Geliebter Prinz - Billy Remie - E-Book

Geliebter Prinz E-Book

Billy Remie

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Beschreibung

Desiderius M'Shier, Bastard eines angesehenen Lords, ist Vagabund und Gesetzloser aus Überzeugung. Nach zahlreichen Enttäuschungen in jungen Jahren hat er nur zwei oberste Regeln: Niemanden vertrauen und niemals zwei Mal mit jemanden das Lager teilen. Doch all seine Überzeugungen werden auf die Probe gestellt, als er auf einen unbekannten Schönling trifft, der ihn in sein größtes Abenteuer reißt. Denn plötzlich steckt er in einem erbitterten Kampf um die Krone seiner geliebten Heimat und muss den Mann vor der Kirche beschützen, dem es gelungen war, sein gut verschlossenes Herz zu erreichen. Zwischen verbotener Liebe und Intrigen in der sterblichen Welt, muss er jedoch vor allem sich selbst vor den Göttern beweisen, doch er ahnt nicht im geringsten, dass er mehr als nur ein einfacher Bastard un Vagabund war ... *Gay-Fantasy-Romance

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Billy Remie

Geliebter Prinz

Der Letzte seines Namens

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort

Prolog

1

2

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5

6

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Epilog

Impressum neobooks

Vorwort

Für Helena,

weil du meinen Büchern gestattest, dass sie ihren "hausgemachten" Charme behalten dürfen. Und weil du mir immer wieder Mut machst, weder mich noch Nohva aufzugeben.

Wem, wenn nicht dir, könnte ich dieses Buch widmen.

Dies ist die 2. Auflage von Geliebter Prinz. Mit tatkräftiger Hilfe wurde dieses Buch noch einmal korrigiert, inhaltlich hat sich allerdings nichts verändert. Ich garantiere nicht, dass das Buch zu 100% fehlerfrei ist, bitte verzeiht es mir, wenn sich bei so vielen Buchstaben doch mal ein Tippfehler versteckt. Die Geschichte war eine der ersten Geschichten, die ich schrieb, und auch nach der Überarbeitung spürt man noch ihren Erstlingscharme. Ich hoffe aber, dass die Handlung euch trotzdem mitnehmen kann.

Prolog

Ein milder Windstoß durchfegte den Kontinent Nohva und ließ die Baumspitzen der Wälder tanzen. Es war kühl, doch der kurze Sturm brachte den Frühling mit sich. Milde Temperaturen breiteten sich in den Gebieten Nohvas aus.

Das Sandvolk im Westen bereitete sich auf die wilden Frühlingswinde und die damit verbundenen Sandstürme vor. In den Tiefen Wäldern freute sich das Waldvolk auf die kommenden Monate der beutereichen Jagd. Die Piraten an den Violetten Küsten machten ihre Schiffe bereit, um weit hinaus auf die raue See zu segeln. Die Gebirgsmenschen trieben ihr robustes Vieh aus den Ställen hinaus auf die fruchtigen Wiesen. Und im Zentrum Nohvas, in der Hauptstadt Dargard, lebten Menschen Seite an Seite mit ihren Herrschern, dem Luzianervolk, und bereiteten sich auf die Tage voller Feierlichkeiten zu Ehren des Frühlings vor.

Weit über den Köpfen der geschäftigen Völker Nohvas zog ein Kauz seine Kreise. Lautlos. Still. Unbemerkt. Nur ein weiteres Lebewesen, das seiner Wege ging.

Doch der Flug des Raubvogels war keineswegs willkürlich, denn der Kauz war der Vorbote einer Katastrophe, die sich unaufhaltsam anbahnte und das Schicksal aller in Nohva bestimmen würde.

1

Teil 1 Verlockung und Sünde

Wir wollen stets der nächsten Verlockung erliegen, selbst wenn diese für alle anderen eine Sünde ist. – Dann erst recht.

Desiderius leerte gelangweilt seinen Becher. Der warme Wein lief zähflüssig seine Speiseröhre hinab, landete in seinem leeren Magen und entfachte eine angenehme Hitze in seinem Inneren.

Er leckte sich die schmalen Lippen ab und schmeckte die Süße seines Getränks darauf.

Sehnsüchtig blickte er in den geleerten Becher. Er hatte bei Weitem nicht genug getrunken. Zwar war sein Durst längst gestillt, doch sein Geist war ihm für seine Verhältnisse noch immer nicht benebelt genug. Er musste diesen Zustand möglichst schnell beheben.

Tage und Wochen war er gereist. Ohne Vorräte. Hatte sich hier und dort etwas zu Essen oder ein paar Taler ergaunern müssen. Hatte stehlen oder bei Kartenspielen betrügen müssen, um über die Runden zu kommen. Und wozu? Damit er sich mit diesem schmierigen, dickwanstigen Adelssöhnchen treffen konnte, den er Bruder schimpfte.

Kopfschüttelnd stellte er den Becher auf den Tisch, dessen dunkle Holzplatte viele Kerben aufwies, weil schon etliche Besucher ihre Dolche hineingestoßen hatten. Geräuschvoll atmete er tief ein und aus, ehe er sich umsah.

Das Etablissement, in dem er und seine Weggefährten sich eingefunden hatten, war eines der edleren Gewerbe an den Violetten Küsten. Aber wer schon einmal einen Besuch an die Küsten unternommen hatte, wusste, dass selbst die Gebäude, die hier als nobel galten, nichts weiter waren als heruntergekommene Dreckslöcher.

Dieses Bordell unterschied sich von den anderen nur in soweit, dass der Betreiber die dreckigen Ecken, kaputten Möbel und die durchlöcherte Holzdecke mit goldenen und roten Stoffen verdeckte, die er ohne jeden Zweifel einst Piraten abgekauft hatte, die ihre gestohlene Ware – die sie mitbrachten, wenn sie nach einer langen Seereise an den Küsten anlegten – zu niedrigen Preisen verschacherten.

Ja, an den Violetten Küsten ging nicht nur das Wetter rau zu, sinnierte Desiderius, der seit seiner Kindheit nichts anderes kannte als Reisen und das harte Leben der mittellosen Burschen. Und das obwohl sein Vater ein angesehener Luzianerlord war. Aber Desiderius war eben nur ein Bastard, den man aus der Burg gejagt hatte, als er gerade so auf seinen eigenen Beinen stehen konnte.

Und zwar wörtlich.

Er hatte gerade das Krabbeln aufgegeben, als die Frau seines Vaters ihn in ein Kloster steckte.

Desiderius war dort nicht lange geblieben, die Freiheit sagte ihm einfach mehr zu. Er hatte gerade Mal zwölf Sommer aufzuweisen, als er die Mauern des Klosters bei Nacht und Nebel verlassen hatte und ausgerissen war. Für immer. Seither schlug er sich zusammen mit Räuberbanden und Diebesgilden durchs Leben. Nur das Piratenleben war nichts für ihn. Er liebte das raue Leben an der Küste, aber ein Luzianer hatte bei Weitem nichts auf einem wackeligen Schiff zu suchen. So robust und immun sein Körper im Gegensatz zu den kurzlebigen Menschenvölkern auch war, Seegang vertrug ein Luzianer einfach nicht.

Nun war er sechsundzwanzig Jahre alt, steuerte auf den Tag zu, an dem er von einer Dirne in einem Hurenhaus auf die Welt gebracht worden war, und konnte sich dem Einfluss seines Vaters dennoch nicht entziehen. Immer wieder spürte dieser ihn auf. Wo auch immer er war, irgendwann bekam Desiderius von einem Boten oder einem Botenvogel eine Nachricht von dem ehrenwerten Lord des Toten Waldes und wurde gezwungen, bei dem alljährlichen Besuchs des Königs anwesend zu sein.

Desiderius lehnte sich schnaufend mit einem Ellenbogen auf die Tischplatte und stützte den Kopf in die Hand. Er fragte sich insgeheim, warum er sich überhaupt die Mühe machte, dort aufzutauchen.

Seine Familie verachtete ihn und das, was er darstellte. Doch der König sah diese Geschichte anders, weshalb man Desiderius jedes Jahr aufs Neue rufen ließ. Denn der König war ein edelmütiger Mann. Er schätzte es nicht, wenn Bastarde anders behandelt wurden als eheliche Kinder. Vor allem schätzte er eine solche Verachtung unter seinem eigenen Volk nicht. Und weil Desiderius’ Vater sich nicht den Unmut des Königs zuziehen wollte, musste sich Desiderius immer dann in der Burg blicken lassen, wenn König Wexmell Airynn der Familie M’Shier einen Besuch abstattete.

Na toll.

Aber wenn Desiderius ehrlich war, mochte er diese Besuche. Nicht, weil er dann seine heuchlerische Familie wiedersah, nein, er musste zugeben, dass er den König mochte und diesen wohl nie zu Gesicht bekommen würde, wenn er nicht bei diesen seltenen Treffen auftauchen würde.

Also ging er, so wie jedes Jahr, auch dieses Mal wieder hin.

Aber kein Lord und kein König konnten ihn daran hindern, sich am Abend vor dem Besuch des Königs, an der Küste in einem Bordell ordentlich mit Wein zu benebeln.

Eines war sicher, am Morgen würde sein Bruder erhebliche Mühen haben, ihn fein raus zu putzen. Und das zauberte Desiderius wieder ein Lächeln auf seine scharfkantigen Gesichtszüge. Er mochte es, seine Familie vor dem König zu blamieren.

Allerdings würde sich Desiderius dieses Mal eine ordentliche Standpauke anhören müssen, wenn er sich danebenbenahm, denn bei diesem Treffen ging es um etwas, dass seiner Familie enorm wichtig war. Seine jüngere Halbschwester sollte mit dem ältesten Sohn des Königs verlobt werden. Dem Kronprinzen. Das würde seine Schwester zur zukünftigen Königin machen.

