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Der Magie verfallen – das ist eine Gay-Fantasy-Reihe um Krieger und Magier, Priester und Diebe. Jeder Roman erzählt die Romanze zweier gegensätzlicher junger Männer – zwischen Gefahren, Abenteuern und großen Gefühlen. Noch vor kurzem waren Griv, Kommandant der Stadtwache, und der Feuermagier Talon ein Paar - doch ein Streit über die Geheimnisse der Magie entzweite sie. Als ein Notfall Griv jedoch eines Nachts dazu treibt, Talon aus dem Bett zu klopfen, verfliegt dessen Wut über den Besuch rasch. Denn Griv bringt ihm ein magisches Artefakt, das Talon nur aus jahrhundertealten Theorien kennt und von dem es heißt, dass es nicht existieren könne. Talon wittert nicht nur eine magische Katastrophe, sondern auch eine persönliche, denn die Umstände zwingen ihn, mit Griv zusammenzuarbeiten. Und Streit hin oder her, Talon fühlt sich immer noch magisch von dem aufbrausenden jungen Mann angezogen.
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Veröffentlichungsjahr: 2017
Der Magie verfallen IV
Feuerzauber
Tanja Rast
Kann Spuren von Erdnüssen enthalten!
Es gibt Inhalte, die Betroffene triggern können, das heißt, dass womöglich alte Traumata wieder an die Oberfläche geholt werden. Deswegen habe ich für diese Personen eine Liste mit möglichen Inhaltswarnungen für alle meine Romane zusammengestellt:
www.tanja-rast.de/inhaltswarnungen
Talon grunzte leise und zog sich die Bettdecke über den Kopf. Es reichte nicht aus, das beharrliche Hämmern von seinen Ohren fernzuhalten. Er fragte sich, ob es nicht irgendwann von selbst aufhören würde, wenn er sich lange genug tot stellte. Immerhin war es noch dunkel, und das war keine Tageszeit, einen Erzmagier aus dem Bett zu scheuchen. So dringend konnte kein Notfall sein.
Oder?
Das Pochen verstummte, gerade als Talon zu dem Schluss kam, dass so aufdringliches und lang anhaltendes Klopfen an der Pforte seines Hauses vielleicht doch eine ernsthafte Ursache haben könnte. Er lag still und lauschte, zuckte eine Schulter und wälzte sich erneut auf den Bauch, um wieder ins Traumland abzudriften, aus dem der nervtötende nächtliche Besucher an der Tür ihn so rücksichtslos gerissen hatte. Gab ja noch ein paar Magier mehr in der Stadt, nicht wahr? Und das Bett war weich und warm … und eine kalte Hand legte sich auf seine Schulter.
Talon fuhr hoch wie von einer Tarantel gestochen, bekam die auflodernde Magie noch zu packen, bevor er blind das Feuer eröffnen konnte.
»Du schläfst aber auch wie ein Stein, verdammt.« Die Stimme so vertraut, dass Talon kein Licht benötigte, um diesen ungebetenen Gast sofort zu erkennen.
»Griv, du verdammter Hurensohn! Wie bist du hereingekommen?« Talon raffte seine Decke an sich. Die Angewohnheit, nackt zu schlafen, hatte er bis zu exakt diesem Zeitpunkt als angenehm empfunden. Aber die Zeiten mit Griv waren vorbei, und die Geister der Unterwelt sollten Talon holen, wenn er dem verdammten Kerl einen Blick auf das gestattete, was ihm nicht länger zustand … und was Griv ohnehin im Schlaf und auswendig kennen musste. Egal! Talon war Erzmagier, und alleine dafür verdiente er ein gewisses Maß an Respekt!
Im trüben Licht einer einsamen Straßenlaterne vor dem Haus machte Talon die schlanke und keinesfalls hochgewachsene Gestalt seines vormaligen Liebhabers aus. Gerüstet, aber irgendwie angeschmutzt, und jetzt witterte Talon auch Überreste von höchstwahrscheinlich sehr brenzliger Magie.
»Durch die Gartenpforte und die Küchentür. Nachlässig, Talon. Steh auf, zieh dich an …«
»Es ist mitten in der Nacht!«, zeterte Talon übellaunig.
