du nicht ohnmächtig wirst, sobald ich das Hemd ausziehe?«

»Du vermutest richtig. Rein zufällig weiß ich, wie ein Mann ohne Kleidung aussieht, General.« Sie hatte ihr Kind doch nicht mit verbundenen Augen empfangen! Wie dämlich konnten Männer eigentlich sein?

Er hob die Hand. »Gewöhne dir diese Anrede bitte gar nicht erst an. Sie kann mich den Kopf kosten. Du willst doch nicht, dass deinem Bündnispartner etwas zustößt?«

Ich will, dass du für alle deine Morde bezahlst, General. Du sollst deinem verdammten Kaiser ins Jenseits folgen. Ich bete, dass es tatsächlich eine Totenwelt der Strafen für Mörder, Lügner und Meineidige gibt und dass ihr beide dort die fürchterlichen Qualen leidet, von denen nicht einmal Priester zu sprechen wagen.

Aber sie lächelte ebenfalls, schüttelte den Kopf und setzte hinzu: »Wie soll ich dich nennen? Dein Name dürfte ebenso gefährlich sein.«

»Meine beste Tarnung wäre es, wenn du mich als deinen Mann bezeichnest.«

Sie schüttelte vehement den Kopf.

»Nur bezeichnen, Mädchen. Ich werde dich nicht belästigen, hab keine Angst. Hast du noch lebende Verwandte?«

Sie schüttelte erneut den Kopf, und dieses Mal brannten ungeweinte Tränen in ihren Augen, was sie vor Farlin zu verstecken suchte.

»Es tut mir leid. Ich hätte dich gerne bei Leuten abgeliefert, die gut zu dir sind. Dich und das Kind. Ich bin auf der Flucht und werde wohl erst wieder zu Atem kommen, wenn ich dieses Reich verlassen habe.«

»Und du möchtest dich ungern mit einer Frau und einem schreienden Kind belasten?«

»Nein. Wenn ich so denken würde, müsste ich einfach nur gehen und dich alleine durch die Wehen krampfen lassen. Das habe ich nicht vor. Ich stehe zu meinem Wort, Bauernmädchen. Das mag dir unvertraut sein. Aber wenn ich mein Wort gebe, dann breche ich es auch nicht.«

Bis du herausfindest, wer ich bin und wessen Kind das ist, dem du in die Welt helfen willst, Farlin. Du würdest toben, wenn du das wüsstest. Vielleicht würdest du an deiner Wut auch einfach ersticken und verrecken. Aber ich kann es mir nicht leisten, diesen Versuch zu machen. So gerne ich dich auch vor Zorn platzen sehen würde, kann ich mein Leben nicht dafür riskieren.

Er zog sich das Hemd mit einem Ruck über den Kopf. Tiva schnappte nach Luft. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, als sie die Linien von Farlins Körper sah. Warum musste ihr schlimmster Feind so gut gebaut sein, dass ihr der Atem knapp wurde?

Sie hatte sich den Weg in die Nähe des Kaisers wie eine Hure erarbeitet. Sie hatte mit jedem Würdenträger geschlafen, der sie auf ihrem Weg in das Zimmer des Tyrannen ein Stückchen weiter bringen konnte. Die meisten waren alt und beleibt gewesen.

Im Schlafgemach des Kaisers war sie in jener Nacht, in der sie ihn ermordete, das erste Mal gewesen. Nicht weil der alte Mann sie besteigen oder sich auf andere Art von ihr verwöhnen lassen wollte. Nein. Ihm war nur klar geworden, wessen Kind sie trug.

Als sie sein Zimmer betrat, wusste sie nicht, was er mit ihr vorhatte. Fest umklammerte sie den Dolch, den sie leicht in ihrem weiten Ärmel verbergen konnte. Dies war der Augenblick, für den sie fast zwei Jahre lang Männer ertragen hatte, die sie in der tiefsten Dunkelheit ihres Herzens verabscheut und sogar gehasst hatte. Die Verachtung war immer stärker gewesen. Wie leicht ein Mann ihr williger Sklave wurde, wenn er nur ihre weiche Haut streicheln und an ihren Brüsten saugen durfte – und aufsteigen durfte, weil sie ihm vorgespielt hatte, vor lauter Leidenschaft für ihn halb besinnungslos zu sein. Doch das war vorbei, als sie das goldglitzernde Gemach des Kaisers betrat, auf seinen Befehl hin dicht zu ihm kam – so dicht, wie nie zuvor jemand ihm gekommen war, der ihn ermorden wollte. Als er nach ihr griff, als sein Gesicht sich vor Zorn verdunkelte, nahm Tiva ihre Gelegenheit wahr und stürzte das Land in den lange überfälligen Bürgerkrieg.

Falls Farlin das erriet …

Er würde sie abstechen, und es wäre ihm egal, wessen Kind er mit dieser Gewalttat auslöschte.

Sie drängte diese Gedanken gewaltsam beiseite und starrte auf die Blutergüsse, die sich auf dem muskulösen Rücken gebildet hatten. Die Rüstung hatte Farlin vor dem Schlimmsten bewahrt, aber er sah aus, als wäre eine Herde wilder Pferde über ihn hinweg getrampelt. In den kommenden Tagen würden die glutroten Flecken und Striemen sich verfärben. Vielleicht würden sie sogar schwarz werden, bevor sie abheilten. So viel Blut befand sich unter seiner Haut, zwischen den Muskeln. Nicht eine Unze Fett war da, die die Hiebe hätte abmildern können, einen Teil der Gewalt hätte aufnehmen können. Aber alleine Blutergüsse konnten diesen Kerl nicht zu Boden geschickt haben.