Doch das konnte noch eine ganze Weile dauern. Denn Luzianer sahen zwar wie Menschen aus, doch sie lebten um einiges länger. Jahrhunderte, um genau zu sein. Es war nicht ungewöhnlich, wenn ein Luzianer tausend Sommer alt wurde. Es war auch nicht ungewöhnlich, dass sie ab einem bestimmten Alter nicht mehr alterten. Jedenfalls nicht äußerlich. Viele Legenden rankten sich um das hohe Alter und die ewige Jugend des robusten Völkchens. Eine Legende besagte, sie haben vom Jungbrunnen getrunken. Eine andere ließ glauben, sie wären alle Halbgötter.

Desiderius vermutete, dass die Geschichte mit dem Wasser aus dem Jungbrunnen wohl am ehesten der Wahrheit entsprach. Denn es gab da etwas, das sie stark und gesund hielt. Eine Quelle der Jugend, doch um Wasser handelte es sich dabei ganz sicher nicht.

»Möchtest du noch einen Schluck, mein Hübscher?«, säuselte eine rauchige Frauenstimme.

Ein Fingernagel kratzte lockend über seinen Nacken.

Aufsehend legte Desiderius den Rücken gegen die Lehne seines Stuhls, die unter dem Gewicht seiner wendigen Muskelmasse ein protestierendes Geräusch von sich gab.

Sofort und gegen seinen Willen, schmiegten sich die weiblichen Rundungen einer blassen Dirne mit hellbraunen Haarlocken an seine Seite. Sie setzte sich ungebeten halb auf sein Bein und streckte ihm ihre beachtlichen Brüste entgegen, die aus ihrem halbgeöffneten Mieder quollen und viele Abdrücke von dreckigen Fingern aufwiesen.

Desiderius wäre froh gewesen, wenn sie sich die Mühe gemacht hätte, sich wenigstens zu waschen, bevor sie ihm ein eindeutiges Angebot unterbreitete. Aber so oder so war sie nicht das, was er wollte, weshalb er sie genervt von seinem Schoß drängte und sich wieder auf die Tischkante lehnte.

Er wollte, dass ihn die Dirnen in Ruhe ließen, wegen ihnen war er nicht hier.

Die füllige Frau stockte kurz verwundert, fasste sich aber schnell wieder und wollte zum nächsten möglichen Kunden weiterziehen.

»Ah, ah! Moment!«, hielt Desiderius sie auf.

Sie drehte sich erwartungsvoll zu ihm um. »Nun doch?«

Mit einer eindeutigen Geste tippte er auf den Rand des leeren Bechers und forderte: »Auffüllen!«

Sie verzog missgelaunt ihre schönen, vollen Lippen. Welch Schande, dass dieser füllige Mund einem Weib gehörte. Solch weiche Lippen ließen stets sein Blut heiß kochen.

Während sie roten Wein aus ihrem Krug in seinen geleerten Becher füllte, fragte sie geschäftig: »Könnt Ihr denn zahlen, werter Herr?«

Desiderius schnaubte verachtend. »Ich bin so viel ein werter Herr wie du eine anständige Dame bist.«

Sie bedachte ihn mit einem warnenden Blick, schien jedoch nicht beleidigt.

Er lächelte sie an und schlug ihr ein Geschäft vor: »Was hältst du davon, wenn du mir für den Rest des Abends meine Schulden erlässt, und ich für dich im Gegenzug ein Geschäft mit meinen Freunden vereinbare?« Mit einem Kopfnicken deutete er auf seinen Nebenmann, der bereits eine Dirne auf seinem Schoß sitzen hatte und ausgelassen feierte.

Die Dirne überlegte. »Er scheint schon bedient.«

»Nicht ihn.« Desiderius schüttelte den Kopf. »Ich sprach von den fünf Männern neben ihm.«

Ihre Augen schweiften den langen Tisch entlang und betrachteten die heruntergekommenen, rauen Mistkerle, die Desiderius eine Zeitlang Kameraden genannt hatte. Sie saßen auf den Bänken, tranken und grölten. Sie hatten an diesem Tag etwas zu feiern und waren in ausgesprochen ausgelassener Stimmung.

»Sie haben gerade große Beute gemacht, sie teilen sie sicher gerne mit dir, wenn du mit ihnen teilst, was du zum Verkauf anbietest«, schlug Desiderius vor und musterte auffällig ihren leicht bekleideten Körper.

Die Dirne überlegte noch, als Desiderius’ Nebenmann, der das Gespräch mitbekommen haben musste, sich rüber lehnte und einen Beutel Taler auf den Tisch schmiss. »Bring meinem Freund einfach ein Fass Wein, einen Becher und einen hübschen Burschen. Der Abend geht auf mich.«

Schmunzelnd sah Desiderius seinen Kameraden an. Er war ein Mensch im mittleren Alter, hatte einen dunklen und buschigen Bart, gelocktes, langes Haar und höchstens noch zwei Zähne in seinem Mund. Schwarze Zähne. Aber er war ein überaus treuer Freund.

»Ich danke dir, Tiff.«

Tiff klopfte Desiderius auf die Schulter. »Ohne dich hätten wir die Karawane nicht überfallen können. Es war nett, deinen Anteil uns zu überlassen, also kann ich wenigstens den Abend für dich bezahlen.«

Desiderius nahm die Geste mit einem dankbaren Nicken seines Hauptes an.

Er hatte keinen Anspruch auf einen Anteil gehabt, weil er nur den Plan ausgetüftelt, aber nicht mit ihnen gekämpft hatte. Es war ihm nicht richtig erschienen, einen Anteil der Beute anzunehmen, weil er nicht dafür Seite an Seite mit ihnen sein Leben riskiert hatte.

Nachdem Tiff sich wieder seiner blonden Dirne widmete, griff Desiderius nach dem Beutel mit den Silbertalern. Er nahm eine Handvoll heraus und legte sie in die Hand der Dirne, die darauf wartete, dass ihr jemand sagte, was sie nun zu tun hatte.

»Das Fass mit dem Wein genügt, Teuerste«, erklärte Desiderius. »Fürs Erste.«

Sie machte sich davon, um seinen Wunsch zu erfüllen.

Seufzend lehnte er sich wieder zurück und ließ seinen Blick durch die Räumlichkeiten schweifen. Kerzen und Fackeln flackerten. Das Licht der züngelnden Flammen wurde von den goldenen Stoffen, die überall herumlagen, zurückgeworfen. Die halbnackten Körper, die sich in dem Bordell um Desiderius herumtummelten, schimmerten durch das Leuchten der Stoffe wie bronzefarbene Statuen. Der Schweiß, der an blasser und dunkler Haut herablief, vermischte sich mit den Düften der Getränke und kitzelte Desiderius in der Nase.

Er betrachtete zum ersten Mal an diesem Abend, obwohl er schon einige Stunden hier zusammen mit seinen Kameraden saß, das zahlreiche Angebot. Es gab weibliche und – wie es an den Küsten üblich war – auch männliche Dirnen. Hübsche, junge Männer.

Die violetten Küsten waren der einzige Ort in ganz Nohva, in denen die Leidenschaft zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren toleriert wurde. Die Abtrünnigen, wie das gemeine Volk in Nohva die Küstenbewohner schimpfte, machten mit ihrer Toleranz ein großes Geschäft. Frauen und Männer aus ganz Nohva kamen her und zahlten einen überteuerten Preis, um einmal das Lager mit dem gleichen Geschlecht teilen zu dürfen. Außerhalb der Küste musste man mit derartigen Vorlieben vorsichtig sein, denn wenn diese Vorliebe öffentlich wurde, ließen die Menschen Köpfe rollen.

Desiderius wusste aber dank seiner vielen Reisen, das nicht jedes Volk derart versteift war. Es kam auf die Religion an. Die Menschen in den Ebenen und im Gebirge waren zu besessen von den Predigten ihrer Priester, um sich auf einen erweiterten Horizont einzulassen.

Doch bei dem Waldvolk, das weder richtig Mensch noch Luzianer zu sein schien, war es üblich, dass auch gleichgeschlechtliche Verbindungen getroffen wurden.

Desiderius hatte einst einige Monate, nachdem er bei einem verpatzten Überfall auf eine Vorratslieferung der Gebirgsarmee verletzt wurde, bei zwei Frauen aus dem Waldvolk gelebt. Er hatte nie eine tiefere Verbindung zweier Menschen erlebt.

Aber das einfache und friedliche Leben der Waldbewohner war nichts für ihn. Auch wenn er ihre Kultur liebte und sich dort hatte frei ausleben dürfen, ohne Angst zu haben, dass sein Kopf deshalb von seinen Schultern geschlagen wurde, musste Desiderius weiterziehen. Er brauchte Abenteuer, Reisen und die Gefahr im Nacken. Er konnte gar nicht mehr anders leben.

Obwohl die Familie seines Vaters die höchste Adelsfamilie der Luzianer war, und er von ihm abstammte, war Desiderius selbst nichts weiter als ein Vagabund. Und er liebte dieses Leben mit jeder Faser seines Körpers. Es störte ihn nur dann, wenn seine Familie ihn wie ein Stück Dreck behandelte, das entfernt werden musste. Desiderius würde seine Freiheit, und die damit verbundenen Abenteuer, niemals gegen ein Leben in einer Burg eintauschen.

Niemals!

Ein lautes Poltern ließ Desiderius aus seinen Gedanken hochfahren. Er fuhr herum und blickte zur Seite.