»Ja, ich weiß, stell dir das vor. Zu gütig, dass du meinen minderen Geistesgaben auf die Sprünge zu helfen versuchst.«
»Ich will, dass du mein Haus verlässt.«
»Ich bin heute Nacht nicht dein ehemaliger Geliebter, Talon. Ich bin Kommandant der Stadtwache, und im Namen des Grafen und des Rats brauche ich den besten Magieanwender der Stadt. Das bist rein zufällig du. Und es ist mir gerade vollkommen gleichgültig, was wir gemeinsam hatten – oder auch nicht. Du bist der Beste, und als solcher ist es deine Pflicht und Schuldigkeit, mir zu Diensten zu sein. Ich warte im Labor auf dich.« Er salutierte keck wie immer und verließ das Schlafzimmer mit der ihm eigenen katzenhaften Geschmeidigkeit.
Und Talon verfluchte die funzelige Straßenlaterne, deren Licht nicht genügte, um ihm einen Blick auf jenen knackigen Hintern zu gewähren. Ein Anblick, den er sehr vermisst hatte in den letzten Monaten. Aber auch das schönste Gesäß dieser Welt war es nicht wert, Grivs Anwesenheit länger als notwendig zu ertragen. Aus, vorbei und gut so!
Er wälzte sich aus dem Bett und schlüpfte in einen seidenen Morgenmantel, zögerte und zog dann auch eine lange Hose an, deren Bundband er hastig zuschnürte, bevor er in die Schnabelschuhe stieg, sich schlafwirres Haar aus dem Gesicht strich und mürrisch den Marsch ins Labor antrat.
Griv protzte selten mit seinem militärischen Rang, und etwas an der allzu vertrauten Stimme hatte so drängend und ernsthaft geklungen, dass die Benommenheit des Schlummers wie Wasser aus einem lecken Fass aus Talon rieselte.
Er hastete die Treppe hinab, stellte mit grimmiger Dankbarkeit fest, dass Griv eine Kerze im Flur abgestellt hatte. Talon kam also ohne ein angestoßenes Schienbein um die dämliche Truhe herum, die ein Geschenk seiner Lehrmeisterin gewesen war. So konnte er die Tür zum Labor mit betonter Großartigkeit aufstoßen.
Griv sah erbärmlich aus. Das schwarze Haar zerzaust, Ruß auf einer Wange – was ihm verblüffend gut stand – und Flecken auf der Rüstung. In der üblichen Missachtung von Talons Werkstatt hatte er seinen netten Hintern auf die Kante der Werkbank geschwungen, ließ die in schweren Panzerschienen steckenden Beine baumeln und sah hinreichend müde aus. Als Talon eintrat, hob er den Kopf und grinste schief. »Es tut mir wirklich leid, dich geweckt zu haben.«
»Ich erwarte, dass du einen guten Grund dazu hast.«
»Und ob. Guck dir das Ding an und sag mir, was es ist. Ich denke, dass es schuld am Tod ein paar guter Männer ist.«
Das Ding war in Lumpen gehüllt und stand eine gute Armlänge von Griv entfernt auf der Laborbank.
Talon streifte abgeschirmte Handschuhe über und nahm eine Zange, um den Stoff behutsam auseinanderzufalten. Er roch, was sich darunter verbergen musste, bevor noch die letzte Lage ihr Geheimnis preisgab.
Kugelrund, aus Silber oder frischem Blei, glänzend, die Oberfläche mit selbst Talon unbekannten Zeichen verziert. In der Theorie seiner zahlreichen Folianten wurde ein solches Objekt behandelt. Ehrfürchtig, das Endziel aller magischen Forschungen, das Wunder, das Magie bis zur Unendlichkeit nutzbar machte. Talon schnappte demütig nach Luft.
Dann entdeckte er auf der Oberseite der Kugel die kleine Klappe und ihren Verschlussmechanismus. Behutsam drückte er diesen mit der Zange nieder und atmete auf. Der Geruch nahm schlagartig ab. Der Gestank des Abfalls, den Talon zu genau kannte und oft genug morgens selbst ausgeatmet hatte.
Er sah zu Griv, der ihn müde, aber wachsam betrachtete, den Körper angespannt.
»Weißt du, was das ist?«
»Hast du es mit bloßen Händen berührt, Griv? Denk genau nach. In ein paar Stunden ist es zu spät.« Nicht erst in ein paar Stunden, wie Talon wusste. Angst brodelte in seiner Brust und machte Atmen zur Schwerstarbeit.