Er musste eine Verletzung davongetragen haben, die ihn zumindest für einige Zeit das Bewusstsein hatte verlieren lassen. Tiva wollte diese Wunde sehen. Sie musste sie betrachten und versorgen, damit die nagende Angst, es mit einem begnadeten Schauspieler zu tun zu haben, sie endlich aus ihrem stählernen, eiskalten Griff freigeben würde.

Ja, Farlin war übel zu Boden geknüppelt worden. Aber auch das mochte gespielt gewesen sein. Seine Männer mochten sehr wohl auf seinen Befehl gehandelt haben, um ihm den Anschein eines schutzbedürftigen Flüchtlings zu verschaffen.

Misstrauen und Angst trieben Tiva Schweiß auf die Stirn, ließen ihre Hände und Füße eiskalt werden und machten das Atmen schwer.

Er ist deiner Spur bis hierher gefolgt. Du hast dich zu sicher gefühlt. Und dann hat dieses Schwein seinen Männern befohlen, ihn zusammenzuschlagen. Natürlich so vorsichtig, dass er keinen bleibenden Schaden zurückbehält.

Sie hielt inne, als sie Blut an seiner Schläfe sah. Sie war sich doch so sicher gewesen, dass der Regen den Kerl saubergewaschen hatte! Sie hatte Weiß zwischen seinen Wimpern schimmern gesehen. Sein Haar war mattes Gold gewesen, die langen Strähnen wie gesponnener Flachs. Da hatte kein Blut in seinen Haaren geleuchtet, dessen war sie sich ganz sicher.

Er hob die Hand, als Wasser und Blut vermischt an seinem Hals hinab rannen. Mit einer ungeduldigen Bewegung wischte er nasse Strähnen nach hinten und aus seinem Gesicht. Dann blickte er auf seine Hand, und Tiva konnte das helle Kirschrot sehen, das seine Finger bedeckte. Er blutete wie ein Schwein! Eine Kopfwunde, das war eine mögliche Erklärung. Ihr wurde etwas leichter ums Herz.

Mühsam stemmte sie sich auf die Beine und eilte zu Farlin. Rot sickerte aus seinem Haar, vermischte sich mit der Regennässe. Es sah dadurch so viel aus, war sehr viel heller als das Blut des Kaisers, das aus dessen Augenhöhle geströmt war.

Und warum hätte er sich bewusstlos stellen, die Schmerzen auf sich nehmen sollen? Ein General und zwanzig seiner besten Männer hätten auf jeden Fall ausgereicht, um eine beinahe wehrlose Schwangere abzuschlachten. Mädchen, die Angst lässt dich Dinge denken, die einfach unsinnig sind!

Sie kniete neben Farlin nieder, der sie leicht verschwommen ansah.

Oh, bitte, der will jetzt nicht wieder umfallen, ja? Wenn er wegen so ein wenig Blut schon ohnmächtig zu werden droht, wie will er dann bei der Geburt helfen? Will der Kerl sich einmal quer über mich erbrechen? Ich bringe ihn um!

Er zerrte ein Wolltuch unter einer der Armschienen hervor und presste es gegen seine blutende Schläfe.

»Lass mich das ansehen«, sagte Tiva gezwungen geduldig. Sie legte die Hand auf seine, fühlte die kraftvollen Finger unter ihrer Hand. Wie leicht würden die sich um ihre Kehle legen, wie schmerzhaft würden sie zudrücken können? Ein dicker, kalter Klumpen nistete in Tivas Hals und machte selbst Schlucken zur Schwerstarbeit.

Aber seine Finger lösten sich, gestatteten ihr, das Tuch ein wenig zur Seite zu ziehen und den hässlichen Riss gerade in seinem Haaransatz zu betrachten. Das Wolltuch war klatschnass, was kein Wunder war.

Tiva ließ es zu Boden fallen und stillte die Blutung mit dem eigenen Ärmel, der zwar auch nass war, aber immerhin noch weitere Feuchtigkeit aufnehmen konnte.

Langsam nahm der Fluss des hervor sickernden Bluts ab. Die Wundränder zeigten sich als weiße, gezackte Lappen. Diese Verletzung erklärte Farlins Bewusstlosigkeit, und Tiva atmete auf. Das bedeutete ein kleines Stückchen Sicherheit.

Bis sie Farlins Hand auf ihrem Bauch fühlte und erstarrte.

»Es hat sich bereits gesenkt. Mädchen, wir hatten beide Glück. In ein paar Stunden hätte ich vielleicht nicht mehr aufstehen können. Ich würde gerne ein wenig ausruhen. Dann gehe ich Feuerholz sammeln. Mir ist kalt.«

Sie nickte und setzte sich wieder hin. Selbst die kleine Anstrengung, gebückt neben einem blutenden General zu stehen, war beinahe zu viel für sie gewesen.

Ein leichtes Ziehen lief über ihren Bauch. Unangenehm, aber auszuhalten. Es konnte doch noch nicht soweit sein?

 

Tiva träumte sehr schlecht.

Der Kaiser hatte die Hand gehoben und den Dolchhieb mühelos abgewehrt. Sein blasses Gesicht verzog sich zu einer Hohngrimasse. Er schleuderte Tiva zu Boden und rief nach seinen Wächtern. Der Dolch glitzerte tückisch in seiner Hand.