Einige Meter von ihm entfernt, an einem verstaubten Fenster, durch das nur schwach das Licht des großen Mondes hereinfiel, war ein Tisch unter dem Gewicht zweier Kerle zusammengebrochen, die sich ineinander verkeilt hatten und mit den Fäusten aufeinander einprügelten.

Desiderius war kein Mann, der sich in einen Streit einmischte, der ihn nicht betraft. So beobachtete er unbeteiligt, wie jeder andere auch, die Prügelei aus kühlen Augen.

Die Dirne kam zwischendurch und brachte ihm seinen Wein. Er schenkte sich ein, und die junge Frau ging wieder an die Arbeit, auch sie kümmerte die Schlägerei der zwei Männer nicht.

Bei näherer Betrachtung konnte sich Desiderius denken, um welche Art Streit es sich handelte. Einer der Männer war verzottelt und trug dreckige, zerrissene Kleidung, er hatte krumme Finger, aber eine harte Faust. Sein Gegenspieler, der ihm weit unterlegen war, trug feine Kleidung aus bunter Seide und wies ein gepflegtes Äußeres auf. Sein pausbäckiges Gesicht war gepudert und sein blondrotes Haar schimmerte gesund.

Das offensichtliche Problem in Bordellen an der Küste war die Vermischung der gesellschaftlichen Schichten. Hier traf Hafenarbeiter, Räuber und Pirat auf Kaufmann und Lord. Erst tranken sie zusammen, dann kam das Gespräch auf ein heikles Thema, zum Beispiel, auf erhöhte Steuern, und schon flogen die Fäuste.

Keiner scherte sich darum, wenn jemand verletzt wurde. An den Küsten gab es keine Soldaten, keine Stadtwachen oder andere Vertreter der königlichen Gesetze. Wer an die Küsten kam, musste damit rechnen, verprügelt, ausgeraubt oder erstochen zu werden. Manchmal sogar alles zusammen. Und keine Seele kümmerte es. Die Leichen wurden ins Meer geworfen, wenn sie zu stinken anfingen.

Aber der in feine Seide gekleidete Kerl hatte an diesem Tag das Glück auf seiner Seite, denn der Bordellbesitzer unterbrach die Prügelei, indem er den Überlegeneren eigenhändig hinauswarf.

Belustigt verfolgte Desiderius, wie der hünenhafte Betreiber des Bordells den zerzausten Mann im Nacken packte und zur Tür schleifte.

Als sein Blick gemeinsam mit den beiden Männern an der Tür angelangte, streiften seine grünen Augen über etwas, das sein Interesse mehr weckte als der hochkantige Rausschmiss, der mit einem gezielten Arschtritt ausgeführt wurde.

Unweit von der Tür entfernt entdeckte Desiderius einen jungen Mann, etwa in seinem Alter. Jedoch einen ganzen Kopf kleiner und unter der feinen Kleidung um ein Vielfaches schmächtiger.

Er war Desiderius’ genaues Gegenteil. Sein kurzes, gelocktes Haar war goldblond und schimmerte erhaben im Schein der Fackeln. Sein Gesicht wies sanfte, feminine Züge auf, seine Lippen waren voll, versprachen Wollust, und seine eisblauen Augen waren groß und von langen, dichten Wimpern umrandet. Er war schön. Ein Anblick, der einem Mann nicht alle Tage geboten wurde. Eigentlich noch nie – und vermutlich auch nie wieder. Ein zartes Geschöpf, das von Unschuld umgeben wurde, verloren in der bunten Welt des Bordells.

Schüchtern und unsicher ließ der junge Mann seinen wachen Blick durch den Raum gleiten, nachdem das Schauspiel an der Tür ein Ende gefunden hatte, als der Bordellbetreiber sie laut zuknallte.

Ihre Blicke streiften sich flüchtig, und der Blonde stockte für einen Augenblick. Wirkte überrascht, fasziniert. Doch er hielt Desiderius’ fixierenden Blick nicht stand und senkte eilig seine wunderschönen, eisblauen Augen.

Nun schlug Desiderius’ Lust zu etwas um, das nichts mit dem Durst auf Wein zu tun hatte. Ein tief verwurzelter Instinkt erwachte in seinem Inneren und ließ ihn aufstehen. Er musste, wollte jagen. Sehnte sich nach Beute, die er verschlingen, aber nicht töten wollte.

Er bahnte sich mit raubtierähnlichem, geschmeidigem Gang einen Weg durch aneinander gedrückte Körper und zusammengestellte Tische. Er wies mehrfach einige Dirnen ab, Frauen und Männer, bis er sich schließlich hinter seiner Beute an den Tresen der Bar lehnen konnte.

Der Blonde, der nur zwei Schritte entfernt mit verschränkten Armen hilflos dastand und eine verschlossene Zimmertür im Auge behielt, hatte ihn noch nicht bemerkt.

Desiderius nutzte die Gelegenheit und betrachtete die Rückseite des Mannes. Er hatte breitere Schultern, als es von weitem den Eindruck gemacht hatte, dennoch wirkte er schmal und dünn. Abgemagert, etwas kränklich. Doch sein Hintern war wohlgeformt. Klein, rund und prall. Die knackigen Backen zeichneten sich unter der eng sitzenden Hose ab. Lockten. Luden dazu ein, berührt, geknetet zu werden.

Lässig lehnte Desiderius auf dem Tresen, seinen Körper hatte er dem Raum zugewandt, im Rücken spürte er die Kante der hölzernen Bar.

Laut fragte er: »Wie viel?«

Es dauerte einen Moment, bis der Blonde sich verwirrt über die Schulter blickte und erkannte, dass er angesprochen wurde. Halb drehte er Desiderius das fragende Gesicht zu. »Meint Ihr mich?«

Desiderius breitete verständnislos die Arme aus. »Wen sonst?«

Der Blonde starrte ihn verwundert an. Musterte ihn skeptisch. Dann stieß er kopfschüttelnd den Atem aus und drehte sich wieder mit dem Gesicht zum Raum um. Doch er fragte: »Meint Ihr, ich wäre käufliche Ware?«

Desiderius konnte das Schmunzeln in seiner Stimme hören und grinste triumphierend, wohlweißlich, dass der andere es nicht sehen konnte.

So, so, da mochte noch jemand Spielchen, erkannte Desiderius amüsiert.

»Sehe ich aus wie billige Ware?«, fragte der Blonde und warf ein Lächeln über die Schulter, nachdem Desiderius nichts erwidert hatte.

»Nein.« Desiderius schüttelte den Kopf. »Edle Ware, ohne jeden Zweifel. Deshalb verhandeln wir Euren Preis.«

Der Blonde schnaubte, war aber noch immer belustigt, als er wieder sein überaus ansehnliches Gesicht abwandte.

Desiderius stieß sich von der Bar ab und umrundete seine Beute einmal mit einer eindeutigen Musterung, die der Blonde mit einem Schmunzeln über sich ergehen ließ. Er zuckte nicht zurück, machte keine Anstalten, fliehen zu wollen. Desiderius war erfreut. Das bedeutete, dass seine Jagd heute erfolgreich sein würde.

Dicht vor seiner Beute blieb Desiderius stehen. Doch bevor er etwas sagen konnte, erklärte der Blonde: »Ich bin kein käufliches Stück Fleisch, werter Herr.«

»Was seid Ihr dann?«, grinste Desiderius erheitert. »Ein verirrtes Vöglein?«

»Ein Gast«, antwortete der Blonde und streckte stolz sein schmales Kinn empor.

Schmal aber lang und spitz zulaufend. Desiderius starrte darauf, erkannte die winzigen Bartstoppeln, die im Schein der Fackeln blond schimmerten. Er wollte sich vorbeugen und daran knabbern.

Stattdessen begnügte er sich damit, seine Hand zu heben und mit zwei Fingerspitzen über das schmale Kinn des Blonden zu fahren. Die Stoppeln fühlten sich weich und einladend an. Desiderius hätte sie gern an anderen Körperregionen gespürt. Doch vorerst freute er sich einfach nur darüber, dass seine Berührung begrüßt wurde.

Schmunzelnd ließ er die Hand wieder fallen und erklärte: »Jedes Fleisch ist käuflich.«

Der Blonde verengte argwöhnisch seine schönen blauen Augen.

»Also«, fragte Desiderius erneut, »wie viel?«

Mit einem amüsierten Lächeln, das seine sinnlichen Lippen umspielte, legte der Blonde sein Haupt schief und betrachtete Desiderius’ Gesicht. Eisblaue Augen flogen immer und immer wieder über seine Gesichtszüge, bis der Blonde neckisch fragte: »Müsst Ihr immer dafür zahlen?«

Desiderius zuckte gleichgültig mit den Schultern.

Der Blonde runzelte neugierig seine Stirn. »Wirklich immer?«

»Hier schon«, antwortete Desiderius und schnaubte belustigt. »Falls es Euch nicht aufgefallen ist: das hier ist ein Bordell.«

Der Blonde nickte arrogant. »Ist mir aufgefallen.«

»Also, einer von uns muss zahlen«, scherzte Desiderius. »Und da noch nie jemand für mich bezahlt hat, weil ich nicht gerade der Hübscheste bin, werde wohl ich einige Taler lockermachen müssen. Nennt mir einfach Euren Preis und wir beenden dieses Gespräch, um uns schöneren Dingen zuzuwenden.«

Ihm war durchaus von Anfang an bewusst, dass dieser junge Mann keine fleischliche Ware sein konnte, aber ihm gefiel es, ihn damit zu necken.