»Nein … ich roch die Magie daran. Ich war vorsichtig.«
Aber in den rauchgrauen Augen las Talon Unsicherheit. Besser, ganz sicher zu gehen. »Bleib da sitzen, komm dem Orb nicht zu nahe und rühr dich so wenig wie möglich.«
»Du machst mir gerade ein klein wenig Angst.«
»Gut! Ich meine es ernst.« Talon stürmte zu seinen Regalen, rumorte zwischen Tiegeln und Flaschen und zog eine dunkle Holzkiste hervor, die er zum Labortisch trug und dort aufklappte. Süßer Duft, der direkt aus einem Hurenhaus zu stammen schien, strömte ihm entgegen. Er nahm eine kleine Handvoll des Staubes, den er zur Sicherheit immer im Labor hatte, packte Grivs Unterarm und drehte die Hand des Kommandanten, bis er den Staub auf die Handfläche rieseln lassen und dort verreiben konnte.
»Das … ist rosa Glitzer, Talon.«
»Ich weiß. Du wirst mir noch dankbar sein. Gib mir die andere Hand.«
»Ich hoffe von Herzen, dass ich dir dankbar sein werde.«
Griv hielt ihm gehorsam auch die andere Hand hin, und Talon wiederholte die Prozedur. Feiner, rosafarbener Staub, der wie zermahlenes Sternenlicht funkelte, bedeckte jeden Finger, saß tief in jedem Gelenkfältchen und zeichnete die Linien nach, aus denen Wahrsager sich so gerne eine Zukunft eines Gutgläubigen zusammenfaselten. Und das Zeug blieb rosa. Talon atmete auf. Aber er musste Gewissheit erlangen. Griv besaß keine Magiebegabung, was Gründlichkeit so wichtig machte.
»Nimm den Kopf hoch.«
»Du wirst mir dieses rosa Zeug nicht ins Gesicht schmieren!« Das klang lebhafter und deutlich nach dem Griv, den Talon kannte.
»Nein, mach ich nicht.« Er schöpfte mehr von dem Staub aus der Kiste, und als Griv zögernd den Kopf hob, schmierte Talon ihm den feinen Puder links und rechts unter der Kieferlinie an die Halsseiten.
»Ich hasse dich. Wehe, das ist ein dummer Witz.«
»Ist es nicht. So tief bin ich noch nicht gesunken. Halt still.«
»Bekomme ich eine Erklärung?«
»Gleich.« Er starrte auf den rosa Glitzer, der sich auch jetzt nicht verfärbte. »Gut. Du hast wirklich keinen Kontakt zum Orb gehabt. Verdammt, ich freue mich sogar darüber. Du kannst aufstehen.«
Agil sprang Griv von der Werkbank, und Talon sagte sich, dass es angesichts dieses drahtigen Körpers, sehr anregender Erinnerungen und der Tatsache, dass Griv ihn mitten in der Nacht nicht nur aus dem Bett geschmissen, sondern auch sehr geängstigt hatte, nur verdient war: Er verpasste der reizvollen Kehrseite einen herzhaften Klaps und hinterließ auf schwarzem Wildleder einen eindeutigen Handabdruck.
»Du hast nicht eben …« Instinktiv wollte Griv nach seinem Hintern tasten und erinnerte sich offenbar gerade noch rechtzeitig, dass auch seine Hände voller Glitzer waren. »Das fasse ich nicht!«
»Steht dir. Du kannst dir da hinten am Spülstein die Hände waschen. Griv?«
Ernst blickten die grauen Augen zu ihm auf.
»Ich hatte eben gerade verdammte Angst um dich.«
»Erzählst du mir jetzt, was das Ding da ist?«
»Wasch dir die Hände und setz Tee auf. Ich will die Kiste verstauen und das rosa Zeug ebenfalls loswerden. Dann sage ich dir alles, was ich weiß. Und ich möchte erfahren, wo und unter welchen Umständen du das Ding gefunden hast.«
»Es ist gefährlich?«
»Ja und nein.« Er atmete tief durch, stellte sich die Möglichkeiten vor – und deren Folgen. »Ja, es ist tödlich. In absolut jeder Hinsicht.«
»Also tat ich gut daran, dich aus dem Bett zu werfen«, verkündete Griv triumphierend und ging zum Spülstein. Der rosa Handabdruck betonte die Bewegungen seiner Muskeln mehr als nur reizvoll.