Die Tür zum Flur flog auf, und als Erster stürmte Farlin in das Gemach des Kaisers. Ohne eine Frage, ohne einen Befehl auch nur abzuwarten, bohrte er Tiva das Schwert in den dicken Bauch. Sie spürte, wie die Waffe durch das Kind raste, bevor die Klinge auch das Leben der Mutter beendete.

In Farlins Augen brannte ein kaltes Feuer, ein Lächeln umspielte seine Lippen. Tiva atmete Blut aus und starb.

Und erwachte mit einem Ruck in flackernder Dunkelheit, roch Rauch, nahm den Duft bratenden Fleisches und den Geruch eines Mannes wahr. Farlin kauerte dicht neben ihr und beugte sich über sie.

Sie unterdrückte einen Schrei durch reine Willenskraft, stemmte sich auf die Ellenbogen hoch und atmete tief durch, als ein weiteres Zucken über ihren kugelrunden Bauch lief.

»Entschuldige. Ich bedachte nicht, dass ich dich erschrecken könnte. Mein Mantel hängt zum Trocknen. Er wird dich wärmen. Du zitterst am ganzen Körper.«

»Ein böser Traum«, würgte sie hervor, die Hand auf dem Bauch, um sich zu vergewissern, dass kein Schwert darin steckte. Sie spürte die Bewegungen des Kindes – träger in den letzten Stunden als noch vor einer Woche. Sie vermutete, dass dies ein Zeichen für die bevorstehende Niederkunft war, als sammelte ihr Kind seine Kräfte für die Reise durch die Enge des Geburtskanals in eine Welt, die ihm feindlich gegenüberstand.

»Ich habe zwei fette Enten gefangen. Das Fleisch sollte bald gar sein. Rück dichter ans Feuer und wärme dich auf.«

Sie sah die Vögel an Spießen über dem Feuer. Neben der Glut lag Farlins Helm, in dem sich eine gelbliche Brühe befand.

Mühsam setzte Tiva sich ganz auf und fühlte dabei Farlins Hand auf ihrer Schulter. Er half ihr tatsächlich und sah sie besorgt an.

Dabei erkannte sie die braun verkrusteten Strähnen an seiner Schläfe. Es hatte ganz offensichtlich noch ein wenig geblutet, aber jetzt sahen seine Haare trocken aus, und das Blut wirkte wie Kohlendreck in den schimmernden Strähnen.

»Es regnet nicht mehr?«

»Es hörte mit der Abenddämmerung auf. Das Holz qualmt widerlich, aber wir brauchen etwas Wärme und vor allem etwas zu essen.«

Sie sah das bratende Fleisch an und hatte für einen Augenblick das Gefühl, dass ihr vom Kind zusammengepresster Magen rebellieren wollte. Dann knurrte er deutlich. Sie lächelte. »Sehr gerne. Ich habe das Gefühl, vor Hunger ohnmächtig zu werden.«

»Das dachte ich mir. Du bist zu blass, und die Schatten unter deinen Augen kann ich nur eindrucksvoll nennen. Stelle nicht die Federn auf, wenn ich frage: Bist du von der Hauptstadt hierher gewandert?«

»Nicht ganz so weit«, log sie und zog einen Fuß unter ihren Hintern, um die kalten Zehen so aufzuwärmen.

»Dein Mann hat in der Hauptstadt gekämpft, deswegen dachte ich das. Meine Männer und ich sind in Gewaltmärschen bis hierher gekommen. Das ganze Reich scheint auf den Füßen und auf der Flucht zu sein.« Er sah ins Feuer, und das rote Flackern beleuchtete sein Gesicht, ließ die Augen dunkler, die Wangen eingefallen erscheinen. »Sie haben Angst vor Soldaten. Ich kann es ihnen nicht verdenken.«

Sie haben nicht Furcht vor Soldaten, du Schlächter. Sie stehen Todesangst vor dir aus. Tu nicht so niedergeschlagen. Wir beide wissen, was du alles angerichtet hast im Namen des Kaisers. Wer von euch beiden war das größere Scheusal? Er, weil er es befohlen hat – oder du, weil du jedem seiner Befehle Folge geleistet hast? Ich bewundere deine Männer, dass sie sich getraut haben, dich anzugreifen.

Er sah auf, und sein leuchtend blauer Blick bohrte sich in ihre Augen. »Was für Geschichten hast du über mich gehört, Mädchen? Ich sehe dir an, dass es die schlimmsten der Welt gewesen sein müssen. Du vertraust mir nicht.«

»Du bist ein wildfremder Mann, General.« Sie beobachtete genüsslich, wie seine Augen sich bei dieser Anrede verdunkelten. »Und ich habe viel über dich gehört. Der Bluthund des Kaisers, der Herr der Kaiserlichen Garde, der Meister der Folterkammern.«

Er wandte den Kopf mit einem Ruck ab und sah wieder in die Glut. Seine Kiefermuskeln spannten sich an, und nach einer Zeit, die Tiva wie eine Ewigkeit vorkam, nickte er. Er nickte! Sie konnte es nicht fassen. War er sich klar, was er alles angerichtet hatte? Erkannte er, wie entsetzlich seine Verbrechen waren?

Sie lächelte. Wann hatte schon einmal ein vermeintliches Bauernmädchen einen kaiserlichen General so hübsch auf seinen Platz verwiesen?

Aber ihr Onkel Amento war alles andere als ein Bauer gewesen. Es versetzte ihr einen Stich. Farlin hatte ihren Onkel niemals gekannt, ihn niemals auf dem Höhepunkt seiner Macht gesehen. Oder doch? Hatte Farlin von seinem blutigen, schmutzigen Arbeitsplatz im Pferdemist einen Blick auf Amento von Kazal erhaschen können? Hatte er jemals diesen großen Mann gesehen, der durchaus kaiserlicher General hätte werden können, wenn er es nur gewollt hätte?