Eigentlich mochte Desiderius seine Männer etwas kräftiger. Muskulöser. Mit etwas mehr Stärke in den Knochen. Aber dieser Blonde weckte etwas in ihm, das er seit Jahren nicht mehr gespürt hatte. Ein Gefühl, das kein Mann und keine Frau benennen konnte, aber jeder, der schon einmal etwas begehrt hatte, kannte. Es war nicht nur die Lust, die Desiderius dazu antrieb, den Blonden zu umgarnen, es war pure und alles erstickende Gier, die der Anblick des anderen Mannes in ihm auslöste. Ein Feuer war in ihm aufgelodert, das er vor langer Zeit eigentlich für immer gelöscht hatte.

An jenem Abend ließ er sich hinreißen und rannte in die auflodernden Flammen der Begierde. Er wollte diesen Blonden für sich beanspruchen, ihn besitzen, ihn als sein Eigen markieren. Und er würde es tun, für diese eine Nacht. Er konnte dieser besitzergreifenden Gier nachgehen, weil er den anderen ohnehin nie wiedersehen würde.

Lange forschte der Blonde in Desiderius’ grünen Augen. Suchte nach einem Anzeichen auf Belustigung. Hoffte wohl darauf, dass alles nur ein Scherz war.

Schließlich sagte er nachdenklich: »Ich finde Euch durchaus hübsch.«

Überrascht fielen Desiderius’ Mundwinkel herab. Natürlich hatte er schon oft Komplimente bekommen, von reichlich vielen Männern, die er für ihre Gesellschaft bezahlt hatte und die es des Geldes wegen gesagt hatten.

Unbehaglich stieß er den Atem aus und musste kurz den Blick abwenden, bis er sich wieder gefasst hatte.

Der Blonde genoss, dass er ihn aus der Fassung gebracht hatte und schmunzelte wieder. Er nahm die Arme runter und verschränkte seine Hände hinter dem Rücken. So wirkte seine Körperhaltung um ein Vielfaches einladender als zuvor.

Desiderius sah ihn wieder an und legte interessiert nun seinerseits den Kopf schief. »Ein Gast also, hm? Wonach sucht Ihr denn? Frauen oder Männer?«

Der Blonde schüttelte den Kopf. »Nichts davon. Ich bin lediglich hier, weil mein Bruder sich heute Nacht austoben möchte. Er ist bald ein versprochener Mann und möchte seine Freiheit, solange er kann, genießen.«

»Na so toll kann die Versprochene nicht sein, wenn sie von der Küste kommt«, lachte Desiderius amüsiert.

Die Frauen von der Küste waren keine zarten Blümchen und im Allgemeinen eher mit robusten Rindern zu vergleichen.

Erneut verneinte der Blonde. »Wir sind nur auf der Durchreise.«

»Ist das so?« Desiderius` Leichtigkeit kehrte zurück. Er lächelte.

»Und Ihr?«, fragte der Blonde interessiert. »Wieso seid Ihr an der Küste?«

»Vielleicht wohne ich hier«, antwortete Desiderius.

»Tut Ihr nicht.«

Erneut fiel seine Miene in sich zusammen. Die Art und Weise wie der Blonde ihn wissend anlächelte, behagte ihm für einen Moment nicht.

Kannten sie sich?

Nein, unmöglich. Desiderius mied den Adel.

Mit einem aufgesetzten Grinsen hakte er nach: »Woher wollt Ihr das wissen?«

Der Blonde zuckte mit seinen Schultern. »Vielleicht habe ich geraten.«

Desiderius zog eine seiner dunklen Augenbrauen skeptisch in Richtung Haaransatz.

»Ihr seid zu gepflegt, um von hier zu stammen«, erklärte der Blonde schließlich.

Desiderius’ Blick schweifte ab und er sah in den Flur, der neben der Bar zu einigen Hinterzimmern führte. Mit einer Dirne in eines dieser Zimmer zu gehen, konnten sich nur die wohlhabenden Leute leisten. Aber Desiderius kam eine Idee.

Er verhakte seinen Blick mit dem des Blonden und schlenderte elegant auf ihn zu. Mit seinem Raubtiergang drängte er ihn langsam immer weiter zurück, bis der Blonde mit dem Rücken gegen die Bar stieß und ihm nicht mehr entkommen konnte.

Desiderius trat so nah, dass sich die ausgebeulten Schnürungen ihrer Hosen leicht berührten.

Erwartungsvoll und mit leuchtenden Augen starrte der Blonde zu Desiderius auf. Er wollte es so sehr wie Desiderius selbst, das konnte man ihm mehr als deutlich ansehen.

»Euer Bruder ist die ganze Nacht beschäftigt?«, fragte Desiderius.

»Ich weiß es nicht«, erwiderte der Blonde mit zitternder Stimme. Er hatte keine Angst, er war nur auf positive Weise nervös.

»Hm«, machte Desiderius nachdenklich.

Eine Weile betrachteten sie sich abschätzig. Es war nicht zu übersehen, dass der Blonde Probleme hatte, seinen schnellen Atem zu kontrollieren.

Neugierig wollte Desiderius von ihm wissen: »Soll ich wieder Abstand nehmen?«

Der Blonde schluckte sichtbar, schüttelte aber den Kopf.

Desiderius strich mit den Fingerspitzen über die kühle, weiße Seide, die der Blonde am Körper trug und unter der sich erstaunlich feste Brustmuskeln abzeichneten.

Der Blonde schloss erschaudernd für einen kurzen Moment seine Augen.

Schmunzelnd fragte Desiderius: »Wie viele Silbertaler habt Ihr bei Euch?«

Der Blonde schmunzelte zurück. »Wollt Ihr mich ausrauben?«

»Vielleicht.« Desiderius zwinkerte. »Aber erst nachdem ich mich mit Euch vergnügt habe.«

»Werde auch ich Vergnügen dabei haben?«

»Dafür garantiere ich«, antwortete Desiderius anmaßend.

Der Blonde biss sich auf die Lippen, um ein breites Grinsen zu verschleiern. Dann antwortete er auf die zuvor gestellte Frage: »Einhundert Silbertaler.«

»Nur?«, fragte Desiderius überrascht.

»Denkt Ihr, ich wage mich mit einem halben Vermögen in eine solche Stadt?«

»Allein Eure Kleidung wäre mehr wert.« Desiderius musterte ihn abschätzig. »Vielleicht stehle ich sie Euch, wenn Ihr schlaft.«

Das Herz des Blonden schlug höher, das konnte Desiderius’ Luzianergehör deutlich wahrnehmen. Er roch die Begierde, die in dem Blonden entfacht wurde. Ein süßlicher und gleichzeitig fruchtiger Duft. Die Gefahr, die Desiderius ausstrahlte, lockte den anderen Mann.

Der Blonde warf ein: »Das setzt voraus, das sie nicht beschädigt wird, wenn Ihr sie mir zuvor vom Leib reißt.«

Desiderius rollte lustvoll mit den Augen und unterdrückte bei dieser Vorstellung ein leises Aufstöhnen. Die Bilder, die sich ihm aufdrängten, waren Fantasien, die er sofort in die Tat umsetzen wollte. Das letzte Mal, als er sich derartige Befriedigung beschafft hatte, war leider schon viel zu lange her.

Er hob den Blick und machte mit einem lauten Pfiff den Bordellbesitzer auf sich aufmerksam. Sie beide kannten sich, da Desiderius hier seit vielen Jahren Stammgast war. Der Besitzer blieb stets derselbe, nur das Angebot der Ware wechselte schnell.

Der Hüne nickte ihm zu. »Was brauchst du?«

»Wie viel für eines deiner Zimmer, ohne Dirne?«, fragte Desiderius.

Überrascht starrte der Blonde ihn an. Er hatte offenbar nicht damit gerechnet, dass Desiderius es nicht nur bei einem anregenden Wortwechsel belassen würde.

»Fünfhundert Silbertaler.«

»Komm schon, zieh mich nicht übers Ohr, Cliff!« Desiderius sah den Bordellbetreiber ärgerlich ins Gesicht. »Selbst mit einer deiner Dirnen wäre es billiger.«

»Vierhundert.«

»Fünfzig, allerhöchstens«, verhandelte Desiderius.

Cliff schüttelte den Kopf. »Dreihundertfünfzig.«

»Sechzig.«

Lachend erinnerte Cliff: »Ich lasse dich hier mehr als oft umsonst saufen, Derius! Und du schuldest mir noch sechshundert Silbertaler!«

»Fünfundsechzig für dein schlechtestes Zimmer«, schlug Desiderius vor. »Komm schon, ich brauche nur ein Bett für die Nacht.«

»Aber ihr seid zu zweit!«

Desiderius schüttelte entschieden den Kopf. »Meine Beute gehört nicht zu deiner Ware, du hast kein Recht, sie mir zu berechnen. Wir sind nur zwei Gäste, die ein Zimmer brauchen.«

Weil er ihn als Beute bezeichnet hatte, zog der Blonde ein wenig eingeschnappt seine schmalen Augenbrauen in die Höhe und starrte Desiderius mit offenem Mund an.

»Die Straße runter ist ein Gasthaus, Derius.«

»Cliff, komm schon«, flehte Desiderius inständig. Die Lust staute sich in ihm und musste befriedigt werden. Alles woran er dachte, war das eigene harte Fleisch zwischen seinen Beinen, das sich danach sehnte, von dem fremden Blonden berührt zu werden. »Fünfundsechzig Taler, nur für ein Zimmer.«

Cliff überlegte kurz, seufzte aber schließlich einlenkend. »Von mir aus. Aber kein Wein, keine Trauben oder andere Speisen. Nur ein Zimmer.«

Desiderius grinste. »Abgemacht.«

Cliff deutete in den Flur und sagte: »Letztes Zimmer, das Fenster führt zu den Gassen raus.«

Desiderius blickte den Blonden an und forderte ihn auf: »Bezahlt den Mann.«

Der Blonde sah ihn verärgert an.