Talon schluckte hart, blickte auf seine gepuderten Hände und fragte sich, ob er Griv jemals verzeihen konnte. Sie hatten die Welt besessen, und dann war sie ihnen zwischen den Fingern zerronnen.
Griv wusch sich gründlich die Hände. Talon sah dabei zu, und das Gefühl gewaltigen Verlusts durchströmte ihn ebenso wie dumpfe Wut, wie es nur so weit hatte kommen können. Ganz davon abgesehen, dass Griv im Bett atemberaubend, phantasievoll und schweißtreibend war, stellte er normalerweise einen wundervollen Gefährten dar. Dieser hellwache Geist, der lebhafte Humor unter einem Tarnmantel von hochmütiger Selbstsicherheit. Hinter Grivs Maske sehen zu dürfen und eine Funken sprühende Seele zu finden, war auf- und anregend gewesen.
Jetzt war da nur noch spröde Kälte, und ein zweiter Blick hinter die kühle Fassade wurde Talon nicht gestattet.
Über die Schulter hinweg meldete Griv sich wieder zu Wort: »Was ist das Ding da also?«
»Erzähl mir zuerst, wie es in deinen Besitz gelangt ist.«
»Du hast mir eben gerade erst versprochen, all dein kostbares Wissen vor mir auszubreiten. Hast du das bereits wieder vergessen?« Das Gesicht kalt und hart wie Marmor, und die grauen Augen schossen Blitze wie eine Gewitterwolke.
»Es ist nicht alleine mein Wissen, wie dir sehr wohl bekannt ist«, zahlte Talon mit gleicher, frostbestäubter Münze zurück. »Und bevor ich …«
»Du tust es schon wieder, Talon.« Griv feuerte das Handtuch auf die Arbeitsfläche neben dem Spülstein und wirbelte auf diese atemberaubend agile Art herum, die ihm so eigen war. Nicht hochgewachsen, und doch mit den Proportionen eines Kriegers und verblüffender Kraft in den Muskelpaketen gesegnet. Mit einem Gleichgewichtssinn, den Talon selbst jetzt, da er den Zorn in Grivs Augen brodeln sah, immer noch als Augenweide empfand. Außerdem sah Griv niemals besser aus, als wenn er zornig war.
»Was tue ich angeblich schon wieder?«
»Diese verdammte Geheimniskrämerei! Du sagst, das Ding ist gefährlich, aber du willst mir nichts Genaues erzählen. Wie immer! Verdammt, Talon, das ist der Grund, warum ich dich verlassen habe.«
»Du hast mich nicht verlassen.« Der dumpfe Zorn wallte auf wie eine rote, hässliche Gewitterwolke. »Ich habe dich achtkantig rausgeworfen, nachdem du vor den Rat getreten bist und …«
»Und das eingefordert habe, was dem Grafen, dem Rat und mir als Kommandanten zusteht! Weil es nicht angehen kann, dass ihr Magier über alles ein Mäntelchen breitet und weiterhin erwartet, dass die Stadt und ihre Bewohner alles hinnehmen, ausbaden und euren Dreck wegräumen!«
»Du bist mir in den Rücken gefallen, Griv!«
»Weißt du was? Vergiss einfach, dass ich hier war. Danke für das rosa Zeug. Ich nehme diese Kugel und bringe sie dem Rat. Dann dürfen die entscheiden, wie weiter mit den Magiern verfahren wird, die ganze Straßenzüge einebnen!«
Viel zu schnell, wie dieser Kerl sich bewegte. Und sie waren wirklich wieder genau an jenem Abend nach Grivs denkwürdigem Auftritt in der Ratskammer angelangt. Lautstärke und Heftigkeit waren identisch. Doch Talon ließ sich dieses Mal nicht vom gerechten Zorn lähmen, sondern sprang vorwärts, packte Griv an den Schultern, als dieser wirklich zur Arbeitsbank kam, um den Orb an sich zu nehmen. Als hätte der verdammte Kerl nicht ein einziges Wort der Warnung vernommen.
Talon spürte harte, von blanker Wut aufgeheizte Muskeln unter den Händen, sah, wie Griv eine Hand hob, um Talon abzuwehren. Aber er hatte ihn, griff fest zu und ließ Griv mit dem Rücken gegen ein Regal prallen, dass Flaschen und Tiegel vernehmlich aneinanderklirrten.