Es war gleichgültig. Ihr Onkel war tot, seine Leiche von den Klippen ins Meer geworfen, sein Hab und Gut von der Krone eingezogen worden. Es war nichts mehr da, was an die einst so stolze Familie von Kazal erinnern konnte. Nur die Tochter des jüngeren Bruders, die ohnehin niemals Anspruch auf Titel und Erbrecht hätte haben können, trug die nächste Generation in sich, die noch nicht einmal den alten Namen würde führen dürfen.

»Du glaubst diese Geschichten über mich. Sag mir die Wahrheit, Mädchen: Soll ich gehen? Willst du alleine hier bleiben? Ich komme irgendwie durch. Ich bin ein wenig grün und blau geschlagen und habe Kopfschmerzen. Das ist alles. Noch einmal falle ich nicht auf den Gehorsam meiner ehemaligen Soldaten herein.«

»Du würdest wirklich gehen?«

»Das würde ich, falls du es so willst. Du hast nicht mehr viel Zeit, bis dein Kind aus dir herauswill. Sonst würde ich dich bis ins nächste Dorf bringen. Es kann nicht allzu weit entfernt sein. Zwei oder drei Tage Fußmarsch, schätze ich.«

»Und dort würdest du darauf bauen, dass ich nicht jedem ins Gesicht kreische, wer du bist, richtig?«

»Das hoffe ich, Mädchen.«

Etwas in ihr – nicht das Ungeborene – versetzte ihr einen Stoß. War das Scheinheiligkeit seitens Farlin? Er musste wissen, wie verzweifelt ihre Lage stand. Dies war ihr erstes Kind, und sie hatte Angst vor der Geburt. Sie wusste nicht, ob sie es alleine schaffen konnte. Prüfte er sie? Wollte er nur in Erfahrung bringen, wie weit sie zu gehen bereit war?

Aber diese Worte, dieses Angebot passten nicht zu dem Bild, das sie von dem General besaß. Sie hatte alle Geschichten über ihn, über die Magier an der Seite des Kaisers, über die Berater und die ermordeten Ratsmitglieder gehört und wie einen schwarzen Schatz gesammelt. Sie träumte davon, dass eines Tages die Vergangenheit Stück für Stück wie ein kostbares Pergament aufgerollt werden würde, dass das Volk die Wahrheit hören wollte. Dann musste sie zur Stelle sein und berichten, was sie in den Monaten bei Hofe alles erlebt, gehört und gesammelt hatte. Sie wollte dann ihren Schatz der Welt zeigen und jedem beweisen, wie richtig der Aufstand gewesen war, wie notwendig und absolut wichtig.

Doch irgendetwas an Farlins Tonfall berührte sie. Und statt den großen Kerl sofort und auf der Stelle aus der Höhle zu weisen, beugte sie sich leicht vor.

Die Spannungen in ihrem Bauch nahmen zu. Wie in flachen Wellen, die am Meeresstrand über Sand strömten, überliefen diese drückenden Wogen ihren gewölbten Leib, nahmen ihr für einen Wimpernschlag den Atem, während das Kind ganz still lag.

Und ebenso gespannt wie ihre Muskeln war auch Tiva.

Der Blick aus Farlins Augen schien ihr ehrlich. Die strengen Fältchen in seinen Augenwinkeln, die Schatten oberhalb seiner hohen Wangenknochen sahen so echt aus. Der ganze Mann wirkte besorgt – und bescheiden? War das wirklich? Das konnte nicht aufrichtig sein.

Sie sprach es einfach aus, was ihr wie Blätter im Sturmwind ziellos durch den Kopf wirbelte. »Sie nennen dich den Schlächter, General. Wie passt deine Höflichkeit gegenüber einer Magd dazu?«

Er blickte hinab auf seine Hände, die entspannt auf seinem muskulösen Oberschenkel lagen. Dann hob Farlin den Kopf und sah ihr so offen und frei in die Augen, dass ihr beinahe schwindelig wurde. Seine Augen, so wusste sie, trugen in sich die Farbe eines klaren Sommerhimmels. Ein tiefes, leuchtendes Blau. Nicht kobaltblau, eher wie Kornblumen. Zusammen mit dem schimmernden Gold seines Haars, den dunklen Brauen, dichten schwarzen Wimpern und dem beinahe jungenhaften Gesicht verliehen diese Augen ihm den Anschein von unbeschwerter Unschuld. Nur der Bart leuchtete so blutig rot wie seine Vergangenheit und sein Handwerk.

»Glaube, was du willst. Ja, ich habe dem Kaiser treu gedient. Nur wir beide sind hier, Mädchen. Mein Wort gegen deines. Dein Wort gegen meines. Der Kaiser war ein strenger Herr, aber er war kein schlechter Regent. Bis die Magier einzogen und seine Ratgeber wurden. Das war ein Fehler, den er nicht wieder gutmachen konnte, und viele haben für diese falsche Entscheidung teuer bezahlt. Auch ich. Und ich bezahle immer noch dafür. Es ist deine Entscheidung. Ich bin angeschlagen, aber ich komme alleine zurecht. Es widerstrebt mir, dich zurückzulassen. Du bist zu mir in den Regen gekommen, und ich habe gesehen, welche Angst du hattest und vielleicht immer noch hast. Du kennst meinen Namen, du weißt, wer ich bin. Da draußen lauern Männer darauf, mich für die Geschichten büßen zu lassen. Vielleicht habe ich Strafe verdient – vielleicht nicht. Kannst du das beurteilen?«

Du bist das Gesicht des kaiserlichen Terrors. Es war dein Name, der mit den schrecklichsten Geschichten immer wieder genannt wurde. Aber ich werde nicht schlau aus dir.