Einige Augenblicke verstrichen, ehe er sich offenbar entschied, dass dieses Abenteuer die Taler wert sein würde. Er holte kopfschüttelnd einen Lederbeutel hervor und bezahlte den Bordellbesitzer.

Vorfreude breitete sich in Desiderius` Magen aus wie warmer Honigwein. Er musterte noch einmal mit vor Lust schwerem Blick die schmale Gestalt seiner Beute. Dann hob er eine Hand und strich mit der Spitze seines Fingers die Knopfreihe des Seidenhemds entlang.

Mit einem lüsternen Schmunzeln hakte er den Finger unter den Stoff und zog den willigen Blonden mit in den Flur.

***

Bunte, halbdurchsichtige Vorhänge verhinderten einen genauen Blick auf das Treiben in den vielen Zimmern, an denen sie vorbeigingen.

»Ihr seid sehr von Euch selbst überzeugt«, sagte der Blonde.

Desiderius drehte sich zu ihm um und verschlang ihn mit den Augen. Er war so schön, dass er nicht von dieser Welt stammen konnte. Und so ... zurückhaltend. Für gewöhnlich traf Desiderius auf Männer, die ihm sofort die Schnürung der Hose aufmachen wollten. Der Blonde hingegen schien nervös zu sein. Je näher sie dem Zimmer kamen, je unsicherer wurde er.

Der Blonde blieb vor einem Zimmer stehen und spähte vorsichtig durch den Vorhang, der in einem Windstoß wehte.

»Gefällt Euch, was Ihr seht?«, fragte Desiderius keck.

Der Blonde schien ihn gar nicht mehr zu hören. Blinzelnd, aber ansonsten reglos, beobachtete er das Treiben.

Desiderius trat näher, stellte sich hinter ihn und blickte über seine Schulter.

Das Zimmer, das sich ihm offenbarte, war ein winziger Raum, der mit vielen purpurfarbenen Stoffen ausgeschmückt war. Mehr als ein großes Bett passte nicht in dieses Zimmer, aber mehr benötigten die Gäste darin auch nicht.

Gespannt beobachtete der Blonde, wie eine hübsche, blonde Dirne mit spitzen, kleinen Brüsten, einen rundlichen Mann verwöhnte. Sie penetrierte ihn mit einer umgeschnallten Vorrichtung, die einem männlichen Genital zum Verwechseln ähnlich sah. Solche Hilfsmittel wurden in den Bordellen schon seit Jahrhunderten verwendet. Niemand kannte ihren anfänglichen Ursprung, aber jeder kannte ihren Zweck.

Allerdings waren sie dem Blonden wohl völlig fremd.

»Euer erster Besuch in einem Bordell?«, fragte Desiderius neckend.

»Ich kam in den letzten Jahren nicht sehr oft raus«, erklärte der Blonde daraufhin. »Ich war eine Zeitlang sehr kränklich und durfte nicht reisen.«

»Jetzt seid Ihr ja wieder gesund«, stellte Desiderius erfreut fest. Vorwitzig legte er seinen Arm um den Blonden. Seine Hand umfasste den hervorstechenden Hüftknochen. Die Wölbung seiner Hose drängte sich mit einer auffordernden Geste an die Rückseite seiner Eroberung.

Der Atem des Blonden wurde schneller. Er erzitterte, als Desiderius sich vorbeugte und mit den Lippen zart an seinem Ohr zupfte.

»Nennt mir Euren Namen«, verlangte Desiderius heiser.

Der Blonde lehnte einladend seinen Kopf schief und präsentierte seinen schlanken Hals, in den Desiderius gerne hineingebissen hätte. Ihm lief der Speichel schon im Mund zusammen.

»Den kennt Ihr nicht?«, fragte der Blonde leise.

Hypnotisiert starrte Desiderius auf die Ader, die pulsierend unter der dünnen Haut lag. Er konnte nur daran denken, welche Köstlichkeit in ihr floss.

Mit belegter Stimme wollte er wissen: »Sollte ich Ihn kennen?«

Bevor er eine Antwort erhielt, wanderte seine Hand zielstrebig nach vorne und legte sich über die verdächtige Beule in der Hose des Blonden, gleichzeitig senkte er den Kopf und legte die Lippen an den schlanken Hals. Er küsste die zarte Haut vorsichtig, leckte sanft darüber. Kostete. Schmeckte. Verlor sich fast in seinem Rausch.

Einatmen! Beherrschung suchen! Sie finden. Beruhigen. Langsam, sagte er zu sich. Nichts übereilen.

Aufseufzend lehnte sich der Blonde gegen Desiderius, seine Hand wanderte nach hinten. Suchte. Fand. Streichelte zögerlich über die Schnürung.

»Vielleicht«, hauchte der Blonde atemlos vor Begierde. »Vielleicht auch nicht.«

»Ich will Euren Namen wissen«, verlangte Desiderius mit rauchiger Stimme, während er seine erregte Männlichkeit gegen die Innenfläche der Hand drückte, die ihn streichelte.

Der Blonde rieb seine Rückseite an Desiderius, dann hauchte er neckend: »Es verliert an Reiz, wenn wir uns gegenseitig vorstellen.«

Desiderius musste grinsen. »Dann mögt ihr den Kitzel der Gefahr?«

»Erstaunlicherweise, ja«, seufzte der Blonde und drängte sich gegen Desiderius’ Hand, die ihn zärtlich rieb. »Es ist doch viel aufregender, wenn wir, zwei völlig Fremde, zusammen leidenschaftlich das Lager teilen, ohne Namen auszutauschen, findet Ihr nicht?«

»Aber wessen Namen soll ich Euch dann zuflüstern, während ich Euch nehme?«

Der Blonde drehte sich zu ihm um.

Verwundert fragte er: »Ihr wollt mich nehmen?«

Desiderius begann, ihn rückwärts immer weiter zum Ende des Flurs zu drängen, wo sie endlich allein sein würden.

Mit lüsternem Blick griff er nach dem Hemd des Blonden und begann mit geschickten Fingern die ersten fünf Knöpfe zu öffnen. Er beugte sich zu ihm und strich mit seiner Zungenspitze neckisch über die sinnlichen Lippen seines Spielgefährten.

Eines war sicher, dass hier würde eine besonders befriedigende Nacht werden.

Als er den Kopf wieder hob, ohne den Kuss, den der Blonde erwartet hatte, gegeben zu haben, schmunzelte er: »Glaubtet Ihr, Ihr hättet mich haben können?«

»Nein«, gestand er.

Es überraschte Desiderius, als der Blonde plötzlich seine Hand in seinen Nacken legte und gestand: »Ehrlich gesagt, habe ich genau das erhofft, was Ihr mir geben wollt.« Er streckte sich, zog gleichzeitig Desiderius zu sich und drückte ihm die vollen Lippen auf den Mund.

Es war ein züchtiger Kuss, mit geschlossenen Mündern und harten Lippen.

Desiderius verkniff sich ein amüsiertes Grinsen. Offenbar war seine Beute diesbezüglich noch unerfahren. Aber das machte nichts, er war gewillt, zu lehren.

Er umschlang den Blonden und presste ihn an seinen Körper. Die Füße des Blonden hoben dabei leicht vom staubigen Fußboden ab, was es Desiderius erleichterte, ihn in den Raum zu verfrachten, der in den nächsten Stunden ihrer sein würde.

Während er ihn trug, legte Desiderius den Kopf schief und öffnete seine Lippen. Vorsichtig tastete er nach der Mundöffnung des anderen. Leckte. Neckte. Stupste, bis für ihn endlich diese sündhaft süßen Lippen geöffnet wurden.

Er stieß vorsichtig die Zunge hinein und ertastete etwas, was er nicht erwartet hätte.

Sofort zog er den Kopf zurück und blickte überrascht in das frech grinsende Gesicht seines Gegenübers.

Der Blonde wackelte mit den Augenbrauen.

»Ihr seid ein Luzianer!« Desiderius musste auflachen. »Warum sagtet Ihr das nicht?«

»Wozu?«, fragte der Blonde. Er drückte mit den Händen gegen Desiderius’ Brust, bis dieser ihn losließ und er wieder auf dem Boden stand. Er nahm etwas Abstand und begann, Desiderius’ Leinenhemd aufzuschnüren.

Neugierig wollte der Blonde wissen: »Nehmt Ihr nur Menschen?«

»Nein«, warf Desiderius schnell ein. »Ich hatte nur noch nicht oft das Vergnügen mit einem Mann aus unserem Volk.«

»Fleisch ist Fleisch«, zuckte der Blonde mit den Schultern.

»Mhm.« Desiderius musterte ihn begierig. Jetzt wollte er ihn nur umso mehr. Es gab leider nicht viele Luzianer, und die meisten kannten sich untereinander, weil die Familienstammbäume eng miteinander verflochten waren. Der Grund dafür waren zahlreiche Inzesthochzeiten in den vergangenen Jahrhunderten. Brüder und Schwestern mussten heiraten, um das Blut rein zu halten. Ihr Volk war in vielen Dingen anders als Menschenvölker, vor allem körperlich. Es war erfrischend, einem Luzianer zu begegnen, den man nicht kannte und mit dem man nicht irgendwie verwandt war. Diese Nacht wurde immer prickelnder, stellte Desiderius fest.

Ergriffen von unbändiger Begierde, packte er den Blonden und riss ihm ungestüm die feine Kleidung vom Leib.

»Ihr werdet damit also kein Geschäft mehr machen«, lachte der Blonde, als sich Desiderius an seinem Hals festsaugte und gierig daran leckte.