Blitze im Grau der Iriden, das Gesicht kalkweiß vor Zorn und trotzdem immer noch eine Maske. »Gib mich auf der Stelle frei, oder du wirst es bereuen, Talon.«
»Ich habe so einen Gegenstand noch nie gesehen«, sagte Talon hastig, der genau wusste, zu welcher Gewalt Griv fähig war. Mochte Talon ihn auch deutlich überragen und ihm etliche Pfund Masse voraushaben. Griv war ein Straßenkrieger und schien Moral nicht einmal dann zu erkennen, wenn sie mit Fähnchen in den Händen vor ihm auf und ab sprang. War das Angst, die Talon kalt in seine Eingeweide sickern spürte? Vor Griv? Ausgerechnet vor diesem Straßenköter, mit dem Talon zwei Jahre lang Leben, Heim und Bett geteilt hatte? Er zog seine Hände zurück, und wie durch ein Wunder blieb Griv ruhig stehen, statt einen Ellenbogen in Talons Magengrube – oder ein Knie in noch empfindlichere Regionen – zu rammen.
»Ich habe zahlreiche Bücher, in denen so ein Orb in der Theorie behandelt wird. Ungezählte Thesen, die sich streckenweise widersprechen. Theorie, Griv. Teilweise mehrere hundert Jahre alt. Wenn ich dir von einer berichte, hast du vermeintlich die Auskunft, die du willst. Aber sie kann falsch sein. Und dann wird möglicherweise alles schlimmer. Dann stirbst du vielleicht – oder deine heißgeliebte Stadt geht in Flammen auf, weil du mit der falschen Theorie zu einem Kampf antrittst, den du niemals gewinnen kannst. Ich brauche mehr von dir, damit ich dir das hoffentlich Richtige sage. Und ich schwöre, dass ich dir wirklich alles erzählen werde, was du wissen musst. Weil ich sonst zusammen mit dir in den Ruinen dieser Stadt verbrenne. Verstehst du?«
»Du hast mich schon wieder mit dem rosa Zeug vollgesaut.« Ein triumphierendes Lächeln in den Mundwinkeln, das die Augen nicht erreichte, in denen immer noch Eis schwamm.
»Kannst du für den Augenblick die Vergangenheit ruhen lassen? Du bist der Kommandant, ich einer der Erzmagier. Der Beste vielleicht. Auf jeden Fall der mit der größten Bibliothek. Dieses Ding auf meiner Werkbank macht mir Angst.«
Ein hoheitsvolles, störrisches Kopfnicken. Wo nahm dieser Kerl die Arroganz nur her? Straßenkind, zum Stehlen erzogen, und jetzt dienten fast einhundert Stadtwachen unter ihm, der Graf hörte auf seine Worte, der Rat vertraute ihm. Und Griv verwandelte sich von einem gewiss schmutzigen, halb verhungerten Heranwachsenden – mit aufgeschürften Knien? – in einen hohen Herrn, zu dem er niemals geboren worden war. Manchmal wollte ihn Talon für dieses Gehabe schütteln. Aber nicht jetzt. Denn die Angst, die er empfunden hatte, rührte ganz bestimmt nicht von Griv her, sondern von dem Orb.
»Wir wurden zu einem brennenden Haus gerufen«, begann Griv seine Schilderung. Ganz ruhig, immer noch mit dem Rücken am Regal. Der Inhalt einer Flasche hatte durch die Erschütterung zu leuchten begonnen, und mattes, silbriges Licht ließ diese vollkommenen Gesichtszüge noch härter erscheinen. »Die Nachbarn wollten beginnen, den Brand zu löschen, aber sie wurden aus dem Inneren des Gebäudes beschossen – Lichtblitze, Feuerbälle. Wer auch immer darin war, wollte unbedingt, dass das Haus abbrennt.«
»Wo?«, fragte Talon. Junge Magier, die das erste Mal mit Zauberei experimentierten, übernahmen sich mitunter, leisteten mehr, als sie vermochten, kannten ihre Grenzen noch nicht. Aber dass einer von ihnen irrsinnig dabei geworden wäre, hörte Talon nun das erste Mal.
»In der Nähe des Kelivparks, eine halbe Meile von dem Tempel zu den Katakombeneingängen entfernt. Es gab Tote, Talon. Einfache Bürger, die ein Feuer löschen wollten, bevor es auf ihre eigenen Häuser übergreift. Ich war mit einem kleinen Trupp dort. Einige sorgten draußen für Ablenkung, während wir reingingen.«
»Wir?«
»Mein Hauptmann, vier Männer mit Armbrüsten, ich.«
»Du bist in ein brennendes Haus zu einem irrsinnigen Magier gegangen?« Talon spürte Übelkeit aufsteigen.