»Ich glaube, dass ich Hilfe brauche. Bald.«

»Das sind nur die ersten Wehen, die deinen Körper vorbereiten.«

»Das hast du also gesehen?«

»Es ist nicht zu übersehen, da ich weiß, worauf ich achten muss. Vertraust du mir so weit, dass ich dir helfen darf?«

Sie nickte. Ja, so weit konnte sie gehen.

Sie musste sich auf Farlin verlassen, dass er ihr wirklich helfen konnte.

Eine weitere Schmerzwelle überrollte sie ganz sanft.

Wenn Tiva in seine klaren Augen sah, konnte sie kaum glauben, dass er mit jenem Mörder identisch war, vor dessen Gräueltaten sie monatelang gezittert hatte. Gott, das ganze Reich hatte vor ihm gebebt.

»Gut. Denkst du, dass du etwas essen kannst? Du wirst deine Kräfte brauchen.«

Er zog seinen Dolch, und für einen Augenblick glitzerte das rote Licht der Glut auf der schlanken Klinge, bevor Farlin rasch Fleisch von den bratenden Enten abschnitt und Tiva reichte.

Doch dieser kurze Augenblick hatte vollkommen ausgereicht, um Tiva klarzumachen, dass sie sich in einer erbärmlichen Situation befand. Sie besaß selbst keine Waffen. Die Inhalte ihres Bündels waren nur mager zu nennen – sowie harmlos und unverdächtig, falls Farlin ihren kurzen Schlaf genutzt haben sollte, ihre Sachen durchzusehen.

Nichts darin wies darauf hin, dass sie im Palast gelebt und den Kaiser abgestochen hatte. Sie hatte keinen Schmuck, keine wertvollen Kleider mitgenommen. Der Bürgerkrieg brach aus, und ihr war klar gewesen, dass Räuber und hungernde Menschen, marodierende Soldaten nur darauf lauerten, die Hände auf eine goldbehangene Adlige zu legen, die leichte Beute versprach und zu dumm war, sich auf eine Tarnung zu verlegen.

Aber der Tod ihres Onkels hatte Tiva gelehrt, wie wichtig es war, die eigene Identität zu verschleiern. Nichts anderes hatte sie monatelang im Palast des Kaisers getan.

Das heiße Fleisch tat ihr gut. Schon beim ersten Bissen merkte sie, wie viel Hunger sie tatsächlich hatte. Ihre Flucht hierher war anstrengend gewesen. Sie hatte von Beeren, Pilzen und den Vorräten, die sie aus dem Palast hatte mitnehmen können, gelebt. Sie wusste, dass sie viel Gewicht verloren hatte und auch dem Kind geschadet haben mochte.

Solange sie noch Geld besessen hatte, war es ihr möglich gewesen, bei Bauern ein wenig Brot oder Gemüse zu kaufen. Fleisch war ein Luxus, den sie sich nicht hatte leisten können.

Nur weit weg von der Hauptstadt und dem Palast des toten Kaisers, das war ihre einzige Richtungsangabe gewesen. Wohin sie genau wollte, wusste sie selbst jetzt nicht.

Auch Farlin sah erschöpft aus, wie ihr jetzt bewusst wurde. Die Sehnen auf seinen Handrücken warfen Schatten, sah sie verwundert.

Sein Mantel und auch das gesteppte Lederhemd hingen zum Trocknen auf Astgestellen, die er während Tivas Schlaf errichtet hatte. Der Anblick seines nackten Oberkörpers hatte sie beim ersten Mal beinahe begeistert, jetzt sah sie, wie seine Rippen unter den Muskeln hervorstanden.

»Warum bist du nicht mehr in der Hauptstadt, General?«, fragte sie.

Er sah rasch auf. Bratensaft lief ihm in den roten Bart, und Farlin wischte sich über das Kinn, kaute, schluckte und sah auf das geröstete Fleisch in seinen Händen. Ihr schien, dass er sich einen Ruck geben musste, diese Frage zu beantworten, aber sie war sich verblüffend sicher, dass er die Wahrheit sagen würde, so erstaunlich das auch für sie selbst klang.

Seine Kiefermuskeln spannten sich an, wodurch die roten Haare sich ein wenig aufrichteten. Der General sah dadurch grimmiger, aber auch noch erschöpfter aus.

»Der Kaiser ist tot.«

Sie wartete ab und unterdrückte eine bissige Bemerkung, dass dadurch der Schlächter des Kaisers plötzlich ebenso schutzlos dastand, wie all seine Opfer das getan hatten. Sie hielt sich zusätzlich mühsam davon ab, Farlin ins Gesicht zu schleudern, dass er die wunderbare Gabe besaß, sich zu wiederholen und das Offensichtliche zu sagen. Ohne seine hilfreiche Bemerkung wäre ihr ja auch nie aufgefallen, dass sie eine riesige Kugel vor sich herschob!

»Und die Aufständischen sind jetzt in der Hauptstadt?«, bohrte sie nach, als Farlin auch nach etlichen Atemzügen nichts sagte.

Er schüttelte den Kopf.