Keuchend gab der Blonde zu bedenken: »Kein Händler hat Interesse an abgerissenen Knöpfen.«

Vergessen war der Scherz über den Diebstahl der Kleidung, Desiderius hatte nur noch ein Ziel, und zwar den anderen Luzianer zu entkleiden.

Er bekam nur am Rande mit, dass ihm selbst das Leinenhemd von den Schultern gestreift wurde.

Stolpernd wankten sie aneinander gepresst zum Bett, das mit weißen und braunen Laken bezogen war. Eindeutig eines der schlechten Zimmer, aber es fiel ihnen nicht auf.

Rückwärts drängte Desiderius den Blonden weiter zum Bett, bis er Widerstand spürte, da sein Spielgefährte mit den Waden an das niedrige Bettgestellt stieß.

Desiderius hob den Kopf. Mit einem Schmatzen lösten sich seine Lippen vom Hals des anderen, an dessen Sehnen nun Speichel entlang floss.

Der Blonde nestelte gerade an Desiderius’ Hose herum, wollte sie ihm herunterziehen. Doch da schubste Desiderius ihn bereits rücklings auf das Bett.

Hüpfend kam der schmale Körper zum Liegen.

Der Oberkörper des Blonden war frei, nur eine leichte Leinenhose, die er unter seiner feinen Kleidung getragen hatte, bedeckte noch seinen Körper. Und Desiderius musste erkennen, dass der Blonde zwar schmal, aber gewiss nicht schmächtig war. Sein Körperbau ließ nicht darauf schließen, aber unbekleidet konnte man nun deutlich die Muskeln unter der blassen Haut erkennen. Schlanke, wendige Muskeln. Ein Körper, geschaffen für Meuchelmorde. Aber die zarten Finger, die Desiderius auf seinem Körper gespürt hatte, wiesen darauf hin, dass der Blonde ein wohlhabender junger Mann war, der noch kein einziges Mal in seinem Leben hart gearbeitet, geschweige denn, eine Waffe in der Hand gehalten hatte. Und Assassinen hatten dank vieler Gifte, mit denen sie arbeiteten, oft verätzte Hände.

Nein, dieser Luzianer war eindeutig ein kleiner, verwöhnter Wicht. Aber einer, mit dem sich Desiderius gerne die Zeit vertrieb. Jedenfalls für die Dauer einer Nacht.

Desiderius drängte seine Knie zwischen die Schenkel des Blonden und ließ sich nach vorn fallen. Er stützte die Hände neben dem liegenden Körper ab und beugte sich vor. Mit nassen Lippen und zärtlichen Küssen wanderte er den blassen Hals hinauf, zu dem stoppeligen Kinn, an dem er knabberte, bis er endlich an den vollen Lippen angelangte. Er ließ seine geschickte Zunge in die Mundhöhle des anderen gleiten und ertastete ganz bewusst die kleinen Fänge, die ihn kurz zuvor überrascht hatten.

Der Blonde stöhnte dabei unterdrückt auf. Seine Hände legten sich auf Desiderius’ angespannte Seiten und seine harte Männlichkeit drängte sich gegen Desiderius’ Glied.

Desiderius durchfuhr eine heiße Welle unkontrollierbarer Lust. Er wollte den Blonden spüren. Seine Fänge fühlen. Sie in seinem Fleisch haben. Wollte ihm geben, was sonst keiner von ihm benötigte. Wollte ihm schenken, was sonst er immer nahm.

Schlanke Beine umschlangen ihn plötzlich und hielten ihn fest gegen den harten Körper seines Liebhabers gedrückt. Nun wollte die Beute Besitzansprüche an den Jäger stellen.

Er stöhnte auf und hob den Kopf, zog seine Zunge zurück und legte den Kopf in den Nacken, während sie sich an einander rieben, sich zusammen auf dem Bett wiegten.

Zarte Hände wanderten über seine Brust. Erforschten, tasteten, kitzelten in ihrer zurückhaltenden Sanftheit. Ein Daumen strich ganz bewusst über die Vene an seinem Hals. Tastete danach. Suchte. Fand die pulsierende Ader. Der Körper unter ihm erzitterte.

Desiderius senkte sich erneut hinab. Er legte seine Lippen an die Halskerbe des Blonden und wanderte an dessen Körper hinab. Leckte über die winzigen Brustwarzen, die seinen Weg kreuzten, knabberte daran, bis sich sein Spielgefährte unruhig unter ihm regte.

Erneut erzitterte der Blonde, als Desiderius an seinem Bauchnabel leckte. Hände krallten sich in Laken. Lenden wurden ihm entgegen gehoben. Unterdrücktes Wimmern.

Desiderius runzelte die Stirn über die Ungeduld des anderen. Er hob den Blick und sah in ein nervöses, aber auch konzentriertes Gesicht.

Er grinste: »Bin ich Euer Erster?«

Der Blonde schluckte, bevor er bejahend nickte. Es schien ihm peinlich zu sein.

Diese Erkenntnis brachte Desiderius’ Blut noch mehr zum Kochen. Schweiß bildete sich auf seiner Stirn, während er nun selbst um Kontrolle ringen musste.

Mit einem frechen Grinsen legte er eine Hand über die Schnürung der Leinenhose und begann mit leichtem Druck die Beule darunter zu streicheln. Hartes Fleisch, wohlgeformt, aber nicht nennenswert groß. Vollkommen ausreichend und sinnlich geschwungen. Unbewusst leckte sich Desiderius über die eigenen Lippen, während er das fremde Fleisch genau befühlte.

Der Blonde warf den Kopf in den Nacken. Er biss sich in die Unterlippe, petzte die Augen zusammen und drückte den Rücken durch. Man hatte fast Sorge, dass der andere Luzianer vor Lust zerbersten würde, wenn er nicht bald Erleichterung fand.

Desiderius richtete sich ruckartig auf. Er riss die Schnürung der Hose auf und packte sie, um den Blonden daraus zu befreien. Bereitwillig half sein Bettgefährte mit, bis er endlich vollends entkleidet unter ihm lag.

Desiderius stützte sich über ihn, blickte in fiebrig leuchtende Augen.

Er betrachtete das schöne Gesicht unter sich und begann zu schmunzeln. Es war fast zu schön, um wahr zu sein. Vielleicht träumte er. Aber wenn, dann würde er den Traum genießen.

»Das hier werdet Ihr nie vergessen«, versprach er noch, bevor er den Kopf senkte und seinen Mund mit dem des Blonden vereinte.

2

Noch bevor der Morgen graute und die lästigen Möwen an der Küste ihre Schreie verlauten lassen konnten, und damit die Bewohner aus ihrem wohlverdienten Schlaf rissen, war Desiderius wach und kleidete sich an.

Leise wie eine Maus, die in der Küche nach Essensresten suchte, zog er sich an, damit er den jungen Mann von letzter Nacht nicht aufweckte. Nicht einmal Stoff raschelte, während er seine Kleidung zuschnürte. Er hatte schon vor Jahren gelernt, geräuschlos zu kommen und zu gehen. Diese Fähigkeit half ihm, wie an diesem Morgen, immer wieder dabei, sich davon zu stehlen, bevor seine Bettgefährten erwachten und mitbekamen, dass er sie ausgeraubt hatte.

Er warf einen letzten prüfenden Blick auf den Blonden, der auf dem Bauch zwischen den Decken lag und das Gesicht unter seinem Arm verbarg, man konnte nur seine hübschen goldenen Locken sehen; seine dünnen Arme hätten auch die einer Frau sein können.

Dann schnappte er sich den Beutel mit den restlichen Silbertalern und befestigte ihn vorsichtig an seinem Gürtel, damit die Taler darin nicht klimperten.

Er hielt noch einmal inne, als er ein leeres Tablett auf einem Beistelltisch liegen sah. Er nahm es und hob es an, weil er sich in dem trüben Metall spiegelte.

Desiderius begutachtete die Bisswunde an seinem Hals und musste unwillkürlich grinsen.

Es hatte sich unbeschreiblich gut angefühlt, den Blonden mit dem eigenen Blut zu nähren. Während sein Glied in dem schönen Unbekannten gesteckt und ihm Lust bereitet hatte, waren dessen Fänge tief in seinem Hals vergraben gewesen. »Beiß mich«, hörte er seine eigene, heisere Stimme in seinem Kopf. »Trink von mir! Beiß mich!«

Die Gier nach Blut hatte die Luzianer schon oft unbeliebt gemacht. Sie benötigten es nicht häufig, um zu überleben, aber um jung und stark zu bleiben. Mindestens zwei oder drei Mal musste ein ausgewachsener Luzianer in einem Lebensjahr Blut trinken, damit sein Innenleben nicht alterte und sein Herz einfach stehen blieb. Kinder benötigten das Lebenselixier nicht.

Es war nicht relevant, welche Art von Blut. Ob vom Menschen, vom Tier oder vom eigenen Volk, die Wirkung war stets dieselbe. Aber der Geschmack war anders.

Ein wenig bereute Desiderius, dass er die Gelegenheit nicht genutzt und Luzianerblut gekostet hatte. Aber er hat sich nicht selbst um die Erfahrung bringen wollen, wie es war, einen Luzianer zu nähren. Für Menschen war es schmerzhaft, da sie ein anderes Schmerzempfinden hatten als Luzianer, aber für jemand aus seinem Volk war das Nähren eines anderen etwas Berauschendes. Und das hatte Desiderius unbedingt am eigenen Leib erfahren wollen.

Hinter ihm bewegte sich der Blonde und murmelte etwas Unverständliches.

Darüber schmunzelnd beschloss Desiderius, dass es Zeit war, zu gehen.

Lautlos verließ er den Raum, doch er durchquerte nicht den Flur, sondern stieg aus dem Fenster, das ihn direkt in eine enge Gasse führte.