»Ich weiß, dass Magie begrenzt ist, dass irgendwann das Feuerwerk ein Ende hat«, versetzte Griv spöttisch.
Götter, er irrte, und er wusste es nicht!
Talons Blick flackerte zum Orb, der mit feister Selbstzufriedenheit auf der Arbeitsfläche hockte. Schweiß bildete warmen Tau auf Talons Nacken und Rücken unter dem Morgenmantel, kitzelte die Härchen dort, während winzige Tropfen sich fanden, dann den Weg abwärts nahmen und in ihrem Gefolge eine eisige Gänsehaut hinterließen. Talon schluckte schmerzhaft, sah wieder in die rauchgrauen Iriden, nickte, um Griv zum Weitersprechen aufzufordern.
»Ich habe mich zu erkennen gegeben und den Magier aufgefordert, sein Feuer einzustellen. Ich hätte gerne noch mit dem Rat und einem Erzmagier gedroht, aber so weit kam ich nicht. Er machte mich zur Zielscheibe, und ich konnte gerade noch rechtzeitig hinter eine halb eingestürzte Mauer ausweichen. Meine Männer, Talon, sind auf mich eingeschworen. Da gab es keine Zeit zum Denken oder Abwarten auf einen Befehl – den ich ohnehin nicht geben konnte, weil ich Asche aushustete. Vier Armbrustbolzen haben den Magier gespickt und ins Jenseits befördert. Unter dem Kadaver fand ich die komische Kugel, die so sehr nach Magie stank, dass mir fast übel wurde und ich wusste, dass nun der richtige Zeitpunkt gekommen war, einen Erzmagier aus dem Bett zu werfen.«
»Eine gute Idee. Beiß mir nicht gleich wieder die Nase ab, Griv, aber: Frühstück? Und dann beantworte ich all deine Fragen. Auch jene, die du nicht stellst, weil du nicht weißt, dass du das fragen solltest.«
»Erst wäschst du dir die Hände. Ich warte in der Küche auf dich. Ich hoffe, die Schränke sind gut bestückt, immerhin habe ich eine sehr beschissene Nacht hinter mir.«
Er hätte den Weg auch im Halbschlaf gefunden. Zwei Jahre lang hatte Griv mit Talon in diesem Haus gewohnt. Talon, der Erzmagier, einziger Sohn und Alleinerbe eines erfolgreichen Händlers. So sah das Haus auch aus. Großzügig, bei Tag lichtdurchflutet, mit einem wunderschönen Innenhof, in dem Griv im Sommer gerne die Mahlzeiten eingenommen und den Abend verbracht hatte, während im Feuerkorb Flammen um duftendes Obstbaumholz züngelten. Der perfekte Ort, um Talon zu verführen.
Griv biss fest die Zähne zusammen. Perfekt und vorbei. Wenigstens schien es Talon prächtig zu ärgern, dass er gefälligst als Berater an Grivs Seite zu stehen hatte. Da lag dann der Nachteil, der Beste der Erzmagier zu sein, denn Grivs Spruch, dass er im Namen von Rat und auch Grafen diese Unterstützung einfordern konnte, entsprach der Wahrheit. Vielleicht sollte er das öfter tun, wenn es mal wieder einen Funken sprühenden Zwischenfall gegeben hatte. Ärger stand Talon ganz ausgezeichnet.
Doch die Sorge des Erzmagiers war Griv als echt erschienen. Er straffte die Schultern, bog in den Seitengang ein, der auf ganzer Länge den Innenhof flankierte und am Ende zur Küche führte. Natürlich hatte Talon Angst gehabt, dass sein stärkster Widersacher vor dem Rat mal eben an Magie verrecken könnte. Oder der törichte Kerl benutzte immer noch eher tiefere Körperregionen zum Denken.
Im Vorbeigehen warf Griv seinem matten Spiegelbild in einer der raumhohen Glastüren einen kritischen Blick zu. Nun, kein Wunder, dass Talon die Knie weich wurden und sein Kopf die Zusammenarbeit einstellte! Das war ja wohl das Mindeste.