Eine weitere Wehe überlief den dicken Bauch. Tiva hatte die Hauptstadt verlassen, weil sie Angst vor den Aufständischen gehabt hatte. Sie war die Geliebte so vieler einflussreicher Männer gewesen, dass sie vor jenen floh, die eigentlich ihre Verbündeten sein sollten, deren Ziele und Visionen sie teilte. Sie hatte den Kaiser getötet – für ihren Onkel und für Monate der Erniedrigung. Die sie auf sich genommen hatte, damit sie an den alten Tyrannen überhaupt herankam. Und zur krönenden Ironie flüchtete sie jetzt vor den Männern, die sich den Tod des Alten ebenso innig gewünscht hatten wie sie!

»Nein. Die Aufständischen haben keine Chance, Mädchen. Dein junger Mann ist tot. Und so ist es den meisten der Angreifer ergangen. Der Kaiser war das Letzte, das zwischen uns allen und dem Wahnsinn der Magier stand. Jetzt ist er tot. Sein Sohn ebenfalls. Da ist niemand mehr, der rechtmäßigen Anspruch auf den Thron erheben kann. Weißt du, wer den Sohn meines Kaisers getötet hat? Keiner der Bauern, die sich gegen ihn erhoben haben, Mädchen. Einer seiner Leibwächter war es, der sagte, nur so könnte man die Magier aufhalten. Ebenso irre wie sie. Der Alte konnte sie kontrollieren, auch wenn sein Versagen sie überhaupt erst in den Palast gelassen hat. Jetzt sind sie da, und sie bleiben da. Und egal was für Geschichten du über mich gehört hast, es sind Erzählungen für Kinder verglichen mit dem, was die Magier jetzt verursachen werden. Es gibt keine Kaiserliche Garde mehr, weil sie nicht mehr benötigt wird. Wer braucht schon Männer mit Schwertern, wenn nur ein Gedanke eines Magiers ausreicht, um einen Menschen in Flammen aufgehen zu lassen? Du fragst, warum ich hier bin? Weil ich nicht brennen wollte. Weil ich Hilfe suchte, um die Magier aus der Stadt zu bekommen.«

2.

Das Kind

 

Er senkte den Blick mit einem Ruck und atmete tief durch. Dann zog er ein Stück vom Baum geschälte Rinde zu sich und holte die Enten von ihren Spießen.

Tiva sah ihm fassungslos zu, wie er das heiße Fleisch von den Knochen löste. Wie konnte er jetzt etwas so Weltliches tun? Eben erzählte er ihr noch, dass es tatsächlich jemanden – eine Gruppe sogar – gab, die noch schlimmer war als er, und fast im gleichen Atemzug spielte er den Koch.

Sie sah zu, wie er die Knochen in die Glut stieß, bevor er das Rindenstück zur Seite schob, wo Tiva die Fleischstücke leicht erreichen konnte.

Sie hatte keinen Hunger mehr. Hatte sie wirklich das Reich vom Regen in die Traufe gestoßen? Aus der Hand des Kaisers und seines grausamen Generals befreit, um es in die Gewalt der Magier zu bringen?

So sehr sie sich auch den Kopf zerbrach, so hatte sie doch während ihrer Zeit im Palast nicht wirklich viel über die Magier gehört. Sie waren bereits eingezogen, als Tiva sich ihren Weg durch die Palasthierarchie erarbeitete. Als Ratgeber des Kaisers, seine persönlichen Auguren und Lehrer lebten sie in einem eigenen Flügel des Palasts und waren immer nur in kleinen Gruppen zu beobachten gewesen.

Tiva hatte sie gefürchtet, weil sie nicht wusste, wie viel diese Magier wirklich sahen. Konnten sie in Köpfe hineinsehen und Gedanken lesen? Dann mussten Tivas Gedanken sie verraten, denn jede freie Minute widmete ihr Verstand sich der Frage, wie sie am besten zum Kaiser vordringen konnte.

Aber sie war niemals verhaftet worden, nicht einmal befragt worden. Die Kerker, in denen Männer wie Farlin ihr blutiges Handwerk betrieben, kannte sie nur aus Erzählungen.

»Ich bin also ein ganz gewöhnlicher Flüchtling. Alles in mir schreit danach, der Schreckensherrschaft der Magier ein Ende zu bereiten.« Er zog den Dolch und fischte die verbrannten Knochen aus der Glut, bevor er die Waffe umdrehte und mit dem Knauf die Knochenreste zu Pulver schlug. Dann schob er alles wieder in die Glut und stand auf. »Du hast eine Wasserflasche. Die brauche ich.« Er hob das Bündel vom Boden und reichte es an Tiva.

Es war beinahe lächerlich, was er ihr hier vorspielte! Wenn er die Zeit ihres Schlafs nicht genutzt hatte, um die Habseligkeiten einer angeblichen Bauerntochter durchzusehen, dann war er nicht General Farlin, so einfach war das.

Sie zog die Wasserflasche hervor und reichte sie an Farlin weiter.

»Und den Becher.«

Sie besaß wirklich nicht mehr viel. Ein wenig Wäsche zum Wechseln, Fetzen dicken Stoffs für das Baby, eine schäbige Decke, die niemals sie und das Neugeborene zusammen warm halten würde. Ein kleines Messer, das sie aus der Küche gestohlen hatte, bevor sie aus dem Palast floh: stumpf und winzig. Selbst einer Rübe konnte sie damit keine Angst einjagen. Sie vermutete, dass es die kümmerliche Erscheinung des Messers war, die Farlin bislang davon abgehalten hatte, es ihr wegzunehmen. Vor einer solchen Klinge musste er keine Angst haben. Erschwerend kam hinzu, dass er eine solch pathetische Waffe in der Hand einer kleinen, hochschwangeren Frau wahrscheinlich nicht einmal dann fürchten würde, wäre die Klinge rasiermesserscharf.