Von dort aus kam er schnell und ungesehen zu den Stadttoren, die vor langer Zeit einmal von Wachen besetzt gewesen waren. Heute sah man nur aus den Angeln gerissene Torflügel, die vor sich hin moderten und vom kaltnassen, salzigen Wind der Küste aufgefressen wurden. Keine Wachen. Keine verschlossenen Tore. Die Küsten waren Tag und Nacht für jeder Mann zugänglich. Ob arm, reich, gesetzlos oder fromm. Jeder konnte herkommen und dann tun und lassen, was er wollte.

Deshalb war dieser Ort so gefährlich. Hexen und Illusionisten, ebenso wie Kreaturen aus der Unterwelt, bezogen hier ihre Quartiere. Und man konnte auf den Märkten an der Küste alles kaufen, was sonst verboten war. Gifte, Zaubertinkturen, magische Pulver, Zutaten für Dunkelzauberei. Alles, was das Herz eines Gesetzlosen oder einer Hexe begehrte.

Nur gut, dass Desiderius mit Letzterem nicht viel zu tun hatte. Er fürchtete Magie, traute ihr nicht, also ging er ihr aus dem Weg.

So auch an diesem Tag, als er eine alte Frau und ihren einzelnen Stand weit abseits des Marktes einsam in einer Gasse stehen sah. Verschrumpelte Köpfe, abgetrennte Gliedmaßen verschiedener Tiere, und viele Phiolen mit seltsam leuchtenden Flüssigkeiten hingen vom Dach ihres Marktstandes.

Desiderius drehte sich um und ging in eine andere Richtung, bevor sie ihn bemerkte.

Er nahm den Umweg in Kauf, den er gehen musste, damit er nicht die Aufmerksamkeit der Hexe auf sich zog.

Seine Sorge war berechtigt. Wie bereits erwähnt, waren Luzianer keine Menschen und ihnen wohnte eine Magie inne, an der sich Hexen gerne bedienten.

Sein Volk verehrte Hexen zwar, aber wenn man ihnen auf die Füße trat, und sei es nur ein falscher Blick, konnten sie jemandem Schlimmes antun. Also ging er lieber auf Nummer sicher und hielt sich fern. Er wollte nicht wegen seiner Fänge und seines Blutes wegen ermordet werden.

Natürlich gab es auch Hexen, die anders waren, aber ihm war noch keine begegnet.

Desiderius durchquerte die Tore und steuerte auf die Ställe zu, als über ihm bereits die Sonne aufging. Milder Wind kündigte den Frühling an und er nahm sich die Zeit, den Kopf in den Nacken zu legen und die Augen zu schließen, um das lauwarme Lüftchen durch sein kurzes, schwarzes Haar gleiten zu spüren.

Ein Schatten huschte über sein Gesicht, und als er die Augen öffnete, sah er einen großen Raubvogel weit über ihn hinweg fliegen. Der Vogel steuerte von der Küste fort und in das Landesinnere. In Richtung der Fruchtbaren Hügel, hinter deren grünen Wiesen die Ebenen und die Stadt Dargard lagen. Der Königsitz.

Dargard ... Desiderius seufzte. Er war ewig nicht dort gewesen. Die große Stadt und der Königspalast mit seinen Hallen aus weißem Marmor. Der große Markt. Das geschäftige Treiben der Unterschicht. Das Gemisch der Gerüche aus gebratenem Wild und würzigem Honigwein. Es war herrlich dort. Selbst die Armenviertel waren sauber. Im Gegensatz zu den Städten im restlichen Land, lagen dort keine verhungerten Leichen herum.

König Wexmell Airynn sorgte für seine Völker. Leider konnte er nicht zu jeder Zeit überall sein, weshalb die anderen Städte, die er nicht so oft besuchte, von Menschen heruntergewirtschaftet wurden.

Menschen ... Desiderius knirschte mit den Zähnen. Es gab viele unter ihnen, die er mochte, aber keiner wäre dazu geeignet, Herrscher von etwas zu sein. Leider waren Menschen von Natur aus machthungrig und strebten stets eine hohe politische Position an.

Von Politik verstand Desiderius nichts, aber er war klug genug, zu wissen, dass ein Mensch besser nicht bei wichtigen Entscheidungen mitwirken durfte. Es gab einen Grund, warum Luzianer und nicht Menschen herrschten. Diese Tatsache stieß vielen auf den Magen, zumal es oft zu religiösen Streitigkeiten kam. Menschen glaubten an Götter und an ihren Zorn. Sie fürchteten ihre Götter. Die Luzianer glaubten zwar ebenso an diese Götter, der Unterschied bestand jedoch daraus, dass die Luzianer die Götter als etwas Greifbares und Gleichberechtigtes ansehen. Luzianer knieten nicht vor Göttern. Beteten nicht. Opferten nicht. Das gefiel den Menschen nicht, die die Götter nun mal anbeteten und verehrten.

Davon ausgenommen waren die Menschen, die in den Sandhügeln weit im Westen Nohvas lebten. Dieses Volk betete nur einen einzigen Gott an, und in seinem Namen töteten sie und führten auf bestialische Weise Kriege. Ein schwieriges Volk. Leicht reizbar. Wer klug war, hielt sich mit Aussagen über ihre Religion zurück.

Aber das war allein Desiderius’ Meinung, dass wusste auch er. Jede Geschichte hatte zwei Seiten und jedes Volk hatte seine eigenen Ansichten. Was nun richtig oder falsch war, konnte Desiderius nicht beurteilen. Für ihn war es jedoch richtig, dass der König ein Luzianer war. Aber vermutlich war er, als Luzianer, etwas voreingenommen. Gegenüber Menschen war er recht kritisch eingestellt. Der König sah das wohl anders, denn er gab ihnen mehr Macht, als Desiderius für gut befand.

Es brodelte unter der ruhigen Oberfläche Nohvas. Die Lords der Menschen verlangten nach mehr Mitspracherecht, aber wenn die Luzianer es ihnen gewährten, würden sie nur Kriege führen und den Frieden in Nohva gefährden. König Wexmell sorgte für Religionsfreiheit, er fand von vielen Menschen Zustimmung, doch es gab auch jene, die dagegen waren, selbst Luzianer, die zum menschlichen Glauben konvertierten.

Man konnte also nicht sagen, Menschen wären im Allgemeinen die bösen und Luzianer die guten Geschöpfe. Es gab in Nohva kein Gut und Böse. Nicht ausschließlich. Es gab nur Ansichten. Je nachdem, an was man glaubte oder wonach man strebte, entschied darüber, zu welchem Volk man stand. Es war die freie Entscheidung eines Einzelnen.

In diesen Tagen musste der König besonders vorsichtig sein. Desiderius hoffte, dass die Königsfamilie sicher bei seinem Vater ankam und nicht Opfer eines Überfalls wurde. Zum Glück mussten sie die Tiefen Wälder durchqueren, um zur Burg der Familie M’Shier zu gelangen. In den Wäldern lebten ausschließlich die Waldmenschen, die mit ihren nahen Verwandten – den Menschen – wenig charakterliche Ähnlichkeiten hatten. Sie würden den König friedlich gewähren lassen und jeden Versuch, ihn zu töten, unterbinden.

Der Gedanke an die Tiefen Wälder erinnerte ihn daran, dass er sich ebenfalls auf den Weg machen musste.

Von der Küste aus war es nicht mehr weit bis zu dem lichten Waldgebiet, das seine Familie bewohnte. Die dunkle Burg lag in der Nähe hoher Klippen und war durch die Tiefen Wälder vom Rest Nohvas abgeschirmt. Desiderius musste nur dem Weg nach Westen folgen, am Rande der Tiefen Wälder entlang, und wäre dann im Gebiet seines Vaters.

Die Küste lag nah an der Familienburg, aber niemals würde ein anderes Mitglied seiner Familie die messerscharfen Klippen der Küste sehen – die im Sonnenlicht violett schimmerten – weil sie niemals freiwillig herkommen würden. Es war auch besser so. Einfältige Schnösel, wie sie es waren, überlebten nicht lange an der Küste.

Doch trotz der Gefahr, die hier drohte, drehte sich Desiderius noch einmal um und warf einen sehnsüchtigen Blick auf die halb eingestürzten Dächer der Schwarzen Stadt, wie sie genannt wurde, und schwor sich, so schnell er konnte, wieder her zu kommen.

Aber zuerst musste er seiner verhassten Familie den Arsch retten, indem er so tat, als wäre er ein geschätztes Familienmitglied und kein vertriebener Bastard. Und wenn das getan war, musste er sich eine neue Gruppe Diebe oder Söldner suchen, bei denen er einige Taler verdienen konnte, die er letzten Endes wieder hier an der Küste für Wein und männliche Dirnen ausgeben würde.

Es war ein ewiger Kreislauf. Der Kreislauf des einfachen Lebens, den er nicht aufgeben würde, selbst wenn man ihn mit vorgehaltener Klinge dazu zwingen wollte.

Lieber stürzte er sich über die Klippen.

Er wandte der abtrünnigen Stadt den Rücken zu und ging geradewegs in die Ställe hinein. Es gab niemanden, der hier ein Auge auf alles hatte. Man stellte sein Pferd hier ab und hoffte einfach, dass es am nächsten Morgen noch da und lebendig war. Es wäre nicht das erste Pferd, das Desiderius auf diesem Wege genommen worden wäre.

Dieses Mal war er sich aber sicher, dass sein Hab und Gut noch an Ort und Stelle war, denn seine Kameraden hatten den Stall als Schlafplatz genutzt und einen Jüngeren aus der Gruppe beauftragt, die ganze Nacht lang Wache zu halten.