Energisch stieß Griv die Tür zur Küche auf, ging ohne ungebührliche Hast zum Herd und legte Holz auf die über Nacht unter Torf bewahrte Glut, stocherte mit dem Schürhaken im Feuerfach herum, bis erste Flammen über die neue Nahrung leckten. Er setzte Wasser für Tee auf, holte Teller, Besteck und Becher aus einem Schrank und verfrachtete all das auf den weißgescheuerten Tisch.
Wie lange brauchte ein Erzmagier, um sich die Hände zu waschen? Griv knirschte mit den Zähnen und stellte Brotkorb und Holzplatten mit Käse und Schinken geräuschvoll auf den Tisch. Er goss Tee auf, holte das Butterfass aus der Steintruhe und fand sogar noch einen Topf Honig. Neben Marmelade aus Quitten. Griv hielt inne, die Finger um den kleinen Krug Honig geschlossen, und starrte das Glas mit dem klebrigen Obstaufstrich an. Talon hasste Fruchtaufstriche, und Quitten verabscheute er dermaßen, dass er sogar befohlen hatte, einen alten Baum im Obstgarten fällen zu lassen. Unter Grivs Beifall.
Der nächste Atemzug kostete Kraft, und im gleichen Augenblick vernahm Griv hinter sich das Klappen der Küchentür, holte den Honig aus dem Fach und schloss die Tür so leise wie möglich.
»Du hast noch rosa Glitzer am Hals«, sagte Talon.
»Und auf Hose und Panzerung, ich weiß. Hast du jetzt genug Zeit gehabt, dir eine Erklärung zurechtzulegen?«
»Ich habe den Orb angeschlossen, um seine Kapazität zu messen.«
Griv hob die Brauen. »Du hättest auch einfach Wasser einfüllen können, um festzustellen, wie viel hineinpasst.«
»Du glaubst, Magieanwendung erschöpft mich, und deswegen ist mein Feuer endlich.«
Griv nickte, durch den Themenwechsel nicht im Geringsten erschüttert, das kannte er ja von Talon. Er stellte den Honig auf den Tisch, wünschte dem Quittenmarmeladenliebhaber eine abscheuliche, entstellende Krankheit und nahm Platz.
»Das, was ich dir jetzt erzähle, hat noch nie ein Magier einem, der keine Magie wirken kann, anvertraut. Aus gutem Grund.« Talon setzte sich ebenfalls, schenkte mit aufreizender Gelassenheit Tee in die beiden Becher und füllte in seinen so viel Honig, dass der Löffel senkrecht im Gebräu stehen bleiben würde, sobald Talon nicht mehr darin rührte. Der warf Griv einen bittenden Blick zu, trank einen Schluck des Tees, räusperte sich und sagte dann leise: »Die Magie ruht nicht in uns, deswegen kann sie nicht erschöpfen. Sie kommt an Orten natürlicher Kraftquellen vor. Diese Stadt ist eine von ihnen. Wir wissen nicht genau, wo die Magie wirklich herkommt, aber wir holen sie aus der Luft, aus der Erde, aus dem Wasser. Sie ist schlichtweg da, und diejenigen, die sie wirken können, bedienen sich einfach.«
»Ich habe dich mitsamt deiner vulkanösen Kopfschmerzen mehrfach erlebt, Talon. Wenn das keine Erschöpfung war, was dann?«
»Wenn ich einen Feuerball werfe, dann heißt das, dass ich die frei verfügbare Magie als Brennstoff nutze. Dabei spaltet sie sich auf. In meinen Zauber – und in Abfall. In den unverdaulichen Rest, wenn du so willst. Und dieser Rest sammelt sich im Magier.«
Griv wollte gerade von einem Stück Brot abbeißen, nun ließ er es wieder sinken. Verstehen sammelte sich als kalter Klumpen Übelkeit in seinem Magen und verdarb ihm gründlich den Appetit. Mehr noch als der honigdicke Tee in Talons Becher oder die verdammte Quittenmarmelade im Schrank. Erstaunlich. »Dieser … Geschmack nach Essig, Blut und Eisenspänen …«
Talon nickte. »Das ist Magieabfall. Ein Grund mehr, warum ich nach kraftvoller Zauberei auf Abstand bedacht war, nicht geküsst, nicht angefasst werden wollte. Das hatte nichts mit dir zu tun.«
»Ich werde nicht Gefahr laufen, dieses Geschmackserlebnis zu wiederholen. Weiter, Talon.«
»Je höher der Abfallpegel steigt, desto deutlicher sind die Auswirkungen. Es ist Gift, schlicht und ergreifend. Du kennst meine Kopfschmerzen, die Übelkeit. Als hätte ich mich bis zur Besinnungslosigkeit betrunken, und danach leide ich an einem Kater. Junge Magier, die solche Grenzen und ihre Belastbarkeit noch nicht abschätzen können, sammeln mitunter mehr Abfall in sich, als sie verkraften können.«
Talon hob den Blick von seinem Teebecher, und in den frischgrünen Augen erkannte Griv verblüfft Schmerz.