Tiva sah Farlin zu, wie er Asche und die gemahlenen Reste der Knochen in den Becher schaufelte, wofür er wieder seinen Dolch benutzte. Dessen Klinge war auf jeden Fall mehr als nur scharf!

Behutsam goss der General Wasser zur Aschemischung und stellte den Becher dann in die Glut. Tiva protestierte nicht. Sie hatte auf ihrer Flucht bereits feststellen müssen, dass Asche und Sand hervorragende Reinigungsmittel abgaben, wenn Kräutersud im Becher angebrannt war.

Als Farlin aber auch seinen Helm mit der gelblichen Pampe in die Glut stellte, hob Tiva den Kopf, zuckte unter einer neuerlichen Wehe zusammen und hatte wirklich keine Ahnung, was der Kerl da tat. »Was ist das?«, fragte sie schließlich widerwillig, bevor sie an Neugier versterben konnte.

»Fett von den Enten. Wird ein bisschen stinken, aber damit können wir leben, nicht wahr?«

Sie biss sich auf die Unterlippe und starrte Farlin trotzig an, während schon wieder eine Schmerzwelle durch ihren Bauch lief. Sie stöhnte und legte die Hand auf die Kugel. Das hatte wehgetan.

»Dein erstes Kind, nicht wahr? Bitte sag mir nicht, dass du schon fünf oder sechs geboren hast.«

»Warum nicht?«, quetschte Tiva zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

»Weil es beim Ersten lange dauert. Je mehr Fohlen … Kinder, ich wollte Kinder sagen, wirklich. Je mehr Kinder eine Frau geboren hat, desto schneller geht es. Das ist dein Erstes, nicht wahr?«

»Ja.« Sie nickte. Gott, sie schwitzte sogar schon wie ein Pferd. Die Verwechslung war Farlin durchaus zu verzeihen.

»Das ist gut.«

»Das ist nicht gut! Es tut weh!«

»Ich sehe nach, ob mein Mantel trocken ist. Dann sorgen wir dafür, dass wir dich etwas bequemer hinsetzen.«

»Und das soll helfen?«

»Ich hoffe.«

»Du bist nicht halb so hilfreich, wie ich gehofft hatte!«

»Ich kann dir nicht helfen, mit Schmerzen umzugehen.«

Sie krümmte sich zusammen und stöhnte erneut. Das ist nicht sein Ernst, ja? Er redet von Vorbereitungen. Ich wünschte, ich wüsste mehr vom Kinderkriegen!

Sie sah aus den Augenwinkeln eine Bewegung, hob den Kopf und erwartete, Farlin an ihrer Seite zu erblicken. Stattdessen goss er rasch den Inhalt des Bechers zu der fettigen Brühe im Helm und begann, die stinkende Mischung hastig mit einem Stock zu rühren.

»Was«, fragte sie zitternd, »tust du da?«

»Seife. Sie wird stinken, aber sie wird ihren Zweck erfüllen.«

Sie wünschte sich, dass sie seinen Dolch ergreifen könnte. Dann würde sie die Welt von General Farlin befreien und bei der Geburt sterben. »Ich kriege mein Kind, und du verdammter, eitler Geck denkst daran, wie du dich waschen kannst?« Sie zitterte, schwitzte, und in ihrer Bauchdecke und tiefer in ihr zuckten Krämpfe. »Du … du …«

»Atme. Hör auf zu zetern und atme lieber. Ja, ich koche Seife, weil ich dir helfen will! Mädchen, sei nicht so dämlich, nur weil es ein wenig in deinem Bauch zwickt.«

»Ein wenig? Und es ist mein Bauch! Wie kannst du wissen, ob es ein wenig oder ganz furchtbar zwickt?« Tränen liefen ihr über das Gesicht. Sie krümmte sich erneut zusammen.

»Ich will dir helfen. Ich habe – Gott mag wissen, wie lange – im Matsch gelegen, nachdem ich ein paar Tage lang durch die Gegend gerannt bin. Ich bin voller Dreck und Blut, Dreck und Schweiß und noch mehr Dreck. Ich bringe dich um, wenn ich dir so schmutzig helfe! Verdammt!« Er rührte heftig in seinem Helm, wo das gelbe Fett langsam trübe wurde.

»Ich kriege mein Kind jetzt und auf der Stelle!«

»Nein, das tust du nicht. Das ist dein Erstes, du hast noch Stunden Zeit. Wann hat es das erste Mal gezwickt?«

»Vor Stunden!«, brüllte sie ihn an. Die Schmerzen waren zu viel. Sie wollte das nicht. Sie hatte Angst, es tat so weh, und das Kind rührte sich nicht mehr in ihrem Bauch. Wie ein toter Klumpen lag es in ihr und wurde von den Wehen wahrscheinlich zu Tode gedrückt.

»Dein Fruchtwasser ist noch nicht abgegangen. Wir haben Zeit.« Er rührte schneller, zerrte den Helm aus der Glut, fluchte, als der Gestank verbrannter Haut aufstieg, und goss kaltes Wasser in die stinkende Masse.

Tiva versuchte, sich keuchend ein wenig weiter aufzusetzen, mit dem Rücken an die Felswand zu kommen. Nie zuvor hatte sie das so dringende Bedürfnis verspürt, einem Menschen den Schädel einzuschlagen. Selbst ihr Drang, den Kaiser zu töten, war dagegen gar nichts. Mehr eine Laune, denn ein dringlicher Wunsch. Aber Farlin mit seiner widerwärtigen Ruhe machte sie wahnsinnig!