Desiderius hörte die Schar Räuber schnarchen, während er seine Waffen, seine Lederrüstung und seinen Umhang aus ihrem Versteck holte und alles anlegte.

Es handelte sich dabei um eine leichte Rüstung, die ihm Bewegungsfreiheit gab, und einen bodenlangen Wollmantel, der bei Bedarf seine Gestalt und sein Gesicht verdeckte. Er befestigte seine zwei Dolche, die er immer überkreuz auf seine Brust geschnallt trug, schob den dritten Dolch in einen Stiefel und steckte zuletzt sein Langschwert in die Schwertscheide auf seinem Rücken.

Er führte seinen Rappen aus der nassen Box, in der kein Stroh lag, und legte ihm Halfter und Sattel an.

Ein letzter Blick auf die schwarze Stadt, dann schwang er sich vor den Stallungen in den Sattel und lenkte den Rappen in Richtung Westen.

Unter den Hufen des großen Pferdes knirschten die winzigen, kleinen Steinchen, die den Boden an den Küsten übersäten. Sowohl den Strand als auch den Boden oben auf den Klippen. Der schwarze Stein wirkte wie Schiefer, der zu kleinen Bruchstücken zertrümmert war, doch in der Sonne schimmerte er violett. Wegen dieses Gesteins hatte dieser Küstenabschnitt seinen Namen: Die Violetten Küsten.

Das hier war mehr seine Heimat als die, zu der er jetzt ritt.

Desiderius trieb seinen Rappen mit einem Schnalzen seiner Zunge an und beschloss, die Küste hinter sich zu lassen. Darüber zu jammern, nach Hause zurückkehren zu müssen, half ihm auch nicht.

***

Viele Reisen hatte er im Sattel verbracht. Er war ein geübter Reiter. So war es nicht verwunderlich, dass er und sein Rappe nur die Hälfte der eingeplanten Zeit benötigten.

Gut, Desiderius gab zu, dass der Hengst seinen Teil dazu beitrug. Es war ein edles Tier. Kräftig aber trotzdem ausdauernd. Sein Hals war muskulös, seine Beine lang und schlank. Sie trugen nicht viel Gewicht, dafür kamen sie schnell voran. Desiderius hatte den Rappen vor einigen Jahren aus einem Stall einer Adelsfamilie entwendet. Das Pferd war eine Mischung aus Gebirgspferd, die für ihren robusten Körperbau bekannt waren, und den wendigen Wüstenpferden aus den Sandhügeln, die sehr groß und schnell waren. Der Rappe war treu wie ein Hund, schnell wie kein anderes Ross und robust wie Desiderius selbst. Sie waren ein eingespieltes Team.

Als sich zwischen weit auseinander stehenden großen Trauerweiden eine düstere Burg emporhob, zügelte Desiderius seinen Rappen und ließ ihn langsam den Kiesweg entlang traben, der sie direkt zum Tor leiten würde. Desiderius bestaunte wie immer den hohen Turm, der zum Himmel emporragte und einen langen Schatten warf. Die Burg war einst aus dem Gestein der Küste erbaut worden. Hart und nicht schmelzbar. Einer Legende nach, soll diese Burg sogar einst dem Feuer eines Drachen standgehalten haben.

Allerdings konnte diese Geschichte haltlos erfunden sein, denn Desiderius hatte nie einen Drachen gesehen oder je jemanden getroffen, der einem begegnet wäre. Drachen waren für ihn auch nichts weiter als Legenden. Fabelwesen, die nicht existierten. So wie die Riesenkraken, die angeblich ganze Segelschiffe auf See verschluckten. Er glaubte an nichts, was er nicht selbst gesehen hatte. Und da er fast jeden Winkel Nohvas kannte – einschließlich vieler Höhlen und Ruinen von Völkern, die lange vor seiner Zeit ausgestorben waren – und noch keinem Ungeheuer wie einem Drachen oder einem Riesentier begegnet war, vermutete er, dass auch keines dieser Wesen existierte.

Was er allerdings gesehen hatte, waren Nachtschattenkatzen. Das Wappentier seines Volkes. Eine Mischung aus Wolf und Raubkatze. Spitze Zähne und Krallen wie eine Katze, lange Schnauze und Ohren wie ein Wolf. Fiese, kleine Biester. Ihre Bisse waren giftig, ihre Krallenhiebe gingen tief und ihr Fauchen tat in den Ohren weh. Es war nicht klug, gegen sie zu kämpfen, sie waren zu schlau und zu schnell. Hörte man das Knurren einer Nachtschattenkatze, wendete man lieber sein Pferd.

Genau wie in diesem Moment, dachte Desiderius, als er die Wappen mit den eleganten Tieren darauf an der Burgmauer entdeckte. Er wäre gerne umgekehrt und hätte diese auf Stoff gestickten Nachtschattenkatzen hinter sich gelassen.

Doch stattdessen blickte er das große Tor hinauf zu den Wachen.

Sie riefen fragend zu ihm hinunter, wer er sei und zu welchem Zweck er dort war.

Die ruppige Begrüßung war er gewohnt und er war sich ganz sicher, dass sie wussten, wer er war. Doch die Wachen machten sich einen Spaß daraus, ihn sagen zu hören, was er war.

Also seufzte er entnervt und rief dann brav zu ihnen hinauf: »Ich bin Desiderius M’Shier, der Bastard. Euer Burgherr erwartet mich.«

Er hätte schwören können, ihr Gelächter zu hören, ließ es aber gelangweilt über sich ergehen. Schon lange hatte er kein Problem mehr damit, ein Bastard zu sein.

Liebevoll kraulte er die dichte Mähne seines Rappen, während er darauf wartete, dass man ihm das Tor weit genug öffnete.

Er ritt durch den Spalt hindurch. Dahinter befanden sich bereits der weitläufige Burghof und die Pferdeställe. Ein Stallbursche kam ihm entgegengerannt, um sein verschwitztes Pferd in Empfang zu nehmen.

Desiderius glitt aus dem Sattel und gab dem jungen Burschen die Zügel. »Gib ihm frisches Heu und eine Handvoll Hafer, er hatte kein Frühstück.«

Der Stalljunge nickte bestätigend.

»Und reib ihn mit Stroh ab«, rief Desiderius ihm nach.

Eine tadelnd schnalzende Zunge ertönte hinter ihm und verlangte ihm seine Aufmerksamkeit ab.

Sein Bruder, ein großer Mann mit schütterem, dunklem Haar und enormen Bauchumfang, kam kopfschüttelnd auf ihn zu. Er trug beste Kleidung, die sich gefährlich über seinen Wanst dehnte.

»Nun sieh dich einer an!«, seufzte er theatralisch. »Das Haar zerzaust, einen Bartschatten auf den Wangen, übermüdete Augen, die Kleider unordentlich und die Stiefel dreckig.«

Desiderius hob die Arme und sah an sich hinunter. Als er seinen Blick wieder zu dem runden Gesicht seines Bruders hob, erwiderte er: »Das sind keine Kleider, man nennt das Rüstung.«

Ohne ihm weiter Beachtung zu schenken, drehte sich Desiderius um und steuerte auf den Eingang zu.

Arerius, sein Bruder, folgte ihm prompt. »Immerhin bist du pünktlich.«

»Wann erwarten wir die Ankunft des Königs?«, fragte Desiderius desinteressiert, während er die vielen Stufen hinaufstieg, die ihn zur Eingangshalle der Burg führten.

»Er verspätet sich um einen Tag«, antwortete Arerius.

Desiderius war enttäuscht. Das bedeutete, er musste noch einen Tag länger hierbleiben als ihm lieb war.

Er trat in die Halle und war nicht verwundert, sie reichlich geschmückt vorzufinden. Alles war für die Ankunft des Königs vorbereitet. Alles war perfekt, nur er war der Schandfleck der Familie, den bisher noch niemand entfernen konnte.

Zielstrebig ging er in die oberen Etagen, um seine Kammer aufzusuchen. Er brauchte dringend ein Bad, um sich die letzte Nacht vom Körper zu waschen. Er wollte nicht warten, bis sein Bruder ihm die unangenehme Frage stellte, warum er nach fremdem Männerschweiß roch. Es würde seiner Familie gelegen kommen, ihm deswegen den Kopf abschlagen zu lassen. Dann hätten sie einen Grund, ihn loszuwerden. Einen besseren, als seine uneheliche Geburt.

»Er schickte unserem Vater gestern Abend einen Botenvogel«, erzählte sein älterer Bruder ungefragt und folgte ihm die Stufen hinauf.

Desiderius befürchtete, Arerius würde ihm bis zu seinem Zimmer begleiten und ihn eigenhändig waschen und ankleiden. Aber bevor er das zuließ, müsste Desiderius ihm leider die Nase brechen.

»Er bringt die Königin und all seine Kinder mit. Einige von Ihnen haben Dargard noch nie verlassen.«

»Was du nicht sagst«, brummte Desiderius desinteressiert.

»Wie es aussieht, haben sich zwei der Prinzen davongestohlen, um die Gegend auszukundschaften. Der König war amüsiert und schrieb unserem Vater, dass er leider erst weiterreisen könnte, wenn seine zwei abhandengekommenen Söhne sich ausgetobt und wieder zu ihm zurückgefunden haben«, plauderte Arerius unbeirrt weiter. Er klang wirklich schockiert über diese Entwicklung. Er hätte wohl nicht gedacht, dass die königliche Familie wusste, wie man Spaß hatte.

Desiderius schmunzelte nur in sich hinein. Es war eine amüsante Geschichte über zwei verwöhnte Bengel, die zum ersten Mal den Duft der Freiheit geschnuppert hatten. Wer sollte es ihnen verübeln? Desiderius bestimmt nicht.