»Erst Erbrechen und Schwäche. Dann Bewusstlosigkeit. Manche sterben, Griv. Aber es ist uns auch unmöglich, keine Magie zu wirken. Wir sind das Vehikel, durch das die Magie sich Bahn bricht. Ich habe gelernt, meine Zauberei wohlbemessen einzusetzen. Aber wenn der Stadt Gefahr droht, durch Seeräuber oder anderes, was soll ich tun? Drei Feuerkugeln werfen und dann Feierabend machen? Ich muss weiterzaubern, weil ich die Stadt verteidige. Und danach liege ich flach und habe diesen reizenden Geschmack mit jedem Atemzug im Mund.«
»Und wie wirst du den Abfall wieder los?«
»Erdung. Der Abfall sickert langsam aus mir hinaus. Ich experimentiere mit Verfahren, um das zu beschleunigen. Sehr befriedigend sind sie bislang nicht verlaufen, doch freue ich mich über jeden noch so kleinen Fortschritt. Auch dazu gibt es seitenweise Theorien in meinen Büchern. Die meisten sind Unsinn. Aber dieses Versickern stellt einen weiteren Unterschied zwischen Magiern und anderen Leuten wie dir dar: Aus uns entweicht der Abfall. Aus Nichtfähigen nicht.«
Griv runzelte die Stirn.
»Deswegen war ich so besorgt um dich. Hättest du eine Ladung Abfall aus dem Orb in dich aufgenommen, wärst du nach heutigem Stand der Forschungen verloren.«
»Es sind also schon Leute an Magieabfall verreckt?«
»Junge Magier zum Beispiel. Aber es gab auch immer wieder Fälle, in denen Nichtfähige vergiftet wurden. Ich habe Berichte über solche Unglücke, die Rettungsversuche und das Scheitern. Es laufen Experimente. Aber natürlich möchte niemand einen Unbegabten absichtlich vergiften, um dann womöglich bei der Rettung zu versagen. Und keiner von uns wünscht sich solche Unfälle, um die Forschungen voranzutreiben.«
»Ist dergleichen in meiner Stadt schon passiert? Wann? Wo und wie?«
»Du willst immer alles wissen, nicht wahr? Griv, diese Dinge werden in Magierkreisen besprochen, und wir haben unsere Gründe, warum wir es nicht mit Außenstehenden teilen.«
»Ein Magier hat heute versucht, mich umzubringen. Verzeih, dass ich im Augenblick nicht sehr feinfühlig und rücksichtsvoll bin. Mein Humor versiegt immer recht schlagartig, wenn es zivile Opfer gibt oder jemand mich als Zielscheibe missbraucht.«
Talon seufzte, starrte in seinen Tee und trank den Becher dann zügig leer, um ihn frisch zu füllen. Griv wartete mit wachsender Ungeduld. Talon hatte einst sehr an ihm gehangen, und mit diesem Pfund würde Griv notfalls Wucher treiben.
»Ein Beispiel. Vor einigen Jahrzehnten gab es einen magischen Zwischenfall in Teldens Hald, einer Stadt am Gebirge. Ein Erzmagier mit einem Halbdutzend Schüler, die sich alle gleichzeitig in die Luft jagten. Niemand weiß, was genau vorgefallen ist. Es war mitten in der Stadt, mehrere Häuser brannten, und Anwohner begannen mit Löscharbeiten. Dabei wurden sie mit Abfall verseucht. Die Körper der Magier waren so stark angefüllt, dass sie platzten. Wer da in der Nähe stand, wurde vergiftet. Diese Leute sind allesamt gestorben.«
»Ich will eine Ration des rosa Glitzers in der Kaserne haben, Talon, um meine Armbrustschützen und Hauptmann Meril auf Vergiftung zu überprüfen.