Schweiß lief ihr in die Augen, klebte ihr die Haare an den Schläfen fest. Gleichzeitig fror sie vor Schmerzen und der Anstrengung, überhaupt noch zu atmen.

Sie hob den Kopf, starrte den blonden General an und holte Luft, um ihm irgendetwas sehr Unerfreuliches an den Kopf zu werfen.

In diesem Augenblick sah er auf, und Tiva verschluckte sich fast an ihrer Tirade. Sie kannte diesen Gesichtsausdruck. Nur nichts in ihrem Leben und keine ihrer Erfahrungen und erst recht keine der Geschichten über Farlin hätten sie darauf vorbereiten können, diesen Ausdruck auf seinen ebenmäßigen Zügen zu sehen – und glauben zu müssen, dass er echt war.

Wann hatte sie genau diesen Ausdruck das letzte Mal gesehen? Im Gesicht ihres Onkels, nachdem sie sterbenskrank zu ihm gebracht worden war? Im Gesicht ihrer Mutter, die Blut ausgehustet und auf jedes Anzeichen der Krankheit bei ihrer Tochter geachtet hatte?

Nicht Sorge – Fürsorge. In General Farlins Gesicht. Im Gesicht des Schlächters.

»Ich mache, so schnell es geht. Aber ich werde nicht dein Leben riskieren, nur weil du denkst, dass ich zu langsam bin, Mädchen.«

»Tiva«, sagte sie.

»Tiva. Beiß die Zähne zusammen, atme ruhig und tief. Ich bin gleich wieder da. Ich gehe zum Fluss und wasche meine Hände und Arme, damit ich dich nicht umbringe. Ich bin wirklich gleich wieder da. Sollte dein Fruchtwasser kommen, schrei nach mir. Ich beeile mich! Ich bin gleich wieder da! Halt durch, Mädchen.«

Sie nickte, wischte sich schweißfeuchte Haare aus dem Gesicht und nickte wieder. Sie glaubte ihm. Sie legte ihr Leben und das Wohlergehen ihres Kindes vertrauensvoll in Farlins Hände. Was auch immer die schaudernd geflüsterten Geschichten über ihn sagten, hier und jetzt bestand ihre einzige Hoffnung darin, dass er es aufrichtig mit ihr meinte.

»Gleich wieder da«, versprach er noch einmal, nahm den Topf mit der schmierigen, halbflüssigen Seife und rannte nach draußen.

Der Fluss verlief nicht weit entfernt an der Höhle vorbei. Tiva wusste, dass der General rasch wieder bei ihr sein konnte – und würde.

Sie wünschte verzweifelt, es wäre schon vorbei. Die Schmerzen waren mehr, als sie jemals auszuhalten gehabt hatte.

Mit einem Mal ließ der Druck in ihrem Bauch nach – dafür saß sie in einer Pfütze. War das das Fruchtwasser? Egal! Sie schrie wie am Spieß.

Farlin stolperte zurück in die Höhle und kniete vor ihr nieder. »Fruchtwasser. Gut, Mädchen, es geht los.«

Mit raschen Bewegungen zerrte er ihren Rock bis zur Hüfte hoch und drückte ihr die Knie auseinander.

Gott, der Kerl ist zwischen meinen Beinen. Da wollte ich ihn nie! Und vor allem nicht so! Es tut so weh!

Sie roch das Bratenfett an ihm und sah einen Wassertropfen von der hastigen Wäsche an Farlins Kehle hinab über seine Brust laufen.

Verdammt, lass es endlich vorbei sein. Lasst es aufhören, dauernd so weh zu tun! Ich will das nicht. Und ich will den Kerl nicht da haben und nicht unter meine Röcke glotzen lassen!

Seine Hände und Unterarme waren rotgescheuert. So sehr er sich auch beeilt haben musste, war er doch offenkundig gründlich gewesen.

Endlich hob er den Kopf, und Tiva rang schmerzhaft in einem Aufatmen nach Luft. Zumindest für einen Augenblick starrte er ihr nicht mehr zwischen die Beine.

»Gut. Mädchen, reiß dich zusammen, atme so ruhig und tief, wie es geht. Leg deine Hände auf die Knie. Komm nicht auf die Idee, dich hinzulegen. Dann presst du nämlich gegen die Schwerkraft an.«

Er legte ihr eine warme Hand auf einen Oberschenkel, die zweite auf ihren Bauch.

Sie hechelte wie ein Hund. Tiefere Atemzüge waren schlichtweg unmöglich.

»Press noch nicht. Soweit bist du noch nicht.«

»Hol das Ding aus mir raus, verdammt!«

»Du wirst die Austreibungswehen erkennen, wenn sie kommen. Ich weiß nicht, wie viele ein Mensch braucht, um das Kind zur Welt zu bringen. Aber es geht schnell. Halt noch ein bisschen durch.«

»Ich kann nicht mehr!« Sie weinte und schämte sich noch nicht einmal. Die Schmerzen waren einfach zu viel.

»Du machst das gut«, sagte Farlin leise.

Für einen Augenblick fragte Tiva sich, ob er so den Pferden Mut zugesprochen hatte. Hatte das irgendeine verzweifelte Stute getröstet, die das Gefühl hatte, dass die Wehen sie in zwei Teile rissen?

Eine neuerliche Wehe stieg aus der Tiefe von Tivas Bauch. Sie konnte nicht mehr schreien. Nur noch stöhnen und ihre Knie so fest umklammern, dass ihre Hände taub wurden.